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Wie kommen eigentlich die Flugzeuge an den Himmel? Was ist ein Paket für die Mutter und warum ist es so wichtig, zu wissen, was ein Präser ist. Wieso heißt eigentlich das Kurmittelhaus im Dorf nur Reithalle. Diese und ähnliche Fragen treiben den kleinen Helden um. Fragen über Fragen, die er ganz sicher nicht einem Erwachsenen stellen würde. Erwachsene sind anders. Erwachsene bleiben ihm fremd. Also was bleibt? Man sucht nach Antworten, auch wenn die gefundenen doch stellenweise sehr absonderlich sind.
In einer dörflichen, sehr katholischen Atmosphäre erlebt der kleine Held Absonderliches, Bedrohliches aber auch sehr Kurioses und träumt sich die Welt zurecht.
Vieles ist kaum zu glauben, aber im Kern wahr.
Autobiographische Texte.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Es war einer der letzten Spätsommertage und die tief stehende Sonne hatte noch nicht ihre Kraft verloren. Die Luft roch schon ein wenig nach Herbst. Der Junge saß auf der Treppe die in sein Elternhaus führte und spürte die Wärme, die ganz sacht von den aufgeheizten Sandsteintreppenstufen durch die Hose in seinen Körper drang. Die Stufen fühlten sich glatt und weich an. Geglättet von unzähligen Schritten. Langsam kroch der Schatten, den das Nachbarhaus warf auf ihn zu. Seine hellbraunen Sandalen färbten sich an den Spitzen dunkel und bald ereichte der Schatten seine nackten Unterschenkel, deren Härchen kleine dunkle gewundene Linien zeichneten. Es war einer dieser Momente in denen er sich rundum wohl fühlte. Er hatte sich in seinen Kopf verkrochen. Das war seine geheime Höhle zu der nur er Zutritt hatte. Die Welt um ihn herum war ausgeschlossen und die Bedrohung durch die Erwachsenen, die so schwer zu verstehen waren, konnte ihm nichts anhaben. Das Kinn in die Hände gestützt blinzelte er nun in das weiche gelbe Licht und das wolkenlose Blau des Himmels. Ganz langsam kroch ein dünner kleiner weißer Streifen über das Blau, dessen Ende sich in kleine Wolken ausfranste, die sich bald darauf auflösten. Vor dem Streifen bemerkte er ein kleines glitzerndes Ding. Es war ein Düsenflugzeug, das ganz ruhig ohne jeden Laut über den Himmel zog. Vielleicht eine Super- Constellation. Ja von diesem Düsenflugzeug hatte er mal ein Bild gesehen und konnte nicht glauben wie so ein Ding, größer als der Trecker desNachbarn, fliegen konnte.
Es war eins dieser Erwachsenengeheimnisse, die ihn unruhig werden ließen, weil er sie nicht verstand und die Erklärungen der Großen halfen meistens auch nicht richtig weiter. Er schaute verträumt und grübelte. Dann zeichnet sich ganz langsam eine Erklärung ab. Wenn er auf der Kirmes Schiffschaukel fuhr, konnte er auch hoch hinausfliegen ohne herunter zufallen. Irgendeine geheime Kraft drückte ihn an den Boden der Schiffschaukel und hielt ihn dort fest. Vielleicht war es hier mit dem Düsenflugzeug ähnlich. Vielleicht nahm es irgendwo einen mächtigen Anschwung und konnte dann mit den Rädern nach oben am Himmel entlangfahren ohne herunter zu fallen. Das war seine Lösung und er war zufrieden damit.
„Afrika, dachte er, „vielleicht fährt das Flugzeug nach Afrika. Oder noch besser, Zansibar“ Zansibar war alles was er träumen konnte. Dieses geheimnisvolle Insel waren alle Träume auf einmal. Er landete dort mit seiner Fregatte, stürmte über den weißen Strand und hatte alle Abenteuer zu bestehen die man sich denken konnte. Es gab dort Tiger und Löwen mit denen man kämpfen musste. In seinem Palast verborgen regierte ein schrecklicher Kalif der mit einem Turban auf dem Kopf und dem Krummsäbel in der Hand die schöne Prinzessin gefangen hielt, die er befreien würde. Er stürmte mutig voran kämpfte tapfer und - gewann. Gewann die schöne Prinzessin und den mächtigen Schatz aus Juwelen und Golddukaten. Er würde mit ihr und dem Schatz in den Sonnenuntergang segeln. Und, dabei lächelte er, es würde ihm durch diesen endlosen Reichtum nie wieder an Kaugummi fehlen.
Was für ein Gedanke.
„Udo, wo steckst Du denn schon wieder! Udo!“ es war seine Mutter die nach ihm rief und er zuckte ein wenig zusammen. Es war immer wie ein kleiner Tod wenn er in die Außenwelt zurückkehren musste. Aber, es war nicht zu vermeiden. Ihr verhärmtes, immer sorgenvolles Gesicht das von strähnigen, grauen Haaren umflattert wurde, erschien in der Haustür und schaute ihn ein bisschen mit Ungeduld an. „Träum nicht. Komm rein du musst was für mich erledigen.“ „Ja, Mama, “ Er stand auf und folgte ihr ins Haus, das nach Milch und nach sommerlicher Kühle roch. In der Küche gab sie ihm einen Leinenbeutel und reichte ihm ein Fünfmarkstück. „Geh mal zu Onkel Max und hol ein Paket für die Mutter. Trödel nicht und pass auf, dass du das Geld nicht verlierst.“ „Ja, Mama.“
Er hüpfte auf einem Bein die Treppe hinunter und schleuderte die Tasche wie ein Lasso. Dann stieg er in sein imaginäres Auto. Er hatte mal eine Folge von „Isar 12“ im Fernsehen sehen dürfen, und die Polizisten in dieser Serie fuhren einen BMW V8. Seit dieser Zeit konnte er sich keinen besseren Wagen mehr vorstellen. Da der ihm erteilte Auftrag äußerst wichtig war, benutzte er das Blaulicht und raste mit jaulendem Martinshorn die Strasse entlang. In seinen Gedanken jagte er den heulenden Motor bis in die höchsten Drehzahlen und hackte die Gänge ins Getriebe. Mit kleinen, stechenden Schritten brummte er über die Strasse und ohne rechts und links zu schauen bog er ab und parkte mit quietschenden Reifen vor Onkel Max` Haustür. Onkel Max war der Dorfschneider und verkaufte mit seiner Frau Sachen zum Anziehen in dem zur Werkstatt gehörigen Laden. Udo öffnete die Tür und die kleine Glocke die an der Tür angebracht war bimmelte. Dann stand er vor dem Verkaufstresen, der fasst nur aus Glas bestand. Tante Therese, die Frau von Onkel Max, wuselte um die Ecke und sah ihn freundlich an. „Udo, na was kann ich für den Herrn denn tun? Guten Tag erstmal.“ Er mochte diese beiden: Tante Therese und Onkel Max. Man hatte ihm beigebracht alle Erwachsenen mit Tante oder Onkel anzureden, und bei diesen beiden fiel ihm das nicht schwer. Sie waren nett, aber auch komisch, denn sie hatten keine Kinder. Vielleicht hatten sie ein Problem mit dem lieben Gott?
„Ich muss Onkel Max sprechen, es ist wichtig.“ „Aha, Männersachen. Dann will ich mal nicht stören. Du weißt ja wo die Werkstatt ist.“ Sie klimperte verschmitzt mit einem Augendeckel und verschwand. Er ging um den Tresen herum und betrat die Werkstatt, die hinter dem Verkaufsraum lag. Onkel Max saß, wie fast immer auf seinem Schneidertisch, der fast die gesamte Werkstatt ausfüllte. Er war umgeben von Stoffen, Reißverschlüssen und wie es sich für einen Schneider gehört, hatte er diesen kleinen, samtenen Igel am Handgelenk, der voller Stecknadeln war. In der Ecke stand wie immer diese halbe Frau. Ohne Kopf und ohne Arme. Und da wo andere ihre Beine haben, hatte sie von unten eine Metallstange im Bauch. Und, auch das kannte er schon, Onkel Max hatte wieder seine kaputte Brille ganz weit vorne auf der Nase sitzen. Sie bestand nur aus halben Gläsern und er hatte sich schon mal gefragt warum Onkel Max sich nicht mal eine Neue kaufte. Onkel Max schaute ihn über die halben Gläser freundlich an. „Na Udo was kann ich für Dich tun?“ Ihre Blicke trafen sich und das Herz des Jungen machte einen kleinen Hüpfer. Er mochte Onkel Max. Er war einer der Erwachsenen vor denen er keine Angst hatte. Onkel Max hatte ihm mal einen Wackelzahn mit einem Stück Zwirn gezogen ohne dass es wehgetan hätte. Nur das bisschen Blut, das aus der Wunde in seinen Mund gelaufen war hatte nach stumpfem Eisen geschmeckt. Aber, das war nicht schlimm.