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Große Aufregung im Haus von Agatha Christie - Phyllida Bright, ihre charmante Hausdame, ist Organisatorin der diesjährigen Wohltätigkeitveranstaltung Mord Festival, bei der die beste Kurzgeschichte einer Schar angehender Krimiautor:innen ausgelobt wird. Als beim Cocktail-Empfang ein Gast tot zusammenbricht, ist Phyllidas besonderer Spürsinn geweckt: Ehrgeiz als Motiv? Nun, dann könnte jeder der Anwesenden der Mörder sein, schließlich sind alle Gäste Experten in Sachen Mord. Wie gut, dass die charismatische Phyllida bestens vernetzt ist mit der Dienerschaft aus der Umgebung. Manch einer hat etwas gehört oder gesehen und schenkt Phyllida deutlich mehr Vertrauen als der örtlichen Polizei ...
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Seitenzahl: 383
Veröffentlichungsjahr: 2023
Große Aufregung im Haus von Agatha Christie – Phyllida Bright, ihre charmante Hausdame, ist Organisatorin der diesjährigen Wohltätigkeitveranstaltung Mord Festival, bei der die beste Kurzgeschichte einer Schar angehender Krimiautor:innen ausgelobt wird. Als beim Cocktail-Empfang ein Gast tot zusammenbricht, ist Phyllidas besonderer Spürsinn geweckt: Ehrgeiz als Motiv? Nun, dann könnte jeder der Anwesenden der Mörder sein, schließlich sind alle Gäste Experten in Sachen Mord. Wie gut, dass die charismatische Phyllida bestens vernetzt ist mit der Dienerschaft aus der Umgebung. Manch einer hat etwas gehört oder gesehen und schenkt Phyllida deutlich mehr Vertrauen als der örtlichen Polizei …
Colleen Cambridge ist das Pseudonym einer New-York-Times-Bestsellerautorin, die mit Romanserien in unterschiedlichen Genres international erfolgreich ist. Murder at Mallowan Hall ist der Auftakt einer Kriminalromanserie mit der scharfsinnigen Amateurermittlerin Phyllida Bright als Haushälterin von Agatha Christie. Colleen Cambridge lebt mit ihrer Familie und zwei Hunden im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten.
COLLEENCAMBRIDGE
Der
COCKTAIL
MÖRDER
CLUB
Agatha ChristiesHaushälterin ermittelt
Kriminalroman
Übersetzung aus dem Englischen vonAngela Koonen
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der englischen Originalausgabe:
»A Trace of Poison«
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2022 by Colleen Gleason
Published by Arrangement with Kensington Publishing Corp,
New York, NY 10018, USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de
Einband-/Umschlagmotiv: © schus | Getty Images Plus; © odina222 | Getty Images Plus; © cherstva | Getty Images Plus; © Natalia Misintseva | Getty Images Plus; © seamartini | Getty Images Plus; © Tim UR | Getty Images Plus;
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-4786-8
luebbe.de
lesejury.de
»Ich gelobe, dass meine Detektive die Verbrechen, die ich ihnen präsentiere, ehrlich aufklären, indem sie den Verstand benutzen, mit dem ich sie ausstatte, und nicht von göttlicher Eingebung, weiblicher Intuition, Hokuspokus, Schummelei oder höherer Gewalt Gebrauch machen.«
Eid der Mitglieder des Detection Club
Agatha Christie und ihren Ehemann, Max Mallowan, sowie den Detection Club hat es wirklich gegeben, nicht jedoch den Listleigher Mordclub, Mallowan Hall, Phyllida Bright und ihr Personal – und auch die in diesem Buch geschilderten Ereignisse wurden von der Autorin frei erfunden.
Mitglieder des Detection Club(historische Persönlichkeiten)
Agatha Christie: gefeierte Autorin von Detektivgeschichten; Schöpferin von Hercule Poirot, Miss Marple sowie Tommy und Tuppence Beresford
G. K. Chesterton: beliebter Autor der Father-Brown-Geschichten; Präsident des Detection Club
Dorothy L. Sayers: berühmte Autorin der Lord-Peter-Wimsey-Krimis
Anthony Berkeley: höflicher, gut gekleideter Kriminalschriftsteller aus der Oberschicht, Autor von Der Fall mit den Pralinen
Digby Billdop: anglikanischer Pfarrer; Autor der Father-Veritas-Krimis
Alastair Whittlesby: Listleigher Rechtsanwalt, Präsident des Listleigher Mordclubs und Autor der Inspector-Belfast-Geschichten
Miss Crowley: freudlos gekleidete Frau, die Geschichten über den ausschweifenden, verwegenen Filiberto Fiero schreibt
Vera Rollingbroke: gut betuchte Frau, die immer ein Notizbuch bei sich hat und Geschichten über eine vornehme Dame namens Bunkle und ihre Katze Mrs Cuddlesworthy schreibt, die zusammen Kriminalfälle aufklären
Louis Genevan: Antiquitätenhändler mit einem Geschäft in Belgravia, der Kriminalgeschichten über eine alte Jungfer als Detektivin verfasst
Dr. John Bhatt: Listleigher Arzt, der sich ein eigenes Kriminallabor aufbaut und Geschichten über einen Detektiv namens Dr. Graceley schreibt
Phyllida Bright: Haushälterin und außergewöhnliche Amateurdetektivin
Mr Dobble: der sehr förmliche und oft einschüchternde Butler
Mrs Puffley: die Köchin, die der festen Meinung ist, dass ein Mord keine unangemessene Mahlzeit entschuldigt
Bradford: der Chauffeur, der eine hinreißende Hündin namens Myrtle bei sich aufgenommen hat
Molly: ein Küchenmädchen, auf das Mrs Bright große Stücke hält
Father Tooley: römisch-katholischer Priester von St. Wendreda, wo der Mordbasar stattfindet, dessen Einnahmen dem Waisenhaus der Gemeinde zugutekommen sollen
Rita: Father Tooleys Hausmädchen
Lettice Whittlesby: Ehefrau von Alastair Whittlesby
Eugene Whittlesby: Bruder von Alastair, der in dessen Haus lebt, obwohl die Brüder zerstritten sind
Die alte Mrs Whittlesby: bettlägerige Mutter der beiden Brüder und Hausdrachen im Tangled Vines Cottage
»Rolly« Rollingbroke: Vera Rollingbrokes liebender Ehemann
Drewson: Butler der Whittlesbys im Tangled Vines Cottage
Freitagmorgen
»Ich sehe nicht, wie sich das umgehen ließe. Er muss einfach beseitigt werden«, sagte jemand mit gedämpfter Stimme.
»Ganz recht. Das Problem ist nur … wie am besten …«, erwiderte jemand anders. »Bald …«
Während jeder andere zufällige Zeuge des Gesprächs sicherlich alarmiert gewesen wäre, lächelte Phyllida Bright nur und machte sich daran, die Tischtücher für den Lunch zu zählen, mit dem der »Listleigher Mordbasar« eröffnet werden sollte.
Als Haushälterin von Mallowan Hall, dem weitläufigen Anwesen, auf dem die berühmte Schriftstellerin Agatha Christie und ihr Mann, Max Mallowan, lebten, wurde Phyllida häufig Zeugin von Gesprächen über Mord und beteiligte sich gern daran, wenn die Feinheiten der Frage erörtert wurden, wie man eine unbequeme Person ein für alle Mal loswerden könnte.
Ob in den Wohn- und Repräsentationsräumen oder in denen des Personals, diese Gespräche drehten sich immer darum, welches Gift man nehmen sollte, ob Erstechen oder Erschießen blutiger wäre, ob ein Schlag auf den Kopf zum Töten ausreichte oder ob man dem Opfer zur Vollendung der Tat einen Zettelspieß in den Nacken stoßen müsse, bevor man die Leiche in einen Schrank im Souterrain versteckte.
»Gift …«, sagte die erste Person. Phyllida hörte kaum mehr als Gemurmel. Vielleicht weil sich die beiden entfernten. »Kaffee. Oder etwas Stärkeres?«
»Wie wär’s … sein … neu Karree?«, erwiderte der andere.
Phyllida hielt einen der beiden für einen Mann, konnte sich aber nicht sicher sein, da sie sich im Gemeindesaal der katholischen Kirche St. Wendreda befand und die Stimmen durch ein offenes Fenster hereinkamen. Jedenfalls war er wohl einer der Detektivromanautoren, die zum Mordbasar gekommen waren. Von solchen liefen Dutzende da draußen umher, sowohl veröffentlichte als auch unveröffentlichte, und hofften, G. K. Chesterton, Dorothy L. Sayers oder Anthony Berkeley zu Gesicht zu bekommen.
»Ja, Gift … nicht wahr? … Etwas … geschehen«, gab der Gesprächspartner zurück, dessen Geschlecht wegen des gedämpften Tons unklar blieb. »… sein prahlerisches Benehmen, seine überhebliche, gehässige Art nicht länger ertragen.« Die letzte Äußerung kam kräftiger und deutlicher und ließ die Frustration des Sprechers erkennen.
Phyllida schnalzte missbilligend mit der Zunge und fragte sich, wie ein Schriftsteller dazu kam, seine eigenen Figuren zu verabscheuen. Da sie selbst keine Romane schrieb, konnte sie sich keine ursächliche Befindlichkeit vorstellen.
Allerdings hatte es erst kürzlich eine Zeit gegeben, da Agatha ihre beliebteste Romanfigur nicht mehr hatte leiden können. Schon Sir Arthur Conan Doyle, dem Sherlock Holmes zum Fluch seiner Existenz geworden war, hatte seinen Detektiv umkommen lassen – worauf man glatt von ihm verlangt hatte, ihn wiederzubeleben, um seine Anhänger zu beschwichtigen. Und so hatte auch Agatha die Nase voll von Hercule Poirot und seiner pingeligen, aufgeblasenen Art.
Zum Glück hatte sie sich noch keine Handlung ausgedacht, bei welcher der kleine Belgier zu Tode kommen sollte. Denn für Phyllida, die eine Schwäche für den brillanten, schnurrbärtigen Detektiv hatte, wäre das ein Anlass, mit ihrer Arbeitgeberin eine klare, leidenschaftliche Diskussion zu führen.
Natürlich mochte sich die Unterhaltung, die sie gerade belauscht hatte, ebenso gut um einen Schurken drehen anstatt um einen lästigen Detektiv, doch das bezweifelte Phyllida. Der Ton wies auf einen Schreiber hin, der beim Umgang mit demjenigen am Ende seiner Kräfte war, und folglich musste es um jemanden gehen, der dem Sprecher gut bekannt war, also eine ständig wiederkehrende Figur.
Sie hoffte, es war nicht Dorothy Sayers, die über ihren Lord Peter Wimsey redete. Nicht dass der Poirot das Wasser reichen konnte, aber Phyllida schätzte seine detektivische Arbeit – und da sie kürzlich selbst einen Mordfall aufgeklärt hatte, hielt sie auch viel von der unerschrockenen Harriet Vane, Lord Peter Wimseys Partnerin (obwohl sie einem Vergleich mit Agathas couragierter Tuppence Beresford nicht standhielt).
»Mrs Bright, Ma’am, die Blumen für die Tische sind da. Die Vasen werden gerade geholt.«
Phyllida wandte sich von dem Stapel Tischtücher ab, um mit Ginny zu sprechen, einem der Zimmermädchen von Mallowan Hall. Wer vermutlich neben ihr stand, war Amsi, der Gärtner des Anwesens, doch das war unmöglich zu sagen, da derjenige einen Karren mit einem Berg Rosen, Astern und Gladiolen hergeschoben hatte und davon verdeckt wurde.
»Ausgezeichnet. Wenn die ankommen, reihen Sie sie auf dem Tisch dort auf, und arrangieren Sie die Blumen darin, jeweils fünf Rosen, sechs Astern und zwei Gladiolen. Achten Sie darauf, dass die Gladiolen in der Mitte stehen, und mischen Sie die Farben.« Während Phyllida die Anweisung gab, musterte sie Ginnys Erscheinung.
Unter der Haube lugte nicht eine Strähne ihres honigblonden Haars hervor. Die Strümpfe saßen straff und gerade, wie sie sollten, die Schürze war frisch, das Kleid makellos sauber. Phyllida stellte jederzeit hohe Ansprüche an ihr Personal, nahm es aber besonders genau, wenn sie vor Gästen oder in der Öffentlichkeit agierten.
Sie wandte sich dem zweiten Dienstmädchen zu, das sie von Mallowan Hall mitgenommen hatte. Obwohl ein Küchenmädchen, das die Gäste und die Familie gewöhnlich nicht zu Gesicht bekamen, war Molly genauso frisch gebügelt und gestärkt wie Ginny, doch bei ihr konnte man sich darauf verlassen, dass sie nicht ganz so viel Klatsch verbreitete.
Phyllida nickte anerkennend, wenn auch nur in Gedanken. »Molly, Sie können die Tischtücher über die Tische breiten. Das eckige ist für den am Kopf der Tafel, die runden sind für die anderen. Und dann können Sie Ginny helfen, die Blumenvasen zu verteilen, jeweils in die Mitte des Tisches bitte und drei in gleichmäßigem Abstand am Kopf der Tafel.«
Phyllida deutete auf die Tischdecken, die sie soeben gezählt hatte. Wie erwartet waren es sechzehn runde, sodass zwei übrig blieben, da es nur vierzehn Lunchtische gab. Sie hatte immer gern von allem etwas in Reserve.
Allerdings hatte sie keine Geduldsreserven, wenn es um Myrtle ging – die gerade auf der Bildfläche erschien.
»Was hat das Tier hier zu suchen?«, fragte sie, als der dunkle, wuschelige Welpe in den Saal flitzte.
Bradford, der Chauffeur der Mallowans und Myrtles Herr (Phyllida benutzte den Begriff nur der Form halber, denn sie war sich nicht sicher, wer hier wessen Herr war), kam lässig hereingeschlendert, als hätte er nicht soeben einen Höllenhund in einen Kirchenraum losgelassen. Er trug einen großen Korb, der vermutlich die Vasen enthielt. »Sie wollte mitkommen«, antwortete er, als wäre es in irgendeiner Weise statthaft, einen jungen Hund in einem Speisesaal frei herumtollen zu lassen. »Wo möchten Sie die haben, Mrs Bright?«
Sobald er ihren Namen in diesem schleppenden, ironischen Tonfall aussprach, wurde Phyllida wütend. Sie war machtlos dagegen. Der Mann war unmöglich und machte in einem fort arrogante Einwände und gab unerwünschte Bemerkungen von sich. »Auf dem Tisch da drüben«, sagte sie eisig. »Im Speisesaal sind Hunde nicht erlaubt.«
Myrtle rannte mit fliegendem Schwanz umher, bellte, sprang, schlitterte und belästigte jeden Anwesenden. Phyllida wich dem vorbeiflitzenden Tier schleunigst aus. Seit Myrtle das Gelände von Mallowan Hall erobert hatte, hatte Phyllida schon drei Paar Seidenstrümpfe ausrangieren müssen, weil das Tier sie mit seinen Krallen zerrissen hatte, denn aus irgendeinem Grund hatte es eine besondere Zuneigung zu ihr gefasst.
Selbstverständlich war Myrtle in Phyllidas Herrschaftsbereich in Mallowan Hall nicht willkommen.
»Natürlich nicht, Mrs Bright«, pflichtete Bradford ihr bei, als er den Korb absetzte. Kicherte er etwa über ihr flinkes Ausweichmanöver? »Aber das Essen findet erst in vier Stunden statt. Bis dahin wird sie längst wieder draußen sein.«
Nicht jedoch die Hundehaare, die sie überall verteilt hat!, wollte Phyllida scharf erwidern, doch dazu kam es nicht, weil Mrs Agatha, Miss Sayers, Mr Chesterton und Mr Berkeley hereinkamen.
»Guten Morgen, Phyllida. Wie ich sehe, haben Sie hier alles im Griff«, sagte die Hausherrin von Mallowan Hall. Eine Spur Belustigung schwang in ihrem Ton mit, denn bei ihrer Ankunft war Myrtle unter wildem Schwanzwedeln auf sie zugesaust. »Ja, du bist entzückend, nicht wahr?« Als Agatha sich zu dem zappelnden vierbeinigen Lockenwust hinunterbeugte, unterdrückte Phyllida eine bissige Bemerkung.
Agatha und sie hatten sich während des Weltkriegs kennengelernt, als Frauen zu allen möglichen Aufgaben eingezogen worden waren. Damals waren sie beide ledig, und da im selben Alter, war es nur natürlich, dass sie sich anfreundeten. Sie arbeiteten im selben Krankenhaus, Agatha in der Apotheke – wo sie viel über die Gifte lernte, die später in ihren Romanen vorkommen sollten – und Phyllida als Krankenschwester, bevor sie an die Front ins Lazarett geschickt wurde. Sie waren eng befreundet und verstanden sich seit über zehn Jahren ausnehmend gut. Dass Phyllida sich entschieden hatte, den Posten der Haushälterin in Mallowan Hall anzunehmen, hatte an ihrem guten Verhältnis nichts geändert. Allerdings achteten sie sorgfältig darauf, im Beisein von Gästen oder Personal nicht vertraut miteinander umzugehen.
In einem Punkt kamen Hausherrin und Haushälterin jedoch nicht überein, und das war ihre Haltung zu Hunden. Mrs Agatha hatte einen Drahthaar-Foxterrier namens Peter, und seit Bradford Myrtle angeschafft hatte, damit sie bei ihm in der Garagenwohnung lebte, waren beide Mallowans von der Hündin hingerissen.
Phyllida nicht.
»Mr Bradford verspricht, das Tier zu entfernen, bevor das Essen kommt«, informierte sie Agatha steif, da sie wusste, dass er zuhörte. »Aber natürlich werden wir wegen der Hundehaare noch einmal fegen müssen.« Sie warf dem Chauffeur einen bösen Blick zu, doch er ignorierte sie.
»Ich habe keinerlei Zweifel, dass unter Ihrer Führung alles tipptopp sein wird, Phyllida.« Agatha richtete sich auf und ließ Myrtle ein neues Opfer finden.
Erneut wich Phyllida dem hechelnden Tier hastig aus, worauf es seine Aufmerksamkeit auf Miss Sayers richtete.
»Sie werden am Kopf der Tafel sitzen, G. K.«, sagte Agatha. Sie sprach mit Mr Chesterton, der sich als Großmeister zur Verfügung gestellt hatte, da der Mordbasar einem wohltätigen Zweck diente und vom Detection Club gefördert wurde.
Zu den Mitgliedern des Clubs gehörten Agatha Christie, G. K. Chesterton, Dorothy L. Sayers, Anthony Berkeley, Hugh Walpole, Freeman Wills Crofts und ein Dutzend andere beliebte Detektivromanautoren. Sie trafen sich regelmäßig in London, um über die Techniken und Mühen ihres Genres zu diskutieren und einander zu unterstützen. Jeder hatte einen Eid geschworen, die geschilderten Kriminalfälle den Lesern gegenüber auf faire Weise zu lösen. Aber ob der Eid mehr war als ein Scherz unter Freunden, daran hatte Phyllida ihre Zweifel.
Der Listleigher Mordbasar sollte ein Wochenende dauern und den aufstrebenden Verfassern von Detektivgeschichten Gelegenheit geben, ihre erfolgreichen Vorbilder zu treffen. Er war aber auch für das Lesepublikum gedacht, das den Autoren zuhören und ihre Bücher kaufen wollte.
Die Nachwuchsautoren, die sich für den ersten Tag angemeldet hatten, zahlten eine Gebühr, denn er begann um halb zwei mit einem Begrüßungslunch mit den angereisten Mitgliedern des Detection Club – Sayers, Chesterton, Berkeley und Christie – und wurde mit Lehrstunden fortgesetzt. Der Höhepunkt des ersten Tages war eine Cocktailparty im Freien, bei der die Nachwuchsautoren wieder Gelegenheit haben würden, mit den berühmten Schriftstellern zu plaudern. Die Amateurschriftsteller hatten gegen Zahlung einer zweiten Gebühr eine Kurzgeschichte einreichen dürfen, die von Mitgliedern des Detection Club beurteilt wurde. Am Samstag, dem zweiten Veranstaltungstag, würde der Basar auf dem Gelände von St. Wendreda für das allgemeine Publikum geöffnet sein. Am Sonntag zur Teestunde sollte dann der Große Preis des Listleigher Mordbasars vergeben werden.
Als Vorsitzender würde Mr Chesterton beim Lunch eine Rede halten und am Sonntag einem der Nachwuchsautoren den Preis für die beste Kurzgeschichte verleihen. Diese würde dann bei einem Verlag in England und in den Vereinigten Staaten erscheinen. Phyllida drückte Dr. Bhatt die Daumen, denn von seinen Geschichten, in denen sich ein Arzt als Amateurdetektiv betätigte, hatte sie einige gelesen und fand sie außerordentlich gut.
Listleigh war wegen des örtlichen Schreibclubs als Veranstaltungsort gewählt worden. Nachdem Dr. Bhatt, der Arzt des Ortes und ein Mitglied des Clubs, von einer Londoner Benefizveranstaltung unter der Schirmherrschaft des Detection Club gehört hatte, war ihm die Idee gekommen, in Listleigh etwas Ähnliches zu veranstalten. Die Einnahmen sollten dem örtlichen Waisenhaus und der Schule für missratene Kinder zugute kommen, die ein neues Dach brauchten und zu St. Wendreda gehörten.
Dr. Bhatt hatte Mr Chesterton über Mrs Agatha einen sehr überzeugenden Vorschlag unterbreitet. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die solch ein Wettbewerb den Schriftstellern einbrächte, sowie der wohltätige Zweck und die Gelegenheit, während der heißesten Zeit des Sommers London verlassen zu können, hatten den Detection Club bewogen, den Vorschlag anzunehmen und der Einladung nach Listleigh zu folgen.
Da Agatha involviert war, hatte Phyllida bereitwillig die Aufgabe übernommen, den Basar zu planen und zu organisieren, zum einen, weil sie so etwas äußerst gern und zudem gut machte, und zum andern, weil sie Mallowan Hall dann mehrere Tage fernbleiben durfte und somit nicht mit Mr Dobble, dem Butler, auskommen musste.
»Meinetwegen«, erwiderte Mr Chesterton nach einem Blick auf den Tisch. Der populäre Schöpfer der Father-Brown-Geschichten ging auf die sechzig zu, hatte einen Schopf dunkler welliger Haare und trug gewöhnlich einen Zwicker. Er war ein massiger, imposanter Mann, dessen dunkle Kleidung zu seiner dominierenden Ausstrahlung beitrug. »Wie viele Nachwuchsschriftsteller werden mit uns speisen?«
»Fünfzehn haben sich angemeldet und natürlich bezahlt«, sagte Agatha. »Nicht alle leben in Listleigh. Einige kommen sogar aus Wales.« Die Bitte des örtlichen Clubs, den Vorsitz zu übernehmen, hatte sie abgelehnt, denn sie war recht scheu und zog es vor, nicht vor Publikum oder auch nur in kleinen Gruppen zu sprechen, es sei denn, sie kannte die Leute gut. Es hatte Agatha Überwindung gekostet, überhaupt teilzunehmen, denn sie schätzte weder öffentliche Aufmerksamkeit noch die Presse – doch bei einer Veranstaltung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft konnte sie schlecht ablehnen.
Da Phyllida den Ablauf plante und organisierte, brauchte ihre zurückgezogen lebende Freundin mit niemand Fremdes in Kontakt zu treten, außer bei der Buchmesse am Samstag und bei der Bekanntgabe des Gewinners am Sonntag.
»Ich darf wohl annehmen, dass Sie alle ein Exemplar der Kurzgeschichten zur Beurteilung erhalten haben?«, fragte Agatha ihre Kollegen. »Es wurden nur zehn eingereicht.«
»Ja, in der Tat«, sagte Miss Sayers. »Ich habe meine vor vierzehn Tagen erhalten, sodass ich reichlich Zeit hatte, sie zu lesen – die letzte musste ich mir allerdings während der Zugfahrt vornehmen.« Sie war eine große, burschikose Frau, die sich gern in lange, schwarze, wogende Kleider hüllte. Die dunklen Haare trug sie kurz, im Stil des sogenannten »Herrenschnitts«, der ihr trotz der weich fallenden Kleider ein maskulines Aussehen gab. »Einige waren tatsächlich ganz gut.«
»Durchaus. Das dachte ich auch. Da könnte uns bei den Verlagen einige Konkurrenz erwachsen«, erwiderte Mr Chesterton glucksend.
Phyllida beobachtete, wie Ginny die Sträuße arrangierte und Molly die Tischtücher auflegte, und belauschte dabei weiter das Gespräch, um vielleicht eine Andeutung aufzuschnappen, wer den Preis gewinnen könnte.
»Father Tooley liegen schon seit Montag alle Bewertungen vor«, bemerkte Agatha. »Also kann uns niemand vorwerfen, wir könnten unzulässig beeinflusst worden sein, nachdem wir uns unter die Autoren begeben haben.« Sie lächelte.
»Ganz recht«, pflichtete Mr Chesterton ihr bei. »Eine Punkteliste geführt von einem heiligen Mann dürfte über jeden Verdacht erhaben sein.«
»Sie haben sich also auch bereits für einen Favoriten entschieden?«, fragte Miss Sayers.
»Oh ja«, antwortete Agatha. »Eine Geschichte stach besonders hervor. Ich fand sie recht unterhaltsam und pfiffig. Es gab aber auch andere, die Anerkennung verdienen. Es wird sicher interessant zu sehen, wo wir mit unserer Entscheidung stehen.«
Ehe Phyllida Weiteres zu hören bekam, dem sich vielleicht entnehmen ließe, von wessen Geschichte die Rede war, musste sie sich wegbegeben, weil Myrtle sich auf den schwingenden Zipfel einer Tischdecke stürzte, die soeben über einen Tisch gebreitet wurde.
»Lass das sein, du renitentes, ärgerliches, haariges, garstiges Ding«, rief Phyllida, um den Unsinn zu unterbinden. »Mr Bradford, wenn Sie diesen Plagegeist bitte sofort entfernen würden …«
Nicht im Geringsten verlegen, hob der Chauffeur das närrische Tier auf den Arm. Als Myrtle ihm darauf das Gesicht leckte, kam Phyllida nicht umhin zu bemerken, dass die dichten Locken der Hündin von denen ihres Herrn kaum zu unterscheiden waren. Zwei vom gleichen Schlag, dachte sie gereizt. Beiden mangelt es an Schicklichkeit und Respekt.
»Also gut, Mrs Bright«, sagte Bradford. Der schmale Rücken seiner arroganten Nase glänzte vom Speichel der Hündin. Phyllida unterdrückte ein Schaudern. »Wir machen uns dann mal auf den Weg. Wann sollen wir Sie abholen?«
Insgeheim hoffte Phyllida, die Mallowans würden entweder einen zweiten Chauffeur einstellen oder Bradford würde in eine grünere Gegend oder eine schmierigere Garage umziehen und seinen Hund mitnehmen. Mit dem Mann in dem Daimler fahren zu müssen, wenn sie ins Dorf oder woandershin wollte, war beinahe so aufreibend wie der Umgang mit Mr Dobble.
Dennoch blieb sie stets sachlich und vernünftig und hatte mit den Jahren erfahren, dass sie mit jedem auskommen konnte, solange er seine Arbeit gut machte, gleichgültig, wie irritierend oder hämisch er sich benahm. Und leider war Bradford seinen Pflichten mehr als gewachsen.
»Um drei Uhr bitte, Mr Bradford, und um halb fünf muss ich wieder hier sein, um die letzten Vorbereitungen vor der Cocktailparty zu treffen.«
Er schaute sie über den Kopf seiner hechelnden Hündin hinweg an. Die kleine rosa Zunge des Tiers hing seitlich aus dem Maul wie ein entrolltes Geschenkband. »Gut, dann werden Myrtle und ich um kurz vor drei vorfahren.« Er grinste sie frech an. Offenbar war ihm völlig klar, wie sehr sie es verabscheute, mit dem schnuppernden, leckenden Viech in einem Wagen eingesperrt zu sein.
»Danke, Mr Bradford.«
Ein dumpfer Knall und unheilvolles Klirren ließ sie herumfahren und verhinderte einen weiteren Schlagabtausch mit dem Chauffeur.
Einer der Tische war umgekippt. Blumen, Wasser und die Scherben einer Vase lagen am Boden.
Wie gut, dass Phyllida Reserven hatte … von allem.
»Ich bin sehr erpicht darauf, sie kennenzulernen!«, sagte Digby Billdop. »All die berühmten Schriftsteller!«
Er war Pfarrer der anglikanischen Gemeinde von St. Thurston. Seine Pfarrei befand sich am Dorfanger in Listleigh gegenüber von St. Wendreda, der katholischen Kirche, die wegen des Wettstreits um die Gläubigen der Fluch seines Daseins war.
Es ärgerte ihn noch immer, dass der Wohltätigkeitsbasar bei St. Wendreda stattfinden sollte anstatt bei seiner Kirche, nur weil zu dieser kein Waisenhaus mit reparaturbedürftigem Dach gehörte.
Als fiele das groß ins Gewicht.
Beide Kirchhöfe wurden von vielen Ahornbäumen und Eichen beschattet, und beide Pfarrhäuser hatten prächtige Staudengärten. Digby räumte mürrisch ein, dass der Kirchhof von St. Thurston zwar größer war, St. Wendreda jedoch den schöneren Rasen hatte, denn er grenzte an den Fluss, der den Ort durchquerte. Morgen würden dort lauter Zelte stehen und Besucher umherschlendern.
»Sicherlich wird es gar nicht so spannend, wie du es dir vorstellst«, sagte Harvey Dobble, der Butler von Mallowan Hall. »Sie alle kennenzulernen, meine ich.«
Sie saßen im Pfarrhaus an demselben Tisch, an dem sie jede Woche Schach spielten. Dobble war an diesem Morgen ungewöhnlich früh aufgestanden und hatte sich von der Arbeit weggestohlen, um seinen Freund vor dem Beginn des Basars aufzumuntern – und zu verhindern, dass der Pfarrer in letzter Minute absprang. Digby neigte zu Ängstlichkeit und hatte empfindliche Nerven, doch Dobbles Ansicht nach war er ein begabter Schriftsteller und ebenbürtiger Schachgegner.
Digby faltete die pummeligen Finger auf dem Tisch, als wollte er fahrigen Bewegungen vorbeugen. »Mr Chesterton zu begegnen ist für mich sehr aufregend, weil er schlichtweg … Doch, weißt du, er inspiriert mich. Du meine Güte … Was, wenn meine Geschichte keinem von ihnen gefällt?«
Dobble schüttelte den Kopf. »Aber nicht doch, Digs. Ich habe sie gelesen. Sie ist es wert, veröffentlicht zu werden. Mensch, ich finde deinen Father Veritas – und behalte das für dich – sogar fesselnder als Chestertons Father Brown. Er übertreibt die Regenschirmsache, unser Mr Chesterton. Und dass er ihn immerzu den ›kleinen Father Brown‹ nennt, lässt die Figur für meinen Geschmack tatterig wirken. Es bringt den Klerus in Verruf, wenn Father Brown zerknittert und gedankenverloren herumläuft.«
»Siehst du das wirklich so?«, fragte der Pfarrer mit hoffnungsvollem Blick.
»Aber gewiss doch.« Dobble lächelte ihn herzlich an – was er beim Personal in Mallowan Hall niemals täte. »Bestehe ich nicht immer darauf, deine neuen Seiten sofort zu lesen, sowie ich hier bin? Sogar noch vor dem Abendessen? Father Veritas ist mein Favorit unter den Detektiven – nach Monsieur Poirot natürlich.«
»Oh, danke, dass du das sagst«, erwiderte Digby und faltete die Hände noch fester. Seine Augen schimmerten vor Rührung. »Das ist ein großes Kompliment, denn Monsieur Poirot ist schlichtweg … nun, parfait, wie er selbst sagen würde, ebenso wie Madame Christie.« Er kicherte still und seufzte dann. »Vermutlich klinge ich töricht, aber Alastair Whittlesby hackt auf jeder Kleinigkeit in meinen Geschichten herum, und manchmal kann ich nicht anders und wünsche mir, ihm würden die Ideen ausgehen oder ihm würde kein Wort mehr einfallen oder … sein Manuskript würde versehentlich ins Feuer fallen und vernichtet werden. Oder … oder ihm würde etwas zustoßen. Auch wenn das von mir nicht sehr christlich ist«, fügte er reuig hinzu.
»Alastair Whittlesby ist ein widerwärtiger Mistkerl, und ich habe keine Skrupel, mir zu wünschen, sein Manuskript möge in Flammen aufgehen – oder Schlimmeres«, sagte Dobble beherzt, denn es war mehr als einmal vorgekommen, dass Digby nach einem Treffen des Listleigher Mordclubs den Tränen nahe gewesen war. Mr Whittlesby war der amtierende Präsident der Gruppe und seiner eigenen Ansicht nach der noch unentdeckte Shakespeare des Detektivromans. »Nach allem, was sein Butler mir erzählt, ist der Mann zu Hause auch nicht höflicher als bei den Clubtreffen. Drewson sagt, es gebe beträchtlichen Streit zwischen ihm und seinem Bruder.«
Alastair war aufdringlich, selbstherrlich und oft unhöflich und gemein. Doch er war der einzige Anwalt im Dorf, und sein Vater hatte den Titel eines Baronets und ein wenig Geld besessen, sodass der Mann sich nun für etwas Besseres hielt, obwohl er von anderen nicht einmal als Gentleman betrachtet wurde.
»Sogar am Mittwoch, als wir alle in seinem Haus zu Tee und Cocktails eingeladen waren, benahm er sich unerträglich. Er ist restlos überzeugt, dass er den Wettbewerb gewinnen wird – sicher hatte er uns deshalb zu sich gebeten: um sich schon vorher damit zu brüsten«, sagte Digby.
»Waren alle da?«, fragte Dobble. Sein Blick glitt nicht zum ersten Mal zu dem Kuchen auf der Anrichte, und er bedauerte, dass sein Freund ihn nicht anschnitt. Ein Stück von dem köstlichen, weiß überzogenen Gebäck, wie immer der Kuchen hieß, würde zu ihrem Tee ausgezeichnet schmecken. Die Backkünste von Digbys Haushälterin waren bemerkenswert, eine Tatsache, die Dobble in Hörweite von Mrs Puffley, die in der Küche von Mallowan Hall regierte, niemals äußern würde.
»Alle Mitglieder des Mordclubs«, antwortete der Pfarrer, der Dobbles Appetit auf ein morgendliches Stück Kuchen scheinbar nicht bemerkte. »Sogar Miss Crowley, die sich weigerte, auch nur ein Gläschen Sherry zu nehmen.« Digby seufzte. »Wenn Whittlesby den Preis tatsächlich gewinnt, trete ich aus dem Club vielleicht aus. Er wird dann gar nicht mehr zu ertragen sein! Manchmal wünschte ich wirklich, ihm würde etwas passieren, was … was ihn aus dem Weg räumt.«
»Aber, aber, Digs, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Du hast ebenso gute Chancen auf den Preis wie alle anderen, außer Vera Rollingbroke.«
Sie kicherten, und Dobble war froh, dass sich sein Freund ein wenig entspannte. Er hoffte sehr, Digby möge gewinnen, doch noch mehr hoffte er, dass Whittlesby leer ausging. Selbst wenn Dr. Bhatt den Preis bekäme, wäre das immer noch besser – obwohl Dobble in dem Fall Mrs Brights subtile, selbstgefällige Befriedigung ertragen müsste.
Er sah zur Uhr und stellte erschrocken fest, wie spät es schon war. Er hätte längst nach Mallowan Hall zurückkehren und dafür sorgen müssen, dass das Frühstück abgeräumt und der Tee und das Dinner vorbereitet wurden. In den vergangenen Tagen, während der Basar organisiert worden war, war es in Mallowan Hall ungewohnt still gewesen, vor allem durch Mrs Brights lange Abwesenheit. Sie war mit ihren schamlos leuchtenden rotblonden Haaren und ihrer selbstgerechten Art nach St. Wendreda gefahren, zusammen mit ihrem Personal, was ihn tatsächlich in eine schwierige Lage brachte, da die Mahlzeiten und der Tee dennoch pünktlich serviert werden mussten. Doch diese Unannehmlichkeit war durch den seligen Umstand ausgeglichen worden, sich im Herrenhaus bewegen zu können, ohne Mrs Bright zu begegnen.
»Jetzt muss ich mich aber auf den Weg machen, Digs«, sagte er und schaute noch einmal bedauernd zu dem Kuchen. »Mrs Bright hat den Haushalt zuletzt in einem ziemlichen Zustand zurückgelassen, und niemand außer mir ist da, um das zu beheben.«
»Also das ist aber nicht sehr anständig von ihr, nicht wahr?« Digby stand ebenfalls auf.
»Überhaupt nicht«, pflichtete Dobble ihm bei, während er sich den Hut aufsetzte. »Doch das verschafft mir die Gelegenheit, die Mädchen meinen Ansprüchen gemäß arbeiten zu lassen. Und ich habe die allgegenwärtigen Spitzendeckchen und Chintzkissen reduziert.« Außerdem hatte er dafür gesorgt, dass die verfluchten Katzen der Haushälterin nicht mal ein Schnurrhaar aus ihrem Wohnzimmer streckten. Ihr frustriertes Maunzen an der Tür brachte ihn jedes Mal zum Lächeln.
»Natürlich weiß ich, dass Mrs Bright für Mallowan Hall unentbehrlich ist«, erwiderte Digby ernst. »Sie ist erstaunlich, nicht wahr? So klug und gut gekleidet und außerdem so ungemein höflich, wenn auch ein wenig einschüchternd. Es muss ein sehr anstrengendes Wochenende für dich sein, da sie kaum da ist.«
Dobble nahm eine steifere Haltung an. »›Erstaunlich‹ ist gewiss kein Wort, das ich für diese Frau verwenden würde, Digby. Sie ist … Nun, sie ist für ihren Posten wenig mehr als ausreichend. Deshalb begreife ich nicht im Geringsten, wie sie ihn bekommen konnte, zumal sie gewiss noch bei niemandem gedient hat, bevor Mrs Agatha sie ins Haus brachte.«
»Oh!« Digby lächelte verschwörerisch. »Mir war nicht bewusst, dass du dieses Detail herausgefunden hast! Was hat sie denn getan, bevor sie zu den Mallowans kam? Ich sterbe fast vor Neugier.«
Dobbles Stimmung wurde noch saurer. »Nun, ich weiß es noch nicht mit Sicherheit, ob Mrs Bright je in Diensten gestanden hat. Im Hinblick auf ihre Vergangenheit ist die Frau außergewöhnlich verschwiegen! Ich weiß praktisch nichts über sie, außer dass sie Mrs Agatha während des Krieges kennenlernte und als Krankenschwester an der Front war. Und was aus ihrem Ehemann wurde, ist mir auch ein Rätsel. Mr Bright könnte gut und gern eines Tages in Mallowan Hall aufkreuzen und uns alle im Schlaf ermorden!«
»Oh.« Der Pfarrer machte hinter seinen runden Brillengläsern große Augen. »Demnach hast du herausgefunden, dass sie verheiratet war?«
»Nun, nicht genau«, räumte Dobble gezwungenermaßen ein. Warum musste Digby ein derartiges Interesse daran aufbringen? Konnte er ihn, Dobble, nicht murren lassen, ohne Fragen zu stellen? »Und ehrlich gesagt wüsste ich nicht, welcher Mann eine wie sie überhaupt heiraten würde. Also hat sie vielleicht nie geheiratet. Man weiß absolut nichts über ihre Vergangenheit. Das Problem mit Mrs Bright ist, dass sie sich zur Haushälterin gar nicht eignet.«
»Genau. Solange sie fort ist, wirst du wenigstens die Dinge so erledigen lassen können, wie es sich gehört«, erwiderte Digby begütigend.
»Ich danke der Vorsehung dafür«, sagte Dobble. »Obwohl sie die besseren Mädchen alle nach St. Wendreda mitgenommen und mir die schlechteren dagelassen hat, zusammen mit ein paar Aushilfen – und du weißt, es ist nicht die Aufgabe des Butlers, Dienstmädchen anzuleiten!« Er runzelte die Stirn. Hatte er daran gedacht, die Aushilfsmädchen über den Kaminschieber im Salon aufzuklären?
»Das kann vielleicht einer der Diener übernehmen«, meinte Digby und klopfte ihm an den Arm.
Dobble schüttelte seufzend den Kopf. »Deshalb bist du Pfarrer und hast keine Dienstboten außer einer alten Haushälterin, die für dich kocht, Digby. Man überträgt Dienern nicht die Verantwortung für Dienstmädchen, wenn man nicht neun Monate später Säuglingsgeschrei haben will.«
Nachdem er sich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass niemand am Pfarrhaus vorbeiging, beugte er sich zu Digby und gab ihm einen flüchtigen Kuss. »Als Glücksbringer für heute«, sagte er und schlüpfte zur Tür hinaus.
Freitagabend
Das Wetter spielte mit, und die Cocktailparty des Mordbasars begann wie von Phyllida – und dem Detection Club – geplant. Die Mädchen hatten im Garten des Pfarrhauses von St. Wendreda schwarz-weiße Lampions aufgehängt, die für die gedruckten Seiten der Detektivromane standen. Außerdem hatten sie runde Tische für Getränke und Aschenbecher aufgestellt, sie mit weißen Tischtüchern gedeckt und (um beim Motiv zu bleiben) mit kunstvollen Rosen aus Zeitungspapier geschmückt. Die Blumenvasen standen auf dunkelrotem Filzstoff, der unregelmäßig wellig zurechtgeschnitten war, damit es wie eine Blutlache aussah. Daneben brannte eine eckige schwarze Kerze – selbstverständlich in sicherem Abstand zu den Papierrosen.
In dem ummauerten Garten blühten viele weiße Rosenbüsche, die ihre Blütenblätter verstreuten und die Luft mit ihrem süßlichen Duft schwängerten. In den Randbeeten wuchsen jede Menge Buchsbäume, und die Wege waren ungepflastert und gesäumt von Polsterphlox. Es war ein Juliabend und daher um sieben Uhr noch hell, sodass Phyllida es für unnötig erachtet hatte, größere Laternen oder Lichterketten aufzuhängen – auch wenn sie selbstverständlich welche mitgebracht hatte.
Normalerweise standen nur zwei Bänke in dem Kirchengarten, beide bei der Statue des heiligen Franz von Assisi. Für diesen Anlass hatte Phyllida jedoch drei schmiedeeiserne Bänke von Mallowan Hall herüberbringen und kleine niedrige Tische davorstellen lassen.
»Du hast das wirklich spielend gemeistert, Phyllie, wie du alles organisiert und gestaltet hast. Aber die Zusammenkunft im Freien ist besonders gelungen. Es wirkt unschuldig und hübsch«, raunte Agatha ihr zu und berührte eine der duftenden Rosenblüten. Sie standen am Haupttor zum Garten, damit Agatha, die wohl Berühmteste und Beliebteste unter den Kriminalschriftstellern, sich eine kurze Verschnaufpause von der Geselligkeit gönnen konnte. »Niemand würde vermuten, dass sich hier jeder mit Mordgedanken trägt.«
Phyllida lachte. »Genau! Ein ahnungsloser Lauscher würde wohl Scotland Yard herbeirufen.« Sie nippte an ihrem Champagner, denn Mr Max hatte darauf bestanden, dass sie nach ihrem großen Einsatz für den Wohltätigkeitsbasar den Abend ebenfalls genoss. Sie betrachtete die Früchte ihrer Anstrengung, in Gedanken bei dem Zwiegespräch, das sie am Morgen zufällig mit angehört hatte.
Welcher der Autoren arbeitet wohl gerade an einem Giftmord?, fragte sie sich und musterte die kleine Schar.
Da wäre etwa Mathilda Crowley, eine Frau von fünfundvierzig Jahren mit olivfarbener Haut, ein aktives Mitglied des Listleigher Mordclubs. Sie hatte grau melierte dunkelbraune Haare, die von grauen Fäden durchzogen und zu einer Nackenrolle frisiert waren. Phyllida wusste, dass sie Geschichten über einen verwegenen jungen Mann namens Filberto Fiero schrieb, der die meiste Zeit an der französischen Riviera verbrachte. Dr. Bhatt hatte ihr erzählt, die Geschichten seien recht unrealistisch, hätten jedoch ein paar unterhaltsame Passagen … und schilderten einige sehr grausame Morde.
Miss Crowley trug ein strenges dunkelbraunes Wollkostüm, das eher für die Arbeit in einem Sekretariat passend gewesen wäre als für eine Cocktailparty. Die übrigen Frauen, einschließlich Phyllida, hatten sich für Kleider aus hellen fließenden Stoffen in kräftigen Farben oder mit fröhlichen Mustern entschieden, in der Taille mit einem Gürtel betont, dazu hatten sie Schuhe mit hohen Absätzen gewählt. Ihre Hüte waren bunt und mit Federn und Spitze verziert, während Miss Crowley eine gedrungene braune Kappe auf dem Kopf hatte, die – ein kleines Zugeständnis – vorne mit einer schwarzen Schleife versehen war.
Miss Crowley, die allein in einem Cottage am Ende der Firth Street lebte, hielt statt eines Sektglases eine Teetasse in den behandschuhten Händen und schaute über das Geschehen, als versuchte sie, sich zu entscheiden, ob sie sich ins Gefecht stürzen oder lieber für sich bleiben wollte. Sie hatte sich neben dem Tisch mit den Makronen und Marmeladenplätzchen postiert. Nach den Krümeln in ihren Mundwinkeln zu urteilen, schätzte Phyllida, dass sie den Zitronen-, Erdbeer- und Schokoladenleckereien den Vorzug vor den Partygästen geben würde.
Digby Billdop, der anglikanische Pfarrer von St. Thurston, trug seinen gewohnten eulenhaften Gesichtsausdruck zur Schau. Sein molliges Kinn war gefurcht und erinnerte Phyllida an eine reife Aprikose. Er stand in der Nähe von Mr Chesterton, sodass er wohl hören konnte, was dieser sagte, brachte aber anscheinend nicht den Mut auf, sich zu der Gruppe zu gesellen und sich am Gespräch zu beteiligen. Er hielt ein Glas Champagner in der Hand und nickte still, den Blick ehrfurchtsvoll auf den Erfinder des berühmten Father Brown geheftet.
Mr Chesterton belehrte ein Publikum bestehend aus zwei weiteren Gästen, die Phyllida als Mitglieder des Listleigher Mordclubs erkannte.
Vera Rollingbroke, eine attraktive blonde Frau von Anfang dreißig, war eine enthusiastische, produktive Autorin von noch unveröffentlichten Detektivgeschichten, die von einer unverheirateten, reichen Dame mit dem Spitznamen Bunkle und ihrer Katze Mrs Cuddlesworthy handelten. (Laut John Bhatt hatte es seinen guten Grund, warum sie noch keinen Verleger gefunden hatte. Denn wer glaubte einer sprechenden Katze?) Ihr Hut war ein raffinierter gelber Filzteller mit einer dunkelblauen Feder an der flachen Krone, der schräg über der linken Braue saß, und Phyllida fand ihn ungemein begehrenswert.
Ihr Mann war der gesellige Sir Paulson Rollingbroke, Sir Rolly, wie er unter Freunden genannt wurde, dessen Familiensitz nordöstlich von Listleigh lag. Anstelle von Handschuhen, Sektglas oder Makronen hielt Vera ein Notizbuch in der Hand und schrieb eifrig hinein. Anscheinend war sie ohne ihren Mann gekommen.
Wer dicht bei ihr stand und den Pfarrer damit wirksam abhielt, sich allmählich dazuzugesellen, war Louis Genevan. Er hielt eine Zigarette zwischen zwei Fingern und in der anderen Hand zwei Sektgläser. Vermutlich gehörte eins davon Mrs Rollingbroke, die es abgegeben hatte, um sich Notizen zu machen.
Mr Genevan war ein Londoner Antiquitätenhändler, der seine Zeit zwischen Listleigh und seinem kleinen Geschäft in Belgravia aufteilte, ein eleganter, sorgfältig frisierter Mann mit brauner Haut und spitzem Haaransatz über schmalen dunklen Brauen. Die schwarzen Haare kämmte er sich aus der hohen Stirn nach hinten, wo sie in einem attraktiven, flügelartigen Schwung zu den Seiten zurückgeführt wurden.
Wegen seines Geschäfts trug er Accessoires aus vergangenen Epochen und sah dennoch immer so aus, als wäre er die modische Avantgarde. Für diesen Abend hatte er eine purpurrote Brokatweste mit verzierter Uhrentasche gewählt, dazu einen hohen steifen Kragen, der sich in seinen Unterkiefer drückte. Angesichts seines Krawattenknotens wäre Beau Brummel in Verzückung geraten. Mr Genevans Jacke und Hose jedoch waren modern geschnitten. Erstaunlicherweise war diese Kombination von Altem und Neuem für das Auge nicht abstoßend.
Phyllida wusste nicht, wer die fünf Leute waren, die sich um Anthony Berkeley geschart hatten, vermutlich Amateurschriftsteller, die eine Kurzgeschichte eingereicht hatten, aber weder in Listleigh wohnten noch dem örtlichen Mordclub angehörten. Mr Berkeley war ein gut aussehender, charmanter Mann, selbstsicher und bestens gekleidet. Er freute sich daran, seine kleine ergebene Zuhörerschaft zu unterhalten.
In der Ecke stand Dr. Bhatt und plauderte mit Miss Sayers und Father Tooley. Oder genauer gesagt hörte Dr. Bhatt Miss Sayers zu – er hing sichtlich an ihren Lippen –, während Father Tooley, der Priester von St. Wendreda und ehrenwerte Gastgeber der Gartenparty, schweigend nickte und seinen Tee trank.
John Bhatt hatte nicht nur dichte tintenschwarze Haare, sondern auch einen prächtigen, schön gepflegten schwarzen Schnurrbart, der sogleich Phyllidas Aufmerksamkeit erregt hatte, als sie ihn vor mehreren Wochen zum ersten Mal gesehen hatte. Der Doktor war nach Mallowan Hall gerufen worden, nachdem sie eine Leiche in der Bibliothek entdeckt hatte. Er las begeistert Mrs Agathas Werke, und Phyllida fragte sich, ob er seinen Schnurrbart nach Monsieur Poirots gestaltet hatte.
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, raunte Agatha: »Ich muss sagen, wenn Dr. Bhatt einen eiförmigen Kopf und blasse Haut hätte, könnte er Poirot sein! Weißt du, dass ich Hercule tatsächlich zweimal in meinem Leben gesehen habe, Phyllie?«
Phyllida wusste das, denn sie war mit Agatha zusammen auf einem Dampfer gewesen, als ihre Freundin ihr plötzlich an den Arm gefasst und auf einen Mann gezeigt hatte, der genauso aussah, wie man sich den brillanten Detektiv vorstellte.
»Wie findest du die Geschichte des Doktors?«, fragte Phyllida ungeniert und hoffte auf einen Hinweis, wer den Preis gewinnen könnte.
»Sie ist recht gut«, antwortete Agatha. »Es gab mehrere, die erstaunlich unterhaltsam und raffiniert waren, einige andere dagegen bringen es nicht. Doch es ist Father Tooleys Aufgabe, die Punkte zusammenzuzählen. Der Preis ist wirklich gut, weißt du, Phyllie? Eine Veröffentlichung in England und in Übersee. Dafür hätte ich gemordet, als ich damals zu schreiben anfing.«
Phyllida lächelte. »Das bezweifle ich keinen Augenblick. Ich dachte schon immer, dass Schriftsteller blutrünstig sind.«
Sie lachten, dann seufzte Agatha. »Ach, Mist. Da kommt mein geliebter und leicht untreuer Max, um Alastair Whittlesby bei mir abzuladen, nachdem ich ihm so lange erfolgreich aus dem Weg gegangen bin. Aber ich nehme an, dem armen Max bleibt nichts anderes übrig, nicht wahr? Whittlesby ist wie eine Klette.«
Mr Max war gut zehn Jahre jünger als seine berühmte Frau und leidenschaftlicher Archäologe. Sie hatten sich kennengelernt, als Agatha nach Mesopotamien gereist und bei gemeinsamen Freunden zu Gast gewesen war. Mr Max lächelte seine Frau entschuldigend an, als er auf sie zukam.
Alastair Whittlesby hatte eine lange, schmale Nase, dichtes graues Haar und schmale Lippen, die stets Abneigung oder Missfallen auszudrücken schienen. Er war bekleidet mit einem feinen maßgeschneiderten Anzug, der dennoch um die Leibesmitte seltsam schlecht saß und schief hing. Beim Näherkommen wedelte er ungeduldig den Rauch seiner Zigarette weg und zeigte seine aufgeblasene Art.
Seine Frau Lettice, eine hübsche, wenn auch verblüht wirkende Frau, die mit ihren vierzig zehn Jahre jünger war als er, hing mit einer Hand an seinem Arm – was vielleicht den schiefen Sitz seines Anzugs erklärte – und hielt in der anderen eine Sektschale. An ihrem Unterarm baumelte eine Handtasche, und ihr Hut war ein wenig verrutscht. Ihr hellrosa Lippenstift war im Mundwinkel verschmiert, sodass Phyllida den Drang verspürte, ihr Taschentuch zu zücken und den Fleck wegzuwischen.
Von Dr. Bhatt hatte sie viel über Alastair Whittlesby gehört, und das meiste sprach nicht für ihn. Mr Whittlesby war jedoch der einzige Anwalt in Listleigh, sodass man sich nur an ihn wenden konnte, wenn man Anleihen verkaufen, sein Testament aufsetzen oder einen Vertrag prüfen lassen und nicht eigens dafür nach London oder in einen benachbarten Ort fahren wollte. Phyllida hatte nur ein Mal seine Dienste in Anspruch genommen, und schon da war sie über sein aufgeblasenes Benehmen bestürzt gewesen, ebenso über den leisen Eindruck, dass er kenntnisreiche, kluge Frauen nicht schätzte.
Laut Dr. Bhatt war er aber – leider Gottes – auch der Präsident des Listleigher Mordclubs und ein begabter Autor. Die Hauptfigur seiner Geschichten war ein Scotland-Yard-Ermittler namens Theodore Belfast – der allerdings nicht ganz so brillant war, wie die Leute glaubten. Brillant war in Wirklichkeit seine klatschsüchtige Schwester Millie, die bei ihm lebte und ihm half, die Verbrechen aufzuklären.
»Aha, Mrs Mallowan«, sagte Mr Whittlesby, während er – Phyllida konnte es nicht anders bezeichnen – auf sie zuschoss wie ein Habicht auf seine Beute. Seine Frau, die seinen Arm nicht loslassen wollte, trabte halb hinter, halb neben ihm her. »Ich habe schon den ganzen Abend nach Ihnen Ausschau gehalten.«
»Wie schön, Sie wiederzusehen, Mr Whittlesby.« Agatha bot ihm die Hand, und Phyllida war beeindruckt, wie herzlich ihre Freundin klang. Wenn sie auch scheu war, zeigte sie sich notfalls jeder Situation gewachsen.
»Genau. Es ist doch eine Tragödie, dass wir so nah beieinander leben und doch erst ein Mal zusammengekommen sind. Die Rollingbrokes haben uns schon mehrmals bewirtet, wissen Sie?« Während er Agatha noch freundlich anlächelte, schüttelte er die Hand seiner Frau ab. »Lass mich los, Lettice. Du hängst ja an mir wie eine verdammte Klette.« Dabei würdigte er sie keines Blickes. »Ich muss sagen, Mrs Mallowan, dass ich an Roger Ackroyd große Freude hatte, aber die Geschichte war nicht ganz fair, nicht wahr? Ich halte es nicht für anständig, wenn Schriftsteller in ihren Geschichten schummeln.« Er gab ein kurzes Glucksen von sich, bevor er an seiner Zigarette zog.
»Die Hinweise waren alle da«, erwiderte Agatha lächelnd. Seit der Veröffentlichung des Romans hatte sie dieses Argument schon häufig ins Feld geführt.
Lettice Whittlesby, die noch neben ihrem Mann ausharrte, hob ihr Glas und trank ihren Champagner aus, um sich sogleich umzusehen, ob ihr jemand nachschenken konnte.
Phyllida hatte Verständnis für ihren Wunsch nach mehr, denn wenn ein Mann sie in der Weise gemaßregelt hätte wie Alastair seine Frau, dann wäre der Inhalt ihres Glases in seinem Gesicht gelandet und würde jetzt von seiner langen, arroganten Nase tropfen.
In dem Moment fiel ihr auf, dass in einem der japanischen Lampions das Licht erloschen war, und sie sah auch keinen Diener mit frisch gefüllten Gläsern, der Mrs Whittlesbys leeres ersetzen könnte. Daher entschuldigte sie sich, um sich um beides zu kümmern. Sie hielt es für das Beste, sich diskret zu entfernen, denn es war noch Champagner in ihrem Glas, der womöglich zum Einsatz käme, wenn Mr Whittlesby seine Meinung dazu kundtat, dass eine Haushälterin an einer Cocktailparty teilnahm. Phyllida hielt auf die unauffällige Seitentür zu, die in die Pfarrhausküche führte, wo die Hausmädchen und Diener auf Anweisungen warteten.
»Mrs Bright, was tun Sie damit?«
Phyllida gelang es gerade noch, ein überraschtes Keuchen zu unterdrücken, als Dobble wie aus dem Nichts erschien. Sie war kaum über die Schwelle getreten, da stand er vor ihr wie der Geist einer Schildwache und blickte auf ihr Glas, als wäre Gift darin.
Dobble war nicht allzu schlank, aber groß und hatte lange Arme, einen langen Oberkörper und relativ kurze Beine, außerdem sehr blasse Haut, einen kahlen Kopf mit einem kantigen Kinn und einer Delle über dem linken Ohr, das ihm beim Personal den Spitznamen »Ol’ Dent« eingebracht hatte. In seiner dunklen Kleidung – die er immer trug – machte er durchaus einen geisterhaften Eindruck. Er hielt eine Spirituosenflasche in der Hand – wahrscheinlich nicht, um sich selbst, sondern um den Gästen an der Bar draußen etwas einzuschenken.
»Nun, guten Abend, Mr Dobble«, entgegnete sie und wich sowohl der Frage als auch seiner Person aus, indem sie an ihm vorbei in die Küche schlüpfte. Wann war er angekommen? »Wie freundlich von Ihnen, den Dienern hier beim Servieren zu helfen.«
Der Mordbasar war für Listleigh ein großes Ereignis, und abgesehen von der Bekanntgabe des Siegers hatten die Teilnehmer der Cocktailparty mit gespannter Freude entgegengesehen. Weder Phyllida noch Dobble wollten, dass etwas zu wünschen übrig blieb, nicht nur um des örtlichen Clubs willen, sondern auch Mrs Agatha zuliebe.
»Mrs Bright, warum trinken Sie während des Dienstes, und was tragen Sie da?«, verlangte er zu wissen.
»Nun, Mr Dobble, das ist ein Nachmittagskleid aus kornblumenblauem Krepp mit Taillenpasse, gekräuseltem Mieder und plissierten Cape-Ärmeln«, erklärte sie strahlend. »Mir gefällt ganz besonders die Flechtborte an der Taille und den Schultern«, fügte sie hinzu und strich mit den Fingerspitzen darüber. »Sehr freundlich von Ihnen, mich darauf anzusprechen.«
Sie meinte, ihn mit den Zähnen knirschen zu hören, trotz des Stimmenlärms von draußen und des Geklappers in der Küche.
»Dieser Aufzug gehört sich nicht für eine Haushälterin«, sagte er steif. »Er ist viel zu … zu …«
»Ich trage keinen Chintz, Mr Dobble, und auch kein bisschen Spitze und kann von daher Ihre Missbilligung nicht nachvollziehen. Sie haben zwar ein Auge für Details, das ich zu schätzen weiß, aber die Wahl meiner Kleidung diskutiere ich nicht mit einem Butler, wie geachtet er auch sein mag.« Sie lächelte unverändert freundlich, doch ihr Ton war sehr bestimmt. Phyllida blickte an ihm vorbei. »Molly, in einem der Lampions muss eine neue Kerze angezündet werden. Und kontrollieren Sie auch gleich die übrigen.«
»Ja, Mrs Bright.« Das Hausmädchen begab sich eilig nach draußen, obgleich ein Ausdruck der Enttäuschung über ihr Gesicht huschte, der Phyllida nicht entging. Besagte Enttäuschung konnte nur daher rühren, dass sie sich mit Elton unterhalten hatte, Mr Max’ neuem Kammerdiener. Oder sie hätte lieber den Schlagabtausch zwischen ihrer Chefin und dem Butler weiter verfolgt.