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In einer westfälischen Stadt des fiktiven Namens Greenfort steht die Bürgermeisterwahl vor der Tür. Eigentlich bloß eine Formalie, in der der langjährige Amtsinhaber wiedergewählt werden soll. Doch dieses Jahr ist alles anders: Angefangen damit, dass sich zum ersten Mal nach ewiger Zeit ein Kontrahent dem beliebten Bürgermeister in den Weg stellt, werden auf einer Wahlkampfgala auch noch zwei Leichen aufgefunden. Für den alten Polizeichef ist die Sache eindeutig! Doch seine junge, aufstrebende Kommissarin Leonie Neufeld muss ihm widersprechen. Der einst so geniale und nun vom Leben verwehte Commissario Alfredo Pino wird zur Hilfe gerufen. Die Spur führt tief in den Wald zu einer Sekte, die sich "Der glückliche Tod" nennt. Der Kriminalroman lebt von der Gegensätzlichkeit der einzelnen Charaktere und die daraus folgende ironische Satire, die sich neben philosophisch angehauchten Passagen über das Leben und den Tod reihen. Doch über allem steht die Frage: Wer ist verantwortlich für die vielen Toten? Denn so viel sei gesagt: Die Leichen der Wahlkampfgala bleiben nicht die Einzigen, die das so harmonische Städtchen schockieren und ihre Welt auf den Kopf stellen.
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Seitenzahl: 268
Veröffentlichungsjahr: 2022
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FÜNF TAGE VOR DER WAHL
VIER TAGE VOR DER WAHL
DREI TAGE VOR DER WAHL
ZWEI TAGE VOR DER WAHL
EIN TAG VOR DER WAHL
AM TAG DER WAHL
KAPITEL SIEBEN
In einem flachen Landstreifen, wir befinden uns in Deutschland, welcher eigentlich nur durch die Unscheinbarkeit ins Auge scheint, erheben sich im Norden dichtbewaldete Berge. Ehrlichgesagt würde wohl kein Fremder diese als Berge, sondern vielmehr als Hügel bezeichnen, doch sind sie mit Abstand das höchste, was sich in diesem Ländchen befindet. Auch diese Berge sind nicht weiter auffällig. Nein, es fallen nur die vielen Bäume auf ihnen auf, weshalb man sie die Baumberge nennt. Sicherlich hatten sie von offizieller Seite noch einen ganz anderen Namen, doch war es den Leuten hier egal. Der Name der Berge passte zum Land: simpel, vertraut und doch vollkommen. Und am höchsten Gipfel, wenn wir ihn denn so nennen wollen, tropft es langsam aber stetig aus einer Felsspalte. Und dieses Wasser ist: simpel, vertraut und doch vollkommen. Keine 50 Höhenmeter tiefer hatte sich allerdings schon so viel Wasser angestaut, dass es sich zu einem Bach und schließlich zu einem Fluss sammelte. Dieser Fluss wurde meist schlicht „Die Grüne“ genannt von den Menschen des Ländchens, durch das dieser Fluss fließt.
Etliche Kilometer weiter flussabwärts teilt sich schließlich der Fluss dreimal auf, allerdings nur um wenige Kilometer später wieder zusammen zu fließen. Schon im Mittelalter wurden an dieser flachen Stelle des Flusses Brücken und Burgen gebaut, weshalb man die Stadt, die heute an dieser Stelle liegt, Grünfurt, oder meist noch heimatlich platt Greenfort, nennt. Hier im seichten Wasser schimmerte die Grüne besonders grünlich.
Diese Stadt war keine Großstadt, aber auch keine Kleinstadt. Sie war schlicht eine Stadt. Doch auch diese Stadt verlässt die Grüne schon bald wieder und fließt weiter in den Süden, ehe sie in den nächsten breiteren Fluss fließt, der wiederrum in einen großen Strom fließt, der wiederrum in das kalte Meer im Norden fließt. Und auch dieses Meer ist nur ein kleiner Arm eines gigantischen Ozeans, der die gesamte Welt umfasst.
Doch nun blicken wir wieder auf Greenfort, dem Ort an dem sich die Grüne in drei Läufe aufteilt. Die Ost- die West- und die Dicke Grüne. Obwohl der gesamte Landkreis charakteristisch für seine neutrale Unspezifität steht, sticht eines an oder in der Stadt Greenfort hervor: Das Schloss! Zwischen den Gräben der Dicken und der Westgrünen erhebt sich seit vielen Jahrhunderten ein prächtiges Schloss aus dem Barock. Der helle Backstein und der leuchtende Sandstein schweben über einer beispielslosen Parkanlage, die kaum von der des Versailles übertroffen werden kann. Und an all die vielen Menschen dort draußen, die noch nie etwas von der Stadt Greenfort gehört haben, dann habt ihr sicherlich schonmal von ihrem Schloss gehört, welches wahrlich Greenforts wahrer Stolz ist. In der klassischen Form eines Us strahlt der helle Stein unter dem prächtigen Dach aus dunklem Kupfer der Sonne entgegen. Aus den unzähligen kleinen Fenstern verhüllt von den typisch barocken schneeweißen Rahmen mag man sich leicht vorstellen, wie die feinen Damen und Herren dereinst in bunten Kleidern und schimmernden Schmuck aus ihnen hinaus auf den sagenhaften Garten blickten.
Und wie pompös dieser Garten war! Auf der einen Seite führte eine von entenfütternden Touristen geliebte Treppe hinab in das ruhige Wasser der Dicken Grünen, während sich zur anderen Seite ebenfalls eine Treppe, begleitet durch hochwertig gemeißelte Geländer, hinauf zu dem großen weißschimmernden Tor des Schlosses selber befand. Hinter einem fein gepflegten Kiesweg, der im Schatten stolzer Eichenbäume um die gesamte Schlossinsel herumführte, sanken sich Treppen aus in der Sonne glänzenden Sandstein einem pompösen Labyrinth aus haargenau beschnittenem Buchsbaum und perfekt bemessenen Nadelhecken entgegen. Erst aus der hohen Entfernung eines Helikopters konnte man das aufwendige Muster in Form von gigantischen Blumen und barocken Gewinden erkennen. Zwischen diesem botanisch exquisiten Konstrukt erhoben sich auf meterhohen Sockeln Marmorstatuen nackter barocker Schönheiten, edel anmutender Löwen und Wildschweinen.
Und so wundert es auch nicht, dass am Tage X, der Beginn unserer schaurigen und verflixten Geschichte, sich viele vornehme Bürger der Stadt Greenfort im Park genau dieses idyllischen Wahrzeichens versammelt hatten. Es war Sommer und an dem Ufer auf einer Wiese an der Seite der kleinen Insel war ein Podest aufgebaut, dessen offene Seite genau auf das protzige Schloss und seinen verzierten Garten blickte. Auf diesem Podest stand ein dicklicher Mann in einem weißen Anzug. Er schwitzte vor Stress und der erbarmungslos auf ihn niederbrennenden Sonne, doch lächelte er aus beiden Augen in sein Doppelkinn, da so viele Leute gekommen waren um mit ihm zu feiern. Der dicke Mann war der Bürgermeister dieser Stadt, der nervös seine Rede vor sich hin stammelte. In Greenfort war nämlich wieder der Wahlkampf angesagt und der langjährige Bürgermeister Schulze-Kettlein hatte zum ersten Mal seit langer Zeit ernstzunehmende Konkurrenz. Schweiß tropfte über seine weiche Stirn, als er den zu seinem Bankett geladenen Gästen die großen Errungenschaften der letzten 15 ½ Jahre im Amt anpries. Von Errungenschaften zu sprechen war vielleicht etwas hoch gegriffen, doch zumindest hatte sich für die wohlhabenden Bürger Greenforts seitdem nichts mehr verschlechtert. Und da es ihnen von je her hier gut erging, reichte ihnen das. Wäre da nicht der kleine Stadtteil im Westen jenseits des Kanals, der die Industriestädte des Südens mit dem weiten Meer im Norden verband. Dieser ärmlichere und wilde Stadtteil Greenforts war dem Bürgermeister schon immer ein Dorn im Auge und ausgerechnet daher kam nun sein ärgster Konkurrent um sein Amt, dass ihm wirklich alles bedeutete. Doch war es auch die unsägliche Hitze, die ihm heute sehr zu schaffen machte. Es mussten mindestens 30 oder 32 Grad gewesen sein, als er sich abermals mit einem schon durch genässten Taschentuch den Schweiß von der Stirn tropfte. Er war nicht der einzige auf dieser grünen Wiese neben dem Schloss, der große Probleme mit der Hitze hatte. Das ganze Volk Greenforts ging in ihren feinen, aber viel zu dicken, schwarzen und sommerfeindlichen Anzügen und Blazers beinahe ein. Die Bewohner Greenforts hegten so manche Eigenheit, die einem Fremden sicherlich erst einmal sehr befremdlich vorkommen würden. Nicht zwangsweise in ihren Ritualen, sondern eher in ihrer Art zu denken und das besonders was das Leben mit einem solchen Wetter an einem so ungewöhnlich heißen Tage angeht. So wirklich recht machen konnte man es ihnen nämlich nie. Im Winter war es ihnen unter der dicken Schneedecke zu kalt und unwirtlich, doch kaum schmilzt das Eis, so wünschte sich jeder direkt wieder weiße Weihnachten, die es hier schon seit Jahrzehnten nicht mehr gab. Im Sommer, wie es jetzt einer war, war es dann wiederrum das gleiche Spiel mit umgekehrten Vorzeichen.
Das ganze Jahr fieberten die Menschen auf die warmen Tage und kaum waren sie gekommen, da war es ihnen auch schon wieder zu warm. Das Einzige was das Volk in Greenfort zufriedenstellen konnte, war der eigene Wohlstand und der eigene Stolz auf diesen. Solange dieser weiterhin so auf sie fiel wie seit Beginn der Zeit, waren sie scheinbar glücklich in ihrer eigenen kleinen Blase namens Greenfort. Man konnte sich zwar um die Verantwortung des jetzigen Bürgermeisters dafür streiten, aber wieso sollte man, so dachte man immer, etwas ändern, wenn es auch so laufe? Da hielt man dann auch die brüllende Hitze zwischen den fein zurechtgeschnittenen Skulpturen aus Buchsbaum, marmorierte Treppen und kunstvoll angelegten Beeten des Schlosses aus um die stolze Gemeinschaft zu bestätigen. Ungeduldig warteten alle auf den feierlichen Sekt zum Anstoßen, während der Herr Schulze-Kettlein weiter vor sich hin stammelte.
„Wie kann man sich nur so zum Affen machen?“ kam es leise aus Kommissarin Leonie Neufeld gepurzelt.
Sie war jung und noch nicht sonderlich lange in der Stadt, daher blickte sie stets mit einer gewissen Skepsis und Unzufriedenheit auf all die Begebenheiten, die den alt eingesessenen Bürgern der Stadt längst nicht mehr auffielen. Oder wie ihr Boss der Polizeichef es formulierte: „Sie bringt uns den frischen Wind, den wir hier brauchen!“ Stolz sagte er dies immer, da es ihm gelungen war die Jahrgangsbeste der Kommissarausbildung der nächsten Großstadt für Greenfort zu gewinnen. Und das hieß schon was, denn jene Stadt war berühmt für den „frischen Geist der jungen Leute“. Aber im Herzen war der Polizeichef dann doch ein Mann der alten greenfortischen Schule, der ständig im Streit mit seinen frischen Zukunftsplänen stand.
„Na hören Sie mal, Fräulein Neufeld“ er stand direkt neben ihr und hatte somit ihren Spott gegenüber dem Bürgermeister mitbekommen. „Unser Heinz, also Herr Schulze, Herr Schulze-Kettlein ist das Beste was uns in unserem schönen Greenfort passieren konnte!“
„Herr Freimuth, erstens setzen Sie bitte ihre Maske wieder auf, wenn sie reden und zweitens nennen Sie mich bitte nie wieder Fräulein!“ entgegnete sie mürrisch, als sie sich ihre FFP2 Maske neu richtete. In dem Land war eine Virus-Pandemie ausgebrochen, die es gesetzlich vorschrieb, sich mit einer Mund-Nasen-Bedeckung an öffentlichen Veranstaltungen auszustatten. Immerhin konnten öffentliche Veranstaltungen überhaupt wieder stattfinden, mit mehreren Sicherheitsmaßnahmen, was wohl auch einer der Gründe war, weshalb Bürgermeister Schulze-Kettlein so nervös aber auch glücklich lächelte.
„Und deshalb“, fuhr der Herr Bürgermeister stolz fort, „lasst uns, ihr ehrenwerten Bürger Greenforts, die wir uns gegenseitig so viel zu verdanken haben, die Gläser heben und anstoßen auf die harten, aber erfolgsversprechenden Wochen des diesjährigen Wahlkampfs.“
Jugendliche Mädchen und Knaben in schicken Gewändern traten mit Tabletts voller Sekt- oder wahlweise Orangensaftgläser hervor und verteilten sie lächelnd an die vielen Gäste, die selbstverständlich dankend die feierliche Erfrischung annahmen.
„Drum sag ich Prost und erhebe das Glas: Auf Greenfort, auf unsere gemeinsame Vergangenheit und Zukunft!“
Die Masse, so an die 50 Gäste waren geladen, stießen hoch in die Luft an mit einem wie im Chor abgestimmten „Zum Wohl“ und somit endete die Rede des Bürgermeisters. Die Rede über seine Erfolge, den hohen Lebensstandard und das schöne und saubere Äußere der Stadt. Dies alles war sein Verdienst!
„Wer es glaubt wird selig“, dachte als Einzige die Kommissarin skeptisch die glücklichen Doppelkinne der umliegenden Leute betrachtend.
Ihres Wissens nach ging es der Stadt schon seit je her gut und besonders Herr Schulze-Kettlein war einer dieser Menschen, die sich auf dem kuschligen Berg der unteren Oberschicht ausruhten, den die Vorfahren hart für Greenfort erkämpft hatten. Doch hob auch sie nach einem fordernden Blick ihres Chefs ihren Orangensaft und stieß mit der Masse an. Begeistert war sie sicherlich nicht davon, dass der Polizeichef während der Arbeit lieber zum Alkohol als zum Orangensaft griff, aber mittlerweile hat selbst sie gemerkt, dass es manchmal besser ist vor dem Vorgesetzten auf gutdeutsch die Schnauze zu halten. Auch wenn ihr das bis zum Ende hin schwerfallen sollte. Schließlich wollte auch sie eines Tages seinen Platz an der Spitze der Polizei übernehmen. Das Talent und das Selbstbewusstsein dafür hatte sie allemal und das wusste auch keiner besser als ihr Vorgesetzter Polizeichef Klaus Freimuth.
Der offizielle Part des Banketts war somit vorbei und die Menge verstreute sich ein wenig um beim Glase Sekt Konversation zu pflegen. Die meisten Leute kannten sich untereinander, weshalb schnell ein durchgängiger Wirrwarr von Stimmen, gelegentlichen Lachen und anstoßenden Gläsern den Schlosspark erfüllten. Besonders die objektiv betrachtend durchaus hübsche neue Polizistin Leonie Neufeld warf die Blicke und Zungen der neugierigen Stadtgemeinde auf sich. So war sie gerade in ein Gespräch mit einem kleinen, dicken Mann mit weißem Haar verwickelt, als sie erneut von hinten ihr Chef ansprach:
„Ah, Fräulein, Frau Neufeld, darf ich Ihnen vorstellen? Unser verehrter Vorstand unserer Fußballmannschaft. Rudi, Rudi Altstädter! Läuft gut für unseren SC! Aber das hat er dir, Ihnen, sicherlich schon selber erzählt.“
„Ach, der Herr Wachtelmeister! Schön disch zu seh´n!“ sprach Rudi Altstädter ihm freundlich lachend entgegen und schritt leicht wankend zur Seite.
„Ähm ja, haben Sie mal kurz ´ne Minute Frau Neufeld? Entschuldige Rudi.“ fuhr Freimuth fort, als er seinen Arm kurz über ihre Schulter legte, dann aber doch schnell unsicher wegzog, als er den kritischen Blick seiner jungen Kollegin erahnte.
„Wissen Sie“ noch immer lag das Wort beim Polizeichef, der nach jeden paar Worten einen neuen Schluck seines schon leeren Sektglases nahm, „diese Veranstaltungen hier und auch der gesamte Wahlkampf sind sehr wichtig für uns. Also uns als Polizei. Ja und vielleicht auch was die meine und die ihre Persona angeht…“
Neufeld schritt ein Schritt zur Seite: „Wie meinen Sie das?“
Wieder wanderte der Arm Freimuths kurz an die Schulter der jungen Brünetten, bevor er geschickt die Bewegung verlängerte um sich durch seine beinahe schon gänzlich ausgefallenen braugrauen Locken zu streichen.
„Ich versteh ja durchaus, dass Sie gelegentlich unserem Heinz kritisch gesinnt sind. Er hat halt seine Eigenheiten, aber die haben wir doch schließlich alle hier in unserer schönen Stadt. Aber wir müssen eben auch wissen, dass ich meine Stellung hier im Präsidium dem Heinz zu verdanken habe. Und auch Sie, meine hoch geschätzte Kollegin, sollten sich mit ihm ins Reine stellen, wenn Sie eines Tages, wenn der Herr mich ruft, mir nachfolgen wollen.“
Das Gesagte hinterließ Leonie Neufelds Gesicht stutzig. „Vielen Dank Herr Freimuth, aber ich verdiene mir meine berufliche Laufbahn lieber doch durch ehrlichen Erfolg und nicht durch“ sie stockt leicht angewidert „durch das was Sie auch immer meinen!“
„Nein, nein, Fräulein, ähm Frau Neufeld, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mache mir nur große Sorgen auf die Wahl in wenigen Tagen blickend. Ich befürchte, dass sich unser Herr Schulze nicht weiter gegen seinen Konkurrenten, dem öden Matuschke, behaupten kann.“
„Na dann ist das halt der Wille des Wählers. Ich denke nicht, dass das in unsere Aufgabenbereiche als Gesetzeshüter zählt!“ „Nun ja, aber ist es meine bürgerliche und amtliche Pflicht zumindest Ihnen zu verraten, dass ich dem Sven Matuschke nicht traue. Er kommt hinterm Kanal weg und ist, sagen wir mal, der Polizei durchaus bekannt und nicht zwangsweise günstig ihr gegenüber eingestellt, wenn sie verstehen. Deshalb ist es unsere Pflicht den Heinz, also den Schulze-Kettlein, da zu unterstützen wo wir nur können. Also setzen Sie doch bitte ihr fröhliches Lächeln wieder auf und genießen Sie ihren Arbeitstag an der frischen Luft mit einem guten Trank! Hört sich das nicht gut an?“
Bei den letzten Worten begann er aus seiner Raucherlunge zu lachen und versuchte mit einem lockeren Schlag auf Neufelds Schulter ihr Gemüt aufzuheitern. Mit mäßigem Erfolg, denn sie blieb ernst:
„Wenn das so ist, dann werde ich mal lieber diese falsche Veranstaltung verlassen und mal die Akten nach einem Herrn Sven Matuschke durchforsten. Ich denke, dabei sollte meine Arbeitskraft besser aufgehoben sein als hier.“
Trotzig drückte sie ihm ihr Glas in die Hand und schritt in Richtung der alten Brücke über die Dicke.
Weit in Richtung des Parkplatzes kam sie allerdings nicht, da ihr Polizistenherz durch panische Schreie aus der Ferne geweckt wurde. Sofort blickte sie sich um und eilte zurück zur Menschenmasse, die gemütlich in Richtung der Wiesen und Wäldern hinter dem Schloss trabten. Allen voran der Polizeichef Freimuth, der durch ruhiges Auftreten versuchte die aufgeheizte Stimmung der Greenforter zu beruhigen. Doch wurde er schon bald von seiner jungen Kollegin eingeholt, die an ihm vorbeisprintete und zu einer großen Grasfläche eilte, von wo sie den panischen Schrei vermutete. Hinter einem kleinen Waldstück blieb sie schließlich stehen. Es war eine Frau die geschrien hatte. Sie war klein und dick wie fast alle Bürger der Stadt, die Leonie Neufeld bisher kennenlernen musste und war gehüllt in einem feinen blauen Blazer unter einem viel zu großen blauen Sonnenhut. Bleich und zitternd trat sie der heranrasenden Kommissarin entgegen, die sofort ihre Dienstmarke zeigte und aufschrie: „Polizei! Guten Tag, Neufeld mein Name! Sie haben geschrien?“
„Ja äh, guten Tag.“ Die Arme bekam kaum ein Wort raus. „Wissen Sie, ich hab´ es ja immer so in der Hüfte vom langen Stehen. Der Herr Doktor meinte schon, dass ich es mal mit Sanilak, Senihüft, oder wie das heißt, versuchen sollte. Wissen Sie was ich meine? Der Doktor Neßling, ein ganz toller Arzt, der meinte schon immer ich soll nicht mehr so viel stehen und mal gesünder essen, aber es schmeckt doch so gut.“
Überforderung zierte das Gesicht der schlauen Kommissarin. Was erzählte die da für einen Quatsch? Doch dann kam auch endlich Polizeichef Freimuth gemütlichen Schrittes um die Ecke, der seine Arme ausbreitete und die verwirrte Dame in den Arm nahm.
„Aber Herr Freimuth! Achten Sie bitte auf den Mindestabstand im Dienst!“
Er ignorierte den Protest seiner Kollegin und sprach in ruhiger Stimme auf die Alte ein: „Ach Fräulein Bakenbusch! Sie machen Sachen. Dann erzählen Sie mal ganz in Ruhe was passiert ist!“
Sie atmete tief durch: „Ach, bin ich froh, dass ich Sie sehe Herr Freimuth. Ich hab´ nach einer freien Bank Ausschau gehalten, weil ich es doch immer so mit der Hüfte beim Stehen hab. Doch weit und breit war keine zu sehen, da bin ich bis nach hier hinten gegangen und dann sah ich es…“
„Dann sahen Sie was, Frau Bakenbusch?“ fragte die Kommissarin aufgeregt. Natürlich war sie aufgeregt, denn so etwas spannendes hatte sie in den ersten Wochen hier in Greenfort noch nicht erleben dürfen.
„Da,“ sie zeigte auf eine kleine Baumreihe wenige Meter von ihnen entfernt, „dort hinter den Birken, zwei Leichen, blicken Sie doch selbst.“
Langsam schritt die Traube von Menschen, die sich um die Polizisten gesammelt hatte um die Ecke und blieben ruckartig stehen. An einer großen Kastanie, keine zehn Meter hinter den besagten Birken, hingen zwei Menschen - ein Mann und eine Frau - an einem alten Tau. Ein Raunen ging durch die Leute, als man die Leichen erblickte.
Hauptkommissar Freimuth war der erste, dem das Wort wieder zufiel. Er schritt nach vorne, musterte kurz die Leichen und wandte sich dann schließlich zu den geschockten sonst so von Lebensglück geküssten Bürgern Greenforts.
„Ja, meine lieben Mitbürger, liebe Freunde. Es wäre denk ich wohl am besten, sie gingen alle mal wieder in Richtung Bankett oder gleich ins traute Heim. Dies sind wahrlich keine Anblicke, die ein Mensch an einem solch schönen Sommertag sehen sollte. Tragisch, wie sich zwei so junge Menschen vor unser allen Augen das Leben nehmen mussten.“
Er winkte mit den Händen in Richtung der Ausgänge des Parks, woraufhin die vielen Gäste des Bürgermeisters, er selber war schon kurz nach seiner Rede schweißgebadet in den Schatten des Schlosses vor der Sonne geflohen, sich schweigend davon machten.
„Also Herr Freimuth, da muss ich aber wirklich protestieren!“ Es war die Stimme Leonie Neufelds, die an sein Ohr prasste. „Sie verkünden hier der weiten Öffentlichkeit den Suizid als Todesursache, dabei fanden noch keinerlei Ermittlungen statt!“
Einem kurzem genervten Blick Freimuths folgten nachdenkliche Blicke, da er es sich schließlich nicht mit der talentierten Jungen verspaßen wollte.
„Ach, meinen Sie etwa?“
„Mmh, noch meine ich gar nichts. Aber zumindest sollten wir erstmal die Ermittlungen aufnehmen, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen!“
„Aber ja gut, Frau Neufeld. Da hängen zwei Leichen mit einem Seil um ihren Hals an einem Baum. Sonderlich viel Spielraum lässt uns das sicherlich nicht.“
Stumm blickte sie zu den Toten und schritt mit hellwachen Augen langsam näher. Klänge es nicht so makaber, hätte sie glatt gesagt: „Endlich! Meine ersten Toten!“ Doch verbot ihr das ihr modernes Verständnis von der Menschenwürde und ihre Verachtung vor dem sogenannten Schwarzen Humor. Bis auf wenige Fingerbreiten schritt sie an die Leichen ran und blickte höchst konzentriert auf alle auch noch so kleinsten Details, die ihr auch nur irgendwie verraten konnten, was hier an diesem schrecklichen Ort mit den beiden geschehen konnte. Hinter ihr stand ihr Chef, der nun wieder beinahe vergnüglich von dem forschen Vorgehen seiner neuen Angestellten lächelte. Da war sie. So wie er sich eine Musterschülerin vorgestellt hatte. Sie erinnerte ihn an sich selber, als er noch frisch und jung war. Immer jede Kleinigkeit unter die Lupe nehmen und in Frage stellen, egal wie eindeutig die Sache auch aussah.
„Und, was denken Sie?“
Die Kommissarin war mittlerweile einmal um den Baum herumgegangen und blickte nochmal von weiterer Distanz auf diesen furchtbaren Ort, ehe sie antwortete:
„Vieles denk ich. Aber vor allem denke ich, dass sie ihre Aussage von vorhin lieber revidieren, wenn nicht sogar gänzlich korrigieren sollten. Sehen Sie! Sind die Äste an den die beiden hängen nicht ungewöhnlich hoch? Schauen Sie mal hier: Die Füße der Frau baumeln gar noch ein Stück über unseren Köpfen und dennoch ist dieser Ast mit Abstand der niedrigste. Wie sollen sie ihn erreicht haben? Kletternd erscheint mir das glatt unmöglich! Zu hoch ist der Ast und zu dick und glatt ist der Stamm, als dass man sich an ihm hochhangeln könnte. Geschweige denn in der bitteren Absicht zu sterben!“
„Meinen Sie etwa?“ Freimuth war zwar nicht überzeugt, aber zumindest von der Denkweise der jungen Kollegin fasziniert und blickte nun auch ebenso genau auf die kleinen Details rund um die Kastanie.
„Es bräuchte schon so etwas wie eine Leiter um dorthin zu gelangen. Doch sehen Sie hier weit und breit eine? Und schauen Sie doch mal hier unten. Sehen Sie diese stumpfen Abdrücke? Ganz klar deuten sie auf einen Gegenstand hin, der geholfen hat die beiden dort rauf zu schaffen. Und das bedeutet was?“
Mittlerweile fühlte sich der Polizeichef Freimuth selber wie der Neuling, der von einem erfahrenen Lehrer belehrt wird. So souverän und selbstbewusst trat die Frau Neufeld vor ihm auf. Er wusste nicht so ganz, ob ihm das jetzt gefallen sollte. Er mochte ihre forsche Art zu denken, doch schließlich war er hier noch der Chef im Präsidium, weshalb er weiterhin skeptisch zu den Gedanken seiner Kollegin stand. Wohl gemerkt dem Inhalt der Gedanken und nicht der Art und Weise dieser.
Durch sein Schweigen wurden ihre Fragen zu rhetorischen Fragen und sie fuhr fort: „Es bedeutet, dass eine Dritte oder ein Dritter beteiligt sein musste. Und zack: Müssen wir wegen akutem Mordverdacht ermitteln!“
Stolz auf ihre Gedankengänge lachte sie ihren Chef an. Genau solche plötzlichen Wendungen waren es, die ihr so viel Vorfreude auf das kurzweilige Arbeitsleben als Kommissarin bereitete. Freimuth allerdings war immernoch skeptisch und schritt weiter stumm um die Leichen. Er hatte schon viel gesehen und weitaus mehr Erfahrung als die junge Neufeld, daher blickte er weniger romantisiert auf vieles im Leben als Kommissar. So hatte er schon bald gemerkt, dass es zwar immer wieder spektakuläre Wendungen in Kriminalfällen gab, doch in den allermeisten Fällen war dann doch alles so, wie es scheint. Und auch wenn er sich auf ihre Gedankengänge einließ, überzeugten sie ihn nicht in ausreichender Gänze. Schließlich sah doch alles so eindeutig aus. Und warum waren die Toten bis auf das Seil um den Hals unverletzt? Bei einem Mord müssten doch wenigstens Kampfspuren oder weitere Wunden vorzufinden sein. Doch auch diese Einwände überzeugten wiederrum Kommissarin Neufeld nicht, weshalb sie sich beide noch Worte und Blicke gegenseitiger Überzeugungskraft versuchten entgegen zu werfen.
„Na gut, weiter zu diskutieren wäre nun wahrscheinlich müßig.“ Trotz der Bewunderung seiner jungen Kollegin hingegen, war es ihm doch wichtig das letzte Wort zu behalten. „Drum bleibt uns erstmal wohl nichts anderes, als die Gerichtsmedizin in Kenntnis zu setzen und abwarten, was sie so herausbekommen!“
Da gab es nichts mehr hinzuzufügen.
Doch nun mussten die beiden auf jene Gerichtsmediziner warten.
„Ach, immer diese Selbstmörder. Nerviges Pack, was?“ meinte schließlich Herr Freimuth aufmunternd lächelnd zu seiner jungen Kollegin, die bloß mit einem schockierten Blick antwortete. Solche Ausdrucksweise erschien ihr wirklich mehr als unangemessen. Doch groß anders war sie es von ihrem Chef auch nicht gewöhnt.
„Ach, sein Sie nicht so, Fräulein Neufeld“ fuhr er schließlich fort, einen weiteren krummen Blick erntend. „Über die Jahre, so wird es Ihnen sicherlich auch ergehen, ist man immer ein wenig abgestumpft. Natürlich sind die, die am Selbstmord verrecken“
- „Suizid!“
„Jaja, die Armen, die dem Suizid erleiden, tief zu bemitleidende Seelen. Und denke man erst einmal an die Angehörigen, die es nicht verhindern konnten. Ach herrjeh…“ „Was möchten Sie sagen?“ fragte schließlich die Neufeld mit verdrehenden Augen dazwischen.
„Ich frag mich ja immer nur, warum müssen wir uns denn da überhaupt drum kümmern? Als Polizist will ich doch das Gesetz beschützen und die Gesellschaft von Verbrechern befreien. Was sollen wir denn da tun? Wollen wir etwa einen Toten bestrafen?“ fragte er schließlich laut auflachend und klopfte seiner Kollegin auf die Schulter.
Das laute Lachen lockte die Blicke der letzten Passanten an, die sich noch in der Nähe der beiden Polizisten befanden. Besonders die Aufmerksamkeit des noch vergleichsweise jungen Pastors der schönen alten Kirche gegenüber des Polizeipräsidiums, wurde geweckt. Langsam schritt er näher.
Doch erstmal antwortete Leonie Neufeld noch in hohem Ton: „Sie spielen wohl auf die vor wenigen Jahren erlassene Rechtsprechung aus Karlsruhe an, welches dem Menschen ein expliziertes Recht auf die Selbsttötung zuspricht?“
Freimuth, der bei bestem Willen nicht wusste, wovon seine Kollegin sprach, bejahte. Er konnte vor seiner jungen Angestellten ja auf gar keinen Fall zugeben, dass er nicht auf dem aktuellen Stand war.
„Da mögen Sie ja recht haben“ fuhr die Neufeld schließlich fort, „aber wenn es sich nun also tatsächlich nicht um einen Selbstmord handeln sollte? Mord ist schließlich noch verboten in diesem Land und die Beihilfe zum Suizid, um bei dieser Thematik zu bleiben, ebenfalls!“
Inzwischen war der Pastor, der vorhin noch zufällig Teil der aufgeregten Menschenmasse war, bei den beiden sich unterhaltenden Polizisten angelangt. Die letzten Worte hatte er allesamt mitgehört: „Verzeihen Sie, aber was ist dann mit den armen Seelen, die körperlich nicht mehr in der Lage sind, sich selber umzubringen, selbst wenn es ihr größter Wunsch ist?“
Leonie Neufeld und der Herr Freimuth waren beide sehr überrascht und fast sogar erschrocken, dass der junge Pastor plötzlich zwischen ihnen stand, was er sofort als Menschenversteher erkannte: „Entschuldigen Sie.“
Nun zur Neufeld: „Ich bin der Pfarrer Konrad von der St. Bartholdi in der Altstadt.“
Er hatte eines der wenigen Lächeln hier in der Stadt, welches Leonie Neufeld auf Anhieb einladend und sympathisch fand. „Guten Tag, mein Name ist Kommissarin Neufeld.“ Sie musterte ihn kurz und sprach dann doch weiter. „Das, was Sie gerade ansprachen, ist natürlich ein sehr verzwickter Schwammbereich, den es leider viel zu häufig noch gibt.“
Freimuth ergänze: „Ein Schwammbereich, der sich ja beinahe aus dem juristischen in den moralisch und damit Ihren Fachbereich manövriert. Doch liebe Kollegin, manchmal sind Schwammbereiche, wie Sie es nannten, auch wahrlich tolle Sachen. Dort, wo Herz und Seele mehr fassen können als bloß eine Schublade, in der man vorschnell einteilt.“
Jeder von den Dreien war überrascht von die vermeintliche Tiefgründigkeit Freimuths Aussage. Schließlich fuhr der Pastor Konrad fort:
„Wie dem auch sei. Sein Sie mal lieber froh, dass ich hier vor Ihnen stehe und nicht einer meiner Vorgänger. Ich sehe alles immer schon etwas moderner.“
„Ich bin stets froh, dass Sie hier sind, Pfarrer Konrad“ entgegnete Freimuth sofort, mit seinem beinahe schon auszeichnenden Schlag auf die Schulter seines Gegenübers.
Der Pfarrer fuhr fort: „Und ja wohl, Tote bestrafen geht sehr wohl! Lange Zeit wurden sie schlicht nicht beerdigt oder man hat ihren Nachkommen das Erbe entzogen.“
Das modern schlagende Herz Leonie Neufelds musste sich dagegen wehren: „Also ich bitte Sie und ihre liebe Kirche! Meinen Sie denn nicht, dass die nicht schon genug bestraft sind?“
Pastor Konrad lächelte freundlich. Schließlich war es ja nicht seine eigene Meinung, sondern nur die Haltung der Institution, die er vertrat:
„Nun ja verstehen Sie“ versuchte er zu erklären, „die Kirche sieht den Selbstmord, das wird Sie vielleicht überraschen, als die größtmögliche Sünde an. Zum einen, da der Betroffene, sein Leben nicht so annehmen will, wie Gott es ihm geschenkt hat. Zum anderen vor allem aber glaubt derjenige, der Suizid begeht, dass sein Leben nie mehr bergauf gehen kann, oder dass ihm Gnade widerfährt. Somit ist Selbstmord der endgültige Zweifel an der Gnadenfähigkeit Gottes. Doch jetzt, wo ich Ihre Blicke sehe, sag ich Ihnen eines: Ich sehe das alles wie gesagt moderner. Nur darf man das ja leider in so einer Stadt wie Greenfort nicht so laut aussprechen. Als sei man kein Christ, wenn man nicht hinter jeder Haltung der Kirche in Rom stehe. Doch ist es, wie es ist: Hass zu sich selber, wie wohl bei einem Suizid von auszugehen ist, heißt gleichzeitig gegen das Gebot der Nächstenliebe zu verstoßen. So heißt es ja: Liebe deinen Nächsten so wie dich selber. Aber wie dem auch sei, möge Gott Sie in dieser schweren Zeit beschützen!“
Der Pastor verabschiedete sich schließlich wieder, als die Wagen der Gerichtsmediziner antrafen, die den Fundort der Leichen absicherten und mühsam mit Hilfe der örtlichen Feuerwehr die Leichen abnahmen und in ihre Hallen zur Untersuchung frachteten.
Der Tag neigte sich dem Ende und Klaus Freimuth setzte seine junge Kollegin im Präsidium ab, während es ihm selber nach dem kuschligen Bett war, in dem er seinen Schädel ausnüchtern konnte. Ohne dass es Frau Neufeld so wirklich bemerkt hatte, war es doch wohl mehr als nur ein Glas Sekt, was seine Kehle hinunterfloss. Er hatte Erfahrung und deshalb störte es ihm kaum noch sich seelenruhig in den Schlaf zu legen, nur wenige Stunden nachdem er zwei Leichen aufgefunden hat.
Anders verhielt es sich allerdings mit der jungen Leonie Neufeld. Sie war gepackt von dem Fall. Sie verließ nicht vor 22 Uhr das Büro und das auch nur, da ihr noch nicht alle Schlüssel zum Abschließen überreicht wurden. Gerne hätte Sie die ganze Nacht noch weiter gegrübelt und recherchiert über diese für sie so ungewöhnliche Stadt Greenfort und ihre für sie so unangenehmen Bürger. Sie traute vielem nicht, was sie heute gesehen hatte. Besonders das dicke Gesicht des Bürgermeisters wie er nervös vor sich her stammelte, ließ ihr keine Ruhe. Doch viel Negatives über ihn herausfinden konnte sie nicht. Es war wohl einfach seine Art und die Tatsache, dass er schließlich Gastgeber während eines Mordes war, die sie so skeptisch auf ihn blicken ließ. Doch musste sie die Zeit, die sie hatte, bis die Putzkräfte alles durchgewischt haben, sinnvoll nutzen. Wer waren die Toten? Yana S. und Julian K. Sie kamen aus der gleichen Stadt im Norden wie sie, doch gehört hatte sie die Namen noch nie. Außerdem waren kaum Daten, Informationen oder Einträge über die beiden zu finden. Es war für sie wie verhext. So gerne hätte sie weiter ihre Theorien bestätigt gesehen, doch konnte sie in dieser Nacht nichts machen als nach Hause zu fahren, sich in ihre kleine Wohnung begeben und schlafen. Die Wohnung war allerdings noch kaum eingerichtet, da sie seit ihrer Ankunft in Greenfort mehr Zeit bei der Arbeit als in ihrem neuen einsamen Heim verbracht hat. Ihr fehlte das Leben in der Großstadt, mit ihren Freunden in ihrer WG. Doch hatte nun mal der Ernst des Lebens und des Arbeitens begonnen und das freute sie. Nur an Nächten wie heute sehnte sie sich in ihr altes Bett im Zimmer neben ihrer besten Freundin zurück, die es nun aber auch beruflich in die weite Welt gezogen hatte.
Die Sonne ging unter, es wurde Nacht und die Sonne ging wieder auf. Es wurde Tag in Greenfort. Es war ein wunderschöner Morgen, wie ihn nur der Sommer schaffen konnte. Die Sonne kitzelte bereits die Nasen der Frühaufsteher, die von ihrer Maske befreit die Morgenluft und den Geruch der frischen Brötchen genossen, nachdem sie den örtlichen Bäcker verlassen hatten. Um sieben in der Früh schien die helle Sonne am Himmel auf die schon gut gefüllte Fußgängerzone der Innenstadt Greenforts. Kleine Bäckereien, Gemischtwarenläden und Modegeschäfte öffneten ihre Türen für die Bürger zwischen der Dicken- und der Ostgrünen. Ja, genaugenommen lag die Innenstadt Greenforts auf einer Insel zwischen den beiden Läufen der Grünen, doch war mittlerweile alles so sehr im Pflasterstein ausgebaut, dass es kaum noch auffiel. In der gleichen Morgenidylle stand im Westen der Altstadt das große Schloss mit ihren atemberaubenden Parkanlagen, die so friedlich vor sich hin sonnten, dass es beinahe auszuschließen war, dass am vergangenen Tag noch solch grausiger Anblick die Herzen aller erschütterte. Die Welt war wieder so, wie sie immer hier war. Simpel, vertraut und doch vollkommen.
Doch beendete das laute Brummen eines Motors diese morgendliche Idylle. Gegenüber vom alten Kirchplatz mitten in der Fußgängerzone raste ein alter grauer Mercedes holprig über den Pflasterstein und hielt direkt vor der Tür des Polizeipräsidiums Greenforts. Doch wirklich stören tat es in diesem schon dichtbelebten Teil der Stadt niemanden, denn das Auto war bekannt. Es war Polizeichef Klaus Freimuth, der aus dem alten Wagen stieg. Doch verwundert waren die Leute,