Der Einfall der Geister - Randall Kenan - E-Book

Der Einfall der Geister E-Book

Randall Kenan

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Beschreibung

Die Schuld austreiben, das ist der Plan, als Horace in einer Frühlingsnacht in den Garten seines Großvaters hinaustritt. Ein Ritual soll Horace befreien. Von den Erwartungen, die seine Familie an ihn und seine Begabung stellt, von den rasenden Gedanken, vom Begehren, das ihn Mitte der Achtziger in dieser Schwarzen Baptistengemeinde im Süden alles kosten kann. Doch die Befreiung missglückt, und Horace, getrieben von den erlittenen Ungerechtigkeiten aus Hunderten von Jahren, irrt gefährlich durch die Nacht. Bis ein anderer Mann aus seiner Familie, am Glauben verzweifelt wie er, dem berechtigten Wahnsinn Einhalt gebieten will …

Entdeckt von Toni Morrison, als sein Jünger mit James Baldwins Nachlass betraut, so stand Randall Kenan 1989 nach Erscheinen seines Romans an der Spitze der nachfolgenden Generation, einsam und zu früh. Mehr als dreißig Jahre mussten vergehen, damit Der Einfall der Geister international gefeiert werden kann, als ein Meisterwerk Schwarzen Erzählens, über die Gefahren der Erlösung, über Wünsche, die an Grenzen stoßen.

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Seitenzahl: 371

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Cover for EPUB

Titel

Randall Kenan

Der Einfall der Geister

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné und Aminata Cissé

Suhrkamp Verlag

Impressum

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Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

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Die Originalausgabe erschien 1989 unter dem Titel A Visitation of Spirits bei Grove, New York.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2022.

© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022 © 1989 by Randall Kenan

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Umschlaggestaltung: Anzinger und Rasp, München

Umschlagfoto: golubovy/Getty Images

eISBN 978-3-518-77396-3

www.suhrkamp.de

Widmung

Für sie, die einen Weg fand, wo kein Weg war

meine Mutter,

Mrs Mary Kenan Hall

und in memoriam

Maggie Williams Kenan

Leslie Norman Kenan

Roma Edward Kenan

Eric Robert Simmons

Motto

»Ist das Leben der Geister so kurz?«, fragte Scrooge.

»Mein Leben ist sehr kurz auf dieser Erde«, sagte der Geist, »es endet noch in dieser Nacht.«»In dieser Nacht noch!«, rief Scrooge.

»Heute um Mitternacht. Horch, die Zeit nahet schon.«

Charles Dickens, Eine Weihnachtsgeschichte

Um einen Dämon zu rufen, muss man seinen Namen kennen. Einst haben die Menschen davon geträumt, aber nun ist es auf andere Weise wahr geworden.

William Gibson, Neuromancer

Der Einfall der Geister

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Motto

Weiße Magie

8

. Dezember

1985

8

:

45

Uhr

29

. April

1984

11

:

30

Uhr

Schwarze Geisterbeschwörung

James Malachai Greene•Bekenntnisse

8

. Dezember

1985

9

:

30

Uhr

30

. April

1984

1

:

15

Uhr

Heilige Wissenschaft

James Malachai Greene•Bekenntnisse

8

. Dezember

1985

12

:

30

Uhr

30

. April

1984

2

:

40

Uhr

Alte Dämonologie

James Malachai Greene•Bekenntnisse

8

. Dezember

1985

15

:

00

Uhr

30

. April

1984

4

:

45

Uhr

Alte Götter, neue Dämonen

Horace Thomas Cross•Bekenntnisse

30

. April

1984

7

:

05

Uhr

Dank

Informationen zum Buch

Weiße Magie

Aber der HERR ist in seinem heiligen Tempel.

Es sei stille vor ihm alle Welt!

Ich freute mich über die, die mir sagten:

Lasset uns ziehen zum Hause des HERRN …

8. Dezember 1985•8:45 Uhr

»Oh Gott, oh Gott«, sagte sie.

Als sie an dem Morgen das erste Mal auf dem Rasen ausgerutscht und gestürzt war, hatte er ihr aufhelfen wollen, aber sie hatte ihn abgewehrt und sich mühsam wieder aufgerappelt. Doch schon nach wenigen Schritten war sie erneut hingefallen.

»Oh Gott, oh Gott.«

Nun saß sie mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen im von Raureif bedeckten Gras, auf halber Strecke zwischen ihrem Haus und Jimmys Auto.

»Alles in Ordnung, Tante Ruth? Soll ich dir helfen?«

Jimmy stand keinen halben Meter von seiner Großtante entfernt und zögerte. Er trat einen Schritt vor und beugte sich hinunter, aber da öffnete sie die Augen und warf ihm einen Blick zu, der ihm einen kalten Schauder über den Rücken jagte.

»Mir geht es gut! Lass mich in Ruhe! Ich komme alleine wieder hoch. Gib mir einen Moment.«

Jimmy trat widerwillig zurück und schaute zu, wie sie ihren Gehstock in die Erde rammte, als wäre er ein Pflock. Sie kam auf die Knie, stellte einen Fuß auf und hielt inne.

»Nun hilf ihr doch, Junge«, rief Zeke vom Auto aus.

Er saß auf dem Beifahrersitz des blauen Oldsmobile, beugte sich aus dem Fenster und beobachtete die alte Frau ungeduldig. Wie sie trug er seine beste Sonntagskleidung. Der Fedora auf seinem Schoß war wahrscheinlich so alt wie er selbst.

»Ich brauche keine Hilfe, Ezekiel Cross!«

»Doch, brauchst du, Ruth. Lass dir von dem Jungen helfen.«

»Ich stehe seit zweiundneunzig Jahren auf eigenen Beinen, und ich …«

»Ja, aber es sieht aus, als hättest du nun deine Schwierigkeiten damit.«

Der Stock rutschte wieder ab, und Ruth ging mit einem Ruck und einem resignierten Seufzer zu Boden.

Diesmal leistete sie keinen Widerstand, als Jimmy sie sanft auf die Beine zog und ihre Kleidung abklopfte. Ganz kurz stand sie reglos da, und obwohl die Luft eisig war, hatte sie Schweiß auf der Stirn. Sie setzte einen Schritt vor wie ein Kalb, das seine neuen Beine ausprobiert, und näherte sich dann langsam, aber zunehmend sicher dem Auto.

»Das Alter«, murmelte sie vor sich hin. »Bloß das Alter.«

»Brauchst du Hilfe beim Einsteigen, Tante Ruth?«

Ohne Jimmy zu beachten, stellte sie den Stock in den Fußraum, klammerte sich an den Türrahmen, als fürchte sie, von einer plötzlichen Windbö mitgerissen zu werden, und ließ sich dann mit dem Kopf voran auf die Rückbank sinken. Die Beine zog sie unter großen Anstrengungen nach. Keuchend und schnaufend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und bedeutete Jimmy ungeduldig, die Tür zu schließen.

Jimmy stieg wortlos ein, zog die Tür zu und fuhr los, immer dem Schotterweg folgend.

»Kalt heute, was?«, fragte Zeke gähnend.

»Ja, aber im Wetterbericht haben sie gesagt, es soll bald wärmer werden. Und sogar regnen.«

Ruth grunzte. Sie starrte über die leeren Felder, die gefalteten Hände auf dem Schoß wie zwei schwere Lappen.

Auf dem Acker zu ihrer Linken hatte sich ein Schwarm aus schwarzen Vögeln mit rotgeränderten Flügeln niedergelassen. Als das Auto vorbeifuhr, stiegen sie krächzend und tschirpend in die Höhe wie ein einziger Körper, wie ein durchsichtiges, schwarzes, vom Wind gelüpftes Tuch, und alle Flügelspitzen blitzten purpurrot. Die schwarze Wolke waberte über das Auto und in den Wald auf der anderen Straßenseite, wo sie sich an die Äste hängte wie dunkler Christbaumschmuck.

»Es wird nicht regnen, es wird schneien.«

»Glaubst du, Tante Ruth?«

»Tsss.« Zeke drehte sich im Sitz um. »Du weißt, dass es im Dezember nie schneit.«

»Tsss«, imitierte Ruth ihn. »Glauben. Ob ich das glaube? Junge, ich mit meinen über neunzig Jahren werde ja wohl wissen, ob es bald schneit oder nicht. Du siehst doch diesen Himmel, und dann noch die Stärlinge auf dem Feld … wartet’s nur ab. Außerdem spüre ich es in den Knochen.« Sie schwenkte den Kopf und sah aus dem Fenster.

»Herrgott, Ruth, tu doch nicht so, als wüsstest du alles, nur weil du über neunzig bist.«

»Tja, werd du erst mal neunzig, dann sehen wir weiter.«

»Da fehlen mir nur sechs Jahre.«

Kurz darauf kamen sie an einer langen Reihe Autos vorbei, die am Straßenrand vor einer Einfahrt standen. In der Einfahrt selbst und vor einem weißen Nurdachhaus parkten weitere Wagen. Überall tummelten sich Menschen.

Neben dem Haus stieg Rauch auf. Die Männer hatten sich vor der Scheune versammelt, die Frauen standen ein paar Meter vom Haus entfernt unter einem Schutzdach.

Zeke wurde munter. »Schlachttag! Wusstet ihr, dass Bud Stokes heute Schweine schlachtet?«

»Nein.«

»Das war ja klar«, schimpfte Ruth. »Wie könntest du hier leben und nichts davon wissen, wenn einer seine Schweine schlachtet? So neugierig, wie du immer bist.«

»Soll ich anhalten?«, fragte Jimmy mit einem Blick auf die Uhr.

»Nein.« Ruth drehte den Kopf zur Seite. »Ich habe für die nächsten zweiundneunzig Jahre genug tote Schweine gesehen. Außerdem will ich die Reise möglichst schnell hinter mich bringen. Ich mag keine langen Autofahrten.«

»Onkel Zeke?«

Zeke blickte so sehnsüchtig zu dem geschäftigen Treiben auf dem Hof hinüber wie ein Seemann aufs Meer. »Du hast sie gehört, Junge. Fahr weiter.«

Nach kurzer Zeit bogen sie von der unbefestigten Straße auf den Highway ab.

ADVENT

(oder: Der Anfang vom Ende)

Sie waren schon einmal bei einer Schweineschlachtung dabei, oder? Es gibt sie nicht mehr so häufig wie früher. Die Leute züchten einfach keine Schweine mehr.

Früher hielt praktisch jeder, der in diesem kleinen Ort in North Carolina ein Stückchen Land besaß, mindestens ein oder zwei Schweine. In den kalten Monaten Dezember und Januar wurde geschlachtet, gesalzen, geräuchert und gepökelt. Damals war so ein Schwein eine tolle Sache, immerhin kam man damit über den Winter. Aber das wissen Sie natürlich, oder?

Erinnern Sie sich noch, wie aufgeregt die Kinder am Schlachttag waren? Sie rannten hin und her und knabberten an den Grieben. Ein schwarz-loher Mischling und ein deutscher Schäferhund balgten sich knurrend und bellend um einen blutigen Fleischbrocken. Die Leute eilten von hier nach dort. Die Männer standen vor dem Schweinekoben, die Frauen an langen Tischen unter dem Schutzdach, und in einer Ecke des Hofs kochte und brodelte das Wasser in riesigen, mit Eichen- und Kiefernholz befeuerten Eisenkesseln. Der schwere Duft von Salbei und Pfeffer und gekochtem Fleisch und Blut hing in der Luft. Ich bin mir sicher, Sie haben den Geruch immer noch in der Nase.

Erinnern Sie sich an die zwei oder drei Frauen draußen auf dem Acker? Er ist unbestellt, während sich überall sonst der erste Winterroggen aus der harten Erde schiebt. Sie stehen um ein Loch herum, das die Männer am Vortag ausgehoben haben, ein Loch so tief und breit wie ein Grab. Die Frauen stehen an der Kante. Eine hält Gedärme in ihrer Hand, die aussehen wie nackte, monströse Raupen. Sie drückt die Schlingen von oben nach unten aus, wieder und wieder, sodass der faulige Inhalt ins Loch fällt; und wenn sie fertig ist, hält sie die Öffnung des Fleischsacks der zweiten Frau hin, die heiß dampfendes Wasser aus einem Eimer schöpft und hineingießt. Der Darm wird sanft geschaukelt, hin und her, hin und her wie ein mit Wasser gefüllter Ballon, und zum Schluss wird die trübgraue Brühe in das stinkende Erdloch entleert. Die Frauen reden ununterbrochen, ihre Gesichter sind entspannt, ihre Finger geschickt, ihre Schürzen mit Fäkalien beschmiert, und aus dem Loch steigt Dampf auf wie aus einem riesigen, übelriechenden Kochtopf.

Sicherlich hat Ihnen jemand von dem riesigen Wasserbottich über dem Feuer erzählt, an dessen Seiten bläuliche Flammen emporschlagen. Der schwere Kadaver muss eingetaucht, Haut und Haare verbrüht werden. Vier Männer, jeweils zwei an einem Kettenende, wuchten ihn, hepp, in den Bottich und ziehen ihn dann durchs kochende Wasser, rundherum, rundherum, bis sich die Borsten mit der Hand entfernen lassen. Die Kreatur wird herausgeholt und die Borsten werden von der Haut geschabt, bis sie so rosig weiß leuchtet wie der Bauch eines toten Fischs. Die Männer binden die Hinterfüße zusammen, spießen sie auf ein Holzstück, schleifen das Tier zur alten Räucherkammer, stemmen es in die Höhe und hängen es an einen Pfahl.

Anschließend nimmt jemand ein großes, silbriges Messer und zieht eine gerade, dünne Linie über den Schweinebauch, vom Rektum bis hinunter an die Kehle. Dann setzt er zu einem tiefen Schnitt an, und mit einem nassen, reißenden Geräusch, das an eine platzende Wassermelone erinnert, zerfällt das Tier in zwei Hälften. Die weichen Organe ergießen sich wie ein Schwall Erbrochenes; in hauchdünnen, glänzenden Säckchen liegen sie am Boden und warten darauf, eines nach dem anderen herausgetrennt zu werden. Das restliche Blut tropft in langen, zähen Fäden aus der Schnauze und färbt das braune Wintergras darunter dunkelrot. Aber natürlich haben Sie das alles schon einmal gesehen …

Währenddessen hantieren die Frauen unter dem Schutzdach mit Messern, mit Fleischwölfen, mit Löffeln und Gabeln. Auf den schmierigen Tischen stehen Salz und Pfeffer und Gewürze, Schüsseln mit blutigen Fleischstücken für die Wurst, Schüsseln mit gekochter Leber für die Pastete. Erinnern Sie sich noch an den satten, berauschenden Geruch von köchelndem Fleisch und Gewürzen? An die Stimmen der Frauen? Ihr Geplapper ist pausenlos und ungehemmt, schwillt an und verebbt. Erinnerungen und Gerüchte, Kommentare und Klagen, hin und her, vor und zurück und rundherum, ein Rhythmus, ein Gesang, eine chaotische Symphonie.

Über den Schweinepferch muss ich Ihnen wohl nichts erzählen? Es handelt sich um einen eingezäunten Platz mit an die Scheune angebautem Stall. Die Schweine sind im Koben eingesperrt. Und die Männer stehen draußen am Zaun, plaudern, tratschen, prahlen, schimpfen in der Kälte. Ihr Atem steigt in die Höhe, schließt sich über ihren Köpfen zu einer Wolke zusammen und verweht.

Vielleicht überreicht ein älterer Mann einem Jungen ein Gewehr und sagt ihm, er solle keine Angst haben, sich Zeit lassen, genau zielen. Die Männer betrachten einander und den Jungen mit so etwas wie kollektivem Stolz, während der Alte durch das Gatter tritt und mit einiger Anstrengung die drei Bretter vom Eingang des Schweinekobens entfernt. Mit einem Bohnenstock hält er die Schweine auf Abstand, alle bis auf das größte, das er ins Freie treibt: He, Schwein! Whoa! Los jetzt, raus mit dir! Das Schwein, ein altes, grobschlächtiges, braunes Tier, trottet auf den Hof hinaus, stolpert über eins der Bretter und stößt, als es bäuchlings auf dem Boden landet, einen tiefen, allzu menschlich klingenden Seufzer aus. Der Mann schlägt ihm den Stock auf den Hintern, woraufhin es grunzend und quiekend wieder auf die Beine kommt. Es läuft am Zaun entlang und beäugt die wartenden Männer argwöhnisch.

Dann bleibt es abrupt vor dem Jungen mit dem Gewehr stehen, der sich reglos und breitbeinig aufgebaut hat, und fast könnte man sagen, es ähnelte einem Nashorn oder einem Elefanten kurz vor dem Angriff. Es grunzt abermals und stößt seinen dampfenden Atem in die kalte Luft, bewegt sich aber nicht mehr. Seine Augen sind winzig, sein Blick ebenso böse wie verwirrt. Der Junge zielt genau und sehr langsam, lässt sich Zeit. Er drückt ab. Ein Schuss kracht, das Schwein zuckt schnaubend zusammen, und Sie hören den Knall und sehen, wie auf der breiten Fläche zwischen den Augen ein roter Punkt erscheint. Das Schwein bäumt sich auf wie ein Pferd, es bockt und wirft den Kopf herum, aber nicht oft. Wundersamerweise landet es auf den Vorderläufen, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann kippt es zur Seite, schlägt mit einem dumpfen Knall auf den Boden und stößt aus, was man ein Todesröcheln nennen könnte. Es dauert nur einen Moment. Seine Augen starren ins Nichts, seine Atmung geht schleppend, der rote Punkt auf der Stirn verläuft. Der Mann zieht ein langes, silbriges Messer, nähert sich dem sterbenden Haufen, greift das Fleisch unter dem großen Kopf, setzt mit ruhiger Hand einen tiefen, langen Kehlschnitt und durchtrennt die Schlagader. Sämiges, dunkelrotes Blut quillt heraus, ergießt sich über seine Hände und Schuhe und dampft in der kalten Dezemberluft. Das Schwein zappelt, zittert und bebt, seine zuckenden Beine stoßen in die Luft wie die eines träumenden Hundes, bis es nach wenigen Minuten erschlafft in der roten Pfütze liegt.

Aber Sie haben das alles schon mal gesehen, oder? In Ihrer Kindheit? Vielleicht.

Diese Lebensweise ist natürlich verschwunden. Es wäre gar nicht so leicht, hier noch einen Schweinekoben zu finden, geschweige denn ein Schwein. Nein, heutzutage kaufen die Leute ihre Würstchen bei A&P, ihre Leberpastete bei Winn-Dixie und ihren luftgetrockneten Schinken bei Food Lion. Kein Mensch isst mehr eingelegte Schweinsfüße, und Kutteln sind …

Aber die Geister von damals sind hartnäckig. Die Schweineställe mögen leer sein, trotzdem hört man eine Herde. Sie zertrampelt die Rasenflächen und Blumen, seltenen Sträucher und fremden Bäume vor den neuen Häusern der zugezogenen Familien. Eine geisterhafte Herde, die nur darauf wartet, geschlachtet zu werden.

29. April 1984•11:30 Uhr

… Was wollte er sein?

Zunächst war Horace überzeugt, er wollte sich in ein Kaninchen verwandeln. Aber dann … nein. Zwar waren Kaninchen flink wie Kieselsteine, die über einen Teich titschen, doch eben auch leichte Beute, die zu schnell in die Klauen eines Fuchses oder eines Falken geriet. Eichhörnchen tappten in jede Falle. Mäuse und Waldratten waren wunderbar klein, am Ende aber vielleicht kleiner, als er sein wollte. Die Köpfe von Schlangen ließen sich zu leicht zerquetschen, außerdem mochte er die Vorstellung nicht, bäuchlings über Zweige, Exkremente und Speichel kriechen zu müssen. Hunden fehlte eine körperliche Anmut, wie er sie sich wünschte. Und er sehnte sich vor allem nach Anmut. Wenn er sich also schon die Mühe machte, sich zu verwandeln, sollte er sie auch bekommen. Schmetterlinge waren zu schwach, Opfer der Winde. Er liebte die Geschicklichkeit von Katzen, besonders die geschmeidigen, fließenden, gleitenden Bewegungen der afrikanischen Großkatzen, aber er sollte eine Gestalt annehmen, die in die sumpfigen Wälder von North Carolinas Südosten passte. Er hatte nicht vor, von hier fortzugehen.

Nein, ehrlich gesagt, wünschte er sich vor allem, fliegen zu können, das wurde ihm jetzt klar. Wie ein Vogel. Er hatte es schon immer geahnt. Er setzte sich hin, um in Ruhe über seine Optionen nachzudenken, ein Entscheidungsritual, das es Wirklichkeit werden ließ. Ein Vogel.

Als er wieder aufstand, krampfte sein Magen sich vor Aufregung zusammen. Ein Vogel. Jetzt musste er sich nur noch für die Art entscheiden. Die Ordnung. Die Gattung. Er wusste genau, welches Buch aus der Schulbücherei er jetzt brauchte, er kannte das Regal und hatte die Ausgabe praktisch vor Augen, jetzt in diesem Moment – leicht schräg, eingeklemmt zwischen einem Band über Vogelhäuschen, den niemand je in die Hand genommen hatte, und einer Abhandlung über das Eiersammeln; er konnte sogar den Winkel sehen, in dem das Buch dort steckte. Hatte die Bibliothekarin Mrs Stokes ihn nicht immer damit aufgezogen, dass er sich in der Bücherei besser auskannte als sie selbst? Und hatte sie damit nicht recht?

Er hatte auf der Mauer am äußersten Rand des Schulgeländes gesessen, hinter dem Footballfeld, das sich jenseits der Turnhalle und des Hauptgebäudes erstreckte. Er hatte allein sein und ungestört nachdenken wollen. Aber nun verspürte er neuen Auftrieb, denn endlich wusste er, wie er seine restliche Zeit auf Erden verbringen würde. Nicht als gequälter Mensch, sondern als freier Vogel, der sich in die Lüfte schwingt, aufsteigt, niederschießt und über die Maisfelder und Tabakplantagen gleitet, auf denen er, obwohl er erst sechzehn war, gefühlte Jahrzehnte lang geschuftet hatte wie ein Sklave. Bald wäre er nicht mehr an jene menschengemachten Gesetze und Regeln gebunden, die ihn ständig straucheln ließen und mit denen er ohnehin nicht einverstanden war. Dies war seine Chance. Er war auf den Text eines alten Mystikers gestoßen, eines Mönchs und Gottesmannes, und dort hatte er die Lösung gefunden. Es war so simpel, dass er sich wunderte, warum bislang niemand darauf gekommen war. Aber wie auch? Der arme alte Jeremia, die arme alte Julia verschwinden ganz plötzlich; alle sind verzweifelt und machen sich Sorgen, sie suchen und sie warten. Irgendwann wird die vermisste Person für tot erklärt, und die dummen Leute wenden sich wieder ihrem Alltag zu und merken nicht, dass die alte Julia sich in einen Aal verwandelt hat und auf den Grund des tiefen blauen Ozeans geschwommen ist, um nachzusehen, was es dort gibt. Kein moralisches Gesetz schreibt vor, dass man ein Mensch bleiben muss. Und er wollte keiner mehr sein.

Die Pause war vorüber. Die anderen liefen zurück ins Gebäude, gleich fing die dritte Stunde an. Er beschloss, sie zu schwänzen. Was machte das schon? In ein paar Tagen würde er ein Wesen der Lüfte sein. Dann könnte er am Physikraum vorbeifliegen und hören, wie Mrs Hedgeson ihren monotonen Vortrag über Elektronen abspulte; er könnte sich auf ein Fenstersims hocken und zuschauen, wie seine Mitschüler im Biologieunterricht eingelegte Frösche sezierten und in der Spanischstunde über die eigene Zunge stolperten; er könnte über der Schulkapelle schweben, die auf dem Footballfeld unbeholfen ihre Aufstellung übte und dabei in die funkelnden Instrumente stieß. Unbehindert, ungebunden, frei.

Als er durch den Flur lief, wurde ihm plötzlich klar, dass er keine Entschuldigung dabeihatte. Was, wenn der stellvertretende Schulleiter ihm begegnete und eine sehen wollte? Aber nein. Er war Horace Thomas Cross, die, wie sein Freund John Anthony es nannte, Große Schwarze Hoffnung. Er war ein Musterschüler. Oder zumindest war er einer gewesen. Wo andere beiseitegenommen und getadelt wurden, durfte er unbehelligt weitergehen. In Gedanken sah er seine Cousine Ann mit dem Zimtlächeln, er hörte ihre heisere Flüsterstimme: Weißt du es denn immer noch nicht, Horace? Du bist der Scheißheiland.

In der Bücherei traf er niemanden außer die alte Mrs Stokes, die am Zettelkasten stand, ihm knapp zunickte und dabei wissend lächelte. Wenn sie nur wüsste – ihr graues Haar würde schlagartig weiß. Zielstrebig lief er in den richtigen Gang, blieb vor dem richtigen Regal stehen, zog das richtige Buch heraus und nahm es, obwohl er in der großen Bücherei allein war, zu den Lesetischen im hinteren Teil mit. Er setzte sich an ein Fenster mit Blick auf den breiten, leicht abschüssigen, frühlingsgrünen Rasen, der weiter hinten in ein Kiefernwäldchen überging.

Das Buch war schwer und hatte einen weißen Leineneinband mit eleganter Goldprägung: Enzyklopädie der Vögel Nordamerikas. Er kannte die gestochen scharfen Fotografien, die akkuraten Diagramme und seitenlangen Beschreibungen seit der Grundschule. Weil man Nachschlagewerke nicht ausleihen durfte, hatte er schon stundenlang an diesem Tisch gesessen und sich über Zugrouten schlau gemacht, über die Funktion von Schwanzfedern, Brutzeiten …

Schon als er das Buch aufschlug, schoss ihm das Blut in den Kopf, und der Anblick der ersten Farbtafeln beflügelte seine Fantasie, die losstampfte wie eine Lokomotive: Möwen, Kraniche, Eulen, Störche, Truthähne, Adler. Er blätterte weiter, schneller und schneller. Welcher Vogel sollte es sein? Spatz, Zaunkönig, Eichelhäher. Nein, größer. Stockente, Schneehuhn, Fasan. Größer. Gans, Schwan, Kormoran. Größer. Fischreiher, Graureiher, Kondor. Er blätterte immer weiter und sein Herz schlug schneller, von der Auswahl wurde ihm schwindelig. Rabe, Dohle, Amsel. Krähe …

Als er merkte, dass er in dem Buch blätterte wie ein Verrückter, schlug er es zu. Mrs Stokes sah erschrocken auf und schenkte ihm dann ihr knappes, wissendes Lächeln.

Er schloss die Augen und versuchte, auf anderem Weg zu einer Entscheidung zu kommen. Er dachte an das Land: an die Sojafelder rings um das Haus seines Großvaters, an die Wälder, die diese Felder wiederum umgaben, an hohe, stämmige Sumpfkiefern. Er dachte an kilometerlange Highways, an den Asphalt, der die einst von Maultierhufen in die Landschaft geschlagenen Pfade bedeckte, an einen Strand, sandiges Weiß, das Meer, trüb und aufgewühlt, Schaum, Gischt, wieder das Weiß, an den Geruch von Fisch und fauligem Holz. Er dachte an lange Winter, wenn der Waldboden von einem braun-schwarzen Flickenteppich aus vertrockneten Kiefernnadeln bedeckt ist. Er dachte an den Himmel, nicht an einen blauen Bilderbuchhimmel mit ein paar Schleierwolken, sondern an einen schwarzen, bösen Gewitterhimmel, stürmisch und hasserfüllt, an Gottes Zorn, Donner und prasselnden Regen. Er dachte an alte und neue Häuser aus Backstein und aus Holz, hoch und niedrig, an vom Schimmel geschwärzte Dächer, an Schornsteine, Blitzableiter und Fernsehantennen. Er versuchte, zu denken wie ein Vogel, wie der Vogel, der er sein würde. Und als er ein Kaninchen durch ein braunes Roggengrasfeld flitzen sah, als er sah, wie Krallen das weiche, braune Fell durchbohrten, wusste er es.

Er hatte es natürlich schon vorher gewusst. Als er auf das Buch mit dem Pakt gestoßen war, den der alte Mönch mit dem Dämon geschlossen hatte, war ihm klar geworden, dass er, sollte er sich unwiderruflich und bedingungslos verwandeln, am liebsten ein Rotschwanzbussard wäre. Er beugte sich wieder über das Buch, schlug die Ordnung der Greifvögel auf und hielt kurz beim Adler inne, aber ein Adler war natürlich kitschig, viel zu auffällig und außerdem nicht in North Carolina heimisch. Er blätterte zum Bild seines zukünftigen Ichs weiter und musste lächeln. Das Tier hockte mit an den Hals gezogenen Flügeln und mörderischem Blick auf einem Zaunpfahl. Oft hatte er den starken Vogel im Flug bewundert, wenn er über den Feldern kreiste wie ein Geier, und dann wieder nicht wie ein Geier, denn die Ratte, das Kaninchen oder der Waschbär, auf die er es abgesehen hatte, waren nicht tot – noch nicht. Das kleine Herz schlug Sechzehntelnoten, wenn die Krallen das zappelnde Tier fester als ein Schraubstock hielten, wenn die Flügel schlugen wie ein Hammer und die Sonne verdeckten wie ein Armageddon. Dann ein Stich in den Hals und ein Schwall heißen, klebrigen Bluts. Der Geschmack nach rohem Fleisch. Er hatte ein bisschen Mitleid mit dem kleinen Säuger, dessen Schwanz da in den Todeskrallen hing, trotzdem war er jetzt schon ganz aufgeregt.

Er drehte sich um, sah zum Wald hinüber und stieß einen Seufzer aus. Es war der Seufzer eines alten Mannes, resigniert, schicksalsergeben und viel zu alt für einen Sechzehnjährigen. Horace stand auf und brachte das Buch zurück. Die Klingel verkündete das Ende der dritten Stunde. Er überlegte sich, dass er nie wieder in diesem Gang und vor diesem Regal stehen würde; er würde keines dieser Bücher mehr lesen. Er musste schlucken, nicht vor Traurigkeit, sondern vor Stolz. Er hatte einen Ausweg gefunden, den niemand sonst kannte. Mrs Stokes nickte wissend. Er zwinkerte ihr zu, ging hinaus und drehte sich nicht noch einmal um.

Während der restlichen Unterrichtsstunden saß er da, ohne sich Notizen zu machen, er hörte gar nicht zu, seine Anwesenheit war nur noch eine Formsache, ein Abschied. Niemand störte ihn. Wie er gemerkt hatte, hielten die anderen sich seit Wochen von ihm fern; sie tuschelten hinter seinem Rücken und fanden sein Verhalten wahrscheinlich eigenartig. Aber das war ihm egal. Bald wäre das alles vorbei.

Auf dem Heimweg im Bus fühlte er eine tiefe Ruhe. Nie wieder Leichtathletik. Bis zu den Sommerferien dauerte es nur noch zwei Wochen, aber er hätte das Training ohnehin geschwänzt. Er lehnte sich zurück und sah den anderen beim Herumalbern zu. Die Mädchen waren ins Lästern vertieft, die Jungs vertrieben sich die Zeit mit Angeben, Armdrücken und Kartenspielen. Draußen vor dem Fenster zog die Landschaft vorbei, über die er sich bald erheben würde. Bald, ganz bald.

Während er aus dem Fenster sah, spürte er ganz kurz einen Zweifel in sich aufsteigen. Hatte er den Verstand verloren? War er versehentlich hinter die Kulissen des logischen Denkens geraten und in einem fernen, verstörenden Fantasiereich verschollen? Allein der Gedanke ließ ihn erschaudern. Nein, natürlich war er nicht verrückt geworden; er war ein sehr rationaler Mensch, bewandert in Mathematik und Naturwissenschaften. Trotzdem glaubte er an eine unsichtbare Welt der Erzengel, der Propheten und wiederauferstandenen Toten, eine Welt, die ihm von der Wiege an gepredigt worden war und die er, weil er nicht anders konnte, so wenig hinterfragte wie die Schwerkraft oder die Zeitrechnung. In seinem Kopf ergaben die beiden gegensätzlichen Welten keinen Widerspruch. Und jetzt brauchte er nicht die Welt der Zahlen und Dezimalstellen, sondern die der Erlöser und Wunder. Er brauchte Glauben statt Fakten; Magie statt Mathematik; Erlösung statt Wissenschaft. Der Glaube würde ihn retten – nicht nur der Glaube, sondern der Glaube an den Glauben, der schon Daniel, Isaak und die Frau am Brunnen gerettet hatte. Ich bin zurechnungsfähig, überlegte er, strich alle Falten in seinem Denken glatt und packte die Angst bei den Hörnern. Ihm blieb keine Alternative, das sagte er sich immer wieder. Kein anderer Ausweg.

Sobald er zu Hause war, ging er in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sein Großvater war nicht da, aber er wollte nicht riskieren, dass ihm jemand in die Karten sah. Wie im ganzen Haus roch es in dem Raum nach Kiefer, nach Farbe und Dielenlack und Fensterrahmen aus Zypresse, nach oft geölten Eichenmöbeln und Staub, der sich in den Vorhängen verfing, ein ländlicher Staub, der von Äckern und unbefestigten Straßen hereinwehte – aber vor allem roch es nach Kiefer, immerzu. Die alten Leute nannten den Baum Herzkiefer. Das härteste Holz überhaupt, besser als Eiche. Der Geruch, er hatte ihn sein Leben lang eingeatmet, war einundsiebzig Jahre alt und drang durch die vielen alten Schichten aus weißer Farbe, durch die lückenlos lackierten Bodenbretter und den Staub. Für ihn war der Geruch gleichbedeutend mit Gebeten, Geburt, Gelächter und Tränen, mit Tanz, Schweiß, Arbeit, Sex und Tod.

Von den weißen Zimmerwänden blickten seine vielen Freunde herab. Über dem Bett hing der Zauberer – ein Hexer und Obermagier. Seine durchdringenden, allwissenden Augen waren von einem geheimnisvollen Blau. Der üppige schwarze Haarschopf darüber stand für Männlichkeit, die schneeweißen Strähnen an den Schläfen für Weisheit. Der lange, rote Umhang flatterte im Wind, dramatisch wie ein Donnerschlag. Seine Haltung – man konnte sofort erkennen, dass er gerade zauberte, denn seine Hände waren von einem elektrisch blauen Glühen umgeben – erinnerte an einen Tiger vor dem Sprung. Sein Körper war schlank, aber sehr muskulös. Er trug hautenge, blaue Leggings und eine blaue Tunika mit dem ägyptischen Anch auf der Brust. An einer Kette um seinen Hals baumelte ein riesiges Amulett mit einem halb geöffneten Auge.

An der anderen Wand hing ein riesiges, grünes Mann-Monster, so muskelbepackt, dass es wirkte wie ein grüner Klumpen mit übergroßen, nackten Füßen. Es war mit einer zerschlissenen lila Hose bekleidet und geiferte wie ein Tier. Da war auch eine Frau in einem Büstenhalter aus Adlerschwingen, die über einem gläsernen Flugzeug schwebte und ein goldenes Lasso schwang; ein Wikinger mit langen, gelben Haaren, Muskelwülsten und eisblauen, bedrohlich funkelnden Augen, dessen Hammer so groß war wie er selbst; ein Mann mit spitzen Katzenohren in einem nachtblauen Anzug mit Fledermausemblem auf der Brust, dessen Umhang sich noch dramatischer blähte als der des Zauberers. Da waren Poster von kleinen Wesen mit dick behaarten Zottelfüßen, runden Bäuchen und riesigen Pfeifen, dazu Raumschiffskizzen und Baupläne von Kampfsternen, Sternenkarten und Schaubilder der Planeten, eine Liste mit Dämonennamen und Bilder von Greifen, Kraken und Gorgonen.

Überall im Zimmer lagen Zettel verstreut. Auf dem Bett, auf dem Boden, auf dem Schreibtisch, auf der Kommode und auf dem Nachttisch. Und die Bücher erst. Gestapelte, aufgeschlagene, mit Markierungen versehene Bücher. Alte und neue Bücher in Farbe oder Schwarz-Weiß. Halb gelesene, achtlos umgedrehte Bücher, deren Rücken zur Decke zeigten. Junge, ärgerte sein Großvater sich oft, kannst du in deinem Zimmer nicht für Ordnung sorgen? Wie soll das werden, wenn sie dich in die Armee stecken? Da erlauben sie solchen Quatsch nicht. Aber die Einsen und Einsplussen auf seinem Zeugnis dämpften den großväterlichen Befehl – Räum endlich dein Zimmer auf, Junge – immer wieder zu einem Grummeln, vorwurfsvollen Blicken und missbilligendem Kopfschütteln.

Wie alle anderen durfte Horace sich aus der Schulbücherei stets nur drei Bücher auf einmal ausleihen. Aus diesem Grund hatte er sich zusätzlich in der Bezirksbibliothek von Crosstown und in der örtlichen Bücherei von Sutton angemeldet. Dazu kamen die Buchclubs: der Buch-des-Monats-Club, der Geschichtsbuchclub, der Science-Fiction-Buchclub … Er lieh sich Lesestoff von seinen Lehrern und von Freunden, und sobald er in einer größeren Stadt war – Wilmington, Kinston, Goldsboro –, kaufte er sich ein Buch, meistens in der Taschenbuchausgabe. Viele davon hatte er gelesen, manche sogar öfter als einmal; andere, vor allem die Sachbücher, las er nur kapitelweise und suchte sich heraus, was ihn am meisten interessierte, von chinesischer Frühgeschichte über Schiffbau bis hin zu den Biografien berühmter Erfinder und großer Wissenschaftler. Aber das war Vergangenheit; mittlerweile konzentrierte er sich auf das Okkulte.

In seinem Zimmer lagen Bücher mit Titeln wie Schwarze Magie – weiße Magie, Die Kunst der Mystik, Hexen, Voodoo, Die Dunkle Kunst, Religionen der Dritten Welt, Eine Geschichte der Magie, Zauberer in der Bibel, Grays Verzeichnis des Bizarren und Skurrilen oder Dämonenkunde herum. Und in einem davon hatte er den Schlüssel gefunden. Er hatte ihn wochenlang wieder und wieder überprüft, Querverweise verfolgt, Verbindungen gezogen, Fakten gesammelt und den perfekten Zauberspruch noch perfektioniert. Er bewohnte nicht mehr ein Kinderzimmer in einem alten Farmhaus an einer Schotterstraße im tiefen Wald, sondern den abgelegenen und geheimnisvollen Unterschlupf eines Zauberlehrlings, der kurz davor war, ins Reich der Mystik vorzudringen. Die Wände bestanden nicht mehr aus Holz, sondern aus alten, grob behauenen Bruchsteinen. Er blätterte nicht mehr in Taschenbüchern und Leihgaben aus der Bibliothek, sondern in staubigen Schriftrollen und stockfleckigen Wälzern.

Es war so simpel. Die Einfachheit des Ganzen war überwältigend. Allein die Vorstellung, dass die Tortur eigentlich keine Tortur war – nicht für diejenigen, die lesen und eigenständig denken konnten und sich nicht fürchteten. Er überflog seine Liste. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein Einkaufszettel, erst bei näherem Hinsehen fielen die Merkwürdigkeiten auf. Für welches Kuchenrezept brauchte man Katzenurin und den Kopf eines Kolibris? Die Liste war lang und kompliziert, die Beschaffung der Zutaten erforderte besondere Sorgfalt und manchmal auch einen gewissen Einfallsreichtum. Allein sie zusammenzustellen hatte weit über einen Monat gedauert. Wie konservierte man den schalen Atem einer Hexe über siebzig? Woher bekäme er den gemahlenen Zahn eines Leviathan? Nachdem er ausreichend viele Rezepte und Rituale verglichen hatte, kam er zu dem Schluss, dass es in Ordnung wäre, den Hexenatem durch ein paar abgeknipste Nagelreste zu ersetzen und den Zahn eines Seeungeheuers durch den eines Hais. Ganz bestimmt würden die Ersatzmaterialien ihren Zweck erfüllen, mit einer Ausnahme vielleicht. Die wichtigste Zutat war der Körper eines Babys von höchstens drei Jahren. Er konnte sich nicht entscheiden, ob mit »Baby« unbedingt ein Menschenkind gemeint war oder ob auch ein Tierjunges infrage käme. Das Problem hatte ihm viele schlaflose Nächte und finstere Träume beschert, in denen er sich mitten in der Nacht in ein fremdes Haus schlich und einen Säugling entführte, der ihm arglos in die Augen sah und dabei friedlich am Daumen nuckelte. In seinem Traum sang er dem Kind etwas vor, Schlaf, Kindlein schlaf, während er ihm das Daunenkissen aufs Gesicht drückte und es in den weißen Tod schickte, und wenn er das Kissen dann im schummrigen Mondlicht beiseitezog, sah ihn das Kind immer noch unverwandt an, diesmal mit leicht verwirrtem, unstetem Blick und Sabber auf den immer noch lächelnden, leicht geöffneten Lippen. Wenn er aus dem Traum aufwachte, steckte ein Stöhnen in seiner Kehle; er hatte kalten Schweiß auf der Stirn und sein Herz klopfte panisch, denn er fürchtete den Zorn des einzig wahren Gottes. Eine solche Sünde zu begehen, nur um endlich frei zu sein, war Wahnsinn, doch war es nicht auch ein Eintauchen, Abtauchen, Ertrinken in Magie, ein Versuch, jener anderen Sünde zu entkommen, die er in Menschengestalt garantiert begehen würde?

In der Überzeugung, dass die Zaubersprüche funktionieren und ihn befreien würden, nahm er den Stoffbeutel mit den mächtigen Talismanen an sich, verließ das Zimmer und lief über die Kieferndielen zur Hintertür hinaus. Hinter dem Haus und jenseits des Rasens lag eine Apfelplantage mit Bäumen, die die Mutter seines Großvaters gepflanzt hatte, noch bevor das Haus gebaut worden war. Früher war der ganze Garten ein Gehege für Hühner gewesen, die mit ihrem pausenlosen Scharren die nackte Erde freigelegt hatten. Nach dem Tod seiner Großmutter hatte sein Großvater beschlossen, sich von den Hühnern zu trennen und Gras auszusäen. Er schnitt es einmal pro Woche, von Mai bis Anfang Oktober, und mit jedem Sommerregen war es grüner und dicker geworden.

Um diese Jahreszeit trugen die Apfelbäume erste blassgrüne, kaum daumengroße Früchte. Im August würden sie fast so groß sein wie eine Faust, und so rot wie Rosen. Die Leute nannten sie Milchorangen, denn sie waren klein und herb und ließen sich höchstens zu säuerlichem Apfelkuchen verarbeiten. Im Juli pflückte er hin und wieder eine vom Baum und dachte daran, wie er als Kind dafür ausgeschimpft worden war: Junge, von den grünen Äpfeln kriegst du Bauchschmerzen. Dir wird hundeelend! Er hatte die grünen Äpfel trotzdem gegessen, und wie durch ein Wunder bekam er nie Bauchschmerzen davon. Er liebte den säuerlichen Geschmack, der ihm wie Zitronensaft den Mund zusammenzog, die Beschaffenheit des weißen Fruchtfleischs und das laute Knacken beim Hineinbeißen. Bei der Erinnerung überkam ihn eine Woge der Traurigkeit, denn plötzlich wurde ihm bewusst, dass Vögel nicht in Äpfel beißen können. Vögel picken, und selbst das nur, wenn sie Hühner sind und Fallobst finden. Dann wiederum würde er sich an Eichhörnchen und Kaninchen laben. Er würde die grünen Äpfel gegen die Aussicht auf das ewige Leben eintauschen.

Es dämmerte. Die Tage waren länger geworden, sodass ihm noch genug Zeit für die Vorbereitungen blieb. Er wusste, dass sein Großvater erst spät nach Hause kommen würde. Den Scheiterhaufen hatte er schon am Vortag präpariert: ein Blech für die Zutaten, darunter ein paar Scheite altes, vor Terpentin triefendes Kiefernholz und auch etwas Eiche und Hickory. Teer, weil man für einen der Zaubersprüche Pech brauchte. Er leerte den Beutel über dem Scheiterhaufen und ging noch einmal die grausige Zutatenliste durch. Die Plastiktüte mit dem Kadaver des eigenhändig getöteten Kätzchens war schwer vor Nässe, das schwarze Fell verfilzt und stumpf. Er nahm ein Streichholz und steckte alles in Brand. Das Feuer kam nur langsam in Gang, aber nach einer Weile – er hatte ein bisschen Stroh dazwischengestopft – züngelten, rülpsten, furzten und zuckten die Flammen so heftig, dass es ihn beinahe erregte. Schwarzer Teerqualm kroch an den Apfelbäumen hoch und stand dann wabernd darüber.

Er begann, eine archaische Beschwörungsformel aus Wörtern zu singen, deren Bedeutung er nicht kannte, die aber vermutlich sehr wirkmächtig waren. Er hatte sie verschiedenen Zeremonien, Ritualen, Beschwörungen und Hexereien entnommen und neu kombiniert. Sie klangen deutsch und französisch und lateinisch und griechisch, und weil er außer etwas Schulspanisch keine Fremdsprachen beherrschte, hatte er sich für den Gesang einen besonderen Akzent überlegt, der wie eine Mischung aus Hochdeutsch und Französisch klingen sollte. Zwischendurch schlug ihm der Gestank des brennenden Tierkadavers entgegen – ein grünlicher, übler Gestank nach Eingeweiden und Haaren und getrocknetem Urin und Exkrementen. Die widerlichen Dämpfe ließen ihn würgen, doch er sang weiter, tapfer und in seinem eleganten Akzent.

Nachdem er die Formel drei Mal gesungen hatte, um die Asche zu heiligen und sich vor dem Dämon zu schützen, den er heraufbeschwören würde, warf er den Zettel mit dem Spruch und die Zutatenliste ins Feuer, wankte hinter den nächsten Apfelbaum und würgte in heftigen Krämpfen, bis ihm Tränen in die Augen stiegen. Er schleppte sich zu dem Wasserhahn am Pumpenhaus. Das Häuschen stand über einem Brunnen, aus dem seine Urgroßmutter das Wasser früher in einem hölzernen Bottich heraufgeholt hatte. Es schmeckte unverändert nach der Quelle, süß und bitter und stark eisenhaltig. Zuerst spülte er sich den Mund aus, dann trank er einen großen, bittersüßen Schluck, und zuletzt wusch er sich das Gesicht, um sich ein wenig abzukühlen. Er setzte sich auf die Hintertreppe und schaute zu, wie das Feuer langsam herunterbrannte. Am Himmel, eben noch hoch, blau und von dünnen weißen Schleiern durchzogen, hatten sich jetzt Wolken in der Farbe von Teerqualm zusammengebraut. Er spürte einen Knoten im Magen und fürchtete sich vor dem, was sie ihm, dem angehenden Mystiker, womöglich sagen wollten.

Etwa eine Stunde später, als vom Feuer nur noch eine knisternde Glut übrig war, ging er wieder hin und schob die schwelende Asche zusammen. Nun war alles für den Moment seiner Verwandlung bereit. Er kehrte noch einmal ins Haus zurück und räumte sein Zimmer so ordentlich auf wie noch nie. Er stapelte die Bücher kerzengerade, heftete lose Blätter ab, faltete seine Kleidung und legte sie in die Kommode. Um die Leihgaben aus der Bücherei machte er sich keine Gedanken; das gehörte alles zu seinem Verschwinden dazu. Er war aufgeregt und nervös. Er fragte sich, ob er seinem Großvater eine Nachricht hinterlassen sollte: Granddaddy, ich bin verwandelt worden, wir sehen uns bei der Entrückung. Aber nein; sein Großvater würde es für einen schrägen, geschmacklosen Scherz halten. Sicher wäre er verwirrt und besorgt, und später, wenn sein Enkel tatsächlich spurlos verschwunden war, würde er auf seltsame, bizarre Gedanken kommen, denn schließlich ahnte er nichts von der strahlenden, wundervollen Wahrheit.

Er trat an den Aschehaufen, der nun völlig weiß und nicht mehr ganz so heiß war. Er schob ihn abermals zusammen und ging wieder ins Haus, um den letzten Schritt zu vollziehen. Inzwischen war sein Großvater zurückgekommen. Er wollte wissen, warum Horace das von den Tanten vorbereitete Essen nicht angerührt hatte. Horace sagte, er habe keinen Hunger, ging in sein aufgeräumtes Zimmer und legte sich im Dunkeln aufs Bett. Er wusste, er würde nicht einschlafen, trotzdem stellte er sich den Wecker auf eine Viertelstunde vor Mitternacht. Nach einer Weile tauchte sein Großvater im Türrahmen auf und fragte: Was hast du da draußen gemacht, Junge? Es stinkt, als hättest du Reifen oder so was verbrannt. Er antwortete: Nur ein paar alte Holzlatten, die mir beim Rasenmähen im Weg waren. Der Großvater stand eine Weile schweigend da und stierte ins Dunkel. Seine Silhouette zeichnete sich im Küchenlicht ab. Sicher würde er Horace jetzt fragen, ob er sich krank fühle; aber dann drehte er sich wortlos um und ging zurück in die Küche. Horace hörte, wie der alte Mann den einen Teller abwusch, das Rumpeln in den Rohren, das Plätschern des Wassers, das Klirren, als der Teller ins Trockengestell gesetzt wurde, das Öffnen und Schließen der Kühlschranktür. Er hörte, wie das Licht erlosch – seine Augen waren die ganze Zeit geschlossen –, und auch das leise Klirren der Metallkette, die wie ein Pendel gegen die Glühbirne schlug; und dann waren er und das ganze Haus in eine dunkle, samtige Stille eingeschlossen. Er hörte, wie sein Großvater auf die Veranda schlurfte, sich in den Schaukelstuhl sinken ließ und losschaukelte, sodass die Verandabretter in einem trägen Rhythmus ächzten. Wenn der Arzt seinen Großvater nicht dazu überredet hätte, den Kautabak aufzugeben, hätte Horace jetzt bestimmt gehört, wie der Saft zielsicher in den Azaleenstrauch platschte.

Grillen und Frösche und Zikaden zirpten, und es klang wie das Klopfen von tausend kleinen Herzen. Eine Turteltaube saß irgendwo tief im Wald und gurrte, und auf einmal dachte er nicht mehr an die Vögel, das Fliegen und die Freiheit, sondern an seine eigene Menschlichkeit, an sein Fleisch und sein Blut und sein bald vergangenes, bald verändertes Leben. Er dachte an die unbewegte Stille, die man den Tod nennt, und inwiefern sie sich von der blauen Einsamkeit unterscheidet, die er jetzt und hier empfand, auf diesem Bett, eingehüllt in dumpfe Geräusche und weiches Schwarz.

Nach etwa einer Stunde hatte sein Großvater ausgeschaukelt, stand auf und kam wieder herein. Hinter ihm knallte die Insektentür. Tja, sagte er, gute Nacht. Und nach einer Pause fragte er dann doch noch, ob es Horace wirklich gut gehe. Horace bejahte schnell, zu schnell und mit brüchiger Stimme. Der Großvater sagte nichts mehr und schlurfte in sein Zimmer, ohne Licht zu machen. Horace hörte, wie der alte Mann seine Kleidung ablegte, seinen Pyjama anzog – den hellblauen, glaubte Horace, den er jeden Sommer trug und den die Tanten immer mit zu viel Stärke bügelten – und sich ins Bett legte. Dann ging das Licht an, und Horace hörte das Rascheln von hauchdünnen Buchseiten. Er wusste, es war die Bibel vom Nachttisch, das einzige Buch, das der alte Mann je las, ausgenommen den Ladies Birthday Almanac (der genaugenommen eine Zeitschrift war). Kurz nachdem das Buch wieder auf den Nachttisch zurückgelegt worden war, erlosch das Licht, der Großvater stieß einen gedehnten, beinahe frustrierten Seufzer aus, und dann war nur noch das Geräusch der Außenwelt zu hören, diese leise, nächtliche Naturmusik.

Er hatte sich vorgenommen, nicht auf den Wecker zu achten, aber dann hatte er doch einen Blick riskiert, um sich zu vergewissern, dass er lief. Der Wecker lief. Horace lag unbeweglich da und dachte an weiße Asche. Irgendwann stand sein Großvater noch einmal auf, um zur Toilette zu gehen. Früher hatte Horace die Geräusche des Hauses für Geister gehalten – manche davon hielt er bis heute für Geister –, die ein und aus und durch die Zimmer schweben. Und dann war es fast so weit. Er erhob sich fünf Minuten vor dem Weckerklingeln, holte eine Kerze aus der Schublade und schlich zur Hintertür hinaus.

Die Kerze, eine ganz normale, weiße Haushaltskerze, hatte er am vergangenen Sonntag vor dem Gottesdienst unter der Kanzel versteckt und danach heimlich wieder herausgeholt. Er konnte sich also ziemlich sicher sein, dass sie ausreichend gesegnet war. Draußen im Freien zündete er sie mit einem Streichholz an. Ihr Licht war schwach, trotzdem blendete es seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Ein Windzug spielte mit der Flamme und blies sie schließlich aus. Horace steckte die Kerze in die Tasche und machte sich ans Werk.

Der Mond war nicht voll – für das Ritual war ein Vollmond nicht zwingend vorgesehen –, aber die große Sichel hinter den dicken Wolken spendete ihm genug Licht. Die Asche war jetzt nur noch warm, der Kern glimmte schwach. Er rührte mit einer Kelle darin herum, und nachdem er exakt die Menge abgemessen hatte, die er für die Pulvermischung brauchte, trug er sie auf einer Schaufel in die Mitte des Obstgartens und streute ein Muster auf den Boden. Das komplizierte, gezackte Emblem war im Grunde eine Kombination aus dem europäischen Kreis der Macht und einer amerikanischen Figur, die er den Hopi zurechnete. Nach elf Gängen und elf Kellen war das Muster seiner Ansicht nach vollständig. Wind hob an, aber Horace war so in die Aufgabe vertieft, dass er ihn kaum spürte. Zum Schluss setzte er sich ins Zentrum des Entwurfs – ganz vorsichtig und ohne die Aschelinien zu berühren – und zündete abermals die Kerze an, wobei er seinen Körper als Windschutz brauchte.