Der Erdspiegel - Andrea Maria Schenkel - E-Book

Der Erdspiegel E-Book

Andrea Maria Schenkel

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Beschreibung

Gemeinhin glauben die Leute, was der Bichel sagt. Er redet wie ein gelehrter Mann, wie ein Pfarrer oder ein studierter Doktor, und ist doch nur ein einfacher Viehhändler. Aber der Bichel kann erzählen. Diese Gabe ist nicht jedem gegeben. Der Bichel versteht es, die Leute in seinen Bann zu ziehen. Einen magischen Spiegel soll der Bichel besitzen, so hört man. Darin könne man geliebte Menschen sehen. Und der Spiegel verfüge über prophetische Kräfte, sage einem die Zukunft voraus. Nur über den Erdspiegel sprechen dürfe man nicht. Schlechte Gedanken reichten, um ihn zu zerstören. Und noch viel Schlimmeres könnten Zweifel und Unglauben anrichten! Seine Kritiker schimpfen den Bichel einen Menschenfänger, doch die meisten glauben ihm, wollen ihm glauben, dass sie ein besseres, ein leichteres Leben verdient haben. Die meisten – das sind junge Mädchen, hübsche und fleißige Töchter armer Tagelöhner. Sie mögen naiv und leichtgläubig sein, aber sie haben Träume. Bis eine nach der anderen plötzlich verschwindet …

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Andrea Maria Schenkel

Der Erdspiegel

Roman

Kampa

Für Felix, Toni und Linda.

In Liebe, Mama.

Der Korb an Katharinas Arm wog schwer, sodass sie ihn abwechselnd mal in der linken und mal in der rechten Hand trug.

»Du musst mit drei verschiedenen Gewändern kommen. Mit drei, hörst du?«, hatte ihr der Bichel am Morgen eingeschärft. »Und beeile dich, die Zeit ist knapp. Wenn der Tag zu Ende geht, ist die Chance vertan, und es dauert ein weiteres Jahr.«

Sie war nach Hause gelaufen und hatte dort in aller Heimlichkeit ihre schönsten Kleider in den Korb gelegt. In Gedanken ging sie alles noch einmal durch: Zuoberst lag der sonnengelbe Spenzer, den sie sich erst vor Kurzem hatte anfertigen lassen. Die Farbe des Stoffes hatte ihr sofort gefallen, sie passte so gut zu ihrem kastanienbraunen Haar. Der Spenzer war ihr schönstes Stück, ihr Sonntagsstaat. Bisher hatte sie ihn nur ein einziges Mal, zur Christmesse in der Heiligen Nacht, getragen. Nun wollte sie das Jäckchen anziehen, wenn sie ihren Liebsten zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Darunter lag das blaue Tageskleid mit dem wattierten Rock. Auch den grünen Spenzer und das Schnürleibchen hatte sie eingepackt.

Dreimal müsse sie sich umkleiden, hatte er ihr gesagt. Wenn sie die Chemisette zu dem gelben und dem grünen Spenzer anziehen würde und dazu den wattierten Rock, waren das zwei Gewänder. Überdies hatte sie das rote Tüchlein dabei, den Rock aus Barchent und die Schürze, die sie heute trug.

Zu gern hätte Katharina die Hochzeitshaube eingepackt, nur konnte sie die in der kurzen Zeit nicht finden. Therese, die wusste, wo sich die Haube befand, war heute nicht im Haus, und Walburga wollte Katharina nicht fragen. Die hatte eh schon neugierig um die Ecke gelurt, als Katharina die Sachen zusammensuchte. Freilich hatte Walburga wissen wollen, was es mit der Geheimniskrämerei ihrer Schwester auf sich habe und warum die alte Mare in aller Früh auf dem Hof erschienen war.

Aber Katharina hatte das Versprechen gehalten, das sie dem Bichel gegeben hatte. »Kein Wort zu niemandem!«, hatte er ihr gesagt, sonst funktioniere der Zauber nicht. Ein Zauber sei schließlich ein sehr zartes und zerbrechliches Ding, da brauche man Feingefühl. Bereits die Schwingung eines einzigen schlechten Gedankens reiche aus, um ihn zu stören. Viel Schlimmeres könnten Zweifel und Unglaube anrichten, die Magie würde zerbersten wie ein Glas.

»Magie« – genau das Wort hatte der Bichel verwendet. Manchmal redete er wie ein gelehrter Herr. Ganz so wie ein Pfarrer oder ein studierter Doktor. Dabei war er ein Viehhändler. Die Leute sagten, er sei viel herumgekommen. Bei den Franzosen sei er gewesen und auch jenseits der Alpen in Rom und Neapel. Genaueres wusste keiner, und der Bichel hüllte sich darüber in Schweigen. Aber dass er kein normaler Mann sein konnte, sah man daran, dass er des Lateins ein wenig mächtig war und auch sonst in allerlei Dingen Bescheid wusste.

Katharina wechselte den Korb wieder von einer Seite zur anderen. Die klammen Finger waren blau vor Kälte. Es rächte sich, dass sie nicht an die Handschuhe gedacht hatte. Auch hatte sie das Gewicht der Kleider unterschätzt. Womöglich war es ein Glück, die Haube nicht gefunden zu haben. Es war kein Platz im Korb, und sie wäre eingedrückt worden. An Schmuck hatte Katharina nur die goldfarbenen Ohrringe dabei, aber der Bichel hatte ja ohnehin nur von Gewändern gesprochen. Dafür hatte sie den weißen Rüschenkragen, den aus dem feinen Batist, und ein paar seidene Bänder dabei. Die Bänder konnte sie sich ins Haar binden, wenn es nötig sein würde. Das musste reichen. Sie war mit sich zufrieden.

Katharina lächelte. Nicht einmal im Traum wäre es ihr eingefallen, dass es heute geschehen könnte. Dass sie, ehe der Tag um war, wissen würde, wer für sie bestimmt war. Ihre Schwester Therese würde sie ausschelten, wenn sie aus der Stadt zurückkam, weil Katharina alles hatte stehen und liegen lassen. Aber das war jetzt egal. Ihr würde bestimmt etwas einfallen, sie könnte es der Therese erklären. Sie hatte heute Wichtigeres vor.

Der Bichel wollte sie in den Erdspiegel sehen lassen. Seit einer gefühlten Ewigkeit wartete Katharina darauf. Vor mehr als einem Jahr hatte er den Spiegel vergraben. Am Fuße des Kalvarienberges. Genau an der Kreuzung. Dort, wo der eine Weg hinüberführt zur Kapelle und der andere den Leidensweg hinauf zum Christus am Kreuz. Am Anfang war es ihr seltsam vorgekommen: Wie sollte ein vergrabenes Stück Glas die Zukunft vorhersagen können? Zudem plagte sie ihr Gewissen. Ob sie wohl eine Sünde begehen würde, wenn sie in den Spiegel sähe? Als ihr der Bichel jedoch erklärte, dass der Weg hinauf das Symbol sei für unser Leben mit all seiner Mühe, dem Leid, den Höhen und Tiefen, da leuchtete es ihr ein. Der Zauber konnte nur wirken, wenn der Spiegel an einem magischen Ort vergraben war, und welcher Ort konnte mehr Magie in sich bergen als der Leidensweg Christi? Der Pfad, an dem er seine Tränen, seinen Schweiß und sein Blut geopfert hatte. Zudem hatte der Bichel Katharina alles genau beschrieben. Wie er das Spiegelglas dorthin gebracht und neben der Wegkreuzung vergraben hatte.

»Um seine Tugenden zu erlangen, muss es in der Weihnachtsnacht in der Stunde vor der Christmette vergraben werden. Es ruht dann in der geweihten Erde, und ein Jahr später, zum gleichen Datum und zur gleichen Stunde, muss es wieder ausgegraben werden. Der Spiegel behält danach bis zum nächsten Neumond seine Kraft«, hatte er ihr erklärt. Es gab also keine Zeit zu verlieren. Wollte sie in den Spiegel blicken, musste es heute sein.

Zudem hätten nur bestimmte Leute die Gabe, in das Glas zu sehen, sagte der Bichel. In den vergangenen Tagen habe es die eine oder andere Person versucht, aber man müsse an einem Lostag das Licht der Welt erblickt haben. Selbst er, der Bichel, könne nicht sehen, was im Spiegel vor sich gehe. Hingegen sie, Katharina, sie war zu Mariä Lichtmess geboren worden. Ein weiterer Grund, Walburga nicht einzuweihen, war die doch im Sommer, mitten in der Ernte, zur Welt gekommen und somit nicht mit der Gabe gesegnet, in den Spiegel blicken zu können.

Welch ein Glück sie hatte!, dachte Katharina bei sich. Sie gehörte zu den Auserwählten. Die junge Frau hielt einen Moment inne und verschnaufte. Um zu verhindern, dass Walburga Verdacht schöpfte, hatte Katharina nicht den direkten Weg zum Bichel eingeschlagen, sondern war einen kleinen Umweg gegangen. Die Welt um sie herum war in tristes Wintergrau gehüllt. Die Wolken hingen schwer und dicht wie eine undurchdringliche Wand. Seit Wochen war die Sonne nicht zum Vorschein gekommen, und jetzt setzte auch noch Schneeregen ein. Katharina musste sich beeilen.

Bis ins Kleinste hatte der Bichel ihr alles erklärt. Sie solle nicht erschrecken, wenn er den Raum mit dunklen Tüchern verhänge, es habe schon seine Richtigkeit. Diejenigen, die auserwählt seien, sagten, dass es für eine perfekte Wirkung dunkel sein müsse. Diejenigen, die es gesehen hätten, sagten, dass das Glas zuerst fast schwarz aussehe, danach würde ein gräulicher Nebel darüberziehen, der langsam blau werde und schließlich in ein helles Licht breche. Wie die Sonne, die hinter einer Wolke hervortrete. Das Licht sei so intensiv, dass es einem in den Augen brenne. Trotz der Schmerzen müsse man weitersuchen, denn erst dann könne man das Gewünschte erkennen. Dreimal solle sie ihre Kleidung wechseln, und dreimal würde sie sehen, was in ihrem Leben auf sie zukäme.

In Gedanken versunken, hatte Katharina nicht auf den Weg geachtet und war nun überrascht, vor der Tür des Bichel zu stehen. Sie hob die Hand, zögerte einen kurzen Moment, und dann klopfte sie.

Als der Bichel sie hereinließ, war es genauso, wie er es ihr gesagt hatte. Die Fenster waren mit dunklen Tüchern abgehängt. In einer Hand hielt er eine Leuchte. Mit dem Zeigefinger der anderen vor seinem Mund deutete er ihr, dass sie still sein solle. Der Zauber vertrage keinen Lärm und keine Hetze, raunte er ihr zu. Katharina versuchte, so gut sie konnte ihre Anspannung zu unterdrücken. Unsicher folgte sie dem Bichel zu einem Tischchen in der Mitte der Stube. Er stellte die Lampe darauf ab. Das Licht war so schwach, es reichte nicht einmal aus, um den kleinen Tisch zu erhellen. Dennoch konnte Katharina erkennen, dass dort unter einem Tuch verborgen etwas lag. Es musste der Erdspiegel sein.

Sie trat näher. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie befürchtete, es würde aus ihrem Leib herausspringen, so wild schlug es. Der Bichel stand ganz nah neben ihr. Wenn er sprach, war Katharina, als könne sie seinen Atem im Nacken spüren.

»Stell deinen Korb ab, und setz dich auf den Schemel«, wisperte er ihr zu.

Sie tat, wie ihr geheißen. Dabei stieß sie ganz leicht und ohne jede Absicht gegen die Tischkante. Das Licht flackerte ein wenig.

»Nicht, du dummes Ding!«, fuhr er sie an. »Du zerstörst den Zauber. Der Spiegel darf nicht erschüttert oder berührt werden, sonst verliert er seine Kraft. Das Beste wird sein, ich binde deine Hände auf den Rücken, so kommst du nicht in Versuchung.«

Katharina wollte etwas einwenden, aber ließ es bleiben. Zu groß war die Angst, der Bichel würde sie nicht in den Spiegel blicken lassen, wenn sie nicht tat, was er von ihr verlangte. Sie kreuzte ihre Arme, und er umwand sie mit einem Tuch. Danach verband er ihr die Augen, denn, wie er sagte, war es ihr nicht erlaubt zu sehen, wie er das Tuch vom Spiegel nahm. Auch das könne den Zauber zerstören. Erst wenn er es fortgenommen habe, erst dann und nur dann, könne sie einen Blick in den Spiegel werfen. Wieder ließ sie alles mit sich geschehen, ganz so, wie er es ihr befahl.

Katharina saß da, mit verbundenen Augen und auf den Rücken gebundenen Händen. Alles war still, selbst ihr Herz hatte aufgehört, wie wild zu schlagen. Gleich würde sie in den Spiegel sehen. Gleich würde sie sehen, wen das Schicksal für sie auserkoren hat. Sie atmete tief ein und wieder aus. In dem Moment spürte sie den Stich. Und einen brennenden Schmerz. Sie verstand nicht, was mit ihr geschah. Sie wollte schreien, allein sie konnte nicht. Aus ihrem Mund kam nur ein hässliches Gurgeln. Sie fiel zu Boden, und da sah sie das Licht. Ein unglaublich klarer, gleißender Schein. Es war ihr, als würde sie davon angezogen werden, als würde sie eins werden mit der Helle.

Der Bichel hatte nicht gelogen: Sie sah ihre Zukunft. Das war das Letzte, was ihr durch den Kopf ging.

Am Morgen kurz nach Sonnenaufgang erschien die alte Mare auf dem Hof. Walburga hatte gerade das Federvieh aus den Verschlägen gelassen. Der Knecht, der Mich, war vor Tagesanbruch mit dem Tagelöhner ins Holz gefahren, und auch Walburgas Schwester, die Therese, war nicht im Haus. Sie war zeitig von Regendorf nach Regensburg aufgebrochen. Der Pachtvertrag mit dem Bistum über die Wiesen am Hölzl musste verlängert werden, zudem standen noch einige Besorgungen in der Stadt an. Der Mich hatte sie ein Stück des Weges mit dem Brückenwagen mitgenommen, die restlichen zwei Stunden ging Therese zu Fuß.

Walburga wollte gerade zurück ins Haus, als die Mare plötzlich vor ihr stand. Die Alte war ein kleines Hutzelweiberl, keine fünf Fuß hoch. In der Umgebung war sie bekannt wie ein bunter Hund. Das Gesicht voller Furchen und Falten. Egal, worüber sie sprach, sie verzog stets den Mund zu einem Grinsen. Man konnte ihre beiden Stumpen sehen, ganz so, als wollte sie der Welt zeigen, dass sie nicht ganz zahnlos war.

Mare wohnte im Dorf im Hirtenhaus, in einer kleinen Kammer gleich neben dem Geißenstall. Und weil sie keinen Mann hatte und auch keine Kinder, die sie ernähren konnten, verdingte sie sich ihr karges Brot mit Botengängen. In der letzten Nacht hatte der Angerbauer sie nach der Hebamme, der Bichlerin, schicken lassen. Deshalb, so erzählte Mare Walburga, sei sie jetzt bereits die halbe Nacht unterwegs. Die Beine täten ihr weh, und auch sonst sei sie ganz schwach.

»Wannst eine Morgensuppe für mich hättest, da wäre ich dir sehr dankbar und würde auch einen Rosenkranz als Vergeltsgott für dich beten.« Die Alte grinste Walburga täppisch und auch ein wenig unterwürfig an.

Dieser blieb nichts anderes übrig, als die Mare widerwillig mit ins Haus zu nehmen. Dort bot sie ihr einen Platz auf der Bank neben der Kuchel an und sagte zur Katharina, sie möge Mare ein wenig von der Morgensuppe in eine irdene Schüssel geben, damit die Alte zu Kräften käme und sich recht bald wieder auf den Weg machen könne. Walburga selbst kümmerte sich nicht weiter um das Weiberl. Sollte ihre Schwester dem unerwünschten Gast Gesellschaft leisten, wie alle jungen Dinger war auch sie nur zu begierig darauf, sich den neuesten Tratsch aus der Umgebung berichten zu lassen. Für solch einen Unfug hatte Walburga keine Zeit.

Walburga war die Praktische der drei Seidel-Schwestern. Sie war groß und stark und im Aussehen etwas grobschlächtig. Sie konnte ausdauernder und härter arbeiten als mancher Mann. Wenn der zwei Hiebe brauchte, um ein Scheit Holz zu spalten, schaffte Walburga es mit einem. Sie werkelte in Haus und Hof von früh bis abends. Der Mich war der einzige Knecht, der mit ihr mithalten konnte.

Therese, die Älteste der Schwestern, kümmerte sich um die finanziellen Angelegenheiten. Wäre es Frauen erlaubt gewesen zu studieren, aus ihr hätte eine gute Advokatin werden können. Sie kannte sich aus mit Verträgen und wusste genau, was wie viel wert war und wann man den besten Preis erzielen konnte.

Walburga und Therese waren ein eingespieltes Team. Haus und Hof der Familie waren bei den beiden in guten Händen. Sie wirtschafteten besser als jeder Mann, sie brauchten keine Ehemänner, die ihnen das Ruder aus der Hand nahmen und ihnen sagten, was sie zu tun und zu lassen hatten.

Katharina, die Jüngste, war ganz anders. Schon immer war sie zart und zerbrechlich gewesen. Die älteren Schwestern hatten nach dem Tod der Eltern versucht, sie zu beschützen und alles Schlechte von ihr fernzuhalten. Vielleicht hatten sie sie ein bisschen zu sehr verwöhnt. Katharina hatte ganz im Gegensatz zu Therese und Walburga eine schwärmerische Natur. Sie träumte von einem liebenden Ehemann und einem schönen Haus mit einem Garten voller Blumen. In ihren Tagträumen sah sie sich handarbeitend auf einer Bank sitzen, um sie herum ihre spielenden Kinder. Zwei sollten es sein, ein Mädchen und ein Junge. Das Mädchen sollte die gleichen kastanienbraunen Haare haben wie sie selbst, und der Knabe sollte blond sein und blaue Augen haben wie der imaginierte Ehemann. Am besten wäre es, wenn ihr Zukünftiger ein Kaufmann wäre, aber dann fiel ihr in ihren Tagträumen ein, dass der womöglich die gleiche rationale Art wie ihre Schwester Therese haben würde. Wenn dem so wäre, wäre vielleicht eine andere Profession besser. Ein Bauer oder Handwerksmeister kam auch nicht infrage, denn der würde sie zu sehr an Walburga erinnern. Ein studierter Beamter vielleicht? Oder einer, der im Rat saß? Katharina wollte jemanden, der sie verstand, der sie nicht auslachte, wenn sie von ihren Träumen erzählte. Sie wollte einen liebenden Gatten. Dass dieser auch vermögend war, darauf würden ihre Schwestern achten.

Kaum hatte Walburga sie allein gelassen, erzählte Mare dem Mädchen, dass sie nicht zufällig hier sei. Der Bichel habe sie geschickt. Sie solle Katharina ausrichten, dass heute der Tag gekommen sei und dass sie so bald als möglich bei ihm vorbeikommen solle.

Das junge Ding wurde zuerst blass, und dann bekam sie glühend rote Wangen. Morgen, sie wolle warten, bis ihre Schwester Therese wieder zu Hause war, kam es stockend aus ihr heraus.

Aber die Alte ließ nicht locker. Sie fürchtete um ihren Lohn, wenn Katharina nicht zum Bichel ging. Darum machte sie es etwas pressanter. Der Bichel habe gesagt, sie solle sogleich zu ihm gehen. Es sei sehr wichtig, und es gelte, keine Zeit zu verlieren, da das, auf das sie seit Langem warte, nur heute stattfinden könne. Und wenn es der Katharina nicht möglich sei zu erscheinen, sei die Chance vertan.

Mare konnte sehen, wie sehr das Mädchen mit sich haderte. Freilich, in all dem Zögern erkannte sie auch eine freudige Aufgeregtheit. Schließlich willigte Katharina ein, in der nächsten Stunde zum Bichel hinüberzulaufen.

Zu gern hätte Mare gewusst, um was es sich bei dieser dringlichen Angelegenheit handelte. Der Bichel hatte, als er ihr den Auftrag erteilte, sehr geheimnisvoll getan und ihr eingeschärft, nur mit der Jüngsten der Seidel-Schwestern zu sprechen. Nicht mit der Walburga und schon gar nicht mit der Therese. »Nur mit Katharina. Hörst! Dein Schaden soll es nicht sein. Ich werde mich erkenntlich zeigen für diesen Dienst. Später. Freilich nur, wenn du alles so erledigst, wie ich es dir auftrage. Wenn du dich nicht daran hältst, bekommst du auch nichts.«

Auch das junge Ding zeigte sich auf Mares Nachfragen hin verstockt. So sehr sie auch drängte, sie bekam kein Sterbenswörtchen aus Katharina heraus. Nachdem die Alte mit ihrer Morgensuppe fertig war, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf den Nachhauseweg zu machen. Sie hatte ihr Geschäft erledigt.

Katharina schenkte dem Weiberl aus lauter Dankbarkeit zum Abschied ein Stück Rauchfleisch – und das inmitten der Fastenzeit. Das würde sich Mare am Abend heimlich schmecken lassen. Sie würde das Fenster verhängen und auch das Kruzifix. So konnte keiner, auch der Herrgott nicht, sehen, was sie tat.

Auf dem Heimweg nahm Mare sich vor, in den nächsten Tagen wieder bei Katharina vorbeizuschauen. Ihre Neugier ließ ihr schon jetzt keine Ruhe. Sie war fast sicher, dass bei dem Bichel ein heimlicher Galan auf das Mädchen wartete. Was konnte es anderes sein? Vielleicht hatte sie Glück, und Katharina war beim nächsten Besuch gesprächiger.

Kaum hatte Mare den Hof verlassen, lief Katharina eilig zum Bichel hinüber, und eine gute Stunde später war sie zurück. Als Walburga wissen wollte, wo sie gewesen war, rückte Katharina zunächst nicht mit der Sprache heraus. Erst als die Schwester nicht aufhörte zu fragen, gab sie zu, beim Bichel gewesen zu sein, und erklärte, nun eine Reihe von Besorgungen erledigen zu wollen. Dazu müsse sie aber erst ein paar Sachen einpacken. Wenn danach noch Zeit wäre, wolle sie zur Godin nach Preßgrund hinüberlaufen. Allen weiteren Fragen wich Katharina aus. Die Schwester solle sie nicht immer wie ein kleines Kind behandeln, sie wisse, was sie tue.

Walburga versuchte herauszufinden, was Katharina da in aller Hast zusammenpackte, die machte allerdings ein großes Geheimnis daraus, und ewig Zeit, ihrer Schwester hinterherzuspionieren, hatte Walburga auch nicht. Die Arbeit auf dem Hof erledigte sich nicht von selbst, die Tiere mussten gefüttert, gemistet und gemolken werden. Der Mich kam mit einem ganzen Fuhrwerk und dem Tagelöhner wieder auf den Hof zurück. Und die Therese war immer noch fort.

Erst am Abend entdeckte Walburga, dass Katharina nicht nur den gelben Spenzer eingepackt hatte, auch ein paar ihrer schönsten Kleider waren nicht mehr da. Zudem war es bereits finster, und die Schwester war immer noch nicht zurück. Walburga fing an, sich Gedanken zu machen. Und hätte nicht ausgerechnet an dem Abend die Resel, die Kuh, vorzeitig zu kalben angefangen, wäre sie in derselben Stunde aufgebrochen, um nach der Schwester zu suchen. Aber so konnte sie nicht auch vom Hof fort.

Am nächsten Morgen schickte sie den Mich los. Er sollte von Regendorf hinüber nach Preßgrund und nachfragen, ob Katharina dort über Nacht geblieben war. Der Mich fand schnell heraus, dass Katharina die Godin nicht besucht haben konnte. Diese war krank und wurde seit ein paar Tagen im Haus ihrer Tochter in Edlhausen gepflegt. Auf dem Rückweg erkundigte er sich daher noch in der Nachbarschaft, ob einer Katharina gesehen habe. Doch ohne Erfolg.

Als er wieder auf dem Hof eintraf, war es bereits Mittag, und Therese war aus Regensburg zurück. Mich berichtete den Schwestern das Wenige, was er herausgefunden hatte. Therese beschloss sogleich, zum Bichel hinüberzulaufen und nachzufragen, ob der vielleicht etwas wisse. Schließlich war Katharina, ehe sie zu ihren Besorgungen aufgebrochen war, bei ihm gewesen. Beim Bichel war aber keiner zu Hause.

Am Tag darauf, als von der Schwester immer noch jede Spur fehlte, ging Therese wieder zum Bichel, und dieses Mal traf sie ihn an. Er war überrascht, Therese zu sehen, und sagte, dass Katharina bei ihm gewesen war. Das Mädchen habe vor dem Haus auf einen Fremden gewartet. Auf einen jungen Herrn. Er erzählte, er habe sie aufgefordert hineinzugehen, da das Wetter so schlecht war, es hatte geregnet und auch ein wenig geschneit. Sie hingegen habe darauf bestanden, auf der Bank vor dem Haus sitzen zu bleiben.

Auf Thereses Frage, ob es ihm nicht seltsam vorgekommen war, dass ihre Schwester ausgerechnet bei ihm auf den Unbekannten wartete, entgegnete der Bichel, Katharina habe ihm den Fremden bereits am Morgen angekündigt. Sie sei extra zu ihm auf den Hof gekommen. Wenn er sich richtig erinnere, so wollten die beiden nach Stadtamhof bei Regensburg fahren. Als Katharina wenig später mit einem Korb zurückgekommen sei, sei er davon ausgegangen, dass alles seine Richtigkeit habe.