Der ewige Spießer - Ödön von Horvath - E-Book

Der ewige Spießer E-Book

Ödön von Horváth

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Beschreibung

»Der ewige Spießer« ist der erste Roman von Ödön von Horváth und wurde 1930 verfasst. In klarer Sprache und losen Episoden zeichnet der Autor die sich kreuzenden Lebenswege mehrerer Figuren in einer kleinbürgerlichen Gesellschaft nach. Diese gibt sich nur nach außen edel, aber in ihrem Inneren ist sie rein auf Vorteil und Eigennutz bedacht: Die Handlung spielt während der Weltwirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg. Der arbeitslose Alfons Kobler zum Beispiel nutzt sein gutes Aussehen, um sich von älteren Damen aushalten zu lassen und in die gute Gesellschaft aufzusteigen. Die Näherin ohne Anstellung Anna Pollinger beschließt »praktisch« zu werden und sich prostituieren zu lassen. Der reiche Harry Priegler, Sohn eines Kriegsgewinnlers, soll ihr erster Kunde sein. Des Weiteren treten auf: verkommene Adlige, als Künstler gescheiterte Intellektuelle und andere, zeitlose Spießerfiguren. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ödön von Horvath

Der ewige Spießer

Erbaulicher Roman in drei Teilen

Ödön von Horvath

Der ewige Spießer

Erbaulicher Roman in drei Teilen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: De Gruyter, Berlin; New York, 1929 2. Auflage, ISBN 978-3-954184-72-9

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Ers­ter Teil -- Herr Ko­b­ler wird Pa­n­eu­ro­pä­er

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Zwei­ter Teil -- Fräu­lein Pol­lin­ger wird prak­tisch

1

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Drit­ter Teil -- Herr Reit­ho­fer wird selbst­los

1

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3

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6

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

99 Welt-Klas­si­ker

Der Tee der drei al­ten Da­men

Arme Leu­te und Der Dop­pel­gän­ger

Der Vam­pir

Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der Idi­ot

Jane Eyre

Effi Briest

Ili­as & Odys­see

Ge­schich­te des Gil Blas von San­til­la­na

Die Er­zie­hung des Her­zens

und wei­te­re …

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Das Buch

»Der ewi­ge Spie­ßer« ist der ers­te Ro­man von Ödön von Hor­váth und wur­de 1930 ver­fasst.

In kla­rer Spra­che und lo­sen Epi­so­den zeich­net der Au­tor die sich kreu­zen­den Le­bens­we­ge meh­re­rer Fi­gu­ren in ei­ner klein­bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft nach. Die­se gibt sich nur nach au­ßen edel, aber in ih­rem In­ne­ren ist sie rein auf Vor­teil und Ei­gen­nutz be­dacht:

Die Hand­lung spielt wäh­rend der Welt­wirt­schafts­kri­se nach dem Ers­ten Welt­krieg. Der ar­beits­lo­se Al­fons Ko­b­ler zum Bei­spiel nutzt sein gu­tes Aus­se­hen, um sich von äl­te­ren Da­men aus­hal­ten zu las­sen und in die gute Ge­sell­schaft auf­zu­stei­gen. Die Nä­he­rin ohne An­stel­lung Anna Pol­lin­ger be­schließt »prak­tisch« zu wer­den und sich pro­sti­tu­ie­ren zu las­sen. Der rei­che Har­ry Prieg­ler, Sohn ei­nes Kriegs­ge­winn­lers, soll ihr ers­ter Kun­de sein.

Des Wei­te­ren tre­ten auf: ver­kom­me­ne Ad­li­ge, als Künst­ler ge­schei­ter­te In­tel­lek­tu­el­le und an­de­re, zeit­lo­se Spie­ßer­fi­gu­ren.

»... aber was ich Ih­nen vor­wer­fe, ist ein­fach dies: daß Sie sich ver­geu­den! Heut­zu­tag muß man auch sei­ne Sinn­lich­keit pro­duk­tiv ge­stal­ten! Ich ver­lan­ge zwar kei­nes­wegs, daß Sie sich pro­sti­tu­ie­ren, aber ich bit­te Sie um Ihret­wil­len, prak­ti­scher zu wer­den!«

Für Ernst Weiß

Der Spie­ßer ist be­kannt­lich ein hy­po­chon­dri­scher Ego­ist, und so trach­tet er da­nach, sich über­all fei­ge an­zu­pas­sen und jede neue For­mu­lie­rung der Idee zu ver­fäl­schen, in­dem er sie sich an­eig­net. Wenn ich mich nicht irre, hat es sich all­mäh­lich her­um­ge­spro­chen, daß wir aus­ge­rech­net zwi­schen zwei Zeit­al­tern le­ben. Auch der alte Typ des Spie­ßers ist es nicht mehr wert, lä­cher­lich ge­macht zu wer­den; wer ihn heu­te noch ver­höhnt, ist bes­ten­falls ein Spie­ßer der Zu­kunft. Ich sage Zu­kunft, denn der neue Typ des Spie­ßers ist erst im Wer­den, er hat sich noch nicht her­aus­kris­tal­li­siert.

Es soll nun ver­sucht wer­den, in Form ei­nes Ro­mans ei­ni­ge Bei­trä­ge zur Bio­lo­gie die­ses wer­den­den Spie­ßers zu lie­fern. Der Ver­fas­ser wagt na­tür­lich nicht zu hof­fen, daß er durch die­se Sei­ten ein ge­setz­mä­ßi­ges Welt­ge­sche­hen be­ein­flus­sen könn­te, je­doch im­mer­hin.

Erster Teil -- Herr Kobler wird Paneuropäer

Denn so­lang du dies nicht hast, Die­ses »Stirb und wer­de!«, Bist du noch ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.

1

Mit­te Sep­tem­ber 1929 ver­dien­te Herr Al­fons Ko­b­ler aus der Schel­ling­s­tra­ße sechs­hun­dert Reichs­mark. Es gibt vie­le Leut, die sich so­viel Geld gar nicht vor­stel­len kön­nen.

Auch Herr Ko­b­ler hat­te noch nie­mals so­viel Geld so ganz auf ein­mal ver­dient, aber dies­mal war ihm das Glück hold. Es zwin­ker­te ihm zu, und Herr Ko­b­ler hat­te plötz­lich einen elas­ti­sche­ren Gang. An der Ecke der Schel­ling­s­tra­ße kauf­te er sich bei der gu­ten al­ten Frau Stan­zin­ger eine Schach­tel Acht­pfen­nig­zi­ga­ret­ten, di­rekt aus Ma­ze­do­ni­en. Er lieb­te näm­lich die­sel­ben sehr, weil sie so über­aus mild und aro­ma­tisch wa­ren.

»Jes­sas Ma­ri­and­jo­sef!« schrie die bra­ve Frau Stan­zin­ger, die, seit­dem ihr Fräu­lein Schwes­ter ge­stor­ben war, ein­sam zwi­schen ih­ren Ta­bak­wa­ren und Rau­chu­ten­si­li­en saß und aus­sah, als wür­de sie je­den Tag um ein Stück­chen klei­ner wer­den -- »Seit wann rau­chens denn wel­che zu acht, Herr Ko­b­ler? Wo ha­bens denn das vie­le Geld her? Ha­bens denn wen um­ge­bracht, oder ha­ben Sie sich gar mit der Frau Hof­o­pern­sän­ger wie­der ver­söhnt?« »Nein«, sag­te der Herr Ko­b­ler. »Ich hab bloß end­lich den Kar­ren ver­kauft.«

Die­ser Kar­ren war ein aus­ge­lei­er­ter Sechs­zy­lin­der, ein Ka­brio­lett mit Not­sitz. Es hat­te be­reits vierun­dacht­zig­tau­send Ki­lo­me­ter hin­ter sich, drei Dut­zend Pan­nen und zwei le­bens­ge­fähr­li­che Ver­let­zun­gen. Ein Greis.

Trotz­dem fand Ko­b­ler einen Käu­fer. Das war ein Kä­se­händ­ler aus Ro­sen­heim, na­mens Port­schin­ger, ein be­geis­te­rungs­fä­hi­ger großer di­cker Mensch. Der hat­te be­reits Mit­te Au­gust drei­hun­dert Reichs­mark an­ge­zahlt und hat­te ihm sein Ehren­wort ge­ge­ben, je­nen Greis spä­tes­tens Mit­te Sep­tem­ber ab­zu­ho­len und dann auch die rest­li­chen sechs­hun­dert Reichs­mark so­fort in bar mit­zu­brin­gen. So sehr war er über die­sen au­ßer­or­dent­lich bil­li­gen Ge­le­gen­heits­kauf Feu­er und Flam­me.

Und drum hielt er auch sein Ehren­wort. Pünkt­lich er­schi­en er Mit­te Sep­tem­ber in der Schel­ling­s­tra­ße und mel­de­te sich bei Ko­b­ler. In sei­ner Ge­sell­schaft be­fand sich sein Freund Adam Maue­rer, den er sich aus Ro­sen­heim ex­tra mit­ge­bracht hat­te, da er ihn als Sach­ver­stän­di­gen ach­te­te, weil die­ser Adam be­reits seit 1925 ein steu­er­frei­es Leicht­mo­tor­rad be­saß. Der Herr Port­schin­ger hat­te näm­lich erst seit vor­ges­tern einen Füh­rer­schein, und weil er über­haupt kein ein­ge­bil­de­ter Mensch war, war er sich auch jetzt dar­über klar, daß er noch lan­ge nicht ge­nü­gend hin­ter die Ge­heim­nis­se des Mo­tors ge­kom­men war.

Der Sach­ver­stän­di­ge be­sah sich das Ka­brio­lett ganz ge­nau und war dann auch schlecht­hin be­geis­tert. »Das ist ein Not­sitz!« rief er. »Ein wun­der­ba­rer Not­sitz! Ein ge­pols­ter­ter Not­sitz! Der ab­so­lu­te Not­sitz! Kaufs, du Rind­vieh!« Das Rind­vieh kauf­te es auch so­gleich, als wä­ren die rest­li­chen sechs­hun­dert Reichs­mark Lap­pa­li­en, und wäh­rend der Ko­b­ler die Schei­ne auf ihre Echt­heit prüf­te, ver­ab­schie­de­te es sich von ihm: »Als­dann, Herr Ko­b­ler, wanns mal nach Ro­sen­heim kom­men, be­su­chens mich mal. Mei­ne Frau wird sich freu­en, Sie müs­sen ihr nach­her auch die Ge­schicht von dem Prälatn er­zäh­len, der wo mit die jun­gen Ma­din her­umgstreunt is wie ein läu­fi­ges Nacht­kastl. Mei­ne Frau is näm­lich noch li­be­ra­ler als ich. Heil!«

Hier­auf nah­men die bei­den Ro­sen­hei­mer Her­ren im Ka­brio­lett Platz und fuh­ren be­glückt nach Ro­sen­heim zu­rück, das heißt: sie hat­ten dies vor.

»Der Kar­ren hat an schö­nen Gang«, mein­te der Sach­ver­stän­di­ge. Sie fuh­ren über den Bahn­hofs­platz. »Es is scho schö­ner so im eig­nen Ka­brio­lett als auf der stin­ker­ten Bahn«, mein­te der Herr Port­schin­ger. Er streng­te sich nicht mehr an, hoch­deutsch zu spre­chen, denn er war sehr be­frie­digt.

Sie fuh­ren über den Ma­ri­en­platz.

»Schlie­ßen Sie doch den Aus­puff!« brüll­te sie ein Schutz­mann an. »Is ja scho zu!« brüll­te der Herr Port­schin­ger, und der Sach­ver­stän­di­ge füg­te noch hin­zu: das Ka­brio­lett hät­te halt schon eine sehr schö­ne Auss­pra­che, und nur kein Neid.

Nach fünf Ki­lo­me­tern hat­ten sie die ers­te Pan­ne. Sie muß­ten das lin­ke Vor­der­rad wech­seln. »Das kommt beim bes­ten Ka­brio­lett vor«, mein­te der Sach­ver­stän­di­ge. Nach ei­ner wei­te­ren Stun­de fing der Ven­ti­la­tor an zu zwit­schern wie eine Ler­che, und knapp vor Ro­sen­heim über­schlug sich das Ka­brio­lett in­fol­ge Ach­sen­bruchs, nach­dem kurz vor­her sämt­li­che Brem­sen ver­sagt hat­ten. Die bei­den Her­ren flo­gen in ho­hem Bo­gen her­aus, blie­ben aber wie durch ein so­ge­nann­tes Wun­der un­ver­letzt, wäh­rend das Ka­brio­lett einen damp­fen­den Trüm­mer­hau­fen bil­de­te.

»Es ist bloß gut, daß uns nix pas­siert is«, mein­te der Sach­ver­stän­di­ge. Der Port­schin­ger aber lief wü­tend zum nächs­ten Rechts­an­walt, je­doch der Rechts­an­walt zuck­te nur mit den Schul­tern. »Der Kauf geht in Ord­nung«, sag­te er. »Sie hät­ten eben vor Ab­schluß ge­naue­re In­for­ma­tio­nen über die Leis­tungs­fä­hig­keit des Ka­brio­letts ein­ho­len müs­sen. Be­ru­hi­gen Sie sich, Herr Port­schin­ger, Sie sind eben be­tro­gen wor­den, da kann man nichts ma­chen!«

2

Sein­er­zeit, als die­ser Kar­ren noch fa­brik­neu war, hat­te ihn sich jene Hof­o­pern­sän­ge­rin ge­kauft, die wo die Frau Stan­zin­ger in Ver­dacht hat­te, daß sie den Herrn Ko­b­ler aus­hält. Aber das stimm­te nicht in die­ser Form. Zwar hat­te sie den Ko­b­ler gleich auf den ers­ten Blick recht lieb­ge­won­nen; dies ist in der Fir­ma »Ge­brü­der Bär« ge­sche­hen, also in eben je­nem La­den, wo sie sich den fa­brik­neu­en Kar­ren ge­kauft hat­te.

Der Ko­b­ler ging dann bei ihr ein und aus, von An­fang Ok­to­ber bis Ende Au­gust, aber die­ses gan­ze Ver­hält­nis war in pe­ku­ni­ärer Hin­sicht di­rekt pla­to­nisch. Er aß, trank und ba­de­te bei ihr, aber nie­mals hät­te er auch nur eine Mark von ihr an­ge­nom­men. Sie hät­te ihm so was auch nie­mals an­ge­bo­ten, denn sie war eine fei­ne ge­bil­de­te Dame, eine ehe­ma­li­ge Hof­o­pern­sän­ge­rin, die seit dem Um­sturz nur mehr in Wohl­tä­tig­keits­kon­zer­ten sang. Sie konn­te sich all die­se Wohl­tä­te­rei un­ge­niert leis­ten, denn sie nann­te u. a. eine schö­ne Vil­la mit par­k­ähn­li­chem Vor­gar­ten ihr ei­gen, aber sie wür­dig­te es nicht, zehn Zim­mer al­lein be­woh­nen zu kön­nen, denn oft in der Nacht fürch­te­te sie sich vor ih­rem ver­stor­be­nen Gat­ten, ei­nem dä­ni­schen Ho­no­rar­kon­sul. Der hat­te knapp vor dem Welt­krieg mit sei­nem ver­ei­ter­ten Blind­darm an die Him­mels­pfor­te ge­klopft und hat­te ihr all sein Geld hin­ter­las­sen, und das ist sehr viel ge­we­sen. Sie hat­te ehr­lich um ihn ge­trau­ert, und erst 1918, als be­gin­nen­de Vier­zi­ge­rin, hat­te sie wie­der mal Sehn­sucht nach ir­gend­ei­nem Manns­bild emp­fun­den. Und 1927 blick­te sie auf ein hal­b­es Jahr­hun­dert zu­rück.

Der Ko­b­ler hin­ge­gen be­fand sich 1929 erst im sie­ben­und­zwan­zigs­ten Len­ze und war we­der auf­fal­lend ge­bil­det noch be­son­ders fein. Auch ist er im­mer schon ziem­lich un­ge­dul­dig ge­we­sen -- drum hielt er es auch bei »Ge­brü­der Bär« nur knapp den Win­ter über aus, ob­wohl der eine Bär im­mer wie­der sag­te: »Sie sind ein tüch­ti­ger Ver­käu­fer, lie­ber Ko­b­ler!« Er ver­stand ja auch was vom Au­to­ge­schäft, aber er hat­te so sei­ne Schrul­len, die ihm auf die Dau­er der an­de­re Bär nicht ver­zei­hen konn­te. So un­ter­nahm er u. a. häu­fig aus­ge­dehn­te Pro­be­fahr­ten mit Da­men, die er sich im ge­hei­men ex­tra dazu hin­be­stellt hat­te. Die­se Da­men tra­ten dann vor den bei­den Bä­ren un­ge­mein selbst­si­cher auf, so un­ge­fähr, als könn­ten sie sich aus pu­rer Lau­ne einen gan­zen Au­to­bus kau­fen. Ein­mal je­doch er­kann­te der an­de­re Bär in ei­ner sol­chen Dame eine Pro­sti­tu­ier­te, und als dann ge­gen Abend der Herr Ko­b­ler zu­frie­den von sei­ner Pro­be­fahrt zu­rück­fuhr, er­war­te­te ihn die­ser Bär be­reits auf der Stra­ße vor dem La­den, riß die Tür auf und roch in die Li­mou­si­ne hin­ein. »Sie ma­chen da son­der­ba­re Pro­be­fahr­ten, lie­ber Ko­b­ler«, sag­te er ma­li­zi­ös. Und der lie­be Ko­b­ler muß­te sich dann wohl oder übel selbst­stän­dig ma­chen. Zwar konn­te er sich na­tür­lich kei­nen La­den mie­ten und be­trieb in­fol­ge­des­sen den Kraft­fahr­zeug­han­del in be­schei­de­nen Gren­zen, aber er war halt sein ei­ge­ner Herr. Er hat­te je­doch die­se hö­he­re so­zia­le Stu­fe nur er­klim­men kön­nen, weil er mit je­ner Hof­o­pern­sän­ge­rin be­freun­det war. Dar­über är­ger­te er sich manch­mal sehr.

Recht lan­ge währ­te ja die­se Freund­schaft nicht. Sie zer­brach Ende Au­gust aus zwei Grün­den. Die Hof­o­pern­sän­ge­rin fing plötz­lich an, wi­der­lich rasch zu al­tern. Dies war der eine Grund. Aber der aus­schlag­ge­ben­de Grund war eine ge­schäft­li­che Dif­fe­renz.

Näm­lich die Hof­o­pern­sän­ge­rin er­such­te den Ko­b­ler, ihr ka­put­tes Ka­brio­lett mit Not­sitz mög­lichst güns­tig an den Mann zu brin­gen. Als nun Ko­b­ler von dem Herrn Port­schin­ger die ers­ten drei­hun­dert Reichs­mark er­hielt, lie­fer­te er der Hof­o­pern­sän­ge­rin in ei­ner un­ge­zo­ge­nen Wei­se le­dig­lich fünf­zig Reichs­mark ab, wor­über die sich der­art auf­reg­te, daß sie ihn so­gar an­zei­gen woll­te. Sie un­ter­ließ dies aber aus Angst, ihr Name könn­te in die Zei­tun­gen ge­ra­ten, denn dies hät­te sie sich nicht leis­ten dür­fen, da sie mit der Frau ei­nes Mi­nis­te­ri­al­rats aus dem Kul­tus­mi­nis­te­ri­um, die sich ein­bil­de­te, sin­gen zu kön­nen, be­freun­det war. Also schrieb sie ih­rem Ko­b­ler le­dig­lich, daß sie ihn für einen glat­ten Schur­ken hal­te, daß er eine Ent­täu­schung für sie be­deu­te und daß sie mit ei­nem der­ar­ti­gen Sub­jek­te als Men­schen nichts mehr zu tun ha­ben wol­le. Und dann schrieb sie ihm einen zwei­ten Brief, in dem sie ihm aus­ein­an­der­setz­te, daß man eine Lie­be nicht so ein­fach zer­rei­ßen kön­ne wie ein Sei­den­pa­pier, denn als Weib blei­be doch im­mer ein klei­nes Et­was un­aus­lösch­lich in ei­nem drin­nen ste­cken. Der Ko­b­ler sag­te sich: Ich bin doch ein gu­ter Mensch, und te­le­fo­nier­te mit ihr. Sie tra­fen sich dann zum Abendes­sen drau­ßen im Aus­s­tel­lungs­re­stau­rant. »Pe­ter«, sag­te die Hof­o­pern­sän­ge­rin. Sonst sag­te sie die ers­te Vier­tel­stun­de über nichts. Ko­b­ler hieß zwar nicht Pe­ter, son­dern Al­fons, aber »Pe­ter klingt bes­ser«, hat­te die Hof­o­pern­sän­ge­rin im­mer schon kon­sta­tiert. Auch ihm selbst ge­fiel es bes­ser, be­son­ders wenn es die Hof­o­pern­sän­ge­rin aus­sprach, dann konn­te man näm­lich di­rekt mei­nen, man sei zu­min­dest in Chi­ka­go. Für Ame­ri­ka schwärm­te er zwar nicht, aber er ach­te­te es. »Das sind Kof­michs!« pfleg­te er zu sa­gen.

Die Mu­sik spiel­te sehr zart im Aus­s­tel­lungs­re­stau­rant, und die Hof­o­pern­sän­ge­rin wur­de wie­der ganz weich. »Ich will dir al­les ver­zei­hen, Dar­ling, be­halt nur ge­trost mein gan­zes Ka­brio­lett«, so un­ge­fähr lä­chel­te sie ihm zu. Der Dar­ling aber dach­te: Jetzt fäll­t’s mir erst auf, wie alt daß die schon ist. Er brach­te sie dann nach Hau­se, ging aber nicht mit hin­auf. Die Hof­o­pern­sän­ge­rin warf sich auf das Sofa und stöhn­te: »Ich möcht mein Ka­brio­lett zu­rück!«, und plötz­lich fühl­te sie, daß ihr ver­stor­be­ner Gat­te hin­ter ihr steht. »Schau mich nicht so an!« brüll­te sie. »Par­don! Du hast Krampf­adern«, sag­te der ehe­ma­li­ge Ho­no­rar­kon­sul und zog sich zu­rück in die Ewig­keit.

3

An der über­nächs­ten Ecke der Schel­ling­s­tra­ße wohn­te Ko­b­ler mö­bliert im zwei­ten Stock links bei ei­ner ge­wis­sen Frau Perzl, ei­ner Wie­ne­rin, die zur Ge­ne­ra­ti­on der Hof­o­pern­sän­ge­rin ge­hör­te. Auch sie war Wit­we, aber an­sons­ten konn­te man sie schon in gar kei­ner Wei­se mit je­ner ver­glei­chen. Nie kam es un­ter an­de­rem vor, daß sie sich vor ih­rem ver­stor­be­nen Gat­ten ge­fürch­tet hät­te, nur ab und zu träum­te sie von Ring­kämp­fern. So hat sich mal solch ein Ring­kämp­fer vor ihr ver­beugt, der hat dem Ko­b­ler sehr ähn­lich ge­se­hen, und hat ge­sagt: »Es ist ge­ra­de 1904. Bit­te, halt mir den Dau­men, Jo­se­phin! Ich will jetzt auf der Stel­le Welt­meis­ter wer­den, du Hur!«

Sie sym­pa­thi­sier­te mit dem Ko­b­ler, denn sie lieb­te un­ter an­de­rem sein an­ge­neh­mes Or­gan so sehr, daß er ihr die Mie­te auch vier­zehn Tage und län­ger schul­dig blei­ben konn­te. Be­son­ders sei­ne Kra­gen­par­tie, wenn er ihr den Rücken zu­wand­te, er­reg­te ihr Ge­fal­len.

Oft klag­te sie über Schmer­zen. Der Arzt sag­te, sie hät­te einen He­xen­schuß, und ein an­de­rer Arzt sag­te, sie hät­te eine Wan­der­nie­re, und ein drit­ter Arzt sag­te, sie müs­se sich vor ih­rer ei­ge­nen Ver­dau­ung hü­ten. Was ein vier­ter Arzt sag­te, das sag­te sie nie­man­dem. Sie ging gern zu den Ärz­ten, zu den gro­ben und zu den ar­ti­gen.

Auch ihr Se­li­ger ist ja Me­di­zi­ner ge­we­sen, ein Frau­en­arzt in Wien. Er stamm­te aus ei­ner an­ge­se­he­nen, leicht ver­blö­del­ten, christ­lich-so­zia­len Fa­mi­lie und hat­te sich im Lau­fe der Vor­kriegs­jah­re sechs Häu­ser zu­sam­men­ge­erbt. Ei­nes stand in Prag. Sie hin­ge­gen hat­te bloß den drit­ten Teil ei­ner Wind­müh­le bei Bre­s­cia in Ober­ita­li­en mit in die Ehe ge­bracht, aber das hat­te er ihr nur ein ein­zi­ges Mal vor­ge­wor­fen. Ihre Groß­mut­ter war eine ge­bür­ti­ge Mai­län­de­rin ge­we­sen.

Der Dok­tor Perzl ist Anno Do­mi­ni 1907 ein Op­fer sei­nes Be­ru­fes ge­wor­den. Er hat­te sich mit der Lei­che ei­ner sei­ner Pa­ti­en­tin­nen in­fi­ziert. Wie er die näm­lich aus­ein­an­der­ge­schnit­ten hat­te, um her­aus­zu­be­kom­men, was ihr ei­gent­lich ge­fehlt hät­te, hat­te er sich selbst einen tie­fen Schnitt bei­ge­bracht, so un­vor­sich­tig hat er mit dem Se­zier­mes­ser her­um­han­tiert, weil er halt wie­der mal be­sof­fen ge­we­sen ist. Es hat all­ge­mein ge­hei­ßen, wenn er kein Quar­tals­säu­fer ge­we­sen wär, so hätt er eine glän­zen­de Zu­kunft ge­habt.

Fer­di­nand Perzl, das ein­zi­ge Kind, hat­te die Ka­det­ten­schu­le ab­sol­vie­ren müs­sen, weil er als Gym­na­si­ast nichts Ver­nünf­ti­ges hat­te wer­den wol­len. Er ist dann ein k. u. k. Ober­leut­nant ge­wor­den, und es ist ihm auch ge­lun­gen, den Welt­krieg in der Etap­pe zu ver­hu­ren. Aber nach­dem Ös­ter­reich-Un­garn al­les ver­spielt und auch er selbst all­mäh­lich al­les, was er er­ben soll­te, die sechs Häu­ser und das Drit­tel der Wind­müh­le, ver­lo­ren hat­te, ist er in sich ge­gan­gen und hat nicht mehr her­um­ge­hurt, son­dern hat bloß zäh­ne­knir­schend und mit der Faust in der Ta­sche zu­ge­schaut, wie dies die Va­lu­ta­star­ken ta­ten. Er ist in ein Kon­tor ge­kom­men und hat­te sei­ne lie­der­li­che Hal­tung wäh­rend des großen Völ­ker­rin­gens in sei­nen Au­gen aus­ra­diert, ist An­ti­se­mit ge­wor­den und hat die Kon­to­ris­tin Frie­da Klo­vac ge­hei­ra­tet, eine Blon­di­ne mit zwei lin­ke Füß. Solch klei­ne Ab­nor­mi­tä­ten konn­ten ihn seit sei­ner Etap­pen­zeit ganz weh­mü­tig stim­men.

Über die­se Hei­ra­te­rei hat­te sich je­doch sei­ne Mut­ter sehr auf­ge­regt, denn sie hat­te ja im­mer schon ge­hofft, daß der Nandl mal ein an­stän­di­ges Mädl aus ei­nem schwer­rei­chen Hau­se hei­ra­ten wür­de. Eine An­ge­stell­te war in ih­ren Au­gen kei­ne ganz ein­wand­freie Per­sön­lich­keit, be­son­ders als Schwie­ger­toch­ter nicht. Sie ti­tu­lier­te sie also nie an­ders als »das Mensch«, »die Sau«, »das Mist­vieh« und der­glei­chen.

Und je är­mer sie wur­de, um so stär­ker be­ton­te sie ihre ge­sell­schaft­li­che Her­kunft, mit an­de­ren Wor­ten: Je här­ter sie ihre ma­te­ri­el­le Nie­der­la­ge emp­fand, um so be­wuß­ter wur­de sie sich ih­rer ide­el­len Über­le­gen­heit. Die­se ide­el­le Über­le­gen­heit be­stand vor al­lem aus Un­wis­sen­heit und aus der na­tür­li­chen Be­schränkt­heit des mitt­le­ren Bür­ger­tums. Wie alle ih­res­glei­chen haß­te sie nicht die uni­for­mier­ten und zi­vi­len Ver­bre­cher, die sie durch Krieg, In­fla­ti­on, De­fla­ti­on und Sta­bi­li­sie­rung be­gau­nert hat­ten, son­dern aus­schließ­lich das Pro­le­ta­ri­at, weil sie ahn­te, ohne sich dar­über klar­wer­den zu wol­len, daß die­ser Klas­se die Zu­kunft ge­hört. Sie wur­de nei­disch, leug­ne­te es aber ab. Sie fühl­te sich zu­tiefst ge­kränkt und in ih­ren hei­ligs­ten Ge­füh­len ver­letzt, wenn sie sah, daß sich ein Ar­bei­ter ein Glas Bier leis­ten konn­te. Sie wur­de schon ra­bi­at, wenn sie nur einen de­mo­kra­ti­schen Leit­ar­ti­kel las. Es war kaum mit ihr aus­zu­hal­ten am 1. Mai.

Nur ein­mal hat­te sie acht Jah­re lang einen Haus­freund, einen Zei­chen­leh­rer von der Ober­re­al­schu­le im ach­ten Be­zirk. Der ist im­mer schon et­was ner­vös ge­we­sen und hat im­mer schon so selt­sa­me Auss­prü­che ge­tan, wie: »Na, wer ist denn schon der Ti­zi­an? Ein Katzl­ma­cher!« End­lich wur­de er ei­nes Ta­ges kor­rekt ver­rückt, so wie sich’s ge­hört. Das be­gann mit ei­nem über­trie­be­nen Rein­lich­keits­be­dürf­nis. Er ra­sier­te sich den gan­zen Kör­per, schnitt sich pein­lich die Här­chen aus den Na­sen­lö­chern und zog sich täg­lich zehn­mal um, ob­wohl er nur einen An­zug be­saß. Spä­ter trug er dann auch be­stän­dig ein Staub­tuch mit sich her­um und staub­te al­les ab, die Kan­de­la­ber, das Pflas­ter, die Tram­bahn, den So­ckel des Ma­ria-The­re­sia-Denk­mals -- und zum Schluß woll­te er par­tout die Luft ab­stau­ben. Dann war’s aus.

4

Doch las­sen wir nun die­se his­to­risch-so­zio­lo­gi­schen Skiz­zen und keh­ren wir zu­rück in die Ge­gen­wart, und zwar in die Schel­ling­s­tra­ße.

Knapp zehn Mi­nu­ten be­vor der Ko­b­ler nach Hau­se kam, läu­te­te ein ge­wis­ser Graf Blan­quez bei der Frau Perzl. Er sag­te ihr, er wol­le in Ko­b­lers Zim­mer auf sei­nen Freund Ko­b­ler war­ten.

Die­ser Graf Blan­quez war eine ele­gan­te Er­schei­nung und eine ver­patz­te Per­sön­lich­keit. Sei­ne Ah­nen wa­ren Hu­ge­not­ten, er selbst wur­de im Baye­ri­schen Wald ge­bo­ren. Er­zo­gen wur­de er teils von Pia­ris­ten, teils von ei­nem ho­mo­se­xu­el­len Stabs­arzt in ei­nem der ver­zwei­fel­ten Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Si­bi­ri­ens. Mit sei­ner Fa­mi­lie ver­trug er sich nicht, weil er vier­zehn Ge­schwis­ter hat­te. Trotz­dem schi­en er meist gu­ter Lau­ne zu sein, ein großer Jun­ge, ein treu­er Ge­fähr­te, je­doch lei­der ohne Hem­mun­gen. Er lieb­te Mu­sik, ging aber nie in die Oper, weil ihn jede Oper an die Hu­ge­not­ten er­in­ner­te, und wenn er an die Hu­ge­not­ten dach­te, wur­de er me­lan­cho­lisch.

Die Perzl ließ ihn ziem­lich un­freund­lich hin­ein, denn er war ihr nicht ge­ra­de sym­pa­thisch, da sie ihn im Ver­dacht hat­te, daß er sich nur für jun­ge Mäd­chen in­ter­es­siert. Wo hat der nur sei­ne ele­gan­ten Kra­wat­ten her? über­leg­te sie miß­trau­isch und be­ob­ach­te­te ihn durchs Schlüs­sel­loch. Sie sah, wie er sich aufs Sofa setz­te und in der Nase bohr­te, das Her­aus­ge­hol­te auf­merk­sam be­trach­te­te und es dann ge­lang­weilt an die Tisch­kan­te schmier­te. Dann starr­te er Ko­b­lers Bett an und lä­chel­te zy­nisch. Hier­auf kram­te er in Ko­b­lers Schub­la­den, durch­flog des­sen Kor­re­spon­denz und är­ger­te sich, daß er nir­gends Zi­ga­ret­ten fand, wor­auf er sich aus Ko­b­lers Schrank ein Ta­schen­tuch nahm und sich vor dem Spie­gel sei­ne Mi­tes­ser aus­drück­te. Er war eben, wie be­reits ge­sagt, lei­der hem­mungs­los.

Er kämm­te sich ge­ra­de mit Ko­b­lers Kamm, als die­ser die Perzl am Schlüs­sel­loch über­rasch­te. »Der Herr Graf sind da«, flüs­ter­te sie. »Aber ich an Ih­rer Stell würd ihm das schon ver­bie­ten. Den­ken Sie sich nur, kommt er da ges­tern nicht her­auf mit ei­nem Mensch, legt sich ein­fach in Ihr Bett da­mit, ge­braucht Ihr Hand­tuch und ist wie­der weg da­mit! Das geht doch ent­schie­den zu weit, ich tät das dem Herrn Gra­fen mal sa­gen!«

»Das ist gar nicht so ein­fach, wie Sie sich das vor­stel­len«, mein­te Ko­b­ler. »Der Graf ist näm­lich leicht ge­kränkt, er könnt das leicht falsch auf­fas­sen, und ich muß mich mit ihm ver­tra­gen, weil ich oft ge­schäft­lich mit ihm zu­sam­men­ar­bei­ten muß. An dem Hand­tuch ist mir zwar heut schon et­was auf­ge­fal­len, wie ich mir das Ge­sicht ab­ge­wischt hab, aber eine Hand wäscht halt die an­de­re.«

Die Perzl zog sich ge­kränkt in ihre Kü­che zu­rück und mur­mel­te was Un­güns­ti­ges über die heu­ti­gen Ka­va­lie­re.

Als der Graf den Ko­b­ler er­blick­te, gur­gel­te er ge­ra­de mit des­sen Mund­was­ser und ließ sich nicht stö­ren. »Ah, Ser­vus!« rief er ihm zu. »Ver­zeih, aber ich hab grad so einen mi­se­ra­blen Ge­schmack im Mund. Apro­pos: Ich weiß schon, du hast den Kar­ren ver­kauft. Man gra­tu­liert!«

»Dan­ke«, sag­te Ko­b­ler klein­laut und war­te­te ver­är­gert, daß man ihn an­pumpt. Wo­her weiß denn das schon je­der Gau­ner, daß ich den Port­schin­ger be­tro­gen hab? frag­te er sich ver­zwei­felt.

Er über­leg­te: Pump mich nur an, aber dann schlag ich dir auf dein un­ap­pe­tit­li­ches Maul!

Aber es kam ganz im Ge­gen­teil. Der Graf leg­te mit ei­ner che­va­le­res­ken Ges­te zehn Reichs­mark auf den Tisch. »Mit vie­lem Dank zu­rück«, lä­chel­te er ver­bind­lich und gur­gel­te wei­ter, als wäre nichts Be­son­de­res pas­siert. »Du hast es, scheint’s, ver­ges­sen«, be­merk­te er dann noch so ne­ben­bei, »daß du mir mal zehn Mark ge­lie­hen hast.« Was für ein Tag! dach­te Ko­b­ler.

»Ich kann es dir heut leicht zu­rück­zah­len«, fuhr der Graf fort, »weil ich heut nacht eine Erb­schaft ma­chen werd. Mein Groß­on­kel, der um zehn Mo­na­te jün­ger ist als ich, liegt näm­lich im Ster­ben. Er hat den Krebs. Der Ärms­te lei­det fürch­ter­lich, Krebs ist be­kannt­lich un­heil­bar, wir wis­sen ja noch gar nicht, ob das ein Ba­zil­lus ist oder eine Wu­che­rung. Er wird die Nacht nicht über­le­ben, das steht fest. Wie er von sei­nem Lei­den er­löst ist, fahr ich nach Zop­pot. Nein, nicht durch Po­len, oben rum.«

»Ge­hört Zop­pot noch zu Deutsch­land?« er­kun­dig­te sich Ko­b­ler.

»Nein, Zop­pot liegt im Frei­staat Dan­zig, der di­rekt dem Völ­ker­bund un­ter­ge­ord­net ist«, be­lehr­te ihn der Graf. »Üb­ri­gens, wenn ich du wär, würd ich jetzt auch weg­fah­ren, du kannst dei­ne Sechs­hun­dert gar nicht bes­ser an­le­gen. Wenn du mir folgst, fährst du ein­fach auf zehn Tag in ein Lu­xus­ho­tel, lernst dort eine rei­che Frau ken­nen, und al­les Wei­te­re wird sich dann sehr le­ger ab­spie­len, du hast ja ein gu­tes Auf­tre­ten. Du kannst für dein gan­zes Le­ben die mär­chen­haf­tes­ten Ver­bin­dun­gen be­kom­men, ga­ran­tiert! Du kennst doch den lan­gen Kam­mer­lo­cher, der wo frü­her bei den Ula­nen war, den Ka­det­ta­spi­ran­ten, der wo in der Ma­xim-Bar die Zech ge­prellt hat? Der ist mit gan­zen zwei­hun­dert Schil­ling nach Meran ge­fah­ren, hat sich dort in ein Lu­xus­ho­tel ein­lo­giert, hat noch am glei­chen Abend eine Ägyp­te­rin mit a paar Py­ra­mi­den zum Bo­ston en­ga­giert, hat mit ihr ge­flir­tet und hat sie dann hei­ra­ten müs­sen, weil er sie kom­pro­mit­tiert hat. Jetzt ge­hört ihm halb Ägyp­ten. Und was hat er ge­habt? Nix hat er ge­habt. Und was ist er ge­we­sen? Per­vers ist er ge­we­sen! Lan­ge Sei­den­st­rümpf hat er sich an­ge­zo­gen und hat sei­ne Ha­xen im Spie­gel be­trach­tet. Ein Nar­ziß!«

»Das muß ich mir noch durch den Kopf ge­hen las­sen, wie ich am bes­ten mein Geld aus­gib«, mein­te Ko­b­ler nach­denk­lich. »Ich bin kein Nar­ziß«, füg­te er hin­zu. Die lan­gen Ha­xen des Kam­mer­lo­cher, das Lu­xus­ho­tel und die Py­ra­mi­den hat­ten ihn et­was ver­wirrt. Mecha­nisch bot er dem Gra­fen eine Acht­pfen­nig­zi­ga­ret­te an. »Das sind Ma­ze­do­ni­er«, sag­te der Graf. »Ich nehm mir gleich zwei.«

Sie rauch­ten. »Ich fahr be­stimmt nach Zop­pot«, wie­der­hol­te der Graf. Es schlug elf. »Es ist schon zwölf«, sag­te der Graf, denn er war sehr ver­lo­gen.

Dann wur­de er plötz­lich ner­vös.