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Die Freundinnen Joss, Violet und Melody leben in einem kleinen englischen Dorf in den Cotswolds. Hier hat sich seit Jahren nichts verändert, und das ist auch gut so. Doch dann zieht der attraktive Sidney ins Cottage neben Joss und findet eine versteckte Kammer eines berühmten Dichters aus dem 19. Jahrhundert im Haus. Der Vikar der Gemeinde ist sofort Feuer und Flamme, will er das Dorf doch zu gerne zu einem Hotspot für Promi-Hochzeiten machen und mehr Besucher anlocken. Doch Joss und ihre Freunde wollen keine Scharen an Touristen in ihrem schönen Dorf und schmieden einen Plan, der das verhasste Nachbardorf miteinbezieht. Doch der grandiose Plan geht gehörig schief... Einen Mord vorzutäuschen ist eben nicht ohne Risiko!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
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6
Über die Autorin
Impressum
Der grandiose Plan der Violet Graham
Arwyn Yale
Roman
Korrektorat : Sophie Weigand
Kein Teil des Buches darf ohne die schriftliche Erlaubnis der Autorin reproduziert werden.
In liebevoller Erinnerung an Dirk, der stets an mich und die Fehde zwischen Bexbury und Croxley Hill geglaubt hat.
I carry your heart with me (i carry it in
my heart) i am never without it (anywhere
i go you go, my dear; and whatever is done
by only me is your doing, my darling)
E.E. Cummings - I carry your heart with me (i carry it in)
1
Violet
Mein geliebter Paul,
wieder bin ich hier an unserem Strand, während mir der Wind über den Nacken streicht und ich mir vorstelle, du wärst bei mir und würdest mir liebliche Worte zuflüstern, wie in den Wochen, die wir hier verbracht haben. Wenn der Wind durch die Gräser weht, die zarten Halme aneinanderreiben und ich meine Augen schließe, glaube ich, deine Stimme zu hören. Ich komme oft hierher, manchmal zweimal in der Woche, und obwohl mir lange Autofahrten noch keinerlei Probleme bereiten, frage ich mich, wie lange ich diese Strecke noch auf mich nehmen kann. Doch darüber mag ich im Moment nicht nachdenken. Ich bin gesund und habe keinerlei Einschränkungen, etwas, das nicht viele Frauen in meinem Alter von sich behaupten können. Davon abgesehen, bereitet mir eine andere Sache Kopfzerbrechen, und niemals in den fünf Jahren, seitdem du fort bist, habe ich deinen Beistand, deinen Rat, dringender gebraucht als in diesem Moment. Oh, Paul, ich mag mir nicht ausmalen, wie erschüttert du wärst über unseren unsinnigen Plan, das Dorf zu retten. Für eine grandiose Idee hielten wir es! Das war meine Wortwahl. Grandios! Und nun sieh, wohin uns dieser selbstverliebte Übermut geführt hat. Die Polizei ermittelt, sogar von einem Mord ist die Rede und wir alle sind verdächtig!
Ich weiß nicht, wo du bist oder ob du etwas von dem, was wir hier unten treiben, mitbekommst. Wir wollen das immer glauben, diese Vorstellung hilft uns, den unsagbar schmerzlichen Verlust erträglicher zu machen, aber manchmal ist und bleibt es einfach unerträglich. Wie ich dich vermisse! Mit jedem Tag wird die Sehnsucht stärker, seitdem du fort bist. Urteile nicht zu hart über uns, über mich, wir haben nur mit besten Absichten gehandelt und hätten es nie so weit kommen lassen dürfen. Eins weiß ich allerdings: Egal was passiert, du wirst immer ein Teil meines Herzens sein, fest darin verschlossen.
In tiefer Liebe,
deine Violet
Violet Graham faltete den Brief sorgfältig, nachdem sie ihn erneut durchgelesen hatte und steckte ihn vorsichtig in die leere Bierflasche, bevor sie den Bügelverschluss nach unten drückte. Eine ausländische Marke, Flensburger Pils, die Paul vermutlich von einer seiner vielen Reisen mitgebracht hatte. Als Ingenieur war er oft auf dem Kontinent gewesen. Frankreich, Deutschland und Polen, manchmal auch in Finnland und Estland. Sie hatte die Flasche unter der alten Gartenbank gefunden, die im Keller vor sich hin staubte, weil ein Fuß kaputt war. Beim Fegen war sie plötzlich mit dem Besen gegen das Glas gestoßen und hatte sich gewundert, dass sie die Flasche – obwohl sie den Keller einmal in der Woche ausfegte – in den fünf Jahren, die Paul tot war und die sie dort mindestens hatte liegen müssen, nicht eher gesehen hatte. Vielleicht war es eine Art Zeichen, dachte sie, als sie Richtung Marina ging. Das Meer war aufgebracht; die Wellen peitschten gegen die Kaimauer. An ihrem letzten Tag, den sie und Paul hier gemeinsam verbracht hatten, hatten sie genau an derselben Stelle gestanden und ein Eis in der Waffel gegessen. Paul hatte sich geärgert, dass er fälschlicherweise Toffee statt Karamell bekommen hatte und Violet hatte ihn damit aufgezogen, dass er den Unterschied doch gar nicht herausschmecken würde. An dem Morgen hatten sie erfahren, dass er krank war und nicht mehr lange zu leben hatte. Drei Monate später war sie alleine hergekommen, mit einem Boot aufs Wasser hinausgefahren und hatte seine Asche im Meer verstreut. So, wie er es sich gewünscht hatte. Seitdem kam sie oft hierher, um mit ihm zu reden. In Wirklichkeit sprach sie mit dem Meer, den Wellen und dem Sand, und gab für vorbeilaufende Touristen bestimmt ein seltsames Bild ab. Aber das war ihr egal. Sie brauchte diese Gespräche mit Paul, diese kleine Auszeit, dafür nahm sie die anderthalb Stunden Autofahrt hin und zurück gerne in Kauf. Nach dieser verrückten Woche jedoch hatte sie das Gefühl, dass ihr ein Gespräch in ihrer vertrackten Situation nicht mehr helfen würde und so hatte sie Paul einen Brief geschrieben. Sie umfasste den Flaschenhals und holte mit dem Arm so weit aus, wie sie konnte, bevor sie die Flasche über die Kaimauer ins Meer warf. Sie landete etwa zehn Meter entfernt hinter einer sich brechenden Welle. Eine Weile tanzte sie auf dem Wasser, als wolle sie Violet zum Abschied winken, dann verschwand sie plötzlich aus ihrem Sichtfeld und das Aufheulen einer Polizeisirene lenkte Violets Aufmerksamkeit vom Wasser auf die Straße. Einen irrwitzigen Moment lang glaubte sie, die Beamten kämen ihretwegen, um sie festzunehmen, doch der Wagen fuhr mit heulender Sirene zu einem Apartmentkomplex, in dem Paul und sie vor über zwanzig Jahren eine Ferienwohnung gemietet hatten. Erleichtert atmete sie auf, dann fiel ihr die Flaschenpost wieder ein, doch als sie zurück aufs Meer blickte, entdeckte sie nur zwei kreischende Möwen zwischen den Wellen.
Auf dem Weg zum Auto zog sie wegen des einsetzenden Nieselregens die Kapuze über den Kopf. Seit Tagen schoben sich immer wieder dunkelgraue Wolken vor die Sonne. Sie hatte den Regen so satt, der den Sommer buchstäblich ins Wasser fallen ließ und stöhnte laut auf, als sie das Autoradio einschaltete und der Nachrichtensprecher weitere Schauer ankündigte. »… sind bereits erste Dörfer in den Cotswolds vom Regen überflutet, besonders schwer betroffen ist Gloucestershire …« Ihr ganzer Körper versteifte sich, dann erst kam ihr die Idee, auf ihr Handy zu schauen, das sie beim Ankommen achtlos ins Handschuhfach gelegt hatte. Vier verpasste Anrufe, zahlreiche SMS von ihrer Freundin Joss.
Melde dich bei mir!
Ruf bitte gleich zurück!
Wo bist du? Die Copper Lane steht unter Wasser. Der Pegel steigt minütlich!
I can hear the wedding dresses
Weeping in their closets
James Galvin – On the Sadness of Wedding Dresses
2
Eine Woche zuvor
Joss
Obwohl sie mehr als genug zu tun hatte, konnte sie sich einfach nicht vom Küchenfenster lösen. Das lag zum einen daran, dass ihr mittlerweile alles recht war, um den Anruf aufzuschieben, der ihr seit Tagen bevorstand, zum anderen war es der Tatsache geschuldet, dass das Haus nebenan neu bezogen wurde, nachdem die alte Edith Thorndike drei Wochen zuvor im stolzen Alter von dreiundneunzig Jahren gestorben war. Nicht an Altersschwäche, wie man vermuten könnte, sondern an einer Methanolvergiftung durch ihren selbst gebrannten Schnaps. Ihre Destillieranlage Marke Eigenbau aus den Dreißigerjahren hatte immer tadellos funktioniert. Bis zu dem verhängnisvollen Maimorgen drei Wochen zuvor, als der Postbote Edith tot am Fuß der Gartentreppe gefunden hatte. Die Flasche mit dem Birnenschnaps war bis zur Pforte gerollt. Als der eintreffende Polizist daran geschnuppert hatte, war er allein durch den Geruch fast ohnmächtig geworden. Niemand wusste, wie Edith ein ganzes Glas von dem Zeug hatte runterbekommen können. Auf der anderen Seite hatte sie immer schon über einen starken Magen verfügt. Joss erinnerte sich mit Grauen an den scharfen Lammeintopf, den Edith ihr vorbeigebracht hatte, als sie mit einer schweren Erkältung im Bett lag. Noch drei Tage danach hatte ihr die Zunge gebrannt. Doch natürlich hatte sie Edith versichert, wie köstlich es geschmeckt hatte, was der alten Damen ein strahlendes Lächeln entlockt hatte.
Joss schluckte und wischte sich die aufkommenden Tränen aus den Augen. Sie vermisste Edith. Von allen Bewohnern im Dorf – 855 insgesamt – war sie ihr die liebste gewesen. Von ihren Freundinnen Violet und Melody einmal abgesehen. Oft hatten beide am Gartenzaun gestanden, den neusten Dorfklatsch ausgetauscht oder sich minutenlang über das Wetter unterhalten, wenn keiner von beiden etwas Neues zu erzählen hatte, sie sich aber nach einem Gespräch und Gesellschaft sehnten. Joss konnte immer noch nicht fassen, dass sie nie wieder mit der alten grauhaarigen Dame, die eine Vorliebe für geblümte Kittelschürzen hatte, im Garten stehen und Nichtigkeiten austauschen würde. Und nun zog jemand von außerhalb hierher!
Schon den halben Morgen versuchte Joss einen Blick auf den neuen Besitzer zu erhaschen. Soweit sie wusste, hatte Ediths Großneffe – ein gewisser Sidney Abbot – das hübsche weißgetünchte Cottage mit den Sprossenfenstern und dem Reetdach geerbt, das seit Jahrzehnten Lilac Cottage hieß, wegen der vielen Fliederbüsche, die sich liebevoll an die Hausmauer schmiegten. Doch bis jetzt hatte sie nur die Möbelpacker gesehen, die lauter Kartons aus einem weißen Lieferwagen ins Haus trugen und sich Anweisungen auf Polnisch zuriefen. Auf der Beerdigung hatte Joss diesen Sidney Abbot nur einmal kurz von hinten gesehen. Wegen ihrer Bronchitis hatte sie sich lieber im Hintergrund gehalten. Außerdem waren so viele entfernte Cousins und Cousinen bei der anschließenden Trauerfeier gewesen, dass ihr der Trubel zu groß geworden war und sie sich recht müde und erschöpft ins Bett gelegt hatte, um sich auszukurieren.
Obwohl Edith so betagt gewesen war, war Joss nie der Gedanke gekommen, dass irgendwann einmal jemand anderes in dem Cottage nebenan wohnen würde. Sie tat sich mit Veränderungen ohnehin schwer und hatte sich immer noch nicht an die Lücke vor dem Küchenfenster gewöhnt, wo seit ihrer Kindheit eine Birke gestanden hatte, deren Äste bei jedem Wind gegen das Küchenfenster schlugen und die sie vor drei Monaten nach einem Sturmschaden hatte fällen müssen. Ohne die Birke wirkte der Garten fremd und kahl. Edith hatte vorgeschlagen, einen neuen Baum zu pflanzen, doch Joss wusste, dass es nie wieder so sein würde wie vorher. Und nun war Edith auch nicht mehr da und es würde noch viel weniger so sein wie vorher.
Ihre Mutter hatte immer behauptet, Veränderungen bargen Chancen. Ohne Veränderungen gäbe es keinen Fortschritt, doch Joss trat lieber auf der Stelle als sich an neue Dinge zu gewöhnen, selbst wenn sie eine Verbesserung bedeuteten.
Ihre Mutter war vor fünf Jahren gestorben, aber noch immer hörte Joss ihre Worte so klar und deutlich, als stünde sie neben ihr. Vielleicht tat ihr das Haus nicht gut, in dem so viele Erinnerungen schlummerten, von denen sich einige in verborgenen Winkeln versteckten, um sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu reißen. Sie hatte schon immer hier gelebt, nur zum Studieren war sie für vier Jahre nach Manchester gegangen. Drei Tage nachdem sie das Studium beendet hatte, war ihre Mutter gestorben. Ein betrunkener Autofahrer hatte sie in Bath überfahren, wo sie mit einer alten Schulfreundin verabredet gewesen war.
Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Mit einem lauten Seufzen drehte sie sich zur Anrichte. Der Name ihrer Freundin Evie erschien auf dem gelb leuchtenden Display. Sie wollte eigentlich nicht abheben, das Gespräch stand ihr seit Tagen bevor, doch da sie sowieso nicht drum herumkommen würde, konnte sie es ebenso gut jetzt hinter sich bringen.
»Ist alles okay? Du meldest dich gar nicht mehr«, begrüßte Evie sie, wobei sie wie immer ohne Punkt und Komma sprach.
»Tut mir leid, ich habe längst anrufen wollen, aber ich stecke gerade mitten in der Korrektur des Manuskripts und …« Sie stoppte, als sie Evie im Hintergrund brüllen hörte. »Ich sagte, du sollst deiner Schwester nicht ständig an den Haaren ziehen!« Ein Schnauben. Ein Klopfen auf Holz. »Sorry, bist du noch da?«
»Ja«, sagte Joss und hielt den Hörer eine Armlänge vom Ohr weg, als Evie erneut ihren vierjährigen Sohn anschrie.
»Hast du ein Outfit? Ich dachte, ich ziehe etwas Zitronengelbes an. Peter meint, das passe gut zu meinen dunklen Haaren.«
»Ich habe mich noch nicht endgültig festgelegt«, log Joss, die nicht vorhatte, zu der Hochzeit von Evies Schwester zu kommen. Nur wusste sie noch nicht, wie sie das ihrer Freundin sagen sollte. Sie hatte Evie auf der Uni in Manchester kennenlernt; die beiden hatten sich auf Anhieb verstanden und waren schnell unzertrennlich geworden. Seitdem Joss wieder in den Cotswolds lebte, beschränkte sich ihr Kontakt auf Telefonate, SMS und Facebook. Evie hatte in der Zwischenzeit geheiratet und zwei Kinder bekommen. Und nun heiratete ihre kleine Schwester Hanna, die Joss nur flüchtig kannte. Doch Evie fand, das sei eine perfekte Gelegenheit, sich mal wieder live und in Farbe gegenüberzustehen. Joss hatte nichts dagegen, ihre Freundin wiederzusehen. Im Gegenteil, vielleicht tat es ihr gut, mal aus dem Haus zu kommen. Doch eine Hochzeit war für sie die schlimmste Veranstaltung, die sie sich vorstellen konnte.
Glückliche, verliebte Pärchen, wo man hinsah, von denen jedes mindestens eine kitschige Anekdote zur eigenen Hochzeit zu erzählen hatte. Betrunkene Onkel und Cousins, die anzügliche Bemerkungen machten und die Hände immer wieder wie zufällig auf Joss’ Hintern legten. Ganz zu schweigen von den furchtbaren Liedern, die zu später Stunde gesungen wurden. Nein, für Joss gab es kaum etwas Furchtbareres als eine Hochzeitsfeier. Die Tatsache, dass sie selbst bis jetzt nur Pech mit Männern gehabt hatte, machte die Sache zudem nicht angenehmer.
Joss wurde bald dreißig und so gut wie jeder in ihrem Alter, den sie kannte, war verheiratet oder zumindest geschieden und hatte Kinder. Und sie schaffte es noch nicht einmal, sich zu verlieben.
»Du, es kann sein, dass ich an dem Wochenende ein –«, begann Joss, doch ihr Atem stockte, als die Haustür vom Lilac Cottage aufging und ein hochgewachsener Mann mit dunkelbraunem, dichtem Haar und einem Dreitagebart aus dem Haus trat, der umständlich einem Möbelpacker mit einem schweren Karton auswich. Mit seiner Lederjacke und den ausgewaschenen Bluejeans stach er ihr sofort ins Auge. Nicht nur, weil er mit seinen knapp dreißig, auf die sie ihn schätzte, den Altersdurchschnitt im Dorf erheblich senkte, er hatte außerdem eine frappierende Ähnlichkeit mit Jon Snow aus Game of Thrones. Nur in schickeren Klamotten. Sidney Abbot sah wirklich extrem gut aus, dachte sie und vergaß für einen Moment, dass sie mit Evie telefonierte.
»Du willst doch nicht etwa absagen, oder?«, fragte Evie. Bevor Joss etwas erwidern konnte, war im Hintergrund herzzerreißendes Kindergeschrei zu hören. Evie fluchte leise. »Billy hat seine Schwester mit ihrem Kleidchen an die Couch getackert. Ich muss auflegen. LEG DAS SOFORT WEG!«
Joss runzelte die Stirn, als sie nur noch ein melancholisches Tuten vernahm und legte das Telefon auf die Ladestation zurück. Dabei fiel ihr Blick wieder aus dem Fenster zu ihrem Nachbarn, der sich mittig auf den Rasen gestellt hatte und sein neues Zuhause betrachtete.
Sie fragte sich, wieso er in dieses verschlafene Nest zog, in das er schon optisch gar nicht hineinpasste. Hier hielten die Menschen nichts von Mode und schicken Restaurants, die Superfoods anboten. Aber genau danach sah er aus. Nach einem Städter, der dreimal die Woche ins Fitnessstudio ging, grüne Smoothies trank und auf den Dachterrassen angesagter Lokale exotische Gerichte aß, die Gojibeeren und Chiasamen enthielten, und natürlich Kurkuma, das neue Allheilmittel. Sie fragte sich, ob er alleine einzog. Zwar konnte sie sich nicht daran erinnern, ihn jemals bei seiner Großtante gesehen zu haben, aber Edith hatte ihn zwei- oder dreimal beiläufig erwähnt. Trotzdem war es seltsam, dass sie ihm das Haus vermacht hatte und nicht ihren beiden Nichten, die regelmäßig zu Besuch gekommen waren und die schließlich die Beerdigung organisiert hatten.
Einer der Möbelpacker verpasste eine Treppenstufe, woraufhin der offene Karton, den er trug, in hohem Bogen ins Kräuterbeet fiel, das Edith zehn Jahre zuvor liebevoll angelegt hatte.
Sidney Abbot machte dem fluchenden Möbelpacker gegenüber eine beschwichtigende Geste und begann sofort, die Töpfe und Pfannen aufzuheben. Joss hielt die Luft an, als er den Kopf in Richtung ihres Küchenfensters drehte, doch bevor sich ihre Blicke trafen, schwang die Haustür auf und eine Frau trat auf die Fußmatte. Sie sah aus wie eine schlecht gealterte Version von Paris Hilton, schoss es Joss durch den Kopf. Blonde, lange Haare, sonnengebräunter Teint und viel zu pinker Lippenstift. Das rosa Kleid mit den fedrigen Ärmeln verlieh ihr zudem eine erschreckende Ähnlichkeit mit einem Flamingo.
»Nun sieh dir das an, Sidney! Ich habe dir gesagt, dass du das Geschirr besser einpacken musst. Himmel nochmal, habe ich es dir nicht gesagt?!« Sie fuchtelte wild mit den Armen, als kämpfte sie gegen einen Schwarm Moskitos.
Sidney Abbot warf alle Gegenstände in den Karton zurück, wischte sich die Hände an den Außenseiten seiner Jeans ab und erhob sich schließlich wieder, bevor er dem Möbelpacker den Karton in die Hand drückte.
»Das reinste Chaos! Und der andere Wagen ist immer noch nicht hier!«, keifte die Frau weiter. Joss verdrehte die Augen und wandte sich endlich vom Fenster ab, setzte Teewasser auf und ging ins Wohnzimmer auf die andere Seite des Cottage, damit sie das Gekreische der Frau nicht mehr hörte. Sie hasste die neuen Nachbarn, bevor sie überhaupt eingezogen waren. Dabei hatte sie so gehofft, dass es ein nettes Pärchen ohne Kinder sein würde. Oder ein freundlicher, alleinstehender Mann. Von denen gab es ohnehin nicht genug im Dorf. Zumindest nicht in ihrem Alter. Aber nun musste dieser Kit-Harrington-Doppelgänger mit seiner hysterisch keifenden Frau einziehen. Sie fragte sich, was er an ihr finden mochte und wie lange sie verheiratet waren. Frisch verliebt hatten sie nicht gewirkt, aber vielleicht tat sie der Frau auch unrecht und sie war netter als in den zwei Minuten, die Joss sie erlebt hatte.
Doch als Joss zurück in die Küche ging, um ihren Tee zu holen, schrie die grässliche Frau immer noch. Sie stauchte einen der Möbelpacker zusammen, der immer kleiner zu werden schien, weil er den Kopf so weit einzog, dass er fast in der Kapuze seines Sweatshirts verschwand. Joss hatte genug gehört und schloss das Fenster so leise wie möglich, bevor sie zurück ins Wohnzimmer marschierte, um sich an die Überarbeitung ihres Romans zu machen. Ein historischer Krimi, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg spielte. Sie hatte bereits während des Studiums Kurzgeschichten veröffentlicht und vor drei Jahren dann ihren ersten Roman, der auf Platz fünf der Bestsellerlisten eingestiegen war. Nicht schlecht für ein Debüt. Mittlerweile war der Roman in mehrere Sprachen übersetzt worden, wie alle ihrer insgesamt drei Romane. Und nun stand der vierte kurz vor der Fertigstellung, doch irgendwie tat sie sich diesmal mit dem Ende schwer, das sie bereits fünfmal geändert hatte. Es gefiel ihr immer noch nicht und sie würde ein ganzes Kapitel umschreiben müssen.
Gerade als ihr eine Idee gekommen war, klingelte es an der Haustür. Stirnrunzelnd blickte sie zur altmodischen Uhr, die auf dem Kaminsims stand. Ein Erbstück ihrer Mutter. Es war viertel vor elf. Zu spät für den Postboten und zu früh für Violet Graham, die ab und zu spontan auf einen Tee vorbeikam, um den neusten Tratsch loszuwerden.
Durch die Milchglastür sah sie nur den dunklen Umriss eines großen Mannes. Schwungvoll zog sie die Tür auf.
»Hallo. Äh … Guten Tag. Ich ziehe gerade nebenan ein. Ich heiße Sidney Abbot … und ich wollte mich kurz vorstellen und fragen, ob Sie mir vielleicht mit einem Korkenzieher aushelfen können.« Seine Stimme war recht tief und klang angenehm. Seinem Akzent nach zu urteilen kam er unverkennbar aus Birmingham. Seine Augen waren dunkelgrau mit einem grünen Ring um die Iris und hatten eine beinahe hypnotische Wirkung auf Joss. »Korkenzieher?«, wiederholte sie verwirrt, weil es das einzige Wort war, das haften geblieben war.
Sidney Abbot lächelte verlegen. »Ja, ich habe schon den Karton mit den Weinvorräten gefunden, aber ich vermute, die Küchenutensilien sind in dem anderen Möbelwagen, der noch auf dem Weg hierher ist. Er hat sich bereits um eine Stunde verspätet, und ich fürchte, eine weitere Stunde halte ich im Beisein meiner Schwester nicht nüchtern aus.«
»Schwester?« Joss fuhr sich durch ihre lockigen, hellbraunen Haare und stellte mit Entsetzen fest, dass sie ganz vergessen hatte, sich zu kämmen. Sie musste aussehen, als hätte sie ein Gestrüpp aus Ästen auf ihrem Kopf!
»Ja, Sie haben sie vermutlich gehört. Laute, keifende Stimme, sehr unhöflich.« Er kräuselte die Nase.
Joss Stimmung verbesserte sich schlagartig. »Oh, ich dachte, das wäre Ihre Frau.« Sie zog die Tür ganz auf und trat zur Seite. »Wollen Sie vielleicht einen Moment hereinkommen, während ich den Flaschenöffner suche? Ich heiße übrigens Joss Wood.«
»Korkenzieher«, verbesserte er sie mit einem charmanten Lächeln und trat in den schmalen Flur. »Eigentlich ist es noch viel zu früh für Alkohol, aber ich dachte, eine Weinschorle geht mittags in Ordnung. Vielleicht trinkt Sally sogar ein Glas mit und wird etwas umgänglicher. Sally ist meine Schwester.«
Joss führte ihn in die Küche und zeigte auf einen der vier Holzstühle, die sie erst im Winter bei einer Auktion ersteigert und selbst restauriert hatte. Schnell band sie sich die Haare mit einem Gummiband zusammen, damit sie nicht ganz wie ein Höhlenmensch aussah. Sie hoffte, dass das einfallende Sonnenlicht ihrem Teint schmeichelte. Normalerweise trug sie morgens eine getönte Tagescreme auf und schminkte sich sorgfältig die Augen, doch an diesem Morgen hatte sie der Trubel nebenan aus dem Konzept gebracht, sodass sie sich weder die Haare frisiert noch geschminkt hatte. Zum Glück trug sie ihr hübsches rotes Sommerkleid, in dem ihre langen Beine zur Geltung kamen und hoffentlich von dem Vogelnest auf ihrem Kopf ablenkten.
»Wohnen Sie schon lange hier?«, wollte Sidney wissen, nachdem er sich gesetzt hatte und seinen Blick durch die großzügige Küche gleiten ließ. Zwei Fenster spendeten viel Licht, es gab einen großen Tisch in der Mitte und eine gut ausgestattete Einbauküche aus hellem Holz.
»Mein ganzes Leben lang. Ich war nur fürs Studium weg und kam vor fünf Jahren zurück, nachdem meine Mutter gestorben war.« Sie durchsuchte zwei Schubladen nach einem Korkenzieher, nicht wissend, ob sie so ein Ding überhaupt besaß. Sie war keine Weintrinkerin, ihr schmeckten eher Long Drinks. Gin Tonic und Wodka Lemon. Manchmal auch ein Bier.
»Dann kannten Sie meine Großtante sicherlich recht gut?«
»Ja, ich mochte Edith. Sie fehlt mir sehr.« Sie zog die Schublade mit dem Besteck ganz weit auf, bückte sich und wühlte sich durch das Fach mit dem Krimskrams. Tatsächlich ertastete sie ganz hinten einen Korkenzieher mit Plastikgriff. »Tadaaa!«, rief sie mit einem breiten Grinsen und hielt ihn in die Höhe. »Ihrer Weinschorle steht nichts mehr im Weg.«
»Vielen Dank. Sie sind meine Rettung«, sagte er und steckte das Ding in die Seitentasche seiner Lederjacke. »Vielleicht können Sie mir bei Gelegenheit etwas mehr über meine Großtante erzählen«, schlug er vor. »Ich habe sie zuletzt als Kind gesehen. Da muss ich so acht oder neun gewesen sein. Sie war die Schwester meiner Großmutter mütterlicherseits, aber sie waren wohl fürchterlich zerstritten. Ich habe nie den Grund erfahren«, meinte er nachdenklich.
Joss lehnte sich gegen die Fensterbank. »Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Streit wegen eines Mannes.« Vor einem Jahr hatte Edith ihre Schwester bei einer Tasse Tee in Joss’ Küche erwähnt, doch sie hatte nur mit halbem Ohr zugehört.
Sidney hob beide Augenbrauen. »Ich habe es befürchtet. Ein Liebesdrama.« Seine Stimme klang beinahe amüsiert, doch seine Augen wirkten ernst und nachdenklich.
»Wenn Sie sich eingerichtet haben, können Sie gerne jederzeit auf eine Tasse Tee vorbeikommen, dann kann ich Ihnen sicherlich etwas über Edith erzählen.«
Sidney stand auf und nickte. »Vielen Dank. Seltsam, dass sie ausgerechnet mir das Cottage vermacht hat«, murmelte er beim Gehen. An der Haustür drehte er sich um, zog den Korkenzieher aus der Tasche und hielt ihn wie eine Trophäe hoch. »Den bringe ich Ihnen nachher zurück.«
Joss winkte ab. »Es eilt nicht. Bleibt Ihre Schwester über Nacht?« Erst als sie die Frage ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, wie zweideutig sie klingen musste. Augenblicklich schoss ihr die Röte ins Gesicht. »Also, ich meinte, ob Sie abends vielleicht alleine sind … äh … also, Ihre Ruhe vor ihr haben und das neue Heim genießen können.« Halt die Klappe, Joss! Halt einfach die Klappe!
Er verzog den Mund. »Ich fürchte, sie wird die ersten zwei, drei Tage hierbleiben, bis alles eingerichtet ist, und ich weiß nicht, wie ich ihr das ausreden kann. Sally ist nur drei Jahre älter, sie glaubt aber immer noch, mich bemuttern zu müssen.« Er rollte mit den Augen.
»Viel Glück«, sagte sie, winkte zum Abschied und schloss die Tür hinter sich, als er die Gartenpforte erreichte. Sie war im Umgang mit Männern noch nie besonders ungezwungen gewesen, aber nach ihrem Gestammel musste er sie ja für geradezu plump halten. Sie beneidete Frauen, die locker mit einem Mann ins Gespräch kamen und dabei so natürlich wirkten. Sie selbst wurde meistens rot im Gesicht und stammelte irgendwelchen Blödsinn, sobald sich ihr ein Mann näherte. Vielleicht sollte sie einen Flirtkurs besuchen, aber sie bezweifelte, dass ihr in diesem Fall zu helfen war. Das viel größere Problem war zudem, dass sie nach einem anfänglichen Flirt zu schnell das Interesse verlor, weil die Männer irgendwelche Macken hatten. Vielleicht hatte ihre Freundin Melody recht und sie war einfach zu anspruchsvoll.
Joss setzte sich einen weiteren Tee auf, bevor sie sich wieder ihrem Manuskript widmete. Als ihr Blick das Küchenfenster streifte, sah sie, wie die Möbelpacker geradezu in den Lieferwagen flüchteten und davonfuhren. Sidneys grässliche Schwester stand vor der Haustür. Die Hände in die Hüften gestemmt, schüttelte sie den Kopf. Erst jetzt bemerkte Joss die drei großen Kartons auf dem Rasen. Sie musste grinsen. Das geschah der blöden Kuh recht. »Sidneeeeey!«, brüllte sie mit hochrotem Kopf. Joss nahm den Teebeutel aus ihrer Tasse und verschwand ins Wohnzimmer. Ein bisschen tat ihr der neue Nachbar ja schon leid. Auf der anderen Seite sollte man meinen, dass er alt genug war, sich durchzusetzen und seine Schwester zum Teufel zu jagen, anstatt sich unter ihre Fuchtel zu begeben. Allerdings verstand sie als Einzelkind nichts von derartigen familiären Bindungen. Vielleicht hatten die beiden zusammen schwere Zeiten durchgemacht. »Konzentriere dich auf die Arbeit!«, sagte sie laut und verscheuchte sämtliche Gedanken an Sidney Abbot, um sich endlich ihrem Manuskript zu widmen. Doch jedes Mal, wenn sie kurz innehielt, erschien sein attraktives Gesicht vor ihrem geistigen Auge und sein Lächeln verursachte ein Kribbeln in ihrer Magengegend. »Verdammt«, stieß sie aus und fuhr den Laptop herunter. Die Überarbeitung hatte heute keinen Sinn. Als sie ihr Spiegelbild im schwarzen Display betrachtete, fiel ihr wieder ein, dass sie sich längst hatte kämmen und schminken wollen. Dabei konnte sie sich auch gleich eine Ausrede für Evie einfallen lassen, damit sie am übernächsten Samstag nicht auf Hannas Hochzeit gehen musste.
It is yourself you seek In a long rage, Scanning through light and darkness
Louise Bogan – Man alone
3
Melody
»Melody, wo soll denn die andere Kiste Äpfel hin?«
Ava McDonald hielt mit beiden Händen eine flambierte Obstkiste hoch und sah stirnrunzelnd zu ihrer Chefin. In ihren platinblonden Haaren hatten sich einige Blätter verfangen, sodass sie in ihrem grünen Sommerkleid nun Ähnlichkeit mit einer Waldnymphe hatte.
»Ins Schaufenster. Drapier sie hübsch auf Kisten mit Birnen, Beeren und den Konfitüren deiner Mutter«, meinte Melody nach kurzem Zögern und beobachtete, wie die siebzehnjährige Ava die schwere Kiste zum Schaufenster trug, das zurzeit leer war. Dafür, dass sie recht zierlich war, konnte Ava gut anpacken. Sie hatte außerdem eine schnelle Auffassungsgabe und zeigte Eigeninitiative. Zu schade, dachte Melody, dass sie Ava nicht an mehr Tagen in der Woche beschäftigen konnte. Doch der Laden warf einfach nicht genug Umsatz ab. Die meisten Leute kauften in der Stadt ein, wenn sie andere Besorgungen machten. Außerdem war das Obst und Gemüse im Supermarkt günstiger als in Melodys kleinem Dorfladen, wo sie regionale Produkte der Bauern aus der Umgebung verkaufte. Sie bot zudem hausgemachte Konfitüren und eingelegtes Obst in hübschen, dekorativen Gläsern an, selbst gebackenes Brot und im hinteren Bereich des Lädchens standen vier Tische, an denen man Tee, Kaffee und Kuchen bestellen konnte. Die wurden allerdings fast nur an den Wochenenden genutzt. Sie hatte das Geschäft vor sieben Jahren von ihrer Großmutter Gladys übernommen, die sich körperlich nicht mehr imstande gefühlt hatte, es zu führen. Mit ihren mittlerweile dreiundsiebzig Jahren tat ihr immer öfter der Rücken weh und langes Stehen oder schwer zu heben waren ihr nicht mehr möglich. Dabei hatte Melody eigentlich vorgehabt, Buchhändlerin zu werden. Doch vom Verkauf von Büchern würde sie in Bexbury nicht leben können. Dafür fehlte es an Touristen, denn die besuchten lieber das nahe gelegene und schönere Bourton-on-the-Water. Viele nannten es das Venedig der Cotswolds, wegen der kleinen Bogenbrücken, die über den Fluss Windrush führten. Wanderer und Sportbegeisterte hingegen besuchten eher das größere Nachbardorf Croxley Hill, in dem man Kanutouren unternehmen und Schnitzeljagden für die ganze Familie buchen konnte. Außerdem gab es ein viktorianisches Herrenhaus, in dem Filmabende und Tanzveranstaltungen stattfanden. Der Fluss Crox schlängelte sich durch das ganze Dorf und lud Angler ein, auf der Bridge of Luck ihr Glück zu versuchen. Für fünf Pfund konnte man zwei Stunden lang seine Angel von der Brücke werfen, um Forellen zu fischen. Die Legende sagte, dass jemand, der das Glück hatte, dort einen Fisch zu angeln, bald Reichtum erwarten konnte. Die Leute kamen wirklich in Scharen, wurden in Bussen angekarrt und bescherten dem Dorf vermutlich eine hübsche Stange Geld.
In Bexbury gab es hingegen nur einen unscheinbaren Fluss, der in den Sommermonaten gerne austrocknete, und eine uralte Steinbrücke, die aussah, als fiele sie beim nächsten Sturm in sich zusammen. Auch sonst hatte das Dorf nicht viel zu bieten. Es gab lediglich einen Pub, Melodys Laden, der direkt neben dem Pub lag, einen Schlachter und eine winzige Leihbücherei, die an nur zwei Tagen in der Woche für jeweils vier Stunden geöffnet hatte und ehrenamtlich geführt wurde. Die Grundschule war vor einigen Jahren geschlossen worden, dort fanden nun manchmal Tanzabende oder Fotoausstellungen statt. Das Dorf war so verschlafen, dass sich nur wenige Wanderer aus der Umgebung am Wochenende nach Bexbury verirrten und in den Pub oder ihren Laden einkehrten. An manchen Tagen hatte Melody nur drei Kunden. Wenn sie abends von ihrer Freundin Joss nach Hause ging, traf sie meistens niemanden mehr nach zwanzig Uhr auf den Straßen. Niemand, der seinen Hund ausführte, keiner, der einen Spaziergang machte oder von einem Termin wiederkam. Der Altersdurchschnitt der Dorfbewohner lag gefühlt bei siebzig. Sie hatte das Gefühl, das Leben zog an ihr vorbei, während sie hier versauerte.
Manchmal saß Melody stundenlang hinter der Brücke unter einem Kirschbaum, trank mitgebrachten Tee und sortierte ihre Gedanken. Dabei war ihr irgendwann klar geworden, dass sie weg aus den Cotswolds musste. Sie war sechsundzwanzig und lebte seit zehn Jahren hier in Bexbury mit ihrer Großmutter zusammen, seitdem ihre Eltern bei einem Unfall gestorben waren. Davor hatte sie in London gelebt, wo ihre Eltern beide bei einer Bank gearbeitet hatten. Ihr hatte London immer gefehlt, mal mehr, mal weniger. Aber seit ein paar Monaten war die Sehnsucht so stark geworden, dass sie unentwegt Bauchschmerzen hatte.
»Alles in Ordnung?« Avas sanfte Stimme riss Melody aus ihren trüben Gedanken. Sie nickte, verschwand hinter der Ladentheke und tat, als sortiere sie Rechnungen. Letztes Wochenende hatte sie ihre Freundin Greta in London besucht, die beiden waren die halbe Nacht durch Clubs und Pubs gezogen und hatten im Morgengrauen schließlich in Gesellschaft einiger Tauben am Ufer der Themse Fish und Chips gegessen und dabei beobachtet, wie die Stadt erwachte. London war laut und teilweise sehr dreckig, aber voller Leben und Möglichkeiten. Vor allem war es voller junger Leute. Greta hatte ihr eine Stelle als Bedienung in ihrem Bistro in Notting Hill angeboten. Sie könnte sich ein WG-Zimmer nehmen, die meisten waren zwar winzig und hatten mitunter nicht einmal ein Fenster, aber mit einem Nebenjob würde sie sich vielleicht eine eigene kleine Wohnung leisten können. Doch wie brachte sie ihrer Großmutter bei, dass sie den Laden schließen und nach London ziehen wollte? »Ist wirklich alles in Ordnung? Du wirkst schon den ganzen Morgen so nachdenklich«, hakte Ava nach. Melody schaute auf die große Uhr, die über der Eingangstür hing. »Verdammt, ich muss los und Granny abholen. Sie hat um zwölf einen Termin beim Orthopäden.«
»Kein Problem, ich komme hier alleine klar«, versicherte ihr Ava, während Melody die Schürze abnahm, die sie im Laden immer trug, damit die Obst- und Gemüsekisten nicht den Stoff ihrer Hosen aufrauten. Hektisch sah sie sich nach ihrer Jacke um, fand sie schließlich unter dem Tresen, klopfte den Schmutz und Staub ab und rannte mit einem »Bis nachher« aus dem Laden.
Sie überquerte den Dorfanger und bog in die Mill Place Road ein, eine recht schmale Straße, gesäumt von hohen Mauern und wild rankendem Efeu. Mit ihrer Großmutter Gladys lebte sie in der Nummer 27, ein winziges Cottage aus honiggelben Cotswold-Steinen mit blauen Fensterläden und einer ebenso blauen Haustür. Das Reetdach war erst kürzlich erneuert worden, nachdem es reingeregnet hatte, doch nun musste das Bad im ersten Stock dringend saniert werden. Die Kacheln lösten sich bereits aus den Fugen, und am Badewannenrand bildete sich Schimmel. Der Kostenvoranschlag von einem Handwerker aus Bourton-on-the-Water war laut Gladys jedoch indiskutabel, sodass sich Melody nach einem anderen umsehen musste.
»Bist du fertig, Granny?«, rief Melody, kaum, dass sie die Haustür aufgerissen hatte. Im Flur roch oder, besser gesagt, stank es nach Kampfer, mit dem sich Gladys jeden Morgen großzügig die schmerzenden Waden einrieb, um den Ermüdungserscheinungen entgegenzuwirken. Leider vergaß sie meistens das Lüften. Melody ging in die Küche und öffnete das Fenster, atmete die rosengeschwängerte Luft ein und rief erneut nach Gladys.
»Das ist doch typisch. Du kommst auf den letzten Drücker und hetzt mich dann!« Gladys Robinson stellte sich in den Türrahmen, reckte das Kinn und klemmte sich ihre rote Handtasche unter den Arm. Sie trug ein zitronengelbes Kostüm mit schwarzen Sandalen, die schulterlangen grauen Haare waren zu einem Dutt gebunden, den sie mit einem gelben Haargummi befestigt hatte.
»Es gab so viel zu tun«, log Melody und griff nach dem Autoschlüssel, der auf der Fensterbank lag.
»Du arbeitest zu viel«, sagte Gladys beim Rausgehen. »Hast du dir überlegt, eine feste Aushilfe anzustellen? Ich habe mir damals immer den Mittwoch freigenommen, an dem Tag haben Violet und ich unseren Backgammontag gehabt.«
Melody unterdrückte ein Schmunzeln, denn sie wusste, dass der Backgammontag aus einer halben Stunde Backgammon bestanden hatte, in der Violet hemmungslos geschummelt hatte, gefolgt von drei Stunden Sherrytrinken und Tratschen. »Für eine feste Aushilfe mache ich nicht genug Umsatz«, erwiderte sie und öffnete Gladys die Beifahrertür von ihrem zerbeulten Peugeot. Als Melody die Ausfahrt hinunterfuhr, kribbelte ihre Nase so heftig, dass sie dreimal hintereinander niesen musste. »Herrgott, Granny, wie viel Parfum hast du denn aufgelegt?« Hektisch öffnete sie das Fenster und atmete einen Schwall frischer Luft ein. »Das Auto riecht wie eine Blumenwiese, die sich in einen Kuhstall verirrt hat.«
Gladys warf ihr einen finsteren Blick von der Seite zu. »Ich habe versehentlich zu viel Kampfer auf die Beine getan und wollte den strengen Geruch übertünchen. Vielleicht hätte ich es mit Chanel versuchen sollen, aber ich habe den Flacon nicht aufbekommen und zu der Duftprobe gegriffen, die mir die Verkäuferin eingepackt hat. Der Name klang ganz vielversprechend. Fleur du irgendwas.«
»Pass demnächst einfach mit dem Kampfer auf«, brummte Melody, als sie auf die Beeches Road abbog. Vor dem Kriegsdenkmal am Dorfanger stand eine Wandergruppe, gut zu erkennen an den Laufstöcken, den Rucksäcken und den Straßenkarten, die zwei ältere Frauen mit einem Stirnrunzeln studierten. »Hoffentlich kaufen die etwas«, murmelte Melody und sah im Rückspiegel tatsächlich, wie sich zwei Leute aus der Gruppe lösten und auf Melodys Geschäft zeigten.
»Steht es denn so schlecht?«, erkundigte sich Gladys.
»Die Leute kaufen lieber in der Stadt ein, Granny.«
»Ach, es gibt immer schlechte Phasen. Die gab es schon vor zwanzig Jahren, aber glaub mir, es geht bestimmt wieder aufwärts. Wo Regenwolken sind, ist auch Sonnenschein, sagte dein Großvater immer.«
Melody hatte ihren Großvater nie kennengelernt, er war ein paar Jahre vor ihrer Geburt gestorben. Im Wohnzimmer hingen mehrere eingerahmte Bilder, auf denen er entweder schelmisch grinste oder herzlich lachte. Das rote Haar hatte Melody eindeutig von ihm.
»Ich bin so glücklich, dass du den Laden weiterführst«, meinte Gladys. »Das Geschäft war der ganze Stolz deines Großvaters. Er hat so gekämpft, um den Kredit bei der Bank zu bekommen. Die haben sich nämlich so kurz nach dem Krieg ziemlich angestellt.«
Melody schluckte den Kloß in ihrem Hals runter und blickte starr auf die Straße. Sie musste Gladys reinen Wein einschenken, ihr sagen, dass sie den Laden schließen und nach London ziehen würde. »Weißt du, Granny, ich habe überlegt –«, sie schloss den Mund und starrte auf den Streifenwagen, der an der Weggabelung stand und den direkten Weg zur A40 blockierte. Melody hielt den Wagen an und schaltete den Motor aus. Ein uniformierter Polizist lehnte gegen die Fahrertür und sprach etwas in sein Funkgerät. Er war recht jung und sah aus, als wäre er gerade erst mit der Schule fertig. Die hellblonden Haare wehten ihm in die Stirn, bis er seine Mütze zurechtschob.
»Was ist denn da los?«, fragte Gladys. Der Polizist löste sich vom Wagen und marschierte auf sie zu. Melody runzelte die Stirn. »Gibt es ein Problem?«, fragte sie durch das geöffnete Fenster.
»Es gab einen Zwischenfall auf der Brücke, weiter hinten. Ein Möbelwagen hat einen der Träger gerammt, die Brücke muss gesperrt werden, um die Statik zu überprüfen. Ich kann Sie hier nicht durchlassen. Sie müssen dort lang.« Er zeigte auf das Schild an der Weggabelung, das den Weg nach Croxley Hill auswies. Gladys sog geräuschvoll die Luft ein. »Wir können da nicht lang!«
»Ma’am?« Der Polizist fasste sich an die Mütze und musterte Gladys mit hochgezogenen Brauen.
»Wir können nicht durch das Dorf!«, empörte sich Gladys nun lauter.
»Sie sind nicht von hier, oder?«, fragte Melody den Polizisten, der daraufhin den Kopf schüttelte. »Sagen Sie mir jetzt nicht, dass das etwas mit einem Aberglauben zu tun hat.«
»Aberglauben, von wegen! Wir sind doch nicht hinterwäldlerisch, nur weil wir auf dem Land leben«, schnaubte Gladys.
»Ich nehme an, Sie wissen nicht, wann die Straße wieder freigegeben wird?«, fragte Melody leise.
»Nein, tut mir leid. Aber ich fürchte, das wird noch eine ganze Weile dauern. Sie müssen wirklich den anderen Weg nehmen, auch wenn es einen kleinen Umweg bedeutet.«
»Ich setze keinen Fuß in dieses Dorf!«, rief Gladys. Melody seufzte laut.
»Wenn Sie während der Fahrt im Wagen sitzen bleiben, müssen Sie das auch nicht«, sagte der Polizist mit einem schiefen Grinsen.
Melody musste gegen ihren Willen schmunzeln. Eine blecherne Stimme drang durch das Funkgerät des Beamten, der Melody und Gladys nun zunickte, bevor er sich abwandte und zu seinem Wagen zurückging.
»Eine Unverschämtheit«, polterte Gladys und funkelte Melody so böse an, als wäre es deren Schuld. »Seit über vierzig Jahren bin ich nicht mehr in Croxley Hill gewesen, und ich werde auf meine alten Tage sicherlich nicht damit anfangen!«
Melody zählte innerlich bis zehn, pustete eine lange Haarsträhne von ihrer Nasenspitze und verfluchte den Fahrer des Möbelwagens. Es war eine sehr schmale Brücke, die über den Fluss führte, aber wenn man nicht gerade hundert Sachen fuhr, konnte man sie selbst mit einem Panzer gefahrlos überqueren. »Granny, wir haben keine Wahl. Wir sind eh spät dran.« Sie hätte fast gesagt, dass es nach über vierzig Jahren langsam an der Zeit war, diese dämliche Dorffehde zu vergessen, doch dann konnte sie sich noch rechtzeitig bremsen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass die älteren Bewohner von Bexbury keinen Fuß nach Croxley Hill setzten und umgekehrt. Und auch von den jüngeren verirrten sich nur wenige in das jeweils andere Dorf. Melody wusste, dass Joss ab und zu ihren Ex-Freund Dylan besuchte, der seit drei Jahren ein B&B in Croxley Hill führte.
Aufgewachsen war er allerdings in Bexbury. Mit der Entscheidung, das B&B seines entfernten Cousins zu übernehmen, der nach Neuseeland ausgewandert war, war er jedoch in Bexbury zu einer Personanon grata geworden. Melody hatte diese Feindschaft zwischen den beiden Dörfern als Kind nie hinterfragt. Doch mittlerweile fand sie, dass die Leute das Kriegsbeil begraben sollten. Diese lächerliche Geschichte lag doch Ewigkeiten zurück!
»Entweder wir fahren nun durch Croxley Hill oder du musst deinen Arzttermin verschieben«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Gladys schnaubte, durchsuchte die Außentasche ihres Blazers und zog eine Packung Taschentücher heraus. »Du warst damals nicht dabei, als diese Irren mit Mistgabeln und Fackeln durch unser schönes Dorf gezogen sind und den Pub beinahe in Schutt und Asche gelegt haben!«
Melody wandte ihr Gesicht ab, damit Gladys nicht mitbekam, dass sie die Augen verdrehte. Sie hatte die Geschichte mittlerweile so oft gehört – mit mehr oder weniger ausgeschmückten Details -, dass sie sie im Schlaf widergeben konnte. »Ja, ich weiß. Die Kinder haben die ganze Nacht geweint, die Frauen hatten Angst um ihre Männer und der Dorfpolizist konnte gerade noch verhindern, dass Joss’ Großvater in den Dorfbrunnen geworfen wurde.«
»So etwas vergisst man nicht«, fuhr Gladys unbeirrt fort, als hätte sie Melodys Sarkasmus überhört. »Es war beängstigend. Die haben sich wie eine Horde Wilder aufgeführt.«
Melody sah, wie der Polizist in sein Auto stieg und etwas in sein Funkgerät sprach, dann griff sie nach ihrer Handtasche auf dem Rücksitz und holte ihr Smartphone heraus. »Ich frage, ob wir Montag vorbeikommen können«, sagte sie und durchsuchte ihr Adressbuch nach der Nummer des Arztes. Die Arzthelferin in der Praxis zeigte Verständnis und gab ihr einen neuen Termin, am Montag um vierzehn Uhr. »Dann wird der Weg hoffentlich wieder passierbar sein«, murmelte Melody und steckte das Handy zurück in die Handtasche. Als sie sich wieder nach vorne umdrehte, schrie sie auf, weil sich ein blasses Gesicht mit großen blaugrünen Augen und zahlreichen Lachfältchen durch das geöffnete Fenster schob, um ins Wageninnere zu spähen. »Himmel, Violet, hast du mich erschreckt!«, rief Melody.
»Die Brücke ist gesperrt. Ich musste doch tatsächlich durch dieses beschissene Dorf fahren!« Violets Hände umklammerten das Lenkrad ihres Hollandrads. »Die haben mich angeguckt, als würde ich deren Kinder essen wollen!«
Gladys Augen weiteten sich. Sie grub ihre rot lackierten Fingernägel in ihre Handtasche. »Du bist da durchgefahren?« Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung.
Violet nickte kräftig mit dem Kopf, löste eine Hand vom Lenker und strich sich durch das aschblond gefärbte, schulterlange Haar. »Ich war beim Friseur und musste ja irgendwie zurückkommen. Um halb zwölf kommt der Vikar zum Mittag vorbei. Wir wollen über eine neue Kirchenglocke sprechen.« Wie so oft, wenn sie angeben wollte, betonte sie jede Silbe, als spräche sie mit Ausländern, die schlechte Englischkenntnisse hatten.
»Du warst wirklich in Croxley Hill?«, rief Gladys und sog geräuschvoll die Luft ein. Violet nickte erneut. »Ich bin durchgefahren. Das zählt nicht wirklich. Aber ich sage euch, es war unheimlich!«
»Inwiefern?«, fragte Melody, die tatsächlich niemals in Croxley Hill gewesen war. Auch wenn sie es nie zugeben würde, sie war extrem abergläubisch und fürchtete sich vor schlechtem Karma, wenn sie die Dorfgrenze überschritt. Ihre Großmutter hatte ihr als Kind immer eingetrichtert, dass sie ein Jahr lang Pech haben und ihr außerdem alle Haare und Zähne ausfallen würde, wenn sie nach Croxley Hill ginge.
»Ich fuhr am Dorfanger vorbei, wo Kinder mit dem Finger auf mich zeigten und von ihren ängstlichen Müttern ins Haus gezogen wurden. Auf einmal war die Straße menschenleer. Eine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne und ein kräftiger Wind zog auf. Das Quietschen des Pubschilds, welches hin und herschwang, war ohrenbetäubend und nahm die ganze Straße ein. Ich bekam eine Gänsehaut. Es hätte nicht viel gefehlt und Steppenroller wären über die Straße geweht. Ihr wisst schon, dieses komische Wüstengestrüpp, das in Western durchs Bild rollt, begleitet von unheilvoller Musik. Es war schaurig!« Sie schüttelte sich.
»Du Ärmste«, sagte Melody mitfühlend, obwohl sie sich sicher war, dass Violet maßlos übertrieb. Sie hatte einfach einen Hang zur Dramatik.
»Habt ihr den neuen Bewohner schon gesichtet?«, fragte Violet plötzlich. Melody und Gladys schüttelten synchron die Köpfe.
Violet verzog den Mund. »Was sich Edith nur dabei gedacht hat, diesem Schnösel ihr Haus zu vermachen … Er hat sie in all den Jahren nicht einmal besucht!«
Sie schob ihr Fahrrad ein Stück zur Seite und stieg auf. »Ich muss los. Der Vikar ist immer so überaus pünktlich.« Mit wehendem Haar trat sie in die Pedale und fuhr davon.
»Ich mag Violet, aber manchmal spielt sie sich ganz schön auf«, sagte Gladys, als Melody den Wagen wendete und mit einem letzten Blick zum Streifenwagen zurück nach Bexbury fuhr. Als sie Violet überholte, winkte sie ihr zu.
In a package of minutes there is this We.
How beautiful.
Merry foreigners in our morning,
we laugh, we touch each other,
are responsible props and posts.
Gwendolyn Brooks- An Aspect of Love, Alive in the Ice and Fire
4
Violet
Violet trat in die Pedale. Wieso hatte sie auch ausgerechnet an diesem Tag beschließen müssen, mehr für ihre Gesundheit zu tun? Mit dem Fahrrad brauchte sie nur vierzig Minuten zu ihrem Friseur nach Bourton-on-the-Water, doch ihr Zehn-Uhr-Termin hatte sich wegen eines Haar-Notfalls um eine Viertelstunde verzögert. Und auf dem Rückweg war die Straße nach Bexbury gesperrt worden, sodass sie durch dieses vermaledeite Croxley Hill fahren musste. Zuletzt war sie als junges Mädchen durch das das Dorf gefahren. Damals hatte die beiden Dörfer noch eine Freundschaft verbunden. Gemeinsame Kirchenfeste wurden organisiert, auf denen Geld für Notleidende gesammelt wurde, es gab Tanzveranstaltungen im Gemeindesaal und natürlich die Wahl der Miss Apfelblüte. Rückblickend musste sie allerdings zugeben, dass es zwischen den beiden Dörfern schon immer Spannungen gegeben hatte und der Eklat beim Apfelblütenfest nur das I-Tüpfelchen gewesen war, das den stetig brodelnden Vulkan hatte ausbrechen lassen. Die Croxlier – wie die Dörfler genannt wurden – hatten immer schon auf Bexbury herabgeblickt.