Der Fluch des Vergessens - Kim Leopold - E-Book

Der Fluch des Vergessens E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Nach allem, was Farrah mitgemacht hat, um Mikael seinen größten Wunsch zu erfüllen, benötigt sie dringend eine Pause – doch die Mauern des Palastes halten eine unangenehme Überraschung für sie bereit. Sowohl sie als auch Emma haben mit aufkeimenden Erinnerungen zu kämpfen. Währenddessen reisen Hayet und Mikael in die Traumwelt, in der die Lösung seines Fluches auf ihn warten soll. Dort angekommen machen sie eine unerwartete Entdeckung ... Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Der Fluch des Vergessens – Band 15. der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Black Heart 15

Der Fluch des Vergessens

 

 

Kim Leopold

 

[was bisher geschah]

 

1448 – Nachdem Nanauatzin einen Handel mit der Hexe Meztli eingegangen ist, um seine große Liebe Ichtaca vor einer Opferung an die Götter zu bewahren, bringt Meztli sie nach Norwegen. Dort bauen sie sich ein neues Leben abseits des Dorfes auf und trainieren Ichtacas magische Fähigkeiten. Ichtaca verzeiht ihm, und sie lernen einander erneut lieben, bis er ihr gesteht, was der Preis für Ichtacas Freiheit war: Das Erstgeborene. Ichtaca erklärt ihm, dass sie befürchtet, schwanger zu sein …

 

2018 – Am Palast der Träume hat sich endlich eine Lösung für Mikaels fehlendes Herz ergeben. Farrah hat bei der Wahrsagerin Adele einen Rat für Mikael eingeholt und dafür ihre Gefühle für ihn aufgegeben. Er bittet sie um ein Abendessen und versucht sie zu küssen, doch sie lässt ihn abblitzen.

 

Hayet findet heraus, dass sie eine Schwester haben soll: Emma. Sie stellt ihre eigenen Nachforschungen an und konfrontiert Emma mit ihrem neu erlangten Wissen. Diese streitet es nicht ab, sondern warnt Hayet vor der gemeinsamen Mutter. Während Hayet noch versucht, mehr über ihre Mutter herauszufinden, ergibt sich mit Moose eine Möglichkeit, mehr über Black Hearts zu erfahren. Durch ein Bibliotheksbuch über Traummagie machen sie Max Kaminski ausfindig, einen weiteren Black Heart am Palast der Träume. Er erklärt ihnen, wie Black-Heart-Magie funktioniert. Außerdem bietet Hayet ihre Hilfe für Mikaels Ritual an.

 

Zeitgleich muss Alex vor den kleinen Rat treten, um ihnen zu erzählen, wie sein Bruder in einen todesähnlichen Zustand verfallen konnte. Es läuft gut für ihn, bis der kleine Rat den Tresor öffnet und an Tyros’ Tagebuch kommt, in dem steht, dass Alex sich mit der Schülerin Louisa eingelassen hat.

 

Die Trauerfeier findet am Abend statt und dient als Ablenkung für das Ritual zur Rückgewinnung von Mikaels Herzen. Nach den Feierlichkeiten trifft Emma auf Adele, welche sie schon überall gesucht hat. Es kommt zum Streit zwischen Mutter und Tochter, welche eigentlich den Namen Thea trägt.

 

[prolog]

Ichtaca

Norwegen, 1449

 

Mit dem Sommer wächst der Bauch, und mit ihm meine Angst vor dem, was geschieht, wenn unser Kind das Licht der Welt erblickt. Es sind nicht nur die typischen Fragen, die man sich als werdende Mutter stellt, nein, meine größte Angst gilt Meztli und dem Zeitpunkt, an dem sie kommen wird, um ihren Preis einzufordern.

»Vielleicht hat sie es vergessen«, murmelt mir Nanauatzin an den Abenden zu, an denen die Verzweiflung mich um den Verstand bringt. »Es ist schon eine halbe Ewigkeit her. Sie hat sicher noch andere Handel geschlossen, die ihr wichtiger sind.«

Doch ich kann ihm ansehen, dass er nicht einmal selbst daran glaubt. Auch er hat Angst vor dem Tag, an dem das Kind, das wir bereits jetzt so sehr lieben, aus unserem Leben verschwinden wird.

Erst haben wir noch versucht, es zu ignorieren. So zu tun, als wäre es gar nicht da. Als wäre ich bloß krank und der ganze Spuk bald vorbei, doch dann – eines Abends, als wir nebeneinander auf der Wiese lagen – hat es sich zum ersten Mal bewegt. So deutlich, dass ich es nicht mehr leugnen konnte: das ist unser Kind!

»Wir könnten ihn verstecken«, schlägt mir Nanauatzin an anderen Abenden vor. Mittlerweile geht er fest davon aus, dass ich einen Sohn gebären werde. Mein Gefühl ist ein anderes, aber das verrate ich ihm nicht. Es macht sowieso keinen Unterschied, wenn Meztli kommt und uns unser Kind wegnimmt. »Vielleicht nimmt ihn einer der Dorfbewohner und zieht ihn auf wie sein eigenes Kind. Dann könnten wir ihn zumindest immer sehen.«

»Glaubst du wirklich, dass sich eine Magica durch so etwas hereinlegen lässt?«, frage ich dann zweifelnd. »Sie ist so mächtig, dass sie uns an einen anderen Ort auf dieser Welt gebracht hat. Sie würde es sofort durchschauen.«

So geschieht es, dass die Monde vergehen und die Geburt unseres ersten Kindes immer näher rückt, doch wir immer weniger Ahnung haben, wie wir es vor der Magica beschützen sollen. Manchmal spinnen wir herum und stellen uns vor, wie es wäre, wenn unser Kind bei uns aufwachsen würde … doch diese Gedanken werden so schnell von Tränen abgelöst, dass wir sie irgendwann einstellen, weil sie zu sehr schmerzen.

Ich wünschte, es gäbe eine Lösung. Ich würde alles dafür geben, um mein Kind in Sicherheit zu wissen. Doch ich bezweifle, dass sich Meztli auf einen weiteren Handel einlassen würde.

 

 

Ich erwache zum Knistern des Feuers und fühle mich irgendwie anders. Ruhiger. Bereiter.

Eine Weile liege ich einfach da und lausche den Atemzügen Nanauatzins in meinem Nacken, bis mir klar wird, was mich geweckt hat.

Mein Bauch wird immer wieder hart. Die leichten Schmerzen ziehen sogar bis in den Rücken.

Ich schiebe meine Hand unter die Decke und lege sie auf meine nackte Haut. »Schhh«, mache ich, um mein Kind zu beruhigen. »Ich bin bei dir.«

Doch als das Feuer beinahe runtergebrannt ist, sind die Schmerzen nicht besser geworden. Im Gegenteil, sie kommen nun häufiger und nehmen mir die Luft zum Atmen – still liegen kann ich schon eine Weile nicht mehr. Irgendwann wird Nanauatzin davon wach, dass ich so laut schnaufen muss.

»Was … ist alles in Ordnung?«, fragt er müde. Seine langen Haare sind so zerzaust, dass ich sie ihm am liebsten aus dem Gesicht streichen würde, doch es fällt mir schwer, mich zu ihm hinunter zu beugen.

»Ich glaube, unser Kind macht sich auf den Weg.« Meine Antwort lässt ihn schlagartig hellwach werden. Er springt auf und stolpert aus den Fellen, auf der Suche nach seiner Kleidung.

Ich muss lachen, und er sieht mich an, als würde etwas mit mir nicht stimmen.

»Hast du keine Schmerzen?«

»Doch.« Ich lache wieder, bevor mich die nächste Welle überrumpelt und ich mich am Tisch festhalten muss, um sie zu veratmen. Mit dem Becken kreise ich dabei sanft. Das hilft mir am besten, um mit den Schmerzen umzugehen. Ich schließe die Augen und lasse mich ganz hineinfallen. Was bleibt mir auch anderes übrig, kommen wird unser Kind so oder so – und umso entspannter ich bin, desto leichter mache ich es ihm.

Die Welle ebbt ab, so dass ich wieder normal atmen kann. Ich lasse den Tisch los und drehe mich zu Nanauatzin, der mich mit großen Augen ansieht. »Die Schmerzen kommen und gehen«, erkläre ich ihm. »Es ist halb so schlimm.«

»Kann ich irgendetwas tun?«

»Feuerholz nachlegen.« Ich deute auf das niedergebrannte Feuer. »Und im Dorf Bescheid sagen, damit Thea herkommt. Sie wollte helfen, wenn es so weit ist. Es ist nicht die erste Geburt, die sie begleitet.«

Ich bin überrascht, wie schnell er reagiert, obwohl er morgens derjenige ist, der ein paar Augenblicke Zeit zum Wachwerden braucht. Heute benötigt er diese nicht. Vielleicht, weil ich ihn in Angst und Schrecken versetzt habe?

Es dauert keine zwei Wellen, da macht er sich auf den Weg ins Dorf, um Thea zu holen. Ich blicke ihm durchs Fenster hinterher, bis er nicht mehr zu sehen ist, und widme mich dann wieder meinem Kind.

»Du machst das toll«, flüstere ich und streichle über den Bauch, der nun so lange mein treuer Begleiter gewesen ist. Es wird komisch sein, mein Kind nicht mehr in mir zu fühlen. »Und du wirst ein großartiges Leben haben – egal, was geschieht. Das spüre ich ganz tief in meinem Herzen.«

Nanauatzin und Thea kehren bald darauf zurück. Sie untersucht mich und verspricht mir, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis unser Kind das Licht der Welt erblicken wird. Deshalb bittet sie Nanauatzin, am nahegelegenen Bach Wasser zu holen und es am Feuer zu erwärmen.

Ich glaube, er ist dankbar für die Aufgabe, denn in seinen Augen kann ich sehen, wie sehr ihn die Situation überfordert. Als er weg ist, kann ich mich noch besser auf die Wellen einlassen, die nun in immer kürzeren Abständen kommen.

Thea streicht mir die Haare aus der Stirn und drückt ihre Hand auf meinen unteren Rücken, wann immer ich den Gegendruck gebrauchen kann. Sie redet mir gut zu, wenn ich vergesse zu atmen und lobt mich, wenn ich eine weitere Welle überstanden habe.

Ich bekomme nur noch am Rande mit, wie Nanauatzin zurückkehrt und das Wasser aufsetzt, bevor Thea ihn bittet, die Hütte zu verlassen. Sie kennt mich so gut, dass sie genau weiß, was ich nun brauche.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstreicht, bis ich ihn schließlich spüre. Diesen Druck nach unten, von dem alle Frauen im Dorf immer geredet haben, wann immer sie von ihren Geburten erzählten. Die Schmerzen werden erträglicher, aber ich habe das dringende Gefühl, mich hinhocken zu wollen, um Ballast loszuwerden. Thea lacht, als ich ihr davon erzähle, und hilft mir aus dem Kleid.

»Dein Kind kommt jetzt sehr bald, Ichtaca«, erklärt sie mir. »Du darfst jetzt mitdrücken.«

Ich hocke mich an die Wand, um wenigstens etwas Stabilität in meine zittrigen Beine zu bekommen, und warte auf die nächste Welle, um mitzudrücken. Doch das fühlt sich merkwürdig an, und ich zögere etwas. Thea scheint mir die Unsicherheit anzusehen.

»In die Richtung.« Sie nickt und lächelt mir bestärkend zu. »Das ist genau richtig so.«

Unter ihrer Anleitung dauert es nicht lange, da spüre ich ein so heftiges Brennen, dass ich laut aufjapsen muss – doch im nächsten Moment ist es vorbei. Thea fängt mein Kind auf, und ich rutsche zu Boden, so überrollt von dem Schock, ein Kind auf die Welt gebracht zu haben, dass meine Beine mir den Dienst versagen.

»Sie ist wunderschön.« Thea legt mir das Kind auf die Brust. Es ist warm und feucht und bewegt den Kopf mit geschlossenen Augen hin und her, als wäre es auf der Suche nach etwas.

»Oh, bei den Göttern«, wispere ich erstaunt. Mehr bringe ich nicht zustande. Etwas so Schönes habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Heiße Tränen steigen mir in die Augen, als ich das Wunder in meinen Armen dabei betrachte, wie es allmählich in dieser Welt ankommt. Es öffnet den Mund und lässt einen leisen Schrei hinaus. Theas Worte dringen zu mir durch. »Sie?«

»Ja, sieh nur. Es ist ein Mädchen.« Sie schiebt meine Tochter so, dass ich den Beweis dafür sehen kann, bevor sie uns in eine warme Decke einhüllt. »Ich hole Nanauatzin rein, ja?«

Kurze Zeit später hockt sich Nanauatzin neben mich, um das kleine Wesen zu betrachten, das soeben im Sturm mein Herz erobert hat. Sein ganzes Sein beginnt zu leuchten, als er ins Gesicht seiner Tochter blickt. Als hätte sie gespürt, dass er da ist, öffnet sie die Augen und blinzelt ihn müde an. Er stößt ein kurzes Gebet aus und streckt die Hand aus, um mit einem Finger die runden Wangen nachzufahren. »Das ist unsere Tochter«, murmelt er fasziniert. In seinen Augen sammeln sich Freudentränen. »Wir haben eine Tochter bekommen.«

Ich lache leise auf und drücke meine Lippen an die Stirn des Kindes. »Wir sollten sie Thea nennen, findest du nicht?«

Nanauatzin schaut auf, blickt zu der Frau, die mich in den letzten Stunden so gut versorgt hat, und stimmt mir zu. Theas Wangen färben sich rosa, und sie lächelt, bevor sie sich wieder dem Badewasser widmet, um unsere kleine Tochter bald sauber zu machen.

»Thea ist der perfekte Name für ein so wunderschönes Kind«, erwidert Nanauatzin und nimmt uns in seine Arme.

Ich nicke, überglücklich, denn für einen winzigen Moment habe ich vergessen, welches Schicksal unsere Tochter ereilen wird.

 

 

Thea ist ein Goldschatz. Sie schläft viel, und wenn sie wach ist, lässt sie sich von uns durch die Gegend tragen und füttern. Abends kuschle ich mich mit ihr ins Bett, während Nanauatzin uns eine Geschichte erzählt, und lausche ihren immer ruhiger werdenden Atemzügen. Irgendwann lösen sich ihre kleinen Händchen von meinen Fingern, und ich weiß, dass sie von guten Dingen träumt.

Dann drückt Nanauatzin jedem von uns einen Kuss auf die Stirn und kuschelt sich an mich. Es sind die stillen Minuten kurz vor dem Einschlafen, in denen wir beten, dass Meztli uns vergessen hat.

Dass sie uns unser Wunder lässt, weil sie weiß, wie sehr wir es lieben.

Und tatsächlich, mit jedem Tag, der vergeht, wiegen wir uns mehr in Sicherheit. Thea wächst und gedeiht und beginnt schon bald, die ersten richtigen Laute von sich zu geben. Wir zeigen ihr den Schnee und das Feuer und nehmen sie mit zu den heißen Quellen im Breen, als sie ein paar Mondzyklen alt ist. Sie liebt das Wasser genauso sehr wie ich, doch noch mehr liebt sie ihren Vater, der mit ihr die größten Späße veranstaltet.

Im Sommer lernt sie ihre ersten Worte, im Herbst die ersten Schritte, und als der Winter vor der Tür steht und sich ihr erstes Lebensjahr dem Ende zuneigt, haben Nanauatzin und ich vergessen, uns jeden Tag Sorgen wegen Meztli zu machen.

Jeder Tag ist ein Geschenk, so auch der heutige, an dem ich ein paar Frauen aus dem Dorf eingeladen habe, um Theas Sonnenjahr mit uns zu feiern. Während ich die letzten Vorbereitungen treffe und den Eintopf abschmecke, sitzt Nanauatzin mit Thea auf dem Boden. Er hat ihr ein paar Holzklötze geschnitzt, die er nun munter aufeinanderstapelt, damit sie sie wieder umwerfen kann. Wann immer sie in alle Richtungen purzeln, lacht sie glockenhell auf. Es ist ihr liebstes Spiel.

Ich würde den beiden gerne eine Weile dabei zu sehen, doch da klopft es an die Tür.

»Das müssen die ersten Gäste sein«, sage ich freudig. Nanauatzin blickt auf, stupst Thea auf die Nase und räumt das Holzspielzeug weg. Ich hebe Thea vom Boden hoch, um mit ihr gemeinsam die Gäste zu begrüßen. Sie klammert sich an mich und vergräbt ihr Gesicht an meinem Hals. Irgendwie ist sie in den letzten Wochen schüchtern geworden.

Ich öffne die Tür, bereit, die anderen aus dem Dorf in Empfang zu nehmen, doch die Begrüßung bleibt mir im Hals stecken. »Meztli«, keuche ich auf und will die Tür sofort wieder zuschlagen, aber da hat sie bereits ihre Hand ausgestreckt und hält mich auf.

»Hallo, Ichtaca.«

 

[1]

 

Farrah

Österreich, 2018

 

Das Blut pulsiert in meinen Ohren, und ich fühle mich so entkräftet wie nie zuvor. Wenn Willem mich nicht stützen würde, wäre ich auf dem Weg in das angrenzende Wohnzimmer womöglich bereits zusammengebrochen.

»Heiliger Kuhmist.« Ich lasse mich stöhnend auf die Couch fallen und atme schwer ein und aus, während ich mir Mühe gebe, nicht in Panik zu geraten, weil ich mal wieder ohne Magie bin. Es ist alles okay. Sie kommt zurück. Ich brauche sie gerade nicht.

»Möchtest du etwas essen?«, fragt mich Willem. Er ist bleich im Gesicht – und nicht zum ersten Mal überlege ich, ob er mehr über Mikaels Abenteuer weiß als ich oder ob er sich über andere Dinge den Kopf zerbricht, von denen ich keine Ahnung habe.

»Ist da noch Schokolade?« Ich lächle unschuldig. So viel Magie zu geben ist die perfekte Ausrede, um mehr als eine Tafel Schokolade in Windeseile zu verdrücken. Der Zucker gibt mir zumindest einen Teil meiner Energie zurück, wenn er auch – anders als bei einem richtigen Zauber – meine Magie nicht wieder auffüllt. Dafür brauche ich Geduld.

Und Geduld ist nicht gerade meine Stärke.

Ich seufze und kuschle mich in die Sofakissen. Willem verschwindet aus meinem Blickfeld, ich höre ihn am Kühlschrank, und kurz darauf kommt er mit einem weiteren Glas Orangensaft und einer neuen Tafel Schokolade zurück.

»Du solltest dir auch ein Glas gönnen«, schlage ich vor, während er die Schokolade in Riegel bricht. »Du siehst aus, als würdest du jeden Moment zusammenklappen – und ich sag’s dir nur ungern, aber gerade bin ich nicht in der Lage, dich aufzufangen, geschweige denn mit Magie aufzupäppeln.«

»Immer einen Spruch auf den Lippen.« Er lacht leise, geht aber zum Kühlschrank zurück, um sich ein eigenes Glas zu füllen. Ich schnappe mir in der Zwischenzeit einen Riegel Schokolade und schlinge ihn hastig hinunter. Genüsslich schließe ich die Augen. Gott, tut das gut.

Das Pulsieren in meinen Ohren lässt allmählich nach, aber zittrig fühle ich mich immer noch. Ich hoffe, mein Körper spielt wenigstens noch eine Weile mit, doch jetzt macht sich nicht nur das Fehlen der Magie, sondern auch der Schlafmangel der letzten Tage arg bemerkbar. Am liebsten würde ich mich einfach zusammenrollen und die Augen schließen.

»Die Schokolade scheint gut zu sein.«

Ich blinzle und strecke Willem die Zunge raus. Er bedient sich ebenso und lässt sich schließlich in den Sessel fallen. Im Gegensatz zu mir braucht er für seinen Schokoladenriegel gefühlte Jahre, es ist, als hätte er gar keinen Appetit.

»Machst du dir Sorgen?«, frage ich ihn leise.

Er stöhnt und fährt sich mit den Händen durch die Haare, die ihm sowieso schon zu Berge stehen. »Machst du dir keine? Ich mein, er hat uns seine verdammten Passwörter gegeben. Ich kenne Mikael. Er glaubt nicht daran, dass sie zurückkommen.«

»Wenn er nicht daran glauben würde, warum hat er dann Hayet mitgenommen?«, entgegne ich, aber den Klumpen, der sich in meinem Magen bildet, kann ich trotzdem nicht abschütteln. »Die beiden sind so gut befreundet. Er würde sie doch niemals in etwas reinziehen, dessen Ausgang ungewiss ist.«

»Das denkst du vielleicht.« Willem verzieht das Gesicht. »Aber Mikael hatte schon immer einen eigenen Kopf. Täusch dich nicht in ihm, Farrah. Nur weil er dir gegenüber kein Unmensch ist, bedeutet das nicht, dass er nicht eigentlich eiskalt berechnend ist.«

Ungläubig ziehe ich eine Braue hoch. »Bist du etwa immer noch wütend wegen Emma?«

Er schnaubt. »Ich sag dir nur, wie es ist. Und das weißt du insgeheim auch. Er ist dein Chef. Du weißt, dass er für manche Dinge über Leichen gehen würde.«

Ich brumme und schließe die Augen, weil ich keine passenden Widerworte parat habe. Willem hat recht. Bei allem, was zwischen uns war, darf ich nicht vergessen, wer Mikael wirklich ist. Er ist der König unserer Welt. Und Könige hinterlassen oft ein Schlachtfeld.

»Ich kann mir nur einfach nicht vorstellen, dass er Hayet etwas antun würde«, meine ich dennoch. »Sie ist wie eine kleine Schwester für ihn. Nein, er würde sie nicht wissentlich in den Tod schicken. Er hat einen Plan.«

Willem schnaubt erneut, doch er widerspricht mir nicht. Keiner von uns weiß, wohin die Traumreise geht und was geschehen wird. Wenn es im Traum möglich ist, ein Herz zurückzugeben, ist es dann nicht auch möglich, im Traum zu sterben?

Schnell balle ich die Hände zu Fäusten, um den aufkeimenden Wunsch zu unterdrücken, mich zu Mikael und Hayet zu setzen und jeden ihrer Atemzüge zu beobachten, bis sie zurück sind.

Es geht ihnen gut. Sie kommen zurück. Es wird ihnen nichts zustoßen.

»Du hast ja recht. Im Grunde ist er ein guter Kerl«, sagt Willem plötzlich. Ich öffne die Augen wieder und sehe ihn an. Er hebt die Schultern. »Und zu dir sowieso. Wie war eigentlich euer Abendessen?«

Er wackelt vielsagend mit den Brauen.

»Urgh, erinnere mich besser nicht daran.« Ich rutsche an die Kante der Couch und bediene mich noch mal an der Schokolade. »Es war ein Fiasko.«

Willem reißt erstaunt die Augen auf. »Wie jetzt … ich dachte, ihr … er …«

»Ja, das dachte er auch.« Ich stehe auf, um durch die Wohnung zu gehen, anders halte ich dieses Gespräch nicht aus. Meine Beine zittern den Göttern sei Dank nicht mehr so sehr. »Aber da habt ihr euch wohl getäuscht.«

Kurz überlege ich, Willem davon zu erzählen, was ich für Adeles Rat bezahlt habe. Aber letztendlich ist es nicht wichtig.

Ich liebe Mikael nicht mehr.

Warum und wie es dazu kommen konnte, geht Willem nichts an.

»Ich … Puh, Farrah.« Er sieht noch erschrockener aus, als er es sowieso schon war. Anscheinend waren meine Gefühle für Mikael wirklich so offensichtlich, dass mir nun keiner mehr glaubt, dass sie nicht mehr da sind. »Das tut mir echt leid. Ich hab Mikael drauf gestoßen. Das ist mein Verdienst.«

»Na ja, du kannst wohl kaum etwas dafür, dass er Gefühle für mich hat.«

»Das nicht, aber ich hab ihm gut zugeredet.« Willem seufzt. »Wenn ich gewusst hätte, dass du nicht das Gleiche für ihn empfindest, hätte ich ihm davon abgeraten. Ich will ja nicht, dass die Arbeit darunter leidet.«

»Das wird sie nicht«, entgegne ich knapp, wobei ich mir da nicht sicher bin. Können wir wirklich vergessen, was war, und einen Neuanfang wagen? Oder ist das unser letztes gemeinsames Abenteuer?

Ich setze mich zurück auf die Couch, weil meine Beine sich schwach anfühlen. Bis ich körperlich wieder auf der Höhe bin, werden wohl noch ein paar Stunden vergehen. »Meinst du, sie sind mittlerweile im Land der Träume?«

»Ich denke schon.« Willem wirft einen Blick auf die Uhr und runzelt die Stirn. »Ich frag mich, wo Emma bleibt. Die Trauerfeier sollte schon vor einer halben Stunde vorbei sein.«

»Sie kommt bestimmt gleich«, beruhige ich ihn. »Als Ratsvorsitzende kann man sich vermutlich nicht einfach so verkrümeln.«

»Vermutlich nicht.« Er reibt sich übers Kinn und steht auf. »Ich geh mal nach ihr sehen, okay? Irgendwie hab ich ein schlechtes Gefühl.«

Ich nicke und spüre, wie sich seine Besorgnis auf mich überträgt. Am liebsten hätte ich ihm eine Prise Magie geschickt, um ihn zu beruhigen, aber diese Möglichkeit besteht aus offensichtlichen Gründen ja nicht.

»Ich warte hier und drehe Däumchen«, schlage ich ironisch vor. Er lacht kurz auf und verschwindet dann aus dem Apartment – und weil ich nicht weiß, was ich nun mit mir anfangen soll, drehe ich tatsächlich eine Runde Däumchen.

»Prima, Farrah«, murmle ich schließlich und stehe auf, um ins Bad zu gehen und mich frisch zu machen. »Die nächsten achtundvierzig Stunden bist du ein gewöhnlicher Mensch.«

Ich hasse dieses Gefühl.

 

[2]

 

Hayet

Irgendwo, Irgendwann

 

Ich schlage die Augen auf und denke für einen Moment, dass sich nichts geändert hat. Wir sind einfach eingeschlafen. Der Zauber hat nicht funktioniert.

Enttäuscht richte ich mich auf und blicke mich in Farrahs Schlafzimmer um. Die Kerzen flackern munter vor sich hin, selbst der Rauch aus dem selbstgemachten Duftsäckchen steigt noch fröhlich in die Luft. Aber irgendwie fühlt sich die Welt doch anders an. Kälter.

»Farrah? Willem?«, rufe ich vorsichtshalber. Doch das Einzige, was geschieht, ist, dass Mikael die Augen öffnet und sich stirnrunzelnd umsieht.

»Hat es geklappt?«

Ich zucke mit den Schultern und stehe auf, bevor ich ihm eine Hand reiche, um ihm hoch zu helfen. »Ich hab keinen blassen Schimmer. Wie fühlst du dich?«

Er wirft erleichtert einen Blick auf das Herz in seiner Hand. »Ich weiß nicht. Ich fühle mich … nicht wirklich anders.«

Das muss ja nichts bedeuten. »Lass uns mal nachsehen, ob Farrah und Willem nebenan sind.«

Wir verlassen den Kreidekreis und somit auch das Schlafzimmer durch die geöffnete Tür, um nach nebenan zu gehen. Und tatsächlich, Farrah und Willem sitzen um den kleinen Couchtisch herum und teilen sich eine Tafel Schokolade.

»Hey. Ich glaube, der Zauber hat nicht geklappt«, begrüße ich sie niedergeschlagen.

»Machst du dir keine? Ich mein, er hat uns seine verdammten Passwörter gegeben. Ich kenne Mikael. Er glaubt nicht daran, dass sie zurückkommen«, sagt Willem im nächsten Moment, und ich erstarre zu Stein. Sie sehen uns nicht … oder?

»Wenn er nicht daran glauben würde, warum hat er dann Hayet mitgenommen?«, entgegnet Farrah, ohne zu uns zu blicken. »Die beiden sind so gut befreundet. Er würde sie doch niemals in etwas reinziehen, dessen Ausgang ungewiss ist.«

Es hat tatsächlich funktioniert! Fast hätte ich vor Freude gejubelt, aber da dringt die Bedeutung ihrer Worte zu mir durch.

»Das denkst du vielleicht.

---ENDE DER LESEPROBE---