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Das beschauliche Leben des fünfzehnjährigen François Seurel ändert sich für immer, als ein neuer Schüler in die Provinzschule seines Vaters kommt. Augustin Meaulnes, von den Mitschülern nur »der große Meaulnes« genannt, ist ein schweigsamer, stolzer Junge und wird sein bester Freund. Eines Tages verschwindet Meaulnes für drei Tage und kehrt verwirrt, übermüdet und doch wie verzaubert zurück. Er habe sich in einem Wald verirrt, sagt er, sei in ein seltsames Maskenfest auf einem verwunschenen Schloss geraten. Von der Begegnung mit einem wunderschönen Mädchen ist die Rede und von einer Kahnfahrt auf einem winterlichen See … François weiß zunächst nicht, ob er den Worten seines Freundes glauben soll. Doch unter seiner Jacke trägt Meaulnes eine prunkvolle Seidenweste, und bald schon richtet sich das ganze Streben der beiden Freunde – »Schwärmer, Schlafwandler zwischen Traum und Wachen, enthusiastisch gebannt von den Reizen einer inneren Welt voller Schönheit und Liebe« (Ludwig Harig) – darauf, das »verlorene Land«, wiederzufinden, das auf keiner Karte verzeichnet ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
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Für meine Schwester Isabelle
Übersetzung aus dem Französischen von Christiane Landgrebe
ISBN 978-3-492-96533-0
Die französische Originalausgabe erschien 1913 unter dem Titel
Le grand Meaulnes
. © Thiele Verlag in der Thiele & Brandstätter Verlag GmbH, München und Wien 2015 © für diese Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 2015 Covergestaltung: Christina Krutz, Biedesheim am Rhein Covermotiv: Victoria Davies / Arcangel Images Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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VORWORT
Das Buch meines Lebens
VON RÜDIGER SAFRANSKI
Bis heute ist »Der große Meaulnes« für mich das schönste Buch, das ich kenne. Ich entdeckte es im Sommer 1965 in einem Berliner Trödelladen. Ein leicht zerfleddertes Exemplar der Rowohlt-Taschenbuchausgabe von 1956. Vielleicht zog mich ganz einfach der magische erste Satz an: »An einem Novembertag des Jahres 189… kam er zu uns.«
Schauplatz ist die Landschaft im Herzen Frankreichs, kleine Städte, Dörfer, Flußläufe mit Häusern »wie Barken, die mit eingezogenen Segeln im Hafen in der Abenddämmerung liegen«. Ein neuer Schüler wird beim Lehrer in Pension gegeben. Er ist stolz, schweigsam, ein wenig bäurisch, etwas Wildes und Abenteuerliches geht von ihm aus. Er zieht die Mitschüler in seinen Bann.
Eines Tages verschwindet er mit einem Pferdefuhrwerk. Tage später kommt er zurück, allein, verstört, unruhig. Unterm Kittel aber trägt er eine seidene Weste.
Er habe sich verirrt, erzählt er, war in ein wunderliches Maskenfest im Wald geraten, eine Begegnung mit einem Mädchen, eine Bootsfahrt auf einem winterlichen See. Von nun an sucht er das »verlorene Land«, es ist auf keiner Karte verzeichnet, und die Spuren sind verwischt. Alles geschieht langsam, wie im Schatten eines großen Ereignisses, von dem man nicht genau weiß, ob es vorbei ist oder noch aussteht, schwebend zwischen Wehmut und Sehnsucht.
Es ist die Geschichte einer vergeblichen Suche, auch nach jenem Mädchen vom Fest. Das »verlorene Land« ist, wie sich später herausstellt, gar nicht so fern, es ist nahe wie der Horizont, der zurückweicht, wenn wir uns ihm nähern.
»Ein Mensch aber«, sagt Meaulnes, »der einmal einen Fuß ins Paradies gesetzt hat, wie soll der sich nachher mit dem Leben abfinden, das gewöhnliche Sterbliche führen?«
Henri Alain-Fournier war 26
Erster Teil
KAPITEL 1
An einem Novembertag des Jahres 189… kam er zu uns.
Ich sage immer noch »zu uns«, dabei ist es gar nicht mehr unser Haus. Vor beinahe fünfzehn Jahren sind wir aus der Gegend weggezogen und kehren bestimmt nicht mehr zurück.
Wir wohnten im Gebäude des Cours Supérieur von Sainte-Agathe, in dem die älteren Schüler unterrichtet wurden. Mein Vater, den ich wie die anderen Schüler Monsieur Seurel nannte, leitete den Cours Supérieur, der zum Lehrerexamen führte, und den Cours Moyen. Meine Mutter unterrichtete die Kleinen.
Das lang gestreckte rote Haus hatte fünf Glastüren, war von wildem Wein bewachsen und lag am Ende der kleinen Stadt. Das Tor des riesigen Innenhofs mit dem überdachtem Pausenhof und der Waschküche ging zum Dorf hinaus. Nach Norden hin lag die Landstraße, die man durch ein kleines Gittertor erreichte. Sie führte zum drei Kilometer entfernten Bahnhof. Im Süden, hinter dem Haus, lagen Felder, Gärten und Wiesen, die an die Vorstadt grenzten. So etwa sah der Ort aus, an dem sich die aufregendsten und kostbarsten Tage meines Lebens abspielten– hier begannen unsere Abenteuer, von hier gingen sie aus wie Wellen, die sich bei ihrer Rückkehr an einem einsamen Felsen brechen.
Wir waren durch die zufällige Entscheidung eines Inspektors oder Präfekten, hierher versetzt worden. Vor langer Zeit hatte gegen Ende der Ferien ein Bauernkarren, der unserem Umzugswagen vorausfuhr, meine Mutter und mich hier abgesetzt, vor dem kleinen rostigen Gittertor. Ein paar Jungen, die gerade im Garten Pfirsiche stahlen, flohen lautlos durch Löcher in der Hecke… Meine Mutter Millie, die ordentlichste Hausfrau, die mir je begegnet ist, betrat sogleich die Zimmer, in denen staubiges Stroh herumlag, und stellte wie bei jedem Umzug verzweifelt fest, nie und nimmer würden unsere Möbel in dieses miserabel gebaute Haus passen… Sie kam wieder heraus, um mir ihre Sorgen anzuvertrauen. Und während sie mit mir sprach, wischte sie mir mit dem Taschentuch das Gesicht ab, das auf der Reise ganz schwarz geworden war. Dann ging sie wieder ins Haus, um zu zählen, wie viele Löcher wir zustopfen müssten, um es bewohnbar zu machen. Ich hatte einen großen Strohhut mit einem Band auf dem Kopf und blieb eine Weile abwartend auf dem Kies des fremden Innenhofs stehen. Dann begann ich, mich in der Umgebung des Brunnens und im Schuppen umzusehen.
So ungefähr stelle ich mir heute unsere Ankunft vor. Denn sobald ich versuche, die ferne Erinnerung an den ersten Abend in Sainte-Agathe wachzurufen, an dem ich draußen im Hof wartete, denke ich gleich wieder an andere Male, an denen ich ebenfalls gewartet habe. Ich sehe, wie ich, beide Hände an den Gitterstäben des Eingangstors, angstvoll Ausschau halte, ob jemand die Grand’ Rue entlangkommt. Und wenn ich versuche, mir jene erste Nacht vorzustellen, die ich in meiner Mansarde verbringen musste, zwischen den Dachkammern der ersten Etage, denke ich sogleich an andere Nächte. Da bin ich nicht mehr allein im Zimmer. Der große, unruhige Schatten eines Freundes bewegt sich an den Wänden entlang und geht spazieren. Unsere friedliche Landschaft – die Schule, das Feld von Père Martin mit den drei Nussbäumen, der Garten, in dem sich nach vier Uhr die Besucherinnen aufhielten– ist mir für immer im Gedächtnis geblieben, in Aufregung versetzt, verändert durch die Gegenwart des Jungen, der unsere ganze Jugend beeinflusste und dessen Verschwinden uns nicht zur Ruhe kommen ließ.
Dabei waren wir schon zehn Jahre hier, als Meaulnes zu uns kam.
Ich war fünfzehn. Es war ein kalter Novembersonntag, der erste Tag im Herbst, der den Winter ankündigte. Den ganzen Tag hatte Millie auf einen Wagen vom Bahnhof gewartet, der ihr einen Hut für die kalte Jahreszeit bringen sollte. Morgens hatte sie die Messe versäumt. Ich saß mit den anderen Kindern im Chor, und bis zur Predigt blickte ich unruhig zum Eingang auf der Seite der Glocken, ob sie mit ihrem neuen Hut hereinkäme.
Nachmittags musste ich allein zur Vesper gehen.
»Weißt du«, sagte sie zum Trost, während sie meinen Kinderanzug mit der Hand abbürstete, »selbst wenn dieser Hut gekommen wäre, hätte ich sicher den ganzen Sonntag gebraucht, um ihn schön herzurichten.«
So waren unsere Sonntage im Winter oft.
Morgens ging mein Vater fort und fuhr, um Hechte zu fangen, mit seinem Boot auf einen Teich, über dem Nebel lag; meine Mutter saß bis in die Nacht in ihrem düsteren Schlafzimmer und besserte ein Kleidungsstück aus. Sie tat dies im Verborgenen, denn sie fürchtete, eine mit ihr befreundete Dame, ebenso arm wie sie, aber genau so stolz, könne sie dabei überraschen. Nach der Vesper wartete ich im kalten Esszimmer und las, dann öffnete sie die Tür und zeigte mir, wie ihr das Kleid stand.
An diesem Sonntag blieb ich nach der Vesper draußen, weil vor der Kirche reges Treiben herrschte. Eine Taufe in der Eingangshalle hatte die Kinder angelockt. Draußen auf dem Platz standen mehrere Männer aus dem Ort in Reih und Glied in ihrer Feuerwehrkluft. Sie froren, traten von einem Fuß auf den anderen und hörten Boujardon, dem Brigadier zu, der sich in allgemeinen Erörterungen erging…
Die Taufglocken verstummten plötzlich wie ein am falschen Tag und am falschen Ort erklungenes Festgeläut; Boujardon und seine Leute, ihr Werkzeug am Gürtel, trabten mit der Spritze los und ich sah, wie sie hinter der nächsten Kurve verschwanden, dicht gefolgt von vier schweigenden Jungen. Mit ihren dicken Sohlen zertraten sie kleine Zweige auf der raureifbedeckten Straße, und ich traute mich nicht, ihnen zu folgen.
Im Dorf war nur noch im Café Daniel Leben, ich hörte von drinnen die Gespräche der Gäste, manchmal lauter, dann wieder leiser. Ich ging dicht an der niedrigen Mauer des großen Hofs entlang, die unser Haus vom Dorf trennte, und erreichte, wegen meiner Verspätung ein wenig besorgt, das kleine Gittertor.
Es stand offen, und ich sah sofort, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging.
An der Esszimmertür – sie war den vier Glastüren, die auf den Hof hinausgingen, am nächsten– stand gebeugt eine Frau mit grauem Haar, die versuchte, durch die Gardinen zu schauen. Sie war klein und trug ein altmodisches schwarzes Samthütchen. Ihr Gesicht war hager und zart, ihre Miene sorgenvoll. Mich überkam bei ihrem Anblick eine seltsame Angst, und ich blieb auf der ersten Stufe vor dem Gittertor stehen.
»Wo ist er nur? Mein Gott!«, sagte sie leise. »Er war doch gerade noch hier. Er hat sich schon das Haus angesehen. Vielleicht ist er weggelaufen…«
Bei jedem Satz trat sie kaum merklich mit dem Fuß auf.
Niemand kam, um der unbekannten Besucherin die Tür zu öffnen. Wahrscheinlich war Millies Hut vom Bahnhof gebracht worden, und sie hörte nichts. Sie saß wohl in dem roten Zimmer, neben dem Bett, auf dem lauter alte Bänder und Federn lagen, und machte ihre bescheidene Kopfbedeckung zurecht. Als ich ins Esszimmer trat, die Besucherin dicht auf den Fersen, erschien meine Mutter und hielt mit beiden Händen den Hut auf ihrem Kopf, mit lauter Goldfäden, Bändern und Federn, die noch nicht ganz den richtigen Platz gefunden hatten. Sie lächelte mich an, die blauen Augen müde von der Arbeit im Dämmerlicht, und rief:
»Sieh mal, ich habe auf dich gewartet, um dir zu zeigen…«
Da sah sie die Frau hinten im Raum in dem großen Sessel sitzen und hielt verwirrt inne. Schnell nahm sie den Hut ab und hielt ihn während der folgenden Szene dicht an ihre Brust, in ihrem gebeugten rechten Arm, wie ein umgedrehtes Nest.
Die Frau mit dem Samthütchen, zwischen den Knien einen Regenschirm und eine Ledertasche, hatte zu reden begonnen. Dabei wiegte sie leicht den Kopf und schnalzte mit der Zunge. Sie hatte sich wieder gefangen. Sobald die Rede auf ihren Sohn kam, hatte sie etwas Herablassendes und Geheimnisvolles, das uns verwirrte.
Sie waren beide mit einem Wagen aus La Ferté d’Angillon gekommen, vierzehn Kilometer von Sainte-Agathe entfernt. Sie war Witwe und hatte viel Geld, wie sie uns zu verstehen gab. Ihren jüngeren Sohn Antoine hatte sie verloren, als er eines Abends auf dem Rückweg von der Schule mit seinem Bruder in einem verseuchten Teich gebadet hatte. Sie hatte beschlossen, Augustin, den Älteren, zu uns in Pension zu geben, weil er den Cours Supérieur besuchen sollte.
Dann begann sie ein Loblied auf den neuen Schüler zu singen, den sie zu uns brachte. Ich erkannte die Frau mit dem grauen Haar nicht wieder, die ich vor einer Minute noch gebeugt vor der Tür hatte stehen sehen, in bittender Haltung und wie ein aufgescheuchtes Huhn, das das wildeste Küken seiner Brut verloren hat.
Was sie voller Bewunderung über ihren Sohn erzählte, war überraschend: wie gern er ihr eine Freude machte, dass er manchmal mit nackten Beinen Kilometer den Fluss entlangliefe, um ihr Eier von Wasserhühnern und wilden Enten zu bringen, tief aus dem Schilf… Er habe auch Fischreusen. Und neulich Abend habe er im Wald einen Fasan in einer Falle gefangen…
Ich, der ich mich nicht nach Hause traute, wenn ich einen Riss in meinem Hemd hatte, sah Millie erstaunt an.
Aber meine Mutter hörte gar nicht mehr hin. Sie bedeutete der Frau zu schweigen, stellte vorsichtig ihr Nest auf den Tisch und stand leise auf, als wolle sie jemanden überraschen…
Über uns, in der Kammer, in der noch die abgebrannten Feuerwerkskörper vom letzten 14.Juli aufbewahrt wurden, hörten wir jetzt einen unbekannten, sicheren Schritt, der auf und ab ging und die Zimmerdecke erschütterte, dann den riesigen düsteren Dachboden über der ersten Etage durchquerte und sich schließlich in den angrenzenden leer stehenden Räumen verlor, in denen wir Lindenblüten trocknen und Äpfel reifen ließen.
»Ich habe schon vorhin Geräusche hinten in den Zimmern gehört«, sagte Millie leise, »ich dachte, das wärst du, François, und du wärst schon zurück.«
Niemand antwortete. Wir standen alle drei mit klopfendem Herzen da, als die Dachbodentür aufging, die auf die Treppe zur Küche führte. Jemand kam die Treppe herunter, durchquerte die Küche und stand dann im düsteren Eingang des Esszimmers.
»Bist du es, Augustin?«, fragte die Dame.
Er war ein großer Junge von ungefähr siebzehn. In der Dämmerung sah ich von ihm zuerst nur den Bauernfilzhut, den er auf dem Hinterkopf trug, und seinen schwarzen Schülerkittel mit dem Gürtel. Ich konnte auch erkennen, dass er lächelte…
Er sah mich, und bevor ihn jemand um eine Erklärung bitten konnte, sagte er:
»Kommst du mit auf den Hof?«
Ich zögerte eine Sekunde. Aber da Millie mich nicht zurückhielt, nahm ich meine Mütze und ging zu ihm. Wir liefen durch die Küchentür nach draußen und auf den Hof, der schon im Dunkeln lag. Im letzten Tageslicht sah ich im Gehen sein kantiges Gesicht mit der geraden Nase und seine flaumbedeckte Oberlippe.
»Sieh mal«, sagte er, »das habe ich auf deinem Dachboden gefunden. War dir das nicht aufgefallen?«
Er hielt ein kleines geschwärztes Holzrad in der Hand, ringsherum eine ganze Reihe ausgebrannter Feuerwerkskörper. Es war sicher die Sonne oder der Mond vom 14.Juli.
»Zwei sind nicht abgebrannt; wir können sie noch anzünden«, sagte er ruhig wie jemand, der hofft, bald etwas Besseres zu finden.
Er warf seinen Hut zu Boden und ich sah, dass er die Haare kurz geschnitten trug wie ein Bauer. Er zeigte mir die beiden Raketen mit ihren Zündschnüren, die das Feuer angefressen, geschwärzt, aber dann verschont hatte. Er steckte die Achse des Rades in den Sand und zog – zu meiner großen Überraschung, weil es uns streng verboten war– aus seiner Tasche eine Schachtel Streichhölzer. Er bückte sich vorsichtig und steckte die Zündschnur an. Dann nahm er mich an der Hand und riss mich nach hinten.
Gleich darauf erschien meine Mutter mit der von Meaulnes in der Tür, sie hatten wohl inzwischen verhandelt und den Preis für die Unterbringung festgelegt, und sah auf dem Hof zwei rote und weiße Sternbündel mit dem Geräusch eines Blasebalgs in die Höhe schießen, und eine Sekunde konnte sie auch mich erkennen, wie ich reglos im magischen Licht stand, an der Hand des großen Jungen, der gerade erst angekommen war…
Auch jetzt wagte sie nichts zu sagen.
Abends beim Essen am Familientisch saß er still da, aß mit gesenktem Kopf und achtete nicht auf die Blicke, die wir drei auf ihn richteten.
KAPITEL 2
Nach vier Uhr
Bis dahin hatte ich kaum mit den Jungen aus dem Dorf auf der Straße gespielt. Ich war ängstlich und unglücklich wegen Schmerzen in der Hüfte, unter denen ich bis zu jenem Jahr 189… litt. Ich sehe mich noch, wie ich versuche, den flinken Schülern in den Gassen um das Haus herum zu folgen, und dabei elend auf einem Bein hüpfe…
Deshalb ließen sie mich kaum nach draußen, und ich erinnere mich, wie Millie, die sehr stolz auf mich war, mich mehrmals mit Ohrfeigen nach Hause trieb, weil sie mich auf einem Bein humpelnd bei den Bengeln aus dem Dorf antraf.
Die Ankunft von Augustin Meaulnes, die mit meiner Heilung zusammenfiel, war der Beginn eines neuen Lebens.
Bevor er gekommen war, hatte für mich um vier Uhr nach dem Ende des Unterrichts immer ein langer, einsamer Abend begonnen. Mein Vater brachte das Feuer aus dem Ofen im Klassenraum in den Kamin unseres Esszimmers; und nach und nach verließen die letzten Jungen die inzwischen abgekühlte, raucherfüllte Schule. Manche spielten noch draußen, rannten auf dem Hof herum, dann wurde es dunkel. Die beiden Schüler, die die Klasse gefegt hatten, suchten unter dem Wetterdach ihre Mützen und Pelerinen und liefen nach Hause, ihren Korb am Arm, und ließen das große Eingangstor offen.
Während das Tageslicht noch hereinfiel, hielt ich mich in der »Mairie« auf, einem Archiv voller toter Fliegen und mit Plakaten an den Wänden, die im Wind flatterten, und las dort auf einem alten Schaukelstuhl an dem Fenster zum Garten.
Wenn es dunkel war, die Hunde des benachbarten Bauernhofs zu heulen begannen und das Fenster in unserer kleinen Küche hell wurde, ging ich nach Hause. Meine Mutter hatte schon angefangen zu kochen. Ich stieg drei Stufen der Treppe zum Dachboden hinauf, setzte mich schweigend hin, lehnte den Kopf an das kalte Treppengeländer und sah zu, wie sie in der engen Küche im flackernden Schein einer Kerze das Herdfeuer anzündete.
Aber dann kam einer und entriss mich diesen friedlichen kindlichen Vergnügungen. Er löschte die Kerze, die das sanfte, über das Abendessen gebeugte Gesicht meiner Mutter erleuchtete. Er löschte die Lampe, um die wir als glückliche Familie zusammen saßen, abends, wenn mein Vater die Holzläden vor den Glastüren geschlossen hatte. Es war niemand anderer als Augustin Meaulnes, den die anderen Schüler bald den großen Meaulnes nannten.
Seit er bei uns wohnte, also seit Anfang Dezember, war die Schule abends nach vier Uhr nicht mehr leer. Trotz der Kälte, die durch die offene Tür hereindrang, trotz der Schreie der Fegenden und ihrer Wassereimer blieben nach dem Unterricht immer zwanzig große Schüler, die entweder vom Land oder aus der Stadt kamen, im Klassenraum, dicht um Meaulnes gedrängt. Hier diskutierten sie lange Zeit, stritten sich endlos, und ich war mittendrin, aufgeregt und vergnügt.
Meaulnes sagte nichts, aber seinetwegen kamen die Geschwätzigsten nach vorn in die Mitte der Gruppe und erzählten lange Räuberpistolen, riefen ihre Freunde nacheinander zu Zeugen auf, und die pflichteten ihnen lärmend bei, während die anderen mit offenem Mund zuhörten und lautlos lachten.
Meaulnes saß nachdenklich auf einer Schulbank und baumelte mit den Beinen. In guten Momenten lachte er sogar, aber nur leise, als hebe er sich lautes Lachen für bessere Geschichten auf, die allein er kannte.
Wenn es dunkel wurde und kein Licht mehr durch die Fenster auf die Gruppe der Jungen fiel, stand Meaulnes plötzlich auf, ging durch den engen Kreis hindurch und rief:
»Los geht’s!«
Dann folgten ihm alle und man hörte ihre Schreie noch bis in die dunkle Nacht, mitten im Ort…
Manchmal begleitete ich sie. Mit Meaulnes ging ich zu den Türen der am Ortsrand gelegenen Ställe, wenn die Kühe gemolken wurden… Wir gingen in Werkstätten hinein, und im Dunkel sagte der Weber zwischen dem Klappern seines Webstuhls:
»Da kommen die Schüler!«
Zur Zeit des Mittagessens hielten wir uns meistens in der Nähe der Schule bei Desnoues, dem Stellmacher auf, der auch Hufschmied war. Seine Werkstatt lag in einer früheren Herberge und hatte große, offen stehende zweiflügelige Türen. Von der Straße aus hörte man den Blasebalg der Schmiede und sah manchmal im Licht der Glut an diesem finsteren, lärmenden Ort Leute vom Lande, die hier ihre Wagen angehalten hatten, um einen Moment zu plaudern, manchmal lehnte auch ein anderer Schüler wie wir an einer Tür und sah wortlos zu.
Und hier hat alles begonnen, ungefähr acht Tage vor Weihnachten.
KAPITEL 3
»Ich besuchte oft die Werkstatt eines Korbmachers«
Es hatte den ganzen Tag geregnet und hörte erst abends auf. Der Tag war von tödlicher Langeweile. In den Pausen ging niemand nach draußen. Und immer wieder rief Monsieur Seurel, mein Vater, im Unterricht:
»Macht nicht solchen Lärm, Jungens!«
Nach der letzten Pause an diesem Tag, wir nannten sie die »letzte Viertelstunde«, blieb Monsieur Seurel, der seit einem Moment nachdenklich auf und ab ging, stehen, schlug heftig mit dem Lineal auf den Tisch, damit das am Ende des Unterrichts übliche Gemurmel aufhörte, und sagte in die eingetretene Stille: »Wer fährt morgen mit François zum Bahnhof, um Monsieur und Madame Charpentier abzuholen?«
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