E-Book 1-8 - Andrew Hathaway - E-Book
SONDERANGEBOT

E-Book 1-8 E-Book

Andrew Hathaway

0,0
21,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie sind die Besten, und sie wissen genau, was sie tun und vor allem, mit wem und mit welchen Horrorgestalten sie es zu tun haben: Geisterjäger nehmen die größten Gefahren und Herausforderungen auf sich im gespenstischen Kampf gegen das Böse. Der dramatische Streit zwischen Gut und Böse wird in diesen Gruselromanen von exzellenten Autoren mit ungeheurer Spannung zur Entscheidung geführt. E-Book 1: Turm der lebenden Leichen E-Book 2: Die Posse des Satans E-Book 3: Von allen Geistern gehetzt E-Book 4: Stimme aus dem Nichts E-Book 5: Mordprozess im Geisterschloß E-Book 6: Knockout für den Dämon E-Book 7: Im Steinbruch der Hölle E-Book 8:Die Dämonenklinik E-Book 1: Turm der lebenden Leichen E-Book 2: Die Posse des Satans E-Book 3: Von allen Geistern gehetzt E-Book 4: Stimme aus dem Nichts E-Book 5: Mordprozess im Geisterschloß E-Book 6: Knockout für den Dämon E-Book 7: Im Steinbruch der Hölle E-Book 8: Die Dämonenklinik

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1169

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Turm der lebenden Leichen

Die Posse des Satans

Von allen Geistern gehetzt

Stimme aus dem Nichts

Mordprozess im Geisterschloß

Knockout für den Dämon

Im Steinbruch der Hölle

Die Dämonenklinik

Der Geisterjäger – Staffel 1 –

E-Book 1-8

Andrew Hathaway

Turm der lebenden Leichen

Ein Mann schritt durch die kahlen Gänge der Londoner Gerichtsmedizin. Ein Mann, der noch vor Minuten in einem Kühlfach gelegen hatte.

Ein Mann, der vor wenigen Tagen ermordet worden war!

In dem grellen Licht der Neonlampen klaffte an seinem Hals eine fürchterliche Wunde. Eine Wunde, mit der kein Mensch leben konnte.

Auch dieser Mann nicht. Dieser Mann war seit Tagen tot. Doch nun lebte er wieder, und er verließ unbemerkt den Leichenkeller.

Der Mann hieß Benjamin Potter und begann in dieser sturmgepeitschten Aprilnacht seinen Weg des Schreckens.

Sein Ziel war der Turm der lebenden Leichen!

*

Nach einem letzten Zug drückte Roddy Benares seine Zigarette in einem der schweren Standaschenbecher aus und warf noch einen Blick durch die Glasfront ins Freie. Der City Tower, eines der höchsten Häuser der Londoner City, wurde von einem heulenden Aprilsturm umtost. Regentropfen prasselten gegen die riesigen Scheiben. Abgerissene Äste segelten fast waagrecht durch die Luft und krachten auf geparkte Autos.

»In einer solchen Nacht bin ich über meinen Job froh«, sagte Roddy Benares zu dem Nachtpförtner des City Towers. Der Mann stand mit verschränkten Armen neben ihm und beobachtete ebenfalls das Unwetter. Zu tun hatte er so gut wie nichts, da sich bei einem solchen Sturm kein Bewohner des Hochhauses auf die Straße wagte und auch kein Besucher kam, dem er aufschließen mußte.

»Hoffentlich bläst der Sturm unseren Turm nicht um«, meinte der Pförtner skeptisch. »Es genügt schon, was bisher in diesem Spukhaus passiert ist.«

»Abergläubisch?« Roddy Benares zog spöttisch die Augenbrauen hoch. Seine braune Haut hatte er von seinem indischen Vater geerbt, von der englischen Mutter den Gleichmut. »Sie lassen sich doch nicht von ein paar Zwischenfällen ins Bockshorn jagen?«

Der Pförtner zuckte unbehaglich die Schultern. »Zwischenfälle ist eine harmlose Untertreibung.«

»Hören Sie bloß auf.« Benares lachte. »Ist doch mittlerweile bekannt, daß in Hochhäusern schon mal etwas passiert. Außerdem hat dieses Haus zweiundvierzig Stockwerke, auf jeder Etage zwanzig Wohnungen. Bei einer solchen Anzahl von ?Mieter, sind ein paar schwarze Schafe darunter. Und Einbrecher oder Räuber werden auch angelockt, weil die Mieter gut betucht sind.«

»Das ist es nicht allein.« Der Pförtner starrte unablässig durch die Scheiben in die chaotische Nacht hinaus. »Es ist… ich weiß nicht recht… unheimlich! Es geht nicht mit rechten Dingen zu!«

Benares, der es mit zweiundvierzig Jahren zum Heizungstechniker gebracht hatte, schlug dem Pförtner auf die Schulter. »Ich habe jedenfalls keine Angst, Mister. Und jetzt mache ich meinen Rundgang, damit es die lieben Mieter auch schön warm haben.«

Der Pförtner sah ihm beunruhigt nach, als er zu den Aufzügen ging. Dieser Mann war seiner Meinung nach zu unbekümmert, und das konnte schlimme Folgen haben.

Als sich der Pförtner wieder der breiten Fensterfront der Halle zuwandte, glaubte er, für einen Moment draußen ein bleiches, verzerrtes Gesicht zu sehen. Im nächsten Augenblick war es jedoch verschwunden.

Erschrocken wich der Pförtner zurück, sagte sich jedoch, daß er sich wahrscheinlich nur etwas eingebildet hatte. Vermutlich hatte der Sturm eine Plastiktüte oder eine Zeitung vorbeigetrieben, sonst nichts. Er ahnte nicht, daß der Heizungstechniker inzwischen im zweiten Untergeschoß eingetroffen war und direkt in die für ihn errichtete Todesfalle lief.

*

Meistens verbrachte Rick Masters, der bekannte Londoner Geisterdetektiv, seine freien Abende mit seiner Freundin Hazel Kent. Freie Abende waren für die beiden ohnedies selten genug. Entweder hatte Rick Masters wieder einen seiner kniffligen Fälle zu lösen, oder Hazel Kent war verhindert. Sie leitete einen der größten Konzerne des Landes, so daß es oft genug auch abends Konferenzen oder Essen mit Geschäftspartnern gab.

An diesem sechzehnten April hatten sie beide eigentlich nichts vorgehabt, doch um neun Uhr abends war dann ein Anruf von Scotland Yard gekommen. Und nun, um elf Uhr nachts, saß Rick Masters in Chefinspektor Hempshaws Büro.

»Tut mir leid, daß ich Sie störe, Rick«, meinte der Chefinspektor, der mit dem Geisterdetektiv befreundet war, und schon oft mit ihm zusammengearbeitet hatte. »Aber die Sache wird langsam mehr als unheimlich. Es ist noch nicht viel an die Presse gesickert, aber der Yard steht kopf.«

»Wollen Sie mir nicht sagen, worum es geht, Kenneth?« erwiderte Rick Masters lächelnd und strich Dracula über den Kopf.

Dracula war sein kleiner Mischlingshund, den er ursprünglich zum Polizeihund hatte ausbilden wollen. Da Dracula jedoch nicht viel größer als eine Katze geworden war, hatte Rick darauf verzichtet. Dafür entwickelte der Hund einen besonders feinen Instinkt für Übersinnliches und das Wirken Schwarzer Magie, so daß er seinen Herrn schon oft vor Gefahren gewarnt hatte. Rick verdankte dem Hund mehrfach sein Leben, kein Wunder also, wenn er an seinem vierbeinigen Begleiter hing. Dracula besaß allerdings eine unangenehme Eigenschaft. Grundlos konnte er den Chefinspektor nicht leiden und ließ keine Gelegenheit verstreichen, um Hempshaw zu beißen. Deshalb mußte er bei Rick auf dem Schoß bleiben.

»Es geht um den City Tower.« Der Chefinspektor warf Dracula einen mißtrauischen Blick: zu, lehnte sich aber beruhigt zurück, als er erkannte, daß ihm von dem kleinen weißen Hund mit den überdimensionalen Ohren keine Gefahr drohte. »Das Management dieses Hochhauses hat bisher strengstes Stillschweigen über die Vorfälle in dem Turm bewahrt. Die Leute befürchten, daß niemand mehr eine Wohnung oder ein Büro kaufen oder mieten will, wenn alles bekannt wird.«

»Und was sollte bekannt werden?« fragte Rick, nun schon leicht ungeduldig, weil er sich nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen wollte.

»Überfälle, Brandstiftungen, Einbrüche.« Hempshaw schluckte. »Und ein Mord.«

Rick Masters wiegte den Kopf, während er sich umständlich eine Zigarette anzündete. »Alles unangenehme Dinge, aber normal für solche Hochhäuser. Sie stellen praktisch eine Kleinstadt für sich dar.«

»Sie brauchen mir nicht das Ergebnis von kriminalistischen Untersuchungen über Hochhäuser vorzuhalten«, sagte der Chefinspektor gereizt. »Ich kenne sie auswendig. Aber es hat Merkwürdigkeiten gegeben. So hat zum Beispiel ein Räuber vor den Augen der Überfallenen mit bloßen Händen ein Trinkglas angefaßt. – Wir haben aber keine Fingerabdrücke gefunden. Das ist noch nicht alles. Sein Büro war durch elektronische Warneinrichtungen gesichert. Trotzdem wurde der Safe ausgeräumt. Der Dieb hat die Sicherungen nicht ausgeschaltet, und er hat den Safe nicht beschädigt.«

Rick Masters begann zu grinsen, nicht über das Verbrechen, da diese zu ernst waren. Er amüsierte sich über etwas ganz anderes. »Sie sind doch immer so skeptisch, Kenneth, wenn es sich um übersinnliche Phänomene dreht«, sagte er zufrieden. »Und jetzt haben Sie auf einmal erkannt, daß Magie ein Spiel ist?«

»Das habe ich nicht gesagt!« wehrte der Chefinspektor hastig ab. Obwohl er schon oft gemeinsam mit Rick Masters gegen Übersinnliches gekämpft hatte, wehrte er sich stets bis zum Vorliegen unumstößlicher Beweise gegen das Eingeständnis, es mit einem Geist oder einem Magier zu tun zu haben. »Ich habe nur angedeutet, daß es im City Tower rätselhafte Vorfälle gibt. Sie müssen uns helfen! Ich habe auch einen Auftraggeber für Sie, Rick! Morgen vormittag können Sie mit dem Manager der City Tower Gesellschaft sprechen. Die Gesellschaft ist daran interessiert, daß diese Vorfälle so schnell wie möglich aufhören, besser noch gestern als heute.«

»Verständlich«, murmelte der Geisterdetektiv, der sich schon ganz auf seinen neuen Fall einstellte. »Und wie war das mit dem Mord? Wer ist das Opfer, wer der Täter?«

»Den Täter haben wir noch nicht«, erwiderte der Chefinspektor verdrossen. »Das Opfer heißt Benjamin Potter und arbeitete als Wartungsingenieur für jene Aufzugsfirma, die die Aufzüge im City Tower gebaut hatte. Er wurde in einer der Liftkabinen mit durchschnittener Kehle gefunden. Seine Leiche liegt in der Gerichtsmedizin.«

Rick Masters nickte knapp und stand auf. »Dann werden wir dort beginnen«, erklärte er und warf einen Blick aus dem Fenster, gegen das die Regentropfen prasselten.

»Bei diesem Wetter und um diese Zeit?« rief der Chefinspektor entsetzt.

Rick Masters lächelte. »Sie hatten es doch sehr eilig, oder nicht? Außerdem richten sich diese rätselhaften Zwischenfälle vermutlich nicht nach dem Wetter. Gehen wir!«

Dagegen hatte der Chefinspektor nichts mehr einzuwenden. Achselzuckend stand er auf und warf Dracula einen finsteren Blick zu, der die Zähne fletschte und ihn anknurrte.

»Also gut, gehen wir«, meinte Hempshaw. »Aber lassen Sie Ihren Hund um Himmels willen zu Hause.«

Doch Rick schüttelte grinsend den Kopf. »Im Gegenteil, Kenneth. Dracula kommt mit. Er soll mir verraten, ob dieser Aufzugsmonteur etwas mit Schwarzer Magie oder einem Geist zu tun hatte.«

Daraufhin murmelte Hempshaw etwas, das Rick nicht verstand. Es hörte sich jedoch nicht freundlich an.

Die beiden Männer und der Hund machten sich auf den Weg, ohne zu ahnen, was in der Zwischenzeit in der Gerichtsmedizin geschehen war. Und was sich zur selben Zeit im City Tower abspielte.

Ungehindert nahm das Grauen seinen Lauf.

*

Die Versorgungseinrichtungen des Wolkenkratzers mußten rund um die Uhr überwacht und notfalls sofort repariert werden. Die Heizungsanlage gehörte dazu.

Roddy Benares gehörte zu der ständigen Wartungsmannschaft. Gegen Mitternacht unternahm er einen seiner regelmäßigen Rundgänge. Er verließ den Aufzug im zweiten Untergeschoß und wandte sich nach rechts.

An den nackten Betonmauern liefen Röhren entlang, die für einen Laien ein verwirrendes Chaos darstellten. Benares wußte genau, welche Röhre zu welchem Kreislauf gehörte und konnte feststellen, ob alles in Ordnung war.

Er kam zu den Kesseln der Ölheizung.

In diesen Räumen herrschten tropische Temperaturen, die vergessen ließen, welch kalter und unfreundlicher Sturm in London wütete. Mit Unbehagen dachte Benares an das Ende seiner Schicht, wenn er nach Hause fahren mußte. Er wohnte nicht im City Tower. Das war nur etwas für finanzkräftige Leute. Gegen die Wärme dieser unterirdischen Räume würde ihm die Kälte in den Straßen doppelt schlimm erscheinen.

Als er die Heizungsanlage wieder verließ, drehte er sich irritiert um. Er hatte ein Geräusch gehört, das nicht zu den üblichen Betriebsgeräuschen gehörte. Da besaß er ein besonders feines Ohr. Tatsächlich hatte er sich nicht geirrt.

Im nächsten Moment tauchte zwischen den Kesseln und den dicken Rohrleitungen ein Mann auf.

Im ersten Moment verkrampfte sich Benares. Er hatte sich also doch von den Schauergeschichten anstecken lassen, die manche Leute über dieses Hochhaus erzählten. Als er den Mann jedoch erkannte, entspannte er sich wieder und nickte freundlich.

Das Lächeln war aus seinem Gesicht wie weggewischt, als er das dünne Nylonseil in den Händen des Manries entdeckte. Im Schein der grellen Leuchtstoffröhren sah es wie ein glühender Lichtstreifen aus, der sich zwischen den Fingern des anderen drehte.

Leicht geduckt und mit einem lauernden Gesichtsausdruck kam der Mann auf Benares zu. Das NylonseiI ließ er schwingen, daß es einen pfeifenden Ton erzeugte.

»He, was soll das?« rief Benares erschrocken. »Tun Sie das weg! Sind Sie verrückt? Wieso…?«

Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, mit diesem Mann zu sprechen. Alarmiert wich er auf den Korridor aus und wollte sich in Sicherheit bringen.

Er hatte jedoch erst ein paar Schritte getan, als er gegen einen Widerstand stieß.

Mit einem unterdrückten Aufschrei wirbelte er herum und brach fast zusammen, als er den hinter ihm stehenden Mann sah.

Roddy Benares kannte den Mann nicht, dessen schauderhafter Anblick ihn fast um den Verstand brachte. An seinem Hals klaffte eine fürchterliche Wunde, die nicht blutete, als wäre sie schon mehrere Tage alt.

Die Erkenntnis, daß der Unbekannte mit diesem schrecklichen Schnitt nicht leben konnte, lähmte den Heizungsfachmann. Regungslos stand Benares vor dem Untoten und sah ihm in das leichenblasse Gesicht mit den ausdruckslosen erloschenen Augen, die an blank polierte Steine erinnerten.

Ohne erkennbare Gefühlsregung hob der Untote die Hände und streckte sie Benares entgegen. Mit einem kräftigen Ruck stieß er den Unglücklichen von sich.

Benares taumelte rückwärts. Vor seinen Augen blitzte es kurz. Er hörte ein zischendes Geräusch.

Die hauchdünne Nylonschnur legte sich um seinen Hals.

Niemand wußte, daß sich in diesen Minuten im Keller des City Towers ein Mord ereignete, auch nicht der Nachtpförtner, der noch immer in der Halle stand und das Toben des Unwetters beobachtete. Der Mann hatte den kurzen Zwischenfall mit dem bleichen Gesicht vor dem City Tower bereits wieder vergessen.

AIs er hörte, daß eine Aufzugskabine im Erdgeschoß hielt, drehte er sich um. Die Türen glitten zurück. Der Heizungsmonteur trat in die Halle.

Der Pförtner nickte Benares flüchtig zu. »Alles in Ordnung?« rief er dem Techniker zu.

Und Roddy Benares hob die rechte Faust und reckte den Daumen nach oben, um anzuzeigen, daß alles bestens lief.

Zufrieden wandte sich der Pförtner wieder der sturmgepeitschten Straße zu. Hätte er geahnt, mit wem er soeben gesprochen hatte, wäre er schreiend davongelaufen.

*

Es dauerte eine ganze Weile, ehe jemand in der Gerichtsmedizin öffnete. Rick Masters war in seinem eigenen Wagen hierhergefahren, einem dunkelgrünen Morgan. Das war ein Nachbau eines Oldtimers mit moderner Technik, ein offener Sportwagen, an dessen Stoffverdeck der Sturm gewaltig rüttelte.

Chefinspektor Hempshaw hatte sich selbst an das Steuer seines Dienstwagens gesetzt und war vorausgefahren. Nun preßte er seinen Daumen ununterbrochen auf den Klingelknopf, bis endlich eine Sichtklappe im Tor aufsprang. Der Nachtpförtner kannte den Chefinspektor, da er sofort öffnete.

»Kommen Sie, Rick!« rief Hempshaw seinem Begleiter zu und winkte nur ab, als der Nachtpförtner etwas gegen Dracula einwenden wollte. Auch der verschlafene Angestellte, der den Chefinspektor in den Leichenkeller führen sollte, machte große Augen, als er den Hund auf Ricks Arm entdeckte. Er wagte jedoch keinen Einspruch.

»Warten Sie, Kenneth!« Rick Masters blieb auf der Treppe stehen, die in die Tiefe führte. »Hier stimmt etwas nicht.«

Hempshaw runzelte die Stirn. »Was soll nicht stimmen? Ich sehe nichts.«

Rick setzte wortlos seinen Hund auf den Boden und deutete mit einem Kopfnicken auf ihn. Nun merkte auch Hempshaw, daß mit dem Hund eine Verwandlung vor sich ging.

Dracula legte die Ohren an und zog den Schwanz ein. Mit leisem Winseln flüchtete er sich in eine Ecke des Treppenhauses.

»Hier ist etwas passiert«, stellte Rick Masters fest und sah sich aufmerksam um. Er wandte sich an den Angestellten der Gerichtsmedizin. »Haben Sie in den letzten Stunden etwas Ungewöhnliches bemerkt?«

Als der Mann nur den Kopf schüttelte, nahm Rick den Hund wieder auf den Arm und ging weiter. Er war jetzt überzeugt, daß in diesem Gebäude Dinge vor sich gingen, die etwas mit Magie oder Geistern und Dämonen zu tun hatten. An Hempshaws forschenden Blicken erkannte er, daß auch der Chefinspektor die Gefahr ahnte.

Sie betraten einen der großen, gekachelten Räume mit dem häßlich kalten Licht und den Türen ringsum in den Wänden, hinter denen die Kühlfächer untergebracht waren.

»Benjamin Potter«, sagte der Chefinspektor. »Und beeilen Sie sich! Ich will hier nicht erfrieren.«

Mit dem Gleichmut eines Mannes, der seit Jahren diesen Job ausführte, suchte der Angestellte die richtige Klappe heraus und zog daran. Mit einem heiseren Schrei ließ er den Griff los.

Auf gutgeölten Kugellagern rollte die Bahre vollständig aus der Wand und rastete mit einem dumpfen Laut ein. Rick Masters biß die Zähne zusammen, obwohl er mit etwas Ähnlichem gerechnet hatte. Chefinspektor Hempshaw murmelte eine Verwünschung.

Die Bahre, auf der Benjamin Potter liegen sollte, war leer, das Laken zusammengeknüllt am Fußende, auf der Bahre selbst auf rätselhafte Weise der Abdruck des Körpers verewigt, als ob jemand mit Kreide die Lage der Leiche markiert hätte.

»Das also war es«, stellte der Geisterdetektiv fest.

»Geben Sie Großalarm!« schrie der Chefinspektor den Angestellten an. »Die Leiche muß noch im Haus sein!«

Der Mann löste sich aus seiner Erstarrung und rannte auf den Korridor hinaus, wo ein Wandtelefon hing. Doch während er den Alarm durchgab, schüttelte Rick den Kopf.

»Diese Leiche werden Sie wahrscheinlich nicht mehr in diesem Haus finden«, behauptete er. »Oder meinen Sie, daß jemand den Toten gestohlen hat?«

»Ich weiß nur«, antwortete der Chefinspektor scharf, »daß ich mich an meine Vorschriften halten und eine Suchaktion einleiten muß! Alles Weitere ist Ihre Sache, Rick!«

Der Geisterdetektiv nickte und ging zu der Treppe. In der Gerichtsmedizin wurde es bereits lebendig. Die übrigen Angestellten, die auch nachts ihren Dienst versehen, machten sich auf die Suche nach der Leiche des Mordopfers. Die ersten Streifenwagen trafen ein.

Rick Masters wartete das Ergebnis nicht ab. Er kannte es im voraus, da er sicher war, Benjamin Potter habe sich in einen Untoten verwandelt. Es war nicht das erste Mal in seiner Laufbahn als Geisterdetektiv, daß ein Toter zu einem zweiten, einem unnatürlichen Leben erwachte.

Blieb nur die Frage, warum das geschehen war und wohin sich der Untote gewandt hatte. Vorläufig bekam Rick von niemandem eine Antwort auf diese Fragen, doch er war jetzt schon entschlossen, nicht früher locker zu lassen, als bis er diesen Fall gelöst hatte. Da er nicht den geringsten Anhaltspunkt besaß, wollte er dort einhaken, wo sich der Mord an Benjamin Potter ereignet hatte und wo sich auch die übrigen rätselhaften Zwischenfälle abgespielt hatten.

Der Geisterdetektiv fuhr mit seinem Hund zum City Tower. Draculas feiner Instinkt hatte sich auch diesmal bewährt. Mit seiner Hilfe, so hoffte Rick, würde es ihm gelingen, in dem riesigen Wolkenkratzer eine konkrete Spur aufzunehmen.

Er konnte noch nicht ahnen, in welches Wespennest er stach.

*

Seit der City Tower von unerklärlichen Zwischenfällen und Verbrechen heimgesucht wurde, sorgten zusätzlich zu dem üblichen Personal Nachtwächter für die Sicherheit der Bewohner. Sie standen allerdings auf verlorenem Posten, da man für jede Etage einen Wächter gebraucht hätte, um alle Zwischenfälle zu unterbinden.

Frank Bletcher war einer dieser Nachtwächter. Er hatte insgesamt zehn Etagen zu überprüfen, dazu noch das Treppenhaus und die Fahrstühle in seinem Bereich. Er wußte, daß er vorsichtig sein mußte, weil der City Tower inzwischen zu einem gefährlichen Pflaster geworden war. Er ahnte jedoch genausowenig wie alle anderen Beteiligten, mit welchen Gefahren sie es tatsächlich zu tun hatten.

An dem melodiösen Gong hörte er, daß der Aufzug auf der zweiunddreißigsten Etage hielt. Er selbst befand sich im Treppenhaus eine halbe Etage tiefer. Es war ein Uhr nachts. Frank Bletcher kam es seltsam vor, daß um diese Zeit jemand unterwegs war. Er wußte, daß wegen des schlechten Wetters fast alle Leute zu Hause blieben.

Natürlich konnte es sein, daß erst jetzt ein Mieter in sein Apartment zurückkehrte oder soeben weggehen wollte, doch Bletcher mußte sich davon überzeugen. Er hastete die Treppe hinauf und betrat den Korridor.

Wer immer mit dem Aufzug gekommen war, hatte kein Licht eingeschaltet. Das war verdächtig.

Unbehaglich sah sich der Nachtwächter um. Im Halbdämmer der Notbeleuchtung lag der Korridor vor ihm. Nichts regte sich. Die Kabine hielt auf diesem Stockwerk, die automatischen Türen standen offen, die Innenbeleuchtung brannte. Niemand stand im Aufzug.

Der Nachtwächter war kein besonders sensibler Mann. Trotzdem spürte er fast körperlich die Gefahr, die in der Luft lag. Er strengte seine Augen an und tastete nach dem Schalter für das Drei-Minuten-Licht.

Noch ehe seine Finger den Knopf erreichten, entdeckte er weiter hinten eine Bewegung. Tatsächlich, dort stand jemand dicht an die Wand gepreßt und versuchte, sich in einer Türnische zu verbergen.

Der Nachtwächter drückte den Schalter, doch das Licht flammte nicht auf. Statt dessen breitete sich ein unerklärlicher bläulicher Schimmer im Korridor aus, ein unheimliches Leuchten, das aus den Wänden drang und für das es keine vernünftige Erklärung gab.

Zitternd trat der Wächter einen Schritt vor. Er mußte trotzdem nachsehen, was da vorn vor sich ging. Dafür wurde er schließlich bezahlt, und er wollte seinen Job nicht verlieren.

Doch kaum hatte er drei Schritte getan, als er das Klappen einer Tür hörte. Der Unbekannte war verschwunden. Im nächsten Moment flammte die normale Beleuchtung auf.

In ihrem grellen Schein sah der Wächter, daß sich niemand mehr im Korridor aufhielt. Der Eindringling mußte die Tür geöffnet haben, vor der er sich versteckt hatte.

Frank Bletcher dachte nicht weiter über das geisterhafte Leuchten nach. Jetzt ging es nur mehr darum, den vermeintlichen Einbrecher zu stoppen.

Er lief auf die Tür zu, die er sich genau gemerkt hatte. Sie gehörte zu einer nicht vermieteten Wohnung und schwang auf leichten Druck zurück. Sie war nicht abgeschlossen.

Der Vormieter hatte offenbar den Stromanschluß nicht abgemeldet, da in allen Räumen nackte Glühlampen an der Decke waren und auch brannten.

Das Apartment besaß keinen zweiten Ausgang und nicht die geringsten Möglichkeiten für ein Versteck. Frank Bletcher sah in allen Räumen nach, und zuletzt war er verwirrt wie noch nie in seinem Leben.

Der Unbekannte hatte sich in Luft aufgelöst. Nach draußen konnte er nicht geflohen sein, da vor den Fenstern ein zweiunddreißig Stockwerke tiefer Abgrund gähnte, es keine Simse gab und die Fenster nur mit einem Spezialschlüssel geöffnet werden konnten. Auf den Korridor konnte er nicht ausgewichen sein, sonst wäre er dem Nachtwächter in dieArme gelaufen. Und in der Wohnung war er auch nicht.

Lange blieb Frank Bletcher verstört in dem leeren Apartment stehen. Dann löschte er die Lichter und trat auf den Korridor hinaus. Er setzte seinen Rundgang fort, als wäre nichts geschehen.

Zwar hatte er keine Erklärung für sein Erlebnis, aber er beschloß, mit niemandem darüber zu sprechen. Bestimmt hätten seine Vorgesetzten angenommen, daß er betrunken war, und seine Stelle wollte er nicht riskieren. Lieber vergaß er diesen ganzen Vorfall.

*

Am City Tower stieß Rick Masters auf unerwartete Schwierigkeiten. Der Nachtpförtner sprach mit ihm nur über eine Mikrofonanlage und weigerte sich zu öffnen. Er ließ sich auch von dem Ausweis als Privatdetektiv in keinster Weise stören, sondern berief sich auf seine Anweisungen, nach denen er keinen Fremden einlassen durfte.

Da Rick Masters noch keine offizielle Vollmacht des Managements des City Towers besaß, wollte er schon wieder fahren, als Chefinspektor Hempshaw eintraf. Dieser durfte sofort die Halle betreten, und als er für Rick bürgte, gelangten auch der Geisterdetektiv und sein Hund in das Hochhaus.

»Irgendwelche besonderen Vorfälle?« erkundigte sich Hempshaw bei dem Nachtpförtner.

Der Mann versicherte mit gutem Gewissen, daß nichts passiert war. Er hatte schließlich keine Ahnung, welche Dinge in diesem Gebäude vor sich gingen.

Während sich die drei Männer unterhielten, ließ Rick seinen Hund frei in der Halle herumlaufen. Dabei beobachtete er Dracula ständig und zuckte zusammen, als der Hund winselnd vor einem der Aufzüge zurückwich.

»Was ist mit dieser Kabine dort drüben?« fragte Rick den Pförtner.

»Nichts, was soll sein?« lautete die erstaunte Antwort.

Der Geisterdetektiv überlegte angespannt. »Über der Schiebetür befindet sich eine Leuchtanzeige, in welchem Stockwerk die Kabine steht. Im Moment ist das Nummer zweiunddreißig. Wurde der Aufzug in der letzten halben Stunde benutzt?«

Diesmal nickte der Pförtner. »Einer der Heizungstechniker fuhr von der Halle in das zweite Untergeschoß. Routineüberprüfung. Ja, und dann kam er wieder in die Halle und… Ich weiß jetzt nicht, wohin er ging. Ist das wichtig?«

»Was war weiter mit dem Aufzug?« Rick überging die Frage.

Der Pförtner sah sich hilflos um. »Ich achte nicht ständig darauf, Mr. Masters. Vor etwa zwanzig Minuten fuhr die Kabine in den zweiunddreißigsten Stock hinauf, und dort steht sie seither. Es ist eine ungewöhnlich ruhige Nacht. Sonst haben wir trotz der späten Stunde hier ein ständiges Kommen und Gehen.«

»Kommen Sie, Kenneth, sehen wir uns das einmal an«, forderte Rick seinen Freund von Scotland Yard auf. »Das ist doch interessant.«

Sie riefen eine andere Kabine ins Erdgeschoß und fuhren zum zweiunddreißigsten Stock hinauf. Die erste Kabine stand noch auf dieser Etage.

»Ich kann nichts daran entdecken«, meinte der Chefinspektor.

»Dracula weicht davor zurück.« Rick ging näher. »Äußerlich gibt es keine Spuren, aber mit diesem Aufzug ist etwas geschehen. Vielleicht hat ihn jemand benutzt, der Verbindung zur Schwarzen Magie hat.«

Das Schnappen eines Türschlosses ließ die beiden Männer herumwirbeln. Auch Dracula drehte sich blitzschnell um und knurrte leise, zeigte jedoch nicht sein übliches Verhalten bei magischen Gefahren.

Aus dem Treppenhaus trat ein Mann in einer schwarzen Uniform. Rick erkannte in ihm den Wächter eines privaten Wachunternehmens.

»Was machen Sie hier?« fragte der Mann und kam vorsichtig näher.

Hempshaw zeigte seinen Ausweis.

»Haben Sie in der letzten Stunde etwas Verdächtiges bemerkt?« fragte er.

»Nein.« Der Wächter sagte es erst nach kurzem Zögern.

Rick war nicht entgangen, daß der Mann mit etwas hinter dem Berg hielt. »Heraus mit der Sprache.« Er klopfte auf den Busch. »Da war etwas, und es hat mit dem Aufzug zu tun.«

Der Wächter musterte ihn erschrocken, nickte und schilderte sein Erlebnis in dem leerstehenden Apartment. Rick und Hempshaw ließen es sich zeigen, und der Geisterdetektiv nickte befriedigt. Dracula war nicht dazu zu bewegen, diese Wohnung zu betreten.

»Ich lasse meine Leute anrücken«, entschied der Chefinspektor. »Die Spurenexperten sollen sich die Wohnung vornehmen.«

»Sie werden nichts finden«, prophezeite der Geisterdetektiv. »Untote hinterlassen keine Spuren.«

»Sie denken an Benjamin Potter?« fragte der Chefinspektor so leise, daß nur Rick ihn verstand.

Masters zuckte die Schultern. »Es wäre zumindest möglich. Potter ist aus der Gerichtsmedizin verschwunden. Meiner Meinung nach wurde er auf magische Weise zu einem zweiten Leben erweckt. Warum sollte er nicht an den Ort zurückgekehrt sein, an dem er ermordet wurde? Er wurde doch im Fahrstuhl ermordet, oder?«

»Genau in dieser Kabine.« Der Chefinspektor nickte düster und deutete auf den Aufzug, vor dem Dracula auf seine Weise gewarnt hatte. »Trotzdem hole ich meine Leute.«

Rick blieb noch eine Weile im City Tower, mußte jedoch einsehen, daß er in dieser Nacht nichts mehr erreichte. Für den nächsten Vormittag hatte er einen Termin bei dem Manager der Verwaltungsgesellschaft. Wenn er nicht während der Besprechung einschlafen wollte, mußte er endlich nach Hause.

Er verabschiedete sich von Chefinspektor Hempshaw und fuhr zu seinem Wohnbüro. Es war nicht weit, da es ebenfalls in der Londoner City lag.

Für einen Anruf bei Hazel Kent war es schon zu spät. Rick beschloß, am nächsten Morgen mit ihr zu telefonieren und zu versuchen, sie für den verdorbenen gemeinsamen Abend zu entschädigen.

Er wußte allerdings jetzt schon, daß es noch viele verdorbene Abende geben mußte, so lange dieser Fall nicht abgeschlossen war.

*

Äußerlich hatte sich Roddy Benares kaum verändert. Ein flüchtiger Beobachter hätte an ihm gar nichts festgestellt. Nur bei genauerem Hinsehen fielen die starren, wie polierte Steine wirkenden Augen auf, das unbewegte Gesicht und die eckigen Bewegungen. Ansonsten unterschied sich Roddy Benares nicht von einem gewöhnliches Menschen.

Gegen drei Uhr morgens hatte Roddy Benares ein unheimliches Treffen mit einem Artverwandten. Vor Stunden noch war er über den Mann mit der klaffenden Halswunde zu Tode erschrocken. Jetzt zeigte er keine Gefühlsregung, als er mit ihm auf der obersten Etage des City Towers zusammentraf.

Sie sprachen nicht miteinander. Untote besaßen andere Möglichkeiten der Verständigung, Außerdem hatten beide einen klaren Befehl erhalten, so daß eine Absprache unnötig war.

Mit gleichförmigen Bewegungen betraten sie nebeneinander eines der Chefbüros. Wie Roboter begannen sie ihr Zerstörungswerk. Sie gingen systematisch vor und vergaßen nichts.

Mit der Präzision von Maschinen verwandelten sie das Büro in ein Trümmerfeld, vernichteten auch Kleinigkeiten und persönliche Gegenstände des Benutzers und zogen sich schließlich genauso unbemerkt zurück, wie sie gekommen waren.

Nebeneinander stellten sie sich vor den Aufzügen auf. Potter drückte den Rufknopf.

Die Leuchtanzeige über den automatischen Schiebetüren verriet, welche Kabine zu ihnen hochfuhr. Sie gab jedoch keine Auskunft darüber, daß sich in dieser Kabine jemand befand.

Ein wohltönendes Glockensignal zeigte die Ankunft der Kabine an. Die Türen öffneten sich.

Nebeneinander betraten die beiden lebenden Leichen den Aufzug. Genau in diesem Moment wollte Frank Bletcher die Kabine verlassen. Er sah sich plötzlich zwei Männern mit unheimlich starren Gesichtern und erloschenen Augen gegenüber. Sein Blick fiel auf die Halswunde des einen.

Mit einem erstickten Gurgeln brach Bletcher in die Knie. Der erste Zwischenfall in dieser Nacht hatte ihn schon Nerven gekostet. Dieser Anblick war jetzt zuviel für ihn.

Wie eine Puppe fing Benjamin Potter den Ohnmächtigen auf und legte ihn vor den Aufzügen auf den Boden. In der Halle stand ein Hausbewohner und unterhielt sich mit dem Nachtpförtner. Der Mann wartete auf den Aufzug, den er gerufen hatte.

Die Kabine kam, fuhr jedoch am Erdgeschoß vorbei in das zweite Untergeschoß.

»Merkwürdig«, murmelte der Pförtner. »Er hätte halten müssen.«

»Nicht so schlimm, fahre ich eben mit einem anderen Aufzug«, meinte der ahnungslose Hausbewohner.

Dem Nachtpförtner ließ das jedoch keine Ruhe. Er sah im zweiten Kellergeschoß nach und fand dort nichts. Allerdings erinnerte er sich daran, daß die Kabine aus dem obersten Stockwerk gekommen war. Dort prallte er erschrocken zurück.

Vor ihm lag einer der Wächter, und der Pförtner verstand genug von Erster Hilfe, daß er eine Diagnose stellen konnte.

»Herzinfarkt!« meldete er auch gleich danach von dem Telefon in seiner Kabine unten in der Halle.

Als der Pförtner jedoch gemeinsam mit dem Notarzt in der zweiundvierzigsten Etage den Aufzug verließ, war von dem Kranken nichts zu sehen.

*

Um wenigstens während des Schlafes ungestört zu sein, hatte Rick Masters einen automatischen Anrufbeantworter in seinem Wohnbüro in der Londoner City installiert. Wenige Eingeweihte wußten, daß das Telefon trotzdem klingelte, wenn man lange genug wartete. Chefinspektor Kenneth Hempshaw gehörte zu diesen Eingeweihten, so daß Rick nicht erstaunt war, Hempshaws Stimme zu hören. Das Telefon hatte um sieben Uhr morgens infernalisch zu klingeln begonnen und erst damit aufgehört, als Rick abgehoben hatte.

»Tut mir leid, daß ich Sie störe, Rick«, sagte der Chefinspektor, dem man deutlich anmerkte, daß er selbst noch sehr müde war. »Aber ich habe soeben eine Meldung aus dem City

Tower erhalten. Dort ist wieder etwas passiert, und zwar schon vor mehreren Stunden.«

»Wieso hören Sie dann erst jetzt davon?« murmelte Rick und starrte zu den Fenstern. Draußen war es noch dunkel, und der Regen klopfte nicht gerade einladend gegen die Scheiben.

»Eine Panne, die ich erst aufspüren muß.« Hempshaw räusperte sich. Der Nachtpförtner behauptet, er hätte einen Wächter bewußtlos in der zweiundvierzigsten Etage gefunden. Vor den Aufzügen. Herzinfarkt.«

»Ein Wächter?« Rick wurde nur in Stufen wach. Die Nachricht half mit, ihn aus dem Schlaf zu rütteln.

»Der Wächter, mit dem wir gesprochen haben«, fuhr der Chefinspektor fort. »Der Nachtpförtner besitzt einige medizinische Kenntnisse. Er schwört, daß es ein Herzinfarkt war.«

»Können das denn die Ärzte nicht feststellen?« Nun richtete sich der Geisterdetektiv erstaunt in seinem Bett auf »Müßte doch möglich sein, oder etwa nicht?«

»Oder etwa nicht.« Hempshaw lachte kurz bitter auf. »Der angeblich so schwer Kranke war verschwunden, als der Nachtpförtner mit dem Notarzt eintraf. Was sagen Sie dazu?«

»Wo sind Sie?« fragte Rick nur knapp.

»Noch in meiner Wohnung«, gab der Chefinspektor zurück. »Ich fahre jetzt zum Tower.«

»Wir treffen uns dort«, erwiderte der Geisterdetektiv, legte auf und stellte sich unter die Dusche. Danach ging es ihm besser. Auf Kaffee oder Tee verzichtete er.

»Tut mir leid, mein Bester«, murmelte er, als Dracula ungnädig brummte, weil Rick ihn aus seinem Bett hob. »Du mußt mit! Ich brauche einen Geisterspürer.«

Dracula hatte vermutlich keine Ahnung, was sein Herr damit meinte. Er bekam jedoch die Auswirkungen zu spüren, weil Rick ihn in den regnerischen Morgen hinaustrug und mit ihm losfuhr.

Hempshaws Dienstwagen stand bereits vor dem City Tower. Der Chefinspektor wartete auf den Geisterdetektiv. Sie begrüßten einander mit einem knappen Kopfnicken und fuhren nach oben.

»Der Pförtner ist jetzt bei Mr. Brinkfield«, erläuterte Hempshaw. »Brinkfield ist der Manager der City Tower Gesellschaft und Ihr offizieIler Auftraggeber.«

»Den Wächter hat man nicht gefunden?« erkundigte sich Rick.

»Der Mann ist wie vom Erdboden verschluckt.« Hempshaw blickte starr geradeaus. Dieser Fall bereitete ihm größeres Kopfzerbrechen, als er sich anmerken lassen wollte.

Eine Sekretärin nahm die beiden in Empfang, lächelte besonders dem gutaussehenden Geisterdetektiv zu und führte die Besucher in ein spärlich und sehr nüchtern eingerichtetes Büro. Rick wunderte sich, daß der Manager in einem solchen Büro arbeitete.

Der Nachtpförtner saß zusammengesunken und ziemlich unglücklich in einem abgeschabten Sessel. Hinter dem winzigen, wie ausrangiert wirkenden Schreibtisch erhob sich ein ungefähr vierzigjähriger massiger Mann mit einem energisch offenen Gesicht und kam auf Hempshaw und Rick zu.

»Ich bin Mort Brinkfield, Mr. Masters.« Er schüttelte Rick die Hand.

»Freut mich«, murmelte der Geisterdetektiv. »Woher kennen Sie mich?«

»Aus der Zeitung!« Brinkfield strahlte. »Es wird oft genug über Ihre Erfolge berichtet. Chefinspektor! Guten Morgen! Gentlemen, es tut mir leid, daß ich Sie in diesem Büro empfangen muß. Mein eigenes ist nicht benutzbar. Kommen Sie und sehen Sie selbst!«

Er führte die beiden Detektive zu einem der angrenzenden Büros, an dem ein Namensschild verkündete, daß es dem Manager gehörte. Als er die Tür öffnete, stieß Rick einen überraschenden Pfiff aus. Das Büro war in ein Trümmerfeld verwandelt worden.

Gleichzeitig wich Dracula jaulend zurück. Rick schloß hastig die Tür. Sofort beruhigte sich der Hund. Als der Geisterdetektiv die Tür erneut öffnete, jaulte Dracula los.

»Also waren wieder unsere Freunde am Werk«, stellte Hempshaw fest und gab gleichzeitig zu, daß er an das Wirken einer magischen Kraft glaubte.

»Sie machen Fortschritte und bessern sich zusehends.« Rick konnte sich diesen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. »Und nun zu Ihnen, Mr. Brinkfield. Weiß jemand, wer das getan hat? Hat niemand etwas bemerkt?«

»Erst heute morgen meine Sekretärin.« Brinkfield räusperte sich vielsagend. »Mein Büro war verschlossen, niemand hatte Zutritt, nicht einmal die Nachtwächter.«

»Dann hören wir uns an, was der Nachtpförtner zu sagen hat«, schlug Rick vor, der nicht weiter auf die Zerstörung des Büros einging.

Der Pförtner war gebrochen. Er war davon überzeugt, daß niemand ihm glaubte.

»Sie werfen mich doch nicht hinaus, Mr. Brinkfield?« fragte er besorgt. »Sie glauben doch nicht, daß ich im Dienst getrunken habe? Ich trinke nie!«

»Ich glaube Ihnen«, sagte Rick Masters, ehe der Manager etwas erwiderte. »Mr. Brinkfield, ich möchte verständigt werden, sobald dieser Frank Bletcher auftaucht. So hieß doch der Wächter, der den Herzinfarkt erlitt.«

»Richtig«, bestätigte der Manager. »Da ist allerdings noch etwas, Mr. Masters, das ich Ihnen nicht verschweigen will.« Er schickte erst den Nachtpförtner weg, nachdem er diesem versichert hatte, daß er nichts befürchten mußte. »Mr. Masters, ich beauftrage Sie hiermit, die Vorgänge im City Tower zu klären. Ich sorge auch dafür, daß Sie Ihr Honorar bekommen. Aber nicht alle in der Firmenleitung sind meiner Meinung!«

»Richtig«, ertönte es von der Tür her, die sich unbemerkt geöffnet hatte.

Ein Mann trat ein, der sofort die Aufmerksamkeit fesselte. Er war noch größer als Rick, etwa sechzig, und seine schwarzen Augen standen in einem starken Kontrast zu den dichten weißen Haaren. Trotz seines Alters wirkte seine breitschultrige Gestalt sehr sportlich. Er nickte Rick Masters und Chefinspektor Hempshaw freundlich zu, obwohl seine Haltung deutlich ablehnend war.

»Ich bin Ernest Patmore, Generalmanager der City Tower Gesellschaft«, stellte er sich selbst vor. »Ging es nach mir, würde ich Sie nicht engagieren, Mr. Masters. Aber in diesem Punkt hat Mr. Brinkfield freie Entscheidung.«

»Und was haben Sie gegen mich?« fragte Rick ruhig. Er war gewohnt, daß ihn nicht alle Leute mit offenen Armen empfingen.

»Nicht Persönliches.« Ernest lächelte knapp. »Es geht um den Ruf unseres Hauses. Wird allgemein bekannt, was sich schon alles ereignet hat, sind wir ruiniert. Wird außerdem bekannt, daß die Polizei bisher machtlos war, wird eine Massenflucht aus diesem Haus einsetzen. Innerhalb weniger Wochen haben wir einen leeren Wolkenkratzer in der City von London, und innerhalb weiterer drei oder vier Wochen müssen wir Konkurs anmelden.«

»Wäre es Ihnen lieber, die Leute blieben hier und werden umgebracht?« fragte Chefinspektor Hempshaw scharf, dem der Seitenhieb auf die Polizei nicht gefiel.

»Ich möchte, daß die Polizei den Fall klärt und daß die Leute bleiben«, erwiderte Patmore mit unerschüttlicher Ruhe. »Mr. Masters aber ist bekannt dafür, daß er besonders gefährliche und schwierige Fälle übernimmt. Wenn er in diesem Gebäude auftaucht und die Presse davon Wind bekommt, sind wir ruiniert.«

»Ich werde so diskret wie möglich vorgehen«, sagte der Geisterdetektiv. »Im übrigen können Sie sich beruhigen. Ich unterhalte keine Verbindungen zur Presse, weil ich lieber im Verborgenen arbeite. Und die Zeitungsberichte über mich sind mir auch nicht angenehm. Außerdem würden Sie mich jetzt nicht mehr loswerden. Wenn ich auf einen Fall gestoßen bin, in dem lebende Leichen und magische Kräfte eine Rolle spielen, lasse ich nicht mehr locker.«

Mort Brinkfield riß die Augen auf und starrte Rick an, als habe dieser von ihm verlangt, aus dem Fenster zu springen. Ernest Patmore hingegen legte den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend.

»Brinkfield!« rief er und schlug dem Manager auf die Schulter. »lch nehme alles zurück! Mr. Masters gefährdet den Ruf unseres Unternehmens in keiner Weise! Man kann ihn nämlich nicht ernst nehmen!«

Damit trat er aus dem notdürftig eingerichteten Büro und ließ einen völlig verstörten Manager zurück.

»Haben Sie das eben ernst gemeint, Mr. Masters?« vergewisserte sich Brinkfield.

»Absolut!« Rick stand auf und nahm Dracula auf den Arm. »Wenn Sie sich alles durch den Kopf gehen lassen, was bisher geschehen ist, werden Sie erkennen, daß ich recht habe. Sie brauchen mir jedoch nicht zu glauben. Es stört mich nicht. Ich liefere Ihnen den Täter, der das alles angezettelt hat, ob Sie wollen oder nicht!«

Damit ging auch der Geisterdetektiv. Er sah eben noch das fassungslose Gesicht des Managers, dann schloß er die Tür hinter sich und wandte sich dem Aufzug zu.

Eine der Kabinen hielt soeben auf seiner Etage. Die Schiebetüren glitten zurück und gaben den Blick auf den einzigen Benützer des Aufzuges frei. Rick kannte den Mann von dem Foto in einer Personalakte.

Es war der Nachtwächter Frank Bletcher.

*

»Mr. Bletcher?« Rick Masters war für einen Moment so sprachlos, daß er nichts mehr hervorbrachte.

Der Wächter musterte ihn mit einem starren Blick. »Ja, warum nicht?« fragte er kopfschüttelnd.

Der Geisterdetektiv erholte sich rasch. »Weil Sie angeblich in der letzten Nacht einen Herzinfarkt erlitten haben.«

Bletcher zeigte sich nicht beeindruckt. »Wer erzählt solchen Unsinn?« fragte er. »Ach so, ich kann mir schon vorstellen, worum es geht. Mir wurde schlecht, das stimmt, aber ich habe mich rasch wieder erholt. Sonst noch etwas?«

»Nein.« Rick schüttelte den Kopf und gab den Weg frei. Er hatte wirklich keinen Grund, den Mann festzuhalten, obwohl er ein merkwürdiges Gefühl hatte. Da Dracula jedoch keinen Alarm schlug, schöpfte er keinen Verdacht. Die Erklärung des Wächters klang glaubwürdig. Rick wußte außerdem, daß in diesem Haus offenbar alle Angestellten ständig um ihren Job zitterten und deshalb Fehler und Schwächen nicht zugaben.

Als Chefinspektor Hempshaw gleich darauf das provisorische Büro des Managers der City Tower Gesellschaft verließ, war Bletcher bereits in einem anderen Büro verschwunden.

Rick erzählte seinem Freund, was er soeben erlebt hatte. Der Chefinspektor atmete erleichtert auf. »Dann wäre das ja geklärt«, meinte er. »Ich sage gleich Brinkfield Bescheid. Und dann unterhalte ich mich auch noch mit Bletcher. Ich brauche seine Aussage für das Protokoll.« Er stutzte, als er Ricks Gesicht betrachtete. »Was ist, Rick? Sie sehen so unzufrieden aus. Wäre Ihnen lieber, Sie wären einer ganz bösen Sache auf die Spur gekommen?«

»Das nicht«, räumte der Geisterdetektiv ein. »Aber merkwürdig kommt mir das alles schon vor.«

Hempshaw klopfte ihm auf die Schulter. »Sie haben sich so in Ihre Ideen von Geistern, Dämonen und Schwarzer Magie verrannt«, meinte er gönnerhaft, »daß Sie manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Es gibt eben für alles eine natürliche Erklärung.«

Rick runzelte die Stirn. Er kannte die Vorliebe des Chefinspektors, sich an die natürlichen Erklärungen zu halten, aber diesmal wollte er Hempshaw dennoch einen Dämpfer verpassen »Dann verraten Sie mir bitte die natürliche Erklärung für das Verschwinden einer Leiche«, sagte er grinsend. »Oder wissen Sie schon, wo Benjamin Potter geblieben ist?«

Sofort verdüsterte sich Hempshaws Gesicht. »Sie gönnen mir aber auch gar nichts, Rick«, murmelte er. »Aber Sie werden sehen, daß es auch dafür eine vernünftige Erklärung gibt.«

»Eine Erklärung auf jeden Fall.« Rick grinste noch breiter. »Die Frage ist nur, ob sie Ihnen gefallen wird.«

Der Chefinspektor spielte den Wütenden und stampfte wortlos zu den Aufzügen. Als er jedoch den Knopf für das Erdgeschoß drückte, schmunzelte er. Sie stritten sich nur ganz selten ernstlich.

Soeben kam Mort Brinkfield aus seinem Büro. Rick hielt ihn an.

»Können Sie sich einen Grund für die Verwüstung Ihres Büros vorstellen?« fragte er den Manager der Vermietungsgesellschaft.

Brinkfield hob hilflos die Achseln. »Ich habe auch schon darüber nachgedacht«, gestand er ein. »Vielleicht ist es ein Mieter, den wir an die frische Luft gesetzt haben. Oder jemand, der sich über die hohen Preise in diesem Haus ärgert. Oder jemand, der einfach Freude an Zerstörung hat.«

»Nicht gerade aufschlußreich.« Rick Masters zuckte bedauernd die Schultern. »Sorgen Sie bitte dafür, daß ich alles erfahre, was in diesem Gebäude geschieht. Der kleinste Zwischenfall kann von Bedeutung sein.«

»Auch, wenn die Raumtemperatur schwankt?« fragte Brinkfield spöttisch.

»Auch das«, erwiderte Rick ernst. »Führen Sie über alles, was sich ereignet, Buch. Und wenn es ein ernster Vorfall ist, verständigen Sie den Chefinspektor oder mich! Und nehmen Sie es nicht auf die leichte Schulter. Die Sache ist ernster, als Sie denken.«

Brinkfield sah ihn verblüfft an. »Eine Frage, Mr. Masters. Was Sie vorhin gesagt haben, nämlich daß Geister und Magie im Spiel ist, das haben Sie doch nicht ernst gemeint!«

Seufzend zuckte der Geisterdetektiv die Schultern. Es hatte keinen Sinn, sich mit diesem Mann zu streiten. Brinkfield würde sich nur überzeugen lassen, falls er selbst in einen Kampf gegen Geister und Schwarze Magie verwickelt wurde.

»Genügt es Ihnen, daß ich bisher immer erfolgreich war?« fragte Rick. »Sie haben mich engagiert, und ich werde meine Arbeit ausführen. Darauf können Sie sich verlassen.«

Damit ließ er den Manager stehen und fuhr in das zweite Kellergeschoß hinunter. In der vergangenen Nacht hatte diese Etage eine gewisse Rolle gespielt, weshalb Rick sich hier umsehen wollte.

Er wurde bereits erwartet.

Kaum verließ er den Aufzug, als ihn zwei tote, erloschene Augen nicht mehr losließen und jeden seiner Schritte verfolgten.

*

Beim Betreten des City Towers konnte Joe Tiger ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken.

Sein Manager Alf Clatter hatte sich immer nur in Trainingshallen zu Hause gefühlt. Er war am Boxring groß geworden und hatte sein Leben lang die Luft der Trainingscamps geatmet. Jetzt, mit zweiundfünfzig, wollte er hoch hinaus. Das bezog sich nicht nur auf die Höhe des City Towers. Manager Alf Clatter besaß jetzt ein Büro, das mit Teppichen ausgelegt war und von dem aus man die St. Paul’s Cathedral sah. Früher hatten ihm rohe Holzbretter auf dem Boden und die Aussicht auf den Ring genügt.

»Vornehm, vornehm«, murmelte Joe Tiger und musterte die elegante Einrichtung der Halle. Er strebte dem Aufzug zu. Joe Tiger war Boxer, mit vierundzwanzig Jahren eines der großenTalente Londons, und er wollte seinen Manager besuchen.

Joe Tiger erhoffte sich von den nächsten Wochen eine ganze Menge. Er befand sich in Topform, besser konnte es gar nicht werden. Er fühlte sich stark genug, um jeden Gegner zu schlagen.

Der Aufzug katapultierte ihn in Rekordzeit nach oben. Joe Tiger war allein in der Kabine. Auch auf der Etage, auf der Clatters Büro lag, war niemand zu sehen. Hinter einigen Türen klapperten Schreibmaschinen, hinter anderen schrillten Telefone. Im City Tower waren außer teuren Wohnungen auch teure Büros untergebracht.

Da Joe Tiger niemanden nach der richtigen Tür fragen konnte, machte er sich selbst auf die Suche nach Clatters Schild. Er kam allerdings nicht weit.

Bereits nach wenigen Schritten hörte er hinter sich das Klingeln des Aufzugs, der auf diesem Stockwerk hielt. Er warf einen flüchtigen Blick zurück und sah eine jüngere Frau. Automatisch lächelte er, weil sie gut aussah und er an keiner hübschen Frau vorbeiging, ohne wenigstens einmal zu lächeln. Oft hatte das Erfolg, da er nicht schlecht aussah.

Diesmal prallte sein Versuch jedoch von einem eisigen Panzer ab, der die Frau umgab. Sie hielt eine Aktenmappe unter dem Arm und wirkte wie eine Sekretärin. Diesen Eindruck hatte zumindest Joe Tiger.

Gleich darauf verstand er jedoch überhaupt nichts mehr.

Sie kam mit raschen Schritten direkt auf ihn zu. Er trat unwillkürlich zur Seite, um sie vorbeizulassen.

Die Frau änderte die Richtung. Wieder strebte sie genau auf ihn zu.

Unbehagen beschlich den jungen Boxer. Die Augen dieser Frau blickten so merkwürdig starr, als wolle sie durch ihn hindurchsehen. Und ihren Bewegungen fehlte die Geschmeidigkeit.

»Miss, hören Sie…«, setzte er an, als sie nur mehr drei Schritte von ihm entfernt war.

Er kam nicht weiter. Ein fürchterlicher Schlag traf ihn an der Brust und schleuderte ihn gegen die Wand. Joe Tiger hatte das Gefühl, sein Rücken würde zerbrechen. Benommen blieb er stehen. Seine schlimmsten Gegner im Ring hatten kaum diese Kraft aufgebracht.

»He!« rief er. »Was soll das?«

Die Frau kam näher. Ihre Augen hielten ihn umkrallt. Ihre Hände zuckten hoch.

Diesmal war Joe Tiger gewarnt. Er hielt die Frau für eine Verrückte. Vielleicht war sie auch süchtig und hatte die Kontrolle über sich verloren. Jedenfalls meinte er, mit seinen Kräften eine Frau spielend abwehren zu können.

Er nahm die Deckung hoch. Seine Fäuste besaßen einen beachtlichen Umfang. Joe Tiger war ein Muskelpaket.

Doch ein kurzer Schlag der Frau, und seine Deckung brach auf. Ein zweiter Schlag, und er hatte das Gefühl, sein Kinn wäre explodiert.

Vor seinen Augen funkelten Sterne. In seinem Kopf dröhnte es. Schwer angeschlagen lehnte Joe Tiger an der Wand.

Nun merkte er, daß er zu sorglos gewesen war. Seine breiten Hände schnellten hoch.

Er bekam die Handgelenke der Unbekannten zu fassen und schloß seine Finger in einem eisernen Griff. Kein normaler Mensch wäre fähig gewesen, sich jetzt noch zu befreien.

Mit unwiderstehlichem Druck löste sich die Frau aus seiner Umklammerung und griff erneut an.

Nun wußte Joe Tiger, daß er keine Rücksicht mehr nehmen durfte. Ob er nun durchtrainierter Boxer war oder nicht, hier ging es um sein Leben. Er fightete nach allen Regeln der Kunst, aber es half ihm nichts. Gegen einen überlegenen Gegner im Ring hätte er sich nicht verbissener wehren können als gegen diese Frau. Trotzdem ging er nach einer knappen Minute zu Boden, völlig ausgepumpt und zugerichtet, wie es in seinen schlimmsten Kämpfen nicht passiert war.

Als kurz darauf der Manager Alf Clatter sein Büro zufällig verließ und seinen Boxer Joe Tiger in jämmerlichem Zustand auf dem Korridor fand, war von der Frau nichts mehr zu sehen.

Joe Tiger wurde auf schnellstem Weg ins Krankenhaus gebracht.

*

Rick Masters machte sich keine lllusionen. In einem so großen Haus mit zahlreichen Mietern und Büroangestellten, mit unzähligen Besuchern und einem ganzen Stab an Personal war es so gut wie ausgeschlossen, einfach ins Blaue loszuziehen und nach Anhaltspunkten zu suchen.

Andererseits mußte er etwas unternehmen, weil er sich sonst nutzlos vorkam. Er konnte nicht einfach irgendwo sitzen und darauf warten, daß wieder etwas passierte.

Deshalb sah er sich im zweiten Kellergeschoß um. Im ersten waren die Privatkeller untergebracht. Hier unten jedoch brummten und stampften die Versorgungsmaschinen des Hochhauses, die Wasserpumpen, die Heizung und die Klimaanlage. Abwasser rauschte durch dicke Rohre. Elektrische Leitungen liefen, zu Bündeln zusammengefaßt, aus der Decke in den Boden und an den Wänden entlang und bildeten ein unbeschreibliches Gewirr.

Rick Masters war zwar technisch begabt. Es blieb ihm jedoch immer ein Rätsel, wie sich Menschen in einer solchen Zentrale zurechtfanden. Die technische Seite interessierte ihn so sehr, daß er zu wenig auf seine Umgebung achtete. Erst ein leises Knurren seines Hundes machte ihn darauf aufmerksam, daß etwas nicht stimmte.

Dracula hielt die für den kleinen Körper viel zu groß geratenen Ohren aufgestellt und lauschte nach allen Seiten. Das empfindliche Gehör des Hundes hatte offenbar etwas aufgefangen, was Rick verborgen blieb. Die ununterbrochenen Geräusche der Maschinen schluckten ohnedies alle anderen Laute.

Rick nahm seinen Hund auf den Arm und beobachtete ihn, wurde daraus jedoch auch nicht schlau. Dracula konnte sich selbst nicht entscheiden, aus welcher Richtung sich jemand näherte.

Dennoch blieb der Geisterdetektiv gelassen. Erstens war er gut bewaffnet und verstand sich auch auf verschiedene Kampftechniken. Und zweitens zeigte Dracula nur die Nähe eines Menschen an, nicht jedoch das Wirken einer magischen Kraft. Und mit einem menschlichen Gegner glaubte Rick fertig zu werden, auch wenn der unübersichtliche Keller einen Überfall leichter machte.

Da sich innerhalb der nächsten Minuten nichts tat, beschloß Rick, sich so zu benehmen, als habe er nichts gemerkt. Er setzte seinen Rundgang fort, als wäre nichts geschehen. Möglicherweise war Draculas Warnung auch überflüssig. Hier unten mußten sich sogar Menschen aufhalten, eben die Wartungstechniker, die für die ausgedehnte technische Anlage verantwortlich waren.

Dennoch wurde Rick ein unangenehmes Gefühl nicht los, und seine Aufmerksamkeit steigerte sich noch, als er sich der Heizung näherte. Die mächtigen Kessel boten ein besonders gutes Versteck.

Tatsächlich! Er hatte sich nicht getäuscht.

Für einen Sekundenbruchteil erkannte er eine Gestalt, die sich von einem Kessel zum anderen schnellte und dahinter in Deckung ging.

Er wurde scharf beobachtet.

Dracula knurrte wieder. Rick rief ihn zu sich und blieb stehen. Er wollte seinen Gegner zu einem Kampf herausfordern. Wenn es schon dazu kommen mußte, so war es besser, es passierte hier und jetzt, wo Rick Platz und Zeit bestimmen konnte.

Umständlich kramte er in seinen Taschen nach den Zigaretten und dem Feuerzeug. Dabei fiel ihm ein, daß er Hazel anrufen wollte und bisher nicht dazu gekommen war. Das Feuerzeug hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt. Bei der nächsten Zigarette mußte er unbedingt daran denken und das nächste Telefon suchen. Sie machte sich bestimmt schon Sorgen um ihn.

Weiter kam Rick in seinen Überlegungen nicht. Er hatte nämlich kaum das Feuerzeug weggesteckt, als sich der Mann zeigte. Er trat offen hinter dem Heizungskessel hervor.

Seine Arme hingen locker an den Seiten herunter, die Finger waren wie Klauen weggespreizt. Leicht geduckt schlich der Fremde näher.

Auf den ersten Blick erkannte Rick Masters, daß er einen besonders gefährlichen Feind vor sich hatte. Er wußte, was dieser starre, leblose Gesichtsausdruck zu sagen hatte. Er deutete es auch richtig, daß die Augen des Mannes wie polierter Stein schimmerten. Und er sah schließlich die klaffende Halswunde, die kein Mensch überleben konnte.

Ein Untoter!

Blitzartig erinnerte er sich daran, was Chefinspektor Hempshaw über den Mord im Aufzug berichtet hatte. Dieser Mann mußte Benjamin Potter sein, der Wartungsingenieur der Aufzugsfirma.

Dracula wich heulend in eine Ecke zurück und kroch unter ein dicht über dem Boden liegendes Rohr.

Keine Sekunde zu früh.

Im nächsten Moment griff der Untote an!

*

Aus dem Stand heraus schnellte sich der Untote wie ein Raubtier durch die Luft.

Rick sah ihn kommen und ließ sich blitzschnell fallen. Der lebende Leichnam segelte über ihn hinweg und prallte gegen einen der Kessel. Ein Mensch wäre von dem Aufschlag betäubt gewesen, nicht so der Untote. Er wirbelte sofort herum und griff den am Boden liegenden Geisterdetektiv an.

Rick rollte sich zur Seite, entging diesmal jedoch nicht ganz den vorschnellenden Händen. Eine Pranke des Angreifers streifte ihn. Es fühlte sich an, als wäre der Heizungskessel auf Ricks Arm gefallen.

Die andere Hand des Untoten schlug mit voller Wucht auf die Stelle, an der Rick eben noch gelegen hatte. Entsetzt sah der Geisterdetektiv, wie die schwere Betonplatte des Bodens brach. Ein tiefer Riß entstand. Hätte er sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht, wäre er von dem Schlag getötet worden.

Rick durfte sich nicht auf einen Zweikampf einlassen. Kein Mensch konnte ihn gewinnen. Mit einem Panthersatz brachte er sich hinter einem Gewirr von armdicken Rohren in Sicherheit.

Es war nur eine trügerische Sicherheit, wie er gleich darauf merkte. Der Untote folgte ihm, doch anstatt über die Leitungen zu klettern, zerschlug er sie wie Spinnweben. Die dicken Eisenrohre splitterten. Dampf sprühte nach allen Seiten. Heißes Wasser schoß aus den Bruchstellen.

Rick warf sich rücklings gegen die Wand, um nicht verbrüht zu werden. Der Untote wurde in den kochend heißen Dampf gehüllt und voll von einem Strahl getroffen. Es machte ihm nichts aus. Sein wächsernes Gesicht blieb unverändert. Die Wucht des Dampfdruckes trieb ihn jedoch einige Schritte zurück.

Das gab Rick Masters die Atempause, die er brauchte. Seine Hand tauchte unter sein Jakett.

Wenn er auf Einsatz ging, trug er stets zwei Waffen bei sich. Die automatische Pistole konnte er jetzt allerdings nicht gebrauchen. Gegen einen Untoten war sie wirkungslos. Die Kugeln hätten ihn nicht einmal aufgehalten.

Die Silberkugel jedoch mußte Rick retten. Nur walnußgroß und unscheinbar, besaß sie weißmagische Kräfte, die den Geisterdetektiv schon ein paarmal vor tödlichen Gefahren bewahrt hatten.

Hastig zerrte Rick die Kugel hervor, gerade noch rechtzeitig, denn der Untote überwand die Wucht des Dampfstrahls, stemmte sich dagegen und kam hinter die Rohrleitungen.

Rick konnte nicht mehr ausweichen. In seinem Rücken befand sich eine Betonmauer, links ebenfalls, rechts die Leitungen. Wenn die Kugel gegen diesen Untoten nicht wirkte, war er verloren.

Trotz des scharfen Zischens des Dampfes und des Plätscherns des ausströmenden Wassers hörte Rick das durchdringende Jaulen seines Hundes. Dracula merkte, in welcher Gefahr: sich sein Herr befand, konnte ihm nicht helfen und versuchte, jemanden aufmerksam zu machen.

Dann war der Untote heran. Rick blickte ihm starr in die Augen, nicht auf die gefährlich vorgestreckten Hände. Nur an den Augen würde er erkennen, wie sich die weißmagische Kraft der Silberkugel auswirkte.

Die Mordlust war diesem unheimlichen Wesen nicht anzusehen, wohl aber das plötzliche Erschrecken. Die leblosen Augen bekamen Glanz, das Gesicht verzerrte sich in namenlosem Grauen.

Der Untote begriff, daß er einer starken Macht gegenüberstand. Seine Augen richteten sich auf die Silberkugel, die Rick hoch erhoben hielt. In den Pupillen glomm ein unheimliches Feuer. Die blutleeren Lippen öffneten sich zu einem heiseren Entsetzensschrei.

Der Untote wollte schützend die Arme vor das Gesicht reißen, doch dazu reichte seine Kraft nicht mehr aus. Er begann zu wanken.

Rick mußte die günstige Gelegenheit nutzen und den lebenden Leichnam endgültig ausschalten. Als er aber einen Schritt vorwärts tat, wich der Untote zurück und geriet in den Dampfstrahl.

Wieder schrie er auf, als ihn die Wucht des ausströmenden Dampfes zurückschleuderte. Er flog mit ausgebreiteten Armen durch die Luft, überschlug sich und stürzte hart. Diesmal dauerte es länger, bis er auf die Beine kam, doch er stand aufrecht, als Rick endlich die zerstörte Stelle in den Leitungen umgangen hatte.

Noch war der Untote gefährlich. Bei einem direkten Angriff hätte er Rick trotz seines geschwächten Zustandes spielend besiegt, da ihm die Kräfte der Hölle halfen. Doch Rick war nicht so unvorsichtig. Er versuchte, den lebenden Leichnam in eine Ecke zu treiben, aus der er nicht mehr entkommen konnte. Dort hätte die Silberkugel die magische Kraft aus dem toten Körper vertrieben. Benjamin Potter hätte seine Ruhe gefunden.

Die Anlage des Heizungskellers war jedoch ein gewaltiges Hindernis. Es gab keine Ecken. Immer wieder wich der lebende Leichnam aus, und je länger Rick ihn durch das Kellergeschoß trieb, desto größer wurden auch seine Kräfte. Er erholte sich so weit, daß er sich zu einer raschen Flucht aufraffen konnte.

Rick nahm zwar sofort die Verfolgung auf, doch der wandelnde Tote verschwand in dem unübersichtlichen Gewirr aus Gängen, Kammern, Schächten und Kabeldurchlässen in den Mauern.

Endlich mußte der Geisterdetektiv aufgeben. Als er sich umdrehte, stand Dracula in einiger Entfernung freudig wedelnd hinter ihm. Rick war erleichtert, daß ihm sein Hund auf den Fersen geblieben war und sich nicht in dem Labyrinth verlaufen hatte.

»Das müssen wir dem Chefinspektor erzählen«, sagte Rick zu seinem Hund, nahm ihn auf den Arm und machte sich auf den Rückweg. »Aber beiß Hempshaw nicht gleich wieder. Er mag das nicht so gern.«

*

Obwohl Rick Masters damit rechnete, daß Chefinspektor Hempshaw wieder in den Yard gefahren war, sah er seinen Freund in der Halle des City Towers. Kaum teilte sich die automatische Schiebetür, als er auch schon die mächtige Stimme des Chefinspektors dröhnen hörte. Hempshaw gab einer Gruppe von ungefähr zehn Yarddetektiven Anweisungen. Sergeant Myers, seine rechte Hand, war dabei.

»Rick!« rief Hempshaw, sobald er den Geisterdetektiv entdeckte. »Wo haben Sie gesteckt?«

»Ich habe mich nur mit einer lebenden Leiche herumgeschlagen«, erwiderte Rick betroffen. »Sonst nichts. Und Sie?«

»Ich wurde hierher gerufen, weil wieder einmal der Teufel los war!« Hempshaw sah seinen Leuten nach, die sich in der Halle verteilten und zu den Aufzügen gingen. »Kennen Sie Joe Tiger?«

Rick brauchte nicht lange zu überlegen. »lst das nicht ein junger aufstrebender Boxer? Die Fachleute sagen ihm eine steile Karriere voraus.«

»Möglicherweise hat diese Karriere heute und hier ihr Ende gefunden. Joe Tiger wollte seinen Manager Alf Clatter besuchen, wurde jedoch vor dessen Büro zusammengeschlagen.«

»Donnerwetter!« entfuhr es dem Geisterdetektiv. »Tiger ist Halbschwergewicht, wenn ich mich nicht irre. Wer hat denn diesen Muskelmann geschafft?«

Chefinspektor Hempshaw holte tief Luft, ehe er herausplatzte: »Eine Sekretärin!«

Sekundenlang blickte Rick den Chefinspektor entgeistert an. »Sagen Sie das noch einmal!« rief er. »Wie kommen Sie darauf?«

»Joe Tiger liegt im Krankenhaus.« Hempshaw räusperte sich und blickte sich wie gehetzt um. »Ich habe selbst mit ihm gesprochen. Der Junge ist voll bei Verstand, und er behauptet allen Ernstes, daß es eine Sekretärin war. Unbewaffnet. Kein Karate oder Judo. Sie hat ihn einfach zusammengeschlagen, obwohl er sich mit ganzer Kraft gegen sie wehrte. Was sagen Sie dazu?«

»Diese Sekretärin werde ich mir genauer ansehen«, entschied Rick. »Haben Sie eine Beschreibung?«

Der Chefinspektor deutete auf Sergeant Myers, der soeben einen der Aufzüge betrat. »Was glauben Sie, weshalb ich den halben Yard hierhergeholt habe? Tiger hat die Frau sogar sehr genau beschrieben, und meine Leute suchen sie jetzt. In spätestens einer Stunde haben wir sie gefunden, falls es keine zufällige Besucherin war.«

Rick merkte den forschenden Blick, den der Chefinspektor auf ihn richtete, und verstand. »Dieser Untote war Benjamin Potter. Ich habe ihn an der Halswunde erkannt. Ich konnte ihn nicht ausschalten.«

»Dann steckt er also noch irgendwo da unten.« Mit sichtlichem Unbehagen starrte der Chefinspektor auf die Marmorplatten der Halle, unter der sich die Kelleretagen befanden. »Soll ich meine Leute einsetzen?«

Rick schüttelte den Kopf. »Davon verspreche ich mir nichts. In diesem Labyrinth kann sich jemand wochenlang verstecken. Bestimmt gibt es auch einen direkten Zugang zur Kanalisation. Und Ihre Leute würden nur in Gefahr geraten, weil sie sich gegen den Untoten nicht wehren können.«

»Dann soll ich also untätig zusehen, wie hier die scheußlichsten Dinge passieren?« polterte der Chefinspektor.

»Keineswegs.« Rick hielt Dracula fester, der drohend knurrte, weil der Chefinspektor so laut sprach. »Ich muß Hazel anrufen. Danach mache ich mich wieder auf die Suche nach dem Urheber all dieser Vorfälle. Nur wenn ich diesen Mann oder diese Frau entlarve, können wir aufräumen, vorher nicht.«

»Sie haben mir noch immer nicht gesagt, was ich dabei tun kann«, beschwerte sich Hempshaw.

»Sie können etwas tun!« Rick mußte sich das Lachen verkneifen. »Sie können mich nicht weiter aufhalten, damit ich endlich an ein Telefon komme. Hazel zerkratzt mir sonst das Gesicht!«

Er ließ den verdutzten Chefinspektor stehen und ging mit seinem Hund zu einer der Telefonkabinen in der Halle.

Hazel war zwar in ihrem Büro, von dem aus sie das Wirtschaftsimperium der Kent-Werke leitete, und sie steckte bis über den Kopf in Arbeit, für Rick nahm sie sich jedoch zehn Minuten Zeit.

»Ist es wirklich so schlimm im City Tower?« erkundigte sie sich besorgt.

»Noch schlimmer.« Rick sah keinen Sinn darin, die Sache harmloser hinzustellen, als sie war. Hazel hätte es auf die eine oder andere Weise doch erfahren. Ihr blieb nichts verborgen. »Mach dir aber um mich keine Sorgen.«

»Du bist gut!« Hazel lachte bitter auf. »Ich soll mir keine Sorgen machen? Wie oft bist du denn schon knapp dem Tod entronnen, seit du diesen Fall übernommen hast?«

»So schlimm war es nun auch nicht«, murmelte Rick.

»Siehst du, ich wußte, daß schon etwas passiert ist«, trumpfte Hazel Kent auf. »Ich kenne dich. Du kannst dich nicht verstellen, nicht einmal am Telefon.«

Er malte sich aus, wie sie hinter ihrem Schreibtisch trohnte, keine klassische Schönheit, aber eine interessante, fesselnde Frau mit dunklen Haaren, grauen Augen und Backenknochen, die dem Gesicht einen exotischen Reiz verliehen. Die stets kühle, beherrschte Managerin konnte in privaten Stunden ganz anders sein, und jetzt am Telefon klang etwas von den Gefühlen an, die sie füreinander hegten. Die Wirklichkeit ließ sich jedoch nicht ignorieren.

»Es ist nun mal mein Job, Darling«, meinte Rick lahm.

»Ich weiß.« Sie seufzte abgrundtief. »Wir haben auch schon oft darüber gesprochen. Melde dich wieder bei mir, Darling. Ich wette, vor dem Telefon stehen schon etliche Yardleute, weil wieder etwas passiert ist.«

Rick warf durch die Glasscheibe einen Blick hinüber zu dem Chefinspektor, der sich über ein Funkgerät mit seinen Leuten unterhielt.

»Es ist nur einer«, erwiderte er. »Kenneth.«

»Schlimm genug.« Hazel fand ihren Humor wieder. »Wo der Chefinspektor ist, geht es meistens wild zu. Grüß ihn von mir und paß auf dich auf.«

»Werde ich tun«, versprach Rick und verließ die Kabine. Hempshaw machte ihm aufgeregt Zeichen.

»Wir haben die Sekretärin gefunden!« berichtete er, als Rick ihn erreichte. »Sie weiß angeblich von nichts. Und wenn Sie die Frau sehen, glauben Sie nicht, daß sie Joe Tiger zusammengeschlagen hat, meint wenigstens Sergeant Myers.«

»Sehen wir uns diese Wundersekretärin aus der Nähe an«, schlug Rick vor und ging mit Hempshaw zu den Aufzügen. »Ich lerne gern interessante Menschen kennen.«

*

Neben den Fachkräften für Heizung, Aufzüge und andere technische Einrichtungen besaß der City Tower auch drei Hausmeister, die abwechselnd Dienst taten. Sie hatten Dienstwohnungen im ersten Stock des Gebäudes, damit sie jederzeit erreichbar waren.

Einer von ihnen hieß Chuck Bensen, sechsunddreißig, ein unauffälliger Mann, den niemand besonders mochte, mit dem sich aber auch noch niemand verfeindet hatte. Er hatte stets ein ruhiges Leben geführt und sich nie beklagt, bis eines Tages dieser Mann aufgetaucht war.