Der Entschluss - Günther Amann - E-Book

Der Entschluss E-Book

Günther Amann

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der vorliegende Roman begleitet den Werdegang Jakobs, eines jungen Mannes aus der Nachkriegszeit, der beschlossen hat, in seiner Heimatstadt Pfarrer zu werden, später aber zunehmend in Gewissenskonflikte gerät. Schließlich stellt ein Banküberfall so manchen braven Bürger der beschaulichen Kleinstadt - so auch Pfarrer Jakob - auf eine harte Probe… Der Autor versteht es, den Leser in das kleinbürgerliche Milieu der österreichischen Provinzstadt zu Beginn der 1960er Jahre mitzunehmen, ihn die Gedanken und Handlungen seiner Figuren mitfühlen zu lassen, sei es ein naiver Tollpatsch, ein vom Schicksal verfolgter Pechvogel oder ein weltmännisch auftretender Wichtigtuer…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 227

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Günther Amann

Der Entschluss

Roman

© 2017 Günther Amann

Umschlag, Illustration: Kristian Metzner

Lektorat, Korrektorat: Kristian Metzner

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:978-3-7439-2413-0Hardcover: 978-3-7439-2414-7 e-Book: 978-3-7439-2415-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung

DER ENTSCHLUSS

von

G. D. Amann

Prolog

Die Stadt, in der Jakob aufwuchs, hatte ihren friedvollen dörflichen Charakter trotz der vergangenen Kriegswirren bewahrt. Dornbach, im Rheintal gelegen, war umrahmt von Bergen, und noch im Mai konnte man in hohen Lagen letzte Schneereste in der Sonne glitzern sehen. Diese bergige Landschaft mit ihren grünen Wiesen, die schön angelegten Gärten, erzeugten beim Betrachter ein Wohlgefühl. Städter nahmen lange unbequeme Zugfahrten durch besetzte Zonen der Alliierten in harten Holzabteilen der Waggons gerne in Kauf, um die schöne, blühende, von Hügeln und Bergen umgebene Stadt zu besuchen. Wie wurden diese Menschen um die Naturschönheiten und das geruhsame Leben beneidet. Die jungen Dörfler wiederum beneideten die Städter um das Treiben und die Vergnügungen in der Stadt. Nur die ganz Alten fühlten sich hier auf dem Lande wohl, hatten sie doch schon die längste Zeit ihres einfachen Lebens im schönen Dornbach verbracht. Das war ihre Heimat, hier waren sie geboren, hier wollten sie auch sterben und in heimatlicher Erde begraben sein. Die Mädchen und Burschen fanden Dornbach öde und trostlos, denn es gab kaum Möglichkeit, die Jugend auszuleben.

Dieses Kaff hatte zwei Kinos, in denen veraltete Filme gezeigt wurden und eine von Laien bespielte Bauernbühne, und jeder Laiendarsteller träumte von einer Kariere: Man konnte ja nie wissen, vielleicht war mal ein Talentsucher aus der Stadt unter den Besuchern. Für einen Heimatfilm würde das Talent schon reichen, vorausgesetzt, man lernte richtig deutsch, obwohl, ein bisschen Dialekt konnte auch nicht schaden.

Wirtshäuser wie die Krone oder den Löwen gab es viele in Dornbach und an Wirtshausgehern fehlte es nicht, besonders dort, wo eine fesche Kellnerin den Most und das Bier auf den Tisch stellte. Gerne wurde dann beim Vorbeigehen der Hübschen ein Klaps auf den Arsch versetzt. Zigarrenrauch vermischt mit Alkoholgeschmack verdunkelte meist die Wirtsstube, und der Lungenarzt warnte immer wieder ohne Erfolg vor diesem Dreckszeug, dem Tabak. Mancher Jung- und Altbauer torkelte um Mitternacht durch die halbdunklen Straßen und hatte Mühe, den Weg nach Hause zu finden. Die Erhabenheit der Berge und die grünen Wiesen, mit einer Vielfalt von Blumen bedeckt, dies alles wurde von den jungen Dorfbewohnern nicht wahrgenommen, sie nannten ihre Stadt meist Dorf.

Vor fast fünfzig Jahren war Dornbach noch ein Dorf gewesen, wurde aber unter Kaiser Franz Joseph dem Ersten von der Marktgemeinde zur Stadt erhoben und erhielt mit der Stadternennung ein eigenes Wappen, das von einem damaligen Dornbacher Künstler entworfen worden war und die Form eines Schildes mit den Farben rot – weiß – rot hatte. Zusätzlich schmückte ein Baum mit fünf Früchten dasselbe. Kaum merkbare Veränderungen wurden im Laufe der Zeit vorgenommen.

Aufgeteilt war Dornbach in vier Stadtteile: Der vornehmste hieß Markt und hatte einen städtischen Charakter mit einem großen Gotteshaus, einem Prachtbau, geschmückt mit sechs imposanten Säulen. Davor ein großer Marktplatz mit Brunnen. Von diesem Platz aus verteilten sich die Straßen in die anderen drei Bezirke. Die Marktstraße führte an der Kirche vorbei und beherrschte mit ihren schönen Stadthäusern, einer Bank und Geschäftshäusern das Stadtbild. Daneben hatte jeder Stadtbezirk sein eigenes Schulwesen und ebenfalls seine eigene Pfarrei.

Sehr gerne lief der Bürgermeister gut gekleidet durch die Straßen seiner Stadt und freute sich, wenn er mit den Worten „Grüß Gott Herr Bürgermeister, was machen die Amtsgeschäfte“ begrüßt wurde. Dann war er zu einem Gespräch gerne bereit. Allzu viel hatte er in seiner kurzen Amtszeit nicht erreichen können, denn er war mit einer knappen Mehrheit der Stimmen in sein Amt gewählt worden. Sollte ein von ihm gemachter Vorschlag umgesetzt werden, waren die Gemeinderäte der anderen Parteien meist dagegen. Er war zwar parteilos, aber im innersten doch Christdemokrat und gesinnungsmäßig der ÖVP nahe. Von den zwölftausend Wählern hatte er knapp siebentausend Stimmen erhalten, gerade genug, um sein Amt antreten zu können. Seine erste große Amtshandlung war die Aufstockung der Stadt-Polizei, welche nun aus sechs Mann bestand, vor seiner Amtszeit waren nur vier Polizisten für die Überwachung und Ordnung zuständig. Auch kam ein Motorrad der Marke Puch und ein Fahrrad zu der Ausstattung dazu. Ein Volkswagen war in weiterer Planung aber momentan noch nicht von Nöten. Bei schweren Verbrechen und dergleichen war ja sowieso die Landesgendarmerie zuständig, und die war bereits höchst modern ausgerüstet und verfügte über Polizeifahrzeuge. Jeder kannte Jeden, und so kam es schon vor, dass bei einem Vergehen ein Auge zugedrückt wurde.

Die Stimmung in der Bevölkerung wurde immer besser, wenn der Schnee in den Bergen langsam abtaute und man den Frühling erahnen konnte, dann kam Frohsinn auf. Frohsinn nannte sich auch der Gesangsverein bestehend aus achtundfünfzig Mitgliedern. Diese hatten zweimal in der Woche Probe, und danach gab es immer noch ein geselliges Zusammensitzen im Ochsen. Jetzt wurde das Programm besprochen, weil wieder ein Frühjahreskonzert geplant war und der Chor zur Verstärkung in der Kirche benötigt wurde. Denn für die neunjährigen Mädchen und Buben war die Erstkommunion in Vorbereitung und musste feierlich gestaltet werden. Auf den Herrn Pfarrer von der Stadtkirche kam jetzt auch mehr Arbeit zu, denn er musste die Neunjährigen in der Schule auf die Beichte vorbereiten, und so fand der Religionsunterricht regelmäßig dreimal in der Woche statt.

Eigentlich wollte er gar kein Priester werden, denn als kleiner Junge hatte er ganz andere Berufswünsche: Lokomotivführer oder Konditormeister, da er dem leiblichen Wohl immer zugetan war. Auch interessierten ihn ganz früh schon die Mädchen aus der Nachbarschaft. Viel Interesse weckte vor allem in frühester Jugend seine gleichaltrige Nachbarin Marlene, auch sie hatte es auf ihn abgesehen, und so entwickelte sich eine kindliche fast sinnliche Freundschaft mit vielen Neuentdeckungen. Dies ging lange in aller Heimlichkeit gut, bis die Schulzeit begann und das erste Mal die verdammte Beichte kam. Da wurde ihm und vor allem ihr erst richtig klar, wie sehr sie beide gesündigt hatten.

Als der Herr Pfarrer ganz leise und kaum hörbar durch das vergitterte Fenster des fast unheimlichen Beichtstuhls flüsterte:

„wie oft hast du deine Nachbarin unsittlich berührt?“

Und Jaki antwortete darauf:

„die letzte Zeit jeden Tag, Herr Pfarrer, wir haben sogar ein Geheimwort dafür gehabt, und wenn einer von uns beiden Lust darauf hatte, den anderen nackt zu sehen und zu berühren, haben wir einfach Gil gesagt“.

Hochwürden stockte ein wenig der Atem, aber er fasste sich gleich wieder, und seine geflüsterte Stimme fragte neugierig:

„wieso Gil?“

Darauf der kleine Jaki:

„immer, wenn Marlene meinen Pimmel angeschaut hat, meinte sie, das ist ein Gigl, und so kürzten wir das Wort einfach ab und sagten ‚Gil’. Herr Pfarrer, das war sehr angenehm, denn, wenn einer von uns beiden Lust verspürte, brauchte er nur ‚Gil’ sagen, und die Erwachsenen hatten keine Ahnung, was das Geheimwort bedeutet hat“.

Im Beichtstuhl wurde es auf einmal ganz ruhig und Hochwürden atmete tief, bis endlich seine wieder gefasste Stimme durch das Gitter des Beichtstuhls strafend sagte:

„mein Sohn, das was du gemacht hast, ist eine böse Todsünde, und es ist ein Glück, dass du zur Beichte gekommen bist, denn sonst hätte auf dich die Hölle gewartet. Ich lasse dir Kraft meines Amtes deine Sünden nach, vor allem die im sechsten Gebot“.

Danach flüsterte Hochwürden eine Litanei vor sich hin, die Jaki aber nicht verstand und total verunsicherte, er wollte auch gar nicht wissen, was das zu bedeuten hatte. Weiters sah er, wie Hochwürden ein Kreuzzeichen durch die Luft machte und die Worte zu ihm drangen:

„zur Buße betest du drei Vaterunser, sündige nicht mehr, geh hin in Frieden“.

Jakob stieg mit hochrotem Kopf, ängstlich betrachtet von seinen Mitschülern aus dem Beichtstuhl, hörte sich ein paar Fragen der anderen Buben an

„ist er streng?“

Dann kniete er sich nieder und betete drei Vaterunser, er kam sich ganz schlecht vor, aber auch gleichzeitig erleichtert. Bis dato hatte er nicht gewusst, dass die Lust auf Marlene eine Sünde war, er fand es immer toll. Seine Gedanken kreisten im Kopf und er fragte sich, was das denn für ein lieber Gott sein sollte, der so was verbot. Das wollte er sich nicht nehmen lassen, ich werde es wieder tun, das lasse ich mir nicht verbieten, schlimmsten Falls geh ich wieder zur Beichte. Ihm wurde fast übel bei dem Gedanken, dass Marlene womöglich auf den Pfarrer hörte und von ihm nichts mehr wissen wollte. Wie konnte er ihr das ausreden, schwierig würde es werden… Plötzlich, wie eine Eingebung, kam ihm der Gedanke, dass dieser Beruf – die Erwachsenen sprachen immer von Berufung – der richtige wäre, und besser als Lokomotivführer, denn da hatte man Macht und viel Einblick. Man hörte die Sünden der anderen, konnte vergeben oder auch nicht. Für ihn stand es ab dem Tag fest und er sagte das halblaut in der Kirche vor sich hin:

„Ich werde Pfarrer“.

„Ich werde Pfarrer“,

die Worte hallten in dem kleinen Jaki nach, als er sich nach dem Beichten nach Hause begab. Kaum angekommen, sah er Marlene vom Nachbarhaus an den Zaun gelehnt, die ihm zurief „Jaki, wie war’s, hast schon gebeichtet, wir Mädchen sind morgen auch dran“.

„Ich weiß“, meinte er. „Der Pfarrer war recht nett, habe fast keine Sünden gehabt“,

fügte Jaki mit rotem Kopf hinzu.

„Ist das was wir machen keine Sünde?“

fragte sie und wurde auch ganz rot im Gesicht.

„Das konnte morgen nicht gut verlaufen“, waren seine Gedanken. „Jetzt ist es vorbei damit“. Vielleicht wurde sie morgen krank oder brach sich ein Bein, das wäre ein Glück.

„Hast du nachher Zeit zum Spielen?“

Jaki wurde feuerrot im Gesicht.

„Gil, gil?“

neckte sie. Das musste er jetzt noch voll ausnützen, denn ab morgen, soviel glaubte er sie zu kennen, würde das schwierig werden. Lieber jetzt gleich wieder eine Sünde begehen, er konnte sie ja beichten, dann würde er halt in eine andere Kirche zu einem anderen Priester gehen. Jaki hatte Angst, dass der Pfarrer, dem er heute alles berichtet hatte, ihn wieder erkennen würde, denn durch das Gitter des Beichtstuhls war das sicher möglich.

„In einer halben Stunde in unserem Lager bei der Hütte“.

Er lief in die Wohnung, und die Mutter meinte stolz:

„So Jakob, jetzt bist du von den Sünden frei, bleib so und denk daran, der liebe Gott sieht alles“. Das hatte noch gefehlt, der liebe Gott sieht alles.

„Ich habe mich entschlossen, ich werde nicht Lokomotivführer, ich will Pfarrer werden“, entgegnete er seiner Mutter in ernstem Ton.

„Wie kann ich das werden, was brauche ich da für eine Schulbildung, Mama?“.

Jakob meinte dies in vollem Ernst, als ihn seine Mutter belehrte:

„Weißt du, Jaki, in deinem Alter will man vieles werden, ich glaube nicht, dass du ein guter Priester würdest, dazu siehst du die Mädchen zu gerne“.

„Unser Pfarrer hat aber auch eine Köchin, die ihm den Haushalt erledigt“,

erwiderte Jaki trotzig. Seine Mutter wusste darauf nicht gleich eine passende Antwort und ging auf die vorhergehenden Fragen ein:

„Wenn du Priester werden willst, so musst du auf alle Fälle ein Gymnasium besuchen und Latein lernen und dann, glaube ich, ein Priesterseminar besuchen“.

Mit dieser Antwort war er zufrieden und trotzdem meinte er:

„weißt du was, Mama, ich melde mich jetzt in der Kirche beim Pfarrer an und werde Ministrant, so wie Armin“.

Armin war ein Freund und ihn hatte er immer beneidet, wenn dieser vorne am Altar mit den Glöckchen in der Hand klingelte und dem Herrn Pfarrer den Messwein in den Kelch einschenken durfte. Das war ein schöner Anblick, Ministrant in einem weißen Umhang zu sein, da konnte man schon beneidet werden.

Morgen würde er gleich, wenn es die Zeit zuließ, den Herrn Pfarrer aufsuchen und ihm seine Bitte vortragen. Sein Freund Armin sagte ja, dass die Geistlichen immer froh wären, wenn sich Buben melden täten um Ministrant zu werden.

„Sie haben eh zu wenig, für jede Messfeier braucht man ja zwei Ministranten, verstehst du, zum Klingeln und den Wein einschenken, und wer macht das schon gerne um sieben Uhr früh“. Das war eine gute Nachricht.

„Wenn du länger dabei bist, darfst du auch am Sonntag ministrieren. Da schauen dir dann viele Leute zu“.

Jetzt war er sich sicher, dass er genommen würde, wenn er ein Gespräch mit Hochwürden führen könnte. Die Schulglocke läutete das Ende der vierten Stunde ein, und Jaki ging eiligen Schrittes zum Pfarrhaus. Dort angekommen fühlte er sich nicht mehr so richtig wohl, er hatte Angst, dass der Beichtvater ihn womöglich wieder erkennen könnte oder seine Stimme dem Herrn Pfarrer bekannt vorkam. Jakob glaubte, dass man trotz Dunkelheit durch das Gitter im Beichtstuhl erkannt werden könnte.

Zuerst beinahe zur Hölle verdammt und jetzt Ministrant werden, konnte das gut gehen? Er läutete, und eine Frau mit einer Kittelschürze kam zur Tür.

„Grüß Gott, wo brennt’s?“

waren ihre ersten Worte.

„Ich möchte den Herrn Pfarrer sprechen“,

bat Jaki mit rotem Kopf.

„Der Herr Pfarrer ist noch im Spital, Krankenbesuch, er wird gleich hier sein, denn ich habe auf zwölf Uhr gekocht, komm ruhig rein, du kannst solange im Wohnzimmer auf ihn warten“. Das machte er gerne, und so folgte er der Frau. Es war ein schöner großer Raum, überall hingen an den Wänden Bilder von Heiligen und der Gekreuzigte. In der Ecke war ein Kruzifix angebracht, und auf dem Tisch lag eine geöffnete Bibel in roten Umschlag gebunden, mit Goldschrift. Hier sieht es ganz schön heilig aus, dachte er. Kurz nachdem er sich umgesehen hatte, wurde das Türschloss mit einem Schlüssel geöffnet, die Haustüre ging auf und Hochwürden trat ein.

„Paula ich bin da, gibt es was Neues“

waren seine ersten Worte, und nun hörte er die Frauenstimme

„Georg, in der Stube wartet ein Junge auf dich, ich hab ihn gar nicht gefragt weshalb“.

„Danke, vielleicht ein reuiger Sünder“,

meinte daraufhin die fröhliche Stimme, und schon stand er dem Priester gegenüber.

„Oh, der junge Fitz, was führt dich zu mir mein Sohn?“.

„Herr Pfarrer der Armin ist ja bei Ihnen Ministrant und der hat gesagt, dass Sie immer Buben brauchen können, welche das werden wollen. Ich möchte Ministrant werden und wäre auch bereit, am Anfang zur Frühmesse vor der Schule zu ministrieren“.

„So, so du möchtest Ministrant werden, das freut mich. Die katholische Kirche kann solche Buben wie dich gut brauchen, du weißt was da auf dich zukommt? Klingelbeutel in die Kirchenbänke reichen, Messwein einschenken und vieles mehr“.

Jaki nickte mit dem Kopf, er gehe ja jeden Sonntag in die Kirche und da sähe er genau, was der Armin machen müsse.

„Ich wäre so gerne Messdiener“.

Hochwürden war darüber erfreut und lud ihn für die nächsten Tage immer nach Schulschluss zu sich ein, brachte dem Jaki bei, wie der Ablauf und die Rituale in der Kirche waren, und nach einer Woche war Jakob glücklicher frommer Messdiener.

Die nächsten Wochen und Monate hatte er kaum noch Zeit für Freundschaften, sein ganzes Denken war Gott gewidmet, Er freute sich, wenn er in der Kirche dem Pfarrer dienen durfte. Das war ein schönes Gefühl, da vorne am Altar zu stehen und von den Betenden angeglotzt zu werden. Jetzt durfte er auch an Sonntagen Dienst in der Kirche verrichten und wenn die Messe vorbei war, lud ihn Herr Wieser zum Lesen der Bibel ins Pfarrhaus ein. Lesungen aus dem Neuen Testament faszinierten ihn besonders.

„Jaki, du kannst gerne auch zu den Bibelstunden für Erwachsene vorbeikommen und zuhören, ich halte diese immer wöchentlich ab“,

meinte Hochwürden.

„Die sind zu unterschiedlichen Zeiten angesetzt, ich verkünde das immer nach der Sonntagsmesse um elf Uhr“.

So eine Einladung freute ihn, alles was mit der Heiligen Schrift in Zusammenhang gebracht werden konnte, war äußerst spannend, warf Fragen auf.

Seine Eltern bemerkten die Frömmigkeit ihres Sohnes und fingen an, sich Sorgen zu machen. Für ihr Verständnis war das schon übertrieben, zumal sie beide keine frommen Christen waren und die Kirche mieden. Gut, es war ja besser, wenn er die Zeit mit der Kirche verbrachte und fromme Bücher las, als auf der Straße herumzulungern und den Mädchen nachzupfeifen.

Jaki war Inzwischen fünfzehn geworden, hatte den Stimmbruch hinter sich, entwickelte sich zu einem jungen Mann mit tiefer Stimme und zeigte neben seiner Frömmigkeit auch reges Interesse am weiblichen Geschlecht: Das Gymnasium besuchte er mit Bravour, denn in drei Jahren würde er versuchen, ins Priesterseminar nach Innsbruck aufgenommen zu werden. Seinem Vater war das nicht recht:

„Was werden die Leute denken, wenn der Fitz einen Sohn hat, der Theologie studiert“,

gab er seiner Frau zu bedenken.

„Wir können ihn nicht aufhalten, wenn sein Entschluss feststeht“.

Erwin nickte:

„Ich werde in den nächsten Tagen, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt, mit Jakob ein ernstes Gespräch führen“.

So kam es zu einer Diskussion zwischen Vater und Sohn, und der Ältere machte Jakob auf die vielen Enthaltungen aufmerksam, die ein Priester auf sich nehmen müsse. Dabei erwähnte er auch den Zölibat.

„Ach weißt du, Vater, das muss man nicht so streng sehen, da werde ich mir schon zu helfen wissen“,

war seine Antwort. Nach der Bibelstunde kam er mit Büchern über das Christentum und deren Verfolgung nach Hause und vertiefte sich darin. Er war nicht mehr abzubringen von diesen Gedanken. Das Dienen in der Kirche hatte er inzwischen aufgegeben, da zu alt geworden, den Kontakt zu Pfarrer Wieser nicht. Dieser bestärkte ihn in seinem Berufswunsch und war in heiklen Fragen derselben Meinung wie Jakob:

„Tun darfst du viel, öffentlich sollte es nicht werden“.

Wie recht doch Pfarrer Wieser hatte:

„Weißt du, Jakob, ich bin jetzt schon ein älterer Herr, und wenn du dabei bleibst mit deinem Wunsch Priester zu werden, kannst du mich vielleicht beerben. Wenn ich heute zurück denke, wie beschwingt ich nach der Weihe war und dachte, Gott hat mich berufen und mir seine Kraft für den Dienst an den Menschen geschenkt. Wenige Tage danach stellte ich fest, ja ich bin geweiht, aber derselbe Mensch mit denselben Stärken und Schwächen geblieben. Weißt du, unser Gott kommt ganz gut damit zurecht, dass wir nicht perfekte Menschen sind, er will gar keine perfekten Menschen, denn die gibt es nicht. Er liebt jeden Menschen“.

Das waren kluge aufmunternde Worte, die da Hochwürden von sich gegeben hatte.

Die Jahre vergingen schnell, die Matura legte er mit Bravour ab, und dann bewarb er sich für die Aufnahme ins Priesterseminar in Innsbruck. Nachdem er sein Theologiestudium beendet hatte, wurde Jakob zum Diakon geweiht. In diesem Stand verbrachte er ein Jahr in der Pfarrei St. Jakob, einem Dorf nahe Innsbruck. Diese kirchliche Tätigkeit gefiel ihm besonders gut, er war angesehen und wurde meist mit ‚Pfarrer’ tituliert, obwohl er lediglich die erste Weihe hatte. Nach einem Jahr ausgeübter Tätigkeit wurde er vom zuständigen Bischof zum Priester geweiht und durfte danach Primiz in seiner Heimatstadt Dornbach feiern.

In der Pfarrei St. Martin ging es jetzt turbulent zu, Herr Jakob Fitz, der Sohn vom Erwin Fitz, früherer Nazi und aus der Kirche zeitweilig ausgetreten, feierte in Kürze Miliz. Das Elternhaus wurde mit Blumen und Kränzen geschmückt, und dann kam der große Tag des Jakob Fitz: Mit einem großen Geleit wurde er zur Kirche geführt. Die Stadtmusikkapelle spielte Märsche und begleitete ihn bis vor die Kirchentür St. Martin. Pfarrer Wieser hielt eine lange eindrucksvolle Rede über Jakob in der Kirche und sprach nur lobende Worte über ihn. Jakob selbst zelebrierte seine erste Messe, und anschließend suchten die Kirchenbesucher von Dornbach seine Nähe, um seinen Segen zu bekommen. Seine stolzen Eltern sowie sein Bruder Hans waren die ersten, die von ihm gesegnet wurden. Nach der ganzen Zeremonie traf man sich im ‚Hirschen’, der bis auf den letzten Platz gefüllt war. Danach ging’s zurück ins Elternhaus, und am nächsten Tag musste Jakob wieder nach Innsbruck. Dort machte er noch zwei Jahre Dienst in der Pfarrei St. Jakob, bis in der Pfarrei Dornbach St. Martin der alte Herr Pfarrer Wieser in den wohlverdienten Ruhestand trat. Jakobs Traumziel war erreicht, er war Pfarrer in der Pfarrei Dornbach. Seine Heimatgemeinde nahm ihn mit Begeisterung auf.

Er hatte die Bilder der Befreiung noch vor sich. Zuerst hatte man nur ein dumpfes Klirren von Ketten gehört, das immer näher kam, dann wurde daraus ein furchterregendes Dröhnen, und die Panzer kamen entlang der Straße auf ihn zu. Frauen und junge Mädchen standen vor ihren Häusern und winkten den mit braunen Uniformen bekleideten Franzosen lachend zu, warfen Blumen auf die vorbeifahrenden Panzer und grüßten mit weißen Leintüchern, die vorher zerrissen worden waren, damit der Nachbar auch ein Stück in der Hand halten konnte. Erwachsene Männer waren kaum auf der Straße, denn der Krieg hatte seinen Zoll gefordert. Viele waren für das Großdeutsche Reich im Kampf gefallen, andere waren in Gefangenschaft geraten. Die auf den Panzer sitzenden Franzosen wurden als Befreier gefeiert. Jakis Vater war nach Kriegsende in der Schweiz im Internierungslager gefangen gehalten und plagte sich mit dem Gedanken der Flucht. Im besetzten Italien hatte er es gut getroffen. Trotzdem wagte er kurz vor Ende des Krieges die Flucht nach der neutralen Schweiz.

Dazu benötigte er eine rote Lampe und viel Mut. Erwin entfernte sich von der Truppe, ging der Bahnlinie entlang, fragte sich bis zum Simplontunnel durch, lief in den fast zwanzig Kilometer langen Tunnel hinein und stoppte mit der roten Laterne in der Hand den in Richtung Schweiz fahrenden Zug. Er hatte Glück. Der Lokomotivführer hielt tatsächlich an, ließ Jakis Vater ins Führerhaus einsteigen und nahm ihn bis zur ersten Station Brig in der Schweiz mit. Dort meldete Erwin sich bei der Kantonspolizei, wurde registriert und kam in ein Internierungslager. Während der Kriegszeit wurden immer wieder mal Pakete mit der Feldpost abgegeben. Der Inhalt waren meist Konservendosen und kleine Salamiwürstchen.

Jaki hatte noch einen drei Jahre jüngeren Bruder, es ging der Familie recht gut. Schlechter wurde es für Johanna mit ihren zwei Kindern erst, als die Franzosen Dornbach und ganz Vorarlberg besetzten. Anfangs, so erinnerte Jaki sich, ging es ihnen noch gut, doch als Erwin im Internierungslager den Lagerkoller bekam, abhaute und den Alten Rhein überqueren musste, war er vor ein Problem gestellt: Er war Nichtschwimmer. Wie konnte er da ins benachbarte Österreich gelangen? Da kam ihm die Idee: Erwin klaute bei einem Bauern einen Rechen mit langem Stiel, ging bei Nacht und Nebel zum Alten Rhein, sah auf der anderen Seite die Lichter in den Vorarlberger Häusern brennen und bekam so viel Heimweh, dass er ins Wasser stieg, den Rechen immer vor sich her stochernd um die Tiefe des Wassers zu erkunden. Endlich nach vorsichtigem Tasten hatte er sicheren Boden unter den Füßen. Nun war es ein Leichtes, bei der nächtlichen Ausgangssperre Dornbach zu erreichen.

Jaki saß mit seinem Bruder Hansi und der Mutter in der guten Stube, als die drei plötzlich die Stimme des Vaters hörten:

„Johanna, mach auf, ich bin’s, Erwin“.

Die Überraschung war ihm geglückt, aber es sollte nicht besser werden. In dem von den Alliierten Besatzern besetzten Vorarlberg wurde abgerechnet. Die französischen Truppen waren zu Beginn als Befreier gefeiert worden, diese Stimmung in der Bevölkerung wich langsam, und aus ihnen wurden die Besatzer. Häuser und Wohnungen wurden beschlagnahmt für französische Familien. Besonders betroffen waren Leute, denen nachgesagt wurde, dass sie eine Nazivergangenheit hätten.

Das Leben in Dornbach hatte sich verändert. Militärfahrzeuge, besetzt mit Männern in braunen Uniformen, fuhren durch die Straßen der Stadt. Viele Dornbacher lebten in Angst, da Verschleppungen in dieser Zeit immer wieder vorkamen. Die vermeintlichen Täter – meist Männer – wurden vor ein französisches Gericht gebracht und in einem Prozess häufig verurteilt. Diejenigen, die das Glück hatten, sich während des Krieges nach den Regeln der Kriegsführung verhalten zu haben, kamen meist wieder nach ein, zwei Monaten auf freien Fuß.

„Mich wundert’s, dass sie mich noch nicht geholt haben“,

meinte Erwin zu seiner Frau.

„Sie können dir doch nichts nachweisen, außer dass du ein Parteibuch der NSDAP besessen hast“.

kam die Antwort.

Das war richtig, denn er war bekennender Nazi gewesen, aber wer war das nicht in dieser Zeit. Vieles fand Erwin Ende der dreißiger Jahre gut, aber nicht alles. Als später bekannt wurde, dass in Hohenems im Judenhaus die Insassen abgeholt worden waren, kam bei ihm sogar Empörung auf. In der Straße, in der Jakobs Elternhaus stand, waren zwei Häuser mit Soldaten belegt. Ein Munitionslager war in dem vor dem Haus angebauten Schuppen untergebracht. Jeden Tag am Vormittag marschierten die braun uniformierten Franzosen mit „un-deux“ laut schreiend die Straße entlang. Jaki fand das toll und er rannte mit seinen Spielkameraden immer hinterher. Wenn die Soldaten zurückkehrten und privat herum lungerten, gab es meistens einen Kaugummi oder ein paar Bonbons zum Lutschen. Die waren sehr kinderlieb. Gewehrmunition konnte man, wenn man es geschickt anging, klauen und mit einem Zündholz zum Knallen bringen. Munition war ein beliebtes Spielzeug und fand sich in jeder Lederhose der Buben wieder.

Anfang Oktober, es war noch angenehm warm, läutete es, und ein Offizier stand draußen vor dem Haus. Er bat um Einlass. Als er in der Wohnung von Erwin stand, meinte er in gut verständlichem Deutsch:

„Der Bürgermeister schickt mich zu Ihnen, ich brauche eine Wohnung für meine Familie.“

Diese Aufforderung war nicht zu überhören. Jaki, Hans und die Mutter waren dazugekommen und Johanna entgegnete:

„Muss es denn unsere Wohnung sein, Sie sehen doch, wir haben zwei Kinder“.

Der Franzose verzog keine Miene:

„Ich habe auch Kinder.“

Und dann lächelte er:

„Ich gebe Ihnen Zeit, in drei Tagen wir werden hier einziehen, verstanden, tut mir leid“.

Mit diesen Worten verabschiedete er sich, salutierte, lief aus der Wohnung die Treppe hinunter, stieg in den wartenden Jeep und fuhr davon.

Jakis Vater überlegte, wohin er mit seiner Familie gehen könnte, um ein Dach über dem Kopf zu haben.

„Weißt du eine Möglichkeit?“

fragte er seine Frau, die mit Tränen in den Augen in der Küche saß.

„Die Waschküche?“.

Das war eine gute Idee. Jetzt war schnelles Handeln von Nöten. Geschickt war Erwin schon immer gewesen. Die zwei Jungs standen um den Küchentisch herum und Jakob erkundigte sich: „Ziehen wir wirklich in die Waschküche, Papa?“

Der nickte mit dem Kopf:

„Ihr müsst mir dabei aber helfen“.

Das wollten sie gerne tun. Ein Abenteuer würde das werden. Vor dem Dreifamilienhaus – zwei Wohnungen waren vermietet – waren Bretter gelagert. Diese hatten auf ihren Einsatz geradezu gewartet. Die Waschküche war ein sehr großer Raum im Erdgeschoss des Hauses mit einem Fenster, Blick auf die davor gelegene Wiese. Normalerweise ein schöner Ausblick. An die Waschküche grenzte, durch eine Tür getrennt, ein Badezimmer mit Wanne und dem dazu gehörenden Ofen zum Erhitzen des Wassers und gleichzeitigem Aufwärmen des Raumes. Diese zwei Räume machte Erwin jetzt halbwegs wohnlich, indem er einen einfachen Holzboden aus den vor dem Haus gelagerten Brettern schuf. Als Einrichtung dienten ein Matratzenlager, ein alter Tisch mit Stühlen, wenig aus der Wohnung mitgenommenes Geschirr, eine Kochplatte, dazu ein kleiner Geschirrschrank und ein alter Kasten für Kleidung. Fertig war die Einrichtung. Fließend Wasser war vorhanden, es war ja schließlich die frühere Waschküche für alle Parteien im Haus.