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Auf dem Planeten Coshia tobt ein verzweifelter Kampf ums Überleben und die Zukunft. Ein mächtiges Amulett. Ein Geheimbund fanatischer Elben. Ein tödliches Ziel. Der größte Feind ist besiegt, doch solange Baine und seine Gefährten nicht alle Schläfer und Verräter unschädlich gemacht haben, wird Coshia nicht zur Ruhe kommen. Zudem sorgen in letzter Zeit schwere G1- Giftgasanschläge für Unruhe. Steckt Sahlia dahinter, die vor kurzem aus dem Gefängnis ausgebrochen ist? Baine und Lea nehmen die Ermittlungen auf. Doch als sie aufgrund eines Hinweises eine Militärfirma ins Visier nehmen, werden sie von deren Söldnern überwältigt und eingesperrt. Ausgerechnet Sahlia bricht in das Gefängnis ein, um Baine und Lea zu entführen, denn die beiden haben etwas, das Sahlia unbedingt braucht. Zum Glück haben Baine und Lea vorgesorgt. Doch sie ahnen nicht, dass dies erst der Anfang ist. Im Verborgenen werden bereits Pläne geschmiedet, die das Schicksal der Menschheit für immer verändern und eine Epoche des Schreckens einleiten werden. Wird es ihnen gelingen, den Geheimbund rechtzeitig aufzudecken und das Schlimmste zu verhindern? Wie schon "Der Erbe der erstarrten Sonne" spielt auch dieser Fantasy-Thriller auf Coshia, einem Planeten, der von Menschen, Elben und Elfen bewohnt wird. Magische Elemente vermischen sich mit Technologie aus der Mitte des 20. Jahrhunderts und sorgen für jede Menge Spannung.
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Seitenzahl: 677
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Über den Autor
Richard Sturmport ist das Pseudonym eines Autors, der irgendwo im wunderschönen Niedersachsen wohnt. Er ist Baujahr 1987 und hat Wirtschaftsrecht studiert. Doch neben dem Jonglieren mit Paragrafen war und ist das Schreiben seine große Leidenschaft. Am liebsten schreibt er über fiktive Welten, in die die Leser eintauchen können. Mit der Erschaffung von Coshia hat er seinen Traum erfüllt und will nun seine Geschichten erzählen.
Prolog
Kapitel 1
Die Versprengten
Kapitel 2
Der König der Lüfte
Kapitel 3
Die Rote Prinzessin
Kapitel 4
Das dritte Gesicht
Kapitel 5
Der Fluch des Verdorbenen Kaisers
Kapitel 6
Der Abgrund
Kapitel 7
Aufstehen
Kapitel 8
Das Paradies
Personenliste
Zeittafel
Sahlia konnte es spüren. Die pure Kraft, die sie damals besessen hatte, kam endlich wieder in ihre Adern zurück. Jene Fesseln, die sie so lange geknechtet hatten, fielen von ihr ab wie Espenlaub im Herbst. Ihr Bewacher, der nicht nur über sie gewacht hatte, sondern sich auch mehrmals an ihr verging, lag regungslos am Boden, getränkt in seinem eigenen Lebenssaft.
Eigentlich hätte dieser Scheißkerl weit Schlimmeres verdient, war ihre Meinung, doch im Eifer des Gefechts sein Herz rauszureißen und zuzusehen, wie er elendig krepierte, war für die ehemalige Gefangene auch ein Genuss gewesen. Doch er war nicht das größte Hindernis. Den Wächter umzubringen war nur der erste Schritt, nun musste sie aus dem verdammten Loch verschwinden.
Ihre Zelle war nichts weiter als ein runder Raum aus grauem Granitstein. Keine Türen, keine Fenster. Ihr Wärter kam immer durch ein magisches Portal, doch es war sofort verpufft, als der Wärter seinen letzten Atemzug gemacht hatte. Der Wärter hatte zuvor nie sehr lange in ihrer Zelle verbracht. Das bedeutete, dass er bald vermisst werden würde.
Sahlia riss sich die Fesseln von ihren Handgelenken und warf sie in die Ecke. Danach strich sie sich über ihre blutroten Haare, überprüfte noch mal, ob ihre Maske richtig saß, und kniete sich nieder zu dem toten Wärter. Sorgsam durchsuchte Sahlia ihn, doch leider war kein Portalschlüssel bei ihm zu finden. Vermutlich wurde er durch seinen Kollegen auf der anderen Seite rein- und wieder rausgelassen, damit niemand mit seinem Portalschlüssel verschwinden konnte, sollte er überwältigt werden. Und selbst wenn, könnte sie mit dem Schlüssel nur durch dieselbe Tür gehen wie der Wärter, denn im Gegensatz zu einem Portalring konnten die Portalschlüssel immer nur einen bestimmten Bereich öffnen oder verschließen.
Sahlia musste also einen anderen Weg rausfinden.
Ihre Hand legte sie auf die kühle Wand. Wie ein elektrisches Vibrieren spürte sie die magische Barriere, die das runde Zimmer umgab wie ein Fliegennetz. Es war eine äußerst starke Barriere, die wahrscheinlich auch ausgereicht hätte, um jemanden wie Lord Mardon hier festzuhalten. Doch sie wollte nicht mehr hier versauern in diesem Drecksloch.
Gleichzeitig bedeutete das aber auch, dass sie ihre gesamte Energie brauchen würde, um rauszukommen. Langsam, aber sicher erholte sich auch ihre Magische Ader von den Strapazen der Blockade. Die Rothaarige schloss ihre Augen, sammelte alle Energie, die sie finden konnte, und konzentrierte sie auf ihre Handfläche.
Dann murmelte Sahlia nur ein Wort.
Als wäre ein unsichtbarer Güterzug durch die Erde gerast, wurde die Wand in Fetzen gerissen und der Machtschub grub sich durch die Erde, um der Gefangenen einen Tunnel zu hinterlassen. Erschöpft lehnte sich die rothaarige Magierin gegen die Wand und keuchte heftig, als wäre sie einmal um den Planeten gelaufen, zumindest fühlte sie sich so.
Doch Sahlia zwang sich dazu, ihre Beine in die Hand zu nehmen. Zuerst schleppte sie sich durch den Tunnel, doch später, als ihre Kraft wiederkam, fing sie an zu rennen. Immer weiter und weiter.
Am Ende des Tunnels war ein Licht zu sehen, gemischt mit eigenartigen Geräuschen, die sie nicht einordnen konnte. Sie könnte schwören, es schon mal gehört zu haben, aber vielleicht bildete sie sich das nur ein.
Als sie endlich ankam, erschien vor ihr ein seltsames Gebilde. Vor ihr waren Holzbalken auf dem Boden, über die Eisenbalken geschraubt waren, dahinter eine Steinwand, auf der schockierte Menschen standen.
Irgendwoher hatte sie so eine Konstruktion schon mal gesehen. Als sie sich auf die Balken stellte, schrillte ein ohrenbetäubendes Geräusch durch die Halle. Ein grelles Licht an der Spitze eines stählernen Ungeheuers raste wie ein Feuerball auf sie zu.
Jetzt fiel es ihr wieder ein.
Die maskierte Magierin schleuderte einen Machtschub auf das Stahlmonster. Als wäre es gegen einen Felsen gefahren, blieb das Stahlmonster mit eingedrückter Schnauze laut quietschend stehen.
Züge, die unter der Erde fahren. Wie lange war sie in dem verdammten Loch gewesen? Jedenfalls lange genug, damit die Menschen wieder etwas so Hässliches bauen konnten.
Träge kletterte Sahlia auf den Bahnsteig hinauf und starrte die schockierten Menschen an. Keiner wagte es, auch nur einen Ton zu sagen. Fairerweise musste man aber auch sagen, dass es nicht jeden Tag vorkam, dass jemand aus dem Tunnel kam und eine U-Bahn ausbremste.
Scheiß drauf, was diese Penner dachten.
Ungerührt stolzierte die maskierte Magierin durch die ausweichende Menge, stieg die Treppe hoch und durchquerte die Schranke. Oben angekommen, wurde sie überflutet von Licht und einem undurchdringlichen Gemisch aus Geräuschen. Gewaltige Türme aus Glas und Stahl ragten in den Himmel, als wollten sie die Wolken herunterreißen. Auf den Straßen wimmelte es von vierrädrigen Geräten und unzählig vielen Menschen, die wie Ameisen herumliefen.
So langsam wurde ihr klar, wie lange sie in der Kammer gesessen haben musste.
Als sie sich umdrehte, erblickte sie ihr Spiegelbild auf der Frontscheibe eines Geschäftes. Ihre Klamotten waren nur noch zerfleddert, als wäre sie von Bettwanzen gebissen worden. Widerlich, wie die maskierte Flüchtige fand. Sie sah aus wie eine Obdachlose oder eine heruntergekommene Straßennutte.
„Scheiße“, stöhnte die Maskierte und marschierte davon.
Zwei Geschäfte weiter blieb sie stehen. Im Schaufenster befanden sich Puppen, die elegante Kleidung trugen, darunter wundervoll genähte Westen und Kaschmir-Mäntel. Seit Ewigkeiten hatte sie darauf gewartet, wieder ordentliche Klamotten tragen zu dürfen. Sie marschierte in die Boutique, wanderte umher und nahm sich die Kleidung, die ihr gefiel, ungerührt von den skeptischen Blicken und Kommentaren der anderen. Als sie aber anfing, ihre zerfetzten Leinenklamotten auszuziehen und sich stattdessen das kirschrote Hemd und die schwarze Hose anzog, wurde es dem Boutique-Besitzer zu bunt.
„Verzeihung“, räusperte sich der Ladenbesitzer, „aber die Umkleideräume sind da drüben.“
Die rothaarige Frau reagierte nicht, so als wäre er unsichtbar, und probierte gerade eine Weste an.
„Und wie wollen Sie das alles bezahlen?“ Die Masken-Trägerin ging zu einem Spiegel, um zu sehen, ob ihr das Outfit passte. „Hallo! Ich rede mit Ihnen …“
Plötzlich schlug die Dame mit zwei Fingern auf seinen Kehlkopf. Es wirkte so sanft, so als wollte sie einem Kind einbläuen, den Mund zu halten. Der leichte Schlag reichte aber aus, um den Ladenbesitzer zum Würgen zu bringen. Er ging weg und rang nach Luft, als würde er am Galgen hängen. Währenddessen verließen immer mehr Kunden den Laden.
„Ja, schon viel besser“, murmelte die ungebetene Kundin, schnappte sich noch den Mantel, der von der Puppe neben ihr getragen wurde, und zog ihn an. Danach zog sie sich noch schwarze Lederhandschuhe an und probierte einige Hüte an. Nach dem vierten Hut fand sie etwas, was ihrem Geschmack entsprach.
Plötzlich heulten draußen die Sirenen.
Streifenwagen hielten vor dem Laden und Polizisten zielten mit ihren Waffen auf das Schaufenster.
„Die rothaarige Frau in dem Laden!“, hallte ein Megafon. „Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.“
„Bullen“, murmelte Sahlia und schüttelte mit dem Kopf. „Immer müssen sie einem den Spaß verderben.“
„Ich wiederhole: Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!“ „Jaja, komm mal runter“, schnauzte die rothaarige Magierin zurück. Noch einmal betrachtete sie sich im Spiegel. Endlich sah sie wieder aus wie eine Frau, empfand Sahlia. Doch nun musste sie sich um die Spielverderber kümmern.
Sie schaute durch das Schaufenster und schüttelte verständnislos den Kopf, als sie das Aufgebot von uniformierten Polizisten und ihren Fahrzeugen sah. „Warum sie jetzt so eine Welle machen müssen.“
Als würde sie im Park spazieren gehen, schlenderte Sahlia aus der Boutique, lächelte frech und funkelte die Polizisten an.
„Sagt mal, Jungs, was macht ihr denn so für einen Aufstand?“ „Nehmen Sie die Hände hinter den Kopf und umdrehen!“, forderte der Polizist mit dem Megafon auf.
„Okay, und wieso sollte ich das machen? Was wirft man mir vor?“
„Nehmen Sie …“
„Ich will erst wissen, warum hier so ein Radau ist.“
„Sie werden verdächtigt, einen Terroranschlag in der U-Bahn begangen zu haben“, schnauzte der Polizist ungeduldig zurück.
„Terroranschlag? Wie? Ihr meint das Loch da unten?“ Sahlia verzog das Gesicht und lächelte irritiert. „Mann, ihr seid aber verklemmt.“
„Ich wiederhole mich nicht noch mal!“, hallte es zurück. „Tun Sie, was wir sagen, oder wir eröffnen das Feuer auf Sie.“ Plötzlich wurde es still.
„Na schön, dann eben auf die harte Tour“, murmelte Sahlia verbissen und hob ihre rechte Hand.
Die Polizisten eröffneten das Feuer.
Doch im selben Atemzug geschah etwas … Unglaubliches.
Die Kugeln gingen durch die Frau hindurch!
Jedes Mal, wenn sie getroffen wurde, verwandelte sich die Stelle ihres Körpers in einen Nebelschleier, so als wäre sie ein Geist. Als die Waffen schwiegen, stöhnte Sahlia wie eine alte Frau, die gerade viele Treppen steigen musste. Dann senkte sie ihren Kopf und presste ihre Hand auf die Maske.
Die Polizisten jedoch waren wie erstarrt. Wie konnte es sein, dass keines der Geschosse getroffen hatte? War die Frau vielleicht doch ein Geist?
Auf einmal starrte die maskierte Frau die uniformierten Schützen an. Dann stieß ein grauer Nebel unter ihrer Maske hervor, als hätte sie vorher noch was geraucht. Im Bruchteil einer Sekunde breitete sich der Nebel aus und verschlang die Polizisten. Grässlich husteten die Gesetzeshüter und brachen zusammen.
Ungerührt marschierte Sahlia durch die Nebelwolke, kletterte über einen der Streifenwagen und überquerte die Straße. Die Menschen, die noch nicht die Flucht ergriffen hatten, waren zur Salzsäule erstarrt. Keiner von ihnen wagte es, sich ihr in den Weg zu stellen. Sie ging durch eine Seitenstraße, blieb aber plötzlich stehen, als sie einen roten Sportwagen mit schwarzem Dach erblickte. Sofort schlug ihr Herz höher. Sie umrundete das Prachtstück, streichelte mit der nackten Hand über das rote Blech und berührte dann mit dem Zeigefinger das Schloss an der Fahrertür. Der Zauber öffnete die Tür und Sahlia stieg in den Wagen. Danach wendete sie denselben Zauber an, um den Motor zu starten. Das Aufjaulen des Motors war wie Musik in ihren Ohren und das Vibrieren der Ledersitze war wie Balsam für ihren Hintern. Sie hielt das Lenkrad fest und drückte auf das Gaspedal.
Doch nichts bewegte sich. Stattdessen jaulte der Motor noch schrecklicher auf.
„Hey, was bilden Sie sich eigentlich ein?“, schnauzte plötzlich ein Mann in Anzug, als er an die Fahrertür herantrat. „Raus aus meinen Wagen!“
„Wieso fährt er nicht los, wenn ich aufs Gas trete?“, fragte die maskierte Diebin, als würde sie einen Mechaniker fragen.
„Was? Spinnen Sie?“, blaffte der Autobesitzer zurück und schaute durch das Fenster der Fahrertür. „Wenn Sie nicht freiwillig rauswollen, muss ich nachhelfen.“
Plötzlich schlug Sahlia dem Mann auf die Nase!
Doch bevor der geschlagene Mann umfallen konnte, packte sie ihn an der Krawatte und zog ihn zu sich. „Ich sagte, warum fährt der Wagen nicht, wenn ich aufs Gas drücke?“
Als keine Antwort kam, schlug sie ihn noch mal. Dieses Mal so kräftig, dass dem Autobesitzer zwei Zähne herausflogen. Sichtlich erschrocken über die Kraft der rothaarigen Frau starrte er sie an.
„Sie … müssen erst einen Gang einlegen“, stotterte der Mann.
„Einen Gang …?“ Sahlia schaute zu dem Schaltknüppel, dann lachte sie und schlug mit der Handfläche auf die stählerne Stirn. „Stimmt, ich dummes Suppenhuhn. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“
Sahlia ließ den Mann los, legte den ersten Gang ein und drückte noch mal aufs Gas. Dieses Mal sauste der Sportwagen wie eine Rakete davon. Beim nächsten Gang fuhr der Wagen noch schneller. Geschickt wich sie den anderen Fahrzeugen aus und nahm die erste Auffahrt zur Autobahn. Das Adrenalin, das durch ihre Adern floss, die unglaubliche Geschwindigkeit war wie ein Rausch für sie. Als Sahlia das Radio einschaltete, dröhnte ein lauter Song mit Gitarren und Trommeln heraus. Was auch immer das war, es war viel angenehmer als die Todesstille aus ihrer Zelle.
Endlich frei!
Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, das loszuwerden, was sie seit sehr langer Zeit als Geisel hielt.
Ein verstreuter Feind ist kein besiegter Feind. Es ist nur schwieriger und langwieriger, sie einzeln zu vernichten statt alle auf einen Haufen.
Zitat von Königin Jynn Koa Anführerin der menschlichen Streitkräfte während des Amyrischen Krieges
Ein grässlicher Anblick. Selbst von hier aus war die schwarz abgebrannte Ruine, die einst ein gewaltiger weißer Turm war, zu sehen. Obwohl es Tage her war, stieg immer noch Rauch auf wie ein aktiver Vulkan. Als kleines Kind hatte Makina grausige Geschichten über Drashur, den König der Dunklen Drachen gehört. Eines von vielen Legenden erzählte, dass seine Flammen selbst nach Tagen noch weiterbrennen konnten. Nicht umsonst hatte man ihn im Zweiten Zeitalter als Weltenverbrenner bezeichnet.
Makina fröstelte es bei dem Gedanken, sich vorstellen zu müssen, wie zuerst die kleinen Drachen wie eine Horde wilder Bestien in den Turm eingefallen waren, nur um dann von ihrem Vater wie vertrocknetes Espenlaub in Brand gesteckt zu werden. Nur wenige Zauberer hatten den Angriff überlebt. Einige von ihnen konnten sich durch Barrieren schützen, andere hatten das Glück, Verstecke zu finden, wo die Flammen nicht rankamen.
Doch das war nur eine Handvoll Glücklicher. Die meisten anderen der tausend Zauberer und ihre Schülern starben in den Flammen und ein Drittel von ihnen später an den Folgen ihrer schweren Verbrennungen. Einen solchen Verlust an magischen Leben hatte es zuletzt in den Portalkriegen gegeben. Und bis der Weiße Turm wieder aufgebaut war, dürften noch viele Jahre ins Land gehen. Der Stadtmeister von Sorannz hatte sofort seine Hilfe angeboten. Nicht nur, dass die Stadt ihre besten Ärzte für die Versorgung der Verbrannten und die Feuerwehr für die Bekämpfung des Feuers zur Verfügung stellte, sondern auch das Schloss Soraburg, um den Magiern des Weißen Turms Unterkunft bieten zu können.
Es war vielleicht kein prächtiger Palast wie das Kaiserschloss in Burg-Ynn oder die Anwesen, die auf Malion thronten, doch es bot genug Platz für alle. Makina wusste nicht mehr, wie lange sie auf dem Balkon stand und den rauchenden Turm anschaute. Es war so befremdlich. Sie erinnerte sich noch, wie sie vor ungefähr hundert Jahren das erste Mal durch die Pforten des Turmes geschritten war und tiefe Ehrfurcht empfunden hatte. Und nun lag alles in Trümmern, weil ein Verrückter mit Maske unbedingt Gott spielen wollte.
Nachdem der Bunker durchsucht worden war, hatte man Syrannos’ Leiche zur Soraburg gebracht, um ihn zu untersuchen. Makina schloss die Augen und hielt sich an der Reling fest. Die Bilder von dem verbrannten Gesicht, als Syrannos’ Maske abgenommen wurde, schossen ihr durch den Kopf. Früher zu Zeiten von Mardon hatten die Schattenmeister Masken getragen, um ihre Ergebenheit gegenüber dem Dunklen Pfad zu beweisen. Syrannos hingegen wollte wohl damit sein entstelltes Gesicht verbergen. Laut der Autopsie waren diese Verletzungen schon sehr alt. Was dem Schattenmeister auch immer widerfahren war, es musste vor einer Ewigkeit passiert sein. Vielleicht ein missglücktes Experiment mit einem Dunklen Drachen? Oder vielleicht waren es doch die Bomben gewesen? Makina erinnerte sich noch, wie Syrannos am Hafen von Sturmport so etwas angedeutet hatte. Könnte es sein, dass Syrannos eine der Atomexplosionen überlebt hatte? So absurd es klang, es würde seine Verletzungen erklären.
Was es auch war, sie würden es nie erfahren.
Doch das war nicht der einzige Gedanke, der Makinas Kopf quälte. Syrannos hatte viele Verbündete in den Reihen der Magier und der Freien Völker. Eine von ihnen war Jonaria Aresha gewesen, die Sonderermittlerin des Konzils. Ein hohes Tier, wie Baine es wohl ausdrücken würde, dachte sich Makina und lächelte matt. Da stellte sich die Frage, wer noch darin verwickelt war und ob es neben Syrannos noch weitere Schattenmeister gab, die sich nur nicht zeigten.
Und wenn es nur das wäre. Makina stöhnte und fuhr mit der Hand über das Gesicht. Es gab noch andere Dinge, die ihr keine Ruhe gaben.
„Hier bist du, mein Kind.“
Erschrocken zuckte Makina zusammen, als sie die Stimme erkannte.
Sie klang einerseits wie ein besorgter Vater, doch zugleich wie ein eitler Herrscher, der Fürsorge nur vortäuschte.
Als Makina sich umdrehte, erblickte sie einen Elben, deren edle Erscheinung der eines Königs glich. Seine Züge waren makellos wie ein frisch geschliffener Diamant, seine kristallgrünen Augen schimmerten wie Sterne am Himmel, sein Teint wirkte wie glatt polierter Alabaster und seine blonden Haare wallten auf seine Schulterblätter. Gekleidet war der göttlich wirkende Mann in einen violetten Seidenmantel, den er über eine schneeweiße Weste trug. Um seinen Hals hing eine goldene Kette mit einem Amulett, auf dem eine violette Rose abgebildet war. Die Rose stand als Symbol für die Varian-Familie, die goldene Kette dafür, dass sein Träger Mitglied des Königlichen Rates war, des obersten Gremiums der elbischen Gesellschaft.
Niemand Geringerer als Auryan Varian, Oberhaupt der Varian-Familie, stand gerade vor ihr.
„Vater?“ Makina bemühte sich, aufrecht zu stehen. „Was …?“
„Ich wollte dir für deinen Erfolg gratulieren“, erwiderte Auryan in einer fast schon übertrieben väterlichen Weise. „Es tut mir leid, dass ich bei der Feierlichkeit nicht anwesend war.“
„Ich verstehe schon. Du hast viel zu tun.“
„Das ist keine Entschuldigung.“ Ihr Vater legte seine Hand auf Makinas Schulter und schaute ihr in die Augen. „Du glaubst gar nicht, wie unheimlich stolz ich auf dich bin, dass du den niederträchtigen Schattenmeister Syrannos erledigt hast.“
„Naja, genau genommen, war ich es nicht allein“, widersprach Makina ruhig. „Ich hatte Hilfe von …“
„Ja, ja, ich weiß, mein Kind“, unterbrach das Familienoberhaupt betont. „Die beiden Menschen haben sicherlich ihren Beitrag dazu geleistet, aber im Endeffekt hast du den Schattenmeister ausgeschaltet. Und das ist alles, was zählt.“
Bei ihm klang es so, als wären Baine und Lea nur dumme Schwachköpfe gewesen, die per Zufall in das Abenteuer geraten waren. Leider kannte Makina dieses Verhalten zu gut. Nach seiner Vorstellung waren alle anderen Völker, abgesehen von den Elben, allesamt unfähig. Eine Sichtweise, die vor Kurzem Makina selbst noch hatte.
„Du weißt aber schon, dass es noch nicht vorbei ist“, erwiderte Makina so höflich, wie es ihr möglich war. „Drashur ist entkommen und Syrannos könnte nicht der einzige Schattenmeister sein.“
„Ich weiß, und deshalb hast du auch den Auftrag bekommen, herauszufinden, ob es noch weitere Schattenmeister gibt oder wer die Hintermänner sind, die Syrannos unterstützt haben.“ Wieder ignorierte Auryan die Tatsache, dass Makina die Suche nicht allein leitete, sondern auch die aus seiner Sicht unfähigen Menschen Baine, Lea und Vincent.
„Mit dem Fall von Syrannos hast du unserer Familie viel Ehre gebracht“, fuhr Auryan fort. „Dieses Ansehen verschafft uns einen immensen Vorteil.“ Der galant wirkende Elb lehnte sich gegen die Reling und schaute Makina in die Augen. „Ich habe mit der Iruska-Familie gesprochen und wir sind zu einer Einigung gekommen. Marek aus dem Hause Iruska wird dein Gemahl werden.“
„Was?“, erwiderte Makina irritiert.
„Ich weiß, die Nachricht muss überwältigend für dich sein.“
Überwältigend war eindeutig das falsche Wort. Marek Iruska war wohl der begehrteste Heiratskandidat in der elbischen Gesellschaft. Jedes der Oberhäuser versuchte, seine Töchter mit ihm zu vermählen, um so die Gunst der Iruskas zu gewinnen. Die Familie Iruska waren die Nachfahren von Shiari, jene Elbin, die die Rebellion gegen die Sieben Dämonenfürsten anführte. Es hieß, dass Marek ein eleganter, charmanter Mann war. Ob das stimmte, konnte Makina kaum beurteilen, weil sie ihn nur einmal zuvor gesehen hatte. Ein kurzes Treffen auf einer Feierlichkeit vor zwanzig oder dreißig Jahren. Sicher, er war charismatisch, soweit sie sich noch erinnern konnte, aber das war es auch schon.
Und nun sollte sie Marek heiraten?
„Mein liebes Kind“, fuhr Auryan fort, „ich weiß, du musst die gute Nachricht verarbeiten, aber die Hochzeitsvorbereitungen sind im vollen Gange.“
„Was …?“
„Sobald du deine Ermittlungen abgeschlossen hast, wird die Vermählung vollzogen.“ Voller Stolz drückte Auryan seine Tochter an sich. „Ich spüre, dass du dich genauso sehr auf die Hochzeit freust wie ich. Und wer weiß? Vielleicht schenkst du mir in naher Zukunft ein paar Enkelkinder.“ Auryan ließ Makina wieder los. „Du hast unserem Haus große Ehre gebracht und du wirst uns noch mehr Ehre bringen.“
Makina hoffte nur inständig, dass ihr Vater ihr Zittern nicht bemerkte. Ihr blieb die Luft weg, als hätte sie einen unsichtbaren Knoten in ihrem Hals. Doch falls Auryan etwas bemerkt hatte, ließ er es sich nicht anmerken.
„Ich überlasse dich wieder deinen Pflichten“, verabschiedete sich Auryan höflich. „Wir sehen uns bei deiner Hochzeit, Liebes.“
Ihr Vater drehte sich um und verließ den Balkon. Doch erst als sie seine Schritte nicht mehr vernahm, wagte Makina, wieder zu atmen. Der Schock über die überwältigende Nachricht, wie ihr Vater sie eloquent genannt hatte, saß ihr tief in den Knochen. Die Elbin stützte sich mit den Ellenbogen auf die Reling, schloss ihre Augen und massierte mit ihren Fingern ihre Schläfen.
Sie sollte Marek heiraten? Sie sollte auch noch Enkelkinder gebären?
Makina legte ihr Gesicht in ihre Handfläche und stieß ein verächtliches Schnaufen aus, danach atmete sie schwer. Ihr Herz wollte einfach nicht aufhören zu pumpen und ihre Lungen verlangten nach so viel Luft, dass nicht mehr der ganze Planet ausreichen würde, so fühlte sich Makina.
Eigentlich sollte sie darüber nicht so überrascht sein. Irgendwo in ihrem Inneren hatte sie immer gewusst, dass eines Tages der Moment kommen würde. Jener Moment, wo sie keine Wächterin sein sollte, sondern nur noch die Ehefrau von jemand Wichtigem. Heiratspolitik war schon seit der Amyrischen Ära ein Teil der elbischen Kultur gewesen. Und nun war Makina an der Reihe. Allerdings war ihr auch klar, warum Auryan es tat. Bald schon würde der nächste Elbenkönig gewählt werden. Durch die Heirat mit Marek erhoffte er sich die Stimmen aus der Iruska-Familie, um so der neue Elbenkönig zu werden. Was Makina wollte, spielte dabei keine Rolle.
Und sie wollte nicht heiraten.
Jedoch nicht, weil sie Marek nicht mochte, sondern eher weil sie wusste, dass sie ihn niemals lieben könnte. Und dafür gab es einen einfachen, aber dennoch betonschweren Grund, mit dem sich die junge Elbin über Jahrzehnte herumgeschlagen hatte. Etwas, wovor sie sich immer gefürchtet hatte, es laut auszusprechen, geschweige denn es sich selbst einzugestehen. Erst als sie Baine und Lea kennenlernte und mit ihnen das tödliche Abenteuer beschritt, war die Elbin bereit, die Wahrheit zu akzeptieren.
Makina liebte Frauen.
Eine Tatsache, gegen die sich Makina sehr lange Zeit gesträubt hatte. Nur die Götter wussten, wie sehr sie in all den Jahren dagegen angekämpft hatte. Makina hatte immer versucht, Männer attraktiv zu finden, doch in ihren Träumen oder wenn sie sich selbst befriedigt hatte, stellte sie sich immer die leidenschaftliche Liebe mit anderen Frauen vor.
Doch als Makina von Anna verführt wurde, erst da wurde ihr klar, dass die Liebe zwischen zwei Frauen weder was Verwerfliches noch Teuflisches war, so wie es die Elben immer behauptet hatten.
Jedoch offen zu dieser Liebe zu stehen, war nicht möglich, noch nicht. Bei dem bloßen Gedanken, dass ihr Geheimnis auffliegen könnte, setzte ihr Herz kurz aus. Die Konsequenzen wollte sie sich gar nicht ausmalen. Und leider gab es ein paar Leute zu viel, die ihr Geheimnis kannten.
Makina krallte ihre Finger tiefer in die Reling und atmete tief durch. Sie wusste noch nicht, wie sie aus dieser Misere rauskommen sollte, doch sie würde sich etwas einfallen lassen. Im Moment jedoch wartete ein Fall auf sie und die Frage, ob Syrannos tatsächlich allein gearbeitet hatte.
In seinen dreißig Jahren bei der Geheimpolizei hatte Vincent viele schlimme Dinge erlebt, von brutalen Serienmorden bis hin zu blutigen Terroranschlägen. Doch nichts, was hier geschehen war, vermochte er in Worte auszudrücken. Die Weiße Stadt, so wie Bornos von der Bevölkerung genannt wurde, beherbergte mehr als vier Millionen Menschen. Doch jetzt war es nur noch ein großer Friedhof. Selbst jetzt waren die Bioschutzeinheiten der Staatenpolizei damit beschäftigt, die Toten zu zählen. Niemand, weder die Soldaten von Riffin noch die Bewohner der Stadt, hatten Moranos Wahnsinn überlebt.
Vincent fiel es schwer, durch die Atemschutzmaske zu atmen, jedes Mal, wenn er die Leichenberge sah. Jene Toten, die noch nicht in Leichensäcken verschwunden waren, waren nur noch das Abbild eines Albtraumes. Blasse Gesichter, blau angelaufene Lippen, raushängende Zungen und weit aufgerissene Augen. Jeder von ihnen war auf grausamste Weise erstickt worden, und dabei hatte das Gas auf niemanden Rücksicht genommen. Vincent hatte vorhin einen Umweg genommen, weil er nicht an einer Schule vorbeigehen wollte.
Er wusste nicht mehr, wie lange er durch die tote Stadt gefahren war. Die Minuten verliefen hier wie Jahre. Doch dann erschien vor ihm der weiße Königspalast, der in seinen Augen wie ein schlechter Scherz wirkte. Ein zu groß geratener Marmorgrabstein in einer verwaisten Stadt, so wirkte das königliche Herrenhaus auf ihn.
„Sie betreten gerade den inneren Ring des Sperrgebietes“, wurde Vincent von einem schwarz uniformierten Soldaten angesprochen. Der Mann war wie jeder andere mit Atemschutzmaske und Schutzhandschuhen ausgestattet. Bewaffnet waren er und seine drei Kollegen mit Sturmgewehren. An ihrer Brust heftete der silberne Stern der Staatenpolizei.
„Ich bin Vincent Rothberg von der Geheimpolizei von Riffin“, erwiderte Vincent und zeigte seinen Ausweis. „Ich bin hier, um im Falle Morano zu ermitteln.“
„Verzeihung, aber dieser Fall gehört in die Zuständigkeit der Staatenpolizei“, widersprach der Soldat. „Daher bitte ich Sie, die Stadt zu verlassen.“
„Ich wurde von Agent Paul Barrot hierherbestellt. Fragen Sie ihn.“
„Das wird nicht nötig sein“, rief jemand dazwischen. Ein Mann in einem dunkelblauen Anzug, schwarzen Mantel und Hut kam durch das Palasttor. Seine Haare waren streng nach hinten gekämmt, an den Koteletten waren schon silbergraue Haare und sein Vollbart wurde durch eine Atemmaske verborgen. Die silberne Marke an seinem Gürtel bewies seine Stellung bei der Staatenpolizei.
„Agent Rothberg ist auf mein Anraten hier“, fügte Agent Barrot hinzu und gab den Wachen die Geste, den Geheimpolizisten hineinzulassen.
Vincent fuhr durch den verschneiten Palastgarten und parkte neben dem Haupteingang. Als er ausstieg, wurde er von Barrot empfangen. „Paul Barrot von der Staatenpolizei. Ich gehöre der Abteilung zur Abwehr von illegalen ABCM-Waffen an und bin Teamleiter im Bereich Biowaffen-Bekämpfung.“
„Ich bin Vincent Rothberg von der Geheimpolizei von Riffin. Ich habe verdeckt gegen König Morano ermittelt.“
Die beiden Männer begrüßten sich mit einem festen Händedruck.
„Gibt es wirklich keine Überlebenden?“, fragte Vincent nach dem Händedruck, auch wenn er nicht wusste, warum er ausgerechnet das fragte.
Agent Barrot jedoch schüttelte den Kopf. „Leider nein. Wir suchen schon, so gut es geht, aber Bornos ist nicht gerade eine kleine Stadt. Doch soweit wir es beurteilen können, sind alle, die sich in der Stadt befanden, vom Gas getötet worden.“
„Aber wie? Wie schafft man es, eine Stadt zu vergasen?“
„Indem man tonnenweise G14-Gasbehälter in das Hauptgaswerk platziert und das Gas von dort aus in die ganze Stadt strömt. Als König Morano das Gas freigesetzt hatte, hatte sich der Druck im Gasnetzwerk so erhöht, dass sämtliche Gasrohre in der Stadt geplatzt sind.“
„So ein mieses Stück Scheiße“, fluchte Vincent verbissen.
„Ja, das ist eine passende Umschreibung für ihn. Dafür bekommt er entweder lebenslänglich oder die Todesstrafe.“
„Wollen wir es hoffen.“
Es sei denn natürlich, so ein windiger Anwalt würde darauf plädieren, dass sein Mandant bekloppt sei oder unter dem Einfluss von dem Schattenmeister gestanden hatte. Allein die Tatsache, dass Syrannos ein Schattenmeister war, wurde noch immer von vielen Kreisen angezweifelt. Selbst in Riffin wollte die Opposition einen Untersuchungsausschuss gegen den Kaiser einleiten, weil sie glaubten, einen Krieg zu führen, nur um den Tod von Prinzessin Jurena zu rächen, sei ungerechtfertigt. Nicht wenige behaupteten sogar, das Ganze mit dem Schattenmeister wäre nur ein Vorwand gewesen, um in Moridar einfallen zu können.
Hirnlose Trottel gab es wirklich überall, dachte Vincent und stieß dabei ein Schnaufen aus, das die Schutzscheibe seiner Maske beinahe beschlug.
„Leider jedoch ist es noch nicht überstanden“, fügte Barrot hinzu. „Noch immer werden vier Tonnen von dem G14 vermisst.“
„Sicher?“
„Ja, ganz sicher. Wir haben eine genaue Auflistung, wie viel von dem G14 von Azura produziert und verkauft wurde. Wir haben die ganze Stadt auf den Kopf gestellt, sogar das Labor in Bairock, doch es fehlt immer noch was.“
„Verzeihung, wenn ich so direkt frage, aber ist nicht Agent Mornan für den Fall zuständig?“
„Er war für den Fall Azura zuständig und hat gegen König Morano wegen Korruption ermittelt, ja, aber für die Beseitigung von biologischen Kampfstoffen bin ich zuständig. Und genau deshalb bin ich hier. Ich will die restlichen Behälter finden, bevor noch mehr Menschen getötet werden.“
„Dann sind wir schon zu zweit“, stimmte Vincent zu. „Ich will herausfinden, ob der König noch mehr Leute entführen ließ.“
„Sie glauben auch, dass er die übrigen Behälter für weitere Experimente genutzt hat, oder?“
„Das wäre zumindest eine plausible Erklärung dafür, warum er nicht alle Behälter hier in der Stadt eingesetzt hat. Und wer sagt denn, dass er nur ein Labor in Bairock hatte? Dieser Schattenmeister Syrannos hatte einen eigenen Bunker auf Riffin.“
„Ja, da könnte durchaus was dran sein“, stimmte Barrot zu und stieg die Treppe zum Haupteingang hoch. Vincent folgte ihm. „Was ich allerdings nicht verstehe. Laut den Berichten, die ich bekommen habe, gibt es so gut wie keine Gemeinsamkeiten zwischen den Entführten. Unterschiedliche Geschlechter, Rassen, Alter, völlig willkürlich durch die ganze Welt.“
„Das hatten wir am Anfang auch nicht verstanden. Unser Gerichtsmediziner hat aber herausgefunden, dass es etwas in dem Blut der Entführten gibt.“
„Im Blut?“
„Ja, ganz genau konnte er es auch nicht bestimmen. Es könnte eine bestimmte Genstruktur sein oder Ähnliches.“
Bewusst ließ Vincent aus, was ihm vorher Baine erzählt hatte. Offenbar war Syrannos auf der Suche nach dem Nachfahren von demjenigen gewesen, der das Amulett eigentlich erschaffen hatte. Wer der wahre Schöpfer sein sollte, hatte der verdammte Schattenmeister leider ins Grab mitgenommen.
Allerdings wusste Vincent nicht, ob er Barrot vertrauen konnte. Deshalb gab er ihm nur diesen Knochen zum Beißen.
„Und deshalb glaube ich auch nicht, dass der König willkürlich seine Leute um die Welt geschickt hat. Der Aufwand, wenn sie die falschen Leute entführen, wäre viel zu groß. Nein, offenbar wussten sie etwas, was wir nicht wissen.“ „Verstehe, und Sie glauben, Sie finden so eine Art Liste?“
„Wieso nicht? Soweit ich weiß, hat selbst der Maskenbauer eine solche Liste gehabt. Apropos, wie laufen dort eigentlich die Ermittlungen?“
„Nun, Miss Kinera versteht es wirklich unterzutauchen“, räumte Barrot ruhig ein. „Jedoch kann sie sich nicht ewig verstecken, jetzt nicht mehr, wo wir wissen, wer sie ist.“
Diese Ruhe. Barrot war jemand, der sich nicht so einfach in die Karten schauen ließ oder aus dem Nähkästchen plauderte. In dieser Branche wäre das auch Selbstmord. Trotzdem fragte sich Vincent, ob er nicht etwas mehr aus dem erfahrenen Agenten herauskitzeln konnte.
Gemeinsam betraten sie die Tür und marschierten durch den langen Korridor.
„Wissen Sie schon, warum eine Firma wie Azura überhaupt Giftgas herstellt und an ein Land wie Moridar verkauft?“
Plötzlich blieb Barrot stehen, doch das bemerkte Vincent erst nach fünf Schritten. Langsam drehte er sich um und sah den SP-Agenten an. Barrot wiederum schien unter seiner Maske zu lächeln und schüttelte den Kopf.
„Sie vertrauen mir nicht“, stellte Barrot fest. „Nun, das kann ich verstehen, aber eine so plumpe Art, mich auszuhorchen, habe ich das letzte Mal bei meiner Ausbildung erlebt. Sie können Beauregard schöne Grüße von mir senden.“
„Beauregard?“ Irritiert hob Vincent eine Augenbraue. „Sie meinen Beauregard Baine?“
„Ja, genau der. Was? Dachten Sie, Sie seien der Einzige, der Kontakte zu anderen Behörden hat? Wir sind alte Freunde.“
„Alte Freunde?“, erwiderte Vincent skeptisch. „Ja, ich glaube, Beauregard hat von Ihnen erzählt. Kennengelernt haben Sie sich am 4. April Embolo bei Reginas Zechenhaus, oder? Sie waren doch der Typ, der so betrunken war, dass er den Wagen des Colonels gegen die Wand gefahren hat.“
„Ja?“, erwiderte Barrot mit gespielter Unschuld und verschränkte die Arme. „Also, ich erinnere mich da ganz anders. Erstens, es war am 18. Mai. Und zweitens hieß die Taverne Linas Bratenhaus und es lag auch nicht in Embolo, sondern in Jupa. Und ich erinnere mich so, dass Beauregard in der Nacht ziemlich besoffen war. Er stieg in den Panzer, weil er unbedingt ein Mädel beeindrucken wollte, legte den falschen Gang ein und fuhr mit dem Panzer rückwärts in eine Farbfabrik. Er schaffte es tatsächlich, in einen der großen Farbtanks zu fahren, und färbte den Panzer in pures Pink.“
„Nicht pink, sondern bunt“, korrigierte Vincent.
„Ich sehe schon, Beauregard hat Ihnen jedes Detail erzählt, ja?“
„Ja, er wollte sichergehen, dass ich an den richtigen Agenten Barrot gelange“, erklärte Vincent, wobei er sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen konnte. „Die Geschichte ist so albern, die muss doch wahr sein.“
„Ja, jedes Wort“, erwiderte Barrot amüsiert. „Das hätten Sie mal sehen sollen. Baine kommt aus dem Panzer getorkelt, schaut sich um und lallt: ‚Wer hat denn diese Scheißfabrik in den Weg gestellt?‘“
Vincent fing an zu lachen.
„Seine Vorgesetzte, Colonel Kirsa, kam an und faltete ihn zusammen. Nachdem er ausgenüchtert war, durfte er den Panzer sauberschrubben, den Schaden an der Fabrik abbezahlen und die nächsten drei Monate Kartoffeln schälen.“
„Und dort haben Sie sich kennengelernt?“
„Ja, Riffin führte in Osterde einen Kleinkrieg gegen die Freibeuter von Daron Sayt, auch als Quasi-Seekrieg bekannt. Ich war im Auftrag der Staatenpolizei dort, weil die Freibeuter ein Transportschiff mit chemischen Waffen erbeutet hatten. Meine Aufgabe war es, die Ladung sicherzustellen. Und dabei bin ich Beauregard begegnet.“
„Verstehe.“
Auch wenn die Geschichte so bescheuert klang wie aus einem Comic, so half es doch für einen Moment, diese beschissene Welt um sie herum kurz zu vergessen. Wobei kurz schon wieder vorbei war.
Auf einmal kam ein schwarz gekleideter Soldat um die Ecke und marschierte auf Barrot zu.
„Verzeihung, Agent Barrot, Sie werden am Telefon verlangt.“ „Was gibt es denn?“
„Offenbar einen Vorfall in Westerde.“
„Westerde?“ Barrot hob skeptisch die Augenbrauen, dann wandte er sich wieder Vincent zu. „Ich muss los. Sie kommen allein zurecht?“
„Ja, ich denke, ich weiß, wo ich mit der Suche beginnen sollte.“
Barrot drehte sich um und verließ mit dem Soldaten den Korridor. Erst jetzt fiel Vincent auf, wie gespenstisch ruhig das gigantische Schloss war. Nicht verwunderlich, wenn man die momentane Situation bedachte. In dem Palast hatten Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Angestellten Platz, doch sie waren alle genauso grausam ermordet worden wie die gesamte Stadt. Nur noch die hundert Staatenpolizisten geisterten hier herum, um alles auf den Kopf zu stellen.
Jeder seiner Schritte hallte durch den Korridor, als würde er eine Kirche durchlaufen. Alles war ja auch mit Marmor und feinem Granitstein ausgebaut. Wobei das nicht verwunderlich war, da die Königsfamilie schon beinahe fanatische Anhänger von Luxus war. Der Großvater von Philipp Morano war so ein eitler Sack gewesen. Er hatte dafür einen Architekten aus Arusha geholt, der die Tempel der Heiligen Kirche ausgebaut hatte. Er wollte, dass sein weißes Schloss alles andere in Norderde übertreffen sollte.
Diese Größenwahnsinnigen und ihre Vorstellungen waren wirklich zum Kotzen. Vincent stieg eine Treppe hoch, ging abermals durch einen Korridor, um bei der Tür zum Thronsaal stehen zu bleiben. Noch immer war der Eingang mit gelbem Absperrband versiegelt. Alles sah noch so aus, als wäre das Ganze nur einige Stunden her gewesen. Nur die Leichen waren schon abgetragen worden, doch ansonsten blieb der Tatort noch immer unberührt.
Jedoch wusste Vincent, dass er hier keine Antworten finden würde. Jemand wie König Morano würde seine Geheimnisse nicht im Thronsaal verstecken. Nein, dafür gab es andere Orte. Der Agent wandte sich von dem Thronsaal ab und ging weiter. Er musste noch mal ein Treppenhaus erklimmen, bevor er sein Ziel erreichte. Eine massive Eichentür schützte das Büro wie einen menschengroßen Safe. Auch hier war am Schloss ein Siegel angebracht worden, aber er war sich sicher, dass Barrot deswegen keinen Aufstand machen würden. Und falls doch, dann hätte Barrot ihn nicht zu dem Fall hinzuziehen sollen.
Nachdem Vincent das Siegel entfernt hatte, betrat er das Büro. Ein pompöses Zimmer mit glatt polierten Holzvertäfelungen, grünem Banner und glänzenden Kostbarkeiten wie Silberkannen und Besteck. Allein der Schreibtisch aus malaronischem Eichenholz hatte sicherlich mehr gekostet als sein erstes Auto. Adelige und ihre Neigung, Geld für verschwenderische Dinge rauszuschmeißen.
Vincent nahm sich die Freiheit, sich auf den gemütlichen Chef-Ledersessel zu setzen und zurückzulehnen. Ja, so waren seine Rückenschmerzen besser zu ertragen, dachte sich der Agent und spielte schon mit dem Gedanken, gar nicht mehr aufzustehen. Doch die Arbeit rief ihn wieder aus seinen Tagträumen.
Nun stellte er sich vor, er wäre König Morano. Wenn er also mit dem Schattenmeister im Bunde stand und für ihn Leute entführen sollte, stellte sich die Frage, woher er wusste, wen er entführen sollte. Hatte er Anweisungen von Syrannos bekommen? Falls ja, könnte man sich fragen, woher der Schattenmeister wusste, wer welches Blut besaß. Wobei das nicht ganz zusammenpasste. Schließlich hatte er die Opfer dem Gas ausgesetzt, um den echten Blutsträger, was auch immer das heißen mochte, zu finden. Vielleicht hatten seine Spione ihm davon berichtet und er wieder gab das an den König weiter, damit dessen Geheimdienst die Opfer entführen konnten.
Nur wo würde er so brisante Informationen verstecken? Man könnte behaupten, es wäre bescheuert, eine Liste oder so was aufzubewahren. Schließlich könnte so was vor Gericht gegen ihn verwendet werden. Wenn man sich allerdings seine jüngsten Taten so ansah, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass König Morano die Justizbarkeit am Arsch vorbeiging. Davon abgesehen, war es immer gut, ein Druckmittel in der Hand zu haben, so wie es der Maskenbauer mit der Liste getan hatte.
Das Problem war nur, dass dieses Zimmer schon durchsucht wurden war. Zwar mochten Schubladen in Kommoden und Türen geschlossen sein, aber ansonsten schienen sich die Kollegen der SP nicht viel Mühe gegeben zu haben, alles wieder an seinen Platz zu bringen. Somit konnte Vincent davon ausgehen, dass die üblichen Verstecke schon durchsucht worden waren. Obwohl es auch nichts bedeuten musste. Vielleicht hatten die SP-Agenten es nur übersehen oder vielleicht auch schon gefunden. Wer wusste das schon?
Vincent ließ seinen Blick über das Büro schweifen. Alles, jeder Winkel wurde von seinen geschulten Fuchsaugen betrachtet.
Könnte es vielleicht … nein, eher nicht. Auch der nächste Gedanke schien ihm absurd. Der dritte Gedanke auch.
Moment mal.
Der Globus.
Vincent stand auf, umrundete den Schreibtisch und ging rüber zu dem großen Globus, der ihm bis zu den Hüften reichte. Ein Prachtexemplar aus feinem Holz. Es zeigte jeden noch so kleinen Winkel ihres Planeten. Doch etwas stimmte hier nicht.
Beim genaueren Hinsehen bemerkte es der Geheimpolizist. Die Schriften der Städte waren unterschiedlich. Die meisten Städtenamen waren in einer strengen Schrift versehen, fast schon wie Runen. Doch bei einigen Orte waren sie eher in feinen Linien geschrieben, so als hätte es eine Elbin geschrieben.
Was war das? Vincent hätte schwören können, dass die Schrift von Arnios sich in feine Linien verwandelt hatte, als er kurz geblinzelt hatte.
„Ach so ist das“, flüsterte Vincent und legte seine Hand auf den Globus. Als er das glatte Holz berührte, durchlief ihn ein leichtes Kribbeln. Jetzt verstand er. Eine Yurunische Karte, benannt nach ihrer geistigen Mutter. July Yuru hatte in den Portalkriegen eine magische Karte entwickelt, um die Separatisten aufzuspüren. Später im Stillen Krieg hatten die Geheimdienste nur allzu gerne diese Technologie übernommen. Wobei da immer die Schwierigkeit bestand, die zu beobachtenden Feinde zu markieren.
Nun war die Frage, wer oder was auf dem Globus abgebildet wurde.
Feinde von Morano? Oder vielleicht doch diejenigen, die er entführen sollte?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Vincent holte einen Lederhandschuh, der mit kleinen, glitzernden Perlen bestückt war, aus seiner Manteltasche. Er zog den Handschuh über und legte seine Hand auf den Globus.
Doch sofort kam die Reaktion. Als hätte er einen Blitzschlag abbekommen, wurde seine Hand zurückgeschleudert. Ein Abwehrzauber. So was hatte er schon vermutet. Vincent hob die Hand und berührte mit dem linken Zeigefinger einige Perlen auf dem Handschuh, die violett aufleuchteten. Danach legte er seine Hand noch mal auf den Globus.
Wieder vergebens.
Der Abwehrzauber war gut verschlüsselt. Den richtigen Code zu finden, würde wohl eine Weile dauern. Hoffentlich würde ihn keiner der SP-Affen dabei stören.
Noch mal justierte er die Perlen auf dem Handschuh und berührte den Globus erneut.
Baine hasste es zu warten.
Vor allem dann, wenn er nicht wusste, um was es genau ging. Er hatte schon genug zu tun, doch dann war der Anruf aus dem Büro des Protektors gekommen. Zuerst hatte Baine es für einen dämlichen Scherz gehalten, den seine Kollegen mit ihm abzogen. Allerdings war das kein Scherz, wie sich herausstellte.
Wie lange schon Baine wartete, wusste er nicht mehr. Er kam sich vor, als würde er im Wartezimmer eines Arztes darauf warten, seine Krebsdiagnose zu bekommen. Klar wäre es möglich, dass der Protektor ihn zu seinem jüngsten Erfolg gratulieren wollte, so wie es viele hohe Tiere seit dem Vorfall mit Syrannos getan hatten. Andererseits war dieser Protektor nicht gerade bekannt dafür, Zeit für schmalzige Worte oder hohle Phrasen zu verlieren. Nein, das musste etwas anderes sein, etwas Wichtiges.
„Verzeihung, Mister Baine?“, fragte auf einmal jemand. Baine horchte auf und sah eine junge Frau in schwarzer Polizeiuniform vor sich. „Tut uns leid, dass Sie warten mussten. Sie hat jetzt Zeit für Sie.“
„Vielen Dank.“
Die uniformierte Frau öffnete ihm die Tür. Als Baine hindurchging, betrat er ein großes Büro, ausgestattet mit teuren Ledersofas, marineblauen Wänden und breiten Fenstern. An der Ecke hing an einer goldenen Stange eine blaue Riffin-Flagge mit einem weißen Löwen darauf. Am Ende des Zimmers befand sich ein breiter Schreibtisch, an dem eine Frau in dunkelblauem Anzug saß. Ihre silbergrauen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, ihre eichenbraunen Augen waren noch auf den Computer gerichtet, trotzdem machte sie eine Geste, dass sie gleich für ihn da sei.
Eine halbe Minute später wandte sie sich ihrem Gast zu.
Baine musste sich eingestehen, dass er nervös wurde, als der Protektor sie ansah. Auch er hatte von Laura Soth der Eisernengehört. Ihren Beinamen verdankte sie nicht nur der Tatsache, dass ihre linke Hand eine mit Magie betriebene Metallprothese war, sondern weil ihr hartes Vorgehen gegen Verbrecher und Terroristen die Stadt viel sicherer gemacht hatte. Einige nannten sie eine unerschrockene Heldin, andere wiederum betitelten sie als kaltblütige Bitch, die jeden kaltmachte, der ihr im Weg stand.
„Ich entschuldige mich dafür, dass Sie so lange warten mussten, Mister Baine“, begrüßte der Protektor seinen Gast. „Meine Pflichten erlauben mir manchmal nicht, jeden Termin pünktlich antreten zu können.“
„Das kenne ich nur zu gut, Protektor“, erwiderte Baine ruhig. „Und weil ich weder meine Pflichten vernachlässigen noch Sie zu lange von der Arbeit abhalten will, hoffe ich, Sie verzeihen mir, wenn ich Sie direkt frage, warum ich hier bin.“ „Sie kommen gleich auf den Punkt, das gefällt mir.“ Soth lächelte anerkennend. Sie stand auf, umrundete den Tisch und bot Baine an, auf einem der Sofas Platz zu nehmen.
„Ihre Erfolge stehen außer Frage“, fuhr der Protektor fort. „Sie überlebten das Massaker von Embolo, deckten die Identität des Maskenbauers auf, brachten die Goldenen Krieger zur Strecke und zu guter Letzt töteten Sie noch einen Schattenmeister.“
„Genau genommen ist mir Sara entkommen und Syrannos habe ich nicht allein erledigt.“
„Das ist mir durchaus bekannt. Dennoch zählen Sie zu den fähigsten Ermittlern der ATP.“
„Das freut mich zu hören, aber warum erzählen Sie mir das jetzt?“
Soth schaute ihn an, als würde sie in seine Seele schauen. Irgendwie kam ihm ein eiskalter Schauer über seinen Rücken. Allmählich verstand er auch, warum so viele Leute Angst vor ihr hatten. Sie strahlte eine so derartig autoritäre Aura aus, als wäre sie die Königin eines kleinen Landes.
„Ich werde alt“, erwiderte der Protektor unverhohlen. „Dreißig Jahre habe ich Sturmport als Protektor gedient und nun verlangen diese Jahre ihren Tribut. Ich werde nächstes Jahr in den Ruhestand gehen.“
Baine wusste nicht, ob er ihr gratulieren oder sein Beileid bekunden sollte. Stattdessen rettete er sich mit folgender Frage: „Wieso erzählen Sie mir das, wenn ich fragen darf?“
„Nun, weil es um meine Nachfolge geht. Wie Sie ja wissen, werden die Protektoren der Städte vom Reichsprotektor ernannt. Dafür werfen jedes Mal viele Kandidaten ihren Hut in den Ring. Meine Wenigkeit besitzt aber die Freiheit, einen eventuellen Nachfolger vorzuschlagen und zu unterstützen.“ Nun war der Groschen gefallen.
„Ich will, dass Sie mein Nachfolger werden“, betonte Laura Soth und beugte sich nach vorne.
Bei dem Satz stockte Baine der Atem. Hatte er sich gerade verhört oder verarschte der alte Protektor ihn? Er? Er sollte Protektor von Sturmport werden? Dass dieser Aufstieg ein gewaltiger Karrieresprung wäre, könnte man schon als Untertreibung bezeichnen. Der Protektor einer Stadt war das höchste Tier, wenn es um die Sicherheitspolitik einer Stadt ging. Er war gegenüber allen Behörden und der Stadtarmee weisungsbefugt, wenn es darum ging, die Stadt vor jedem Feind zu schützen.
„Moment, warum ich?“, fragte Baine, bevor er überhaupt nachdachte, warum er die Frage stellte. „Sollte das nicht jemand sein, der sich mit der Politik auskennt? Werden dafür nicht normalerweise Führungspersönlichkeiten genommen wie Polizeichefs, Stabchefs oder Militärangehörige?“
„Ja, in der Regel schon“, stimmte der Protektor zu und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Und glauben Sie mir, dass sich jetzt schon viele Leute um diesen Posten beworben haben, nur ich habe kein Interesse daran, einen dieser Sofa-Experten zu unterstützen. Sie wiederum gehören zu jenen Bullen, die an der Front kämpfen. Davon abgesehen, haben Sie die meiste Erfahrung für unsere neuen Feinde.“
„Neue Feinde?“
„Genau wie Sie bin ich nicht davon überzeugt, dass dieser Syrannos der einzige Schattenmeister war. Wenn er es schaffen konnte, fast zweitausend Jahre unbemerkt zu bleiben, könnten es andere Schattenmeister oder deren Nachfolger auch geschafft haben. Ob oder wie viele Schattenmeister es noch gibt oder wie viele Verbündete sie in unseren Reihen haben, die sonst was planen? Und das ist einer von vielen Gründen, warum ich lieber Sie an meinem Schreibtisch hätte als einen Büroaffen aus Burg-Ynn.“
„Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie so viel Vertrauen in mich setzen, aber ich bin keine Führungsperson.“
„Das war ich auch nicht, als ich anfing“, betonte Soth und lächelte dabei schadenfreudig, „aber wie Sie sehen können, habe ich es gepackt. Und Sie werden es auch packen. Es hat schon so seine Vorteile, Fronterfahrung mitzubringen.“
Baine wusste, dass der Protektor nicht gerade zu denjenigen gehörte, die einem Honig ums Maul schmierten, zumindest nicht grundlos. Nein, ihr Respekt ihm gegenüber war echt. So anerkannt zu werden, besonders von einer lebenden Legende wie sie, war schon sehr aufregend und berauschend zugleich. Baines Lebenspumpe hörte gar nicht mehr auf zu schlagen.
„Kann ich darüber nachdenken?“
„Natürlich, Mister Baine.“
„Wann brauchen Sie meine Antwort?“
„Das hängt davon ab.“
„Wovon?“
„Davon, wie lange Sie brauchen, um die Tür zu erreichen“, betonte die erfahrene Frau und lächelte wieder. Mensch, diese Frau machte wirklich Nägel mit Köpfen. Er sollte sich tatsächlich hier und jetzt entscheiden? Seine Gedanken waren nichts weiter als ein Gewirr aus Bildern und Wörter, die keinen Zusammenhang besaßen. Einerseits wollte er immer Polizist sein und sich aus der Politik heraushalten, andererseits bot der Posten eines Protektors unendlich viele Möglichkeiten, Dinge zu verändern. Mit dieser Macht ausgestattet, könnte er seine Stadt verteidigen und vielleicht die Korruption besser bekämpfen.
Ein äußerst reizvoller Gedanke, wenn er so darüber nachdachte. Aber war es wirklich das Richtige für ihn, ein Schreibtischtäter zu werden?
„Verstehe ich das richtig? Sie wollen mich als Kandidaten für den Posten als Protektor?“
„Nun, Mister Baine, ich kann Sie nicht direkt zu meinem Nachfolger ernennen, auch wenn ich es gerne tun würde. Die Entscheidung liegt beim Reichsprotektor, doch wie gesagt, steht es mir frei, jemanden zu unterstützen. Meine Unterstützung ist natürlich keine hundertprozentige Erfolgsgarantie, dass Sie der nächste Protektor werden, doch meine Meinung hat durchaus Gewicht bei den hohen Tieren in Burg-Ynn. Sie müssen sich auch keine Sorgen machen wegen Ihrer mangelnden Führungserfahrung. In der Hinsicht werde ich Sie auch unterstützen, um einen reibungslosen Übergang zu garantieren.“
Baine atmete noch einmal tief durch und ordnete seine Gedanken.
„Wenn das so ist, dann sage ich Ja.“
Hatte er das wirklich gerade gesagt?
„Hervorragend“, erwiderte der Protektor erfreut und stand auf. Baine stand ebenfalls auf und bekam einen kräftigen Händedruck. „Dann werde ich für Ihre Kandidatur alles in die Wege leiten. Diesbezüglich wird sich jemand aus meinem Büro bald bei Ihnen melden.“
„Vielen Dank, dann werde ich Sie nicht weiter aufhalten.“
Baine wurde noch zur Tür begleitet, doch erst als er den langen kalten Korridor durchquerte, wurde ihm klar, was gerade geschehen war. Normalerweise entschied er solche Dinge nicht so aus dem Bauch heraus. Aber dieses Mal war es irgendwie anders. Er hätte gedacht, dass er vielleicht später mal Captain einer Abteilung wurde, vielleicht sogar Polizeichef, aber nie mit einem so gewaltigen Sprung auf der Karriereleiter. Die Aussicht, der nächste Protektor werden zu können, erfüllte ihn mit Spannung, aber auch mit Angst. Den ganzen Weg durch das Protektor-Haus dachte er darüber nach, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte. Vielleicht sollte er zurückgehen und Soth sagen, dass er sich für die Aufgabe doch nicht gewachsen sah.
Aber er musste sich eingestehen, dass ein Teil von ihm diese Beförderung wollte.
Er verließ das Haus durch den Haupteingang und durchquerte den schneebedeckten Garten. Einmal blieb er stehen und drehte sich zu dem zweistöckigen, mit vulkanrotem Ziegelstein gebauten und meeresblauem Dach bestückten Haus um. Über dem Eingang war das Symbol des Protektors zu sehen: ein silberner Ritterschild, an dessen unterer Spitze Wasserwellen zu sehen waren. Ein Hinweis darauf, dass das Protektor-System von Riffin ursprünglich in Sturmport entwickelt worden war, als es noch darum ging, die Seewege zu sichern.
Baine malte sich aus, wie dieses Haus künftig sein neuer Arbeitsplatz sein würde. Zufrieden drehte er sich wieder um und durchquerte das große Gittertor, das von zwei schwer bewaffneten Beamten bewacht wurde. Kaum war er hindurchgegangen, wurde das Tor auch wieder geschlossen. Durch ein Hupen wurde Baine aus seinen Gedanken gerissen.
„Hey, du Schlafmütze, träumst du etwa?“, folgte darauf eine liebliche Stimme. Vor ihm am Straßenrand parkte ein dunkelblaues Auto, aus dem Lea gerade ausstieg.
„Tut mir leid“, erwiderte Baine lächelnd, als er seine Angebetete sah, „musstest du schon lange warten?“
„Nein, ich bin gerade erst hier angekommen. Komm, steig ein, bevor unsere Ärsche abfrieren.“
Das ließ sich Baine nicht zweimal sagen. Nur zu gerne setzte er sich auf das weiche Leder seines Autos und begrüßte Lea mit einem innigen Kuss.
„Wofür war der denn?“, erwiderte die schwarzhaarige Frau anzüglich.
„Dafür, dass ich dich unheimlich liebe.“ Lea antwortete darauf mit einem weiteren Kuss. „Und weil ich glaube, dass es ein guter Tag werden könnte.“
„Jetzt machst du mich neugierig. Hat es etwas mit deinem Besuch beim Protektor zu tun?“
„Ja, allerdings.“ Baine holte noch mal Luft und lächelte, als er sagte: „Sie will mich als Kandidaten für ihre Nachfolge.“
„Wie? Was meinst du?“
„Nun, Soth geht in den Ruhestand und unterstützt nun meine Kandidatur als nächster Protektor von Sturmport.“
„Moment, du wirst der nächste Protektor von Sturmport?“
„Es könnte sein, ja, aber es ist noch nichts entschieden.“
Doch dieser Halbsatz hielt Lea nicht davon ab, ihre Hände um Baines Nacken zu legen, um ihn noch mal zu küssen.
„Die wären ziemlich bescheuert, dich nicht zu wählen“, meinte Lea und lächelte stolz. „Ich meine, wer sonst wäre am besten für den Job geeignet?“
„Nun, meine Liebe, das entscheidet am Ende der Reichsprotektor. Und wie mir Protektor Soth vorhin erzählt hat, haben sich schon eine Menge Leute um den Posten beworben. Ich weiß zwar noch nicht, wer meine Mitbewerber sind, aber das Amt des Protektors ist heiß begehrt. Mit Sicherheit sind da auch mächtige Leute dabei, die es sich nicht gefallen lassen werden, dass ein einfacher Bulle wie ich der neue Protektor wird.“
„Ich verstehe“, erwiderte Lea ernster. „Du rechnest damit, dass sie Dreck nach dir werfen werden.“
„Ja, damit rechne ich auf jeden Fall. Auf der einen Seite bringt mir unser Sieg über Syrannos einige Pluspunkte, aber die Typen werden tief in schmutziger Wäsche von mir graben. Die werden meine Verfehlungen oder die meiner Familie gegen mich einsetzen.“
„Und dass ich eine ehemalige Rebellin aus dem Bürgerkrieg bin, wird da wohl auch nicht hilfreich sein.“
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.“ Baine legte seine Hand an Leas Wange. „Aber was diese Arschlöcher davon halten, ist mir egal. Ich liebe dich und werde dich für nichts auf der Welt aufgeben.“
„Ach ja, für nichts auf der Welt?“, erwiderte Lea lächelnd.
„Für gar nichts.“
Und diesen Satz meinte er ernst. Ämter konnte man immer wieder bekommen, aber seine Traumfrau fand man nur einmal im Leben.
Es war ein verdammt gutes Gefühl, wieder Leben in ihren Knochen spüren zu können. Das Vibrieren des Motors, der Wind, der durch die blutroten Haare fegte. Wegen der vereisten Straße konnte sie zwar nicht so schnell fahren, wie sie gerne hätte, aber dennoch war alles besser als das verschissene Loch, wo sie eingesperrt war.
Aber jetzt musste sie runter von der Straße. Ihr Ziel lag leider nicht unbedingt dort, wo es feste Straßen gab. Der rote Flitzer jedoch fuhr sich auf dem Gelände gar nicht so schlecht, wie die rothaarige Frau es befürchtet hatte. Am Horizont erhob sich auch schon die endlos lange Bergkette, an deren Füßen sich ein Saum aus grünen Eichenbäumen erstreckte. Es war, als würde der Schnee sich von dem Ort fernhalten.
Elbenzauber, dachte Sahlia und rümpfte verächtlich die Nase. Diese hochwohlgeborenen Arschlöcher mochten keinen Schnee in ihren Gärten und verwendeten daher Barrieren wie Treibhäuser.
Einige Meter vor dem Wald hielt sie den Wagen an. Vor den Bäumen war ein Torbogen aus weißem Elfenbein zu sehen. Für Laien war das sicherlich ein seltsamer Anblick, nur einen Türrahmen zu sehen, aber Sahlia wusste es besser. Der leere Torbogen war der einzige Eingang in den Wald. Bewacht wurde die unsichtbare Tür von zwei Elben in glänzender Rüstung. Sie besaßen weiße Kampfkleidung und rosa Umhänge. Auf ihrer Brust war ein Emblem mit dem Zeichen eines rosa Kristalls, das von vier weiteren gleichfarbigen Kristallen umringt war.
Das Zeichen der Akash-Familie, dem Vasallen von Varian.
Nur zu gut kannte Sahlia noch dieses Zeichen. Mal sehen, wie sich wohl die Herrschaften über einen Besuch von ihr freuen würden.
Sahlia stieg aus, richtete noch mal ihren Mantel und marschierte auf die Tür zu. Verwundert über den ungewöhnlichen Besuch, stellten sich die beiden Elben ihr in den Weg.
„Moment mal, wo wollen Sie denn hin?“, schnauzte die Elbenwache. „Das hier ist das Reich der Akash-Familie. Hier kann man nicht einfach reinmarschieren.“
„Nicht?“, spielte Sahlia die Überraschte.
„Nein, nur mit Erlaubnis von Kalanda aus dem Hause Akash.“
„Oh, ich habe eine Erlaubnis. Genau genommen, habe ich sogar eine Einladung. Hier, seht selbst.“
Sahlia machte nur eine Handbewegung und plötzlich schoss etwas Nebelartiges aus ihrer Hand heraus. Die Wolke teilte sich auf und schoss durch die Nasen der beiden überraschten Wächter. Kaum drei Sekunden später fingen beide Elben an, fürchterlich zu husten und sich an die Hälse zu fassen. Ihre Gesichter liefen blau an, als würden sie von einem unsichtbaren Strick erstickt werden. Nach Luft ringend gingen sie auf die Knie, ihre Augen kullerten wie verrückt und dann brachen beide Elben zusammen. Regungslos blieben sie im Schnee liegen.
„Unverschämtheit“, spottete Sahlia. „Schicken mir nicht mal eine Postkarte und nun lassen sie mich hier nicht rein.“
Sahlia packte den Arm von einem der beiden toten Elben und legte dessen Hand auf den Torbogen, bis eine Rune aufleuchtete.
„Danke“, erwiderte die rothaarige Frau und ließ das Handgelenk wieder los. Sie ging durch den Torbogen und marschierte durch den Wald. Alles war noch grün, als wären sie mitten im Hochsommer. Wie sie es erwartet hatte, hielt ein Zauber den Winter von diesem Ort fern.
Ihre Ohren nahmen feine Musik wahr, als würden Engel auf Harfen spielen. Nach einigen Schritten erhob sich ein cremeweißes Anwesen, deren Mitte von einer kleinen Kuppel beherrscht wurde. Umringt war das Anwesen von mehreren großen Häusern, die ähnlich pompös gestaltet waren.
Es klang, als würde gerade eine Feier stattfinden. Als Sahlia näher kam, wich das dichte Geflecht aus Bäumen einem mit Marmor ausgekleideten Hof, auf dem eine Schar Elben versammelt waren. Auf dem Platz tanzten gerade zwanzig junge Elbinnen, gehüllt in weiße Kleider und mit weißen Masken bedeckt. Um sie herum saßen die hohen Herrschaften an den Tischen. Auf der anderen Seite der Tanzfläche saß ein Elb mit blonden Haaren, eichenbraunen Augen und mit einem dunkelrosa Gewand gekleidet. Sahlia erkannte den Elben nicht, doch sie vermutete stark, dass das Kalanda aus dem Hause Akash war. Wer sonst würde am Kopf der Tafel sitzen?
Den Elbenfürsten kannte sie zwar nicht, aber die Feierlichkeiten kamen ihr wohlvertraut vor. Das war eines der jährlichen Winterfeste, wo die unverheirateten Elbinnen ihren Tanz aufführten, um so einen möglichen Heiratskandidaten zu finden. Eigentlich wurde auch behauptet, es wären jungfräuliche Elbinnen, aber Sahlia wagte diese Tatsache irgendwie zu bezweifeln.
Wie dem auch sei. Sahlia war nicht hier, um sich tanzende Weiber anzusehen. Jedoch, wenn sie schon mal hier war – wieso nicht ein bisschen Spaß?
Sahlia ging auf die Tanzfläche, schnappte sich eine der maskierten Elbinnen und fing plötzlich an, mit ihr zu tanzen. Abrupt verstummte die Musik und alle Augenpaare waren auf das ungewöhnliche Paar gerichtet. Die junge Elbin löste sich aus dem Griff der rothaarigen Frau und ging schnell rüber zu den anderen maskierten Tänzerinnen. Es schien ihr sichtlich unangenehm gewesen zu sein, unaufgefordert mit jemand anderem zu tanzen. Vielleicht aber auch, weil derjenige eine Frau war. Elben waren so verklemmt, dachte Sahlia und schüttelte den Kopf.
„Also wirklich“, spielte Sahlia die Empörte, „mich einfach auf der Tanzfläche stehen zu lassen. Ziemlich unhöflich von dir, meine Schöne.“
„Interessant, dass jemand wie Sie von Unhöflichkeit spricht“, wandte der elbische Herr ein, der sich vom Tisch erhob. „Sie platzen hier einfach rein und stören eine uralte Zeremonie. Wer sind Sie und was wollen Sie hier? Und vor allem: Wie sind Sie hier reingekommen? Ich kann mich nicht erinnern, Sie eingeladen zu haben, geschweige denn dass ich Sie kenne.“
Die maskierte Frau wandte sich dem elbischen Fürsten zu. Als sie einen Schritt auf ihn zuging, tauchten auch schon gepanzerte Elben auf, die die Tanzfläche umzingelten. Amüsiert lächelte der ungebetene Gast bei dem Anblick der stählernen Männer.
Dann jedoch starrten ihre rubinroten Augen den elbischen Herrscher an.
„Ich habe mich selbst eingeladen, da meine Einladung wohl bei der Post verloren gegangen ist. Aber um Ihre Ausgangsfrage zu beantworten: Ich bin aus zwei Gründen hier. Erstens will ich das zurück, was mir gestohlen wurde. Und zweitens suche ich jemanden. Jemanden, der sich hier an diesem Hof befindet.“
„Ihr wagt es, uns als Diebe zu beschimpfen? Und dann stellt Ihr auch noch die Forderung, jemanden von uns ohne Genehmigung zu sprechen? Seid Ihr von Sinnen?“
„Also, man hat mir oft nachgesagt, ich sei bekloppt“, erwiderte Sahlia ironisch, doch dabei glühten ihre Augen einmal auf. Ein verunsichertes Raunen ging durch die elbischen Reihen. Ihre glitzernden Augen starrten Sahlia an, als würden sie eine Dämonin sehen. Ja, diese Angst, ein gutes und wohlvertrautes Gefühl. Etwas, was sie noch aus den guten alten Zeiten kannte. Jedoch schien sich hier niemand an sie zu erinnern.
Wieder stellte sich Sahlia die Frage: Wie lange war sie in dem verdammten Loch gewesen?
Wohl lange genug, dass ihr Name vergessen wurde.
„Allerdings kann ich auch sehr höflich sein. Voraussetzung ist aber, dass man sich mir nicht in den Weg stellt.“
„Drohen Sie mir etwa?“
„Äh, ja? Hat sich doch angehört wie eine Drohung, oder nicht?“, erwiderte Sahlia sarkastisch und verdrehte dabei die Augen.
Der Elbenfürst gab ein Zeichen und die Wachen wollten Sahlia ergreifen. Die rothaarige Frau jedoch drehte sich um und trat dem ersten Elb zwischen die Beine. Nachdem er keuchend auf die Knie brach, packte Sahlia seinen Kopf und verdrehte ihn so sehr, dass es laut knackte. Dann wirbelte sie herum und schlug mit der Hand dem anderen Elben auf den Kehlkopf. Während die geschlagene Wache sich am Hals hielt, riss Sahlia das Schwert aus seiner Scheide, wirbelte herum und wehrte mit der Klinge einen Energieschuss ab. Die Energiekugel wurde zurückgeschleudert und durchschlug den Brustkorb des Schützen. Dem nächsten elbischen Kämpfer rammte sie das Schwert in die Brust und stieß ihn weg, danach wirbelte sie herum, um die restlichen Wachen mit einem Machtstoß gegen die Wand zu pfeffern.