Der Heilige (Historischer Roman) - Conrad Ferdinand Meyer - E-Book

Der Heilige (Historischer Roman) E-Book

Conrad Ferdinand Meyer

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Beschreibung

Dieses eBook: "Der Heilige (Historischer Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Die Heilige handelt von der eigentümlichen Beziehung Thomas Beckets und Heinrich II. von England. Meyer hat sich hier, wie meistens in seinen historischen Novellen, weitgehend an die historischen Begebenheiten gehalten, abgesehen von der jedoch für den Handlungsverlauf sehr wichtigen Episode um Beckets Tochter Grace und deren Vergewaltigung durch den König; all das ist frei erfunden. Die Rahmenhandlung bildet Hans der Armbruster, der im Rückblick die Geschichte des Thomas Becket erzählt. Hans dient Heinrich II. und lernt dadurch auch Thomas Becket kennen. Er bewundert ihn, seine Schönheit und sein umfassendes Wissen. Heinrich und Thomas ergänzen einander; Heinrich kann sich auf seinen Kanzler verlassen. Eines Tages wird jedoch die heimlich vom Hofe fern gehaltene Tochter Beckets durch tragische Umstände getötet. Heinrich hatte eine Liebesbeziehung mit ihr begonnen, die eifersüchtige Königin Eleonore von Aquitanien, Heinrichs Frau, wollte das junge Mädchen töten lassen, diese wird bei einem Fluchtversuch von einem Pfeil getroffen... Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) war ein Schweizer Dichter des Realismus, der Novellen, Romane und lyrische Gedichte geschaffen hat.

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Conrad Ferdinand Meyer

Der Heilige (Historischer Roman)

Die Geschichte eines politischen Mord: Thomas Becket und Henry II. von England

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-3306-2

Inhaltsverzeichnis

I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII

I

Inhaltsverzeichnis

Langsam fallend deckte der Schnee das blache Feld und die Dächer vereinzelter Höfe rechts und links von der Heerstraße, die aus den warmen Heilbädern an der Limmat nach der Reichsstadt Zürich führt. Dichter und dichter schwebten die Flocken, als wollten sie das bleiche Morgenlicht auslöschen und die Welt stille machen, Weg und Steg verhüllend und das wenige, was sich darauf bewegte.

Jetzt erscholl auf dem Holzboden der bedachten Brücke, welche sich unfern der Stadt über den Sihlstrom legt, der dumpfe Hufschlag eines Pferdes, und unter dem Sparrenwerk der finstern, den Stadtmauern zugewendeten Öffnung erschien ein einsamer Reiter. Seine feste Gestalt war so warm in einen grobwollenen Mantel gewickelt und er hatte sich dessen Kapuze derart über den Kopf gezogen, daß von seiner Person kaum mehr als ein breiter grauer Bart zum Vorschein kam. Hart hinter dem starken Gaul von heimischer Rasse trabte mit beschneitem Rücken und melancholisch gesenkter Schweiffahne ein großer Pudel. Der polternde Widerhall des Hufes in der Holzwölbung weckte die drei Reisegefährten aus dem Halbschlummer, den Frost und Schnee über sie gebracht hatten, und stellte ihnen Tor und Herberge in nahe Aussicht. Ersteres wurde in raschem Trotte erreicht. Unter dem niedrigen Torbogen warf der Reiter seine Kapuze zurück, schüttelte die Flocken vom Mantel, rückte sich die Pelzmütze aus der energischen Stirn und ritt in guter, trotz der Last seiner Jahre kriegerischer Haltung durch den Rennweg, die erste am Fuße der kaiserlichen Pfalz sich hinziehende Straße.

Es war der drittletzte Tag des Jahres der Gnade 1191, denn der Reisende hatte die Gewohnheit, Zürich zwischen Weihnachten und Jahresende heimzusuchen.

Rechts, wo der Bäcker seine frischen Laibe ausgab, links, wo unter dem rußigen Vordach der Rollenschmiede der Amboß erdröhnte und die Funken sprühten, ward der Reiter auch heute, wie jederzeit bei seinem Einzug in Zürich, mit schallendem Zuruf als Hans der Armbruster, Hans der Engelländer bewillkommt. Die alemannischen Laute aber, in welchen er Gruß und Rede zurückgab, schlugen so rund und frank aus seinem Munde, daß sein zweiter Zuname kaum auf eine ferne Heimat zurückführte, sondern auf befriedigte Reiselust und kecke Wanderfahrt.

Auch gab der Reisende dem Herbergsvater zum Löwen, der bei ertönendem Hufschlag neugierig unter die Tür getreten war und, den Vorüberreitenden erkennend, sich von demselben, mit gezogener Kappe, Auskunft über das Verhalten des heurigen Schaffhausers im Keller erbat, so sachkundige und den Beteiligten verratende Antwort, daß unschwer zu erkennen war, wo Hans dem Engelländer heute sein Weizen blühe und sein Wein reife.

Bis hieher geschah alles, wie Hans der Armbruster die Stadt der Fürstin-Abtissin seit Jahrzehnten kannte. Eines aber befremdete ihn an diesem Tage, der kein Festtag war, und allgemach begann er sich darüber zu wundern. Von Frauen verkehrten sonst in dieser strengen Jahreszeit und frühen Stunde nur wenige vor dem Hause; heute aber überschritten sie eilfertig und geschmückt alle Schwellen; und als Meister Hans durch steil abfallende Gäßlein der Mitte der Stadt und den rasch dahinschießenden Wassern der Limmat sich zuwandte, als er über die untere Brücke und am Rathause vorüberritt, sah er es wie Ameisenzüge an beiden Flußufern aufwärts laufen. Häuflein folgte dem Häuflein. Frauen jeglichen Standes, hochmütige Edelweiber mit kostbaren Meßbüchern in der Hand, ehrbare Töchter des Handwerks, züchtige Klosterfrauen, hübsche Dirnen von leichtem Wandel eilten neben runzligen, hustenden Großmüttern, die das Oberkleid im Schneegestöber über die armen, grauen Häupter gezogen hatten. Alles strömte seewärts, wo am Ausfluß der Limmat wie zwei Behelmte die Münster stehen.

Doch – was bedeutete das? – nur eines derselben, das Münster unserer lieben Frau, ließ mit fliegenden Glocken seine dringende Einladung erschallen: das gegenüberliegende große Münster aber verharrte in einem mißbilligenden Schweigen.

Nachdenklich ritt der Armbruster, dem allgemeinen Zuge folgend, unter den Schwibbögen längs der Limmat hinauf der berühmten Herberge zu den Raben St. Meinrads entgegen, wo er alljährlich abzusteigen pflegte. Jetzt aber, unten am Hügel, wo weiland St. Felix und Regula geblutet haben, hielt er seinen Braunen an. Er hatte einen Blick in die steile Kirchgasse geworfen, die hier, vom Großmünster herabführend, ausmündet. Es bewegte sich darin, ihm entgegenschreitend und sorgsam die besten Stellen im schmelzenden Schnee aussuchend, die feine, ehrwürdige, in Marderpelz gehüllte Gestalt eines Chorherrn. Das unter dem schwarzen Barett blaß erscheinende Antlitz heftete sich mit schmerzlichem Ausdruck auf die genäßten Schuhe. So wurde er des Armbrusters nicht gleich gewahr, der sich rüstig vom Pferde geschwungen hatte, um den alten Herrn in bescheidener Stellung und trotz des noch immer dauernden Gestöbers mit entblößtem Haupte zu erwarten.

»Gottes und seiner Mutter Gnade zum Gruß, ehrwürdiger Herr«, sagte Hans der Engelländer, als der Greis neben ihm stand.

Leicht überrascht heftete dieser das kluge Auge auf den Grüßenden, und ein plötzlicher Gedanke leuchtete über seine durchsichtigen Züge, ein Gedanke offenbar erfreulicher Art, den er aber listig für sich behielt.

So sprach ihn denn der Armbruster zuerst und folgendermaßen an: »Gestattet, daß ich mich bei Euch erkundige, ob ich den edeln Herrn Kuno, Euern würdigen Bruder, im Stifte finden werde. Er schuldet mir eine Kleinigkeit für hergestellte Armbruste, ferner den Kaufpreis eines nach englischer Manier gebauten Stückes, das vor drei Jahren bestellt und geliefert wurde, was alles, nach meiner Übung, ich vor Neujahr einzuziehen trachte. Den vorletzten und letzten Christmond traf ich den edeln Herrn bei erschöpfter Kasse, da er mit dauerndem Unglück im Würfelspiel zu kämpfen hatte. Wie mag es wohl heuer um ihn stehen?«

»Das frage du ihn selber, nachdem du Imbiß bei mir gehalten hast!« erwiderte der Alte. »Er kehrt bei Zunachten ins Stift. Alle Brüder, Propst und Kapitel, sind auf die Jagd verritten, mich Alten, wie du siehst, ausgenommen. Ich gedachte meinen Ausgang dem neuen Heiligen zu widmen, dessen Marter und Wunder dort drüben« – er wies nach dem schlank aufsteigenden Chor des Fraumünsters – »zu dieser Stunde von einem geistreichen Luzernerpfaffen dem gläubigen Volke dargelegt werden und dessen Glorie meine darüber unbilligerweise empfindlichen Brüder für heute aus der Stadt vertrieb. Da jedoch mehr Neugier als Andacht meine Schritte lenkte und der Schnee des Himmels sie hemmt, so mag ich ohne Schaden meiner Seele umkehren.

Laß deinen Braunen in die Herberge zu den Raben führen! Dort steht der Stallknecht St. Meinrads wie eingepflanzt am Wasser und starrt nach der Frauen Münster hinüber! Dein Tapp, der hier trübselig im Schnee sitzt, mag sich an meinem Küchenfeuer wärmen. Aber bei St. Felix’ blutigem Haupte, ich kann nicht länger im Nassen stehen! In diesen Schneepfützen sitzt die tückische Hexe mit ihrer Zange, ich meine die böse Gicht, die mich diesen Winter gezwickt und erst vor kurzem losgelassen hat. Folge mir bald, Engelländer!«

Nach diesen geflügelten Worten schmiegte Herr Burkhard sich fröstelnd in seinen Pelz und begann, vorsichtig, wie er gekommen war, die feuchte Gasse wieder hinanzusteigen.

Hans aber rief den lungernden Knecht herbei und übergab ihm mit den Zügeln seines Gauls allerhand Aufträge und Weisungen an den Wirt und die Stammgäste des Hauses zu den Raben; denn dort sprach der Adel ein, und unter ihm hatte der Armbruster viele Kunden und Schuldner.

Dann schnallte er sein Felleisen von dem Rücken des Tieres, nahm das Gepäck unter den Arm und schritt mit Tapp, der sich nie von dem Eigentum seines Herrn trennte, die zum Stifte führende steile Gasse hinauf.

Die Einladung des Chorherrn kam ihm gelegen, denn Hans der Armbruster war ein sparsamer Mann.

II

Inhaltsverzeichnis

Der Wintertag blieb so dunkel, daß der schmale Wohnraum des Chorherrn, wo er seinen Gast bewirtete, mehr von der golden flackernden Flamme des Herdes als durch das einzige hochgelegene Bogenfensterchen erhellt wurde.

Während der Armbruster sein Mahl beendigte, hatte sich Herr Burkhard, der von feiner Körperlichkeit und mäßiger Lebensweise war, schon eine Weile in seinen mit weichen Vliesen überlegten Armstuhl versenkt und die pelzumhüllten Füße dem Feuer zugestreckt. Ein ebenfalls ergreister Schaffner räumte das Tischgeräte weg und stellte eine Kanne kräftigen Landweins mit zwei silbernen Bechern auf das Steinsims des Kamines.

Der Chorherr war offenbar in vergnügter Stimmung. Es ergötzte ihn, an diesem trüben Wintertage einen welt-und menschenkundigen, auch weitgewanderten Mann schnellen Geistes in sein Gelaß gelockt zu haben zur Befriedigung einer längst gehegten Neugierde. Das feingeformte Haupt mit seinen wenigen schneeweißen Locken lag auf dem roten Kissen der Lehne, mit geschlossenen Augen, aber dem wachen Ausdrucke des Triumphes über einen gelungenen Anschlag.

Jetzt öffnete er plötzlich einen leuchtenden Blick und sagte: »Gesegnete Mahlzeit, Hans! Wende deinen Stuhl und rücke zu mir. Du fragtest mich, wer der neue, von der Frau am Münster erhöhte, von uns Chorherren aber geschmähte Heilige sei. Über Tisch halte ich es nicht für heilsam, von kirchlichen oder gar himmlischen Dingen zu reden; aber nun bin ich da, um Auskunft zu geben. Der neue, von dem Heiligen Vater der Christenheit bescherte Fürsprecher im Himmel hat im selben Jahre mit mir das Licht der Welt erblickt. Schon das spricht gegen ihn. Es gilt von den Heiligen wie vom Weine: je älter, desto besser und wundertätiger. Wie dieser hier« – er schlürfte aus seinem Becher –, »das Blut unseres Bodens, mit unserem Blute verwandt ist und es seit undenklicher Zeit würzt und stärkt, ähnlich wirken unsere Heiligen St. Felix und Regula, über deren Leibern dieses Stift und diese Stadt erbaut sind. Geschlecht um Geschlecht haben sie als streitbare Nothelfer behütet. Wir sind ihnen und sie uns vertraut und verpflichtet. Mit ihrem Bild und Siegel machen wir, nach dem Vorgange unserer Väter, unser Tun und Lassen gültig. Ich will keine Hoffart damit treiben, daß sie nach ihrer blutigen Marter die abgeschlagenen Häupter urkundlich in den eigenen Händen von der Richtstätte am Limmatufer bis hieher getragen haben, vierzig Schritte bergan, obgleich ihnen das sicherlich keiner der abgeschwächten neuen Heiligen nachtut. Für mich kommt in Betracht, daß St. Felix und Regula ihren Glauben gegen einen heidnischen Kaiser mit ihrem Blute bezeugt und nicht gegen einen christlichen König und Lehensherrn sich überhoben und aufgelehnt haben wie dieser neue Heilige von meinem Jahrgang.

Solcher gerechten Erwägungen aber sind die Köpfe unserer Frauen vom fürstlichen Stifte nicht fähig! Da mußte ihnen unter andern kostbaren Schriftstücken ein Pergament zukommen, worauf das Leben und die Marter meines Altersgenossen beschrieben und verherrlicht ist. Die heiligen Akten wurden zur Erbauung während der Mahlzeit vorgelesen, und von Stund an konnten die Gedanken der edeln Frauen nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie trieben offen und heimlich daran, daß der Tag dieses Märtyrers auch bei uns feierlich begangen werde.

Den Weibern gefällt das Neue und Fremdländische.

Der Rat unserer Stadt war aus genannten Gründen der Sache abhold und hätte sie auch wohl verhalten, wäre den Frauen nicht eine Güte des Himmels zu Hilfe gekommen.

Verwichenen Herbstmonat bei der langen Dürre geriet der Abtei eine Scheune voll Heu neben ihrem großen Gehöfte zu Wiedikon in Brand. Der Föhn jagte die Flamme gerade auf das Meierhaus zu, das zu rauchen begann und verloren schien. Da ließ die mächtig fromme Kusterin, Frau Berta, die eben zugegen war, durch den Meier und seine Söhne den schweren Schiefertisch vor das Haus schleppen, zog eine Kreide aus der Tasche und schrieb mit armlangen Buchstaben auf die Platte:

Sancte Thoma, steh uns bei!

Was geschah? Blickte der Heilige vom Himmel herunter und las? Dem sei wie ihm wolle, der Wind wandte sich augenblicklich, das Scheuerlein fiel in erlöschenden Schutt zusammen, und die Meierei war gerettet. Jetzt langte die Hilfe aus der Stadt an. Hier stand der Tisch, dort verkohlte der Trümmerhaufen – das Wunder und der Heilige waren nicht weiter anzufechten.

So ist es gekommen, daß wir heute sein Fest feiern, den Tag, daß ich’s zu sagen nicht vergesse, des heiligen Thomas von Canterbury.«

Nach dieser ausgiebigen Rede ergriff der Chorherr seinen Pokal, tat ein paar kleine Züge, und, die Kanne ergreifend, sah er sich nach seinem Zuhörer um, dessen Becher er auffüllen wollte. Hans, der auf einem Holzschemel am Feuer saß, gab keinen Laut von sich. Etwas Seltsames war mit ihm vorgegangen. Im Anfang war er, die Ellenbogen auf die Knie stützend und das gesenkte Haupt in die Hände gelegt, der Erzählung des Chorherrn mit Aufmerksamkeit gefolgt. Herr Burkhard hatte den Namen des Heiligen absichtlich bis zuletzt verschwiegen, doch der Armbruster mochte ihn schon früher erraten haben. Er blieb jetzt unbeweglich, wie in sich selbst zusammengebrochen, und es war, als schüttle ein Schauder seine Glieder. Der Chorherr schenkte ihm den Becher voll und betrachtete ihn mit Blicken der Teilnahme und etwas durchschimmernder Schadenfreude.

»Halt ich dich endlich, schlauer Mann!« begann er wieder. »Bei den blutigen Zöpfen der heiligen Regula, heute, Armbruster, trittst du mir nicht über die Schwelle zurück, ohne mir von St. Thomas von Canterbury erzählt zu haben, was du weißt, und ganz andere Dinge, als der Luzernerpfaffe unserer gnädigen Frau drüben im Stift aufbindet oder als in dem Pergamente stehen, das mir die edle Herrin zur Gesundung meiner Seele geliehen hat. Du bist dem Heiligen zu seinen Lebzeiten begegnet, das wirst du mir nicht leugnen! Ich habe es selbst gehört, wie du meinen Brüdern, den Chorherren, es mag sich jetzt gerade verjähren, in unserer Trinkstube mit lauter Stimme – denn sie hatten dir mit dem Becher stark zugesetzt – und gewaltigen Gebärden dartatest, daß du an König Heinrich gehaftet habest wie der Knopf am Wamse, ja wie die Haut am Leibe. Du gerietest in lodernden Eifer; denn die Herren hatten in Zweifel gezogen, daß König Heinrich bei jener unseligen Krönung seines ältesten Sohnes Tränen der Freude vergossen habe. Du riefest: ›Ich habe sie rieseln sehen!‹ und verschwurest dich bei deiner Seelen Seligkeit. Ich, der gerade eintreten wollte, um einen geselligen Becher zu trinken, denn ich war noch um das jünger, und dich deine Geschichte beteuern hörte, ich glaubte dir, denn du bist kein Prahler. Bist du aber immerdar um König Heinrich gewesen, hast ihm Gewand und Becher gereicht, sein Lachen und Weinen gekannt, wie du versichertest, so mußt du auch den Mann gekannt haben, der ihm Leib und Seele zerstört hat, sei es, während er als Kanzler ihm zu Diensten war, sei es später, da er als heiliger Bischof, sein Feind und sein Opfer, ihn zur Verzweiflung und ins Verderben trieb. Am Ende, Unglücklicher, warest auch du unter jenen, die dem Heiligen zu seinem Martertode geholfen haben. Doch nein! In dem Pergamente der Äbtissin steht geschrieben, wie die Mörder des Heiligen durch ihre Sünde dergestalt entmenscht wurden, daß es der ganzen Schöpfung vor ihnen graute und selbst ihre Leibhunde den Bissen aus ihrer Hand verabscheuten. Tapp aber« – er wies auf den zwischen den Knien des Armbrusters sich aufmerksam hervordrängenden Pudelkopf – »nimmt, wie ich gesehen habe, alles, was du ihm reichst.«

»Der gnädige Gott hat mich davor behütet«, murmelte Hans; »aber den Heiligen – ja – ich habe ihn gekannt, so gut als ich Euch kenne, Herr Burkhard. Und dabei bin ich auch gewesen, wenn Ihr es doch wissen wollt, als ihm der Wilhelm Tracy vor dem Hochaltare den Schädel einschlug. Und sein Lächeln sehe ich noch, das – Gott genade mir – heilige Hohnlächeln, mit dem er verschied, als erwiesen ihm seine Henker gerade einen Liebesdienst. O Herr, das sind schwere, unerforschliche Geschichten!«

»Erzähle, Hans«, rief der Chorherr mit zitternder Lebendigkeit und richtete sich, die alten Hände auf die Armlehnen stützend, begierig in seinem Stuhl in die Höhe.

Der Armbruster schürte schweigend das Feuer und faßte seine Gedanken zusammen. Seine festen eckigen Züge waren finster geworden, und seine funkelnden Augen sannen. Offenbar schien ihm billig, den Wunsch seines Gastfreundes zu erfüllen; aber ungerne tat er es. Denn jene Ereignisse, staunenswert und unbegreiflich nicht nur für die Fernstehenden, sondern auch für die Mithandelnden, waren der wichtigste Teil seiner eigenen Geschichte, die es dem verschlossenen Manne zu erzählen schwer wurde, und griffen in Tiefen seiner Seele hinunter, wo sein Empfinden zwiespältig wurde und seine Gedanken wie vor einem Abgrunde stehenblieben.

Er äußerte sich mit behutsamen Worten: »Ihr mögt leichtlich besser Bescheid wissen, Herr Burkhard, in dem, was meines Herrn Königs Fürstenhändel und Taten im Weltlauf betrifft; was aber den Wandel und die Natur seiner Person angeht – und des Thomas Becket Menschenantlitz auch« – fügte er scheu und leise hinzu –, »so habe ich wahrlich vor einem Jahre in jener trunkenen Nacht nicht geprahlt, als ich mich berühmte, sie zu kennen, obwohl ich, heilsamer für mich, davon geschwiegen hätte. Noch jetzt, Herr, brauch ich nur die Augen zu schließen, um den König wie den Priester leibhaft vor mir zu sehen. Lieblich ist der Anblick nicht, wie der dieser langen ruhigen Gesichter, welche Eure Stadtheiligen hier in den Händen tragen!« und er wies auf das Mittelbild eines farbig gewirkten Teppichs, der die Mauer bekleidete. »Viele Jahre lang, nachdem ich aus Engelland heimgekehrt war, hatte ich während des Tages in Gedanken und des Nachts im Traume mit jenen zwei unglücklichen Herren zu schaffen. Am Tage mußte ich mir die sanften, spitzfindigen Reden des einen, die leichtfertigen Scherze, harten Drohungen und verzweiflungsvollen Zornworte des andern ohne Unterlaß wiederholen und war gezwungen, darüber nachzusinnen, wie unabwendbar beider Verderben sich daraus entwickelte. Des Nachts sah ich sie aufeinanderstoßen mit Rauch und Feuer, wie der Apostel Hans in seiner Offenbarung schreibt, und keines meiner Weiber – ich habe deren etliche geehlicht und begraben – konnte es dann unterlassen, mich mit Angst und Grauen aus dem Schlafe zu rütteln. Denn, Herr, es ist etwas anderes, wenn Könige und Heilige gegeneinanderfahren, als wenn in unseren schwäbischen Trinkstuben geschrien und gestochen wird. Wohlan, ich will Euch von diesen Geschichten erzählen, obwohl es ein schlimmes Ding ist und schwierig zu bewältigen; aber ich darf den Wunsch meines Gastfreundes nicht unerfüllt lassen« schloß der Armbruster mit einem grimmigen Lächeln.

»So tue, wie du verheißest«, sagte der Stiftsherr und legte sich mit erwartungsvoll angeregten Mienen in seinen Sessel zurück.

III

Inhaltsverzeichnis

»Ich rede nicht gerne von meiner Jugend« – begann Hans der Engelländer seine Erzählung –, »und meine Gedanken weichen ihr aus, wenn ich nicht vor den heiligen Festen, um mich vor Gott und seiner heiligen Mutter zu demütigen, sie aus dem Dunkel emporsteigen lasse, oder wenn nicht ein Neider und Widersacher mir dieselbe böswillig in meinen alten Tagen gegen die Zähne wirft.

Lieber Herr« – und der Armbruster tat einen tiefen Seufzer –, »sie ist eine unehrliche und befleckte. Dennoch muß ich damit Euch und mir zur Last fallen, denn mein armer Lebenslauf läßt sich von dem des Heiligen und des Königs nicht trennen, wenigstens in meinem alten Kopfe nicht. Ihr müßt wissen, ich bin aus einem edeln Geschlechte, und wenn Ihr Hohenklingen oder Hohenkrähen sagt, so nennet Ihr zwar nicht mein Stammhaus, das in Schutt versunken ist, aber sein Name lautete ähnlich, und es lag, wie jene festen Häuser, unweit vom Bodan und vom Rhein. Schon mein Vater war schwer verschuldet und – warum, das weiß Gott – von seiner Sippe gescheut und gemieden, als er, um seinen Gläubigern zu entgehen und um seine Seele zu retten, sich das Kreuz anheftete und nach dem Gelobten Lande zog, aus welchem er nicht zurückkehrte. Mein Mütterlein schleppte seit meiner Geburt einen siechen Leib und weinte sich die Augen blind, als mein älterer Bruder nicht in ritterlicher Fehde, sondern in bösem Raufhandel um Dein und Mein erschlagen wurde; denn wir halfen uns, wie wir konnten, und lauerten an den Wegen, wo etwas vorüberkam. Bei meiner Sippe suchte ich weder Rat noch Hilfe, ich hätte dort keine gefunden. Die einzigen Freunde waren mir meine Armbrust und meine Hunde, mit denen ich zu Walde zog; aber ich selbst ward wie ein Wild gehetzt von einem bösen Feinde, den ich wie den Teufel haßte. Das war der Jude Manasse, der in Schaffhausen saß und auf Zinsen lieh. Ihm hatte mein Vater seinen Burgstall und seine wenigen Äcker verpfändet. Nun begab es sich, daß mich meine Mutter zu dem Juden schickte, um Aufschub zu verlangen, aber keine Barmherzigkeit war bei dem Wucherer zu finden. Da erfaßte mich plötzlich eine große Kümmernis und ein Erbarmen mit meinem siechen Mütterlein und auch mit dem blutigen Leiden unseres Heilandes, den die Juden grausam gemartert haben, und ich schlug den Manasse hart mit Fäusten, daß er starb. Gott rechne mir diesen Mord nicht zu! Als ich ihn beging, war ich, wenn auch schon von Mannesgestalt und Stärke, noch ein Kind und dazu von weicher und heftiger Gemütsart. Der Jude indessen hatte in der Stadt und unter dem umliegenden Adel viele Freunde, und ich wäre verloren gewesen ohne die geöffnete Klosterpforte von Allerheiligen. Und da ich froh sein mußte, daß sie sich fest hinter mir schloß, wurde ich unverhofft geistlich und nach Jahresfrist ein Mönch. In alledem hatte ich aufrichtig gehandelt und war kein Falsch an mir gewesen; aber ich taugte schlecht zum Mönche und hatte den Wuchs meiner Natur und das Erdreich ihres Gedeihens nicht vorausgekannt. Mißversteht mich nicht, Herr! Nicht das sündige Blut unserer Stammeltern allein meine ich, sondern mehr noch den zündenden Funken, der aus der Schöpferhand Gottvaters in den Ton, aus welchem ich geformt bin, herübergesprungen ist, das ist: Kraft, Verstand, Unternehmung, Baukunst und Wanderlust. Aber von menschlicher Kunst und Wissenschaft war zu Allerheiligen nichts zu lernen als der Poet Virgilius, den ich auch heute noch großenteils auswendig weiß.

Der Prior rühmte an diesem Poeten, daß er ein frommer Heide gewesen und Gott ihm zum Lohne seiner Tugenden prophetische Kraft eingehaucht, so daß in seinen Versen die hochgelobte Mutter mit dem Kinde sich spiegle und deutlich zu erkennen sei. Daher kam es, daß die Rolle, aus der ich lernte, ganz von Messerstichen durchlöchert war. In der Johannisnacht, da ich von Allerheiligen schied und bevor ich den Sprung über die Mauer tat, habe auch ich hineingestochen zu dreien Malen, nach inbrünstiger Anrufung der drei heiligen Namen, und die Worte getroffen: sagittas, calamo, arcui. Und Virgilius hatte wahr gesprochen: mit Pfeil und Bogen hab ich all mein Lebtag zu tun gehabt.

So genoß ich denn meiner raschen Füße wieder und eilte durch das Waldgebirg dem Elsaß zu, den großen Bogen des Rheines mit einer geraden Linie abschneidend. Gegen Mittag kam ich vor einem festen Orte auf eine Wiese, wo von allerlei Volk ein Bogenschießen abgehalten wurde. Ich war schon unterwegs wie berauscht von dem Odem der Erde und der Lust, meine Glieder zu brauchen, und da ist es nicht zu verwundern, daß ich mir in dem Lustlager und Getümmel der Schießenden von den ausgelassenen Gesellen, die der verlaufene Mönch ergötzte, einen Bogen in die Hand geben ließ und dann, mit vorgestrecktem Fuße Stand fassend, Schuß um Schuß ans Ziel schickte. Mein Blick, sei Euch gesagt, ist scharf und sicher von Natur und hat mich von Kindheit an nie betrogen.

Ich glaube, daß sie mich, der den Becher verlernt hatte, trunken machten, daß ich in der Glut die Ärmel aufstreifte und die Kutte bis an die Schenkel schürzte, und mir steht dunkel und ärgerlich vor Augen, daß ich zuletzt unter Spott und Gelächter mit nackten Armen und Beinen im Narrentriumphe herumgetragen wurde.

Am frühen Morgen, in der Knechtstracht, die mir ein guter Gesell geschenkt, weiter wandernd, betrachtete ich nicht ohne Scham den Stand meiner Dinge. Ein beflecktes Wappen lag rechts und eine zerrissene Kutte links hinter mir am Wege. Nichts blieb mir als das Handwerk, und ich suchte mir eines, das mich von ritterlichen Leuten und Dingen nicht ganz entferne und seinen Mann ernähre in Kriegs-und Friedenszeiten. Da erhellte sich mir die Losung des Virgilius, und ich beschloß, ein Bogner und Armbruster zu werden. Aller Anfang ist schwer, lieber Herr; und neben den müßigen Gewöhnungen des Wegelagerers und des Mönches hatte ich noch viel Torheit eines weichen Herzens zu überwinden. Ich mußte zu festem Stande kommen; denn, ob ich schon einen Juden getötet und ein Klostergelübde gebrochen, so hätte mich doch mein frommes Gemüt fast in eine dritte Missetat gestürzt. Dies will ich Euch noch erzählen – vom übrigen werde ich kurz sein.

Ich war, gen Straßburg wandernd, unter eine Bande von fahrenden Schülern geraten, und wir zechten in einer Schenke gegenüber den Mauerwerken und Turmspitzen der berühmten Stadt. Da fiel mir ein, wie mein Mütterlein mir weiland viel geredet hatte von einer frommen Muhme, die in einem Straßburger Kloster ein heiliges Leben geführt und deren Fürsprache im Himmel sie, wenn das Wasser des Elends ihr bis an den Mund stieg, mit Nutzen anzurufen pflegte. Solches dachte ich auf meinen irrenden Wegen auch zu tun. Also ging ich einen der Fahrenden, der ein helles offenes Gesicht hatte und, wie er sagte, die Stadt von früher her wohl kannte, mit freundlichen Worten an, ob er mir das Kloster nicht weisen könne, wo meine Muhme Willibirg im Geruche der Heiligkeit gestorben sei.

›Lieber‹, antwortete er, ›siehest du dort den achteckigen Turm mit dem farbigen Dache? Und daneben das lange Gebäude an der Stadtmauer? Dort hat deine Muhme gewaltet.‹