10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 10,99 €
Er entführt immer drei. Jede ein Jahr jünger als die andere. Der Countdown hat begonnen – die Thriller-Entdeckung des Jahres True-Crime-Podcasterin Elle Castillo will Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für die Opfer nie aufgeklärter Verbrechen. Jetzt wagt sie sich an einen spektakulären Fall: den des »Countdown-Killers«. Er entführte immer drei. Drei junge Frauen im Abstand von drei Tagen. Jede ein Jahr jünger als die andere, jede innerhalb von sieben Tagen tot. Bis sein zehntes Opfer entkam. Die Serie brach ab, der Killer konnte nie gefasst werden. Als Elle anfängt, die Morde in ihrem Podcast neu zu beleuchten, verschwindet wieder eine junge Frau. Ein Trittbrettfahrer, dem es um Aufmerksamkeit geht? Oder der Killer von damals, der jetzt zurück ist, um sein grausames Werk zu Ende zu bringen? »Kann man nicht mehr aus der Hand legen.« Wendy Walker »Treibt den Puls beim Lesen in die Höhe.« Candice Fox »Zum Nägelkauen spannend – Thrill in Reinform.« Amy Gentry
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 553
Veröffentlichungsjahr: 2021
Amy Suiter Clarke
Thriller
Er entführt immer drei. Im Abstand von drei Tagen. Jede ein Jahr jünger als die andere. Der Countdown hat begonnen ...
True-Crime-Podcasterin Elle Castillo will Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für die Opfer nie aufgeklärter Verbrechen. Jetzt wagt sie sich an einen spektakulären Fall: den des »Countdown-Killers«. Er entführte immer drei. Drei junge Frauen im Abstand von drei Tagen. Jede ein Jahr jünger als die andere, jede innerhalb von sieben Tagen tot. Bis sein elftes Opfer entkam. Die Serie brach ab, der Killer konnte nie gefasst werden.
Als Elle anfängt, die Morde neu zu beleuchten, verschwindet wieder eine junge Frau. Ein Trittbrettfahrer, dem es um Aufmerksamkeit geht? Oder der Killer von damals, der jetzt zurück ist, um sein grausames Werk zu Ende zu bringen?
Ein raffiniert konstruierter Pageturner mit besonderem Dreh – Mörderjagd per Podcast
»Kann man nicht mehr aus der Hand legen.« Wendy Walker
»Treibt den Puls beim Lesen in die Höhe.« Candice Fox
»Zum Nägelkauen spannend – Thrill in Reinform.« Amy Gentry
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Amy Suiter Clarke verschlingt True-Crime-Podcasts und liebt es, immer wieder neue zu entdecken. Was lag da näher, als eine Podcasterin zur Hauptfigur ihres Thrillers zu machen, die eine spektakuläre Mordserie aufklären will. Wenn Amy Suiter Clarke nicht gerade wahren Verbrechen auf der Spur ist, reist sie gerne. Sie wuchs in einer Kleinstadt in Minnesota auf, studierte später in Minneapolis und London und lebt heute in Melbourne. »Der Countdown-Killer – Nur du kannst ihn finden« ist ihr erster Roman.
Birgit Schmitz hat Theater und Literatur studiert und arbeitete einige Jahre als Dramaturgin. Heute lebt sie als Literaturübersetzerin, Texterin und Lektorin in Frankfurt am Main.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Für Mom,
die Tausende Worte von mir gelesen hat,
bevor ein Satz veröffentlicht wurde.
Und für Dad,
der mich ermuntert hat, die Wahrheit zu sagen,
auch im Roman.
Unsere eigentliche, nie endende Aufgabe ist es, aufmerksam zu sein.
MARY OLIVER
Er verliert seine Macht, wenn wir sein Gesicht kennen.
MICHELLE MCNAMARA
5. Dezember 2019
ELLE VOICE-OVER: Minnesota ist bekannt für seine Kälte. Eisige Winter und stoische nordische Gemüter. Ich fahre an diesem strahlenden Novembermorgen in südwestlicher Richtung durch das Land der zehntausend Seen, Schnee wird über den Highway geweht, und die Flocken wirbeln herum wie Gespenster. Eben noch schlängelte ich mich durch die flachen Weiten von Prärie und Ackerland, und im nächsten Moment bin ich schon in der Stadt mit all ihrem Beton, den Lichtern und den gepflegten kleinen Grünflächen. Wie in vielen amerikanischen Staaten des Mittleren Westens verläuft auch hier eine Trennlinie entlang der unsichtbaren, aber undurchdringlichen Grenze zwischen ländlichen und städtischen Gebieten. Man braucht nur wenige Meilen zurückzulegen, und schon ändern sich Bevölkerungsstruktur, Ideologie, Kultur und Gebräuche.
Aber hin und wieder passiert etwas, was den gesamten Bundesstaat erschüttert: Jeder spürt die Auswirkungen, und die Menschen sind geeint in Trauer und einem gemeinsamen Ziel.
Vor knapp vierundzwanzig Jahren verschwand in Dinkytown, dem lebendigen Studentenviertel von Minneapolis, eine junge Frau namens Beverly Anderson.
[TITELMUSIK]
ELLE INTRO: Die Fälle wurden nie aufgeklärt. Die Täter wähnen sich in Sicherheit. Aber mit eurer Hilfe sorge ich dafür, dass den Opfern endlich die Gerechtigkeit widerfährt, die ihnen lange verwehrt blieb. Ich bin Elle Castillo, und ihr hört Justice Delayed.
[GERÄUSCH-EINSPIELER: Knirschende Schritte im Schnee; in der Ferne spielt leise I’ll Make Love to You von Boyz II Men; das Lachen junger Erwachsener.]
ELLE VOICE-OVER: Im Februar 1996 verließ die zwanzigjährige Beverly spätabends zusammen mit ihrem Freund und einigen Kommilitonen von der University of Minnesota eine Party. Auf dem Weg nach draußen versuchte Beverlys Freund, sie zu überreden, noch mit den anderen auf Burger und Milchshakes in Annie’s Parlour zu gehen. Aber Beverly wollte unbedingt nach Hause, denn sie musste am nächsten Tag früh raus. Sie wollte drei Monate später ihr Psychologie-Studium abschließen und hatte bereits ein Praktikum in einer örtlichen Klinik angefangen. Zwischen ihr und ihrem Freund kam es zum Streit über das Thema – nichts Ernstes, nur ein kurzer Krach, wie er bei jungen Paaren manchmal vorkommt. Irgendwann gab er es auf und ging mit den Freunden allein ins Restaurant. Beverlys Apartment lag nur fünf Häuserblocks entfernt – ein kurzer Spaziergang, den sie schon hundert Mal allein zurückgelegt hatte. Sie zog den Reißverschluss ihres schwarzen Wollmantels zu, kuschelte sich in ihren Schal und winkte ihren Freunden zum Abschied.
Es war das letzte Mal, dass sie sie lebend sahen.
Als Beverly am nächsten Tag nicht zu ihrem Praktikum erschien, rief ihr Betreuer bei ihr zu Hause an. Ihre Mitbewohnerin, Samantha Williams, ging ans Telefon.
SAMANTHA: Ich weiß auch nicht wieso, aber als der Anruf kam, hatte ich sofort das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte. Ich hab dann oben in ihrem Zimmer nachgesehen, nur zur Sicherheit, und tatsächlich: Ihr Bett war unbenutzt, und auch ihre Sachen waren nicht da. Also ihre Handtasche, ihr Schlüssel und so. Sie war offensichtlich nicht nach Hause gekommen.
ELLE VOICE-OVER: Ich sitze mit Samantha Williams, heute Carlsson, in ihrer Küche. Sie wohnt ungefähr eine Stunde außerhalb von Minneapolis, zusammen mit ihrem Mann und zwei Beagles, die schon angeschlagen haben, bevor ich überhaupt an der Haustür war.
SAMANTHA: [Über das Bellen zweier Hunde hinweg.] Aus! Ab ins Körbchen! Körbchen, hab ich gesagt! So ist es brav. Sehen Sie, die beiden sind gut erzogen – wenn sie wollen.
ELLE: Was passierte, nachdem Sie gesehen hatten, dass Beverly nicht nach Hause gekommen war?
SAMANTHA: Ich hab’s ihrem Betreuer gesagt, und der meinte, dass ich bei der Polizei anrufen soll, und das hab ich dann auch gemacht. Die wollten zuerst gar nichts unternehmen – Beverly war wohl noch nicht lang genug weg oder so. Aber als ihr Freund und ich denen erzählt haben, dass sie vor Zeugen alleine nach Hause aufgebrochen war und dass sie eine zuverlässige Studentin war, die gerade ein Praktikum machte, waren sie schon ein bisschen besorgter. Ich weiß, dass sie [Piepton] verhört haben, aber seine Freunde haben ihm ein wasserdichtes Alibi gegeben. Außer den zwei, drei Minuten, in denen er und Beverly sich darüber gestritten hatten, ob sie noch mit ins Restaurant kommt oder nicht, war er die ganze Nacht mit ihnen zusammen. Die Polizei kam am selben Tag auch zu mir und hat mit mir geredet; am Nachmittag, glaub ich. Das müsste aber in der Akte stehen, wenn Sie die haben.
ELLE VOICE-OVER: Die liegt mir vor. Laut Detective Harold Sykes wurde Samantha am 5. Februar 1996 vernommen, um 15 Uhr 42 – ungefähr siebzehn Stunden, nachdem Beverly zuletzt gesehen worden war.
ELLE: Und was passierte Ihrer Erinnerung nach dann als Nächstes?
SAMANTHA: Na ja, eigentlich nichts. Ihre engsten Freunde waren an dem Abend alle mit ihr auf der Party gewesen und hatten, nachdem Beverly gegangen war, noch mindestens zwei Stunden in Annie’s Parlour zusammengesessen. Ihre Familie wohnte mehrere Stunden entfernt, in Pelican Rapids. Sie gingen davon aus, dass ihr Freund auf keinen Fall dahinterstecken konnte, weil er nur wenige Minuten außer Sichtweite seiner Freunde gewesen war. Beverly war einfach … verschwunden. Alle dachten, sie hätte sich vielleicht verlaufen oder die Orientierung verloren oder vielleicht doch tiefer ins Glas geguckt, als ihre Freunde dachten, und wäre in den Mississippi gefallen und ertrunken. Das hat es alles schon gegeben. Aber das Ufer und die Schneeverwehungen wurden tagelang abgesucht, ohne dass sich eine Spur von ihr fand. Das änderte sich erst eine Woche später.
ELLE VOICE-OVER: Sieben Tage nach Beverlys Verschwinden fiel dem Betreiber von Annie’s Parlour, als er nachts schließen wollte, auf, dass draußen jemand an der Mauer kauerte. Er dachte, es wäre ein Obdachloser, und beugte sich über ihn, weil er ihm anbieten wollte, ihn zu einer Unterkunft zu bringen. Als er nicht reagierte, zog der Restaurantbetreiber ihm den Schal vom Kopf und blickte in das leblose Gesicht von Beverly Anderson.
SAMANTHA: [Unter Tränen.] Danach kreisten unsere Gedanken nur noch um Beverly. Alle waren schockiert. Dieses nette, unschuldige, kluge Mädchen sollte ermordet worden sein? Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich bekam solche Angst, dass ich unser Apartment danach wochenlang kaum noch verlassen hab. Und zu Recht, wie sich dann ja rausstellte.
ELLE: Wissen Sie noch, wann Sie von den anderen Opfern erfahren haben?
SAMANTHA: In den Nachrichten haben sie erst nichts darüber gebracht. Bis sie dann rausfanden, dass das zweite Mädchen, Jillian Thompson, auf dieselbe Art gestorben war wie Beverly. Sie war auch genauso lange verschwunden gewesen, nämlich sieben Tage. Und sie haben, glaube ich, irgendwas an Jillians Leiche gefunden, wodurch sie eine Verbindung zu Beverly herstellen konnten, eine DNA-Spur oder so.
ELLE VOICE-OVER: Es waren Hautschuppen an ihrer Jacke. Die Polizei vermutete, dass Jillian sie Beverly geliehen haben musste, weil ihr, wo auch immer sie zusammen festgehalten wurden, kalt geworden war. Jillian Thompson war drei Tage nach Beverly von einem Parkplatz an der Bethel University verschwunden. Ihre Eltern dachten zuerst, sie wäre mit einem Freund durchgebrannt, den sie ablehnten. Er war der Hauptverdächtige, bis die Fälle schließlich miteinander in Verbindung gebracht wurden.
[GERÄUSCH-EINSPIELER: Das Quietschen eines Stuhls; ein Mann räuspert sich.]
ELLE: Darf ich dich bitten, dich den neuen Hörerinnen und Hörern kurz vorzustellen?
MARTÍN: Ähm, ja, ich bin Dr. Martín Castillo und arbeite als Rechtsmediziner in Hennepin County.
ELLE: Und?
MARTÍN: Und, um mit offenen Karten zu spielen: Ich bin Elles Ehemann.
ELLE: Wer hier regelmäßig zuhört, erinnert sich vermutlich aus den Staffeln eins und drei an Martín, weil er uns damals fachkundige Informationen über die Autopsien von Grace Cunningham und Jair Brown geliefert hat. Durch seine Entdeckung eines seltsam geformten Leichenflecks an Jairs Rücken konnten wir eine Verbindung zu einem Sofa im Haus von Jairs Onkel herstellen. Und das trug maßgeblich dazu bei, dass die Abteilung für Straftaten gegen Kinder der Polizei von Minneapolis diesen Fall aufklären konnte. Ich habe Martín heute erneut ins Studio eingeladen, weil ich mit ihm darüber sprechen möchte, welche weiteren Parallelen es zwischen den Morden an Beverly und Jillian gab, und zwar noch bevor der DNA-Test von Jillians Leiche überhaupt vorlag.
MARTÍN: Die einfachste Antwort ist, dass beide Frauen auf dieselbe Weise getötet wurden. Auf dieselbe ungewöhnliche Weise.
ELLE: Das musst du erläutern.
MARTÍN: Beverly Andersons rechte Schädelseite wies Spuren von Gewalteinwirkung auf, und ihre Autopsie ergab, dass sie einige Tage vor ihrem Tod geschlagen worden war – wahrscheinlich am Tag ihrer Entführung. Sie starb jedoch an Dehydrierung und Multiorganversagen, nachdem sie unter schweren Magen-Darm-Beschwerden gelitten hatte. Diese Symptome können bei sehr vielen Vergiftungen auftreten, und der Pathologe hätte die Ursache vielleicht nie näher eingrenzen können, wenn ihr Mageninhalt nicht gewesen wäre. Es hat ein paar Wochen gedauert, aber irgendwann ergaben die Tests, dass sie Rizinussamen gegessen hatte – wahrscheinlich mehrere. Rizin wirkt erst nach einer tagelangen Latenzzeit, und häufig überleben Menschen die Aufnahme dieses Giftes auch, aber ihr Mörder hatte es ihr offenbar mehrfach verabreicht. Außerdem hatte sie kurz vor ihrem Tod Peitschenhiebe auf den Rücken bekommen; einundzwanzig an der Zahl.
ELLE: Woran war zu erkennen, dass die Striemen erst kurz vor ihrem Tod entstanden waren?
MARTÍN: Die Art der Krustenbildung ließ darauf schließen, dass die Blutzirkulation in ihrem Körper kurz nach der Zufügung dieser Wunden zum Erliegen gekommen war. Ihr Herzschlag war zum Zeitpunkt des Auspeitschens offenbar bereits verlangsamt – sprich, sie lag bereits im Sterben. Daraus folgerte der Rechtsmediziner, dass die Schläge Teil eines Rituals waren und nicht mit dem Ziel ausgeführt wurden, ihren Tod zu beschleunigen. Das bestätigte sich, als Jillians Leiche gefunden wurde, die auf genau dieselbe Weise getötet worden war. Organversagen infolge einer Vergiftung mit Rizinussamen und exakt einundzwanzig Peitschenhiebe auf den Rücken, ausgeführt mit einer Gerte.
ELLE: Was genau meinst du mit »Gerte«?
MARTÍN: Mit einem Stock oder Zweig – dünn, aber stabil. Es fanden sich Hinweise darauf, dass beide Leichen irgendwo auf dem Land oder im Wald gelegen hatten: Laub auf ihrer Kleidung und Erde unter ihren Fingernägeln. Deshalb vermutete man, dass der Täter da, wo er die Frauen hingebracht hatte, einen Zweig fand, mit dem er das Ritual ausführte.
ELLE VOICE-OVER: Jillians Leiche wurde ebenfalls sieben Tage nach ihrer Entführung gefunden, aber nicht am selben Ort, an dem sie auch verschwunden war, wie in Beverlys Fall. Das wäre auch zu einfach gewesen. Stattdessen wurde sie auf dem Rasen des Northwestern College abgelegt – der heutigen University of Northwestern–St. Paul –, die mit ihrer eigenen Uni, der Bethel Christian University, konkurrierte. Doch obwohl beide Frauen Studentinnen waren, gleich lange gefangen gehalten, auf dieselbe Art ermordet und ihre Leichen jeweils an öffentlichen Plätzen abgelegt worden waren, wurden ihre Tode nicht sofort miteinander in Verbindung gebracht. Anfangs arbeiteten sogar zwei verschiedene Mordkommissionen an den Fällen, denn es gab zwar zentrale Polizeidatenbanken für solche Sachen wie DNA und Fingerabdrücke, aber so etwas wie eine Datenbank für die Vorgehensweisen von Tätern gab es nicht; es existierte keine Stelle, die Todesarten sammelte und analysierte, ob Fälle aufgrund der Tötungsmethoden zusammenhängen könnten.
Die Polizei ermittelte monatelang und verhaftete sogar Jillians Freund, aber die Anklage wurde irgendwann fallengelassen und die Fälle blieben ungelöst. Es gab keine ähnlichen Morde, keine neuen Spuren. Jedenfalls nicht bis zum Jahr darauf.
[GERÄUSCH-EINSPIELER:Ein rauschender Wasserfall.]
ELLE VOICE-OVER: Dies sind die Minnehaha Falls, sechzehn Meter hoher Kalkstein und in Kaskaden herabfallendes Wasser, das vom Lake Minnetonka zum Mississippi fließt. Das berühmte Gedicht Das Lied von Hiawatha von Henry Wadsworth Longfellow trug zur Verfestigung des Namens Minnehaha bei, den Longfellow als »lachendes Wasser« interpretierte. Der Originalname, der von den Dakota geprägt wurde, ließe sich allerdings korrekter mit »sich kräuselndes Wasser« oder schlicht »Wasserfall« übersetzen, was auch passender wirkt, denn der heftige, fast brutale Lärm des herabstürzenden Wassers erinnert nicht im Geringsten an Gelächter. Hier, unterhalb der umstrittenen Bronzestatue von Hiawatha und Minnehaha, wurde die Leiche der achtzehnjährigen Isabelle Kemp gefunden.
Die Tonaufnahme, die ihr eben gehört habt, stammt aus dem letzten Frühjahr, als der Wasserspiegel wegen der Schneeschmelze stark gestiegen war. Als Isabelle entdeckt wurde, war das Wasser jedoch zu einer dicken, spröden Eismasse erstarrt – im Moment des Fallens gefroren, wie verzaubert. Die Tote wäre um ein Haar übersehen worden; eine frische Schneedecke hatte sie schon halb verhüllt, als einem Touristenpaar, das den Wasserfall besichtigen wollte, die rote Jacke auffiel, die durch das pulvrige Weiß schimmerte.
[GERÄUSCH-EINSPIELER:Hintergrundgeräusche aus einem Diner.]
ELLE: Als Isabelle Kemps Leiche im Januar 1997 gefunden wurde, stellte die Polizei schnell eine Verbindung zu den Fällen von 1996 her. Denn auch diese junge Frau war sieben Tage lang verschwunden gewesen und kurz vor ihrem Tod gepeitscht worden. Das war auch die Zeit, als Sie den Spitznamen des Killers geprägt haben, oder?
DETECTIVE HAROLD SYKES: Ja, allerdings indirekt. Das war ganz bestimmt nicht meine Absicht.
ELLE VOICE-OVER: Das ist der leitende Ermittler in dem Fall, Detective Harold Sykes. Ich habe ihn in seinem Lieblings-Diner in Minneapolis getroffen.
ELLE: Aber Ihnen war damals etwas aufgefallen, was bis dahin niemand bemerkt hatte. Erzählen Sie mir davon.
SYKES: Ja, also, wir hatten schon mitgekriegt, dass der Killer von bestimmten Zahlen besessen zu sein schien. Er hatte die ersten beiden Frauen im Abstand von drei Tagen entführt, sie sieben Tage lang gefangen gehalten und dann einundzwanzig Mal gepeitscht. Also glaubten wir, dass diese Zahlen eine besondere Bedeutung für ihn haben mussten. Er ging immer nach dem gleichen Muster vor. Was dazu führte, dass mein Team sofort die Vermisstenakten nach einer Frau durchforstete, die drei Tage nach Isabelle entführt worden war. Aber als ich die Fälle noch einmal durchging, fiel mir noch ein weiteres Muster auf. Beverly Anderson war zwanzig Jahre alt gewesen. Jillian Thompson neunzehn. Und Isabelle Kemp achtzehn.
ELLE: Jedes weitere Opfer war ein Jahr jünger als das vorherige.
SYKES: Genau. Es war erst mal nur so ein Gefühl, aber ich hielt es für möglich, dass sein nächstes Opfer siebzehn Jahre alt sein würde. Das passte zu seiner Obsession für Zahlen. Und wenn das Alter der Opfer kein Zufall war, bedeutete das nichts Gutes, das war klar. Denn das hieß, dass er wahrscheinlich einem Plan folgte. Und das hab ich auch den Reportern erzählt, die mich interviewt haben. Damals hab ich es bereut, aber inzwischen ist es wohl egal. Irgendwann wäre auch ein anderer darauf gekommen. Ich hab ihnen nur gesagt: Ich glaube, der Typ hat eine Art perversen Countdown gestartet.
ELLE VOICE-OVER: Das war eine simple Beobachtung, aber sie blieb bei den Leuten in ganz Minnesota hängen und vermittelte allen ein Gefühl der Bedrohung. Der Killer war noch lange nicht fertig. Allen jungen Frauen war bewusst, dass sie noch wachsamer sein mussten, als sie das ohnehin schon immer waren. Ein griffiger Name kann einen lokal begrenzten Fall zur landesweiten Sensation machen. Innerhalb von Stunden hieß er auf allen Kanälen nur noch: der Countdown-Killer.
9. Januar 2020
Elle hielt vor Ms. Turners Haus und stellte den Podcast ab, den sie über die Anlage in ihrem Auto gehört hatte. Es war einer ihrer Lieblings-True-Crime-Podcasts, der sich mehr um verurteilte Straftäter und deren Psyche drehte als um ungelöste Fälle wie ihre eigene Show. Gerade wurde über ein spannendes Thema gesprochen, nämlich die Verhaltensanalyse eines legendären Serienvergewaltigers im Pazifischen Nordwesten. Aber das war nichts für Kinder, und die Tochter von Elles bester Freundin rannte bereits von Ms. Turners Haustür auf ihren gut aufgeheizten Wagen zu.
Die Beifahrertür wurde aufgerissen, und ein Schwall eisiger, nach Schnee riechender Luft drang herein. Natalie sprang ins Auto und zog die Tür mit einem dramatischen »Brrr!« hinter sich zu.
»Na, wie war der Klavierunterricht, Süße?«, fragte Elle und drehte die Heizung noch ein bisschen höher.
»Gut.« Natalie schnallte sich an und lockerte den Schal, den sie um den Hals gewickelt hatte. Selbst im schwachen Licht des Spätnachmittags war ihr sonst blasses Gesicht von dem kurzen Weg durch die Winterkälte gerötet. »Aber ich muss immer noch dauernd Tonleitern spielen. Langsam glaube ich, Ms. Turner kann gar nichts anderes.«
Elle fuhr los. »Du nimmst ja auch erst seit vier Monaten Unterricht«, erwiderte sie schmunzelnd.
»Ja, ich weiß, aber Tonleitern sind so langweilig! Die kann ich doch inzwischen im Schlaf.«
»Du musst Geduld haben. Tonleitern sind das Fundament. Es ist wichtig, erst einmal eine gute Grundlage zu schaffen, bevor man es mit einer ganzen Komposition aufnehmen kann.« Elle grinste darüber, wie schnell sie in den Muttermodus verfiel; sie gab Lebensweisheiten von sich und holte Natalie vom Klavierunterricht ab, als wäre sie ihr eigenes Kind.
»Heute hat sie mir allerdings auch Happy Birthday beigebracht.«
»Echt? Wieso das denn?«
Natalie lachte. »Du weißt genau warum, Tante Elle!«
An der Ampel wandte Elle ihr den Kopf zu und zuckte übertrieben mit den Schultern. »Was meinst du?«
Das Mädchen verdrehte kichernd die Augen. »Weil ich heute Geburtstag hab, du Nerd.«
»Nerd?« Elle legte eine Hand auf ihre Brust, als wäre sie tödlich beleidigt. »So nennst du sonst nur Martín.«
»Ja, weil er auch meistens der Nerd ist.«
»Schon gut, schon gut, Schluss mit den Spielchen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Süße!« Sie konnte gar nicht glauben, dass Natalie jetzt schon zehn war. Damit war sie kaum jünger als das jüngste Opfer des Countdown-Killers. Seit sie vor sechs Monaten begonnen hatte, Interviews für die neueste Staffel von Justice Delayed zu führen, nahm dieser Fall sie voll und ganz in Anspruch. Sie konnte kaum die Augen schließen, ohne die Gesichter der Mädchen vor sich zu sehen, deren Fotos an der Wand ihres Tonstudios hingen. Natalie war für Elle inzwischen fast so etwas wie eine Tochter – und wenn sie sich Natalie an der Stelle des jüngsten Opfers des Countdown-Killers vorstellte, wurde ihr geradezu schwindlig vor Wut. Wenn Natalie nicht gewesen wäre, hätte Elle den Podcast wahrscheinlich gar nicht ins Leben gerufen. Ohne die Erfahrung, ein Kind so sehr zu lieben, dass man dafür sogar töten würde, hätte sie vielleicht nie angefangen, die Monster zu jagen, die sich an Kindern vergingen.
Elle beugte sich zu Natalie hinüber und drückte ihr einen lauten Schmatzer auf die Stirn, dann sprang die Ampel auf Grün um. »Hast du denn auch was Schönes erlebt an deinem Geburtstag?«
»Die Klasse hat mir ein Ständchen gesungen, und ich durfte Kekse für alle mitbringen«, sagte Natalie, an einem ihrer dunkelblonden Zöpfe spielend. »Und ich bin Dritte im Freistil geworden.«
»Bei dem Wetter würde ich ja nicht mal für Geld in einen Badeanzug steigen.«
»Wenn wir aufhören würden, nur weil’s draußen kalt ist, würden uns gerade mal drei Monate im Jahr zum Schwimmen bleiben«, erwiderte Natalie, als sie vor Elles Haus hielten. »Außerdem sind es da drinnen fast dreißig Grad.«
»Ich bade trotzdem lieber in Seen und im Sommer, aber ich bin stolz darauf, dass du so gut bist«, sagte Elle. Der eisige Wind schnitt ihr in die Haut, als sie ausstieg und aufpasste, dass Natalie vorsichtig die spiegelglatte Auffahrt hochging. Sie nahm sich vor, Martín zu bitten, später mehr Salz auszustreuen.
»Oh, lecker!«, rief Natalie, kaum dass sie zur Tür hereinkamen. Auch Elle lief bei dem angenehmen, würzigen Duft, der durchs Haus wehte, das Wasser im Mund zusammen. Sie folgten ihm bis in die Küche, wo Martín gerade Salz aus einer Mühle in den dampfenden Topf auf dem Herd gab. Er trug seine Lieblingsschürze mit dem Blumenaufdruck und kochte seine spezielle Version von Spaghetti mit Fleischbällchen; dabei wurde das Rindfleisch mit kleingehackter Chorizo vermischt und die Sauce mit einer Prise Chili gewürzt. Es war Natalies Lieblingsgericht.
»Hallo, Geburtstagskind!« Martín ließ den Kochlöffel in den Topf fallen und fing Natalie auf, die zu ihm hinrannte und quietschte, als er sie hochhob und fest in die Arme schloss. Nachdem er sich einmal mit ihr um die eigene Achse gedreht hatte, setzte er sie auf die Arbeitsfläche, nahm den Löffel aus dem Topf und blies darauf, bevor er ihn ihr zum Probieren hinhielt. »Ich bitte um Ihr Urteil, Señorita.«
Natalie kostete und riss die Augen weit auf. »Ich finde, das ist Ihr absolutes Meisterwerk, Señor.«
Martín ließ sie wieder herunter und zeigte auf die Besteckschublade. »Ich weiß, du hast Geburtstag, aber könntest du bitte trotzdem den Tisch decken? Deine Mom müsste jeden Moment hier sein.«
Sobald das Mädchen das Besteck herausgenommen und den Raum verlassen hatte, wandte Martín sich lächelnd Elle zu. Seine lockigen schwarzen Haare standen ihm wild vom Kopf ab, weil er sich ständig mit den Händen hindurchfuhr, wenn er nicht gerade bei der Arbeit war und eine OP-Haube trug. Ohne mit dem Rühren aufzuhören, beugte er sich zu Elle und gab ihr liebevoll einen Kuss.
»Riecht toll!« Elle schenkte sich ein Glas Rotwein ein.
»Danke. Wie geht’s dir, mi vida?«, fragte Martín.
Elle musste an den Tag im letzten Jahr denken, an dem er sie zum ersten Mal in Natalies Beisein so genannt hatte, nachdem ihr Spanischunterricht in der Schule begonnen hatte. Elle hatte erst in der Highschool Spanisch gelernt, und Martín konnte schon fließend Englisch, als sie sich kennenlernten, trotzdem hatte sie gleich ihr altes Spanischbuch wieder hervorgekramt, als sie ein Paar wurden. Sie wollte auf keinen Fall etwas von den Gesprächen verpassen, wenn sie seine Familie in Monterrey besuchten, und wegen der vielen Einwanderer aus Mexiko und Mittelamerika, die in Minnesota lebten, kamen ihr die Spanischkenntnisse auch in ihrem Job zugute. Aber in der schicken Privatschule, die Natalie besuchte, fingen die Kinder schon im dritten Schuljahr mit Spanisch an, deshalb hatte Natalie an jenem Abend bereits gewusst, was es bedeutete, als Martín Elle als mi vida bezeichnete.
»Warum nennst du sie ›dein Leben‹?«, hatte sie gefragt. »Weil du ohne sie nicht leben kannst?«
Elle hatte erwartet, dass er ihr einfach erzählen würde, in seiner mexikanischen Heimat sei das ein gängiger Kosename zwischen Männern und Frauen. Aber stattdessen hatte er Elle angeschaut und gesagt: »Nein, ich nenne Elle so, weil mir durch sie klargeworden ist, dass ich viel zu viel Zeit mit dem Tod verbringe. Sie hilft mir, daran zu denken, das Leben zu genießen.«
An dem Abend war er besonders romantisch gewesen, aber wenn es um Romantik ging, stellte Martín ohnehin die meisten anderen Männer in den Schatten.
»Elle?« Seine Stimme holte sie zurück in die Gegenwart.
»Mir geht’s gut«, sagte sie, doch sie wusste, dass sie ihm mit ihrem aufgesetzten Lächeln nichts vormachen konnte. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Natalie schon zehn ist. Es kommt mir so vor, als wäre sie gestern noch diese spindeldürre Vierjährige gewesen, die eines Tages aus heiterem Himmel hier vor der Tür stand.« Elle blinzelte ihre Tränen weg und nahm einen Schluck Wein.
Martín legte den Löffel beiseite und zog sie in seine Arme. »Dein Fall geht dir ganz schön an die Nieren, was?«, fragte er und rieb ihr mit kreisförmigen Bewegungen über den Rücken.
Elle verspannte sich. »Es geht mir gut«, beteuerte sie.
Er löste sich ein Stück von ihr und schaute sie an. »Ja, ich weiß.« Er sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, nickte dann aber nur und wandte sich wieder dem Herd zu.
Als Natalie zurückkam, um Teller zu holen, klingelte es an der Haustür. »Ich geh schon«, sagte Elle.
Sash bibberte, als Elle sie hereinließ. »Mein Gott, ist das kalt!«, rief sie, und Elle schloss die Tür hinter ihr schnell wieder. Sash klopfte ihre Stiefel auf der Matte am Eingang ab, zog sie aus und achtete sorgsam darauf, nicht versehentlich mit ihren Strümpfen in den schmelzenden Schneematsch zu treten.
»Mein Vater hat so ein Wetter früher immer das Zungenfestklebe-Wetter genannt«, sagte Elle, selbst überrascht, dass sie plötzlich wieder daran denken musste. »Wegen all der dummen Kinder, die sich früher im Winter gegenseitig angestachelt haben, an Metall zu lecken, und dann mit ihren Zungen daran kleben geblieben sind.«
Sashs große Kreolen glitzerten im Licht, als sie den Kopf in den Nacken legte und loslachte. Nachdem sie ihren Schal abgenommen hatte, zog sie sich die lila Strickmütze vom Kopf und legte beides auf die Bank neben der Tür. Sie hatte ihre Haare frisch abrasiert und nur einen kurzen Flaum stehen gelassen, der ihr elfenhaftes Aussehen betonte. Für eine Unternehmensjuristin war das ein ungewöhnlicher Look; er verführte die Leute oft dazu, sie zu unterschätzen, was es dann nur umso großartiger machte, wenn sie sie vor Gericht vernichtend schlug.
»Das ist super, das muss ich mir merken.«
Elle ging voraus zum Esszimmer. Der Spiegel im Flur erinnerte sie daran, dass sie heute weder geduscht noch einen Gedanken an ihre eigene Frisur verschwendet hatte. Sie hatte sich den ganzen Tag in ihrem Studio eingeschlossen, bis sie irgendwann losfahren musste, um Natalie abzuholen.
»Gibt’s neue Hinweise wegen CK?«, fragte Sash im Flüsterton.
Elle stockte kurz. Außer für ihre Recherchen kam sie nicht viel aus dem Haus, und die meisten Familienmitglieder und Zeugen, die sie für ihren Podcast über den Countdown-Killer interviewte, benutzten nie diesen Begriff.
»Nein, nichts Neues«, sagte sie, den Blick ihrer Freundin erwidernd. »Dazu ist es noch zu früh.«
Sash lächelte. »Ein paar Kollegen haben heute in meinem Meeting über den Fall gesprochen. Das wird bestimmt deine erfolgreichste Staffel von allen.«
Elle nickte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Auch bei den ungelösten Fällen, um die es in den früheren Podcast-Staffeln gegangen war, hatte sie den Druck verspürt, sie aufzuklären, aber verglichen mit dem jetzigen war das gar nichts gewesen. Die Veröffentlichung der ersten Folge lag erst wenige Wochen zurück, doch schon jetzt war klar, dass dieser Fall anders werden würde. Ihr Posteingang quoll über von Kommentaren, Theorien und Kritik – nicht nur von Hörern aus dem Mittleren Westen, sondern auch aus Australien, Indonesien, England und den Niederlanden. Es war, als ruhten die Augen der ganzen Welt auf ihr.
Aber sie schaffte das. All die Fälle, mit denen sie vorher zu tun gehabt hatte, die der Kinder aus Problemfamilien, die sie in ihrer Zeit beim Jugendamt bearbeitet hatte, und die aus den vorangegangenen vier Staffeln des Podcasts, bildeten das Fundament – die Tonleitern, die sie geübt hatte, während sie sich auf etwas Komplexeres vorbereitete. Der Countdown-Killer war ihr Meisterwerk.
»Du siehst blass aus.« Sash hielt sie sanft am Arm fest, bevor sie das Esszimmer betreten konnten. »Verdammt, tut mir leid, Elle. Du bist bestimmt eh schon nervös genug, auch ohne dass ich dir noch sage, welche Tragweite dieser Fall hat.«
»Nein, ist schon okay. Mir war von vorneherein klar, dass der Podcast dadurch mehr Beachtung finden würde. Ich hab bloß das Ausmaß unterschätzt.« Elle schaute ihre beste Freundin an und presste die Fingernägel in ihre Handfläche. »Meine Producerin und ich bekommen jede Menge Kommentare im Netz, und auf unseren Social-Media-Kanälen gehen viele Ideen ein, aber bislang gibt es nichts Konkretes. Ich weiß, ich hab erst vor ein paar Wochen angefangen, aber ich hab schon jetzt das Gefühl, sie zu enttäuschen.«
»Die Mädchen an der Wand«, sagte Sash. Neben Martín war Sash die Einzige, der Elle je erlaubt hatte, ihr Studio im oberen Stockwerk zu betreten. »Du enttäuschst sie nicht, Elle. Du erweist ihnen eine Ehre. Du erzählst ihre Geschichten und versuchst, ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen. Du bist zu hart gegen dich selbst.«
Bevor Elle etwas erwidern konnte, schwang die Tür zum Esszimmer auf, und Natalie streckte den Kopf heraus. »Kommt ihr jetzt, oder was? Ich bin am Verhungern.«
Sash lächelte Elle an, drückte noch einmal ihren Arm und folgte Natalie dann in den Raum, in dem Martín das Essen auftrug.
»Wie war dein Geburtstag, mein Schatz?«, fragte Sash und umarmte ihre Tochter.
»Prima. Danke, dass du heute früher von der Arbeit gekommen bist«, sagte Natalie.
»Na klar! Denkst du, ich lasse mir das hier entgehen?« Wenn Elle Sash nicht besser gekannt hätte, wäre ihr der Schatten vielleicht entgangen, der über das Gesicht ihrer besten Freundin huschte. Dass Sash an manchen Abenden lange im Büro blieb, war ein heikles Thema zwischen ihr und Natalie. Aber zu den wichtigen Ereignissen schaffte sie es immer pünktlich, und jetzt, wo Elle ganztägig von zu Hause aus arbeitete, sprang sie gern ein. Bei Schwimmwettbewerben zum Beispiel und wenn Natalie vom Musikunterricht abgeholt werden musste. Hin und wieder begleitete sie sie sogar auf Exkursionen mit der Schule. Im Moment war sie irgendwas zwischen einer sehr engagierten Tante und einer besseren Babysitterin, auch wenn Sash darauf bestand, dass sie eher wie eine zweite Mutter war, die Natalie selbst adoptiert hatte. Aber ganz gleich, wie man ihre Rolle definierte, sie spielte sie wahnsinnig gern.
Sash zog den Stuhl neben Natalie unter dem Tisch hervor und hob die Hände wie ein Conférencier, der die nächste Nummer ansagt. »Liebe Damen, liebe Herren, liebe Gender-Ambivalente: Vor zehn Jahren geschah etwas Außergewöhnliches.« Die weiten Ärmel ihrer Bluse steiften die Tischplatte und verfehlten nur knapp die Spaghettisauce. »Meine Tochter, die einzigartige Natalie Hunter, kam auf diese Welt. Sie war so groß wie ein Chipotle-Burrito und krächzte wie eine Krähe.«
Natalie kicherte und schlug die Hände vors Gesicht.
»Ich weiß, dass du es in den ersten Jahren deines Lebens nicht immer leicht hattest, weil wir so oft umgezogen sind. Aber ich bin froh, dass wir jetzt hier sind, und ich freue mich, dass du deinen zehnten Geburtstag heute im Kreis deiner Familie feiern kannst.« Sash schaute in ihre Richtung, aber Elle konnte ihren Gesichtsausdruck durch den Tränenschleier, der ihr plötzlich die Sicht vernebelte, nicht erkennen. Es rührte sie immer noch jedes Mal, wenn Sash ihr zu verstehen gab, dass sie sie als Familienangehörige betrachtete. Von Martín und ihren Schwiegereltern abgesehen, waren Sash und Natalie die einzige Familie, die Elle besaß.
Natalie beugte sich vor und schaute auf das kalt werdende Essen, das vor ihr stand. »Komm schon, Mama, ich hab Hunger.«
Sie lachten alle, und schließlich hob Sash ihr Glas. »Okay, okay. Es kommt noch so weit, dass man als Mutter verklagt wird, weil man am zehnten Geburtstag seiner Tochter eine Rede hält. Auf Natalie!«
»Auf Natalie!«, wiederholten Martín und Elle und erhoben ebenfalls die Weingläser. Sie stießen mit Natalies Cola an und wandten sich dann dem Essen zu.
»Wie war dein Tag, Sash?«, fragte Elle, während sie Pasta auf ihre Gabel drehte.
Sash nippte an ihrem Wein. »Nicht schlecht. Allerdings ist die Firmenfusion, an der ich gerade arbeite, ziemlich nervtötend. Die beiden CEOs tun bei ihren Vorstandssitzungen so, als wäre alles in Butter, dabei kriege ich sie momentan nicht mal mehr an den Verhandlungstisch. Der eine äußert sich irgendwie über den Golfschwung des anderen, und zack, steht ein Multimillionen-Dollar-Deal auf dem Spiel. Da sage noch mal einer, Frauen wären emotional.«
Martín lachte grunzend, weil er den Mund voll Pasta hatte.
»Und wie läuft’s bei dir, Martín?«, fragte Sash. »Was machen die Toten?« Sie betonte seinen Namen richtig, Mar-tien, auf der zweiten Silbe; ihre bequemeren Bekannten machten es sich einfach, indem sie die englische Aussprache wählten.
Er hielt seine Gabel hoch, auf die er eine Cherrytomate gespießt hatte. »Im Moment ganz schön viel Stress. Um die Jahreszeit muss ich mich immer ranhalten, sonst stapeln sich bei mir die Leichen.«
»Martín!«, sagte Elle.
Er hielt die Hände in der klassischen Unschuldspose hoch. »Sorry, aber es ist ja nicht so, als ob die beiden nicht wüssten, was ich tue.«
»Genau, Elle, es ist ja nicht so, als ob ich das nicht wüsste.« Natalie trank von ihrer Cola und grinste. »Ich will auch Leichenbeschauerin werden, wenn ich groß bin.«
Elle schüttelte den Kopf und schielte zu ihrer Freundin hin. Sash hatte ihr vor zwei Wochen anvertraut, Natalie hätte sich auf eine unschuldige Art in Martín verliebt, aber das war zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr zu übersehen gewesen. Vor ungefähr einem Monat hatte Natalie von einem Tag auf den anderen aufgehört, Martín »tío« zu nennen; seither bestand sie darauf, seinen Vornamen zu benutzen, und hing ihm buchstäblich an den Lippen. Sash schob es auf die Pubertät. Elles Master in Kinderpsychologie lag zwar schon ein paar Jahre zurück, aber dass eine Zehnjährige sich in den einzigen erwachsenen Mann verliebte, der ihr nahestand, erschien auch ihr nicht weiter ungewöhnlich.
Obwohl Martín wissen musste, dass Sash und Elle ihn amüsiert beobachteten, ignorierte er die beiden und unterhielt sich angeregt mit Natalie über die Voraussetzungen, die man für seinen Beruf mitbringen musste.
»Ich glaube, du wärst eine tolle Rechtsmedizinerin«, sagte er. »Aber dein Umgang mit Messern ist auf jeden Fall verbesserungsfähig. Hier, ich hab immer noch Narben vom letzten Mal, als du mir geholfen hast, Paprika für die Fajitas zu schneiden.« Er hielt den Daumen hoch und zeigte ihr die kleine sichelförmige rosa Stelle auf seiner mittelbraunen Haut.
Natalie schob seinen Arm weg und wurde rot. »Das ist schon zwei Jahre her, außerdem hab ich mich tausendmal dafür entschuldigt. Du bist vielleicht eine Memme.«
Martín drückte eine Hand an seine Brust und zog in gespielter Empörung einen Schmollmund. »Cómo te atreves. Aber wahrscheinlich hast du recht. In meinem Metier verblutet niemand, wenn das Skalpell mal an der falschen Stelle angesetzt wird. Ich bin sicher, du kriegst das hin.«
Elle lachte, aber wenn sie ihren Mann so mit Natalie zusammen sah, wurde sie immer auch ein wenig melancholisch. Denn wenn die beiden miteinander flachsten, fiel es schwer, nicht daran zu denken, was für ein toller Vater Martín geworden wäre. Elle hatte Sash in der Phase kennengelernt, als sie und Martín alles versuchten, um ein Baby zu bekommen. Damals waren sie gerade frisch in das neue Haus auf der anderen Straßenseite gezogen, um Platz für die mindestens zwei Kinder zu schaffen, die sie eines Tages zusammen haben wollten. All die blutjungen, fruchtbaren Frauen, mit denen Elle zur Schule gegangen war, schienen – im Gegensatz zu ihr – schon beim bloßen Gedanken an Sex schwanger zu werden. Deshalb hatte sie es als Erleichterung empfunden, dass Sash so offen mit ihren eigenen IVF-Erfahrungen umgegangen war. Sash war nie an Sex oder einer Beziehung interessiert gewesen, hatte aber immer schon Mutter werden wollen und sich deshalb entschieden, den Weg über Reagenzgläser und Injektionen zu gehen. Als Elle ihr von ihren eigenen Fruchtbarkeitsbehandlungen berichtete, hatten sie sich gegenseitig für die albtraumhafte Erfahrung bedauert, mit Hilfe der Wissenschaft schwanger werden zu wollen (auch wenn Sash gern im Scherz sagte, dass sie die direkte Methode noch weitaus beängstigender fand).
Nachdem sie und Martín es jahrelang vergeblich versucht hatten, konnte Elle ihrem Körper den Stress und die Hormone nicht länger zumuten, und sie waren schließlich übereingekommen, dass sie nicht dazu bestimmt waren, Eltern zu werden. Dass sie Natalie damals schon so nahestanden, hatte diese schmerzhafte Entscheidung zumindest ein bisschen erträglicher gemacht.
»Als angehende Medizinerin musst du aber sehr viel Physik und Chemie lernen. Ist dir das klar, Süße?«, fragte Sash. »Und deine Angst vor Spritzen musst du dann bestimmt auch ablegen.«
Natalie reckte ihr Kinn hoch. »Das kriege ich hin.«
Elle führte ihre Gabel zum Mund, um ihr Lächeln zu verbergen. Natalie gehörte zu den Kindern, die sich ständig für etwas Neues begeisterten. Vor einem halben Jahr hatte sie den Tierschutz für sich entdeckt, nachdem sie auf YouTube über ein entsprechendes Video gestolpert war, und geschworen, nie wieder Fleisch zu essen. Danach verging kein Tag, ohne dass sie über Käfighaltung und Viehtreiberstäbe wetterte. Bis sie dann auf einmal, während Elle nebenan zu Besuch war, mit großem Appetit einen Hamburger verdrückt und sich statt über Tierquälerei über den Klimawandel ereifert hatte. In der Regel ging ihr Interesse alle paar Monate auf ein anderes Thema über, aber eines der Dinge, denen sie dauerhaft treu blieb, war die Religion. Vor ein paar Jahren hatte Natalie von ihrer Schulfreundin eine Bibel geschenkt bekommen, und seitdem gingen die beiden Mädchen fast jeden Sonntag zusammen in die Kirche. Man musste Sash zugutehalten, dass sie, obwohl sie nicht gläubig war, nie versucht hatte, Natalie die Gottesdienste auszureden.
Elle liebte die Leidenschaft, mit der sich das Mädchen in alles reinhängte. Denn niemand wusste besser als sie selbst: Wenn dich irgendwas im Leben so richtig aufregt, kann es am Ende das sein, was dich beruflich erfolgreich macht. Natalie war noch zu jung, um sich für eine Sache zu entscheiden, aber irgendwann würde sie es tun. Elle war nur ein Jahr älter als Natalie gewesen, als ihr Leben aus den Angeln gehoben worden war, und danach hatte es für sie nur einen einzigen gangbaren Weg gegeben.
Dieser Gedanke erinnerte Elle an die Gesichter oben an der Wand ihres Studios, an all die jungen Leben, die ausgelöscht worden waren, und sie lehnte sich unvermittelt zurück. Sie blinzelte, um die Bilder zu vertreiben, die sich in ihre Netzhaut eingebrannt hatten. Dann trank sie einen Schluck Wein und ließ ihren Blick schweifen. Sash und Natalie schienen nichts bemerkt zu haben, aber Martín beobachtete sie und zog fragend eine Augenbraue hoch. Sie nickte kurz und nahm ihre Gabel wieder in die Hand.
Als sie mit dem Essen fertig waren, stand Sash auf, um die leeren Teller abzuräumen.
»Lass mal, Sash, das brauchst du nicht.« Martín stand ebenfalls auf und wollte ihr das Geschirr abnehmen.
»Entspann dich, Martín, ich hab nicht vor, zu spülen oder so. Das kann Natalie machen. Betrachtet es als Ausgleich für das Spritgeld, das ihr ausgebt, um sie überall hinzukarren, während ich bei der Arbeit bin.«
»Hey, meine Gesellschaft ist doch wohl Entschädigung genug«, rief Natalie und warf ihre Zöpfe nach hinten.
Martín brach in lautes Gelächter aus, und Sash sagte in der Küche mahnend den Namen ihrer Tochter. Elle schob die Bilder, die sie im Kopf hatte, beiseite und grinste ebenfalls.
Als sie vom Tisch aufstand, um Sash in der Küche zu helfen, vibrierte das Handy in ihrer Tasche. Elle ging in den Flur und schaute auf das Display. Es gab Dutzende von Nachrichten auf dem Mail-Account ihrer Show. Die Benachrichtigungen auf ihren Social-Media-Accounts ignorierte sie; darum würde sie sich später kümmern. In den meisten E-Mail-Betreffzeilen stand das Übliche, aber eine sprang ihr ins Auge wie ein Tippfehler auf einer Reklametafel:
Ich weiß, wer er ist.
5. Dezember 2019
ELLE: Was passierte, nachdem die Medien sich auf den Spitznamen Countdown-Killer gestürzt hatten?
SYKES: Wir hatten fast nichts, worauf wir uns stützen konnten, keinen konkreten Beweis. Damals gab’s noch keine Serien wie CSI oder Law & Order: Special Victims Unit, weshalb die meisten Leute auch nicht viel über DNA wussten. Trotzdem war es diesem Kerl gelungen, keine einzige Spur von sich zu hinterlassen. Darum vermuteten wir, dass er eine wissenschaftliche oder medizinische Ausbildung haben könnte.
ELLE: Oder bei der Polizei arbeitete.
SYKES: Ja, das war auch eine Option. Jedenfalls konnten wir nichts finden, was uns geholfen hätte, das Unvermeidliche zu verhindern. Nur Stunden nachdem wir den Mord an Isabelle Kemp mit den Fällen von 1996 in Verbindung gebracht hatten, kamen wir dahinter, wer wohl sein nächstes Opfer war: Eine Siebzehnjährige namens Vanessa Childs, die in einem Schnellimbiss arbeitete und drei Tage zuvor dort beim Müll-Rausbringen verschwunden war. Als wir ihren Eltern von unserem Verdacht erzählten, gerieten sie verständlicherweise vollkommen außer sich.
ELLE VOICE-OVER: Man empfindet eine besondere Art von Hilflosigkeit, wenn man darauf wartet, dass jemand tot aufgefunden wird. Vanessas Familie hoffte natürlich, dass die Polizei sich irrte und ihr Verschwinden nicht mit dem der beiden anderen Frauen zusammenhing, aber das Timing war beängstigend präzise. Und dann kam am Spätnachmittag desselben Tages, an dem Isabelles Leiche aufgetaucht war, auch noch eine andere junge Frau abhanden: die sechzehnjährige Tamera Smith, eine vielversprechende Basketballspielerin und Einser-Schülerin. Ihre Spur verlor sich auf dem kurzen Fußweg zwischen Schule und Sporthalle.
Die Ermittler suchten weiter nach Verdächtigen. Die kriminaltechnischen Untersuchungen wurden im Eiltempo durchgeführt, aber da an Isabelle Kemps Leiche keine männliche DNA entdeckt wurde, gab es weiterhin keine Anhaltspunkte. Die Geschichte war inzwischen überall in den Nachrichten, und die Verkaufszahlen von Pfefferspray und Handfeuerwaffen schnellten nach oben. Alle warteten förmlich darauf, dass das nächste Mädchen verschwand, und waren fest entschlossen, es nicht zu sein. Der Bürgermeister von Minneapolis dachte Berichten zufolge darüber nach, eine Ausgangssperre zu verhängen, wurde aber darauf hingewiesen, dass diese Maßnahme das falsche Signal aussenden würde, nämlich, dass die jungen Frauen selbst die Schuld trügen.
Vanessa Childs Familie startete Suchaktionen in den Parks und Waldgebieten rund um den Vorort Roseville, in dem sie zuletzt gesehen worden war, aber ohne Erfolg. Drei Tage später, eine Woche nach ihrem Verschwinden, wurde Vanessas Leiche in einem Gebüsch am Ufer des Sees Bde Maka Ska gefunden. Die Stadt hatte kaum genug Zeit, Luft zu holen, da wandten sich Tamera Smiths Eltern bereits an die Medien, weil sie davon überzeugt waren, dass die Polizei nicht genug tat, um ihre Tochter zu retten.
[GERÄUSCH-EINSPIELER: Ein Telefon klingelt dreimal.]
ANONYMUS: Hallo?
ELLE: Hallo, spreche ich mit [Piepton]?
ANONYMUS: Wer ist da?
ELLE: Guten Tag, mein Name ist Elle Castillo, und ich untersuche den Fall des Countdown-Killers. Ich hatte gehofft, mit Ihnen über –
ANONYMUS: Sind Sie von der Polizei?
ELLE: Nein.
ANONYMUS: Ich spreche nicht mit Journalisten.
ELLE: Ich bin auch keine Journalistin.
ANONYMUS: Was sind Sie denn dann, zum Teufel?
ELLE: Ich bin eine unabhängige Ermittlerin, die sich auf ungeklärte Fälle von Straftaten gegen Minderjährige spezialisiert hat. Ich berichte in einem Podcast über meine Arbeit.
ANONYMUS: Einem was?
ELLE VOICE-OVER: Es dauerte eine Weile, ihr das Konzept von Podcasts zu erklären, zumal von investigativen Podcasts, aber irgendwann hatte ich sie so weit, dass sie bereit war, sich mit mir zu unterhalten. Sie möchte jedoch namentlich nicht mit dem Fall in Verbindung gebracht werden, und ich respektiere diesen Wunsch, indem ich ihre Anonymität wahre. Ich habe sie gefragt, ob ich sie der Anschaulichkeit halber Susan nennen darf, und sie war einverstanden.
ELLE: Könnten Sie bitte erzählen, wie Sie mit dem Fall des Countdown-Killers in Berührung kamen?
SUSAN: Ich kam damit in Berührung, weil ich meine Nase in Dinge gesteckt hab, die mich nichts angingen, und die Entscheidung bereue ich jetzt schon ungefähr zwanzig Jahre.
ELLE: Könnten Sie erklären, wie Sie das meinen?
SUSAN: Das war 1997, nachdem sie die zweite Mädchenleiche gefunden hatten. Mir war aufgefallen, dass mein Mann sich tagelang komisch benahm; er war fahrig und zerzaust und kam immer erst Stunden, nachdem ich ihn eigentlich erwartet hatte, nach Hause. Zuerst dachte ich, er hätte eine Affäre, aber das erklärte den Dreck nicht.
ELLE: Den Dreck?
SUSAN: Ja, seine Hose war verdreckt, als wäre er in einem Garten rumgerobbt oder so was, dabei war ja tiefster Winter. Die Jeans musste ich zweimal waschen, bis sie wieder sauber war. Und dann kam eines Abends, als wir vorm Fernseher saßen, was über diesen Serienmörder in den Nachrichten; sie sagten, er hätte im Jahr davor zwei Mädchen umgebracht, und es sähe so aus, als wäre er wieder aktiv. Jimmy war schon halb eingeschlafen gewesen, aber als das kam, saß er plötzlich kerzengerade da, als hätte er sich einen Stromschlag an einer kaputten Steckdose geholt. Er hat kein Wort gesagt, nur auf den Fernseher gestarrt, bis die nächste Meldung kam. Da hab ich Gänsehaut gekriegt.
Also hab ich angefangen zu überlegen, und als ich in meinen alten Kalender geguckt hab, hab ich gesehen, dass Jimmy mir im Jahr davor erzählt hatte, er würde auf Dienstreise gehen. Genau in der Zeit, als die armen Mädchen umgebracht wurden. Danach wurde ich das Gefühl einfach nicht mehr los, dass er das sein könnte.
ELLE: Und was haben Sie gemacht?
SUSAN: Ich weiß nicht, ob Sie das glauben können, aber zuerst hab ich darüber nachgedacht, gar nichts zu machen. Ich meine, ich war erst dreiundzwanzig. Mein Mann war siebenundzwanzig. Wir waren jung, und ich liebte ihn. Ich hab nicht wirklich geglaubt, dass er zu so was imstande wäre, aber das Timing war einfach … unheimlich. Also hab ich irgendwann alle meine Notizen genommen und bin zu dem Detective gefahren, der an dem Fall saß.
ELLE VOICE-OVER: Detective Sykes befand sich gerade in der schwierigen Lage, zu viele Fährten, aber nicht genügend Zeit zu haben, um sie alle zu verfolgen. Darum hat er Susan zunächst abgewimmelt, als sie kam und ihm all die Gründe aufzählte, warum ihr Mann der Killer sein müsse. Sie war schon auf halbem Weg zurück zu ihrem Auto, als er ihre Notizen durchgesehen hatte und ihr hinterherrannte. Susans Ehemann, Jimmy Cooper, wurde zu Detective Sykes’ erstem Hauptverdächtigen – nach der ganzen Zeit war er die erste vielversprechende Spur.
SYKES: Kennen Sie die Geschichte über die Sirenen aus der griechischen Mythologie? Die mit den schönen Frauen, die Seeleute zu den Felsen hinlocken und töten? Also, [Piepton] war bestimmt ein nettes Mädchen, aber tief im Innersten hatte sie, glaube ich, was von einer Sirene an sich. Natürlich war das alles vor allem mein Fehler. Als Tamera Smith verschwand, war ich verzweifelt, weil ich nichts hatte, was ich ihren Eltern sagen konnte. Darum wollte ich unbedingt hören, was Susan zu erzählen hatte. Und sie hatte ja nicht Unrecht – die Zeiten, in denen die Morde geschehen waren, stimmten mit denen überein, in denen ihr Ehemann ohne Begründung weg gewesen war. Aber das war’s auch schon. Also habe ich eine Truppe zusammengestellt, die Jimmy Cooper in den nächsten zwei Tagen rund um die Uhr beschatten sollte. Wir wollten sehen, ob er uns zu der Stelle führen würde, wo er das Mädchen festhielt. Wir gingen davon aus, dass CK seine Opfer während der sieben Tage, in denen er sie gefangen hielt, besuchte. Es war sogar denkbar, dass er sie bei sich zu Hause festhielt – an den Leichen von Isabelle Kemp und Vanessa Childs fanden sich Hinweise darauf, dass sie während ihrer Gefangenschaft zu Hausarbeit gezwungen worden waren.
ELLE VOICE-OVER: Das war eine Steigerung. Die Leichen von Beverly Anderson und Jillian Thompson hatten, abgesehen von den Folgen ihrer Vergiftung und den Striemen auf ihren Rücken, keinerlei Spuren körperlichen Missbrauchs aufgewiesen. Bei den drei Opfern des Countdown-Killers aus dem Jahr 1997 war es jedoch anders. Sie hatten alle drei trockene, spröde Haut an den Händen, in der Rückstände starker Reinigungsmittel nachgewiesen werden konnten. Außerdem hatten sie blaue Flecken an den Knien und Blasen an den Handflächen. Zusätzlich zu den Peitschenhieben hatte der Täter sie zum Putzen gezwungen, wahrscheinlich stundenlang ohne Pause, aber man konnte unmöglich sagen, was oder wo sie geputzt hatten. Oder – noch wichtiger – warum.
Außerdem kann Detective Sykes Susan zwar als Sirene bezeichnen, wenn er will, ich hatte während meines Interviews mit ihr allerdings in keiner Weise Anlass zu glauben, sie hätte sich absichtlich manipulativ verhalten oder eine falsche Spur auslegen wollen, als sie ihren Mann beschuldigte. Sie hat sich zwar später von ihm scheiden lassen, aber damals hat sie ihn noch geliebt und sich lange mit der Entscheidung gequält, ob sie sich an die Polizei wenden sollte. Und sie lag ja auch nicht völlig daneben. Die von Detective Sykes veranlasste Beschattung von Jimmy Cooper lieferte zwar eine einleuchtende Erklärung für sein seltsames Verhalten – aber sie brachte auch ans Licht, dass er nicht gänzlich unschuldig war.
ELLE: Erzählen Sie mir, was Sie bei der Überwachung von Jimmy Cooper herausfanden.
SYKES: In einem Punkt hatte Susan recht: Er betätigte sich kriminell. Jimmy Cooper arbeitete bei der Gemeinde und hatte Bestechungsgelder für die Vergabe von Aufträgen an bestimmte Unternehmen angenommen. Das Geld vergrub er auf einem Grundstück auf dem Land, das er bar bezahlt hatte, ohne seiner Frau etwas davon zu erzählen. Er glaubte offenbar, sobald er genügend zusammengespart hätte, könnte er sie mit ihrem Traumhaus überraschen, ohne dass sie fragt, woher das Geld dafür stammt.
ELLE: Gab es denn auch eine Erklärung für seine auffällige Reaktion auf den Bericht über die ermordeten Frauen in den Nachrichten? [Piepton] sagte doch, er hätte wie elektrisiert dagesessen und auf den Bildschirm gestarrt.
SYKES Ja, richtig, danach haben wir ihn auch gefragt. Wie es aussieht, hat er auf den durchlaufenden News-Ticker unten am Bildschirmrand geguckt, der die aktuellen Börsenkurse anzeigte. Der Aktienkurs einer der Firmen, in die er sein illegal erworbenes Geld gesteckt hatte, war stark gefallen; er hatte einen Großteil seiner Investition verloren. Er erzählte uns, er hätte darauf gewartet, dass die Zahlen noch mal durchlaufen, weil er hoffte, sich verlesen zu haben. Dass seine Frau auf seine Reaktion aufmerksam geworden war, hatte er gar nicht mitbekommen.
ELLE: Sie haben also nie irgendeinen Hinweis darauf gefunden, dass Jimmy Cooper etwas mit den Morden zu tun haben könnte?
SYKES: Nein, nicht den geringsten, das möchte ich noch mal ganz deutlich sagen. Bestechung fällt nicht in mein Ressort, aber Jimmy Cooper hat für das, was er getan hat, bezahlt. Er hat seinen Job verloren, seine Frau hat ihn nach seiner Verurteilung verlassen, und er hat acht Jahre im Gefängnis gesessen. Er kann also auf gar keinen Fall der Countdown-Killer sein.
ELLE VOICE-OVER: Es mag übertrieben erscheinen, das noch einmal zu betonen, aber in Internetforen und popkulturellen Anspielungen auf diesen Fall wird seit zwei Jahrzehnten immer wieder ein Verdacht gegen Jimmy geschürt. Im Internet sind einige Amateurdetektive unterwegs, die glauben, er wäre der ursprüngliche Countdown-Killer gewesen und dann wäre ein Nachahmer in seine Fußstapfen getreten. Oder sie behaupten, er hätte von Anfang an einen Komplizen gehabt, der seine Arbeit fortgesetzt hat, als er hinter Gittern saß. Sie sagen das, weil die ersten zwei Frauen vom Täter anders behandelt wurden als die anderen drei. Aber auch ich möchte betonen: Ich habe das Leben von Jimmy Cooper in all den Jahren, die ich mich schon mit diesem Fall befasse, sehr gründlich durchleuchtet, und ich kann mit absoluter Sicherheit sagen: Er ist es nicht. Ihr braucht mir natürlich nicht zu glauben, aber wenn ihr euch stundenlange Bemühungen ersparen wollt, einem unschuldigen Mann diese grausamen Morde nachzuweisen, lasst euch von mir versichern: Ich hab’s erfolglos versucht.
Die Wahrheit ist: Obwohl Detective Sykes und sein Team gute Gründe dafür hatten, Susans Verdacht gegen ihren Ehemann nachzugehen, haben ihre Ermittlungen sie letztlich nur vom Kurs abgebracht. Und während die Officer Jimmy Cooper von der Arbeit bis zu seinem Grundstück folgten und ihn dabei beobachteten, wie er Bestechungsgelder vergrub, wurde Tamera Smiths Leiche unter der Stone Arch Bridge im Zentrum von Minneapolis gefunden. Und wie Isabelle Kemps und Vanessa Childs Leichname wies auch ihrer Spuren von langer Arbeit mit Putzmitteln auf.
ELLE: Ich frage mich, ob Sie mir etwas erklären können, was mir bezüglich der Zeitachse aufgefallen ist. Eine Menge Leute, die sich für den Fall interessieren, finden diesen Punkt irritierend. Wenn der Countdown-Killer die jungen Frauen im Abstand von drei Tagen entführt hat, müssten sie dann nicht mindestens einen Tag lang alle zusammen in seiner Gewalt gewesen sein? Eine Frau an Tag eins, zwei an Tag drei und drei an Tag sechs?
SYKES: Ja, das wurde damals häufig falsch berichtet, und hin und wieder kommt das Thema noch mal auf. Speziell in Internetforen, in denen die Leute über die Muster und die Zahlen diskutieren. Es wird immer Menschen geben, die die Existenz eines aktiven Serienmörders nicht wahrhaben wollen. Der Abstand zwischen den Entführungen war nie kleiner als zweiundsiebzig Stunden – also drei volle Tage. Manche rechnen allerdings lieber in Nächten. CK hatte jede der Frauen drei Nächte in seiner Gewalt, bevor er die nächste entführt hat.
ELLE: Sie waren also sechs Nächte bei ihm, bevor er sie umgebracht hat, nicht sieben?
SYKES: Das ist richtig. Sie waren für gewöhnlich vor dem Mittag des siebten Tages tot.
ELLE: Gut, das hilft mir weiter, danke. Ich finde es wichtig, sich über das Muster im Klaren zu sein, und bei einem Fall von solcher Tragweite sollten die Informationen, die darüber kursieren, auch korrekt sein.
SYKES: Ich lege großen Wert auf Sorgfalt und Genauigkeit. Von den Medien kann man das ja heute nicht mehr behaupten.
ELLE: Ich bin immer bestrebt, in meiner Show die Wahrheit zu sagen, Detective. Haben Sie denn, nachdem sich Jimmy Coopers Spur als Pleite erwiesen hatte, irgendetwas an Tamera Smiths Leiche finden können – irgendeinen Hinweis darauf, dass dem Countdown-Killer trotz seines obsessiven Bemühens, keine Spur zu hinterlassen, ein Fehler unterlaufen war?
SYKES: Ja, auf Tameras Hose war ein Fleck, von dem sich später im Labor rausstellte, dass er von Tee stammte.
ELLE: Erzählen Sie mir mehr darüber. Ihre Dienststelle sagte, es handele sich um eine spezielle Darjeeling-Art, aber einige Leute bezweifeln, dass man von einem Fleck auf eine konkrete Teesorte schließen kann. Was sagen Sie denen?
SYKES: Na ja, zunächst mal ist es nicht meine Dienststelle, die das sagt; wir geben nur weiter, was das forensische Labor uns mitgeteilt hat. Und weil die Labortechnik weiterentwickelt wurde, hat sich auch unser Wissen über den Teefleck mit Laufe der Zeit verfeinert. 1997 konnte das Labor uns nur mitteilen, dass es ein Oolong-Tee sein musste; das war an der Oxidationsstufe der Blätter erkennbar. Nach der Untersuchung der Teepartikel in dem Fleck waren die Experten sich ziemlich sicher, dass es sich um losen Tee handelte, dass er also nicht in einem Beutel gesteckt hatte, als er aufgegossen wurde. Im letzten Jahr führten sie dann weitere Tests an der Probe durch und wendeten dabei eine neuere Technik an, die man Direct Analysis in Real Time oder kurz DART nennt und die man nutzen kann, ohne die Probe extra aufbereiten und dadurch weiter vermindern zu müssen. Das ist gut, weil die Probe ja ohnehin nur sehr mager war und jetzt fast nichts mehr davon übrig ist. Mehrere örtliche Teehäuser spendeten kleine Dosen sämtlicher Tees aus ihrem Sortiment, und einige erstellten auch Listen mit typischen Ingredienzien, nach denen die Labortechniker suchen konnten. Das half, spezielle Marker zu identifizieren, mit denen sie den Fleck vergleichen konnten.
ELLE: Sie wollte nicht, dass ich unser Gespräch aufnehme, aber ich habe mich mit der Kriminalbiologin Dr. Forage unterhalten, die mir erklärte, sie hätten das DART-Verfahren im Labor mit einem anderen kombiniert, das man Hochauflösende Massenspektrometrie nennt. Auf diese Weise konnte die genaue Teesorte identifiziert werden, von der der Fleck höchstwahrscheinlich stammt, nämlich von einem teuren losen Darjeeling, der aus Indien importiert wird und bei dessen Herstellung ein patentierter Fermentationsprozess zur Anwendung kommt. Eine Sorte namens Majestic Sterling.
ELLE VOICE-OVER: Kurzer Hinweis an meine Hörer: Ein örtlicher Tee-Experte, den ich interviewt habe, hat mir mehr als eine halbe Stunde lang über den Majestic Sterling referiert, und ich bin sicher, er ist enttäuscht, dass ich hier nichts von der Aufnahme verwende. Tut mir leid, aber das konnte ich euch nicht antun, auch wenn ich höchst dankbar bin, dass er mir seine Zeit geschenkt hat. Die wichtigste Information, die er mir gegeben hat, lässt sich so zusammenfassen: Das ist kein mittelmäßiger Darjeeling, den man im Supermarkt um die Ecke kauft. Majestic Sterling kostet fast einen Dollar das Gramm.
SYKES: Ich bin Kaffeetrinker und habe auch keine Ahnung von Chemie oder Biologie, aber wenn Sie mit Dr. Forage gesprochen haben, haben Sie die besten Informationen, die Sie kriegen können. Sie ist in Hennepin die führende Expertin auf diesem Gebiet und hat die letzten Tests persönlich durchgeführt. Sie lehnt es kategorisch ab, in den Medien aufzutreten, aber sie kennt sich echt aus.
ELLE: Wie ich gehört habe, führte die Identifikation der Substanz als Oolong-Tee im Ermittlerteam zu einer ersten größeren Debatte darüber, welche Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben und welche geheim gehalten werden sollten. Letztlich haben Sie entschieden, die Öffentlichkeit zu informieren, in der Hoffnung, damit jemanden, der ohnehin schon einen Nachbarn oder ein Familienmitglied in Verdacht hatte, dazu zu bringen, sich bei der Polizei zu melden. Ist das richtig?
SYKES: Ja, das ist richtig. Das war der erste Punkt in diesem Fall, von dem ich sicher sagen kann: Das war ein Fehler. Wir hätten das nicht tun sollen.
ELLE VOICE-OVER: Mehr dazu nächstes Mal in Justice Delayed …
9. Januar 2020
Elle rief Martín und Sash von der Küchentür aus zu, dass sie gleich zurück sei, und rannte hoch ins Studio.
Sie öffnete die E-Mail auf ihrem Rechner. Außer dem Betreff enthielt sie nur eine Textzeile – eine Telefonnummer. Elle gab sie in ihr Handy ein und hielt den Atem an, während sich die Verbindung aufbaute. Beim vierten Klingeln sagte ein Mann mit mexikanischem Akzent: »Hallo?«
»Ja, hallo, hier ist Elle Castillo vom Podcast Justice Delayed.« Sie schaute auf den Absender der E-Mail: »Spreche ich mit Leo Toca?«
Einen Moment lang herrschte Stille. Sie schaute auf ihr Telefon, um zu überprüfen, ob das Gespräch unterbrochen worden war, aber nein, die Leitung stand noch. »Haben Sie mir vor ein paar Minuten eine E-Mail geschickt?«
»Ich weiß, wer er ist.«
Elle rang nach Luft. Ist. Sowohl in der E-Mail als auch jetzt am Telefon benutzte der Mann die Gegenwartsform. Sie versuchte, ruhig zu sprechen: »Und woher wissen Sie das?«
Er sprach so hastig, dass er sich zu verhaspeln drohte: »Ich wusste schon lange, dass mit dem was nicht stimmt. Und als ich vor ein paar Tagen in Ihre neuste Staffel reingehört hab, hab ich gemerkt, dass es Parallelen zu Ihrem Fall gibt. Er war in den Gegenden, wo die Frauen umgebracht wurden. Und er hat den teuren Tee bei sich stehen, den sie auf der Hose von der einen Frau gefunden haben. Ich bin ganz sicher. Ich hab auch den Beweis, aber weil mir eh keiner glaubt, hab ich Ihnen geschrieben. Sie müssen mir helfen, bevor es zu spät für sie ist.«
»Langsam, Leo. Zu spät für wen?«
Es folgten wieder zwei Sekunden Stille, dann sagte er: »Wann können wir uns treffen?«
»Jetzt, jetzt sofort«, antwortete Elle mit heiserer Stimme. »Wohnen Sie hier in den Cities? Wie wär’s, wenn wir uns irgendwo in einem Diner treffen?«