Der Dom trägt Schwarz - Klaus E. Spieldenner - E-Book

Der Dom trägt Schwarz E-Book

Klaus E. Spieldenner

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Beschreibung

… DOCH IN TRAUER FÜHLEN WIR UNS GEBORGEN – BIS IN EWIGKEIT Ein Schock für die Hamburger DOM Schausteller: Mehr als drei Jahrzehnte nach dem schrecklichen DOM-Unfall 1981 wird der Inhaber der Geisterbahn "Zombie Land" erschlagen aufgefunden. In einem Erpresserbrief fordern Unbekannte fünf Millionen Euro – ansonsten drohen sie mit Schrecken und Blutvergießen. Der nächtliche Stromausfall sowie weitere Anschläge auf den DOM lassen schnell klar werden, die Erpresser meinen es ernst! Die Schausteller umgibt eine Mauer des Schweigens. Gelingt es den Kommissaren Sandra Holz und Alexander Schweiss, sie zu durchbrechen, oder muss der Sommerdom vorzeitig abgebrochen werden? Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, um endlich Licht in das Dunkel des Heiligengeistfeldes zu bringen.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Über den Autor

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Klaus E. Spieldenner

Der DOM trägt Schwarz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

© 2016 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: C. Riethmüller

Der Umschlag verwendet Motiv(e) von 123RF.com

eISBN: 978-3-8271-9890-7

EPub Produktion durch ANSENSO Publishing www.ansensopublishing.de

Der Roman spielt hauptsächlich in allseits bekannten Stätten, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

 

 

Über den Autor:

Klaus E. Spieldenner, 1954 im Saarland geboren, verbrachte eine unbeschwerte Kindheit im grenznahen Überherrn. Schon früh spielte er Gitarre und nach Schule und Lehre wurde er 1974 als Grundwehrdienstleistender zur Luftwaffe eingezogen. Nach fünf Standortwechseln mit einer vierjährigen Auslandsverwendung wurde der Feuerwerker 2007 nach dreiunddreißig Dienstjahren in den Ruhestand versetzt. Nun begann er mit dem Schreiben. Zunächst veröffentlichte er zwei Bücher unter dem Pseudonym Renne D. Leips. Eines handelte von seiner langjährigen Cover-band. Titel: Danke für die Appläuse. Danach beschreibt er die erlebnisreiche Zeit seiner Lehre im saarländischen Wadgassen (Lehrjahre sind keine Herrenjahre). Die Sozialkrimis „Enzo Demenzo, Einbein-Klein und das Flaschenkind“ sowie „ALtCATRAZ 2037 – ... Prinz, wach auf!“ erschienen 2011 beziehungsweise 2013. Am 25. Januar 2013 wurde im Leda-Verlag in Leer der erste Regionalkrimi mit der Oldenburger Kommissarin Sandra Holz veröffentlicht. Der Titel lautet: „Unter Flutlicht“. Im selben Jahr wurde „Und Stille wie des Todes Schweigen“ im Verlag CW Niemeyer veröffentlicht.

Neben dem Schreiben ist er Gitarrist und lebt mit seiner Ehefrau in Bad Oldesloe. Sie haben zwei erwachsene Kinder und Enkel Joris.

... die Situation an diesem Sommerabend war extrem unwirklich. Es herrschte fast totale Stille. Die Toten waren mit Decken verhüllt. Nur um einen Schwerverletzten bemühten sich die Notärzte noch. Doch er starb ihnen unter den Händen.

(Zitat und Foto: „© Thomas Hirschbiegel, Hamburger Morgenpost, 1981)

Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich.

Theodor Heuss

Prolog

Hamburg, 14. August 1981

Ein lauter Knall! Verzweifelte Schreie? Hein-Hendrik Jebsen überfiel eine seltsame, ihm unbekannte Angst und regungslos verharrte er auf der Stelle. Der 23-jährige Schiffsbaustudent war soeben dabei, die Stühle vor dem Szenelokal DOMäne an der Budapester Straße zusammenzuräumen. Er bemühte sich, diesen Vorfall als bedeutungslos abzutun: Die Schreie gehörten sicher bloß jauchzenden Fahrgästen einer letzten Karussellfahrt, bevor der Hamburger DOM über Nacht seine Pforten schloss.

Der Himmel über der Hansestadt in dieser Augustnacht 1981 war sternlos und tiefschwarz. Hein-Hendrik Jebsen hielt noch immer inne und lauschte. Doch alles blieb ruhig. Er sog die kühle Luft tief in seine Lungenspitzen. So kurz nach Mitternacht dieses gerade aufkeimenden Freitags hatte sich der Verkehr ein wenig beruhigt und ließ das Atmen zu einer Wohltat werden. Der groß gewachsene Mann mit dem blonden Kurzhaarschnitt blickte auf seine Armbanduhr: 0.57 Uhr. Er hatte Silje versprochen, sich mit ihr um ein Uhr auf dem DOM beim Karussell Sky Dancer zu treffen, und bis zu diesem Zeitpunkt waren es nur noch drei Minuten. Hein-Hendrik wollte mit Pünktlichkeit glänzen, aber danach sah es nicht aus. Das ärgerte ihn, doch die Abrechnung seines abendlichen Kellnerjobs – hier so nahe beim Hamburger DOM – hatte mehr Zeit als sonst in Anspruch genommen. Jetzt noch das abschließende Aufräumen des Außenbereichs ... nein, er würde es nicht mehr schaffen. Trotzdem beschleunigte er das Zusammenklappen der letzten Stühle. Plötzliche Sirenengeräusche in der Ferne ließen ihn aufhorchen. Nichts Ungewöhnliches in Hamburg. Das gehörte dazu wie die Parkprobleme, volle U- und S-Bahnen und der FC St. Pauli. Aber dem Schiffsbaustudenten machten diese schrillen Klänge gerade schwer zu schaffen. Er konnte nicht sagen, warum. Kamen die Einsatzfahrzeuge näher? Trotz intensivem Lauschen fiel es ihm – aufgrund des Straßenlärms – schwer, das genauer zu definieren. Sicher handelte es sich um einen Autounfall in einer der angrenzenden Straßen, beruhigte er sich.

Hein-Hendrik hatte Silje, die 20-jährige Dänin, erst vor knapp zwei Wochen kennengelernt. Hier in der Kneipe waren sie sich zum ersten Mal begegnet. Im Nachhinein wusste er nicht mehr, wie es dazu kam, aber er hatte die junge Frau einfach angesprochen und sich mit ihr verabredet. Das entsprach sonst nicht seiner Art. Er grinste bei dem Gedanken, während er den letzten Stuhl zusammenklappte und kurz in den Gastraum ein „Bis heute Abend“ rief.

Rennend überquerte er – die roten Fußgängerampeln ignorierend – die Budapester Straße und betrat keuchend und mit kurzem Atem das Hamburger Heiligengeistfeld. Diese Begegnung mit der jungen Frau kam für ihn ganz unverhofft. Tragisch war, dass er mit Freundin Jenny zusammenlebte. Sie hatten vor wenigen Monaten eine gemeinsame Wohnung bezogen – und dann plötzlich, wie aus heiterem Himmel, diese Begegnung mit Silje. Die Dänin hatte ihn aufgerichtet, aber im gleichen Augenblick einen Schlag in die Magengegend verpasst. So hatte er es definiert. Hein-Hendrik fröstelte und er zog den Reißverschluss seiner Jacke höher. Sicher lief beim Zusammenleben mit Jenny nicht alles so, wie es sein sollte. Ihre Hobbys waren unterschiedlich, auch ihre politischen Ansichten. Speziell die, die Hein-Hendrik – Sohn einer Angehörigen der dänischen Minderheit – vertrat. Oft hatte er sich seit dem Bezug der gemeinsamen Wohnung gefragt, ob diese Beziehung sinnvoll erschien und dauerhaft sein würde und was genau Liebe sei. Letztendlich verstanden Jenny und er sich ja und teilten neben dem Bett auch Miete und Nebenkosten der Wohnung. So waren sie in der Lage, sich im teuren Hamburg einen geringen Luxus erlauben zu können. Da ging es dem Paar bedeutend besser als vielen anderen Studenten in der hochpreisigen Hansestadt.

Das Riesenrad auf dem Sommerdom leuchtete hoch über ihm, als Hein-Hendrik auf dem Heiligengeistfeld nach rechts abbog. Gegenüber seines derzeitigen Standortes – jetzt fast im Dunkeln – lag der Bürokomplex des FC St. Pauli und daran angrenzend das Fußballstadion des Vereins. Wie ein Fels in der Brandung erhob sich davor das Riesenrad und schien mit seinem mittig angeordneten Hamburger Wappen um möglichst viel Beachtung zu betteln. Nur vereinzelte Buden nahe des DOM-Eingangs hatten noch geöffnet. Die Fahrgeschäfte waren gänzlich geschlossen, überblickte er kurz. Zwei Männer kamen ihm – eingehakt und lachend – entgegen. In der DOM-Bäckerei schimmerte trotz herabgelassener Rollläden noch Lichtschein und die letzten Geruchsfetzen von gebrannten Mandeln und süßer Zuckerwatte waren inzwischen denen von fettigen Fritten, Bockwürsten und Bier gewichen. Hungergefühl machte sich im Magen des jungen Mannes breit. Er nahm sich vor, später mit Silje noch etwas essen zu gehen. Die Dänin und der Flensburger hatten nur wenige Sätze miteinander gewechselt, als für beide schnell feststand, sie gehörten zusammen. Die junge Frau wohnte während der Semesterferien in Norderstedt bei einem befreundeten Ehepaar. Und ihre Absicht war es, die schlechten Deutschkenntnisse in Hamburg zu verbessern. So herrschte keinerlei Sprachbarriere zwischen den beiden. Hinzu kam, dass Hein-Hendrik auf der Flensburger Duborg-Skolen jahrelang dänisch gelernt hatte.

Während der junge Mann den DOM-Weg entlangspazierte, sah er Silje vor seinem geistigen Auge so, wie er sie seit ihrer ersten Begegnung in Erinnerung hatte: Eine schlanke, große Rothaarige in ihrem jeansfarbenen Hosenanzug.

Diese seltsame Stille heute Nacht auf dem DOM verursachte bei Hein-Hendrik urplötzlich Angstzustände. Er fühlte Gänsehaut unter dem Stoff seiner dünnen Jacke. Sogleich wurde ihm die fortgeschrittene Stunde bewusst und er unterdrückte weitere Gedanken in diese Richtung. Bald würde er Silje in seine Arme schließen. Sein Herz antwortete sogleich mit einer Extrasystole. In wenigen Metern Entfernung blinkten ihm die farbig beleuchteten Gondeln des Flugkarussells Sky Dancer entgegen. Daneben – im Dunkeln – die riesige Loopingbahn. Seitlich nahm er die Rundumleuchte eines Blaulichts wahr. Ein Blaulicht? Das konnte nur von einem Kinderkarussell stammen, überlegte er. Aber um diese Zeit? Erneut machte sich Erschrockenheit über diese anhaltende und seltsame Stille in seinem gesamten Körper breit und er fühlte wieder diese ihm bisher unbekannte Angst. Instinktiv beschleunigte er seine Schritte, diese letzten Meter bis zum Ziel, als ihn eine Person anhielt. Der junge Mann hatte den uniformierten Polizeibeamten nicht sofort gesehen und war fast auf ihn geprallt.

„Sie können hier nicht durch.“ Die Stimme des Beamten klang dunkel und tief und passte zu der nächtlich eisigen Atmosphäre. Erst jetzt registrierte Hein-Hendrik das Absperrband vor sich, das quer über den Fußweg verlief. Überrascht suchte er im wenige Meter entfernten Geschehen nach dem Grund seines ungeplanten Halts. Seitlich neben der abgedunkelten Loopingbahn machte er einen großen Autokran aus. Der Teleskopausleger des Fahrzeugs extrem weit ausgefahren, ragte er wie ein warnender Finger in den Hamburger Nachthimmel. Daneben hatte man einen Polizeiwagen abgestellt, mit Blaulicht, und unweit davon einen Krankenwagen. Der technisch versierte Student erfasste die Lage sofort richtig und spürte dabei, wie sein Herz den gleichmäßigen Rhythmus verließ. Der untere Teil des Kranarmes schien eingeklemmt zwischen den Gondeln des Sky Dancer zu stecken, und jetzt fiel dem Flensburger auch auf, dass einige der Gondeln abgerissen waren oder nur noch in Teilen an ihrer Befestigung baumelten.

„Ein ... Unfall ...?“

Der Beamte sagte kein Wort, nickte nur.

„Ich bin mit meiner Freundin verabredet. Gab es Verletzte?“ Hein-Hendrik stotterte und es erschien ihm trotz der Situation unangemessen. Er war etwas seitlich getreten, um eine bessere Sicht auf den Karussellvorplatz zu haben. Dort erkannte er Menschen in unkoordinierter Bewegung, aber auch Gegenstände, die – mit weißen Laken abgedeckt – auf dem Boden lagen.

„Silje!“

Hein-Hendrik hatte sich unter das Absperrband gebückt und war unvermittelt losgelaufen. Der Beamte konnte dem sportlichen Studenten nichts entgegensetzen. Keine 100 Schritte später hielt der junge Mann vor den Treppen des Sky Dancer. Um sich herum nahm er Wimmern und Weinen sowie unkontrollierte Geschäftigkeit war. Wie durch einen Schleier mutmaßte er, dass es sich bei den vermeintlichen Gegenständen um menschliche Körper handeln musste. Leichen, die unter weißem Stoff auf dem Asphalt lagen. Ihm kam dieses ganze Jahrmarktszenario so unreal vor. Aufbauten für einen Kriminalfilm? Der Lärm innerhalb der Stille schmerzte ihn. Dazu die bizarre Beleuchtung, das leise Weinen, das Wehklagen und die unpassenden, laut eingeforderten Anweisungen. Auf einen Schlag setzte sich das ganze Puzzle in seinem Kopf zusammen. Das Ausmaß dieser nächtlichen Tragödie hier auf dem Hamburger Sommerdom wurde ihm blitzschnell bewusst. Tränen trübten seinen Blick und er rieb sie sich hastig aus den Augen. Dann zählte er fünf, nein sechs Leichen und fühlte, wie ihm die Beine wegsackten. Ein Geländer – wenige Zentimeter von ihm entfernt – verschonte ihn vor dem Zusammenbruch. Auf dem Boden vor sich machte er zahlreiche Gegenstände aus. Sie lagen auf dem Aluminium des Fahrgeschäftes. Dort, wo das Licht von Scheinwerfern im Stroboskoptakt seine Farbe auf dem glänzenden Metall veränderte. Den Blick durch Tränen leicht verzerrt, erkannte er einen Schuh, nein zwei – von unterschiedlicher Größe. Hier lag eine Handtasche, dort eine Brille mit zerbrochenen Gläsern. Er musste seinen Blick abwenden, es war nicht auszuhalten. Dazwischen und daneben bewegten sich – unwirklich wie in einem schlechten Kinofilm – junge Menschen. Sie schienen auf der Suche nach medizinischer Hilfe zu sein. Hein-Hendrik glaube Ärzte und Sanitäter zu erkennen, die bemüht waren, die schlimmsten Verletzungen zu versorgen. Doch wo befand sich Silje? Sicher stand sie seitlich und schaute unverletzt der ganzen Katastrophe zu, betete er. Der Polizist war inzwischen bei Hein-Hendrik angekommen und griff nach seinem Arm.

„Meine Freundin ...?“

„Sicher geht es ihr gut!“, waren die ersten Worte, die Hein-Hendrik Jebsen von dem Beamten hörte.

Der schob den Studenten etwas unsanft in Richtung einer weiteren Absperrung. Kaum zwei Meter von den beiden entfernt, bückte sich gerade ein zweiter Uniformierter zu einer Leiche. Er hatte das Laken ergriffen und hob es etwas an. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er darunter und für einen Moment setzte bei Hein-Hendrik der Herzschlag aus. Im Schein des Strahls erkannte er ein blutiges, vollkommen entstelltes Gesicht. Wieder begannen sich seine Augen mit Tränen zu füllen. Sein Herzmuskel holte die fehlenden Schläge nach und Hein-Hendrik spürte den heftigen Schlag im Brustkorb. Um das Gesicht der Toten herum lag ein Kranz von langem, rotem Haar. Der junge Mann erkannte jeansfarbene Träger. Ihm war sofort klar, sie gehörten zu einem Hosenanzug. Aber nein, das schien unmöglich! Erneut riss er sich los und dieses Mal ließ der Polizist ihn gewähren. Regungslos schaute er zu, wie der junge Mann sich blitzschnell neben den Uniformierten und die Leiche fallen ließ. Hein-Hendrik kam es vor wie fremdgesteuert und er spürte nicht, dass er sich bei dem Aufprall beide Knie wund gescheuert hatte.

„Lieber Gott, bitte nicht Silje!“, schrie er und fiel in sich zusammen. Sein Schmerz war grenzenlos.

1

Montag, 27. Juli 2015

(Noch 27 Tage bis Ende des Sommerdoms)

Hauptkommissar Alexander Schweiss lehnte regungslos mit der Stirn an der Fensterscheibe seines Büros im dritten Stock des Polizeipräsidiums in Hamburg-Alsterdorf. Beide Hände in die Hüften gestemmt und den Kopf geneigt, zeigte lediglich die von seiner Atemluft angefeuchtete Glasscheibe ein Lebenszeichen des 58-Jährigen. Auch als der Leiter der Mordkommission, Kriminalrat Holger Breit, den Raum betrat und sich neben ihn stellte, regte sich der Hamburger nicht.

„Wie ich sehe, erfreust auch du dich über das Graffiti dort unten“, meinte Breit nach einer Weile.

Schweiss entfernte sich um einige Zentimeter von der Scheibe, antwortete aber nicht.

Scheinbar mit einem Ausdruck der Bewunderung glitt der Blick des Dienststellenleiters die etwa zehn Meter nach unten zur Tiefgaragenauffahrt des Polizeigebäudes am Bruno-Georges-Platz. Dort hatten Unbekannte in der Nacht auf einer Länge von 4,60 Meter und einer Höhe von 2,50 Meter – irgendwelche Kollegen hatten es ausgemessen und die Maße verbreitet – ein buntes Graffiti auf den ansonsten grauen und verwitterten Beton gesprayt. Die riesigen Buchstaben SDSD waren unschwer zu lesen und sie erinnerten Breit unweigerlich an die Talentshow im Fernsehen mit Dieter Bohlen. Eigentlich hätte er es als Dummejungenstreich abgetan, wenn da nicht diese Worte oberhalb der Zeichnung gewesen wären. In blutroten Lettern auf weißem Grund stand dort ERMORDET Oz. Zumindest deutete Breit, aber auch einige seiner Kollegen, mit denen er heute Morgen darüber gesprochen hatte, die letzten beiden Buchstaben als ein großes „O“ und ein kleines „z“.

„Hat es der Abschaum nun auch bis hierher geschafft!“

Kriminalrat Breit erschrak über die lauten Worte. Er war in Gedanken vertieft und hatte nicht mit einer solchen Äußerung vonseiten des Kollegen gerechnet.

„Wie konnte so etwas geschehen? Haben die Ärsche des Wachdienstes gepennt? Wir machen uns doch lächerlich, vor aller Welt ...!“

Erneut hatte sich Schweiss zu Wort gemeldet, doch Breit schien vorbereitet. „Alex, ich möchte dich bitten, deine Kommentare etwas gesitteter von dir zu geben. Ich weiß, es geht dir gesundheitlich nicht so besonders und das ist sicher bedauernswert. Aber du hast mein Angebot, dich krankheitsbedingt in den Vorruhestand zu schicken, vehement abgelehnt. Also bitte, zügele deine Ausbrüche und lass deine ...!“

Schweiss hatte nun den Kopf etwas in Richtung seines Vorgesetzten gedreht. Er unterbrach den Satz Breits mit den Worten: „Was soll das, Holger, mit dem ... Ermordet Oz?“

Breit antwortete umgehend. „Du kennst sicher die Geschichte dieses uneinsichtigen Sprayers, Walter Josef Fischer – genannt Oz –, der Hamburg mittels Spraydosen seit 1992 verschandelt hat! Er starb im September letzten Jahres auf den Gleisen der S-Bahn.“

Breit hatte kurz eine Reaktion seines Kollegen abgewartet. Aber als sich nichts regte, fuhr er fort: „Ja, und nun liegt uns eine Anzeige vor, dass Fischer einem Gewaltverbrechen zum Opfer ...“

Kriminalrat Breit hatte mitten im Satz gestoppt. Ihm war plötzlich die farbliche Veränderung im Gesicht von Alexander Schweiss aufgefallen. Vom gesunden Weiß in ein gefährliches und ungesundes tiefes Rot. Schweiss brüllte plötzlich los wie von einer Tarantel gestochen: „Den hat sicher die DDR damals ausgeschissen ...“, und mit einer Verzögerung und etwas leiser fügte er hinzu, „... in den Westen!“

Schweiss’ Worte hatten den Kriminalrat zusammenzucken lassen und dieser machte einen leicht unbeholfenen Schritt seitwärts.

„Jetzt ist aber Schluss, Hauptkommissar Schweiss. Ich erwarte Sie gleich in meinem Büro!“ Breit drehte sich abrupt auf der Stelle um und verließ mit kalkweißem Gesicht das Zimmer. Vorbei an einigen herbeigeeilten Ermittlern der Mordkommission Hamburg, entschwand er im langen Flur.

Als Alexander Schweiss wenige Minuten später durch den gleichen Flur zum Büro des Dienststellenleiters stampfte, kam ihm das wie ein Spießrutenlauf vor. Viele seiner Kollegen – so glaubte er – waren einer ähnlichen auflehnenden Meinung wie er. Doch sie hielten sich – des lieben Friedens willen – damit zurück. Das machte ihn wütend. Sicher hatte Kriminalrat Breit recht mit seiner Vermutung, es ginge ihm schlecht. Obwohl sich seine Nierenfunktion seit Anfang des Jahres 2015 verbessert hatte und die Ärzte die Dialyse von zweimal auf einmal die Woche reduzierten, blieben die Beschwerden. Und dieser Druck und die Schmerzen trieben ihn langsam in den Wahnsinn, da war er sich sicher. Er hatte vor einigen Wochen die Dialysestelle gewechselt. Von Hamburg zum Dialysezentrumnach Bad Oldesloe. Dort hatten die Ärzte erneut die Medikamente umgestellt. Sie erklärten aber auch, es könne Wochen dauern, bis diese anschlugen und sein Wohlbefinden sich spürbar verbesserte. Auf jeden Fall fühlte er sich in Bad Oldesloe gut aufgehoben und nicht als Durchgangspatient wie die Monate zuvor in Hamburg.

Das Büro von Kriminalrat Breit lag ganz vorne im Flur und die Tür stand offen. Das war üblich hier beim LKA 41 und wie Schweiss bekannt war, praktizierten das auch die meisten anderen Dienststellen im Haus. Wenn man nicht gestört werden wollte, schloss man seine Bürotür. Stand sie offen, wusste jeder, man durfte hineingehen – so war es im Polizeipräsidium Hamburg geregelt.

Während Schweiss eintrat, nahm er einen Mann vor Breits Schreibtisch wahr und zunächst fiel dem Hauptkommissar nicht ein, um wen es sich handelte. Erst als dieser sich zu ihm umdrehte, erkannte er den Kollegen Bernd Silwer. Schnell kramte der gebürtige Hamburger in seiner Erinnerung. Aber nur bruchstückartig fielen ihm Details zu Bernd Silwer ein: Der Oberkommissar leitete lange Zeit die SOKO Graffiti, bis er irgendwann abgelöst wurde. Er verschwand dann ganz plötzlich in der Versenkung und Schweiss meinte sich daran zu erinnern, dass von Burn-out gesprochen wurde. Schweiss hielt nicht viel von dieser seltsamen Krankheit, von der plötzlich so viele seiner Kollegen betroffen schienen. Seine Meinung dazu war, dass sie – ähnlich wie Jahre zuvor der Tinnitus – gute Chancen auf frühes Ausscheiden aus dem Dienst bei vollem Gehalt bot.

Als Silwer sich komplett zu ihm umgewandt hatte, erschrak Schweiss. Dieser Mann war sicher keine vierzig Jahre alt und besaß Augenringe – so groß und dunkel wie die Sonnenbrille von Brigitte Bardot. Das schien ihm nicht normal. Sogleich fühlte er, wie seine Beschwerden etwas in den Hintergrund rückten. Er hielt Silwer die Hand hin und stotterte herum. Auf keinen Fall jetzt nach dessen Wohlbefinden fragen, nahm er sich vor. Der Oberkommissar versuchte ein Grinsen, aber es misslang. Silwer drückte ihm lust- und kraftlos die entgegengestreckte Hand und schob sich dann an Schweiss vorbei nach draußen.

„Tür zu!“, herrschte der Kriminalrat den Hauptkommissar an und Schweiss erschrak. Diesen Ton des sonst so freundlichen Vorgesetzten kannte er nicht und sogleich fiel ihm die dumme Situation in seinem Büro vor wenigen Minuten wieder ein. Schweiss tat wie ihm geheißen und wollte sich setzen, als Breit brüllte: „Habe ich etwas von Setzen gesagt?“

Verdutzt registrierte der Hauptkommissar das plötzlich veränderte Auftreten seines Vorgesetzten, als dieser schließlich zu sprechen begann: „Ich habe es dir schon x-mal gesagt, Alex ...!“

Zumindest blieb der Kriminalrat beim bisherigen Du, registrierte Schweiss die Ansprache.

„... überlege, welchen geistigen Dünnschiss du von dir gibst. Und nun setz dich!“

Dankbar nickend, setzte sich der Kriminalbeamte auf den Bürostuhl.

„Ich denke, wir sind an einem Punkt angekommen, an dem ich – nicht nur als dein Vorgestezter, sondern auch als Freund – einschreiten muss. Es liegt mir fern, dich in den vorzeitigen Ruhestand zu zwingen. Andererseits bringen uns auch – wie schon erlebt – Disziplinarmaßnahmen bei dir nicht weiter. Wie erklärt, bin ich, was deine Nierenprobleme angeht, völlig im Bilde. Aber wenn jeder, der hier im Haus Schmerzen hat oder sich nicht wohlfühlt, versucht, mit irgendwelchen dummen Parolen Abhilfe zu schaffen, kann ich das nicht dulden.“

Breit hatte eine kurze Pause eingelegt und nach einem Glas Wasser gegriffen. Er hielt es hoch und zeigte damit fragend auf Schweiss.

„Nein, danke!“

„Alex, du weißt, ich schätze dich sehr. Du hast hier Enormes geleistet, und wäre nicht deine Krankheit dazwischengekommen, würdest sicher du auf diesem Stuhl sitzen. Aber ich kann solche Kraftausdrücke, ja fast nazistische Ausbrüche nicht dulden.“

Schweiss war bemüht, ein entschuldigendes Gesicht aufzusetzen, und es schien ihm zu gelingen.

„Gut, Alexander Schweiss. Du hast damit die Grenze schon überschritten und den Bonus, den du bei mir hast, eingefordert. Du weißt, was das heißt?“

Schweiss bejahte kräftig.

„Es gibt kein nächstes Mal! Klar?“

„Klar!“

„Du hast den Kollegen Silwer gesehen. Er ist, nach einer längeren Krankheit, seit ein paar Tagen wieder im Dienst, sozusagen zur Wiedereingliederung. Ich sprach eben in deinem Büro von einer Anzeige. Ich gehe stark davon aus, dass du dich erinnerst?“

Nur zu gut erinnerte sich Schweiss daran und zeigte das mit heftigem Kopfnicken. Ein schmerzhaftes Stechen war die Antwort – fast hätte er sich einen Halswirbel ausgerenkt. Er nahm sich vor, Kopfbewegungen langsamer angehen zu lassen.

„Diese Anzeige kommt von einem Mann, der eine Galerie in der Hamburger Norderstraße betreibt. Die Galerie NorderArt, die sich eher mit Street-Art und Graffiti-Kunst befasst. Du verstehst?“

Kunst und Kultur waren nichts für den Kriminalbeamten. Davon hatte er keine Ahnung, aber er wollte es sich nicht anmerken lassen. Sicherheitshalber nickte er vorsichtig und fasste sich dabei an den Hinterkopf.

„Die Anzeige von ...“, Breit griff nach einem Ordner und schaute darauf, „... BoriZ Wendland sagt aus, dass er glaubhafte Informationen hat, die gegen einen Unfalltod Fischers alias Oz sprechen.“

In Schweiss kam etwas Galle hoch, als der Name fiel, und für einen Moment hatte er das Bedürfnis, aus dem Bürostuhl aufzuspringen. Doch der ernste Blick seines Gegenübers hielt ihn davon ab.

„Egal wie du zu Fischer – also diesem Oz – oder zu irgendwelchen anderen Mitbürgern im Osten oder auch im Westen stehst, wenn hier jemand begründete Zweifel am Unfalltod eines MITMENSCHEN hat ...“, das Wort Mitmenschen hatte Breit betont, „... ist es unsere Pflicht, die Ermittlungen aufzunehmen und ...!“ Breit brach ab. „Oh Gott, jetzt komme ich mir albern vor. Wie ein Dozent vor Studenten der Polizeiakademie. Dir muss ich sicher nicht ...?“

Schweiss schüttelte vorsichtig seinen Kopf.

„Silwer war ein paar Jahre in der SOKO Graffiti, bis er ...!“ Der Kriminalrat machte eine Pause. „Also, ich möchte, dass ihr gemeinsam heute Abend diesen Wendland aufsucht und schaut, was Sache ist. Ich glaube, wir hatten 22 Uhr abgemacht. Aber überprüft das bitte noch einmal. Und, Alex, gehe behutsam mit dem Kollegen Silwer um. Der ist noch nicht ganz auf der Höhe.“

Schweiss wurde plötzlich bewusst, dass dieses seltsame Team nur aus zwei angeschlagenen Ermittlern bestand.

Er war aufgestanden und während dieses Vorgangs erinnerte er sich daran, dass der Kriminalrat noch nicht das Ende der Besprechung erklärt hatte. Er schaute dem Chef ins Gesicht. Doch der machte inzwischen einen entspannten Eindruck und hob dazu die Hand zum Gruß.

Schweiss drückte den Türgriff nach unten. Er war im Begriff, den Raum zu verlassen, als Breit von hinten rief. Der Angesprochene drehte sich noch einmal um.

„Alex, was ich dir noch sagen wollte: Oz, also Walter Josef Fischer, ist ein gebürtiger Heidelberger!“

Bernd Silwer hatte draußen im Flur auf den Kollegen gewartet. Schweiss hatte sofort den Wunsch geäußert, den Platz aufzusuchen, an dem Walter Josef Fischer von einer S-Bahn erfasst wurde. Silwer hatte zugestimmt und nun liefen beide schweigend zum Aufzug. „Wollen wir einen Wagen nehmen?“, fragte der Oberkommissar, und Schweiss zuckte mit den Schultern. „Wenn du die Unfallstelle Fischers anschauen möchtest, wäre die S-Bahn zu empfehlen.“ Schweiss nickte, lief zurück und besorgte zwei HVV-Karten.

Auf der Fahrt von Alsterdorf zum Hamburger Hauptbahnhof schwiegen sich die Kriminalbeamten an. Schweiss nutzte die Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Einige Tage nach Abschluss dieser hochkarätigen Sache mit dem Organhandel im letzten Jahr wurde ihm von Kollegin Sandra Holz ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Auch, dass Luca-Matteo und sie – in aller Stille während seines Krankenhausaufenthaltes – geheiratet hatten. Das war zunächst ein Schock für Schweiss. Gerade glücklich, diese talentierte und ehrgeizige Kriminalbeamtin nach Hamburg geholt zu haben, entschwand sie schon wieder seinem Zugriff. Er hatte sich – durch die Zuversetzung der neuen Kollegin zur MoKo – eine enorme Entlastung versprochen. Doch nicht genug: Als Sandra endlich offiziell in Hamburg eingeführt war, stellten sich Komplikationen bei ihrer Schwangerschaft ein und die junge Frau verbrachte bis zur Niederkunft zahlreiche Wochen liegend zu Hause und im Krankenhaus. Am 8. März 2015 kam die kleine Lara Sophie zur Welt. Erst hatte Sandra den Kollegen und Lebensretter gefragt, ob er Taufpate werden wollte, und Schweiss hatte, ohne nachzudenken, freudig zugestimmt. Dann aber musste sich die Familie von Luca-Matteo anders entschieden haben. Typisch Italiener halt, schmunzelte der Hauptkommissar, während die Wagen der Linie U 1 in die Haltestelle Klosterstern einfuhren. Inzwischen war die kleine Lara Sophie schon fünf Monate alt, entwickelte sich prächtig und Sandra befand sich noch bis März 2016 im Erziehungsurlaub. Nicht, dass Schweiss es der Kollegin missgönnte. Nein, sie hatte genug durchgemacht. Allein das tagelange Bangen um das Leben des vermissten Freundes und Vaters ihres Kindes. Aber bei seinem Glück kam Sandra gerade rechtzeitig zurück, wenn er seine Pension antrat. Na super, dachte er, und verdrängte den Gedanken schnell. Er lenkte sich ab, indem er Silwer ansprach. Beide Beamte saßen allein in einer Ecke des U-Bahnwagens und Schweiss wollte von dem Kollegen Informationen über den Einsatz der SOKO Graffiti.

„Du warst als Leiter der SOKO eingesetzt?“

Silwer nickte. „Ja, fast zwei Jahre. Bis ich ... ja, ich wurde krank und bin dann dort raus.“

„Erzähl doch mal etwas über die Arbeit dieser SOKO.“

„Was soll ich dir erzählen? Wir wurden aufgestellt, als die Sache mit der Beschmutzung hier in Hamburg überhandgenommen hatte. Sprayer wie dieser Fischer leisteten einen großen Anteil dazu. Und später, so erzählten mir die Kollegen, jagten sie nur noch diesen behinderten Oz. Das war eine ganz böse Sache.“

Die Bahn fuhr im Hauptbahnhof ein und sie schlenderten zu den Gleisen der S 3.

„Die Stelle, an der Fischer von der S-Bahn erfasst und getötet wurde, liegt kurz hinter dem Hauptbahnhof, in Richtung Hammerbrook, bei der Abdeckung eines Stromleiters. Er hat dort vorher noch rumgeschmiert – also dieses Oz hingemalt. Da der Zugführer keinerlei Rücksicht auf unser Anliegen nimmt und ziemlich flott unterwegs ist, musst du schnell danach schauen. Es kann sein, dass wir vielleicht ein zweites Mal fahren müssen.“

Schweiss nickte. Ihm war aufgefallen, dass Silwer wohl nicht der Meinung dieses Wendlands entsprach, der an ein Tötungsdelikt glaubte.

Sie stiegen in die Bahn und Silwer stellte sich an die gegenüberliegende Tür des Wagens. Schweiss tat es ihm nach. Die Bahn fuhr langsam an, beschleunigte aber, als sie den Hauptbahnhof verlassen hatte. Angestrengt schaute er aus den Fenstern und ihm fiel auf, dass im Glas Zeichen eingeritzt waren. Plötzlich rief der Kollege „Schau, dort!“ und zeigte auf ein weißes Blechband, das parallel zum Zug auftauchte.

„Schon vorbei!“, meinte Silwer.

„Ich habe nichts gesehen“, maulte Schweiss.

„Ich sagte es dir ja. Du musst schnell gucken.“

„Auf der Rückfahrt pass ich besser auf“, grinste Schweiss, doch Silwer winkte ab. „Die Rückfahrt verläuft anders. Wir werden diese Blechabdeckung des Stromleiters nicht genau sehen.“

Schweiss bemühte sich und etwa zwanzig Minuten später, während der nächsten Fahrt mit der S-Bahn, hatte er das kleine Oz-Zeichen – wie von Silwer beschrieben – auf dem weißen Blech entdeckt.

„Ich muss mir unbedingt diese Stelle anschauen“, meinte der Hauptkommissar und ergänzte, „aber nicht im Vorbeifahren.“

„Wie willst du das anstellen, Alex? Glaubst du, die Verantwortlichen der HVV sperren mir nichts, dir nichts ein paar Gleise, nur weil wir einer Schnapsidee nachrennen?“

Schweiss wollte etwas entgegnen, dachte aber plötzlich an die Worte des Kriminalrates. Er beherrschte sich und schob sich durch die Menge von Reisenden zum Kundenservice des HVV in der Wandelhalle.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte der junge Servicemitarbeiter im weißen Hemd wenig später. Alexander Schweiss war zur Verwunderung seines Kollegen ins Kundencenter spaziert und hatte sich am Schalter angestellt. „Warum rufen wir nicht wie üblich die Leitstelle des HVV an?“, wollte er wissen, doch der Hauptkommissar reagierte nicht, und so trabte er schweigend hinterher.

Schweiss wunderte sich, dass der junge Mann am Schalter nach all den Anfragen im Kundencenter des HVV der letzten fünfzehn Minuten noch so freundlich war. Das imponierte ihm. Er selbst hätte schon bei zwei Reisenden vor ihnen seine gute Kinderstube vergessen. Bei dem letzten hatte er sogar kurz überlegt, seinen Ausweis zu ziehen und den Alten in den Senkel zu stellen. Der vielleicht 70-jährige Rentner versuchte doch tatsächlich, den sachlich argumentierenden jungen Mann für eine zweiminütige Verspätung der Strecke von Poppenbüttel zum Hauptbahnhof verantwortlich zu machen. Mit der Begründung, er habe seinen Anschlusszug nach Wien verpasst. Doch Herr V. Evers – wie Schweiss bei näherem Hinsehen auf dem goldenen Schild an dessen Brust lesen konnte – hatte die Sache souverän und deeskalierend gemeistert.

Schweiss zeigte Herrn Evers seinen Ausweis und beglückwünschte ihn zu der „großartigen Leistung von eben“, wie er sagte. Der junge Mann lief rot an und bedankte sich artig.

„Wir ermitteln in einem ...“, Schweiss beugte sich über den Tresen ganz nah an den HVV-Bediensteten und flüsterte: „... Mordfall!“

„Ein Mordfall? Um Himmels willen!“, schrie Evers plötzlich. Sofort wurden sämtliche Tätigkeiten an den anderen Schaltern eingestellt und alle blickten entsetzt in Richtung des Schreienden. Evers hatte seinen Fehler bemerkt und ruderte zurück. „Ein Scherz, ein Scherz!“, rief er und versuchte ein Grinsen.

Nach einer Weile konnte Hauptkommissar Schweiss endlich sein Anliegen vorbringen: „Hören Sie, wir müssen auf der Strecke zwischen Hauptbahnhof und Hammerbrock auf die S-Bahn-Gleise. Hintergrund ist: Wir müssen einen Tatort erkunden.“

Evers schaute zwar etwas verblüfft, doch Schweiss war guter Hoffnung, dass seinem Anliegen Folge geleistet werden würde.

„Sie meinen, wir sollten die S-Bahn-Verbindung zwischen den beiden Bahnhöfen – sagen wir, für 30 Minuten – stilllegen?“

„Genau.“ Schweiss drehte sich mit einem Grinsen im Gesicht zum Kollegen um.

„Hören Sie, Herr Kommissar, Sie sollten wissen, was solch ein Ausfall für den HVV bedeutet. Also, da müssen Sie sich schon an die Herren weiter oben auf der Gehaltsliste wenden. Und auch dort – das glaube ich zumindest – werden Sie sich schwertun, jemanden zu fin-den, der das genehmigt.“ Schweiss zeigte sich verblüfft und Silwer nuschelte: „Habe ich es nicht gesagt?“

„Es sei denn, es ist Gefahr im Verzuge“, fuhr Evers fort. „Aber was halten Sie davon, Herr Kommissar: Montags bis freitags ist nach Betriebsschluss der U- und S-Bahnen des HVV ab 0.30 Uhr der komplette Strom auf den Strecken abgeschaltet. Sie könnten dann – natürlich nach Absprache und in Begleitung unseres Sicherheitspersonals – mit einer guten Lampe zu Ihrem Tatort.“

Zunächst hatte Schweiss über die Worte des HVV-Bediensteten Evers gelacht. Doch dann verstand er: Die einzige Chance, zum Tatort zu gelangen, war tatsächlich, bis spät in die Nacht zu warten.

Schweiss und Silwer hatten ihr Anliegen per Telefon an den Streckenverantwortlichen des HVV weitergegeben und erhielten eine Genehmigung, die Stelle zwischen 1.00 Uhr und 1.30 Uhr aufsuchen zu dürfen. Natürlich nur in Begleitung von Sicherheitskräften, mit denen sich die Kriminalbeamten – so der HVV-Verantwortliche – an der Norderstraße treffen sollten. Silwer verstand noch immer nicht, was Schweiss am Tatort suchte. Der Unfall lag doch schon fast ein Jahr zurück. Hinzu kam, dass es sich um keinen gewöhnlichen Tatort handelte, sondern um eine viel befahrene Bahnstrecke, an der seither sicherlich schon zigmal gearbeitet worden war. Aber der Kriminalbeamte hatte sich seinem Schicksal ergeben und folgte dem Kollegen schon den ganzen Nachmittag geduldig.

Hauptkommissar Schweiss war mit der U-Bahn zurückgefahren und hatte seinen Privatwagen aus der Tiefgarage des Polizeipräsidiums geholt. Nun saßen die beiden Ermittler in der B-Klasse an der Norderstraße und tranken Coffee to go, Silwer hatte ihn an einer nahe gelegenen Tanke gekauft. Die Krankheit und die längere Abwesenheit des Kollegen interessierten Schweiss und er begann, das Gespräch darauf zu lenken: „Ich habe dich lange nicht gesehen!“, log der Hauptkommissar und sofort reagierte Silwer. Wie beim Bruch eines Dammes plätscherte die Krankheitsgeschichte des Kollegen heraus. Schweiss bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Doch es war nicht mehr zu stoppen und letztendlich hörte er interessiert zu.

„Ich hatte ein Burn-out – sagt dir das etwas?“

Schweiss zuckte mit den Schultern.

„Dacht ich mir, wird von vielen als Blödsinn oder gar Modekrankheit abgetan.“

Schweiss stieg etwas Röte ins Gesicht und er hoffte, dem Kollegen war das nicht aufgefallen. „Burn-out hat nicht direkt etwas mit Depression oder Angst zu tun. Das Risiko steigt mit der Belastung. Es beginnt damit, dass deine Strategie aus Anpassung und Leistung nicht zum gewünschten Ziel führt. Bei mir war es die Arbeit, die ich nicht mehr schaffte. Sie wuchs mir über den Kopf.“

Silwer schaute zum Kollegen, und als der schwieg, fuhr er fort: „Du versuchst, die Situation zu retten. Mit allen Mitteln. Und powerst dich aus. Das ist, wie wenn du als Erwachsener mit einem Kinderfahrrad bei der Tour de France mitmachst. Du fährst in einer Endlosschleife.“

Schweiss stellte sich gerade Silwer auf dem Kinderfahrrad vor, ließ es dann aber, weil er seine Gedanken unangemessen fand.

„Ich habe in der Therapie gelernt, dass das Leben nie perfekt sein kann. Dass Kompromisse und Unsicherheiten einfach dazugehören. Es gibt Arbeiten, die kann man nicht alleine erledigen. Dann bleiben sie halt liegen oder du suchst dir Helfer. Das ist das Erste, was du lernst. Und dass du dir Fehler erlauben kannst – dir sogar hin und wieder erlauben musst. Es geht einzig und alleine um die Achtsamkeit. Auf die Achtsamkeit sich selber gegenüber. Wir schauen beim Auto ständignach dem Ölstand. Wir prüfen Luftdruck der Reifen und kümmern uns um Familienmitglieder, Freunde und Kollegen. Aber was ist mit einem selber. Verstehst du? Achtsamkeit – auf dich selber! Das nimmt dir keiner ab, keiner!“

Schweiss glaubte die Worte des Kollegen verstanden zu haben, aber irgendwie hatte er doch noch Fragen. Er zögerte erst, doch dann fasste er sich ein Herz: „Und wie ist es jetzt? Arbeitest du einfach weniger oder wie ist sie jetzt, deine ... Strategie?“

„Ich nehme Belastungsgrenzen nun deutlicher wahr, verdränge Existenzängste und nehme mir mehr Freiheiten heraus. Meine Hilfe anderen gegenüber habe ich eingeschränkt. Nein, nicht, das was du jetzt denkst! Ich bin und bleibe ein guter Freund und Kollege. Ja, und dann stelle ich mir vor – wenn es schlimmer wird –, ein Schäfer auf einer Alm zu sein. Du, das hilft tatsächlich!“

Das mit den Existenzängsten verstand Schweiss nicht. Als Beamter musste sich der Kollege doch keinerlei Gedanken machen. Aber die Sache mit dem Schäfer, das konnte er gut nachvollziehen. Er war irgendwie erleichtert, mit Silwer darüber geredet zu haben, und nahm sich vor, zukünftig keinerlei Vorurteile mehr gegenüber Burn-out-Betroffenen zu hegen.

„Weißt du, wie sich die Zeitung Die Welt mal zum Burn-out geäußert hat?“ Schweiss wusste es natürlich nicht. „Sie schrieben, das Burn-out sei das Eiserne Kreuz der Erfolgreichen! Die vertreten vielleicht eine Einstellung!“ Silwer gähnte plötzlich herzhaft.

Inzwischen zeigte die Uhr kurz vor Mitternacht und unter ansteigenden Anzeichen von Müdigkeit schlürften die Männer die langsam kalt werdende Kaffeebrühe weiter.

Der Besuch beim Graffitikünstler und Galeristen BoriZ Wendland in dessen Räumen eben war eigentlich nicht erwähnenswert. Der 22-Uhr-Termin stellte sich als falsch heraus und beim Eintreffen der beiden Kriminalbeamten platzte die Galerie fast aus allen Nähten. Sie fragten an der Getränkebar nach Herrn Wendland und man versprach, den Galeristen zu ihnen zu schicken. Minutenlang liefen sie ziellos durch die Räume und zeigten gespieltes Interesse an seltsamen Bildern und Malereien. Immer verfolgt von Blicken, die teils belustigt, teils mitleidig auf sie trafen. Ihre dunklen Hosen und die eher altmodischen Jacketts ließen sicher nicht den Eindruck zu, sie begeisterten sich für diese eher jugendlichen Künste. Anfänglich war es ihnen noch egal, dann wurde es aber langsam unangenehm. Es kam Schweiss vor, als seien sie das eigentliche Objekt der Begierde, hier in der Galerie NorderArt. Als es dem Hauptkommissar zu viel wurde, wandte er sich an einen schlanken Typen mit Dreitagebart und Zipfelmütze. Wie sich herausstellte, handelte es sich um den ausstellenden Künstler dieser Vernissage, mit Künstlernamen Al Retro. Er malte seine Bilder – wie der Hauptkommissar auf einem Flyer gelesen hatte – aus Sand, Kaffee, Tomatenketchup und sonstigen eigenartigen Materialien. Sehr ungewöhnlich, wie Schweiss fand, und er war froh, das Wort Exkremente nicht auf der Liste gefunden zu haben. Als sich beide dem Künstler gegenüber als Kriminalbeamte vorgestellt hatten, fand Al Retro es interessant, sich mit zwei Kommissaren zu unterhalten, und brachte sie tatsächlich irgendwann zu BoriZ Wendland. Leider wusste dieser angeblich nichts von dem heutigen Treffen. Und der langhaarige Blonde ließ sich auch nicht dazu überreden, sie für zehn Minuten vor die Tür zu begleiten. Trotz seiner abweisenden Art ihnen gegenüber lud er die beiden letztendlich für den nächsten Tag in sein Atelier nach Rothenburgsort ein. Und Silwer und Schweiss hatten sofort zugesagt.

Alexander Schweiss schob unter Aufwand aller Kräfte einen übergroßen Kinderwagen den steilen Berg hinauf. Vor ihm rannte Sandra Holz hinter zwei vermummten Männern her und schwenkte eine riesige Kanone. Kollege Silwer fuhr hinter ihm auf einem Tretroller. Daran waren Schafe angebunden, die Rollschuhe trugen. Silwer kam näher und Schweiss hatte große Angst um das Kind im Wagen. Plötzlich polterte es laut neben seinem Ohr und ein Lichtstrahl blendete ihn. „Was ist ...!“, ertönte eine Stimme direkt neben ihm. Schweiss erschrak und war zunächst nicht in der Lage, dieses Durcheinander an Informationen zu ordnen. Dann fiel sein Blick nach rechts zum Kollegen Silwer, der sich die Augen rieb. Jetzt begriff er: Der Schlaf hatte sie übermannt und das Poltern seitlich wurde durch jemanden am Fenster der Fahrertür verursacht. Schweiss drückte den Knopf der Fahrzeugentriegelung und öffnete dann leicht genervt die Wagentür. Unter einer Straßenlaterne machte er zwei kräftige Männer in dunkler Kleidung aus. Einer rief artig: „Sind Sie die Herren Kommissare?“

Schweiss begriff nun auch den Rest dieser seltsamen nächtlichen Situation: Es musste sich bei den beiden Dicken um Männer des angekündigten HVV-Sicherheitspersonals handeln.

„Richtig!“, entgegnete er auf die Frage des Dunkelgekleideten, „ich bin Hauptkommissar Schweiss, das ist Oberkommissar Silwer.“ Er zeigte auf seinen Kollegen, der gerade mühsam und verschlafen durch die Beifahrertür den Wagen verließ. Die beiden Sicherheitsangestellten des HVV schienen Haltung anzunehmen und verharrten für einen Moment in Regungslosigkeit.

„Meine Herren, wir würden gerne die Stelle sehen, an der Herr Fischer im September letzten Jahres verstorben ist. Sie verstehen ...?“ Die Männer schienen endlich weiter zu atmen und entspannten sich.

„Mein Name ist Wolke und das ist mein Kollege Horst Albertsen“, stellten sie sich vor und Schweiss schüttelte beiden die Hände.

„Wir waren schon hundert Mal an dieser Stelle und mussten Fans dieses bekloppten Sprayers verjagen – teilweise am helllichten Tag!“

Wolke schien auf Applaus zu warten. Als der ausblieb – und er vermutete, dass die Kommissare auch über den Rest der Geschichte dankbar wären –, erklärte er: „Wissen Sie, wie schnell wird aus der Unfallstelle eines unbelehrbaren Möchtegernkünstlers ein Wallfahrtsort. Und daneben lauern 1.200 Volt Gleichstrom. Zwei Dinge, die nicht zueinander passen. Zwar sind in der Nacht – bis auf die Wochenenden und Feiertage – die Gleise stromfrei, aber trotz allem ist das Betreten der Gleisanlage unter Strafe verboten.“

Wolke und sein Kollege hatten riesige Stablampen aus einem Halfter gezogen und eingeschaltet. „Wollen wir?“

Hintereinander im Gänsemarsch spazierte das seltsame Quartett entlang der seitlich aufgestellten Sicherheitswände, bis Herr Albertsen nach vielleicht hundert Metern stoppte. Er schloss eine in der Wand eingelassene, schwere Tür auf und die vier betraten die Gleisfläche. Es war doch recht dunkel hier und Schweiss vermutete, dass man mit dem Abschalten des Stroms auch die Beleuchtung bis auf ein Minimum heruntergefahren hatte. Vorsichtig setzte er Fuß vor Fuß, aus Angst, sich auf dem Weg über die zahlreichen Gleise zu verletzen. Zum Glück hatten auch die Kriminalbeamten an Taschenlampen gedacht und leuchteten sich den Weg. Nachdem sie ein halbes Dutzend Schienen hinter sich gelassen hatten, hielt der vorausgehende Herr Wolke den Trupp an. Er leuchtete auf ein langes Aluminiumband, das zwischen zwei Schienensträngen verbaut war. Das weiße Blech – vielleicht 40 Zentimeter breit – verschwand im dunklen Nirgendwo der Gleisanlage.

„Seien Sie vorsichtig, meine Herren“, meinte Wolke, „12.000 Volt grillen uns in Sekunden gar!“

Schweiss und Silwer zuckten erschreckt zurück.

„Man hat uns doch erklärt, der Strom sei ... um diese Zeit ... abgestellt“, stotterte Silwer, als er seine Fassung wiedergefunden hatte.

„Entschuldigen Sie, meine Herren“, meinte Wolke. „Das war nur Spaß, natürlich ist die Strecke stromlos!“

Schweiss schaute zunächst grimmig, doch dann fiel er in das entspannte Lachen der anderen ein.

„Kommen Sie gerne etwas näher und schauen Sie!“

Die Männer traten vorsichtig neben den Sicherheitsangestellten Wolke. Dort wo der Strahl seiner Lampe endete, waren klar und deutlich die Buchstaben „Oz“ zu lesen, in schwarzer Schrift auf weißem Grund.

„Hier ist es, Herr Kommissar“, rief Wolke in die Stille und es war, als klingele bei einer Beerdigung ein Handy.

Nach einer Art Schweigeminute befragte der Hauptkommissar die Männer des Sicherheitspersonals: „Haben Sie Informationen über den genauen Hergang des ...“, Schweiss überlegte kurz, meinte dann: „... vermeintlichen Unfalls am 25. September letzten Jahres?“

Wolke hatte wohl genau zugehört: „Wieso vermeintlich, Herr Kommissar? Die Lok der S 1 hat Fischer erfasst, das ist bewiesen. Aber erst der Zugführer einer nachfahrenden Bahn hat die Leiche entdeckt. Ein befreundeter Kollege von mir hat geholfen, den toten Fischer noch in der Nacht zu bergen. Ja, man musste die Trasse bis zum kommenden Morgen abschalten. Das hat an diesem Tag viel Freude bei den Pendlern verursacht, Herr Kommissar. Fischer war wohl gerade beim Sprayen dieses Tags“, Wolke ließ den Schein der Taschenlampe einen Kreis um die Buchstaben Oz drehen, „als ihn die S-Bahn erfasste. Man soll ja nichts Schlechtes über die Toten sagen, aber der war überfällig.“

Schweiss fand die letzte Bemerkung unpassend und wollte darauf antworten, als sich zum ersten Mal sein Kollege Silwer zu Wort meldete.

„Wissen Sie, Herr Wolke, das ist genau meine Meinung. Wer die Gefahr sucht, kommt darin um. Und nun lass uns zurückgehen, Alex.“

Sie verließen den Ort, ohne dass Hauptkommissar Schweiss schlauer geworden war. Nach einigen Metern fiel ihm ein, dass er noch ein Foto machen wollte, und er zückte sein Handy. „Einen Moment noch, ich möchte noch ein Foto von dieser Stromabdeckung und dem ... Tag ... machen.“

Die anderen drei waren stehen geblieben und Schweiss machte noch mal zwei Schritte in Richtung des Unfallortes. Er schaltete den Blitz ein und hielt sein Handy in Richtung der Aufschrift, als er plötzlich rief: „Schaut mal, was bedeuten diese hellen Punkte dort?“

Wolke reagierte als Einziger und trat sofort zum Hauptkommissar. Schweiss zeigte auf das Handydisplay und tatsächlich waren dort im Dunkeln des Gleisbettes kleine, leuchtende Punkte zu erkennen.

„Vielleicht ein Metall in den Steinen des Gleisbettes?“, mutmaßte Wolke und wollte weiterlaufen.

„Warten Sie, Herr Wolke, das möchte ich mir schon anschauen. Wer weiß, wann ich wieder mal hier sein werde.“

Schweiss trat zurück zur Abdeckung der Stromschiene und leuchtete den Boden ringsherum ab. Seine Begleiter standen in geringer Entfernung und unterhielten sich leise.

„Ja, was haben wir denn da?“, rief der Hauptkommissar plötzlich, und die Unterhaltung der drei brach sofort ab. Sie drehten sich um und kamen im Schein ihrer Lampen zurück.

„Bernd, hast du vielleicht eine Papiertüte eingesteckt?“ Irgendwie war sich Schweiss sicher, dass auch der Kollege bei ihrem Ausflug nicht an die Beweis sicherung gedacht hatte. Und tatsächlich verneinte dieser die Anfrage des Hauptkommissars.

„Mist! Raucht jemand von Ihnen?“, fragte Schweiss in die Dunkelheit.