Der Fluss dazwischen - Ngugi wa Thiong'o - E-Book

Der Fluss dazwischen E-Book

Ngugi wa Thiong'o

0,0
10,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ngugis Roman erzählt vom Leben im kenianischen Hochland zu jener Zeit, als die weiße Eroberung erst ein bedrohlicher Schatten war. Waiyaki wächst in der traditionellen Dorfgemeinschaft der Gikuyu auf und wird von seinem Vater als spiritueller Führer und Erneuerer seines Volkes eingeweiht. Er besucht eine christliche Missionsschule, aber als er sich in ein Mädchen aus dem christianisierten Nachbardorf verliebt, kommt es zum tragischen, auswegslosen Konflikt. Waiyaki, der sich nicht bekehren lässt, andererseits zum Besten seines Volkes das Wissen der Weißen in einer unabhängigen Giyuku-Schule vermittelt, steht dazwischen: ein Opfer der Zerrissenheit, die bis heute das moderne Afrika zeichnet.   »Ein Roman, der an die Schönheit und Einfachheit alter Volkssagen heranreicht.« The Guardian  

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 236

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Waiyaki wächst in der traditionellen Dorfgemeinschaft der Gikuyu auf und wird von seinem Vater als spiritueller Führer und Erneuerer seines Volkes eingeweiht. Er besucht eine christliche Missionsschule, aber als er sich in ein Mädchen aus dem christianisierten Nachbardorf verliebt, kommt es zum tragischen Konflikt.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Ngugi wa Thiong’o (*1938) studierte am Makerere University College und an der University of Leeds. Er zählt zu den einflussreichsten Schriftstellern Afrikas. 1977 wurde er verhaftet und interniert, 1982 musste er Kenia verlassen. Seit 2002 ist er Professor an der University of California, Irvine.

Zur Webseite von Ngugi wa Thiong’o.

Anita Djafari studierte Germanistik und Anglistik und arbeitet seit vielen Jahren als Übersetzerin, Lektorin und Literaturvermittlerin. Sie ist Geschäftsleiterin der Litprom e. V.

Zur Webseite von Anita Djafari.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Ngugi wa Thiong’o

Der Fluss dazwischen

Mit einem Nachwort von Frank Schulze

Roman

Aus dem Englischen von Anita Jörges

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 1965 unter dem Titel The River Between im Verlag Heinemann Educational Books, London.

Originaltitel: The River Between (1965)

Die erste Ausgabe dieses Werks im Unionsverlag erschien am 19.6.1997

© Ngugi wa Thiong’o 1965

This Translation of The River Between is published by arrangement with Pearson Education Limited.

© by Unionsverlag, Zürich 2019

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Kai Hahne

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30594-6

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 23.01.2019, 02:58h

Transpect-Version: ()

DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.

Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.

www.unionsverlag.com

[email protected]

E-Book Service: [email protected]

Unsere Angebote für Sie

Allzeit-Lese-Garantie

Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.

Bonus-Dokumente

Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.

Regelmässig erneuert, verbessert, aktualisiert

Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.

Wir machen das Beste aus Ihrem Lesegerät

Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:

Standard EPUB: Für Reader von Sony, Tolino, Kobo etc.Kindle: Für Reader von Amazon (E-Ink-Geräte und Tablets)Apple: Für iPad, iPhone und Mac

Modernste Produktionstechnik kombiniert mit klassischer Sorgfalt

E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.

Wir bitten um Ihre Mithilfe

Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.

Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags

Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

DER FLUSS DAZWISCHEN

1 – Die Höhenzüge Kameno und Makuyu lagen nebeneinander …

2 – Die Berge und Hügelketten traten zurück. Hier war …

3 – Demi und Mathathi waren die sagenhaften Vorfahren des …

4 – Schon bald fand sich Waiyaki wieder in den …

5 – Auch Chege war angerührt von dem morgendlichen Frieden …

6 – Morgens war es meistens kalt in Kameno und …

7 – In Makuyu waren die Frauen und Männer bereits …

8 – Der Sonntag war immer ein arbeitsreicher Tag für …

9 – Erntezeiten kamen und gingen. Sie waren gut …

10 – Überall war Nebel. Er bedeckte Kameno, Makuyu und …

11 – Waiyaki trat aus der Hütte, die voller Rauchschwaden …

12 – Innerhalb weniger Wochen war der Name Muthoni zur …

13 – Es tropfte und tropfte überall vom Rand des …

14 – Marioshoni, so hieß Waiyakis Schule, war im ganzen …

15 – Waiyaki konnte nicht schlafen. Das Mondlicht fiel durch …

16 – Es war schon vier Uhr, und sie war …

17 – Wenn Joshua predigte, ging eine große Faszination von …

18 – Waiyaki führte ein geschäftiges Leben. Seine Tage waren …

19 – Viele Jahre seines Lebens hatte Joshua versucht …

20 – Waiyaki ging von Dorf zu Dorf und traf …

21 – Nach dem Gottesdienst ging Nyambura nach Hause …

22 – Überall in den Bergen sangen sie Loblieder auf …

23 – Was will die kiama von mir?«, fragte Waiyaki …

24 – Einige Tage später stürmte Kinuthia abends in Waiyakis …

25 – Er spürte einen dumpfen Schmerz in seinem Herzen …

26 – Waiyaki war bewegt von der großen Stille …

Worterklärungen

Mehr über dieses Buch

Über Ngugi wa Thiong’o

Über Anita Djafari

Andere Bücher, die Sie interessieren könnten

Zum Thema Afrika

Zum Thema Geschichte

Zum Thema Religion

1

Die Höhenzüge Kameno und Makuyu lagen nebeneinander. Dazwischen war ein Tal. Es hieß das Tal des Lebens. Hinter Kameno und Makuyu erhoben sich weitere Hügel und Bergketten. Sie lagen da wie ein Rudel schlafender Löwen, versunken in den großen tiefen Schlaf ihres Schöpfers.

Durch das Tal floss ein Fluss. Und wären da nicht der Busch und die dicht bewaldeten Abhänge gewesen, hätte man ihn von beiden Höhenzügen aus sehen können. So aber musste man hinuntergehen bis an das Ufer des Flusses, der sich anmutig und ohne Eile wie eine Schlange durch das Tal wand. Der Name des Flusses war Honia, das bedeutet Heilung oder Wieder-zum-Leben-Erwecken. Er trocknete nie aus. Auch Dürreperioden und Wetterumschläge konnten ihm nichts anhaben. Immer floss er gleichmäßig dahin, ohne Hast und ohne Zögern. Die Menschen sahen das, und es machte sie glücklich. Der Honia war die Seele von Kameno und Makuyu. Er war das Band zwischen beiden. Und er vereinte die Menschen, das Vieh, die wilden Tiere und die Bäume.

Unten vom Tal aus betrachtet aber glichen die beiden Höhenzüge nicht mehr schlafenden Löwen, vereint durch den gemeinsamen Lebensquell. Sie waren Gegner. Wie zwei Rivalen standen sie sich gegenüber in einem Kampf auf Leben und Tod um die Vorherrschaft in diesem abgelegenen Teil des Landes.

Es hatte vor langer Zeit begonnen. In Makuyu war ein Mann aufgestanden und hatte verkündet, dass Gikuyu und Mumbi auf ihrem Weg nach Murewewa Gathanga mit Murungu hier verweilt hätten. Am Ende ihres Aufenthaltes, so sagte er, hatten sie Makuyu das Recht der Vorherrschaft im Hochland zugesprochen. Nicht alle Menschen des Hochlandes hatten ihm geglaubt, denn es wurde auch erzählt, dass Gikuyu und Mumbi in Kameno haltgemacht hatten. Und dass an der Stelle, wo sie im Süden vom Kameno gestanden hatten, ein kleiner Hügel gewachsen war. Und dass Murungu ihnen gesagt hatte: »Dieses Land gebe ich euch, o Mann und Frau. Es ist an euch und euren Nachkommen, es zu regieren und es zu bearbeiten.«

Es war ein fruchtbares Land; es umfasste das ganze Gikuyu-Land von einem Ende des Horizonts, wo es den Himmel umarmte, bis hin zum anderen, das in den Wolken versteckt war. So erzählte man sich die Geschichte in Kameno. Geistige Überlegenheit und die Fähigkeit zur Führung seien dort geblieben.

Und Kameno hatte genug vorzuweisen. Noch heute verehrten die Leute den heiligen Hain, der an der Stelle gewachsen war, an der Gikuyu und Mumbi gestanden hatten. Und wer wollte, wusste, dass Kameno mehr Helden und Stammesführer als jeder andere Höhenzug im Hochland hervorgebracht hatte. Mugo wa Kibiro, der große Gikuyu-Seher, war hier geboren und aufgewachsen. Vielen, die kamen, ihn zu sehen und zu hören, verkündete er seine Visionen. Nur wenige gingen nicht zu ihm. Argwöhnisch nannten sie ihn einen Betrüger. Eines Nachts, als die Leute schliefen, verschwand er aus den Bergen. Bald darauf hörte man von ihm aus dem Land hinter den Bergen: Nyeri, Kiambu, Muranga, von überall aus dem Gikuyu-Land. Auch dort verkündete er laut seine Botschaft: »Ein Volk mit Kleidern wie Schmetterlinge wird kommen!«

Er meinte die Weißen.

Es gab den bedeutenden Zauberer, Kamiri, dessen Magie sogar die Weißen in Muranga verwirrte. Seine magische Kraft hatte ihm großen Ruhm eingebracht, bevor er den Weißen mit ihrem Lächeln und ihren Geschenken erlag. Auch er, so hieß es, war in Kameno geboren. Doch wie Mugo vor ihm ging er auch fort von den Bergen, in das Land hinter den Bergen. Das enge Leben im Hochland konnte ihn nicht mehr halten.

Und es gab Wachiori, einen großen Krieger, der den Stamm gegen die Ukabi, die Massai geführt hatte. Schon als junger Mann hatte er allein einen Löwen getötet. Er starb durch die Hand eines umherziehenden Weißen, doch sein großer Name blieb Vorbild für viele junge Krieger.

Die Menschen in diesem abgelegenen Teil des Landes lebten ihr eigenes Leben, unbehelligt von den außerhalb und weit entfernt stattfindenden Ereignissen. Die Männer und Frauen hatten nichts zu befürchten. Bis ins Hochland konnten die Ukabi nicht kommen. Sie würden sich verirren in den Bergen, den Höhenzügen und Tälern. Selbst Gikuyu aus Nyeri oder Kiambu hatten Mühe, den Weg in die Berge zu finden. Diese alten Berge und Höhenzüge waren das Herz und die Seele des Landes. Hier wurden die Magie und die Riten des Stammes bewahrt, rein und unversehrt. Die Menschen waren vergnügt und schenkten sich ihr lebendiges und warmes Lachen. Manchmal stritten sie. Aber das machten sie unter sich aus. Kein Außenstehender brauchte etwas davon zu wissen. Fremden gegenüber waren sie verschlossen. Sie hüteten ihre Geheimnisse. Das Öltuch des Hauses ist nicht dafür da, die Haut von Fremden einzureiben. Kagutui ka Mucii gatihakagwo Ageni. Obgleich das Hochland so abgelegen war, gingen einige wenige fort. Es waren Menschen, die mutig genug waren, nach einem anderen Leben im Land hinter den Bergen zu suchen. Es waren die Auserwählten – von Murungu gesandt –, um das Volk vor Bedrängnis zu warnen, ihm in der Not zu helfen: Mugo, der große Seher; Wachiori, der ruhmreiche Krieger; Kamiri, der mächtige Zauberer.

Für die Berge wurden sie Fremde. Das Öltuch des Hauses war jetzt nicht mehr für sie da. Das blieb den Menschen im Hochland, deren Blut die Sprache der Berge sprach. Ihnen hörten die Bäume zu, ächzten im Wind und blieben still. Vögel und wilde Tiere horchten und lauschten ihnen. Nur manchmal antworteten sie: mit freudiger Zustimmung oder ärgerlichem Groll.

2

Die Berge und Hügelketten traten zurück. Hier war es eben, das einzig flache Stück Land in dieser Region. Wenn man seine Augen anstrengte, konnte man durch den Dunst das Land der Ukabi sehen. Alles war friedlich in dieser Ebene, von der es hieß, dass sie vor langer Zeit ein Schlachtfeld gewesen war. Ein paar Kühe rupften und zermalmten Gras, andere lagen einfach da und glotzten kauend vor sich hin.

Plötzlich tauchten zwei Jungen aus dem Busch auf. Sie stritten. Der eine war groß, und sein ungewöhnlich langer Hals und die langen Gliedmaßen ließen ihn älter erscheinen, als er war. Es war Kamau, der Sohn von Kabonyi aus Makuyu. Der andere, Kinuthia, war kleiner, hatte aber erstaunlich starke Muskeln. Sein träger Blick und die großen Augen passten gut zu der glatten Stirn. Er lebte bei seinem Onkel in einem Dorf jenseits der beiden Höhenzüge, weit entfernt von Makuyu. Sein Vater war früh gestorben.

Die Jungen schlugen sich mit Stöcken, die sie im Busch geholt hatten. Die grünen Stöcke prallten mehrmals aufeinander und zerbrachen. Die Jungen schleuderten sie weg; eine Kuh wurde von einem Stück getroffen und sprang erschrocken auf. Sie lief ein paar Schritte weg und weckte dabei zwei andere Kühe. Dann blickte sie gelangweilt in die entgegengesetzte Richtung.

Kamau und Kinuthia fingen jetzt an zu ringen. Sie hielten sich umklammert und wälzten sich auf dem Boden; mal war der eine, mal der andere obenauf. Kinuthias Versuch, Kamau vom Boden hochzureißen und ihm ein Bein zu stellen, misslang immer wieder. Kamau hatte ebenfalls Mühe. Er war nicht sehr gesprächig, aber heute stieß er eine Drohung nach der anderen aus.

»Du wirst mich kennenlernen«, fauchte er und rammte sein rechtes Knie in Kinuthias Magen.

»Ochse«, schrie Kinuthia auf.

»Hyäne.«

»Selber«, zischte Kinuthia zurück.

Kinuthia wirkte gelassener, und es sah so aus, als gewinne er den Kampf. Aber er stolperte über einen Stein und fiel hin. Kamau warf sich über ihn und drückte ihm die Arme hinter den Kopf. Mit grimmig verzerrter Miene stieß er seinen Kopf immer wieder in Kinuthias Gesicht, bis dessen Nase blutete. Kinuthia wand sich vor Schmerzen. Er riss seine Beine hoch und versuchte, Kamaus Nacken einzuklemmen. Doch das gelang ihm nicht, weil ihn ein Schlag nach dem anderen traf.

Zwei Kühe schauten dem Kampf eine Weile zu. Dann neigten sie ihre Köpfe wieder, rupften Gras und zermalmten es. Von einer weiter entfernten Kuhherde kam ein Junge angerannt.

»Hört auf!«, rief er atemlos.

Kamau hielt inne, blieb aber auf Kinuthia sitzen.

»Warum streitet ihr euch?«

»Er hat mich beleidigt«, antwortete Kamau.

»Er ist ein Lügner. Er hat mich ausgelacht, weil mein Vater arm gestorben ist und …«

»Er hat meinen Vater einen Überläufer zu den Weißen genannt.«

»Das ist er ja auch.«

»Du Bettler.«

»Du Sklave des weißen Mannes.«

»Du, du …«

Kamau wurde wütend. Er begann, Kinuthia zu kneifen. Der schaute den anderen Jungen Hilfe suchend an.

»Bitte hör auf damit, Kamau. Wir haben uns doch geschworen, dass wir aus dem Hochland wie Brüder sind.« Er fühlte sich hilflos. Erst vor drei Tagen hatten sie sich Brüderschaft geschworen.

»Was kümmern mich Brüder, die meinen Vater beleidigen?«, fragte Kamau.

»Ich werde es wieder tun«, entgegnete Kinuthia mit Tränen in den Augen.

»Versuchs doch.«

Kamau und Kinuthia gingen wieder aufeinander los. Dem Jungen fiel es schwer, nicht über Kamau herzufallen. Er rupfte einen Grashalm aus und kaute heftig darauf herum, die Augen weit aufgerissen vor Zorn, aber auch Hilflosigkeit.

»Kamau«, presste er heraus.

Das Beben in der Stimme des Jungen ließ Kamau innehalten. Er sah auf und begegnete einem zwingenden Blick, dem er sich fügte. Er ließ Kinuthia los. Sein Gesicht wurde um einen Schatten dunkler. Er schlich sich davon, gedemütigt, und verachtete sich, weil er klein beigegeben hatte. Kinuthia erhob sich, noch unsicher auf den Beinen, und blickte den Jungen dankbar an. Der hatte den Blick gesenkt, starrte auf ein und dieselbe Stelle. Das plötzliche Gefühl von Stolz und Triumph in dem Moment, als Kamau ihm gehorchte, schlug um in ein Gefühl, ihn damit beleidigt zu haben. Er hätte sich wohler gefühlt, wenn Kamau stur geblieben wäre und er sich mit Gewalt hätte einmischen müssen.

Der Junge hieß Waiyaki. Er war der einzige Sohn von Chege. Er war jung, jünger als Kamau und Kinuthia, und auch die zweite Geburt lag noch vor ihm. Allerdings war Waiyaki sehr groß für sein Alter. Er hatte einen athletischen Körper. Sein kräftiges, kurz gelocktes Haar legte sich in einer klaren Linie über die Stirn. Über dem linken Auge verlief eine Narbe, die von einer wilden Ziege stammte. Die Ziege hatte einen der Hütejungen verfolgt. Waiyaki hatte das gesehen und war mit einem Stock schreiend hinter der Ziege hergerannt. Die hatte sich umgedreht und ihn mit den Hörnern erwischt. Gerade rechtzeitig war sein Vater gekommen, um ihm zu helfen. Das war lange her, die Wunde längst verheilt. Doch seitdem galt er unter den Jungen als Held. Dabei war er der Ziege nur aus Spaß hinterhergerannt. Das war aber nicht der einzige Grund, warum die anderen Jungen, jünger oder älter, ihm oft so bereitwillig folgten.

Chege, sein Vater, war in Kameno ein bekannter Stammesältester. Er hatte nur noch eine Frau, die ihm viele Töchter, aber nur einen Sohn geboren hatte. Die anderen zwei Frauen waren während der großen Hungersnot kinderlos gestorben. Dieser Hungersnot, nach einem Jahr mit einer sehr guten Ernte, folgte eine Heuschrecken- und Würmerplage und eine lange Dürreperiode. Das hatte vielen Menschen den Tod gebracht, beinahe auch Chege.

Von seinen Töchtern war eine früh gestorben, die anderen waren jetzt gut verheiratet. Die anderen Ältesten begegneten ihm mit Ehrfurcht und Respekt. Chege kannte das Land, die Geschichte und die Geheimnisse des Stammes; wie kein anderer wusste er um die Bedeutung der Rituale und Zeichen. Er leitete jede wichtige Zeremonie, und viele Geschichten wurden über ihn erzählt. Manche Leute sprachen ihm Zauberkräfte zu, andere sagten, er sei ein Seher, und Murungu spreche oft zu ihm. Es hieß auch, er könne in die Zukunft sehen wie Mugo wa Kibiro, der bereits vor langer Zeit das Eindringen der Weißen in das Gikuyu-Land prophezeit hatte. Manche glaubten auch, Chege sei mit Mugo verwandt, Chege schwieg dazu. Seitdem er den Stamm vor dem Missionszentrum in Siriana gewarnt hatte, die Menschen aber nichts davon hatten hören wollen, äußerte er sich nur noch selten und behielt seine Gedanken und Visionen für sich. Chege hatte damals den Menschen im Hochland berichtet, was in Muranga, Nyeri und Kiambu geschehen war. Er hatte ihnen erzählt von Tumu-Tumu, Gikuyu, Limuru und Kijabe. Sie glaubten ihm nicht und fragten: »Woher weißt du das?«

»Seht sie doch, die Schmetterlinge.«

»Schmetterlinge? Wo? Du hast doch nie das Hochland verlassen!«

»Sie sind dort, im Land hinter den Bergen. Sie errichten dort Häuser, und sie nehmen sich Land.«

»Wie kannst du so weit sehen?«

»Narren, alles Narren«, murmelte er verzweifelt in sich hinein.

Nairobi war bereits eine blühende Stadt. Die Eisenbahn durchquerte das Land hinter den Bergen; doch nur wenige aus dem Hochland waren bisher dort hingekommen. Noch sagte man sich hier:

»Die Weißen sprechen die Sprache der Berge nicht.«

»Und sie kennen die Bräuche unseres Landes nicht.«

Und doch war der weiße Mann nach Siriana gekommen, und Joshua und Kabonyi hatten sich zum Christentum bekehren lassen. Sie hatten die Bräuche ihres Landes aufgegeben und folgten dem neuen Glauben. Aber noch immer zuckten die Leute mit den Schultern, gingen wie gewohnt ihrer Arbeit nach und sagten: »Wer von da draußen findet schon den Weg in die Berge?«

Chege war damals noch jung gewesen. Jetzt war er alt, aber er erinnerte sich an vieles. Dann kam Glanz in seine Augen. Darin flackerte die Hoffnung auf, die bewahrte er. Sein Wissen wollte er nur dem Rechten weitergeben.

Die Jungen wollten nicht in die Dunkelheit kommen. Sie trieben das Vieh zusammen, um es nach Hause zu bringen. Viele Pfade führten durch den Wald zu den in den Bergen verstreut liegenden Hütten. Man konnte sich leicht verirren, doch die Jungen, in den Bergen geboren und aufgewachsen, kannten die Wege.

Es war dunkel geworden, als Waiyaki zu Hause ankam. Chege erwartete ihn bereits. Er rief Waiyaki in seine thingira, die Hütte des Mannes. Er saß auf einem Hocker an einen Pfosten gelehnt. Das Feuer brannte niedrig, und als Waiyaki hereinkam und an der Tür stehen blieb, nahm Chege den Stock, der neben ihm lag, und schürte langsam die Glut. Funken sprühten.

»Warum kommst du erst bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause?«, fragte Chege schließlich, ohne dabei aufzusehen. Er spuckte auf den Boden.

»Wir mussten das Vieh hinunter in die Ebene bringen.«

»In die Ebene?«

»Ja, Vater.«

»Das ist ein weiter Weg«, sagte Chege nach kurzem Schweigen.

Waiyaki blieb stumm. Es war ihm selten wohl, wenn er vor seinem Vater stand.

»In der Dunkelheit lauert Gefahr.«

»Ja, Vater.«

Waiyaki fühlte sich unbehaglich. Er warf einen kurzen Blick zur Tür. Sein Vater hatte ihn noch immer nicht angesehen.

»Wer hat euch den Weg gezeigt?«

»Ich kenne die Wege in den Bergen«, sagte Waiyaki stolz. Er wollte nicht als kleiner Junge angesehen werden, denn er fühlte sich in der Lage, Entscheidungen zu treffen wie ein Mann.

Chege schaute seinen Sohn prüfend an. Waiyaki hätte gerne gewusst, was in seinem Vater vorging. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass sein Vater sich gesorgt und um ihn geängstigt hatte. Das erfüllte ihn mit Stolz; er fragte sich, ob die anderen Jungen auch das Glück hatten, so einen Vater zu haben.

»Du hast noch nicht gegessen.« Cheges Stimme klang sanft.

»Ich bin gerade erst angekommen.«

»Geh und sag deiner Mutter, sie soll dir etwas zu essen geben. Du musst hungrig sein.«

Waiyaki wandte sich zur Tür, aber sein Vater rief ihn zurück. Wieder fühlte sich Waiyaki unbehaglich. »Morgen ist der Tag deiner zweiten Geburt.«

»Ja, Vater.«

»Vergiss es nicht«, sagte Chege mit unnötigem Nachdruck. Waiyaki rannte zu der Hütte seiner Mutter. Wie könnte er ein solches Ereignis vergessen?

3

Demi und Mathathi waren die sagenhaften Vorfahren des Stammes. Sie hatten vor langer Zeit gelebt, am Anfang der Welt. Sie waren es, die die Bäume gefällt und das Dickicht gerodet hatten. Sie hatten Schafe und Ziegen besessen und Murungu viele Opfer gebracht. Sie hatten mit den Geistern ihrer Vorfahren verkehrt. Waiyaki wusste von diesen Generationen des Stammes, und er war stolz auf sie. Nur hätte er gerne gewusst, wie sie ausgesehen hatten. Groß und stark genug, um es mit den Widrigkeiten des Busches aufnehmen zu können, mussten sie gewesen sein.

Manchmal spielte er mit den anderen Jungen im Busch Demi und Mathathi. Eines Tages sagte ein Junge aus Koina zu Waiyaki: »Du kannst nicht Demi sein.«

»Wieso?«, fragte der. Die anderen kamen dazu.

»Du bist noch nicht bereit zur Beschneidung. Du bist noch nicht wiedergeboren.«

Waiyaki blickte zu Boden, er fühlte sich klein. Dann wandte er sich um und sah die anderen an. Seine Augen waren groß, etwas traurig und nachdenklich. Immer, wenn er mit diesem Blick jemanden ansah, war etwas in seinen Augen, als würde er in einen hineinsehen. Niemand konnte erklären, welche Sprache diese Augen sprachen. Jeder aber fühlte sich in seinen Bann gezogen, wenn der Junge etwas sagte. Dieser Blick war eindringlich und fordernd, ja, hatte etwas Gebieterisches. Vielleicht war das der Grund, warum die anderen Jungen ihm oft folgten. Auch manche Frauen und größere Mädchen machte dieser Blick verlegen, selbst seine Mutter. Aber Frauen wurden immer verlegen, wenn Männer sie ansahen. Waiyaki war sich der Wirkung seines Blickes nicht bewusst, doch manchmal überkam ihn das brennende Verlangen, außergewöhnliche Dinge zu sagen und zu tun.

Auch jetzt spürte er diesen Wunsch wieder. Einen Augenblick lang war er überzeugt, Demi zu sein, und er antwortete: »Aber ich bin Demi.« Dann sah er nach einem Baum in der Nähe und sagte: »Ich werde diesen Baum fällen.« Er nahm die Axt und ging zu dem Baum. Mit aller Kraft begann er zu schlagen, und der Stock, der als Axt gedient hatte, brach. Die Jungen hatten zuerst gelacht. Doch bald folgten sie seinem Beispiel und taten so, als ob sie Bäume fällten und den Wald rodeten, um »das Land urbar zu machen«, wie Demi und Mathathi es getan hatten.

An diesem Tag ging Waiyaki nach Hause und sagte zu seiner Mutter: »Ich muss wiedergeboren werden.«

Nun war der Tag gekommen. Die Sonne ging auf und erwärmte den Boden, die Ziegen scheuerten ihre Rücken an der Wand; Waiyaki trat hinter die Hütte und genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Nacken.

Er hatte immer gedacht, dass er an diesem Tag glücklich, besonders glücklich sein werde, da er jetzt in die Bräuche seines Stammes eingeweiht wurde durch das magische Ritual der zweiten Geburt. Er wollte werden wie sein Vater, den Agu und Agu alles über sein Land gelehrt hatten, vor langer Zeit.

Aber er war niedergeschlagen. Etwas nagte an seiner Seele. Dabei hatte er diesen Tag so herbeigesehnt. Jetzt wünschte er, Kamau oder Kinuthia wären bei ihm. Er fühlte die Sonne auf der Haut, spürte seine Muskeln, schloss die Augen und versuchte, das bedeutsame Gefühl von Wichtigkeit, das er während der Tage des Wartens gehabt hatte, wieder zu wecken. Es gelang ihm nicht, obwohl er wusste, dass er nach dem heutigen Tag bereit sein würde für das wichtigste Ritual: die Beschneidung. Erst damit war er aufgenommen in die Welt der Männer. Dann erst könnte er seinen Mut und seine Männlichkeit beweisen.

Bier war in Mengen gebraut worden, und viele Älteste trafen allmählich ein. Zwei waren schon früh am Morgen gekommen und schlachteten jetzt eine Ziege. Alle sollten Fleisch essen. Und die Geister der Toten und der Lebenden würden angerufen werden, an dem Ritual teilzunehmen.

Die Zeremonie dauerte nicht lange, und der Vorgang war einfach. Die Mutter hockte in Gebärstellung in ihrer Hütte nahe bei der Feuerstelle. Waiyaki saß zwischen ihren Schenkeln. Eine Sehne der geschlachteten Ziege, mit der man die Mutter und ihn verbunden hatte, war die Nabelschnur.

Eine Frau, alt genug, um eine Hebamme zu sein, durchschnitt die Schnur. Das Kind begann zu weinen. Und die Frauen, die gekommen waren, die zweite Geburt des Kindes zu erleben, stimmten den Freudengesang an:

Alii-li-li-li-li-lii

Der alte Waiyaki ist geboren,

wiedergeboren,

das Feuer der Ahnen

weiterzutragen.

Eine Zeit lang vergaß Waiyaki, wer er war, und glaubte, Demi zu sein, der den Wald rodete, während ein ganzer Stamm ihm folgte. Aber als er aufschaute und sich nur von alten Frauen umgeben sah, fing er erneut an zu weinen wie ein kleines Kind. Er hatte Angst. In seinem Innersten tat es ihm weh. Er schloss die Augen, und einen Moment lang durchfuhr ihn die irrsinnige Vorstellung, sie nicht mehr aufzubekommen. Er versuchte, die Augen weit zu öffnen. Er zitterte und bebte, ihm war kalt. Die Frauen fuhren fort mit ihrem Freudengesang, doch Waiyaki nahm sie nicht wahr. Ihre Stimmen waren ein entferntes Summen, ähnlich dem Bienenschwarm, der in einem Traum über ihn hergefallen war. Immer noch musste er weinen. Die Leute bekamen es mit der Angst. Das passierte sonst nicht.

Einige Stunden später ging seine Mutter aufs Feld. Waiyaki trottete mit seinem kahl geschorenen Kopf hinter ihr her, so wie ein kleines Kind seiner Mutter nachläuft. Sie ging zum Honia, und er folgte ihr. Sie tauchte ihn ins Wasser, und damit war er gereinigt.

Er ging früh schlafen. Eine seltsame Leere breitete sich in ihm aus. Er war froh, dass die Feier vorbei war. Aber es regte sich auch Stolz in ihm. Nun war er bereit für die Beschneidung.

4

Schon bald fand sich Waiyaki wieder in den alltäglichen Rhythmus des Dorfes ein. Er hütete die Viehherden, organisierte Streifzüge, ging zum Jagen. Er nahm teil an den Tänzen der Jungen und war zufrieden. Die Tage kamen und gingen, das Leben verlief in gewohnten Bahnen. Seine Augen hatten den starken, durchdringenden Ausdruck behalten. Manche Leute sagten, dass in diesem Leuchten etwas Böses sei. Den Blick hatte er vom Vater; trotz seiner vielen Runzeln und Falten im Gesicht waren seine Augen jung und lebendig geblieben.

Eines Abends, einige Wochen nach seiner zweiten Geburt, wurde Waiyaki zu seinem Vater in die thingira gerufen, wo er gerne Unterredungen führte. Waiyaki trat leise ein, unsicher wie immer, wenn er seinen Vater traf. Chege saß auf seinem Platz am Pfosten. Ziegen und Schafe lagerten um ihn herum und ließen ein leises Schnarchen hören.

»Setz dich«, sagte Chege und wies auf den kleinen, vierbeinigen Hocker, der mit den Beinen nach oben neben einem dicken Schaf in der Nähe der Feuerstelle lag. Waiyaki stieß das Schaf mit dem Fuß in die Seite, um einen Platz zum Sitzen zu finden. Das Tier rührte sich nicht, und Waiyaki setzte sich daneben.

»Wohin treibst du das Vieh morgen?«

»In das Nyeri-Tal.«

»Warst du schon einmal in den Bergen südlich von Kameno?« Chege sprach langsam. Abgesehen von einem leichten Zittern, klang seine Stimme jung und klar.

»Nein«, antwortete Waiyaki nach einer kurzen Pause. Er überlegte, ob er diesen Ort kannte, und er wunderte sich, warum sein Vater ihm diese Frage stellte.

»Hast du von dem heiligen Hain gehört?«

»Ja, wir haben davon gehört.« Dann war wieder Schweigen. Waiyaki wurde vor Neugier unruhig.

»Lass morgen die Rinder und Ziegen bei deiner Mutter. Wir gehen in die Berge.«