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Andrew Hathaway

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Beschreibung

Sie sind die Besten, und sie wissen genau, was sie tun und vor allem, mit wem und mit welchen Horrorgestalten sie es zu tun haben: Geisterjäger nehmen die größten Gefahren und Herausforderungen auf sich im gespenstischen Kampf gegen das Böse. Der dramatische Streit zwischen Gut und Böse wird in diesen Gruselromanen von exzellenten Autoren mit ungeheurer Spannung zur Entscheidung geführt. E-Book 17: Auktion des Horrors E-Book 18: Totentanz der Unterwelt E-Book 19: Dem Satan auf der Spur E-Book 20: Der Berg der Werwölfe E-Book 21: Der Geist von Blenford Castle E-Book 22: Im Dämonenschloss E-Book 23: Knochenmann greift an E-Book 24: Das Jenseits meldet sich zu Wort E-Book 1: Auktion des Horrors E-Book 2: Totentanz der Unterwelt E-Book 3: Dem Satan auf der Spur E-Book 4: Der Berg der Werwölfe E-Book 5: Der Geist von Blenford Castle E-Book 6: Im Dämonenschloss E-Book 7: Knochenmann greift an E-Book 8: Das Jenseits meldet sich zu Wort

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Inhalt

Auktion des Horrors

Totentanz der Unterwelt

Dem Satan auf der Spur

Der Berg der Werwölfe

Der Geist von Blenford Castle

Im Dämonenschloss

Knochenmann greift an

Das Jenseits meldet sich zu Wort

Der Geisterjäger – 3–

Staffel 3

E-Book 17 - 24

Andrew Hathaway

Auktion des Horrors

Roman von Hathaway, Andrew

Der Mann stand lange vor dem Gemälde. Auf seinem Gesicht lag ein entrückter Glanz.

Seine Augen leuchteten auf. Zwischen ihnen und dem Porträt entstand ein unheimliches Flimmern, daß niemand in der Auktionshalle bemerkte.

Der Mann hielt stumme Zwiesprache mit dem Geist der abgebildeten Frau.

Mit dem Geist einer vielfachen Mörderin!

Aus den unendlichen Dimensionen des Jenseits rief ein Mensch einen Geist, riß ihn aus seiner Ruhe und zwang ihm seinen Willen auf.

Grauen und Vernichtung zogen über London herauf!

*

»Nun mach doch nicht so ein vergrämtes Gesicht!« Hazel Kent stieß ihren Freund leicht mit dem Ellbogen an. »Die Leute müssen ja denken, wir wären ein altes Ehepaar, das sich gezankt hat.«

»Wir sind weder alt, noch sind wir ein Ehepaar, noch haben wir uns gezankt«, erwiderte ihr Freund, und das war kein anderer als Rick Masters, der bekannte Londoner Geisterdetektiv. »Sieht man meinem Gesicht nicht auf hundert Meilen an, daß ich Auktionen langweilig finde?«

»Du bist nicht gerade nett«, beklagte sich Hazel Kent. »Immerhin weißt du, daß ich für Auktionen schwärme.«

»Aber erst seit kurzer Zeit«, wandte Rick Masters grinsend ein. »Seit sehr kurzer Zeit.«

»Trotzdem.« Auch Hazel lächelte. Sie zankten sich nicht ernstlich. »Du weißt, daß ich als vielbeschäftigte Managerin Entspannung brauche. Eine Auktion ist für mich genau das Richtige. Die zur Versteigerung angebotenen Gegenstände, das Bieten und Überbieten, endlich der Zuschlag! Herrlich, diese Spannung!«

Rick zog in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, Darling, du wolltest dich entspannen. Und nun diese Spannung? Spannung durch Entspannung?«

»Umgekehrt, Darling, Entspannung durch Spannung«, erwiderte Hazel bissig. »Du scheinst geistig nicht mehr ganz auf der Höhe zu sein, mein Lieber. Bedenklich. Wie willst du da deinen Beruf ausüben? Oder brauchst du als Detektiv nicht zu denken?«

Rick seufzte theatralisch. »Wäh­rend dieser stinklangweiligen Auktion brauche ich wohl nicht zu denken, meinst du nicht auch?«

Eine Antwort entfiel, da sich unter Ricks Trenchcoat etwas bewegte. Hazel bekam große Augen.

»Sag bloß, du hast Dracula in den Versteigerungssaal mitgebracht?« zischte sie.

Rick grinste wie ein Junge, der etwas angestellt hatte. »Sollte ich den Ärmsten zu Hause oder im Wagen lassen? Mein Hund langweilt sich eben auch gern auf Auktionen.«

»Du bist unmöglich«, murmelte Hazel lächelnd.

Der Auktionator betrat das Pult. Sofort verstummten die Gespräche im Saal, so daß man deutlich das leise Knurren unter Ricks Mantel hörte. Der Geisterdetektiv tat, als ginge ihn das alles nichts an. Er machte ein Gesicht, als könne er kein Wässerchen trüben. Und Hazel Kent bekam feuchte Augen, weil sie gewaltsam ein schallendes Lachen unterdrücken mußte.

Dracula, von dem hier die Rede war, gab sich nämlich ziemlich ungeduldig, und Rick konnte ihn nur mit Mühe wieder beruhigen. Die Versteigerung begann planmäßig.

Dracula war übrigens Ricks kleiner Hund, sein ständiger vierbeiniger Begleiter. Hazel hatte ihm das Tier zum Geburtstag geschenkt. Seine urprüngliche Absicht, aus Dracula einen Polizeihund zu machen, hatte Rick aufgeben müssen. Der winzige weiße Mischling mit den überdimensionalen Ohren und den klugen Augen eignete sich zu allem möglichen, sicher aber nicht für die Pflichten eines Polizeihundes.

Dafür hatte er andere Eigenschaften, die Rick Masters und auch Hazel Kent bereits mehrmals das Leben gerettet hatten, Fähigkeiten, die besonders in Anbetracht von Ricks Beruf sehr wichtig waren.

Mit seinen feinen natürlichen Instinkten konnte Dracula nämlich das Wirken einer übersinnlichen Macht fühlen, ehe Menschen etwas davon merkten.

Genau daran wurde Rick Masters in diesen Minuten erinnert. Er zuckte heftig zusammen, als unter seinem Mantel Dracula wie Espenlaub zu zittern begann.

So verhielt sich der Hund immer, wenn übersinnliche Mächte am Werk waren. Sonst fürchtete er sich vor nichts, so daß es für ihn auch keinen Grund zum Zittern gab.

Rick Masters war sicher, in diesem Auktionssaal war etwas faul. Irgendein Gegenstand, irgendeine Person stand mit Übersinnlichem in Verbindung. Dracula fing die Einflüsse der Schwarzen Magie auf und meldete es einem Herrn.

Doch so genau sich der Geisterdetektiv auch umblickte, er konnte die Ursache für Draculas Verhalten nicht entdecken. Und das war doppelt bedenklich, weil eine erkannte Gefahr nur mehr halb so groß war.

Hier aber blieb die Gefahr im Dunkeln, und Rick wußte, daß jeden Moment ein Unglück geschehen konnte.

*

Zuerst verfolgte Hazel Kent die Versteigerung mit ungetrübtem Ver­gnügen. Eine griechisch-römische Statue, eine chinesische Vase und ein persischer Gebetsteppich gingen jeweils zum Schätzwert von ein paar hundert Pfund weg. Hazel selbst beteiligte sich nicht am Bieten. In ihrem prachtvollen Haus in Westminster hatte sie genügend schöne Dinge, so daß sie sich nur für besonders wertvolle Stücke interessierte.

Nach einigen Minuten wollte sie etwas zu Rick sagen, als sie stutzte.

»Du sitzt da, als hätte sich Dracula auf deinem Schoß unanständig benommen«, flüsterte sie ihrem Freund ins Ohr. »Ist etwas?«

Ricks Augen zuckten nervös. Er blickte sich um und saß keine Sekunde still.

»Dracula ist unruhig«, flüsterte er zurück. »Sehr unruhig sogar.«

»Vielleicht muß er wirklich hinaus.« Hazel warf einen besorgten Blick auf den Hund, der sich unter dem Trenchcoat abzeichnete.

»Er hat Angst«, erwiderte der Geisterdetektiv. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Hazel kannte das Tier, so daß sie sofort wußte, was gemeint war.

Ihr Gesicht verdüsterte sich. Nun war auch sie nervös, erkannte jedoch den Grund für Draculas Verhalten ebenfalls nicht, so sehr sie sich bemühte.

»Und nun kommen wir zu einem sehr schönen Bild aus dem achtzehnten Jahrhundert!« rief der Auktionator aus. »Maler unbekannt, Modell unbekannt! Es handelt sich um ein Frauenporträt. Der Schätzwert beträgt hundert Pfund.«

Wieder zuckte Rick Masters zusammen. Sein Blick saugte sich an dem Gemälde fest, das ein Angestellter des Auktionshauses neben dem Pult des Ausrufers aufstellte.

In einem schlichten Goldrahmen schimmerte das helle Gesicht einer Frau, die keine schönen, aber sehr eindrucksvollen Züge zeigte. Vor allem ihre Augen faszinierten. Sie wirkten so lebendig, als wäre es kein Gemälde, auch kein Foto, sondern ein Spiegel, der ein lebendes Antlitz zeigte.

»Der Hund!« flüsterte Rick. »Er dreht gleich durch.«

Hazels Augen weiteten sich. »Das Bild?«

Rick nickte verbissen. »Ganz sicher steht dieses Gemälde in einem Zusammenhang mit Schwarzer Magie«, zischte er und stand auf. »Ich bringe Dracula nach draußen. Komm mit! Du mußt auf ihn aufpassen.«

Er verließ überstürzt den Saal, während die Anwesenden für das Frauenporträt boten.

*

Rick Masters hätte Hazel lieber im Auktionssaal gelassen, damit sie feststellen konnte, wer das Bild ersteigerte. In seiner gegenwärtigen Verfassung wollte er Dracula allerdings nicht allein lassen. Der Hund befand sich in Panik und strampelte unter Ricks Mantel.

Der Geisterdetektiv drückte das Tier an sich und ließ es außerhalb des Saales auf den Boden gleiten. Sofort lief Dracula bis zur Treppe und kauerte sich in eine dunkle Nische.

»Paß auf ihn auf«, bat der Geisterdetektiv seine Freundin und hetzte in den Saal zurück.

Sein überhasteter Aufbruch hatte Aufsehen erregt. Als er jetzt in den Raum platzte, schwangen alle Köpfe zu ihm herum. Rick störte sich nicht daran. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem rätselhaften Frauenporträt.

Es war weg! Es stand nicht mehr auf der provisorischen Staffelei neben dem Pult des Auktionators.

Das konnte zweierlei bedeuten. Entweder war es ersteigert worden, oder es hatte sich kein Interessent gefunden.

Rick Masters ging zwischen den Sitzreihen nach vorn und beugte sich zu der Angestellten des Auktionshauses hinunter, die das Protokoll führte und die Käufer aufschrieb.

»Wer hat das Bild eben gekauft, dieses Porträt?« flüsterte er der Frau zu. »Schnell, es ist wichtig! Ist es überhaupt verkauft worden?«

Die Sekretärin sah ihn verblüfft an und nickte. »Ja! Warum fragen Sie?«

»An wen?« Der Geisterdetektiv drängte. Dafür fing er sich einen un­gnädigen Blick des Ausrufers ein. »Sagen Sie es mir doch! Es ist lebenswichtig!«

»Seien Sie still, ich muß mich konzentrieren«, erwiderte die Sekretärin gereizt. »Wie war das eben?« fragte sie den Auktionator.

Dieser beugte sich von seinem Pult herunter. »Tut mir leid, Sir, aber nehmen Sie bitte Platz. Sie halten die Versteigerung auf.«

Rick biß die Zähne zusammen. Es hatte keinen Sinn, so kam er nicht weiter. Diese Leute wußten nicht, wieso er so hartnäckig war. Woher sollten sie auch ahnen, daß unter Umständen tausendfacher Tod durch ihre Hände gegangen war? Schwarze Magie konnte entsetzliche Folgen haben, wenn sie nicht rechtzeitig von Kundigen bekämpft wurde.

Rick dachte gar nicht daran, sich still hinzusetzen und abzuwarten. Er faßte blitzschnell einen Entschluß.

Die einzelnen Gegenstände, die zur Versteigerung standen, waren auf langen Tischen neben dem Pult aufgereiht. Ein Helfer brachte sie jeweils nach vorne und zeigte sie den Interessenten. Bekam dann jemand den Zuschlag, meldete er sich bei der Sekretärin, gab seinen Namen an und erhielt eine Nummer. Der ersteigerte Gegenstand wurde inzwischen durch eine Tür hinausgetragen. Dahinter lag vermutlich ein Depot oder einfach ein Abstellraum.

Rick stürmte durch diese Tür. Unmittelbar hinter ihm preschte der Helfer in den Raum. Hinter ihm kam der wütende Auktionator.

Es war Rick gelungen, beträchtliches Aufsehen zu erregen, obwohl er genau das nicht wollte.

»Was erlauben Sie sich?« rief der Auktionator.

Rick sah sich rasch um. Es war so, wie er vermutet hatte. Die ersteigerten Gegenstände wurden hier noch eine Weile aufbewahrt, bis sie von ihren neuen Besitzern übernommen wurden. Das Bild war jedoch nicht hier.

»Wo ist das Porträt?« rief er und zückte seinen Ausweis.

Der Auktionator warf einen Blick darauf und stutzte. »Rick Masters, Privatdetektiv!« las er vor. »Mr. Masters? Sind Sie tatsächlich der bekannte Privatdetektiv? Von Ihnen habe ich schon in der Zeitung gelesen. Ja, natürlich. Jetzt erkenne ich Sie auch. Ich habe ein Foto von Ihnen gesehen.«

Rick war zwar froh, daß der Mann ihn kannte. Trotzdem hatte er noch nichts erreicht.

»Wo ist das Bild?« fragte er noch einmal.

Der Auktionator zuckte die Schultern. »Der neue Besitzer hat es bereits übernommen. Er hatte es sehr eilig, Mr. Masters. Stimmt etwas mit dem Bild nicht oder wollten Sie es gern für sich haben?«

Rick konnte keine genaue Erklärung geben. Es hätte viel zu lange gedauert. Außerdem hätten ihm diese Leute wahrscheinlich kein Wort geglaubt.

»Sagen Sie mir den Namen und die Adresse des Käufers, das genügt.« Er tat es sonst nicht, aber diesmal kehrte er seine offizielle Rolle als anerkannter Privatdetektiv hervor. Als Geisterdetektiv war er nur bei Eingeweihten bekannt. »Ich bearbeite gegenwärtig einen wichtigen Fall. Das Bild spielt darin eine Rolle.«

Der Auktionator verließ den Raum und kam eine Minute später wieder. Er drückte Rick Masters einen Zettel in die Hand. »Ich weiß allerdings nicht, ob Mr. Kennloch das Bild für sich oder einen Kunden gekauft hat. Und nun entschuldigen Sie mich! Ich muß weitermachen.«

Rick warf einen Blick auf den Zettel, nickte zufrieden und bedankte sich. George Kennloch, Kunsthändler, stand auf dem Blatt. Dann folgte die Adresse in Chelsea. Mehr wollte der Geisterdetektiv gar nicht wissen.

Er verließ nun ebenfalls das Depot und durchquerte, von neugierigen Blicken verfolgt, den Saal.

Hazel Kent erwartete ihn bereits voller Ungeduld. »Dracula hat sich inzwischen beruhigt«, berichtete sie. Der Hund sprang freudig wedelnd an seinem Herrn hoch. »Und zwar ging das schlagartig.«

Rick Masters nickte düster. »Den Grund kann ich mir denken. Der Käufer hat das Bild aus diesem Gebäude entfernt. Ich weiß jetzt, wer es gekauft hat. Beeilen wir uns. Hoffentlich kommen wir noch nicht zu spät.«

*

George Kennloch war einerseits zufrieden, daß er den Wunsch seines Kunden erfüllen konnte. Er hatte das Bild für einen anständigen Preis bekommen. Andererseits störte es ihn, daß es sich um ein kleines Geschäft handelte. Rechnungen waren fällig. Er hätte eine größere Summe gebrauchen können.

Kennloch seufzte vor sich hin, als er sich in einem Taxi nach Chelsea bringen ließ. Die Zeiten waren eben nicht mehr so rosig. Auch er mußte kürzer treten. Jedenfalls hatte sein Kunde versprochen, bar zu bezahlen, heutzutage eine Seltenheit.

Vor seinem Laden stieg der Kunsthändler aus. Es war Freitag, der 7. Mai. In einer Woche wollte Kennloch Urlaub in seiner schottischen Heimat machen und die Mitglieder seines Familienclans besuchen. Er freute sich schon jetzt darauf.

George Kennloch bezahlte den Taxifahrer, nahm das Bild unter den Arm und betrat seinen Laden. Es war inzwischen halb sechs Uhr abends geworden. Während seiner Abwesenheit hatte sich seine junge Verkäuferin um den Laden gekümmert. Betty Malloy war zuverlässig. Mit ihr hatte er einen guten Griff getan.

»Vielen Dank, Miss Malloy«, sagte er, als er hinter sich die Ladentür schloß und die Klingel verstummte. »Sie können nach Hause gehen. Ich brauche Sie heute nicht mehr.«

Betty Malloy war darüber natürlich erfreut. Es kam manchmal vor, daß der Chef sie nach Hause schickte, wenn er nicht mehr mit Kunden rechnete. Sie beeilte sich und verließ zehn Minuten später den Laden.

Wieder zwei Minuten später schlug das Glockenspiel über der Tür erneut an. George Kennloch kam aus dem Büro und lächelte, als er seinen Auftraggeber erkannte.

»Ah, Sie kommen sicher wegen des Bildes«, sagte er und machte eine einladende Handbewegung zu seinem Büro. »Ich habe es hier.«

Er führte seinen Auftraggeber nach hinten und deutete auf das Bild, das an der Wand lehnte. Die Augen der porträtierten Frau brannten übergroß in ihrem blassen Gesicht.

»Sie haben Barzahlung versprochen.« Der Kunsthändler wandte sich an die neben ihm stehende Person und stutzte.

Auf dem Gesicht seines Auftraggebers lag ein entrückter Ausdruck. Verwirrt blickte George Kennloch auf das Bild. Sollte dieses Gemälde tatsächlich einen Menschen so in seinen Bann schlagen können?

Im nächsten Moment weiteten sich seine Augen in namenlosem Grauen. Etwas Unvorstellbares geschah.

Die Arme der Frau auf dem Gemälde schienen sich zu bewegen.

Schienen sich zu bewegen? Nein, sie bewegten sich tatsächlich. Die weißen Hände schnellten auf den Kunsthändler zu, legten sich um seinen Hals.

Der entsetzte Mann kam zu keiner Gegenwehr. Die Geisterhände aus dem Bild ließen ihm keine Chance.

Der Auftraggeber stand regungslos daneben. Erst als er sicher war, daß der Kunsthändler nicht mehr lebte, nahm der Mörder das Bild an sich.

Er hatte es soeben zum erstenmal als Mordwerkzeug eingesetzt, aber er war entschlossen, dies noch oft zu tun.

So oft, bis das Ziel erreicht war.

*

Rick Masters und Hazel Kent waren in zwei Wagen zu dem Auktionsgebäude gefahren, da sie sich hier verabredet hatten. Hazel Kent war direkt von dem Bürohochhaus der Kent-Werke in der Londoner City mit ihrem silbergrauen Rolls Royce gekommen, während Rick Masters seinen Morgan benutzt hatte.

Der Morgan war ein offener Sportwagen im Oldtimer-Look, ein heißer und schneller Schlitten, den der Geisterdetektiv wie seinen Augapfel hütete.

»Wir fahren mit meinem Wagen!« rief Rick seiner Freundin zu und schwang sich über die geschlossene Seitentür hinter das Steuer. Dracula verfrachtete er unter den Nebensitz. Er wußte genau, daß sich der Hund bei der anschließenden rasanten Fahrt ohnedies dort verkrochen hätte.

Kaum saß Hazel neben Rick, als er einen Schalter am Armaturenbrett umlegte. Damit wechselte er von der normalen Hupe auf Polizeisirene. Gleichzeitig holte er unter seinem Sitz eine Kunststoffkugel hervor und befestigte sie auf einer Haltevorrichtung neben der Windschutzscheibe. Ein zweiter Schalterdruck, und in der Kunststoffkugel drehte sich zuckend ein Blaulicht.

Rick Masters arbeitete oft mit Scotland Yard zusammen. Daher hatte er als Privatmann eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Er durfte in sehr dringenden Fällen wie ein Einsatzfahrzeug der Polizei mit Blaulicht und Sirene fahren.

»Ist es wirklich so eilig?« rief Hazel, um das gellende Signalhorn zu übertönen.

»Dracula hat verrückt gespielt!« rief Rick zurück. Er saß scheinbar locker und entspannt hinter dem Steuer. In Wirklichkeit war er innerlich zum Zerreißen angespannt. »Das macht er nur, wenn die Wellen des Bösen sehr stark sind. Dieser Kunsthändler befindet sich in höchster Gefahr, wenn er mit dem Bild nicht umgehen kann.«

»Und wenn er damit umgehen kann, ist er ein Meister der Schwarzen Magie!« rief Hazel Kent.

Rick nickte verbissen. »Allerdings. Und deshalb werden wir uns beeilen.«

Allerdings gab es eine Schwierigkeit. Rick Masters verfügte über zwei Waffen, eine Pistole und eine Silberkugel mit starken, weißmagischen Kräften. Beide lagen in seinem Wohnbürol in der Londoner City. Als er sich mit Hazel zu einer Auktion getroffen hatte, war nicht mit einem dringenden Einsatz zu rechnen gewesen.

Rick ließ sich davon jedoch nicht abschrecken, daß er unter Umständen völlig unbewaffnet gegen Geister und Dämonen oder andere übersinnliche Kräfte kämpfen mußte. Hier durfte er keine Zeit verlieren.

Die Versteigerung hatte in Westminster stattgefunden. Es war nach Chelsea nicht weit, aber der Geisterdetektiv mußte sich durch den dichten Verkehr der Stoßzeit kämpfen. Die Autofahrer wichen wie immer sehr diszipliniert vor diesem seltsamen Einsatzfahrzeug zur Seite. Dennoch gingen wertvolle Minuten verloren, bis Hazel durch die niedrige Windschutzscheibe deutete.

»Dort ist es!« rief sie.

Rick stellte Blaulicht und Sirene ab, parkte den Morgan in zweiter Spur und sprang auf die Fahrbahn. George Kennlochs Laden war nicht groß. In einem alten viktorianischen Haus untergebracht, hatte er nicht mehr als ein Schaufenster und eine Tür aufzuweisen.

Rick Masters ließ sich nicht von dem äußeren Schein täuschen. Die besten Geschäfte waren oft die kleinsten.

Er stockte, als er die Ladentür erreichte. Sie stand einen Spaltbreit offen.

Er versetzte der Tür einen leichten Stoß. Hazel Kent hielt sich hinter ihm. Sie hatte Dracula auf dem Arm. Der Hund verhielt sich ganz normal, ein Zeichen, daß es vorläufig keine Bedrohung durch Schwarze Magie gab.

Über der Tür bimmelte ein melodisches Glockenspiel, doch im Laden rührte sich nichts. Rick blieb einen Moment abwartend stehen. Als sich der Besitzer dann noch immer nicht zeigte, ging er auf eine Tür im Hintergrund des Verkaufsraums zu. Dabei mußte er sich zwischen Standbildern und wertvollen Möbeln hindurchwinden.

Hinter der offenen Tür lag ein Büro, klein aber kostbar eingerichtet. Und vor dem antiken Schreibtisch lag ein Mann.

Rick Masters konnte sich erinnern, dieses faltige, blasse und von grauen Haaren umrahmte Gesicht flüchtig bei der Auktion gesehen zu haben. Das mußte George Kennloch sein.

Rick Masters erkannte jedoch auf den ersten Blick, daß dieser Mann tot war. Er sah auch, woran Kennloch gestorben war. Jemand hatte ihn erwürgt.

Weiter kam der Geisterdetektiv in seinen Beobachtungen und Überlegungen nicht, da Dracula in diesem Moment den Toten sah und herzzerreißend zu jaulen begann.

Hazel mußte das Tier hastig ins Freie tragen.

*

Rick Masters wollte am Tatort nichts verändern oder berühren. Deshalb verließ er den Laden und setzte sich in seinen Morgan. Hinter der Klappe des Handschuhfaches verbarg sich ein Funkgerät, das auf die Wellenlänge der Polizei eingestellt war.

Rick rief die Zentrale bei Scotland Yard und meldete den Mord. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Wenn er ein Verbrechen anzeigte, kümmerte sich automatisch sein alter Freund und Helfer darum.

Chefinspektor Kenneth Hemp­shaw!

Er kam schon zehn Minuten später mit seiner Mordkommission, zu der auch Dr. Sterling gehörte, der alte Polizeiarzt. Dr. Sterling war im Yard zwar sehr beliebt, seiner spitzen Zunge wegen jedoch auch ein wenig gefürchtet.

Als er aus dem Wagen stieg, schob er seine Brille mit Goldrand und den dicken Gläsern zurecht und strich sich über die weißen Haare.

»Sie sorgen also wieder einmal dafür, daß uns die Arbeit nicht ausgeht, Rick«, stellte er fest und nickte Hazel Kent grüßend zu. »Ist es einer Ihrer speziellen Fälle?«

»Das möchte ich auch wissen«, erklang eine dröhnende Stimme. Chef­inspektor Hempshaw schob sich aus seinem Dienstwagen. Sein kantiges Gesicht wirkte grimmig. Hempshaw war ein treuer Freund, der sein weiches Wesen gern hinter einer rauhen Fassade verbarg. »Ist es nicht vielleicht einmal ein gewöhnlicher Mord?«

Rick zuckte die Schultern. »Ich glaube nicht«, erwiderte er. »Ich kenne den Mörder zwar noch nicht, aber… Sehen Sie es sich doch selbst an.«

»Genau das habe ich vor!« rief der Chefinspektor und betrat mit weit ausholenden Schritten den Laden. Der Polizeiarzt schloß sich ihm an.

Zehn Minuten später waren die beiden wieder auf der Straße und überließen das Feld den Spezialisten von der Spurensicherung.

»Ich kann nichts Außergewöhnliches feststellen«, sagte Chefinspektor Hempshaw und bemühte sich erst gar nicht, seine Erleichterung zu verbergen. »Oder verschweigen Sie uns etwas?« In seinen Augen blitzte Mißtrauen auf.

Rick Masters berichtete daraufhin von dem seltsamen Verlauf der Versteigerung. Dracula knurrte die ganze Zeit drohend, da zwischen ihm und dem Chefinspektor eine unerklärliche Feindschaft bestand. Hempshaw mochte Hunde, und Dracula war ein friedliches Tier, aber wenn er den Chefinspektor sah, war er kaum zu halten. Mehr als eine Hose ­Hemp­shaws hatte schon das Zeitliche gesegnet, weil Dracula seine Zähne daran erprobt hatte.

»Ich soll also ins Protokoll schreiben«, meinte Hempshaw zuletzt, »daß ich aufgrund der Aussage eines Mischlingshundes einen mit magischen Kräften ausgestatteten Mörder suche, nicht wahr? Wissen Sie, was meine Vorgesetzten dann mit mir machen?«

»Sie werden Sie hoffentlich zwangspensionieren«, erklärte Dr. Sterling ungerührt.

Rick grinste flüchtig, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Ich habe keine Erklärung für den Mord, aber die Tatsachen bleiben bestehen. Ich werde mich um die Sache kümmern.«

»Dann kann ja nichts schiefgehen«, meinte Hempshaw, und das sagte er ernst. Rick Masters hatte nämlich bisher noch in keinem Fall versagt. »Ich behandle den Fall vorerst wie jeden anderen Mord. Wenn Sie etwas erfahren, verständigen Sie mich. Wo ist eigentlich dieses Bild geblieben?«

»Das möchte ich auch gern wissen«, meinte Hazel Kent. »Ich habe mich drinnen umgesehen, aber nichts entdeckt.«

»George Kennloch hat wahrscheinlich nur als Vermittler gearbeitet«, mutmaßte der Geisterdetektiv. »Der Auftraggeber – oder die Auftraggeberin – hat sich das Bild abgeholt und den Kunsthändler ermordet.«

»Weit hergeholt«, sagte der Chefinspektor. Er hielt sich lieber an handfeste Beweise. »Kommen Sie, Rick, sehen wir nach, ob wir irgendwelche Hinweise auf diesen mysteriösen Auftraggeber finden.«

Eine Stunde später wußten sie nicht viel mehr. Sie hatten den Namen der Verkäuferin herausgefunden und Betty Malloy in ihrer Wohnung angerufen.

Sie war sofort gekommen und fast zusammengebrochen, als sie von dem Mord an ihrem Arbeitgeber erfuhr. Von dem Bild wußte sie allerdings auch nichts.

»Es ist und bleibt eine mysteriöse Sache«, sagte Chefinspektor Hemp­shaw zuletzt. »Ich fürchte, das wird einer jener Fälle, die uns monatelang beschäftigen und die wir letztendlich doch zu den Akten legen müssen.«

Rick Masters runzelte düster die Stirn. »Sie sollten wissen, daß ich nie aufgebe, Kenneth«, sagte er energisch.

»Auch Ihnen sind Grenzen gesetzt.« Der Chefinspektor zuckte die Schultern. »Aber mir soll es nur recht sein, wenn Sie Erfolg haben. Ich mag es nicht, wenn Leute herumlaufen und Kunsthändler ermorden.«

»Ich auch nicht.« Rick schlug seinem Freund und Helfer auf die Schulter. »Keine Sorge, Kenneth, wir schaffen es schon!«

*

Vorläufig sah es nicht so aus, als würde sich die Prophezeiung des Geisterdetektivs bestätigen. Obwohl niemand Rick Masters offiziell einen Auftrag erteilte, blieb Rick an dem Fall. Er trug die Spesen eben aus eigener Tasche und verzichtete auf Honorar. Sein Bankkonto sah zwar nicht sehr gut aus, doch wenn Rick auf einen Fall Schwarzer Magie stieß, ließ er nicht locker. Er schnürte eben den Gürtel enger und machte auf eigene Faust weiter.

Eine Woche verging, eine zweite. Rick war nahe daran zu verzweifeln. Das Bild tauchte nicht mehr auf. Scotland Yard kam in der Mordsache George Kennloch keinen Schritt voran. Der Kunsthändler hatte ganz allein gelebt und sein kleines Vermögen wohltätigen Stiftungen hinterlassen. Auch hier gab es also kein Mordmotiv. Seine Angestellte wurde vom Testamentsvollstrecker entlassen und ausgezahlt, der Laden aufgelöst.

Sowohl der Chefinspektor als auch Rick Masters durchforschten sämtliche schriftlichen Unterlagen des toten Kunsthändlers. Sie befragten unabhängig voneinander Bekannte und Freunde, Nachbarn und Geschäfts­partner. Es kam absolut nichts dabei heraus.

»Ich habe sogar den Laden unter Beobachtung gestellt«, berichtete Chefinspektor Hempshaw vierzehn Tage nach dem Mord, als Rick ihn in seinem Büro besuchte. »Ich ging von der vagen Hoffnung aus, daß es den Mörder an den Ort seiner Tat zurückzieht. Aber nein, nichts! Ich habe nur die Verhaftung eines Betrunkenen zu melden, der in den Laden einbrechen wollte. Der Mann hat mit Sicherheit nichts mit dem Mord zu tun. Ich habe ihn wieder freigelassen.«

»Es ist deprimierend«, gab Rick zu. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich will zwar nicht aufgeben, aber ich werde die Nachforschungen vorläufig einstellen. Ich wüßte wirklich nicht, wie ich weitermachen sollte.«

»Ich habe es vorausgesehen, Rick«, meinte der Chefinspektor und brachte seine Beine vor Dracula in Sicherheit. »Beschäftigen Sie sich mit erfolgversprechenderen Fällen.«

»Das werde ich wohl müssen.« Der Geisterdetektiv seufzte übertrieben auf. »Wenn ich meine Kontoauszüge ansehe, bleibt mir gar nichts anderes übrig.«

Er verabschiedete sich von Hemp­shaw und fuhr zurück in sein Wohnbüro in der City, stellte den Wagen in die Garage und betrat das alte Wohnhaus. Es war ein ehrwürdiges Gebäude. Im Erdgeschoß befand sich das älteste Café der City.

Als Rick Masters die ausgetretene Steintreppe hinaufstieg, merkte er, daß er nicht allein war. Dracula stellte die Nackenhaare auf und stieß ein leises Knurren aus. Damit wollte er seinen Herrn warnen.

Rick Masters war nicht allzu beunruhigt, weil Dracula keine Gefahr durch Übersinnliches zeigte. Es befand sich jemand im Treppenhaus, obwohl nichts zu hören war.

Rick nahm den letzten Treppenabsatz und sah, wer hier auf ihn wartete. Er entspannte sich, da er von dem weißhaarigen Gentleman nichts zu befürchten hatte. Der Mann sah nicht so aus, als wolle er jemandem etwas antun. Vielmehr wirkte er wie jemand, der dringend Hilfe brauchte.

»Mr. Masters?« Der ungefähr siebzigjährige Mann zog die weißen, buschigen Augenbrauen hoch. Er hatte bis jetzt auf der Treppe gesessen und stand nun auf, eine große, hagere, imposante Gestalt.

Rick nickte. »Sie wollten mich besuchen?«

Der Weißhaarige stellte sich vor. »Mein Name ist Harold F. Lauderdale. Ich habe eine wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.«

Rick schloß seine Tür auf. »Kommen Sie herein, Mr. Lauderdale«, forderte er seinen Besucher auf und überlegte, woher er den Namen kannte. »Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«

Harold F. Lauderdale lächelte gequält. »Ich weiß, worauf Sie anspielen, Mr. Masters. Ich habe gehört, daß Sie sich nur um außergewöhnliche Fälle kümmern. Ich glaube, ich kann Ihnen einen solchen außergewöhnlichen Fall bieten. Jemand versucht, meine ganze Familie auszurotten – ungefähr zwanzig Personen. Ist das außergewöhnlich genug?«

*

Rick Masters bot seinem Besucher erst einmal Platz an und schenkte für sie beide Limonade ein. Etwas anderes hatte Harold F. Lauderdale abgelehnt.

»Lohnt es sich denn, Ihren Clan auszurotten?« fragte Rick direkt heraus, sobald sie einander gegenübersaßen.

Ein knappes Lächeln umspielte Lauderdales Mund. »Ihre Art gefällt mir. O ja, es lohnt sich. Wir gehören zu den reichsten Familien des Landes.«

Bei Rick klingelte es. »Stahlwerke, nicht wahr?«

Harold F. Lauderdale nickte. »Allerdings. Die ganze Familie ist beteiligt. Stirbt einer, fällt sein Anteil automatisch den anderen zu. Bleibt zuletzt nur mehr einer übrig, besitzt er die ganze Firma. Vorausgesetzt, er wird nicht als Mörder der übrigen entlarvt.«

»Das sind harte Worte, Mr. Lauderdale«, bemerkte Rick. »Es heißt, daß Sie zumindest eines Ihrer Familienmitglieder verdächtigen, die anderen ermorden zu wollen.«

»Genau das heißt es.« Lauderdale nickte ernst. »In den letzten zwei Wochen sind sieben Anschläge verübt worden. Ich bin kein Mann, der über reichlich Phantasie verfügt. Ich würde mich sogar als einen sehr nüchternen Menschen bezeichnen.«

»Dann sind Sie felsenfest davon überzeugt, daß sich diese Anschläge tatsächlich ereignet haben.« Rick strich gedankenverloren über das weiße, weiche Fell seines Hundes. »Also gut, ich übernehme den Fall. Waren Sie schon bei der Polizei?«

Mr. Lauderdale zückte einen vorbereiteten Scheck. »Ich will keine Polizei, deshalb komme ich zu Ihnen.«

Rick nahm den Scheck und schluckte, als er die Summe sah. Das war tatsächlich ein fürstliches Honorar.

»Sie haben natürlich keine Ahnung, wer hinter diesen Anschlägen steckt«, sagte er mehr zu sich selbst. »Der Attentäter hat sich bestimmt nicht gezeigt. Oder?«

»Ganz im Gegenteil.« Zum erstenmal verlor Lauderdale die Nerven. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß Dracula erschrocken zusammenzuckte und seine zu groß geratenen Ohren aufstellte. »Dieses Miststück hat sich jedesmal gezeigt. Eine auffallend bleiche, altmodisch gekleidete Frau in weiten, wallenden Gewändern. Ich habe sie sogar selbst gesehen.«

Rick starrte seinen neuen Auftraggeber verblüfft an. Es konnte ein Zufall sein, aber der Geisterdetektiv glaubte nicht an ein solches Zusammentreffen.

»Kommen Sie!« rief Rick und sprang auf. »Wir fahren!«

»Und wohin?« erkundigte sich Harold F. Lauderdale zurückhaltend. »Meine Zeit ist begrenzt.«

»Ihre Zeit wird noch viel mehr begrenzt sein, wenn die Mörderin zuschlägt«, antwortete Rick mit einem knappen Grinsen.

»Mörderin?« fragte der Stahlbaron atemlos.

Rick nickte. »Wenn sich mein Verdacht bestätigt, hat sie bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen. Kommen Sie endlich, es ist schon viel zuviel Zeit verstrichen.«

*

Sie fuhren zu dem Auktionshaus, in dem Dracula bei dem Gemälde Alarm geschlagen hatte. Rick Masters fragte sich zu dem Auktionator durch und hatte Glück. Der Mann war in seinem Büro.

Rick Masters stellte seinen Begleiter vor und kam auf den Kernpunkt. »Es geht wieder um dieses Bild, das Sie vor vierzehn Tagen an den Kunsthändler Kennloch verkauft haben«, erklärte der Geisterdetektiv. »Haben Sie davon ein Foto?«

Der Auktionator überlegte und nickte nach einer Weile. »Ich glaube, ich kann Ihnen helfen, Mr. Masters«, erwiderte er. »Ich hatte einen Katalog zusammengestellt. Darin müßte eigentlich dieses Bild zu finden sein.«

Er rief seine Sekretärin, und fünf Minuten später starrte Harold F. Lauderdale fassungslos auf den Katalog.

»Das ist sie!« rief er entgeistert. »Das ist…«

»Schon gut!« fiel ihm Rick ins Wort. Er wollte vor dem Auktionator nicht so offen sprechen. »Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen. Dürfen wir den Katalog behalten?«

Der Mann war mit allem einverstanden und schien froh zu sein, den Geisterdetektiv loszuwerden. Rick zog Lauderdale aus dem Büro und blieb erst stehen, als sie das Freie erreichten.

Lauderdale war in seinem Rolls Royce gekommen. Der Chauffeur riß den Schlag auf, aber Rick winkte ab.

»Sie fahren mit mir!« entschied er. »Lassen Sie Ihren Wagen folgen.«

Es fiel dem mehrfachen Millionär ziemlich schwer, sich in den reichlich unbequemen Sportwagen zu zwängen. Dennoch protestierte er nicht. Er war viel zu gespannt.

»Wieso zeigen Sie mir ein Gemälde der Frau, die die Mordanschläge durchgeführt hat?« fragte Lauderdale verwirrt, als sich der Morgan in Bewegung setzte. »Ich habe sie auf den ersten Blick erkannt.«

Rick ging auf diese Frage nicht direkt ein. »Kennen Sie jemanden in Ihrem Bekanntenkreis oder aus Ihrer Verwandtschaft, der sich mit magischen Formeln, mit Schwarzer Magie, mit Geistern und Dämonen beschäftigt?«

Harold F. Lauderdale verschlug es für einen Moment die Sprache. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« rief er endlich wütend. »Ich dachte, Sie wären ein seriöser Privatdetektiv! Nein, natürlich beschäftigt sich niemand aus meinem Bekanntenkreis mit solchem Unfug.«

»Ich bin ein weltweit anerkannter Geisterdetektiv, bei aller Bescheidenheit«, erklärte Rick Masters. »Sie haben auf dem Bild die Frau gesehen, die Ihre Familie ausrotten möchte, wie Sie selbst behaupten. Also gut! Diese Frau kann gar nicht mehr leben, da dieses Bild aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt. Wie gefällt Ihnen das?«

»Dann sieht heute eben jemand so aus wie die Frau auf dem Gemälde«, erwiderte der Stahlbaron gereizt.

Rick hatte keine Lust zu langen Erklärungen. »Es wird Ihnen bekannt sein, daß ich einen guten Ruf habe und daß ich auch mit Scotland Yard zusammenarbeite. Sie sind bei mir in guten Händen. Sie können mir den Fall natürlich wieder wegnehmen, aber wenn Sie es nicht tun, stelle ich eine Bedingung. Sie mischen sich nicht in die Art ein, in der ich meine Untersuchung führe.«

»Nein, nein, ich will, daß Sie den Fall behalten«, rief Lauderdale hastig. Er merkte, daß er zu weit gegangen war.

»Dann akzeptieren Sie auch meine Bedingung?« erkundigte sich der Geisterdetektiv.

Lauderdale nickte. »Meinetwegen, ich bin einverstanden. Und nun erklären Sie mir…«

»Nichts werde ich tun!« fiel ihm Rick ins Wort. »Wenn Sie diese mysteriöse Frau wieder sehen, verständigen Sie mich sofort. Wenn ich Ihnen erzähle, was ich weiß, lachen Sie mich höchstens aus. Auf jeden Fall würden Sie mir kein Wort glauben.«

Lauderdale schwieg betroffen. »Stimmt es denn, daß diese Frau schon einen Mord begangen hat?« fragte er nervös.

Rick nickte. »Ich vermute es allerdings, ja. Und nun berichten Sie genau, um welche Art von Anschlägen es sich handelte.«

»Einmal sprang diese Frau vor den Wagen meines Sohnes, der daraufhin das Auto verriß und gegen eine Mauer prallte. Er wurde nur leicht verletzt. Ein andermal stieß sie eine Tante von mir vor die Underground. Sie wurde im letzten Moment gerettet. Der dritte Anschlag richtete sich gegen meine Frau. Die Unbekannte versuchte, sie auf offener Straße zu erwürgen. Nummer vier: Diese Frau stieß einen alten Vetter über eine steile Treppe. Er brach sich beide Beine. Nummer fünf: Ein Wagen mit dieser Frau am Steuer rammte den Wagen meiner Tochter. Leichte Verletzungen. Der Wagen ist Schrott. Nummer sechs: Die Unbekannte schleuderte einen Stein gegen meine Frau. Eine Platzwunde am Kopf. Nummer sieben: Letzte Nacht wachte ich in meinem Schlafzimmer von einem Geräusch auf. Diese Fremde stand vor meinem Bett. Meine Verwandten hatten sie mittlerweile so gut beschrieben, daß ich sie sofort erkannte. Ich ließ mich gedankenschnell aus dem Bett fallen. Sie versuchte, mich zu erwürgen. Als ich laut um Hilfe schrie und meine Angestellten ins Zimmer stürzten, floh sie.«

Das interessierte Rick Masters besonders. »Was heißt, sie floh?« forschte er. »Sie sprang aus dem Fenster, sie lief auf den Korridor hinaus, sie kletterte an der Regenrinne in die Tiefe?«

»Sie stieß meine Leute zur Seite und floh über die Treppe, rannte aus dem Haus und tauchte in den Büschen meines Parks unter.« Harold F. Lauderdale ließ leichte Ungeduld erkennen. Er konnte sich auf Ricks Fragen keinen Reim machen.

»Ich hatte eigentlich gedacht, sie würde sich in Luft auflösen«, murmelte der Geisterdetektiv. »Sehr interessant.«

»Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?« rief der Stahlbaron gereizt.

»Nein«, erwiderte Rick knapp. »Sie haben versprochen, daß Sie sich nicht in meine Methoden einmischen werden. Also tun Sie es auch nicht.«

Zähneknirschend hielt sich Lauderdale daran. Kein einziges Wort fiel mehr, bis sie das riesige Anwesen der Familie Lauderdale erreichten. Es lag in Wimbledon und wurde bei weitem nicht von allen Familienmitgliedern bewohnt. Außer Harold F. Lauderdale und seiner engsten Familie waren nur wenige Angehörige in dem schloßartigen Gebäude untergebracht.

Rick Masters hatte keinen einzigen Blick für das prachtvolle Herrenhaus übrig. Er hörte gellende Schreie, einen Schuß und ohrenbetäubendes Klirren.

Im nächsten Moment tauchte eine bleiche Gestalt im Portal des Manors auf.

Die Unbekannte aus dem Gemälde!

*

»Um Himmels willen, meine Familie!« schrie der Stahlmillionär entsetzt.

Rick Masters handelte gedankenschnell. Er rammte den Fuß auf die Bremse. Hinter ihm kreischten die Reifen des Rolls Royce. Der Chauffeur hatte wohl im letzten Moment reagiert.

Rick griff an Lauderdale vorbei, drückte die Klinke, stieß die Seitentür auf und schob den Millionär reichlich unsanft ins Freie. Lauderdale taumelte von dem Morgan weg.

Rick hatte ihn loswerden wollen, weil er sich auf eine Auseinandersetzung mit magischen Kräften vorbereitete. Dabei hätte ihn Lauderdale entweder gestört, oder der Millionär wäre in Gefahr geraten. Beides wollte der Geisterdetektiv verhindern.

Hätte Rick Masters noch den geringsten Zweifel daran gehabt, daß er es hier mit übersinnlichen Kräften zu tun hatte, so wäre ein Blick auf Dracula genug gewesen. Der kleine Hund verkroch sich jaulend und winselnd unter dem Nebensitz.

Rick starrte durch die Windschutzscheibe, während er den Fuß auf das Gaspedal rammte und die Kupplung hart kommen ließ. Der Morgan machte einen Sprung vorwärts.

Rick kurbelte am Lenkrad. Die Vorderräder fraßen sich in den gepflegten Rasen und hinterließen tiefe Spuren. Dabei behielt der Geisterdetektiv die blasse Frau mit der altertümlichen Kleidung ständig vor Augen.

Kein Zweifel, das war die Frau von dem Gemälde! Das war die Frau, die bisher sieben – nein, sogar acht Anschläge verübt hatte. Denn die Schreie soeben stammten von diesem achten Überfall auf die Familie Lauderdale.

Rick wunderte sich darüber, daß dieses übersinnliche Wesen ganz normal floh. Er hätte damit gerechnet, daß sie sich in eine andere Dimension flüchtete, daß sie sich in Nichts auflöste und auf diese Weise ihren Verfolgern entkam. Statt dessen rannte sie quer über den Rasen.

Dadurch bekam der Geisterdetektiv eine Chance, ihr den Weg abzuschneiden. Rick schonte den Morgan nicht. Hinter dem Wagen schoß der kurzgeschnittene Rasen in wahren Fontänen hoch. Die Räder mahlten sich mitleidlos in den weichen Untergrund. Der Morgan tanzte wild hin und her, je nachdem, ob die Reifen griffen oder nicht.

Rick Masters saß mit zusammengebissenen Zähnen hinter dem Steuer, beide Hände um das Lenkrad gekrampft. Er hätte gern über Funk die Polizei alarmiert, aber er konnte es nicht. Er brauchte seine ganze Kraft, um den wild bockenden und schlingernden Wagen unter Kontrolle zu halten.

Auch wenn die Unbekannte wie ein gewöhnlicher Mensch weglief, hatte sie doch einen Vorteil auf ihrer Seite. Ihre Füße schienen den Boden kaum zu berühren. Es war, als schwebe sie über den Boden.

Rick merkte sehr schnell, daß er ins Hintertreffen geriet. Dracula kam nicht unter dem Sitz hervor, ein Beweis dafür, daß die übersinnlichen Kräfte unverändert am Werk waren.

Noch konnte sich der Geisterdetektiv nicht darum kümmern, was sich in dem Herrenhaus ereignet hatte. Er mußte sich voll auf die Jagd konzentrieren.

Der Motor des Morgans heulte auf vollen Touren. Rick sah die Frau für einige Sekunden nicht, weil sich eine dichte Rosenhecke zwischen sie schob. Er preschte rücksichtslos durch die Hecke. Die Lauderdales hatten genug Geld, um den Schaden reparieren zu lassen. Viel wichtiger war, daß Rick die Unbekannte stellte.

Es war nicht mehr weit bis zum Zaun. Rick wußte nicht, ob es hier eine Pforte gab. Er wollte die gefährliche Frau auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Deshalb rammte er den Fuß noch einmal auf das Gaspedal und trat es bis zum Anschlag durch.

Der Morgan holte rasant aus, doch die Fremde schaffte es bis zum Zaun.

Der Geisterdetektiv wiegte sich in einer trügerischen Sicherheit. Er sah den massiven Zaun, der aus einzelnen, fingerdicken Metallstäben bestand. Sie waren doppelt mannshoch und endeten in vergoldeten Spitzen. Da kam so schnell niemand hinüber. Rick hatte die Unheimliche in der Falle.

Dachte er…

Im nächsten Moment mußte er seinen Irrtum einsehen.

Die Frau lief mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Zaun zu und durchdrang das Gitter, als wäre es gar nicht vorhanden.

Auf der Straße wartete ein schwarzer, rundum geschlossener Lieferwagen. Die Ladetür stand offen.

Die Fremde schwang sich auf die Ladefläche. Die hintere Tür schlug zu, und der Wagen beschleunigte mit Vollgas.

Rick hatte keine Gelegenheit, das Kennzeichen abzulesen. Es war dick mit Lehm verschmiert, obwohl der Lack des Lieferwagens wie frisch poliert schimmerte.

Das Portal war zu weit weg, als daß Rick den Wagen noch einholen konnte. Aber er griff zum Funkgerät und gab die Beschreibung des Lieferwagens durch.

Zehn Minuten später hatte er seinen Morgan quer über das riesige Grundstück zu dem Herrenhaus gefahren, was gar nicht so einfach war, da er in weichen Untergrund geraten war und um ein Haar festsaß. Als er das Manor erreichte, kam soeben die letzte Funkmeldung, die ihn interessierte. Die Streifenwagen der Polizei hatten den Lieferwagen bisher noch nicht gefunden. Rick wußte, daß es ab sofort aussichtslos war. Das Fahrzeug hatte sich schon zu weit entfernt und war in der Millionenstadt London untergetaucht.

Der Geisterdetektiv stieg langsam aus und ging auf den Haupteingang zu. Jetzt würde er gleich erfahren, was in dem Haus geschehen war.

*

Der Mann am Steuer des schwar­zen Lieferwagens war ganz ruhig, während die bleiche Frau auf dem Grundstück der Lauderdales ihre schauerliche Aufgabe erfüllte. Er wußte, daß sie kaum versagen konnte. Nach den anfänglichen Fehlschlägen war sie praktisch unbesiegbar geworden.

Der Mann wußte noch mehr. Ging es tatsächlich wider Erwarten schief, konnte weder ihm noch ihr etwas passieren. Die bleiche Frau war ohnedies unangreifbar, und ihm konnte niemand etwas nachweisen. Auch wenn man entdeckt hätte, daß er vor dem Grundstück wartete, auch wenn man ihn identifiziert hätte – er wartete lediglich in einem Lieferwagen. Das war nicht verboten. Niemand konnte einen Zusammenhang zwischen ihm und den Ereignissen in dem Manor herstellen.

Doch plötzlich zuckte der Mann zusammen. Er fühlte, daß sich eine Gegenkraft näherte, eine Person oder ein Gegenstand, der seinen Interessen entgegenwirkte. Er hielt scharf Ausschau und entdeckte einen niedrigen, offenen Sportwagen im Oldtimer-Look. Den Mann hinter dem Steuer sah er nicht deutlich, dafür um so besser den Beifahrer.

»Harold F. Lauderdale!« zischte er haßerfüllt.

Hinter dem Morgan rollte der Rolls Royce des Stahlmagnaten auf das Grundstück.

Gleich darauf fühlte der Mann in dem schwarzen Lieferwagen, daß sein Geschöpf in Bedrängnis geriet. Die bleiche Frau mußte fliehen.

Nun stand es fest. Der Fahrer des Morgans war ihr Feind und sogar ein gefährlicher Gegner.

Dennoch geriet der Mann im Lieferwagen nicht in Panik. Er hatte noch einige schöne Tricks auf Lager, gegen die niemand etwas ausrichten konnte.

Er ließ sein Geschöpf durch den Zaun gehen. Somit waren ihrem Verfolger alle Möglichkeiten abgeschnitten. Er mußte sich an die Naturgesetze halten – im Gegensatz zu der gnadenlosen Mörderin aus einer anderen Dimension.

Die weiße Frau betrat den Lieferwagen. Von allein schlugen die Ladetüren zu.

Während der Mann den Lieferwagen mit Vollgas beschleunigte, beobachtete er die weiteren Vorgänge in einem Rückspiegel, den er eigens zu diesem Zweck im Wagen montiert hatte.

Die bleiche Frau stand aufrecht auf der Ladefläche. Sie schwankte nicht, als der Wagen in eine enge Kurve ging. Die Gesetze der Schwer- und Fliehkraft waren für sie aufgehoben.

Starr betrachtete sie das Bild, das an der einen Innenwand befestigt war. In dem goldenen Rahmen war ein dunkler Hintergrund zu sehen, dazu die Umrisse einer sitzenden Gestalt. Die Fläche, an der man eigentlich die porträtierte Person sehen sollte, war weiß.

Mit einer gleitenden Bewegung ließ sich die Unheimliche gegen das Bild sinken.

Ihr Körper verschwand, sie verschmolz mit der Leinwand.

Im nächsten Moment war wieder jenes Bild entstanden, das vor zwei Wochen von dem Kunsthändler George Kennloch ersteigert worden war.

Für einen unheimlichen Kunden ersteigert, der nun am Steuer eines schwarzen Lieferwagens saß und mit Hilfe seiner übersinnlichen Fähigkeiten nachforschte, welche Wirkung der Einsatz der Unheimlichen gehabt hatte.

Seine Gedanken drangen über große Entfernungen durch Mauern und andere Hindernisse hindurch und kehrten in das Herrenhaus der Familie Lauderdale zurück.

Dort herrschte das Chaos!

*

Als Rick Masters in die Halle des Manors kam, konnte er gar nichts erkennen. Die Angestellten liefen kopflos durcheinander. Zahlreiche Familienmitglieder scharrten sich um den Mittelpunkt der Halle. Rick sah zwischen ihnen hindurch die Beine einer am Boden liegenden Frau.

Er drängte sich zwischen dem Hauspersonal und den Angehörigen durch und beugte sich über die ungefähr sechzigjährige Frau. Sie hielt die Augen geschlossen und atmete nur flach, war aber wenigstens noch am Leben.

Rick kniete hastig neben ihr nieder. »Haben Sie schon einen Arzt verständigt?« rief er Mr. Lauderdale zu, der bleich neben ihm stand.

Der Stahlbaron schüttelte den Kopf. Er schien aus einen tiefen Schlaf zu erwachen, so heftig war der Schock gewesen. Als er ein paar Befehle brüllte, lief endlich ein jüngerer Mann ans Telefon.

Rick konnte sich die Kopflosigkeit dieser Leute nicht erklären. Sie hatten nicht einmal das Nächstliegende gedacht.

Deutlich sah er die Würgemale am Hals der Ohnmächtigen. Sofort erinnerte er sich daran, wie er den Kunsthändler Kennloch gefunden hatte. Bei ihm waren die gleichen Würgemale zu sehen gewesen, schmale, fast zarte Abdrücke, die von zierlichen Fingern stammen mußten.

Von den Fingern einer Frau, ergänzte Rick für sich und dachte an das magische Gemälde, dessen Verkauf er nicht hatte verhindern können.

Er leistete der Ohnmächtigen ärztliche Hilfe, so gut er konnte, und Minuten später war endlich ein Krankenwagen mit einem Arzt zur Stelle. Rick überließ die Frau dem Arzt und trat zu Mr. Lauderdale.

»Das ist meine Frau«, sagte der Millionär, der sich langsam zu erholen schien und seine Fassung zurückgewann. »Wird sie durchkommen?«

Rick nickte. »Soweit ich das beurteilen kann, ja. Was ist geschehen?«

Lauderdale sah ihn verständnislos an. »Ich weiß es nicht«, flüsterte er. »Es war wieder diese Frau, diese…«

Rick gab auf. Mit dem Mann war nichts anzufangen. Er übernahm selbst die Befragung der Leute und erfuhr, daß die Unheimliche ganz normal geklingelt hatte. Kaum hatte sie das Haus betreten, als Mrs. Lauderdale sie erkannte. Schließlich war sie schon von der rätselhaften Fremden angefallen worden.

Das sofort herbeistürmende Personal hatte das Schlimmste verhindert und die Fremde in die Flucht geschlagen.

»Womit?« fragte Rick. Für ihn stand bereits fest, daß es sich um keinen Menschen sondern um ein Geisterwesen handelte. Und diese dämonischen Geschöpfe ließen sich nicht mit gewöhnlichen Mitteln vertreiben.

Zuerst gab es große Ratlosigkeit, weil niemand wußte, was der Geisterdetektiv meinte. Endlich beschrieben die einzelnen Angestellten, was sie genau getan hatten. Manche waren mit bloßen Händen auf die Attentäterin losgegangen. Andere hatten gerade irgendeinen Gegenstand in der Hand gehalten.

Zuletzt meldete sich Richard Lauderdale zu Wort. »Ich habe das antike Metallkreuz von der Wand gerissen und damit nach dieser Wahnsinnigen geschlagen«, gab er an.

Rick Masters nickte. »Dann haben Sie Ihrer Mutter das Leben gerettet«, behauptete er. »Und merken Sie sich alle ein für allemal! Sie haben es nicht mit einer Wahnsinnigen zu tun. Ganz gleich, was Sie von mir oder der Sache halten, diese Frau ist kein normaler lebender Mensch. Wenn Sie sich wehren oder sie verjagen wollen, brauchen Sie einen geweihten Gegenstand.«

Er sah den Unglauben auf den Gesichtern der Leute. Ein paar begannen zu grinsen.

Mr. Harold F. Lauderdale bereitete dem ein Ende, indem er ein Machtwort sprach. »Was Mr. Masters sagt, hat in diesem Haus absolute Gültigkeit!« erklärte er laut. »Es ist, als hätte ich es angeordnet!«

Rick merkte, daß es in dem Manor in Wimbledon noch ziemlich altmodisch zuging. Der Hausherr hatte das absolute Sagen. Ganz gleich, wie vielleicht die einzelnen Familienmitglieder oder die Angestellten darüber dachten, für Rick brachte es einen unschätzbaren Vorteil. Er brauchte sich nicht immer erst durchzusetzen, sondern war von Anfang an sicher, daß alle taten, was er verlangte.

Der Arzt kam zu Harold F. Lauderdale. »Ihre Frau kann zu Hause bleiben, Mr. Lauderdale«, erklärte er. »Die Verletzungen sind nicht so schlimm. Ein paar Tage Bettruhe, dann ist sie wieder auf den Beinen. Von meiner Seite aus ist alles getan. Aber wo ist die Polizei? Die will doch sicher von mir ein Gutachten.«

Rick sah sich erstaunt um. Er war so mit der Verfolgung der unheimlichen Attentäterin beschäftigt gewesen, daß es ihm noch gar nicht aufgefallen war, daß keine Streifenwagen eintrafen. Nun sah auch er fragend den Millionär an.

Harold F. Lauderdale wand sich sichtlich. »Ich bitte Sie, die Sache ist erledigt, wir sollten…«

»Das kommt nicht in Frage«, erklärte der Arzt entschieden. »Hier liegt ein Verbrechen vor. Ihre Frau wurde gewürgt und um ein Haar umgebracht. Wenn Sie es nicht tun, dann werde ich die Polizei einschalten.«

Rick Masters winkte ab. »Nicht nötig, ich erledige das.«

Als Rick auf das Telefon in der Halle zusteuerte, kam Lauderdale an seine Seite. »Ich hatte doch ausdrücklich verlangt, daß die Polizei aus allem herausgehalten wird«, zischte er.

Rick zuckte lakonisch die Schultern. »Und ich muß die Polizei verständigen, wenn es die Gesetze verlangen, Mr. Lauderdale. Im übrigen kann ich Sie beruhigen Der Fall wird bei Chefinspektor Hempshaw in den besten Händen sein. Ich arbeite schon lange mit ihm zusammen. Er kennt mich und meine Methoden.«

Ein Anruf im Yard genügte, um Hempshaw und seine Leute in Bewegung zu setzen. Der Chefinspektor beeilte sich besonders, als Rick andeutete, der Vorfall im Haus der Lauderdales hätte etwas mit dem Mord an George Kennloch zu tun.

Zehn Minuten später war Hemp­shaw zur Stelle. Rick empfing ihn vor dem Herrenhaus.

»Sind Sie geflogen?« erkundigte er sich bei seinem Freund.

Hempshaw schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber ich habe mich sehr beeilt. Am Telefon klang es so, als würden Sie den Mörder kennen.«

»Ich habe die Mörderin des Kunsthändlers gesehen, Kenneth.« Rick holte tief Luft. »Sie werden nie erraten, wer sie ist. Die Frau aus dem Gemälde.«

Chefinspektor Hempshaw riß die Augen auf. Sekundenlang blickte er seinen Freund an, als habe Rick Masters den Verstand verloren.

»Rick!« stieß er endlich hervor. »Ich habe schon eine ganze Menge von Ihnen gehört, aber das hier ist einsame Spitze.«

Damit lief er an dem Geisterdetektiv vorbei und betrat das Manor. Rick zuckte die Achseln.

»Sieht so aus, als würde er mir nicht glauben«, murmelte Rick Masters. »Sieht ganz so aus.«

*

Rick Masters besprach seine Fälle immer mit Hazel Kent. So wußte sie auch sehr gut darüber Bescheid, daß in dem Mordfall George Kennloch bisher nichts geschehen war.

Sie staunte nicht schlecht, als er ihr an diesem Abend, dem einundzwanzigsten Mai, die Vorfälle im Haus der Familie Lauderdale schilderte.

»Wußtest du, daß ich die Lauderdales sehr gut kenne?« fragte Hazel, nachdem er geendet hatte.

»Ich hatte keine Ahnung, daß du mit ihnen befreundet bist«, erwiderte Rick verblüfft.

»Ich habe nicht gesagt, daß wir befreundet sind.« Hazel lächelte verhalten. »Ich kenne die Familie gut. Das ist alles. Wir haben uns vor Jahren einmal ganz ordentlich gekracht, Mr. Lauderdale und ich. Er dachte, ich wäre eine unerfahrene und schwache Frau, die ein wenig Managerin spielen will. Bei einem großen Geschäft wollte er mich kräftig hereinlegen. Er hatte Pech, ich durchschaute seinen Trick.«

Rick begann zu grinsen. »Dann wird er sich ganz bestimmt freuen, wenn er von unserer Beziehung erfährt. Aber im Ernst, Lauderdale scheint zumindest einen gefährlichen Feind zu haben, jemanden, der die Lady aus dem Bild einsetzt.«

»Glaubst du denn, daß es die Frau aus dem Bild ist?« fragte Hazel zweifelnd. »Das klingt reichlich phantastisch.«

»Es könnte natürlich auch jemand sein, der genauso wie diese Frau aussieht«, räumte Rick ein. »Aber daran glaube ich nicht, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Diese Frau ist durch den Zaun hindurchgegangen. Das ist eigentlich ein Beweis dafür, daß sie nicht körperlich existiert, daß sie ein Geisterwesen ist.«

»Eine unheimliche Geschichte.« Hazel schüttelte sich. »Wenn ich mir vorstelle, daß wir bei dieser Versteigerung waren. Hast du eigentlich schon festgestellt, woher das Bild stammt?«

Rick starrte seine Freundin mit offenem Mund an. Er war selten so verblüfft gewesen wie in diesem Moment.

»Ob du es glaubst oder nicht!« rief er und sprang auf. »Aber das habe ich total vergessen. Du hast aber recht, es wäre vielleicht ein Anhaltspunkt.«

Hazel hielt ihn lachend fest. »Setz dich! Es ist neun Uhr abends. Jetzt erhältst du keine Auskunft mehr. Du wirst schon bis morgen warten müssen.«

Sie befanden sich in Hazels Haus im Stadtteil Westminster. Das Abendessen war schon vorbei. Eigentlich hatten sie sich ein paar erholsame und schöne Stunden machen wollen, doch nun drehte sich das Gespräch aus­schließlich um den neuen Fall.

Rick Masters war dankbar dafür, daß Hazel das überhaupt mitmachte. Sie war die erste Frau, die ihn und seinen Beruf ertrug. Mehr als einmal war eine Beziehung gescheitert, weil der Beruf sich immer wieder in den Vordergrund schob. Meistens kam ein dringender Anruf, wenn es gerade am schönsten war.

So auch an diesem Abend. Butler Seton brachte das Telefon in den Salon, in dem sie beisammen saßen. Hazel runzelte die Stirn.

»Ich habe doch ausdrücklich gesagt, daß ich nicht gestört werden will!« Sie sah ihren Butler fragend an. Der alte Mann war sonst die Zuverlässigkeit in Person.

»Hier ist ein Anruf für Mr. Masters«, erklärte Butler Seton mit vornehmer Zurückhaltung. »Der Anrufer meint, es wäre lebenswichtig.«

Seufzend lehnte sich Hazel zurück, während Rick nach dem Telefonhörer griff und sich meldete.

»Ich komme sofort!« sagte er schon nach wenigen Sekunden, legte auf und wandte sich an Hazel. »Tut mir leid, aber…«

»Schon gut.« Hazel Kent winkte lächelnd ab. »Wer war es denn? Hempshaw?«

»Lauderdale«, erwiderte Rick und pfiff seinem Hund. »Die weiße Frau ist wieder auf dem Grundstück aufgetaucht. Noch hat sie das Haus nicht angegriffen, aber…«

Mehr brauchte er nicht zu sagen. Zu seiner Überraschung schloß Hazel sich ihm an und drängte ihn zur Tür.

Zwei Minuten später war der dunkelgrüne Morgan mit Blaulicht und Sirene durch das abendliche London unterwegs.

*

Während Rick den Morgan mit einer Hand steuerte, griff er mit der anderen nach dem Handschuhfach, öffnete die Klappe und nahm das Mikrofon heraus.

Die Zentrale von Scotland Yard meldete sich sofort. Er verlangte den Chefinspektor. Böse Zungen behaupteten, Hempshaw könnte eigentlich seine Privatwohnung aufgeben, da er sich ohnedies nur in seinem Büro aufhielt. Das war bestimmt übertrieben, aber fast immer erreichte Rick Masters seinen Freund im Scotland-Yard-Gebäude, so auch diesmal.

»Kommen Sie sofort zu Lauderdales Haus«, sagte Rick knapp. »Die unbekannte Mörderin soll da aufgetaucht sein. Aber lassen Sie die Mannschaft daheim. Mit einem Großeinsatz erreichen Sie gar nichts. Nur wir beide – und Mrs. Kent.«

»In Ordnung«, erwiderte der Chef­inspektor lediglich und unterbrach die Verbindung. In solchen Fällen verließ er sich ganz auf Rick. Das erleichterte die Zusammenarbeit.

Der Geisterdetektiv traf noch vor dem Chefinspektor bei dem Herrenhaus in Wimbledon ein. Das Parktor war geschlossen, aber zwei Hausangestellte des Stahlbarons standen auf Posten und öffneten es sofort, als Ricks Wagen auf die Einfahrt zurollte.

Der Geisterdetektiv stoppte kurz. »Ist etwas passiert?« rief er den beiden Männern zu.

Sie schüttelten die Köpfe. Rick erklärte ihnen, daß noch der Chefinspektor kam. Sie versprachen, das Tor nicht zu verlassen.

»Und achten Sie auf einen schwarzen Lieferwagen«, wies der Geisterdetektiv sie an. »Wenn hier in der Gegend ein solcher Wagen auftaucht, schlagen Sie Alarm.«

Erst danach fuhr er zu dem Haus, das hellerleuchtet war. Hinter jedem Fenster brannte Licht.

»Großer Bahnhof für uns«, bemerkte Hazel Kent mit einem leicht spöttischen Unterton. »Ob Harold F. Lauderdale weiß, daß ich komme?«

»Er wird es gleich merken«, antwortete Rick und deutete auf das Portal des Hauses, das sich in diesem Moment öffnete. Der Stahlbaron trat auf den Vorplatz und kam sofort an den Morgan.

»Gut, daß Sie da sind!« rief er. »Wir hatten schon gefürchtet, daß Sie…«

Der Rest blieb ihm im Hals stecken. Er erkannte Hazel Kent. Sein Gesicht verfärbte sich.

»Waffenstillstand«, sagte Rick hastig und stieg aus. »Hier geht es nicht um Geschäfte. Mrs. Kent hilft mir.«

Lauderdale mußte das erst schlucken. »Ich kann mich nicht erinnern, Mrs. Kent zu mir eingeladen zu haben«, sagte er steif. »In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihr, Mr. Masters?«

»Wir sind eng befreundet, liebster Mr. Lauderdale«, antwortete Hazel an Ricks Stelle. »Sehr eng. Soll ich Ihnen beschreiben, wie eng?«

Lauderdale runzelte die Stirn. »Sie haben nichts von Ihrer Bissigkeit eingebüßt, Verehrteste«, stellte er fest. »Sie sind noch genauso unangenehm wie früher.«

»Danke für die Blumen«, konterte Hazel.

»Ich habe Waffenstillstand angeordnet!« rief Rick und mußte ein Grinsen unterdrücken. Hier hatten sich zwei ebenbürtige Gegner gefunden. »Wir sind nicht hier, um Höflichkeiten auszutauschen. Verraten Sie mir lieber, warum Sie mich alarmiert haben.«

Harold F. Lauderdale zuckte zusammen und erinnerte sich an die gefährliche Situation.

»Wir haben diese Frau im Park gesehen«, berichtete er. »Meine Frau ist vor Angst schon halbtot. Sie müssen etwas unternehmen, Mr. Masters.«

»Befinden sich die Mitglieder Ihrer Familie im Haus?« erkundigte sich Rick.

Der Millionär nickte. »Alle! Sie haben sich bei mir versammelt. Wir wollten heute abend einen Familienrat abhalten, bei dem unser weiteres Vorgehen entschieden werden sollte. Die Unheimliche platzte dazwischen.«

»Die ganze Familie versammelt.« Rick warf einen Blick zu Dracula, der unbekümmert um den Wagen herumlief und überall schnüffelte. Im Moment waren also keine magischen Kräfte am Werk. »Das wäre eine gute Gelegenheit, um die ganze Familie auszulöschen.«

Lauderdale prallte zurück. »Sie haben eine entsetzliche Phantasie, Mr. Masters«, rief er schockiert.

»Ich versuche lediglich, mich in unseren Gegner hineinzudenken.« Rick sah sich vorsichtig um. »Und ich gehe lieber vom Schlimmsten aus. Dann kann ich nur angenehm überrascht werden. Also, wie könnte man die ganze Familie auf einen Schlag auslöschen?«

»Feuer!« rief Hazel impulsiv.

Rick nickte. »Das wäre tatsächlich eine wirksame Waffe. Aber auch dann könnten noch Leute aus dem Haus entkommen.«

»Hören Sie bloß auf!« rief Mr. Lauderdale beschwörend. »Sie ziehen das Unglück geradezu an.«

»Ich möchte ihm zuvorkommen.« Rick rief Dracula zu sich. »Darling«, sagte er zu Hazel, »geh zu den anderen und bereite sie schonend darauf vor, daß sie vielleicht schnellstens das Haus verlassen müssen. Kümmere dich vor allem um Mrs. Lauderdale.«

»Und was machst du inzwischen?« fragte sie besorgt. Sie ahnte, daß Rick sich in eine große Gefahr begab.

»Ich mache einen Rundgang.« Rick grinste. »Keine Angst, Dracula ist ja bei mir.«

Er sah Harold F. Lauderdale an, daß dieser an einen makabren Witz glaubte. Der Stahlbaron konnte sich nicht vorstellen, daß dieser winzige Mischling seinem Herrn helfen würde. Hazel jedoch war einigermaßen beruhigt. Sie kannte Draculas besondere Fähigkeiten.

»Paß trotzdem auf dich auf«, bat sie ihren Freund und ging in das Haus hinein, als wäre sie hier zu Hause.

Harold F. Lauderdale folgte ihr verwirrt. Er fühlte sch überrumpelt und übergangen.

Rick aber verschwand mit dem vorläufig noch sehr vergnügten Hund in dem dunklen Park, ausgerüstet mit einer Taschenlampe, einer Pistole und seiner weißmagischen Silberkugel.

Der Geisterdetektiv hatte sich seiner Freundin und seinem Auftraggeber gegenüber sehr zuversichtlich gegeben. In Wirklichkeit fühlte er sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er ahnte, daß er es diesmal mit einer besonders gefährlichen Gegnerin zu tun hatte, mit einem Wesen aus einer anderen Dimension. Außerdem gab es noch einen Unbekannten, der die Fäden in der Hand hielt und vermutlich über alles genau Bescheid wußte.

Ein bekannter Gegner war nicht mehr so gefährlich. Gleich zwei unbekannte Feinde konnten tödlich sein, auch für einen so erfahrenen Geisterdetektiv wie Rick Masters.

*

Der Mann saß entspannt hinter dem Steuer des schwarzen Lieferwagens. Sein Blick glitt für einen Moment zu dem Rückspiegel, über den er den Laderaum beobachten konnte. Er grinste flüchtig, als er das Gemälde sah, auf dem ein weißer Fleck anstelle der Frauengestalt schimmerte.

Sie war unterwegs, von seinem Willen gesteuert. Und dieser Wille war auf Tod und Vernichtung eingestellt. Er haßte die Familie Lauderdale so sehr, daß er tatsächlich einen nach dem anderen töten wollte.

Der Mann war enttäuscht worden. Er hatte sich alles einfacher vorgestellt, hatte gedacht, er müßte die Frau aus dem Bild nur losschicken, dann würde sie die gestellten Aufgaben erledigen.

Es hatte nicht sofort so geklappt, wie er sich das vorstellte. Den Kunsthändler George Kennloch hatte sie getötet, doch danach war es nicht mehr so gegangen, wie der unheimliche Mörder das wollte.

Inzwischen hatte er dazugelernt. Er verfügte über magische Kräfte und Kenntnisse und war gefährlicher als so mancher Mörder, der mit einer der üblichen Waffen tötete.

Er war jedoch im Gebrauch seiner Fähigkeiten noch nicht geübt. Das hatte er in den letzten zwei Wochen aufgeholt. Jetzt war er davon überzeugt, daß er alles machen konnte, was er wollte. Darum hatte er seine Kreatur wieder ausgeschickt. Sie sollte in dieser Nacht endlich die ersten Familienmitglieder beseitigen.

Der Mann in dem Lieferwagen beobachtete ständig seine Umgebung. Er vergaß nicht, daß eine neue Gefahr aufgetaucht war, die er nicht einkalkuliert hatte, nämlich Rick Masters, der Geisterdetektiv, der Spezialist zur Bekämpfung der Schwarzen Magie.

Vorläufig kannte der Mann nur ein Mittel, um den unbequemen Detektiv auszuschalten, nämlich ihm zuvorzukommen. Erst mit der Zeit würde er herausfinden, wie er die Mörderin aus dem Bild auch gegen den Geisterdetektiv einsetzen konnte. Sobald er das schaffte, war Ricks Schicksal besiegelt.

Plötzlich straffte sich der Mann. Er stand in geistiger Verbindung mit seinem Geschöpf. Auf diese Weise erfuhr er, daß genau jene Gefahr auftrat, die er fürchtete, nämlich Rick Masters. Er hatte sich auf die Suche nach der Mörderin aus dem Bild gemacht.

Der Geisterdetektiv nahm ihm die Entscheidung aus der Hand. Es würde schon jetzt zur ersten direkten Konfrontation zwischen Rick Masters und der Mörderin kommen.

Der Mann im Lieferwagen raffte seine ganzen Kräfte zusammen, um diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Erst mußte er den Detektiv beseitigen. Dann konnte er zum großen Schlag gegen die Familie Lauderdale ausholen.

Sie war vollzählig im Herrenhaus versammelt, eine einmalige Gelegenheit. Der Mörder wußte auch schon, wie er sie alle vernichten konnte, ohne daß sie auch nur die geringste Chance hatten.

*

Noch schaltete Rick Masters die Taschenlampe nicht ein. Er wollte die Batterien schonen. Der Widerschein der Lichter über London und die hell erleuchteten Fenster des Herrenhauses genügten. Er sah, was sich in seiner nächsten Umgebung tat.

Solange Dracula unbekümmert neben ihm herlief, brauchte er sich keine großen Sorgen zu machen. Doch im nächsten Moment stieß der Hund ein leises Winseln aus.

Sofort blieb der Geisterdetektiv stehen und sah sich angestrengt um. Zwischen den Büschen und Bäumen des weitläufigen Parkgrundstücks blieb alles ruhig.

Schon glaubte Rick, daß sich Dracula über etwas anderes erschrocken hatte, als sie ihn ansprang.

Die Frau aus dem Gemälde tauchte wie ein Schemen auf. Sie glitt hinter einem Baumstamm hervor und näherte sich Rick Masters so schnell, daß der Geisterdetektiv keine Zeit zur Gegenwehr hatte. Ihre Hände legten sich wie Stahlklammern um seinen Hals.

Rick blieb die Luft weg. Erschrocken erkannte er, daß er die Gefährlichkeit dieses Wesens unterschätzt hatte. So ähnlich mußte es dem Kunsthändler Kennloch ergangen sein.

Rick ballte die Hände. Hier brauchte er keine Rücksicht zu nehmen. Er hatte es mit keinem Menschen, sondern mit einem Geist zu tun.