DER FLUCH DER VERGESSENEN STADT - Jethro Wegener - E-Book

DER FLUCH DER VERGESSENEN STADT E-Book

Jethro Wegener

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Beschreibung

Eine uralte Stadt, von der Zeit vergessen … Lady Amelia Swift ist davon überzeugt, dass die vergessene Stadt Z wirklich existiert, und fest entschlossen, sie zu finden. Zusammen mit einer Gruppe wagemutiger Abenteurer, darunter der Weltkriegsveteran und Bootskapitän Willy Rivers, wagt sie sich in den undurchdringlichen brasilianischen Dschungel. Doch die Jagd nach Ruhm und Reichtum wird schnell zum Kampf ums Überleben. Irgendetwas hat die Kreaturen des Amazonas in bizarre Monstrositäten verwandelt. Und es gibt einen Grund, warum die geheimnisvolle Zivilisation im dunkelsten Herzen des Dschungels unterging. Denn die schrecklichste Kreatur wartet in den Ruinen der vergessenen Stadt nur darauf, wiedererweckt zu werden … "Eine kurzweilige Geschichte mit kreativ überzeichneten gruseligen Krabbeltieren und einer im Dschungel verborgenen mysteriösen Stadt. Ein atemloser Actionspass." - Amazon.com "DER FLUCH DER VERGESSENEN STADT" versprüht den Charme der großen Abenteuer eines Indiana Jones, Quatermains oder Doc Savage. Ein Retro-Abenteuer voller gefährlicher Riesenmonster, unerschrockener Haudegen und sagenhafter Geheimnisse.

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Der Fluch der vergessenen Stadt

Jethro Wagner

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: THE LOST CITY OF TERROR. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2020. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE LOST CITY OF TERROR Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Kalle Max Hofmann Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-552-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Der Fluch der vergessenen Stadt
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Über den Autor

Prolog

1926, Mato Grosso, Brasilien Ein Jahr nach dem Verschwinden von Colonel Percy Fawcett

Die schmerzerfüllten Schreie des Mannes hallten zwischen den Baumkronen hindurch. Vögel und Affen taten ihr Missfallen lautstark kund, sodass eine regelrechte Kakofonie des Grauens erklang. Colonel Hearst hielt das alles nicht mehr aus.

»Verflixt und zugenäht!«, rief er.

Er zog seinen Webley und ging zu Doctor English, der sich gerade um den Verletzten kümmerte. Der Feuerstoß des Revolvers beendete das Leiden des Mannes und verteilte Blut, Gehirnsubstanz und Bruchstücke des Schädelknochens über den Baumstamm, gegen den er gelehnt hatte. English zuckte erschrocken zusammen und hielt sich dann die Ohren zu.

»Verdammt, Hearst!«

»Er hätte mit seinem Geschrei irgendwann die Wilden angelockt! Packen Sie schnell zusammen, wir müssen hier weg, bevor der gesamte Stamm anrückt.«

Von dem Suchtrupp, der ursprünglich mit zwanzig Mann gestartet war, lebten jetzt nur noch sie beide. Sie waren mit dem Ziel aufgebrochen, Colonel Fawcett, seinen Sohn Jack und Raleigh Rimmel zu finden, doch stattdessen waren sie auf brutale Ureinwohner des Amazonasdschungels gestoßen. Hearsts Männer hatten zwar tapfer gekämpft, doch das unbekannte Terrain und die absolute Gnadenlosigkeit der Wilden hatten ihnen schwer zugesetzt.

Hearst, English und ein weiterer Soldat hatten entkommen können, doch Letzterer war von einem Giftpfeil getroffen worden und hatte nach einigen Stunden schwerste Halluzinationen bekommen. Hearst war der Meinung, mit seinem Gnadenschuss hatte er dem Mann einen Gefallen getan.

»Wo sollen wir denn hin?«, fragte English, als er hektisch seine medizinischen Instrumente in dem Rucksack verstaute. Der Colonel schaute sich in dem dichten Dschungel um, der sie von allen Seiten umgab. »Einfach nur weg von hier.«

»Verdammt, Hearst, wenn wir einfach weiter blind umherstolpern, werden wir garantiert in diesem gottverdammten Niemandsland ums Leben kommen!«

»Aber wenn wir hierbleiben, ziehen uns diese Wilden bei lebendigem Leibe die Haut ab. Entscheiden Sie sich, Doktor. Ich zumindest weiß, was mir lieber ist.«

Hearst schob den Revolver in sein Gürtelholster und schnappte sich sein Gewehr, dann schüttelte er seine Trinkflasche, die nur klappernde Geräusche machte. Die Erkenntnis, dass sie kaum noch Wasser hatten, besorgte ihn zutiefst. Den Großteil ihrer Vorräte hatten sie nämlich bei dem Angriff verloren. Er wusste, dass sie schnellstens ein paar hilfsbereite Eingeborene finden mussten, denn sonst blieb ihnen nur noch das Schicksal, das English gerade beschrieben hatte.

Nicht zum ersten Mal verfluchte Hearst den Tag, an dem er entschieden hatte, die Suche nach Fawcett und seiner verdammten Stadt Z anzuführen. Er hatte eigentlich damit gerechnet, bei seiner Rückkehr nach England zum Ritter geschlagen zu werden, doch das war nun höchst unwahrscheinlich. Man würde ihn bestimmt nicht dafür auszeichnen, dass er seine gesamte Mannschaft in den Tod geführt hatte.

»Sollen wir ihn beerdigen?«, fragte English.

»Und uns dabei erwischen lassen, wie wir versuchen, ein Loch zu graben? Auf gar keinen Fall. Sprechen Sie ein Gebet, wenn es sein muss, aber bitte schnell. Wir müssen unbedingt weiter.«

Mit diesen Worten trat er tiefer in den Dschungel und begann, das Dickicht mit seiner Machete zu bearbeiten. English murmelte ein paar fromme Worte für den Toten, bevor er sich beeilte, seinem Vorgesetzten zu folgen. Insgeheim wünschte er sich, er wäre daheim in England bei seiner Frau und seiner Tochter.

Die beiden Männer kämpften sich nun für eine weitere Stunde durch die grüne Hölle, wobei sie allerdings erschreckend langsam vorankamen. Der Schweiß lief an ihnen hinunter und tränkte ihre Kleidung. Insekten stachen und bissen in ihre Haut, Schlingpflanzen und Dornen schnitten in ihr Fleisch. Nach und nach verschlang der Dschungel ihre Körper, Gramm für Gramm.

»Halt, ich kann nicht mehr«, sagte English stöhnend und brach neben einer riesigen Baumwurzel zusammen. »Wir haben seit einer Ewigkeit kein Anzeichen mehr von den Stammesangehörigen gesehen. Vielleicht haben sie die Jagd aufgegeben?«

Hearst starrte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. English lag nicht ganz falsch. Von den Eingeborenen war seit einiger Zeit keine Spur zu sehen, und zumindest einem Späher hätten sie inzwischen begegnen müssen.

»Vielleicht …«

Hearst gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er still sein sollte, denn irgendetwas stimmte nicht. Er zog das Gewehr von seiner Schulter und schwenkte den Lauf langsam hin und her. Doch keine einzige Bewegung war zu sehen. Er kniff die Augen zusammen und starrte in die Baumkronen. Angespannt lauschte er, doch was eben noch ein vor Leben strotzender Urwald gewesen war, schien auf einmal vollkommen verlassen zu sein.

Die Luft wirkte absolut ruhig, und bei genauerem Hinschauen waren kaum noch Insekten zu entdecken. Über ihnen raschelte kein einziges Blatt und auch kein Affe schwang umher. Hearst ging in die Hocke und untersuchte den Boden.

»Doktor, spüren Sie das auch?«

»Was?«

»Die Leere. Schauen Sie doch mal, es sind nicht einmal mehr Insekten auf dem Boden! Kein Leben in den Bäumen, kein Leben im Buschwerk!«

»Ihre Nerven spielen Ihnen lediglich einen Streich, Hearst!«

»Hören Sie doch nur!«

Englisch schwieg und schaute sich um. Um sie herum herrschte tatsächlich eine fast schon ohrenbetäubende Stille. Die feuchte, suppige Luft, die eben noch so dominant gewesen war, schien verschwunden zu sein, und die Atmosphäre war auf einmal düster und bedrohlich.

»Was ist das?«, fragte English beklommen und deutete nach vorne.

Hearst folgte seinem Blick und versuchte zu erkennen, wovon der Mann sprach. Endlich dämmerte es ihm. Der Dschungel vor ihm sah irgendwie falsch aus, die Schlingpflanzen wucherten über etwas, das eine unpassende Farbe hatte. Er ging langsam darauf zu.

»Das ist Stein!«, rief er und kratzte mit seiner Machete die obere Schicht aus Pflanzen weg. »Beschlagener Stein!«

Er umrundete das Objekt vorsichtig und fand schließlich etwas, das wie ein Eingang aussah. Er hackte den dichten Pflanzenbewuchs davor weg und stellte fest, dass er tatsächlich eine Öffnung vor sich hatte.

»Ich glaube, das ist eine Siedlung«, sagte Hearst erstaunt und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen.

»Könnte es … die Stadt Z sein?«

»Ich weiß es nicht.«

Im Halbdunklen bewegte sich jetzt etwas. Zuerst dachte Hearst, es wäre nur ein Lichtspiel, doch dann passierte es wieder. Im Inneren bewegte sich tatsächlich etwas in den Schatten.

»Wer ist da?«

English beobachtete fassungslos, wie etwas Hearst an der Hüfte packte und ihn ins Innere der steinernen Behausung riss. Der Offizier schrie erschrocken auf und gab einen Schuss ab, bevor er seine Waffe fallenließ. Seine Schreie gingen so lange weiter, bis ein feuchter, krachender Ton aus dem Inneren erschallte, gefolgt von einer Reihe ekelhafter, schmatzender Geräusche.

Der Doktor war vor Angst wie gelähmt, als plötzlich etwas aus dem Stein auftauchte und den Blick auf ihn richtete. Sein Verstand rebellierte gegen den unmöglichen Anblick, selbst als das Wesen schon auf ihn zu raste und ihm die Eingeweide herausriss.

Kapitel 1

1947 vor dem Swift Manor House, im ländlichen England

Die besondere Schönheit des Swift Manor House, das an der Spitze eines grasbewachsenen Hügels lag, raubte so manchem Betrachter den Atem. Während andere aristokratische Familien in dieser Zeit finanzielle Probleme hatten, galten die Swifts durch mehrere sorgfältig platzierte Investitionen als glückliche Ausnahme, und das, obwohl Lord Swift im Krieg gefallen war.

Mit seiner Noblesse und seiner Stattlichkeit war das Haus das perfekte Abbild eines englischen Landhauses. Auch Postbote Addison hielt bei jedem Besuch kurz inne, wenn das Gebäude in Sichtweite kam. Es half natürlich, dass die Swifts in seinen Augen immer zu den Guten gehört hatten, die schon länger, als er zurückdenken konnte, für das in der Nähe befindliche Dorf sorgten.

Die Einwohner wurden sogar so gut behandelt, dass niemand im Dorf dem Geschwätz Gehör schenkte, dass die Swifts irgendwelche Schätze und Kulturgüter aus Indien gestohlen hätten, die angeblich den Reichtum der Familie um ein Vielfaches erhöht hätten. Es verbat sich regelrecht, über solche Dinge zu reden, seit Lord Swift seine Ehefrau Amelia als Witwe zurückgelassen hatte. Die arme Frau hatte doch schon genug Sorgen!

Addison trat jetzt in die Pedale seines Dienstfahrrades und erklomm den Pfad zum Haus. Er war dankbar, dass es nicht regnete. In der Ferne hörte er ein Motorrad und verfluchte diese Geräte ein weiteres Mal.

»Schlimm genug, dass unser Junge eines haben will, und nun ständig in unserem Haus darüber geredet wird«, knurrte er, als er abstieg und sein Gefährt an die Wand des Hauses lehnte. »Aber jetzt knattert so ein Ding auch noch hier in der Gegend herum.«

Er bemerkte, dass das Geräusch näherkam, und schaute sich neugierig um. Der Lärm schien aus dem Wald zu seiner Linken zu kommen, und während er noch suchte, brach das Motorrad zwischen den Bäumen hervor, fuhr auf die Wiese und hielt dann direkt auf das Haus zu.

Addison sah missbilligend dabei zu, wie der Fahrer, der komplett in Schwarz gekleidet war, inklusive Helm und Schutzbrille, auf ihn zukam. Das Gefährt überbrückte die Entfernung im Handumdrehen und hielt dann direkt neben dem grauhaarigen Postboten an.

»Ah, Addison, was haben Sie denn heute für mich?«

Der Angesprochene konnte seinen Augen kaum trauen, als sein Gegenüber die Brille und den Helm abnahm und er in die lebhaft funkelnden Augen von Lady Amelia Swift blickte. Dabei war er sich so sicher gewesen, dass einer der jungen Taugenichtse aus dem Dorf unter der Fahrermontur stecken musste.

»Addison?«, fragte Amelia besorgt, als dieser nicht antwortete.

»Ich bitte um Verzeihung, Mylady«, sagte Addison, als er wieder zu Sinnen kam. »Ich hatte nur nicht erwartet, dass Ihr auf einer dieser Gerätschaften unterwegs seid.«

Amelia lachte. »Mein lieber Addison, Sie kennen mich doch, seit ich ein kleines Mädchen bin, Sie müssen mich nicht mit meinem Titel anreden.«

»Wenn wir unsere Manieren verlieren, verlieren wir alles«, entgegnete Addison, bevor er anfing, in seiner Tasche herumzukramen. »Das hier ist heute für Sie angekommen.«

Amelia nahm das Paket entgegen und stieß einen Jauchzer aus, als sie das Etikett las. »Oh, vielen Dank! Genau darauf habe ich schon so sehr gewartet!«

Sie schockierte den Postbeamten mit einer schnellen Umarmung, bevor sie mit ihrem Paket ins Haus eilte. Er schaute ihr kopfschüttelnd hinterher. Manche Leute gingen mit Trauer wirklich ganz anders um als andere.

Amelia rannte schnurstracks in die hauseigene Bibliothek und riss das braune Papier von dem Paket, sodass eine Holzkiste zum Vorschein kam. Sie stellte sie auf den großen Mahagonitisch und hob vorsichtig den Deckel. Darin befanden sich mehrere säuberlich zusammengefaltete Briefe. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Genau darauf hatte sie gewartet. Sie hatte Monate damit verbracht, Briefe und Telegramme an jeden zu schicken, der Colonel Percy Fawcett gekannt hatte und darum gebeten, dessen Korrespondenz mit ihr zu teilen.

Sein überlebender Sohn war besonders hilfsbereit gewesen und hatte ihr angeboten, Abschriften der letzten Briefe seines Vaters zu schicken, die seine Expedition noch aus dem Amazonasdschungel hatte schicken können. Gleichzeitig hatte er sie jedoch inbrünstig davor gewarnt, sich auf die Suche nach seinem Vater zu machen, denn es hatten schon viele diesen Versuch unternommen und waren letzten Endes verletzt und gebrochen zurückgekehrt … wenn sie überhaupt zurückgekehrt waren.

Doch Amelia machte sich keine Sorgen, denn sie wusste ganz genau, dass sie einer heißen Sache auf der Spur war. Fawcett war schon ihr persönlicher Held gewesen, als sie noch ein Kind gewesen war. Viele Jahre ihres Lebens hatte sie damit verbracht, von seinen Abenteuern zu lesen. Er war der letzte große britische Entdecker gewesen und sein Verschwinden hatte das Ende einer Ära eingeläutet. Dieses Mysterium hatte sie fasziniert, seit ihr Vater als Gutenachtgeschichten von den Abenteuern des Mannes erzählt hatte.

Nun, nach Jahren sorgfältiger Recherchen, wusste Amelia, dass sie endlich die Hinweise gefunden hatte, die sie zu der verlorenen Stadt Z und dabei zu den Überbleibseln von Colonel Fawcett und seinen beiden Begleitern führen würde.

Sie faltete die Briefe auseinander und überflog sie aufgeregt, bis sie schließlich beim dritten endlich auf die Informationen stieß, die sie gesucht hatte … die Koordinaten der letzten bekannten Position des Mannes. Es war ein Lager namens Dead Horse Camp, das sich in der Mato Grosso-Region Brasiliens befand.

Amelia zog hastig eine Karte aus einer der Schreibtischschubladen und breitete sie auf dem Tisch aus. Durch ein Ausschlussverfahren hatte sie bereits eingegrenzt, in welchen Regionen noch keine Suchtrupps unterwegs gewesen waren. Die bereits durchkämmten Gebiete hatte sie mit einem Bleistift grau schraffiert. Mittels der Koordinaten suchte sie das Dead Horse Camp auf der Karte und stellte erfreut fest, dass dieses sich in keinem der schraffierten Gebiete befand. Obwohl sie noch einen ganzen Haufen Briefe durcharbeiten und weiter forschen musste, war sie endlich einen gewaltigen Schritt näher an ihrem Ziel, Fawcett zu finden. Und wenn ihr das gelingen würde, würde sie auch die verlorene Stadt Z aufspüren können.

Kapitel 2

Im Aufenthaltsbereich der Royal Geographic Society (RGS) in London

In einem weichen Ledersessel sitzend, mit einer Tageszeitung in der Hand, einem Glas Glenfiddich an seiner Seite und gutem Tabak in seiner Elfenbeinpfeife, war Sir Roger Alderidge ganz in seinem Element. Obwohl der alternde Entdecker schon seit Jahren auf keiner Expedition mehr gewesen war, galt er immer noch als aktives Mitglied der RGS und liebte die Atmosphäre dieser Räumlichkeiten.

Zwischen den antiken Möbeln waberte der Rauch von Zigarren, Zigaretten und Pfeifen, und das Gefühl von Abenteuern und Entdeckungen lag in der Luft. Alderidge labte sich daran, als wäre es sein persönliches Lebenselixier. Der Mann, der einst ein enger Freund und Reisepartner von Sir Allan Quatermain gewesen war, liebte die Society so sehr, als hätte er sie selbst gegründet.

Er schaute sich die Menschen im Raum an, und egal, ob sie jung oder alt waren, hatte fast jeder von ihnen dieses spezielle Funkeln in den Augen. So sahen Menschen aus, die es auf Abenteuer abgesehen hatten. Allerdings musste er zugeben, dass er sich wünschte, die RGS hätte mehr weibliche Mitglieder.

Er erinnerte sich noch dunkel daran, was für einen Aufschrei es damals im späten 19. Jahrhundert gegeben hatte, als Frauen das Recht erhielten, der Society beizutreten. Alderidge kicherte bei dem Gedanken daran. Seine Zeit in Afrika, die er gemeinsam mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Julie verbracht hatte, hatte ihm gezeigt, dass Frauen ebenso gut zu Abenteuern taugten wie Männer.

Trotzdem passte es einigen der männlichen Mitglieder offenbar nicht, wenn eine Dame die Lounge betrat und genau die Lautäußerungen, die dabei stets entstanden, hörte er auch in diesem Augenblick. Er schaute hoch und war angenehm überrascht, seine Nichte auf sich zumarschieren zu sehen. Während sich auf seinem Gesicht ein Lächeln ausbreitete, fragte er sich, ob sich seine Abenteurerkollegen mehr daran störten, dass eine Frau den Raum betreten hatte, oder daran, dass diese kakifarbene Hosen trug.

»Onkel Roger!«, rief Lady Amelia, als sie ihm gegenüber Platz nahm. »Sie sind endlich angekommen!«

»Oh, ich freue mich, dich zu sehen, Amelia«, sagte Alderidge lachend. »Aber von was genau redest du da gerade?«

»Von den Briefen! Fawcetts Briefe sind heute bei mir angekommen, Onkel!«

»Ah«, sagte der Ältere nachdenklich und nahm einen Schluck von seinem Whiskey. »Hast du schon etwas Nützliches herausbekommen?«

Sie nickte, wobei eine Strähne ihres dunklen Haares in ihre Stirn fiel. »Ich muss noch weiterlesen, aber ich glaube, dass meine Theorie stimmt. Wir können sie finden, Onkel, da bin ich mir sicher!«

Über die Jahre hinweg hatte die Suche nach Colonel Percy Fawcett und seiner verlorenen Stadt in der Gesellschaft eine gewisse Berühmtheit erlangt. Viele waren in den Dschungel aufgebrochen, um den Mann zu finden, doch niemand hatte Erfolg gehabt. Manche waren so besessen von diesem Mysterium, dass man sie zu Irren abstempelte und ihnen jegliche Unterstützung verweigerte.

Doch im Falle von Lady Amelia Swift war die Lage anders, denn ihre Familie hatte eine lang anhaltende Verbindung zur Gesellschaft, vor allem ihr verstorbener Ehemann, Lord Swift. Auch ihr Vater und sie waren immer wieder zu Expeditionen auf verschiedenen Kontinenten aufgebrochen, auch wenn nicht wenige britische Forscher darüber die Nase gerümpft hatten. Eine Frau hatte ihrer Meinung nach nichts auf einer gefährlichen Forschungsreise verloren. Das war einfach nicht damenhaft.

Doch der Lord hatte sich darüber hinweggesetzt, und selbst Sir Roger wusste nicht, wessen Idee es ursprünglich gewesen war. Doch so, wie er seine Nichte kannte, hielt er es durchaus für möglich, dass der verblichene Lord Swift in dieser Frage nicht allzu viel zu sagen gehabt hatte.

»Bist du dir sicher?«, fragte er, wobei er sich aufgeregt nach vorne lehnte.

»Ja. Ich habe Beweise dafür gefunden, dass die Expedition von Colonel Hearst am dichtesten an Fawcetts Position herangekommen sein muss.«

»Ah ja, Hearst, an den erinnere ich mich noch gut. Ein wirklich geschmackloser Mann, der hinter nichts als Ruhm her gewesen ist. Du sagst, er kam am dichtesten heran?«

Amelia nickte. »Ich glaube schon. Fawcetts letztes Lebenszeichen kam aus der Gegend des Dead Horse Camps.«

»Wie stark kannst du dessen Position eingrenzen?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nächste Woche eine sehr genaue Position haben werde. Ich muss aber noch einmal alle Briefe und meine Notizen sorgfältig durchgehen, um sicherzustellen, dass mir nichts entgangen ist. Was meinst du?«

Alderidge strich sich in Gedanken versunken durch seinen buschigen, grauen Bart. »Ich vertraue dir, mein Mädchen, das habe ich schon immer getan. Wenn du also glaubst, dass wir dicht dran sind, dann sind wir das. Ich kann mir die Aufzeichnungen auch gern ansehen, wenn du eine zweite Meinung haben möchtest. Aber ich bin mir sicher, dass du auf einer heißen Spur bist.«

»Ach Onkel, würdest du das wirklich tun? Ich habe alle Unterlagen zu Hause und es wäre mir eine riesige Hilfe, wenn du zum Abendessen vorbeikommen würdest, damit wir darüber sprechen können.«

»Ich kann auch gern eine ganze Woche bei dir bleiben, damit wir alles in Ruhe durchsehen können, wenn dir das recht ist.«

Amelia nickte enthusiastisch. »So sei es! Ich rufe sofort meinen Butler an.«

Kapitel 3

Das Abenteuer kommt wohl erst später, dachte Alderidge und unterdrückte ein Gähnen. Er saß mit Amelia in der riesigen Bücherei des Landhauses an einem reich verzierten Mahagonitisch. Die Regale reichten bis zur Decke und waren mit Büchern jeglicher Couleur gefüllt, von lateinischen Manuskripten bis hin zu Shakespeare.

Sie waren nun schon zwei Wochen lang hier zugange … zwei unglaublich lange Wochen … in denen sie sich durch alte Briefe, Notizbücher und Dokumente der RGS gequält hatten. Amelia und Alderidge hatten jedes Wort, das Fawcett jemals geschrieben hatte, genau unter die Lupe genommen, um Beweise für ihre Theorie zu finden, oder um weitere Hinweise zu erhalten.

Fawcetts letzter Brief an seine Ehefrau hatte tatsächlich die Koordinaten zum Dead Horse Camp enthalten, doch selbst Amelia hatte Zweifel daran, dass er wirklich die richtigen Daten preisgegeben hatte. Denn die Vorsicht des Colonels war legendär gewesen. Wenn er es nicht schaffte, sollten es alle anderen auch nicht können.

Alderidge starrte auf die Karte, die vor ihm ausgebreitet war. Sie hatten bereits einen guten Teil des Dschungels wegstreichen können, doch die Mato Grosso-Region war unfassbar riesig. Sie war so groß, dass Sir Roger Zweifel daran hatte, dass sie jemals komplett erforscht werden könnte.

»Wir könnten auch einfach zu dem Camp reisen und direkt vor Ort schauen, wie wir vorgehen wollen«, sagte Alderidge nachdenklich, während er an seiner Elfenbeinpfeife zog.

Amelia schüttelte den Kopf. »Dafür ist das Gebiet einfach zu groß. Da müssten wir schon jemanden vor Ort ausfindig machen, der bezeugen kann, dass Fawcett tatsächlich dort war.«

Sie zog ein paar Karten hervor, die Fawcett selbst erstellt hatte, und die er in den vertraulichen Akten der RGS gelagert hatte. Sie schienen seine Reisen zu dokumentieren, doch seine Paranoia machte diese Aufzeichnungen dennoch unzuverlässig. Amelia war sich immer sicherer, dass es mit den Koordinaten von dem Camp ganz genauso war.

»Schau dir das mal an, mein Mädchen«, murmelte Alderidge und lehnte sich nach vorne.

Er zog eine der Zeichnungen hervor und schob die anderen beiseite, dann richtete er sie anhand der Karte aus, mit der er und seine Nichte bisher gearbeitet hatten. Amelia studierte beides aufmerksam und fing dann an zu grinsen. »Mein Gott, das könnte es tatsächlich sein!«, rief sie begeistert.

Die Zeichnung stammte von Fawcett selbst, denn er hatte sie sogar signiert. Die gezeichnete Karte zeigte eine seiner früheren Expeditionen in die Gegend. Bisher hatten sie ihr nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, da sie diese für ungenau gehalten hatten. Aber jetzt, wo sie neben ihrer eigenen Karte lag, konnte man sehen, dass sie sehr akkurat war. Die Route, die auf diesem Lageplan verzeichnet war, schien genau durch das Gebiet zu führen, das sie auf der großen Karte markiert hatten.

Nach einigen weiteren Stunden der Kontrollrecherche lächelten sie beide. Sie hatten Fawcetts Route in die Stadt Z tatsächlich gefunden. Beide gossen sich zur Feier des Augenblicks ein Glas Whiskey ein, denn Sir Roger hatte seine Nichte schon vor längerer Zeit auf den Geschmack gebracht.

»Jetzt könnte ich erst einmal eine gute Woche schlafen!«, verkündete Alderidge erschöpft und lehnte sich in dem großen Ledersessel zurück. Amelia ging aufgeregt im Raum auf und ab, denn sie war immer noch ganz aus dem Häuschen. »Nein, Onkel! Wir müssen sofort Vorbereitungen treffen und aufbrechen, sobald wir können.«

Sir Roger kicherte. »Entspanne dich, mein Mädchen! Die Stadt Z wartet schon seit Jahrhunderten auf uns, da wird sie auch noch ein paar weitere Wochen warten können. Wir müssen unbedingt alle Eventualitäten bedenken, bevor wir in diesen gottverlassenen Dschungel aufbrechen.«

Die junge Frau nickte. »Ich weiß, ich habe meine Recherchen gemacht. Ich glaube, ich kenne sogar einen Führer, der uns sicher leiten könnte.«

»Ach ja?«

»Ja. Einen Captain namens Henry Hawkes.«

»Hawkes«, wiederholte Alderidge und ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Ich glaube, ich habe schon einmal von ihm gehört. Der Mann hat sich im Krieg gut geschlagen, soweit ich weiß.«

»Ganz genau! Außerdem hat er schon mehrere Dschungel-Expeditionen geleitet. Wenn uns jemand helfen kann, dann er.«

»In Ordnung, ich werde mir den Knaben mal genauer ansehen.«

»Ich danke dir, Onkel. Ich glaube, wir sollten unsere Truppe klein halten, damit wir nicht allzu viel Aufmerksamkeit bei den Ureinwohnern in der Gegend erregen.«

»Da stimme ich dir zu. Aber wir werden Waffen brauchen, und einen einheimischen Führer.«

»Darum habe ich mich bereits gekümmert.«

»Tatsächlich?«

Amelia zog ein Telegramm aus der Tasche und überreichte es Sir Roger. Dieser las es und seine Augen weiteten sich verwundert. »Ein Amerikaner? Mitten im verdammten Dschungel?«

Kapitel 4

Cuiabá, Brasilien

In einer kleinen Bar am Ende einer vermüllten Straße saß Willy A. Rivers mit seinem Shot Bourbon. Er war groß und muskulös, hatte kurze Haare, ein makellos rasiertes Kinn und eine ausdrucksstarke Narbe, die seine rechte Wange hinunterlief. Kurz gesagt, er war eine imposante Erscheinung.

Ihm war gesagt worden, Cuiabá sein nichts als eine Geisterstadt inmitten des Dschungels. Doch durch die Bemühungen der Luftfahrtindustrie war hier in Windeseile ein geschäftiges Treiben entstanden. Vor allem, dass der Ort seit Neuestem asphaltierte Straßen besaß, faszinierte Rivers, der mittellos in Harlem aufgewachsen war. Jetzt hatte er wenigstens festen Boden unter den Füßen und ein Dach über dem Kopf.

Er kicherte. Seine Mutter wäre stolz darauf, dass er inzwischen die kleinen Dinge im Leben zu schätzen wusste, denn als Kind hatte er immer nur über alles gemeckert. Er musste ihr dringend mal wieder schreiben.

»Wie geht es dir, mein Freund?«, fragte Carlos Fontes, während er einen Stuhl neben Rivers platzierte.

»Ich denke gerade über die verrückten Wege des Lebens nach.«

Carlos signalisierte dem Barkeeper, dass er dringend einen Drink brauchte. Er war ein kleiner, drahtiger Mann mit langem, schwarzem Haar und einem ständig mit einem Dreitagebart bewachsenen Kinn. Als einer der wenigen Einwohner lehnte er sich gegen die laufende Modernisierung von Cuiabá auf und trug niemals einen Anzug, denn seiner Meinung nach sollte man das in einem Dschungel nicht tun müssen. Stattdessen hatte er wie immer ein dünnes Baumwollhemd an und trug dazu eine lange Hose und Stiefel. Er legte seinen verbeulten Cowboyhut sorgfältig auf den Tresen.

»Ich hoffe, deine Bemühungen haben uns eine Möglichkeit zum Geld verdienen beschert. Meine Familie ist nämlich darauf angewiesen.«

Rivers schob ihm ein Telegramm zu. »Es scheint so, als würden wir in Kürze auf eine Expedition gehen.«

»Tatsächlich?«

»Wir sollen ein paar reiche Briten herumführen, die im Dschungel nach irgendetwas suchen.«

»Nach etwas Geheimen«, las Carlos aus dem Telegramm vor. »Bist du dir sicher, dass das eine gute Entscheidung ist, mein Freund?«

»Sieh doch selbst, das Telegramm ist von einem Lord unterschrieben worden. Das bedeutet Knete, Carlos, jede Menge Knete!«

»Knete ist immer gut. Aber hast du eine Ahnung, um was genau es bei der Suche geht?«

»Damit halten sie hinter dem Berg, aber es geht um eine Expedition in den Dschungel, und sie werden unser Boot brauchen, wofür wir natürlich noch einmal extra kassieren werden.«

»Klingt so, als ob sie nach irgendwelchen Schätzen suchen wollen.«

»Vielleicht, aber das kann uns doch egal sein.«

Carlos dachte nach. »Vielleicht nicht.«

»Inwiefern?«

»Ich habe im Laufe meines Lebens schon viele Geschichten gehört, mein Freund. Schon als Kind hat meine Mutter mir erzählt, dass es im Dschungel grässliche Dinge gibt. Es sind angeblich schon eine Menge weiße Männer dort gestorben.«

»Meinst du, wegen der wilden Tiere und der Ureinwohner?«

»Wegen etwas noch Schlimmerem. Es gibt Dinge im Dschungel, die Menschen einfach nicht verstehen können.«

Eine unangenehme Stille machte sich daraufhin im Raum breit. Rivers sah sich alarmiert um. Es schien sich nichts verändert zu haben, doch die Stimmung war definitiv eine andere. Sie wirkte so bedrohlich, dass er unwillkürlich zitterte.

»Ich habe schon Dinge gesehen, die kein Mensch jemals sehen sollte«, sagte er trocken, »und ich bin auch noch hier.«

»Aber um welchen Preis, mein Freund? Allein die Geschichten, die mir erzählt worden sind, verfolgen mich noch heute in meinen Träumen. Der Urwald hat seine ganz eigenen Mittel und Wege, seine Geheimnisse für sich zu behalten.«

»Jetzt höre endlich auf, mir Angst zu machen. Wie viel Ärger kann ein britischer Lord denn schon machen? Er will wahrscheinlich nur ein wenig im Dschungel herumstolzieren, damit er später bei seinen Freunden damit angeben kann.«

Carlos lachte auf und verdrängte seine negativen Gedanken. »In Ordnung, dann lass uns auf einen neuen Job anstoßen!«

Sie ließen ihre Gläser gegeneinander krachen und damit war die komische Stimmung plötzlich verschwunden und das Leben kehrte in die Bar zurück. Auch die Musik, die eben noch von weit weg zu kommen schien, drang wieder ganz normal aus den Lautsprechern.

»Mann, ich hoffe es!«

»Ich habe dich noch nie gefragt, warum du eigentlich hier bist. So viele meiner Landsleute wollen nach Amerika, doch du bist stattdessen in ein kleines Kaff im Dschungel gezogen.«

»Ich habe meine Gründe dafür, aber die gehen im Moment niemanden etwas an.«

»Aber Amerika ist doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten!«, rief Carlos mit einem breiten Grinsen. »Ihr habt all die großen Stars. Gary Cooper! Cary Grant! Und diese Frauen! Was würde ich darum geben, um eine Nacht mit Lana Turner verbringen zu können.«

»Dann frage gern mal irgendeinen anderen Schwarzen nach seiner Meinung.«

Rivers Tonfall wischte das Lächeln sofort aus Carlos Gesicht. »Aber du warst doch ein Held im Krieg, oder nicht?«

»Den meisten Leuten bedeutet das aber nichts, Carlos. Nicht jeder denkt wie Gilberto Freyre.«

»Okay, mach dir keine Gedanken, mein Freund. Jetzt bist du ja hier, bei mir.«

Carlos bestellte noch zwei Drinks und sie stießen erneut an, bevor sie in Stille verfielen. Es war Carlos sonnenklar, dass er es irgendwie geschafft hatte, die Laune seines Freundes zu ruinieren und er wusste, dass Schweigen daher momentan das Beste war.

Es dauerte nicht lange, bis sich die Bar füllte. Eine bunte Mischung aus Leuten versammelte sich dort, von staubbedeckten Bauern bis hin zu Geschäftsleuten, die das Glück gehabt hatten, in einem der neuen Büros in der Stadt eine Arbeit zu finden.

Eine Person sprang Carlos ganz besonders ins Auge. Es war eine schlanke, dunkelhäutige Frau mit langem, schwarzem Haar. Sie sah einfach nur umwerfend aus, und auch wenn Carlos verheiratet war, würde er bei ihr mit Gottes Gnaden eine Ausnahme machen.

»Willy, du hast offenbar eine neue Verehrerin.«

Rivers blickte über die Schulter. Er sah die Frau, lächelte sie an und hob dann sein Glas. Sie kam zu ihnen hinüber und setzte sich neben ihn. Carlos verstand den Wink mit dem Zaunpfahl sofort.

»Viel Spaß, mein Freund, ich gehe jetzt heim.«

Er rutschte von seinem Stuhl und ging zur Tür, wo er noch einmal einen letzten Blick zurückwarf, und er sah, wie dicht die Frau schon neben seinem Freund saß.

Kapitel 5

Harley Street, London

Captain Henry Hawkes ging vor der reich mit Schnitzereien verzierten Holztür des Arztes in der Harley Street auf und ab. Sein Gehstock klopfte dabei mit einem Stakkato-Rhythmus auf die Pflastersteine. Der leichte Regen machte überhaupt keinen Eindruck auf den Soldaten, denn er hatte schon weitaus Schlimmeres erlebt.

Er trug einen exquisit geschneiderten, schwarzen Anzug mit einem braunen Mantel darüber sowie einen schwarzen Fedora-Hut und gab damit eine äußerst beeindruckende Gestalt ab. Seine kerzengerade Haltung und sein meisterlich getrimmter Schnauzbart trugen nur noch mehr zu seiner imposanten Erscheinung bei und verschafften ihm die Aura eines Mannes, der in seinem Herzen immer ein Kämpfer sein würde.

Um ihn herum hetzten sich die Menschen bei ihren täglichen Besorgungen ab, einige von ihnen trugen Regenschirme, andere nicht. Automobile fuhren die Straße hinab und durchnässten unvorsichtige Fußgänger mit Spritzwasser. London kam Hawkes immer noch sehr fremdartig vor, da er die vergangenen Jahre überwiegend damit verbracht hatte, auf den größten Schlachtfeldern der Welt gegen die Deutschen zu kämpfen.

Im Kontrast dazu erschien ihm die Zivilisation als die reinste Farce … eine Maske, die die Menschheit aufsetzte, um ihre Barbarei und Gemeinheit zu verschleiern. Doch Hawkes sah die Realität unter der Oberfläche überall aufblitzen. Er sah sie in dem Mann, der über den Regen fluchte, in der Frau, die ihre Einkäufe nach Hause trug und in den Taxifahrern, die mit hinuntergezogenen Mundwinkeln an ihm vorbeirasten.

Es hatte einst eine Zeit gegeben, in der Hawkes in den edlen Hallen der High Society und in der Gesellschaft der Reichen und Schönen zu Hause gewesen war. Doch nun konnte er die Augen nicht mehr davor verschließen, wie zynisch es war, in Saus und Braus zu leben, während große Teile Londons immer noch vom Blitzkrieg zerstört waren.

»Schande über sie«, knurrte er.

Schließlich hielt er inne und wandte sich der großen, dunklen Tür zu. Auf einem kleinen, silbernen Schild daneben stand der Name des Arztes. Er fragte sich erneut, ob er wirklich das Richtige tat.

Ein schneller Kontrollblick ergab, dass ihn niemand beobachtete, was der Captain dazu nutzte, um die Stufen hinaufzueilen und zu klingeln. Sofort wurde die Tür von einem ausgemergelten, jungen Mann in dunkler Kleidung geöffnet, der ihn ins Foyer geleitete.

»Bitte setzen Sie sich, Mister …?«

»Captain Hawkes, ich bin hier, um Doktor Farley zu sehen.«

»Sehr wohl, der Herr. Einen Moment bitte.«

Obwohl er erleichtert war, das Wartezimmer leer vorzufinden, setzte Hawkes sich nicht. Er schlüpfte stattdessen aus seinem Mantel und schüttelte ihn leicht, bevor er ihn und seinen Hut an der Garderobe aufhängte. Danach wartete er stehend, den Rücken gerade, die Augen nach vorne gerichtet und die Hände auf seinem Gehstock ruhend. Er tat sein Bestes, um wie ein Mann auszusehen, der nichts zu befürchten hatte. Doch hätte jemand in diesem Moment seine Schultern berührt, wäre es nicht unbemerkt geblieben, dass seine Muskeln wie Stahlseile gespannt waren.