Der Geisterjäger 1 – Gruselroman - Andrew Hathaway - E-Book

Der Geisterjäger 1 – Gruselroman E-Book

Andrew Hathaway

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Beschreibung

Sie sind die Besten, und sie wissen genau, was sie tun und vor allem, mit welchen Horrorgestalten sie es zu tun haben: Geisterjäger nehmen im Kampf gegen das Böse die größten Gefahren und Herausforderungen auf sich. Der dramatische Streit zwischen Gut und Böse wird in diesen Gruselromanen von exzellenten Autoren mit Spannung zur Entscheidung geführt. Ein Mann schritt durch die kahlen Gänge der Londoner Gerichtsmedizin. Ein Mann, der noch vor Minuten in einem Kühlfach gelegen hatte. Ein Mann, der vor wenigen Tagen ermordet worden war! In dem grellen Licht der Neonlampen klaffte an seinem Hals eine fürchterliche Wunde. Eine Wunde, mit der kein Mensch leben konnte. Auch dieser Mann nicht. Dieser Mann war seit Tagen tot. Doch nun lebte er wieder, und er verließ unbemerkt den Leichenkeller. Der Mann hieß Benjamin Potter und begann in dieser sturmgepeitschten Aprilnacht seinen Weg des Schreckens. Sein Ziel war der Turm der lebenden Leichen!

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Der Geisterjäger –1–

Turm der lebenden Leichen

Roman von Andrew Hathaway

Ein Mann schritt durch die kahlen Gänge der Londoner Gerichtsmedizin. Ein Mann, der noch vor Minuten in einem Kühlfach gelegen hatte.

Ein Mann, der vor wenigen Tagen ermordet worden war!

In dem grellen Licht der Neonlampen klaffte an seinem Hals eine fürchterliche Wunde. Eine Wunde, mit der kein Mensch leben konnte.

Auch dieser Mann nicht. Dieser Mann war seit Tagen tot. Doch nun lebte er wieder, und er verließ unbemerkt den Leichenkeller.

Der Mann hieß Benjamin Potter und begann in dieser sturmgepeitschten Aprilnacht seinen Weg des Schreckens.

Sein Ziel war der Turm der lebenden Leichen!

*

Nach einem letzten Zug drückte Roddy Benares seine Zigarette in einem der schweren Standaschenbecher aus und warf noch einen Blick durch die Glasfront ins Freie. Der City Tower, eines der höchsten Häuser der Londoner City, wurde von einem heulenden Aprilsturm umtost. Regentropfen prasselten gegen die riesigen Scheiben. Abgerissene Äste segelten fast waagrecht durch die Luft und krachten auf geparkte Autos.

»In einer solchen Nacht bin ich über meinen Job froh«, sagte Roddy Benares zu dem Nachtpförtner des City Towers. Der Mann stand mit verschränkten Armen neben ihm und beobachtete ebenfalls das Unwetter. Zu tun hatte er so gut wie nichts, da sich bei einem solchen Sturm kein Bewohner des Hochhauses auf die Straße wagte und auch kein Besucher kam, dem er aufschließen mußte.

»Hoffentlich bläst der Sturm unseren Turm nicht um«, meinte der Pförtner skeptisch. »Es genügt schon, was bisher in diesem Spukhaus passiert ist.«

»Abergläubisch?« Roddy Benares zog spöttisch die Augenbrauen hoch. Seine braune Haut hatte er von seinem indischen Vater geerbt, von der englischen Mutter den Gleichmut. »Sie lassen sich doch nicht von ein paar Zwischenfällen ins Bockshorn jagen?«

Der Pförtner zuckte unbehaglich die Schultern. »Zwischenfälle ist eine harmlose Untertreibung.«

»Hören Sie bloß auf.« Benares lachte. »Ist doch mittlerweile bekannt, daß in Hochhäusern schon mal etwas passiert. Außerdem hat dieses Haus zweiundvierzig Stockwerke, auf jeder Etage zwanzig Wohnungen. Bei einer solchen Anzahl von  Mieter, sind ein paar schwarze Schafe darunter. Und Einbrecher oder Räuber werden auch angelockt, weil die Mieter gut betucht sind.«

»Das ist es nicht allein.« Der Pförtner starrte unablässig durch die Scheiben in die chaotische Nacht hinaus. »Es ist… ich weiß nicht recht… unheimlich! Es geht nicht mit rechten Dingen zu!«

Benares, der es mit zweiundvierzig Jahren zum Heizungstechniker gebracht hatte, schlug dem Pförtner auf die Schulter. »Ich habe jedenfalls keine Angst, Mister. Und jetzt mache ich meinen Rundgang, damit es die lieben Mieter auch schön warm haben.«

Der Pförtner sah ihm beunruhigt nach, als er zu den Aufzügen ging. Dieser Mann war seiner Meinung nach zu unbekümmert, und das konnte schlimme Folgen haben.

Als sich der Pförtner wieder der breiten Fensterfront der Halle zuwandte, glaubte er, für einen Moment draußen ein bleiches, verzerrtes Gesicht zu sehen. Im nächsten Augenblick war es jedoch verschwunden.

Erschrocken wich der Pförtner zurück, sagte sich jedoch, daß er sich wahrscheinlich nur etwas eingebildet hatte. Vermutlich hatte der Sturm eine Plastiktüte oder eine Zeitung vorbeigetrieben, sonst nichts. Er ahnte nicht, daß der Heizungstechniker inzwischen im zweiten Untergeschoß eingetroffen war und direkt in die für ihn errichtete Todesfalle lief.

*

Meistens verbrachte Rick Masters, der bekannte Londoner Geisterdetektiv, seine freien Abende mit seiner Freundin Hazel Kent. Freie Abende waren für die beiden ohnedies selten genug. Entweder hatte Rick Masters wieder einen seiner kniffligen Fälle zu lösen, oder Hazel Kent war verhindert. Sie leitete einen der größten Konzerne des Landes, so daß es oft genug auch abends Konferenzen oder Essen mit Geschäftspartnern gab.

An diesem sechzehnten April hatten sie beide eigentlich nichts vorgehabt, doch um neun Uhr abends war dann ein Anruf von Scotland Yard gekommen. Und nun, um elf Uhr nachts, saß Rick Masters in Chefinspektor Hempshaws Büro.

»Tut mir leid, daß ich Sie störe, Rick«, meinte der Chefinspektor, der mit dem Geisterdetektiv befreundet war, und schon oft mit ihm zusammengearbeitet hatte. »Aber die Sache wird langsam mehr als unheimlich. Es ist noch nicht viel an die Presse gesickert, aber der Yard steht kopf.«

»Wollen Sie mir nicht sagen, worum es geht, Kenneth?« erwiderte Rick Masters lächelnd und strich Dracula über den Kopf.

Dracula war sein kleiner Mischlingshund, den er ursprünglich zum Polizeihund hatte ausbilden wollen. Da Dracula jedoch nicht viel größer als eine Katze geworden war, hatte Rick darauf verzichtet. Dafür entwickelte der Hund einen besonders feinen Instinkt für Übersinnliches und das Wirken Schwarzer Magie, so daß er seinen Herrn schon oft vor Gefahren gewarnt hatte. Rick verdankte dem Hund mehrfach sein Leben, kein Wunder also, wenn er an seinem vierbeinigen Begleiter hing. Dracula besaß allerdings eine unangenehme Eigenschaft. Grundlos konnte er den Chefinspektor nicht leiden und ließ keine Gelegenheit verstreichen, um Hempshaw zu beißen. Deshalb mußte er bei Rick auf dem Schoß bleiben.

»Es geht um den City Tower.« Der Chefinspektor warf Dracula einen mißtrauischen Blick: zu, lehnte sich aber beruhigt zurück, als er erkannte, daß ihm von dem kleinen weißen Hund mit den überdimensionalen Ohren keine Gefahr drohte. »Das Management dieses Hochhauses hat bisher strengstes Stillschweigen über die Vorfälle in dem Turm bewahrt. Die Leute befürchten, daß niemand mehr eine Wohnung oder ein Büro kaufen oder mieten will, wenn alles bekannt wird.«

»Und was sollte bekannt werden?« fragte Rick, nun schon leicht ungeduldig, weil er sich nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen wollte.

»Überfälle, Brandstiftungen, Einbrüche.« Hempshaw schluckte. »Und ein Mord.«

Rick Masters wiegte den Kopf, während er sich umständlich eine Zigarette anzündete. »Alles unangenehme Dinge, aber normal für solche Hochhäuser. Sie stellen praktisch eine Kleinstadt für sich dar.«

»Sie brauchen mir nicht das Ergebnis von kriminalistischen Untersuchungen über Hochhäuser vorzuhalten«, sagte der Chefinspektor gereizt. »Ich kenne sie auswendig. Aber es hat Merkwürdigkeiten gegeben. So hat zum Beispiel ein Räuber vor den Augen der Überfallenen mit bloßen Händen ein Trinkglas angefaßt. – Wir haben aber keine Fingerabdrücke gefunden. Das ist noch nicht alles. Sein Büro war durch elektronische Warneinrichtungen gesichert. Trotzdem wurde der Safe ausgeräumt. Der Dieb hat die Sicherungen nicht ausgeschaltet, und er hat den Safe nicht beschädigt.«

Rick Masters begann zu grinsen, nicht über das Verbrechen, da diese zu ernst waren. Er amüsierte sich über etwas ganz anderes. »Sie sind doch immer so skeptisch, Kenneth, wenn es sich um übersinnliche Phänomene dreht«, sagte er zufrieden. »Und jetzt haben Sie auf einmal erkannt, daß Magie ein Spiel ist?«

»Das habe ich nicht gesagt!« wehrte der Chefinspektor hastig ab. Obwohl er schon oft gemeinsam mit Rick Masters gegen Übersinnliches gekämpft hatte, wehrte er sich stets bis zum Vorliegen unumstößlicher Beweise gegen das Eingeständnis, es mit einem Geist oder einem Magier zu tun zu haben. »Ich habe nur angedeutet, daß es im City Tower rätselhafte Vorfälle gibt. Sie müssen uns helfen! Ich habe auch einen Auftraggeber für Sie, Rick! Morgen vormittag können Sie mit dem Manager der City Tower Gesellschaft sprechen. Die Gesellschaft ist daran interessiert, daß diese Vorfälle so schnell wie möglich aufhören, besser noch gestern als heute.«

»Verständlich«, murmelte der Geisterdetektiv, der sich schon ganz auf seinen neuen Fall einstellte. »Und wie war das mit dem Mord? Wer ist das Opfer, wer der Täter?«

»Den Täter haben wir noch nicht«, erwiderte der Chefinspektor verdrossen. »Das Opfer heißt Benjamin Potter und arbeitete als Wartungsingenieur für jene Aufzugsfirma, die die Aufzüge im City Tower gebaut hatte. Er wurde in einer der Liftkabinen mit durchschnittener Kehle gefunden. Seine Leiche liegt in der Gerichtsmedizin.«

Rick Masters nickte knapp und stand auf. »Dann werden wir dort beginnen«, erklärte er und warf einen Blick aus dem Fenster, gegen das die Regentropfen prasselten.

»Bei diesem Wetter und um diese Zeit?« rief der Chefinspektor entsetzt.

Rick Masters lächelte. »Sie hatten es doch sehr eilig, oder nicht? Außerdem richten sich diese rätselhaften Zwischenfälle vermutlich nicht nach dem Wetter. Gehen wir!«

Dagegen hatte der Chefinspektor nichts mehr einzuwenden. Achselzuckend stand er auf und warf Dracula einen finsteren Blick zu, der die Zähne fletschte und ihn anknurrte.

»Also gut, gehen wir«, meinte Hempshaw. »Aber lassen Sie Ihren Hund um Himmels willen zu Hause.«

Doch Rick schüttelte grinsend den Kopf. »Im Gegenteil, Kenneth. Dracula kommt mit. Er soll mir verraten, ob dieser Aufzugsmonteur etwas mit Schwarzer Magie oder einem Geist zu tun hatte.«

Daraufhin murmelte Hempshaw etwas, das Rick nicht verstand. Es hörte sich jedoch nicht freundlich an.

Die beiden Männer und der Hund machten sich auf den Weg, ohne zu ahnen, was in der Zwischenzeit in der Gerichtsmedizin geschehen war. Und was sich zur selben Zeit im City Tower abspielte.

Ungehindert nahm das Grauen seinen Lauf.

*

Die Versorgungseinrichtungen des Wolkenkratzers mußten rund um die Uhr überwacht und notfalls sofort repariert werden. Die Heizungsanlage gehörte dazu.

Roddy Benares gehörte zu der ständigen Wartungsmannschaft. Gegen Mitternacht unternahm er einen seiner regelmäßigen Rundgänge. Er verließ den Aufzug im zweiten Untergeschoß und wandte sich nach rechts.

An den nackten Betonmauern liefen Röhren entlang, die für einen Laien ein verwirrendes Chaos darstellten. Benares wußte genau, welche Röhre zu welchem Kreislauf gehörte und konnte feststellen, ob alles in Ordnung war.

Er kam zu den Kesseln der Ölheizung.

In diesen Räumen herrschten tropische Temperaturen, die vergessen ließen, welch kalter und unfreundlicher Sturm in London wütete. Mit Unbehagen dachte Benares an das Ende seiner Schicht, wenn er nach Hause fahren mußte. Er wohnte nicht im City Tower. Das war nur etwas für finanzkräftige Leute. Gegen die Wärme dieser unterirdischen Räume würde ihm die Kälte in den Straßen doppelt schlimm erscheinen.

Als er die Heizungsanlage wieder verließ, drehte er sich irritiert um. Er hatte ein Geräusch gehört, das nicht zu den üblichen Betriebsgeräuschen gehörte. Da besaß er ein besonders feines Ohr. Tatsächlich hatte er sich nicht geirrt.

Im nächsten Moment tauchte zwischen den Kesseln und den dicken Rohrleitungen ein Mann auf.

Im ersten Moment verkrampfte sich Benares. Er hatte sich also doch von den Schauergeschichten anstecken lassen, die manche Leute über dieses Hochhaus erzählten. Als er den Mann jedoch erkannte, entspannte er sich wieder und nickte freundlich.

Das Lächeln war aus seinem Gesicht wie weggewischt, als er das dünne Nylonseil in den Händen des Manries entdeckte. Im Schein der grellen Leuchtstoffröhren sah es wie ein glühender Lichtstreifen aus, der sich zwischen den Fingern des anderen drehte.

Leicht geduckt und mit einem lauernden Gesichtsausdruck kam der Mann auf Benares zu. Das NylonseiI ließ er schwingen, daß es einen pfeifenden Ton erzeugte.

»He, was soll das?« rief Benares erschrocken. »Tun Sie das weg! Sind Sie verrückt? Wieso…?«

Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, mit diesem Mann zu sprechen. Alarmiert wich er auf den Korridor aus und wollte sich in Sicherheit bringen.

Er hatte jedoch erst ein paar Schritte getan, als er gegen einen Widerstand stieß.

Mit einem unterdrückten Aufschrei wirbelte er herum und brach fast zusammen, als er den hinter ihm stehenden Mann sah.

Roddy Benares kannte den Mann nicht, dessen schauderhafter Anblick ihn fast um den Verstand brachte. An seinem Hals klaffte eine fürchterliche Wunde, die nicht blutete, als wäre sie schon mehrere Tage alt.

Die Erkenntnis, daß der Unbekannte mit diesem schrecklichen Schnitt nicht leben konnte, lähmte den Heizungsfachmann. Regungslos stand Benares vor dem Untoten und sah ihm in das leichenblasse Gesicht mit den ausdruckslosen erloschenen Augen, die an blank polierte Steine erinnerten.

Ohne erkennbare Gefühlsregung hob der Untote die Hände und streckte sie Benares entgegen. Mit einem kräftigen Ruck stieß er den Unglücklichen von sich.

Benares taumelte rückwärts. Vor seinen Augen blitzte es kurz. Er hörte ein zischendes Geräusch.

Die hauchdünne Nylonschnur legte sich um seinen Hals.

Niemand wußte, daß sich in diesen Minuten im Keller des City Towers ein Mord ereignete, auch nicht der Nachtpförtner, der noch immer in der Halle stand und das Toben des Unwetters beobachtete. Der Mann hatte den kurzen Zwischenfall mit dem bleichen Gesicht vor dem City Tower bereits wieder vergessen.

AIs er hörte, daß eine Aufzugskabine im Erdgeschoß hielt, drehte er sich um. Die Türen glitten zurück. Der Heizungsmonteur trat in die Halle.

Der Pförtner nickte Benares flüchtig zu. »Alles in Ordnung?« rief er dem Techniker zu.

Und Roddy Benares hob die rechte Faust und reckte den Daumen nach oben, um anzuzeigen, daß alles bestens lief.

Zufrieden wandte sich der Pförtner wieder der sturmgepeitschten Straße zu. Hätte er geahnt, mit wem er soeben gesprochen hatte, wäre er schreiend davongelaufen.

*

Es dauerte eine ganze Weile, ehe jemand in der Gerichtsmedizin öffnete. Rick Masters war in seinem eigenen Wagen hierhergefahren, einem dunkelgrünen Morgan. Das war ein Nachbau eines Oldtimers mit moderner Technik, ein offener Sportwagen, an dessen Stoffverdeck der Sturm gewaltig rüttelte.

Chefinspektor Hempshaw hatte sich selbst an das Steuer seines Dienstwagens gesetzt und war vorausgefahren. Nun preßte er seinen Daumen ununterbrochen auf den Klingelknopf, bis endlich eine Sichtklappe im Tor aufsprang. Der Nachtpförtner kannte den Chefinspektor, da er sofort öffnete.

»Kommen Sie, Rick!« rief Hempshaw seinem Begleiter zu und winkte nur ab, als der Nachtpförtner etwas gegen Dracula einwenden wollte. Auch der verschlafene Angestellte, der den Chefinspektor in den Leichenkeller führen sollte, machte große Augen, als er den Hund auf Ricks Arm entdeckte. Er wagte jedoch keinen Einspruch.

»Warten Sie, Kenneth!« Rick Masters blieb auf der Treppe stehen, die in die Tiefe führte. »Hier stimmt etwas nicht.«

Hempshaw runzelte die Stirn. »Was soll nicht stimmen? Ich sehe nichts.«

Rick setzte wortlos seinen Hund auf den Boden und deutete mit einem Kopfnicken auf ihn. Nun merkte auch Hempshaw, daß mit dem Hund eine Verwandlung vor sich ging.

Dracula legte die Ohren an und zog den Schwanz ein. Mit leisem Winseln flüchtete er sich in eine Ecke des Treppenhauses.

»Hier ist etwas passiert«, stellte Rick Masters fest und sah sich aufmerksam um. Er wandte sich an den Angestellten der Gerichtsmedizin. »Haben Sie in den letzten Stunden etwas Ungewöhnliches bemerkt?«

Als der Mann nur den Kopf schüttelte, nahm Rick den Hund wieder auf den Arm und ging weiter. Er war jetzt überzeugt, daß in diesem Gebäude Dinge vor sich gingen, die etwas mit Magie oder Geistern und Dämonen zu tun hatten. An Hempshaws forschenden Blicken erkannte er, daß auch der Chefinspektor die Gefahr ahnte.

Sie betraten einen der großen, gekachelten Räume mit dem häßlich kalten Licht und den Türen ringsum in den Wänden, hinter denen die Kühlfächer untergebracht waren.

»Benjamin Potter«, sagte der Chefinspektor. »Und beeilen Sie sich! Ich will hier nicht erfrieren.«

Mit dem Gleichmut eines Mannes, der seit Jahren diesen Job ausführte, suchte der Angestellte die richtige Klappe heraus und zog daran. Mit einem heiseren Schrei ließ er den Griff los.

Auf gutgeölten Kugellagern rollte die Bahre vollständig aus der Wand und rastete mit einem dumpfen Laut ein. Rick Masters biß die Zähne zusammen, obwohl er mit etwas Ähnlichem gerechnet hatte. Chefinspektor Hempshaw murmelte eine Verwünschung.

Die Bahre, auf der Benjamin Potter liegen sollte, war leer, das Laken zusammengeknüllt am Fußende, auf der Bahre selbst auf rätselhafte Weise der Abdruck des Körpers verewigt, als ob jemand mit Kreide die Lage der Leiche markiert hätte.

»Das also war es«, stellte der Geisterdetektiv fest.

»Geben Sie Großalarm!« schrie der Chefinspektor den Angestellten an. »Die Leiche muß noch im Haus sein!«

Der Mann löste sich aus seiner Erstarrung und rannte auf den Korridor hinaus, wo ein Wandtelefon hing. Doch während er den Alarm durchgab, schüttelte Rick den Kopf.

»Diese Leiche werden Sie wahrscheinlich nicht mehr in diesem Haus finden«, behauptete er. »Oder meinen Sie, daß jemand den Toten gestohlen hat?«

»Ich weiß nur«, antwortete der Chefinspektor scharf, »daß ich mich an meine Vorschriften halten und eine Suchaktion einleiten muß! Alles Weitere ist Ihre Sache, Rick!«

Der Geisterdetektiv nickte und ging zu der Treppe. In der Gerichtsmedizin wurde es bereits lebendig. Die übrigen Angestellten, die auch nachts ihren Dienst versehen, machten sich auf die Suche nach der Leiche des Mordopfers. Die ersten Streifenwagen trafen ein.

Rick Masters wartete das Ergebnis nicht ab. Er kannte es im voraus, da er sicher war, Benjamin Potter habe sich in einen Untoten verwandelt. Es war nicht das erste Mal in seiner Laufbahn als Geisterdetektiv, daß ein Toter zu einem zweiten, einem unnatürlichen Leben erwachte.

Blieb nur die Frage, warum das geschehen war und wohin sich der Untote gewandt hatte. Vorläufig bekam Rick von niemandem eine Antwort auf diese Fragen, doch er war jetzt schon entschlossen, nicht früher locker zu lassen, als bis er diesen Fall gelöst hatte. Da er nicht den geringsten Anhaltspunkt besaß, wollte er dort einhaken, wo sich der Mord an Benjamin Potter ereignet hatte und wo sich auch die übrigen rätselhaften Zwischenfälle abgespielt hatten.

Der Geisterdetektiv fuhr mit seinem Hund zum City Tower. Draculas feiner Instinkt hatte sich auch diesmal bewährt. Mit seiner Hilfe, so hoffte Rick, würde es ihm gelingen, in dem riesigen Wolkenkratzer eine konkrete Spur aufzunehmen.

Er konnte noch nicht ahnen, in welches Wespennest er stach.

*

Seit der City Tower von unerklärlichen Zwischenfällen und Verbrechen heimgesucht wurde, sorgten zusätzlich zu dem üblichen Personal Nachtwächter für die Sicherheit der Bewohner. Sie standen allerdings auf verlorenem Posten, da man für jede Etage einen Wächter gebraucht hätte, um alle Zwischenfälle zu unterbinden.

Frank Bletcher war einer dieser Nachtwächter. Er hatte insgesamt zehn Etagen zu überprüfen, dazu noch das Treppenhaus und die Fahrstühle in seinem Bereich. Er wußte, daß er vorsichtig sein mußte, weil der City Tower inzwischen zu einem gefährlichen Pflaster geworden war. Er ahnte jedoch genausowenig wie alle anderen Beteiligten, mit welchen Gefahren sie es tatsächlich zu tun hatten.

An dem melodiösen Gong hörte er, daß der Aufzug auf der zweiunddreißigsten Etage hielt. Er selbst befand sich im Treppenhaus eine halbe Etage tiefer. Es war ein Uhr nachts. Frank Bletcher kam es seltsam vor, daß um diese Zeit jemand unterwegs war. Er wußte, daß wegen des schlechten Wetters fast alle Leute zu Hause blieben.

Natürlich konnte es sein, daß erst jetzt ein Mieter in sein Apartment zurückkehrte oder soeben weggehen wollte, doch Bletcher mußte sich davon überzeugen. Er hastete die Treppe hinauf und betrat den Korridor.

Wer immer mit dem Aufzug gekommen war, hatte kein Licht eingeschaltet. Das war verdächtig.