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Salidor, der Elf ist verzweifelt. Als ob es nicht schon schwierig genug wäre, die wilde Bande tollpatschiger Drachenbabys zu betreuen, die seinen wohlgeordneten magischen Kräuterladen auf den Kopf stellen. Nein, nun fallen ihm auch noch die Zwerge in den schmalen Rücken. Wie konnte er nur so naiv sein, beim magischen Rat für sie zu bürgen, er wußte doch, dass sie nur Zwergenbier, Gold und Dummheiten im Kopf haben. Zudem nervt Champignioll, ältester und mit Abstand bläsiertester Magier der Elfen, mit seiner Prophezeiung von einer "Kreatur der Dunkelheit", die die Menschen angeblich bedroht. Da gilt es, einen klaren Kopf zu bewahren, zumal schon die Unkerei von Champignioll sich leider allzu schnell als begründet erweist. In diesen ganzen Schlamassel geraten Bernie und Peter, zwei Menschen mittleren Alters hinein. Deren Leben verlief bis dato fast schon langweilig ruhig. Doch mit diesem Müßiggang ist es nun vorbei. Peter, der große, gutmütige Dicke wird bei dem exzentrischen Zwerg Zwubicks einquartiert, weil es in seinem Weinkeller nicht mehr mit rechten Dingen zugeht und er nur knapp einem Anschlag entgeht. Bernie, der hochsensible Intellektuelle Loser verliebt sich ausgerechnet in Bea, eine schöne Waldfee, was Champigniolls Eifersucht erregt. Die verschiedensten Charaktere reiben sich aneinander. Falls sich doch einmal das trügerische Idyll von Frieden und Harmonie einschleichen sollte, gibt es da immer noch Muppel, das ist Peters frecher, selbst- und Wein verliebter Papagei. Mal hilft er ihnen in höchster Gefahr, mal bringt er durch seine Schusseligkeit, seine krankhafte Eifersucht und seine Vorliebe für ein gutes Tröpfchen die beiden Freunde erst recht in Schwierigkeiten.
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Seitenzahl: 384
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Impressum
der freche Papagei
Muppel und die Reise zum Zauberbaum
von Yule Dackelpfötchen
Copyright: © 2014 Yule Dackelpfötchen
Verlag: epubli GmbH, Berlin,www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-1783-6
Covergestaltung Yule Dackelpfötchen
Inhaltsverzeichnis
Der Märchenwald
Peter, Muppel und das Gelage
In Peters Garten
Das Rubbellos
Salidor
Der Zwerg Zwubicks
Im alten Weinkeller
Zu Gast bei Zwubicks
Zwubicks Problem
Nachtwanderung in die Smaragdhöhle
Lavendula verzaubert Peter
Der Wächter der Quelle
Afrika wartet
Neue Freunde
Die Hexe
Zum Zauberbaum
Allein
Auf Leben und Tod
Die Größe des Universums ist unermesslich. Selbst das Licht, das ja doch recht schnell ist, braucht Milliarden von Jahren, um es zu durchqueren. Viel Platz also für kleine und große Planeten. Man sagt, es gäbe dort draußen mehr davon als Sandkörner auf der Erde.
Auf einem solchen „Sandkorn“ spielt diese Geschichte. Es handelt sich um eine Parallelwelt unserer Erde, eine Kopie, die aber nicht vollständig gelungen ist und in einigen, wenigen Bereichen eklatante Unterschiede aufweist.
Jedenfalls nennen sich die intelligenten Zweibeiner dort Menschen und ihren Planeten Erde, genau wie hier, es gibt fünf Kontinente, vier Jahreszeiten, Tiere, Pflanzen, Trauer und Freud, Haß und Liebe und eine Sonne, die über all dieser Vielfalt strahlt.
Auch Freundschaft gibt es dort. So wie die zwischen Bernie und Peter, die sich von klein auf kennen und zusammen durch dick und dünn gehen. Die Geschichte beginnt an einem besonders sonnigen Frühlingsmorgen auf jener Welt. Sowohl Bernie, als auch Peter schlafen noch. Es ist nämlich gerade ein Feiertag dort in dem Land, in dem die Beiden leben. Vielleicht haben sie auch ein paar Gläschen Wein zuviel getrunken, auf der Geburtstagsfeier am Abend zuvor. Ganz sicher aber steckt ihnen noch der Schreck in den Knochen, den sie auf ihrem nächtlichen Heimweg durch den Wald erlitten haben und zwingt sie, das Geschehene in langen Träumen erst einmal ausgiebig zu verarbeiten.
So schlief Bernie bis weit in den sonnigen Mittag des nächsten Tages hinein.
Weder das liebliche Maienkonzert der Vögel in seinem Garten, noch das allmorgendliche hektische Hin- und Hergewusel seiner Vermieterin in der Etage über seinem Kopf, vermochten ihn seinem Schlaf zu entreißen. Auch das Brummen, Rattern und Gekreische der verschiedensten Elektro- und Benzin gespeisten Gartengeräte in der Nachbarschaft, die ihn schon so manchen Morgen einiges an Nerven gekostet hatten, blieb an diesem Morgen ohne Chance.
Die Sonne, die in Peters Schlafzimmer fiel, sah ein recht identisches Bild.
Hier gab es allerdings jemanden, dem dieses Idyll ganz und gar nicht in den Kram paßte. Dieser Jemand guckte mürrisch aus blau- grün- grauem Gefieder und hieß Muppel, es war Peters cholerischer Papagei. Nun beklagte er sich bereits seit Stunden lautstark über die ausbleibende, gewohnte allmorgendliche Zuwendung seines Herrchens, ohne geringste Reaktion! Dank der massiven Bauweise von Peters Schlafzimmertür war das wütende Gekreische nämlich tatsächlich noch nicht so recht bis in dessen tief im weichen Kissen vergrabene Ohren vorgedrungen.
Das machte Muppel wirklich sauer! Hatte der Dicke ihn schon wieder vergessen? In seinem winzigen Papageienhirn kam das einer sträflichen Beleidigung seiner gefiederten Majestätsperson doch schon recht nahe und somit steigerte er sich in eine stakkatoartige Raserei und Wüterei, der schließlich selbst das zentimeterdicke antike Holz der Schlafzimmertür nichts mehr entgegensetzen konnte. Somit wachte Peter auf.
Noch im Halbschlaf wußte er sofort was zu tun war. Prinz Muppel gelüstete nach Nahrung und die Befriedigung dieser Gelüste duldete keinen Verschub. Nachdem er Muppel versorgt hatte und dieser schon ein klein bißchen weniger finster dreinblickte, fand er in seinen Gedanken zurück zu den erstaunlichen Erlebnissen der letzten Nacht. War das wirklich geschehen, oder war die Nachtwanderung durch den Wald bereits Teil eines Traumes gewesen?
Er setzte sich an seinen Küchentisch und während Muppel die leeren Hülsen seiner Körner links und rechts aus seinem Käfig pfefferte, versuchte er eine Antwort auf diese Frage zu finden. Vor ein paar Wochen hatte er beim Räumen seines Speichers das uralte Tagebuch eines Mannes namens Ismael gefunden, in dem er erfahren hatte, das der Wald, in den man von seinem Haus aus über den Hügel hinweg in wenigen Minuten gelangen konnte, zu früheren Zeiten einmal Märchenwald geheißen hatte. Gemeinsam mit Bernie hatte er versucht, die übrigen, teils stark vergilbten und vermoderten Passagen des Buches zu entziffern. Soviel war ihnen dabei klar geworden, dieser Ismael musste große Angst vor etwas gehabt haben, das auch in Verbindung mit dem Märchenwald gestanden haben musste. War es wirklich Zufall? Bernie und er hatten kurze Zeit später eine Einladung zur Geburtstagsfeier eines gemeinsamen flüchtigen Bekannten erhalten, dessen Einsiedlerbehausung ausgerechnet auf einer abgelegenen kleinen Lichtung am anderen Ende des Märchenwaldes lag. Etwas mulmig hatten sie diese Einladung aber dann doch angenommen. Tatsächlich war es dann auch ein sehr gelungener Abend gewesen und nach feucht fröhlichem Gelage hatten Bernie und er in alkoholbestärktem Übermut beschlossen, zu Fuß durch den Wald heimzugehen. Und dort, bei der Wegekreuzung waren ihnen dann die Zwerge begegnet. Zwerge! Konnte das sein, die gab’s doch sonst nur in Märchenbüchern...
Wenig später klingelte Bernie ihn aus diesen Grübeleien und gemeinsam beschlossen sie, der Sache auf den Grund zu gehen und so waren sie nun tatsächlich auf dem Weg zurück in den Märchenwald.
Mit jedem ihrer Schritte den Hügel hinauf dem Waldesrand entgegen wuchsen ihre Nervosität und Neugier. Sie hatten vor, nach Spuren zu suchen. Spuren von Zwergen. Nach irgend einer Bestätigung, dass nicht der Alkohol ihnen in der vergangenen Nacht einen Streich gespielt hatte. Die Sonne strahlte ungewöhnlich stark, es war warm und der Wald zeigte sich ihnen von seiner angenehmsten Seite. Alles sprießte und duftete am Wegesrand, Vögel und allerlei anderes Getier bezeugte mit ihrem Gesang und seinen Geräuschen die Wiederkehr des Frühlings,- Eindrücke, die in der Nacht zuvor gänzlich gefehlt hatten und die ihnen nun ein gewisses Gefühl der Sicherheit gaben,- oder täuschte ihnen der Wald dieses nur vor?
Schließlich waren sie an der Wegkreuzung angekommen. Außer einem einsamen, emsigen Specht war weit und breit kein anderes Lebewesen zu sehen oder zu hören.
Wenn die beiden Freunde nun erwartet hatten, dort irgendwelche Zwergenaccessoires wie rot leuchtende Zipfelmützen etwa, oder Spuren kleiner schwerer Zwergenstiefel am Boden vorzufinden,- dann wurden diese Erwartungen enttäuscht.
So suchten sie weiter unterhalb am Bach und zwischen den Tannen links und rechts der Kreuzung, fanden aber auch dort nichts, was dort nicht hingehört hätte. Nach einer Stunde standen sie wieder auf der Kreuzung. Es blieb nur noch ein Weg, den sie noch nicht untersucht hatten. Die Blicke ihrer Augen wanderten die schmale Linie des nach Norden steil ansteigenden Pfädchens hinauf, bis diese nach wenigen Metern einen heftigen Knick machte, um sich sogleich hinter dichten Tannen ihrer Sicht zu entwinden.
Es sah selbst bei Tageslicht aus wie ein Tunnel, den man dort betreten konnte. Die Bäume, die links und rechts stehend, dessen Wände bildeten, hatten sich im Laufe etlicher Jahre im oberen Bereich gegeneinander gelehnt, so als müßten sie sich in ihrer schweren Last gegenseitig stützen und bildeten so eine hölzerne Tunneldecke. Menschen und Tiere zogen es vor, sich von diesem Ort fernzuhalten, denn er hatte eine spürbar unheimliche Ausstrahlung. Gerüchte besagten, es handele sich um einen Opferplatz vergangener Kulturen.
So betrat der vorsichtige Bernie vorneweg den Tunnel in dem es kalt war, da die Strahlen der Sonne hier das dichte Nadeldach nicht durchdringen konnten.
Da der Tunnel fast alle paar Schritte eine abrupte Richtungsänderung machte, so als ob der Pfad ebenfalls davor scheuen würde, als ob auch er Zeit heraus schinden wollte, die Lichtung zu betreten, war Bernie fast erschrocken, als sie nach einer weiteren Windung unvermittelt die kleine kreisrunde Lichtung am oberen Ende erreicht hatten. Das in Vergleichen vielbemühte Licht am Ende des Tunnels,- normalerweise hätte dieses süße Licht der Sonne ihr Gemüt nun ein wenig erhellen müssen, doch da ragte nach wie vor dieser anderthalb Mann hohe Stein aus der Erde, oben wie eine leicht schräg stehende Tischplatte abgeflacht, die dem Gerücht der einstigen Opferbringung keinesfalls abwegig war.
So standen sie einige Zeit nebeneinander, die Köpfe gehoben und betrachteten furchtvoll diesen Stein, lauschten in ihn hinein.
Nichts, absolute Totenstille. Kein Vogelgezwitscher, keine Grille, kein Rauschen des Windes.
„Äh, Bernie, ich ...“, Bernie zuckte zusammen, als Peters Stimme die Stille plötzlich durchriß, es war, als hätte ihn sein Freund durch ein Megaphon hindurch angesprochen.
„Glaubst du wirklich, das dies ein Platz ist, an dem sich Zwerge wohl fühlen würden?“.
„Da hast du irgendwie recht, Peter. Trotzdem. Jetzt sind wir nun einmal hierher gekommen. Ich werde mich auf jeden Fall mal ein wenig umsehen.“.
Er ging langsam und vorsichtig um den Stein herum und versuchte dabei, in den ungewöhnlich dichten Ringen der Tannen, die die kleine Lichtung umgaben, etwas Außergewöhnliches wahrzunehmen. Aber da gab‘ s nur blickdichte Äste und Tannennadeln.
Peter, der ebenfalls mehrere Runden um den Stein drehte, kam zu dem selben Resultat. Auch am Boden fanden sich keinerlei Spuren.
Peter wollte bereits erleichtert den Rückweg antreten, doch Bernie hielt ihn zurück.
„Warte mal, kannst du dich noch an das Gerücht erinnern, der Wald oberhalb des Steins sei so dicht, dass es unmöglich sei, ihn dort zu durchqueren?“
Auch Peter hatte früher einmal davon gehört. Einige Kinder aus dem Ort, die hier ihre Mutproben vollbracht hatten, behaupteten dies.
Wie Peter zurecht befürchtete, wollte sich Bernie davon überzeugen, dass an diesem Gerücht nichts dran sei.
Nervös beobachtete er, wie sein Freund genau oberhalb des Steines zwischen die Tannen trat und erwartete ohne weiteres, diesen zwischen den Zweigen verschwinden zu sehen.
Das aber war nicht der Fall. Es sah ganz so aus, als ob Bernie sich gegen eine unsichtbare Barriere anstemmte, Peter sah, wie er mit Armen und Beinen arbeitete wie ein Traubenpflücker bei der Lese, sich dabei aber nicht einen Zentimeter weiter in den Wald hinein bewegte. Jetzt wurde ihm noch unbehaglicher zumute. Daher war er sehr froh, als Bernie, dem von der vergeblichen Anstrengung der Schweiß auf der Stirn stand, sich umdrehte und mit besorgtem Blick zu ihm zurückkam.
„Laß uns von hier verschwinden Peter. Das ist mir doch zu unheimlich. Da ist wirklich kein Vorwärtskommen. Das ist Hexerei! Und warum ist es so still hier? Kein einziger Vogel zu hören. Findest du das nicht auch merkwürdig?“
Plötzlich bekam es Peter richtig mit der Angst zu tun. Es war, als hätte Bernie durch seine Unkerei ein in seinem Bewußtsein verankertes Sicherheitsventil von dessen Sperrstöpsel befreit. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, lief er in den Tunnel und verschwand darin. Gerade wollte Bernie ihm folgen, als eine unsichtbare Macht ihn dazu veranlaßte, seinen Kopf ein letztes Mal zurück zu wenden. Es war, als hätte jemand ein Seil an seiner Nasenspitze befestigt und zöge nun mit Brachialgewalt daran, er konnte dieser Kraft nichts entgegensetzen. Und siehe da, dort droben auf dem Stein, wo vorher garantiert nichts außer purer Luft gewesen war, saß nun plötzlich ein über beide besonders langen Ohren grinsender, bärtiger alter Mann, dessen Beine lässig über den Rand des Steines herab baumelten. Seltsamerweise knipste dieser Mann ihm ein Äugelchen. Während er dies tat, fuchtelte er mit einem kurzen Stock wie wild in der Luft herum und murmelte merkwürdige, Bernie gänzlich unverständliche Worte.
Der Bärtige trug eine Art Robe, sie war in einem feinen, sehr farbintensiven Dunkelviolett, auf dem sich Kugeln und Kringel in so schrillen Farben abhoben, dass es Bernie in den Augen schmerzte.
Die Robe hing über seine Knie hinab bis zu seinen lächerlich langen, wie Pfeilspitzen zulaufenden Galoschen.
Bernie wollte seinen Freund zurückrufen, doch er stand bloß wie angewurzelt, mit akuter Maulsperre und war auch darüber hinaus unfähig, irgend etwas zu unternehmen. Dann winkte ihm der unglaublich vergnügt wirkende Alte mit der linken Hand zu, mit der rechten fuchtelte er immer noch in der Luft herum und war urplötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Im selben Moment verschwand auch das lähmende Gefühl aus Bernies Körper und ein lautes „Peeeeeeeeeeter“ entfuhr seinem vor Staunen weit offen stehenden Mund, bevor er seine langen Beine unter die Arme nahm und den Tunnel hinab rannte so schnell er nur konnte. Vollkommen atemlos stoppte er erst, als er neben seinem staunenden Freund wieder auf der Waldkreuzung angekommen war.
Ganz klar, dass Bernie wieder und wieder erzählen mußte, was er dort auf der Lichtung gesehen hatte. Letztlich, bei Peters Haus angekommen, wußte dieser gar nicht mehr, wo ihm der Kopf denn nun stünde. Bernie ging es angesichts der merkwürdigen Begegnung nicht anders. Er zweifelte nun langsam doch ein wenig an seinem Verstand. Außerdem mußte er dringend eine Überweisung auf der Dorfpost abgeben, das Finanzamt wartete nun mal nicht gerne. Also beschlossen sie, sich am Abend erneut bei Peter zu treffen.
Bei einem Gläschen Wein und in der Ruhe und vermeidlichen Sicherheit von vier Wänden würde man dann schon weitersehen.
Bernie hatte sich, kaum daheim angekommen, sogleich auf sein Bett geschmissen, um ein wenig nachzudenken und seine innere Ruhe wenigstens teilweise wiederzugewinnen. Während einer Yogaübung, die er zu diesem Zwecke ausführte,- es war die, bei der man einfach nur daliegen und die Erdanziehungskraft auf seine sämtlichen Gliedmassen solange einwirken lassen mußte, bis Arme und Beine ganz schwer wurden, seine Lieblingsübung, schlief er ein.
Darauf hatte sein Unterbewußtsein nur gelauert. Schon wenig später fand sich Bernie mitten in einem obskuren Horrorszenario eines Traumes wieder, gefangen, nicht nur in seiner Traumwelt, sondern auch in den klebrigen, fesselnden Fäden eines gigantischen Spinnennetzes. Sein erster Gedanke „wo ist die Spinne?“ beantwortete sich ihm schneller, als ihm lieb war. Ein Zucken ging durch das Netzwerk und als Bernie seinen Kopf zu dessen Ausgangspunkt richtete, sah er sie. Was für ein garstiges Vieh! Und wie groß erst mal. Er hatte sich schon vor Spinnen geekelt, wenn er eine Ausgabe in normaler Größe in einer Ecke seines Klos entdeckt hatte. Nur hatte er da nicht die Abmessungen einer Stubenfliege gehabt, so wie jetzt gerade. Er blickte sich weiter um. Tja, wie es aussah, war er das einzige Delikatesshäppchen auf dieser klebrigen Spielwiese. Das achtbeinige Monster kam, wahrscheinlich seinen Nährwert mit den verwirrend zahlreichen Augen abtaxierend, näher gehangelt. Bernie zappelte und strampelte, doch der natürliche Superkleber der Fäden hielt seinen Befreiungsversuchen problemlos stand. Die Spinne hatte nun schon die Hälfte ihres Weges bis zu ihm zurückgelegt.
Doch als das Insekt ihn fast erreicht hatte, hörte Bernie ein Quieken und Jaulen und Gröhlen aus vielen rauhen Kehlen und er blickte nach vorne. Dort kam eine ganze Armee winziger Zwerge, ihre Äxte, Hämmer und Spitzhacken über ihren behelmten Köpfen schwingend, angerannt. Ihr Anführer war der kleinste der drei Zwerge, die Bernie vielleicht (selbst in seinem Traum zweifelte er noch daran) in der Nacht zuvor im Märchenwald gesehen hatte.
Wild fluchend und auf die Spinne schimpfend, erreichte die Zwergenmeute die unteren Enden des Netzes und die Zwerge begannen, einer nach dem anderen, wild hin und her schaukelnd, daran empor zu klettern. Bernie freute sich und wollte seinen Kopf in Richtung Spinne drehen, um sie zu verhöhnen und zu verspotten, doch in diesem Moment hörte er ein vertrautes Geräusch aus der entgegengesetzten Richtung. Ein leises Klingeln. Kleine, aber wichtige Glocken läuteten.
Ring. Ring. Ring. Bernie wurde wach, ehe die ersten wütenden Zwerge die verdutzte Spinne erreicht hatten. Das Telefon in seinem Büro klingelte Sturm. Noch halb vor sich hin dösend und phantasierend sprang er aus dem Bett und rannte auf den Gang. Unterwegs kollidierte er, wie so oft gerade dann, wenn er keine Schuhe anhatte, mit einer der Getränkekisten im Flur. Vor Schmerz auf einem Bein hüpfend und wild vor sich hin fluchend und trotzdem froh, der seinem Traum entronnen zu sein, kam er schließlich beim Telefon an. RING – RING – RI... „B U R G U S!“ brüllte er, leicht verärgert über die Hartnäckigkeit des Anrufers in den Hörer.
„Schrei mich bitte nicht an...“, sagte, oder besser, lallte die männliche Stimme am anderen Ende, es war Peter.
„Hallo Peter, was rufst Du denn in meinem Büro an, schon wieder meine Privatnummer verloren?“ fragte Bernie.
„Privathummer geschoren? Bist Du betrunken oder was, ... hicks?“ antwortete Peter mit einer Stimme, die Bernie sofort verriet was los war.
Offensichtlich hatte Peter doch Probleme gehabt, die Erlebnisse der letzten Stunden zu verkraften und hatte zu seinem favorisierten Allheilmittel gegriffen.
„Oh Peter, hast Du schon wieder Deinen Weinvorrat dezimiert?“ fragte Bernie.
Betretenes Schweigen am anderen Leitungsende.
„Hast du wieder etwas angestellt?“
„Ich? Nie! Du kennst mich doch Bernie, Du kennst mich doch ...“, kam es Glaubwürdigkeit heischend aus dem Hörer.
„Eben deshalb. Was ist passiert? Ich wollte eigentlich erst in einer Stunde bei Dir drüben sein, soll ich lieber gleich vorbeikommen?“
„Besser wär’s vielleicht. Mir ist da was Dummes passiert..., hicks“. Peters Stimme klang beschämt. „Okay, ich bin in zehn Minuten bei Dir drüben, mach bis dahin keine weiteren Dummheiten!“ schwörte Bernie seinen Freund ein. Doch der regte sich auf: „Dummheiten? Ich? Ich bin doch kein kleines Kind! Ich mach niemals Dummheiten. Nie!“ – „Bis gleich Peter“, lachte Bernie und legte den Hörer auf.
Nach den üblichen Fehlzündungen sprang sein liebevoll gepflegter Oldtimer an und Bernie bog auf die Landstraße die zu dem Ort führte, in dem Peter wohnte.
Unterwegs erinnerte er sich an das letzte Mißgeschick seines Freundes. Peter hatte von irgend einem Verwandten, der ihn anscheinend entweder nicht besonders gut kannte, oder vielleicht auch nicht besonders gut leiden konnte, ein ferngesteuertes Flugzeug geschenkt bekommen. Das Flugzeug, eigentlich eher klein und harmlos, war erst durch den am Bug angebrachten, Kerosin getriebenen Motor zur potentiellen Gefahr in Peters ungeschickten Händen geworden. Irgendwie jedenfalls, vielleicht lag es daran, das er nicht ganz nüchtern gewesen war, hatte dieser es geschafft, damit einen friedlich vorbei schwebenden Fesselballon anzubohren und zur Notlandung zu zwingen.
Natürlich war der Fahrer des Ballons ganz schön angefressen gewesen. Bernie, der kurz nach der Polizei am Ort des Geschehens eingetroffen war, hatte damals alles für seinen erschrockenen Freund geregelt, was diesem im Nachhinein gar nicht so sonderlich gepaßt hatte, da er es seiner Vorstellung nach war, der umgekehrt dem armen Bernie in väterlicher Manier durchs Leben helfen mußte. Er ließ den gutmütigen Dicken gerne in diesem Glauben.
Aber heute war Peter daheim, das beruhigte Bernie. „Das heißt, es hat diesmal wenigstens seine eigenen Sachen erwischt.“
Als er seinen Oldtimer auf dem Parkplatz vor Peters antikem Haus abgestellt hatte, fiel ihm ein, dass er seinen Freund schon lange mal fragen wollte, in welchem Jahr das Haus überhaupt erbaut war. Dem Aussehen der massigen Mauern, mit den unregelmäßig geformten, hier und dort teilweise daraus herausragenden dunklen Steinblöcken zu schließen, war es jedenfalls uralt. Bernie ging an Peters verbeultem Auto vorbei die schmale Holztreppe hoch und klingelte. Immerhin, Elektrizität gab es in dem alten Gemäuer. „Komm rein, Tür ist auf“, hörte er seinen Freund von drinnen mit etwas jämmerlich klingender Stimme rufen. Während er in die Wohnung trat, hoffte Bernie, das sein Freund trotz dessen offensichtlichen Alkoholkonsums, wenigstens noch ansprechbar genug war, um mit ihm über ihre gemeinsamen Märchenwaldbegegnungen zu sprechen.
Doch als er die Küchentür öffnete, bot sich ihm ein altbekanntes Bild, eine Dreierkonstellation der Art: kaputter Gegenstand / Arsenal leerer Weinflaschen / verdatterter Peter.
Leider war der kaputte „Gegenstand“ blau-grün, hatte einen krummen, roten Schnabel, zerzauste Federn und ziemlich glasige Augen. Es war Muppel, Peters frecher Papagei.
Der sturzbetrunkene, gefiederte Kerl lag mit geöffneten, kleinen, vom Suff geröteten Äuglein Richtung Käfigdecke starrend, auf seinem Papageienbuckel und streckte Bernie die winzige Zunge raus. Peter sah sehr schuldbewußt drein. Seine riesigen Hände hatte er artig über seinem durch stetigen Weingenuß auf ansehnliche Größe gewachsenem Bauch verschränkt.
„Er hat mich so lieb angesehen mit seinen kleinen Äuglein Bernie, da hab ich mir gedacht,
so’ n bißchen Wein wird dem Kerlchen doch sicher gut tun und da hab ich sein Schüsselchen genommen und ...“, gestand er gesenkten Hauptes „... den armen Vogel zum Säufer gemacht!“ beendete Bernie das Geständnis streng.
„Aber Bernie, ich wollte doch nur, äh, ich meine ich konnte doch nicht, äh, der arme Kleine sollte doch nicht denken das ...“, tottelte Peter. „Denken Peter. Denken! Das ist das Stichwort.“ Bernie versuchte den Papagei auf eine Stange zu setzen. Vergebens. Der sah ihn nur delirisiert an, um sofort wieder vom Stengel herabzufallen.
Jetzt guckte Peter wirklich schuldbewußt. „Der Piepmatz verkraftet das doch, oder Bernie?“.
Bernie überlegte kurz, ob eine Anwendung der Schocktherapie vielleicht doch mal sinnvoll bei seinem Freund wäre, aber er brachte es nicht übers Herz, weil er wußte, das Peter selbst immer sehr unter dem litt, was er anrichtete, besonders wenn davon Mitmenschen oder Mitlebewesen betroffen waren.
„Mach dir keine Gedanken um den Vogel, Peter. Der schläft jetzt seinen Rausch aus und morgen Abend weis er außerdem, wie sich so ein richtiger Kater anfühlt. Besser ein Kater im Papagei als umgekehrt...“, lachte er und klopfte Peter beruhigend auf den Rücken. „Aber Du solltest ernsthaft mal erwägen, mir mal eine Zeit lang den Schlüssel zu Deinem Weinrefugium zu geben“, sagte er mit gespieltem Ernst. Er wußte, wenn es Eines gab, an dem Peter besonders hing, dann war es sein Weinkeller inklusive der darin lagernden, in buntem Glas aufbewahrten flüssigen Kostbarkeiten. „Du bist wohl mit der Muffe gepufft?“ Peter schnappte nach Luft. „Dann schenke ich sie lieber direkt unserem Pfarrer, der weis sie wenigstens zu schätzen ...“, prustete er.
Bernie hatte mittlerweile den Wein in dem kleinen Trinkschüsselchen des Papageis gegen Wasser ausgetauscht und den Käfig mit einem dezent beigen Tuch abgedeckt.
„Der fährt jetzt Papageien- Karussell“, grinste Bernie und ging zu Peters Küchentisch.
Er wollte sich gerade auf die Eckbank dahinter zwängen, als Peter auch schon angesprintet kam, einen der beiden Stühle am Tisch herauszog und ihm diesen Platz anbot.
Da war irgend etwas faul. Oberfaul! Peter war zwar hilfsbereit, manchmal bemutterte und bevaterte er Bernie gleichzeitig, aber sich so willfährig zum Lakaien zu machen, das paßte nicht zu ihm.
„Was ist los, Peter? Willst Du dich etwa auf die Eckbank zwängen?“ fragte Bernie schelmisch lächelnd, obwohl er genau wußte, dass dies, wenn es nur nach rein physikalischen Gesetzen ginge, gänzlich unmöglich war.
„Öh, nä Bernie, ich will nur grad` n bißchen für Ordnung sorgen“, antwortete dieser, kleine Schweißperlen auf der Stirn, nahm die dicke Tageszeitung vom Tisch und beugte sich, mit dieser in der Hand hinunter zur Eckbank, die Hand geschickt verdeckt durch Tisch und Zeitung. Doch Bernie war schneller. Er kannte den Trick mit der vorgehaltenen Zeitung. Dahinter konnte man ideal etwas Kleineres, einem selbst vielleicht Unangenehmes, verschwinden lassen.
„Na was haben wir denn da?“ – Bernie legte das Buch, das aufgeschlagen auf der Eckbank gelegen hatte auf den Tisch und klappte es zu, so dass der Titel zu sehen war.
Es war „der kleine Muck“! Er hatte das Märchen von Wilhelm Hauff selbst auch schon gelesen. Allerdings im Alter von Sieben Jahren. Die Differenz zwischen der Figur des kleinen, gewitzten Mucks, so wie Hauff ihn beschrieben hatte und dem jetzt sehr verlegen von einem Fuß auf den anderen wechselnden Zweimetermanns Peter war so eklatant, das Bernie sich fast beeumelt hätte vor Lachen.
„Wann soll‘s denn los gehen in die weite Welt Peter? Hast du Deine Zauberpantoffeln schon klar Schiff gemacht?“ stichelte er den armen Kerl.
„Verzaubert sind Deine Pantoffeln ja, wahrscheinlich irgend eine Art von Verwesungszauber innen drin...“, setzte er noch eins drauf.
„Das ist nicht zum Spaßen, Bernie“ sagte der Gepiesackte, mit einer leichten Spur aufkeimenden Zorns in der Stimme.
Bernie aber war gerade richtig in Fahrt: „Ich könnt meine Oma fragen, ob sie Dir ein Wämschen nähen kann und ein Stöckchen hast ...“
„Bernie, hör auf damit!“ rief Peter, mit gerötetem Kopf und jetzt wirklich etwas wütend, das war dann doch ernst zu nehmen.
„Ist ja schon gut Peter, was ist denn los?“ fragte Bernie, der seinen Freund gar nicht so kannte.
„Es ist nur ...“, „ich wünschte mir ...“, druckste Peter, während er dabei verlegen mit einem Fuß hin und her wackelte, herum. Offensichtlich fiel es ihm schwer, darüber zu reden.
„Vielleicht holst Du erst mal noch` n Fläschchen Wein aus dem Keller?“ schlug Bernie vor. Mit einem guten Gläschen Wein vor sich, fiel Peter das Reden leichter, das wußte er aus mannigfacher Erfahrung.
Während Peter, der diesen Vorschlag sogleich freudig annahm, unten im Weinkeller eine geeignete Flasche in den verstaubten Regalen suchte und sich dabei viel Zeit ließ, in der Hoffnung Bernie hätte seine nervige Frage vergessen, bis er wieder in der Küche erschien, überlegte sich dieser in der Zwischenzeit, was Peter wohl haben könnte. „Vielleicht hat er Komplexe, weil er so groß ist und wünscht sich, er wäre kleiner, so klein vielleicht, wie der Muck in dem Märchen?“ dachte er sich. „Hm, ist wohl doch zu abwegig“.
Aber genau so war es! Nach dem zweiten oder dritten Glas Wein rückte Peter endlich raus mit der Sprache. „Die Menschen starren einen immer so an, wenn man so groß ist wie ich. Immer fall ich auf. Ich kann mich nicht einfach in der Menge verstecken, weißt Du“, erzählte er.
„Und das würde ich manchmal echt gern, wenn ich mal wieder so ungeschickt war!“ erklärte Peter, kleine Tränen in den großen, gutmütigen Augen.
„Aber so schlimm ist es doch wirklich nicht, was Du so anstellst, Peter“ tröstete er ihn, wobei er kurz den abstürzenden Ballon und das verdutzte Gesicht des darin befindlichen Mannes vor sich sah, „und Du machst es ja nicht mit Absicht...“, ergänzte er laut - „... nur mit Wein“, dachte er still bei sich und hätte sich zur Strafe fast verschluckt.
Es war schon später am Abend, als sich Bernie darauf zurück besann, warum er sich überhaupt mit Peter getroffen hatte. Vor lauter armer Muppel und „kleiner Muck“ - Syndrom hatten sie doch fast vergessen, das der Märchenwald und die vielleicht darin wandelnden Wesen ihr eigentliches Thema hätten sein sollen.
Peter steckte sich eine von seinen stinkenden Qualmstengeln an. Das war ein sicheres Zeichen dafür, das ihm bereits wieder der Wein zu Kopf stieg. Auch Bernie selbst merkte langsam, wie er zunehmend beschwipster wurde.
„Das kann nur ein Zauberer gewesen sein, den Du da gesehen hast Bernie, hicks. Ich ka.., ich kenne die aus meinem Computerspiel! Die sehn da immer so aus. Genauso wie der! Alle immer mit gaaaanz langem Bart!“.
„Und er hat mir zugewunken! Aber wenn er echt war, warum hat er dann nicht mit mir geredet?“ meinte Bernie nachdenklich, die in Falten gerunzelte Stirn knapp über seinem Weinglas balancierend.
„Vielleicht war es doch ein bißchen zu warm für deinen Kopf, Bernie, hicks, ....?“.
„Du meinst, ich hätte vielleicht doch hazulliniert, äh halluzifiert oder wie das heißt, hicks?“
„Möglich wär’s wohl ...“. So debattierten die Beiden noch eine geraume Zeit lang und kamen doch zu keinem rechten Ergebnis.
Aus dem klitzekleinen Fläschen, das sich die Beiden gerne noch gönnen wollten, wurden dann doch noch ein paar mehr und die Diskussion verlor letztlich etwas an Qualität, sodass hier nicht alles wiedergegeben werden soll. Wir blenden uns daher zu etwas späterer Stunde erneut ein, in der sich die Unterhaltung auf ein noch ein wenig tieferes Niveau hinab begeben hatte: „Hicks, Bernie, altes Warzenschwein, hicks...“, lallte Peter mit glasigen Augen „ich sag Dir was wirklich geil wäre, hicks ...“. Bernie, der sonst selten mehr als zwei, drei Gläschen trank, mit dem Wein- erprobten Peter nicht mithalten konnte, schielte seinen Freund fragend an.
„Weißt Du was man können müßte, hicks?“ meinte Peter. „Waaaas?“ brachte Bernie mühsam hervor.
„Man müßte zzzaubern können!“ sagte Peter entschlossen und erhob sich kurz von seinem Stuhl, um dieser Aussage mittels seiner puren, schwankenden Körpermasse den nötigen Nachdruck zu verleihen.
Sofort erinnerte sich Bernie an seinen größten Wunsch aus Kindheitstagen zurück. Ja, zaubern können, wer wollte das nicht gern? Er hatte es selbst oft genug versucht, aber er konnte es nicht den Gestalten gleichtun, die er aus den Büchern kannte: Aladin mit der Wunderlampe, Merlin, Gandalf, Dumbledore und wie sie alle hießen und der Phantasie von Barden, Märchenerzählern und Dichtern entsprungen waren. Aber sie lebten damals mit ihm, sie berieten ihn in schwierigen Situationen, sie lachten und weinten mit ihm, sie waren sein Trost, seine Hoffnung, seine Liebe. Doch dann, unmerklich fast, niedergezwungen, verbannt und vertrieben von den kleinen Grausamkeiten des Alltags, waren sie eines Tages verschwunden gewesen. Als er sie am meisten brauchte. Als er am einsamsten war. Da merkte er, wieviel Kraft sie ihm gegeben hatten. Er konnte nicht zaubern, aber diese Phantasiegestalten waren selbst wie ein mächtiger Zauber. Er wollte sie wiederhaben, sie zu neuem Leben erwecken. So hatte er die alten Bücher erneut hervorgeholt und gelesen und hatte sich diese Quelle wieder erschlossen. Allerdings hatten diese Bücher auch eine Art Nebenwirkung, wie sie unter Umständen auch gute, heilende Medikamente sonst manchmal haben: Er fing an zu phantasieren, auch er könne mit genügend Willenskraft zaubern, wenn er nur zu hundert Prozent davon überzeugt wäre, das ihm dies gelänge. „Ich denke, also bin ich!“. Wenn so etwas möglich ist, dieses Leben, diese Existenz als selbstverantwortliches Staubkorn in dieser riesigen Galaxie, dachte er sich, dann sollte es eigentlich auch möglich sein zu zaubern. Überrascht war er gewesen, als er gelesen hatte, dass er diese Vorstellung mit fast einem Drittel seiner Landsleute teilte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, beispielsweise Nachts ein Licht an seine Zimmerdecke zu zaubern, oder ein Streichholz mittels geistiger Kräfte zum Schweben zu bringen, nichts geschah. Natürlich war er, zusätzlich motiviert durch die belebende Wirkung des Weines, bezüglich Peters spontaner Aussage sofort Feuer und Flamme.
Und er war nicht die einzige Person im Raum, die Peters Wunsch gehört hatte.
„Ich kann zzaubern, hicks ...“, tottelte Bernie und erhob sich ebenfalls kurz von seinem Stuhl. Der Wunsch, als Vater des Gedankens, half ihm hoch.
„Sicher ... , Du kannst zzzzaubern, hicks. Der große Zzzzzauberer Bernie, ha ha, Ha!“ lachte Peter.
„Doch wirklich, ich kkkann zaubern, wart’s nur ab ich zeig‘ s Dir ...“ und er schwang seine langen Arme geheimnisvoll durch die Luft, wobei er Peter fast auf die Nase getroffen hätte.
„Was zzzauberst Du denn, Bernie?“ fragte Peter, jetzt doch mit leichter Unsicherheit in der Stimme.
„Ich, hicks – ich, hicks, ich laß Dich jetzt ssschweben!“ lallte Bernie. Er versuchte Peter anzufixieren wie ein Schlangenbeschwörer ein potentielles Opfer seines unbeugsamen Willens.
„Hebus Peterius!“ beschwor er mit fuchtelnden Armen, wobei er eine der leeren Weinflaschen vom Tisch fegte. Scheppernd fiel sie zu Boden, ohne dabei zu zerbrechen.
„Ha, ha, ich schwebe ja gar nicht, hicks“, freute sich Peter.
„Wwwar nur die fal..., die fal..., die verkehrte Zzzauberformel ...“, tat Bernie geheimnisvoll „wwwarte, gleich ha, hab ich’ s ...“, lallte er.
„Bist Du doooooof!“
„Aber jetzzzzztt...“. Bernie nahm einen dritten Anlauf. Die unsichtbare Person im Raum konzentrierte sich ebenfalls.
„Peterus Ballonus...........“, Bernie schwang erneut seine Arme und landete dabei mit der rechten Hand einen Treffer auf Peters geröteter Nase, der aber hatte ganz andere Sorgen. Er hatte nämlich kurz vorher beschlossen, Bernie einen Streich zu spielen, indem er sich ganz langsam von seinem Stuhl erheben wollte, um diesen Glauben zu machen, sein Zauber würde funktionieren.
Das war aber gar nicht mehr nötig, denn er flog plötzlich tatsächlich. Ja, er flog! Etwas zog ihn nach oben in Richtung Decke, seine Füße lösten sich vom Boden, wie sollte er es also sonst bezeichnen?
Bernie lag bereits auf dem Boden und lachte sich kaputt. Peter war gar nicht zum Lachen, denn er wußte, dass da wirklich etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Während er sich langsam, aber sicher der Decke näherte, kamen Bernie bereits die Tränen vor Lachen. Er raffte in seinem Suff gar nicht mehr, dass dies kein Gack von Peter sein konnte.
Dann ging alles ganz schnell. Die Schwerkraft im Raum, um Peter herum, war plötzlich wieder aktiv. Mit dumpfem Knall plumpste der schwere Kerl zu Boden. Bernie hatte sich physisch dermaßen weg gelacht, dass er vom vielen Weingenuß zusätzlich müde, an Ort und Stelle in tiefen Schlaf fiel.
Der mittlerweile total verwirrte Peter schaffte es nicht mehr, den bärentief schlafenden Freund zu wecken. Irgendwie war er auch nicht mehr in der Lage dazu, sich darauf zu konzentrieren. Er mußte sich zu sehr darauf besinnen, nicht durchzudrehen anläßlich seines kleinen Rundfluges, den er eben erlebt hatte.
Das Beste, und darauf besann sich der in dieser Beziehung erfahrene Peter auch, war in solch einer heiklen Situation, sich einen letzten Gute- Nacht- Schluck Wein zu genehmigen und nicht mehr weiter nachzudenken über das Geschehene. Am nächsten Morgen würde Bernie ihm schon erklären, wie er das gemacht hatte.
Der letzte Gedanke der Peter noch durch den Kopf ging, bevor er einschlief war: „oder kann
der Bernie am Ende wirklich zaubern?“.
Der goldgelbe Mondschein, der durch das Fenster auf die beiden Freunde, die auf dem mit Kacheln bedeckten Boden in Peters Küche ihren Weinrausch ausschliefen fiel, beleuchtete auch den Trompetenbaum in Peters Garten. Das war eigentlich nichts Außergewöhnliches, denn das kam durchaus des Öfteren vor.
Aber im nächtlichen Schatten der Pflanze mit den trompetenförmigen Kelchen ging etwas Merkwürdiges vor, - etwas wie es der Mond auf diesem Fleck Erde noch nicht gesehen hatte und er hatte immerhin schon einige Jährchen auf dem mit Kratern übersäten Buckel.
Vier winzige Wesen, keines davon größer als ein handelsübliches Streichholz und jedes mit ähnlich rot gefärbtem Kopf, waren dort heftigst miteinander am diskutieren.
Diese vier Wesen waren nicht immer so klein wie momentan, sondern hatten sich aus Gründen der Vorsicht zeitweilig selbst auf diese ungewöhnliche Größe geschrumpft.
Einer der vier Winzlinge, ein Mann in seltsamem, dunkelviolettem Umhang mit vielen bunten Kugeln und Kringeln darauf und langem, weißen Bart, stand mit verlegen gesenktem Kopf vor einer Frau, die von zwei Männern flankiert wurde.
Auch wenn die Frau noch so klein war, wurde man trotzdem von ihrer atemberaubenden Schönheit sofort in den Bann gezogen.
Sie hatte tiefschwarzes Haar, in dem sich der Glanz der Sterne spiegelte, das ihr, sich seidenweich ihrer wohlgeformten Figur anschmiegend, bis fast zur Taille herab reichte. Doch die eigentliche Faszination ging von ihren herrlichen Augen aus, die obwohl tiefschwarz wie ihr Haar, Liebe und Sanftmut ausstrahlten. Wer das Glück hatte, aus nächster Nähe in diese Augen sehen zu können, dem wäre allerdings auch die gezügelte Wildheit aufgefallen, die keinen geringen Anteil an diesem Glanz hatte.
Die Beschaffenheit und das Aussehen der Bärte der beiden Männer zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken, unterstrich deren jeweilige Physiognomie fast perfekt. Der des Linken lang und dünn wie ein Ziegenbart, aus empfindlich feinem, schlohweißen Haar, der des Rechten dagegen kraftvoll, massig borstig, in widerspenstigem Grau und Weiß. Der Langbart wie ein Leuchtturm, der Borstenbart, halb dessen Größe, ein Bollwerk an Muskeln.
Jedenfalls waren diese Drei abwechselnd ihre Köpfe am schütteln, um dann wieder wie wild auf den Langbärtigen einzureden.
Dieser hatte anscheinend etwas ausgefressen.
„Salidor, ich weiß ja, das Du den Menschen die Gewohnheit abgeschaut hast, einander Schabernack zu spielen, aber ehe wir nicht genau wissen, ob es vorbestimmt ist, dass einer dieser Beiden unser neuer Schüler werden soll, dürfen wir uns ihnen nicht offenbaren.“
Der Spargel an ihrer linken Seite nickte zustimmend. Er sah eigentlich eher weniger aus wie ein Mensch. Er hatte sehr blasse Haut und überhaupt war alles an ihm irgendwie sehr farblos. Seine Gesichtszüge und seine Mimik deuteten auf eine, vielleicht schon ungesund hohe, Sensibilität und Intelligenz hin, dies spiegelte sich auch in seinen blaß- blauen Augen wieder, wurde aber momentan von einem Ausdruck großer Müdigkeit überdeckt. Er sah so aus, wie einer dieser Elfen, die man in manchem Märchenbuch abgebildet sieht.. Zu diesem Bild paßte auch der obligatorische, lange Stab, auf den er sich stützte. Wenn man noch genauer hinsah, konnte man meinen, einen leichten Touch von Arroganz in diesen ansonsten so feinen Zügen wahrzunehmen. Aber hören wir einmal mit eigenen Ohren an, was er so zu sagen hat: „Bea hat Recht, Salidor. Wir müssen uns gedulden! Jeder besiegte Schüler stärkt die Macht der Dunklen. Die letzten beiden Schüler haben versagt. Das darf nicht noch ein drittes Mal geschehen. Es gibt noch keinen Grund zu überstürztem Handeln. Ich habe mit dem Rat der Lehrer gesprochen. In keiner der magischen Zonen wurde ein Anzeichen gefunden, das auf die Anwesenheit einer Kreatur der Dunklen deuten lassen.“
Der grau- weiße Kraftbart mit dem markanten Gesicht, offensichtlich ein Zwerg, der lässig am Stamm des Trompetenbaumes lehnte, übernahm trotzig mit sonorer Stimme das Wort: „Ich denke, wir sollten Salidor wenigstens einmal fragen, warum er den Dicken hat fliegen lassen. Also ich fand‘s lustig. Ist mal was anderes als dieser ewige Kampf für die Menschen, die uns es eh nicht danken, egal wie wir uns den Arsch auch für sie aufreißen!“.
Salidor grinste: „Sie danken es uns nicht, weil sie nichts von uns wissen, Knorx. Aber sie kennen Begriffe wie Glück und Wunder. Sie gehen in die Kirche, in Moscheen, zu besonderen Plätzen, sie beten, und auch die, die nicht an einen Gott glauben hoffen, - und wenn ein befürchteter Schicksalsschlag ausbleibt, oder wenn es ihnen gut geht, dann sind sie dankbar dafür. Auch wenn sie nicht wissen, dass wir im Verborgenen dazu beitragen, ihnen viele Steine aus dem Weg räumen. Ihr Dank gilt somit auch uns. Es ist unsere Aufgabe sie zu beschützen, so gut wir können, bis sie vielleicht irgendwann tatsächlich einmal stark genug sind, sich selbst gegen die Machenschaften der Dunklen zu wehren. Es ist unsere Aufgabe, ihnen zu helfen. Und genau aus dem Grund bin ich heute Abend hier!“.
Champingnioll, der Elf, blickte brüskiert: „Du denkst also tatsächlich, Du hättest einen neuen Schüler gefunden? Diesen dürren Hering etwa, der beim kleinsten Windstoß schon umgeweht wird, oder gar diesen fetten Tolpatsch, der sich von seinem Haustier tyrannisieren läßt? Pah!“.
Bea blickte den jetzt äußerst abschätzig dreinschauenden Elfen beschwichtigend an, ehe sie sich mit sanfter Stimme an Salidor wendete: „Champignioll hat nicht unrecht, Salidor. Die Schüler, die wir bisher ausgebildet haben, sie waren alle sehr stark und tapfer.“ Sie schwieg einen Moment, ehe sie hinzufügte: „Aber vielleicht hast Du einen guten Grund für Deinen Vorschlag!“
Salidor, dem man den Elf am Bart ebenfalls ansah, der aber nicht so zerbrechlich und eingebildet wirkte wie Champignioll, lächelte der Schwarzhaarigen Schönheit zu.
„Danke für Dein Vertrauen, Bea. Ja, Du hast recht, meine kleine Waldfee. Ich habe sogar einen guten Grund! Vielleicht sind Stärke und Tapferkeit nicht alles, worauf es ankommt. Wie Champignioll uns bestätigen kann, hat es den letzten beiden Schülern weder an Kraft noch an Mut gemangelt, trotzdem wissen wir von beiden, dass sie ihren Kampf nicht für sich entscheiden konnten. Es kommt aber noch etwas Wesentliches hinzu. Aber das sollte unser Freund Knorx hier besser erzählen. Er hat es nämlich selbst erlebt und es hat ihm, wenn ich es richtig sehe, doch einen gehörigen Schrecken eingejagt“, grinste der Langbart.
Auch Knorx mußte lachen. „Tja, gestern Nacht ging ich so mit Zwubicks und Ompbicks zur Zwergenkantine, wir waren etwas spät dran und wollten die Kräuter, die wir den ganzen Tag gesammelt hatten unserem Köchlein vor die Hintertüre legen, da steh' n doch plötzlich diese beiden Menschen vor uns und der Riese kommt auf mich zu und macht’ n dummen Witz von wegen ob wir nich’ n paar Zwerge rumrennen gesehen hätten! Ich hab ja schon viel erlebt, dafür sorgt Zwubicks schon, ihr wißt ja, was das für’ n Problemzwerg ist, aber das war schon’ n gewaltiger Zwergenhammer. Dann stellt sich der Strohhalm noch daneben und guckt uns genauso blöde an! Also da gibt’s nix. Die Beiden haben uns gesehen, aber Salidor kann dazu auch noch was sagen, er wollt’s mir ja erst nicht glauben, hat wieder mal gedacht, ich hätte zuviel Zwergenbier gesoffen. Hab ich auch, aber ich versprech’s euch eure Lordschaft Hochwürden Champignioll, erst hinterher...“.
„Ja es stimmt. Ich wollte es wirklich erst nicht glauben. Aber die Beiden sind dann heute Mittag schnurstracks in Richtung des verborgenen Eingangs zur Zwergenwiese getappt. Unser schöner, ausgeklügelter Abschreckungszauber hat sie nicht davon abhalten können. Zumindest der Dünne hat gesucht und gesucht. Da hab ich mich nicht zurückhalten können und einen Test gemacht. Er konnte mich sehen! Ich mußte mich sogleich von dort weg teleportieren, sonst wäre er sicher noch zu mir den Stein rauf geklettert gekommen und hätte mir die Hand gegeben!“
Champignioll wäre fast mitsamt seinem Stab umgekippt, sogar Knorx und Bea schauten Salidor nun mit großen Augen an.
„Das kann nicht sein, es ist kein einziger Fall überliefert, der bestätigt, dass je ein Mensch uns sehen konnte, es sei denn wir wollten, dass er dies kann und haben den entsprechenden Zauber auf ihn gewirkt. Kein Fall, Salidor, kein Einziger!“ regte sich Champignioll auf.
„Und doch verspreche ich Dir, mein guter Champignioll, dass dem so ist. Er konnte mich sehen ... Und ich bezweifle keinen Moment, dass mich Peter, sein Freund, ebenfalls sehen würde, wenn er schon Zwubicks und Konsorten gesehen hat. Und genau hier kam mir die zweite Idee. Immer wurden bisher die Schüler einzeln in den Kampf geschickt. Die Kreaturen der Dunklen sind aber mittlerweile so intelligent und mächtig, dass ein Schüler ihnen alleine nicht mehr entgegen treten kann. Das haben die letzten beiden Begegnungen doch eindeutig gezeigt. Was wäre wenn wir zwei ...“
„Das ist absolut nicht möglich!“ warf der Elf fast schon spuckend dazwischen, „die Überlieferung sagt eindeutig:
da Gerechtigkeit ist des Lichtes Ansinnen
darf der Kampf nur in Balance beginnen:
da die Tugend nicht auf unfairen Vorteil bedacht,
kämpfe somit Einer des Lichtes gegen Einen der Nacht.
Mit mürrischem Blick auf den Elfen schnaufte Knorx laut: „Auf welcher Seite bist Du eigentlich, Champignioll?“.
Der Angesprochene verlor sofort alle Blässe und wollte sich zornigen Hauptes gegen den Zwerg wenden, doch Bea hielt ihn zurück, mit den Worten an Knorx gerichtet: „Unser Freund Champignioll hat nur die überlieferten Worte wiedergegeben. Beruhige Dich bitte, Knorx.“
Dann wandte sie sich ihrem Gegenüber zu: „Deine Idee war gut, Salidor, aber wie Du gehört hast, wir dürfen mit der Überlieferung nicht brechen. Ein Sieg durch uns errungen wäre sonst nicht wirksam. Da bin ich mit Champignioll einer Meinung. Wir dürfen nicht mit den selben unfairen Mitteln wie die Dunkle arbeiten. So verlockend das auch manchmal wäre ...“, seufzte sie. Salidor hob den Kopf und schaute resigniert in Richtung des Küchenfensters, in dem sich der sichtbare Teil des Mondes wie ein löchriger Brotkrumen zeigte. Nur Champignioll schien wieder besserer Laune zu sein: „Na, dann können wir ja jetzt diesen merkwürdigen Platz wieder verlassen.“
Bea wollte gerade zustimmen, als Knorx plötzlich einen Satz bis fast auf Kopfhöhe des Elfen machte und freudestrahlend fragte: „es heißt: darf der Kampf nur in Balance beginnen. Versteht ihr: Beginnen! Da ist keine Rede von Verlaufen, oder Weitergehen oder Enden! Nur von Beginnen!“
Champignioll ließ sofort sein spitzes Kinn fallen und widersprach energisch: „Es heißt aber eindeutig weiter: kämpfe somit Einer des Lichtes gegen Einen der Nacht. Eins zu Eins also! Wir dürfen nicht ...“
„Sag mal Champignioll, Du scheinst Dich ja fast zu freuen, das ....“
„Knorx! Laß Champignioll zufrieden! Er befolgt nur seine Aufgabe. Er hat Recht. Wir sind an die Überlieferung gebunden. Es geht so nicht. Aber vielleicht könnte es einen anderen Weg geben...“, vermittelte Bea zwischen den beiden Streithähnen, die sich grimmig anstarrten.
„Wie geht eigentlich der Text der Überlieferung weiter, Champignioll?“ fragte Salidor.
Der Angesprochene machte ein Gesicht, als hätte er in etwas Fauliges gebissen, rezitierte aber den weiteren Verlauf:
Und schließt sich der Ring auf einer der Seiten
Muß also einer zum Schatten hin schreiten
Und ist es ein Sohn des Lichtes der unterliegt
Folgt bald schon ein anderer und der siegt!
Salidor sah ganz überrascht aus. Er wiederholte die letzte Zeile: „Folgt bald schon ein anderer und der siegt! Bisher haben wir das immer so verstanden, dass irgendwann der nächste Schüler gefunden und ausgebildet wird und siegt.
Aber jetzt ist mir klar, man kann das bald auch so auslegen, dass sofort danach ein zweiter Schüler den Kampf aufnimmt, wenn der erste Schüler unterliegt! Und der siegt. Versteht ihr die Vorhersage? Der wird siegen! Es ist ganz klar, oder?“.
Champignioll wollte vehement widersprechen, wurde aber von den anderen dreien, die sich diesmal einig waren, dass die Überlieferung mit etwas Wohlwollen durchaus auch so interpretiert werden konnte, überstimmt. Doch die Freude währte bei Salidor nur kurz. Er sah Bea mit besorgtem Blick an und sah sofort, dass sie die selben Gedanken hatte.
Allerdings wollte keiner von Beiden seine Befürchtungen offen aussprechen. So war es denn Knorx, der geistig manchmal etwas hinterher hinkte, der es dann doch tat: „Hm, zum Schatten hin schreiten, das hört sich nicht gut an. Gar nicht gut! Wenn das allerdings eine Art Prophezeiung ist, können wir eh nichts daran machen. Wir müssen es riskieren und wollen hoffen, dass es nicht dazu kommt!“.
Salidors Miene wurde finster wie eine Mondlose Nacht. Er sah hinauf zu den Sternbildern und suchte darin nach einer Antwort.
Bernie wachte am nächsten Morgen als Erster auf. Peter hatte ihm noch ein Kissen unter den Kopf geschoben und ihn behelfsmäßig zugedeckt. Einige Zeit lang blieb Bernie noch in dieser Lage auf dem Fußboden liegen und starrte an die rustikale Decke über ihm. Sein Kopf brummte, aber es war noch auszuhalten, sicherlich stand er noch unter Restalkohol und die eigentlichen Kopfschmerzen würden sich erst im Laufe des Tages einstellen. Aber das war ihm vorerst reichlich egal.
Hatte er geträumt? Oder war das wirklich passiert? War Peter geflogen? Geflogen! Dieser schwere Brocken! Nachdem er, Bernie Burgus gezaubert hatte...
Er sah rüber zu Peter, der friedlich über den Tisch gebeugt hing, den Kopf mit den zerzausten Haaren in den massigen Armen vergraben, tief schlummernd, ab und zu merkwürdig glucksende Geräusche von sich gebend, wie wenn ein Hund im Schlaf einen Traum hat und über das darin Erlebte lacht. So hörte es sich an.
Bernie beschloß, den fliegenden Peter vorläufig erst einmal in der Schublade Tagträume zu verstauen.
Falls das wirklich passiert sein sollte, dann würde Peter bestimmt von selbst darauf zu sprechen kommen und er sich nicht blamieren, indem er ihn darauf ansprach.
Nachdem er noch einige Zeit die Plattenquadrate an der Decke gezählt hatte, stand Bernie auf um frischen Kaffee zu kochen.
„Ach ja, wie geht’s denn unserem Rackmatz?“ Bernie lüftete vorsichtig das Tuch vom Käfig.
Ein verdrießlich dreinblickender Papagei, mittlerweile aber immerhin wieder auf seinem Stängchen hockend, blinzelte mehrmals nervös mit dem linken Auge und sah sich hektisch im Zimmer um.