Der Herr des Wüstenplaneten - Frank Herbert - E-Book

Der Herr des Wüstenplaneten E-Book

Frank Herbert

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was sind Gesetze? Versuche, die Raubtiernatur des Menschen zu sozialisieren?

Paul Atreides, genannt Muad’dib, ist in der extrem menschenfeindlichen Wüste Arrakis‘ aufgewachsen und durch die harte Schule der Fremen gegangen. Die Wüstenbewohner haben ihn zu ihrem Propheten ernannt und folgen ihm bedingungslos. Sein Kampf um den Planeten entzündete den Djihad, der jetzt wie ein Sturmwind durch die Galaxis fegt. Pauls neues Imperium und seine Machtfülle ruft Neider auf den Plan, die seine Herrschaft brechen wollen. Und so mischen sich unter die Pilger, die nach Arrakis kommen, um den Erlöser zu sehen, Attentäter, menschliche Zeitbomben …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 377

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



FRANK HERBERT

 

 

 

DER HERR

DES

WÜSTENPLANETEN

 

DER WÜSTENPLANET

ZWEITER ROMAN

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Titel der Originalausgabe

DUNE MESSIAH

Aus dem Amerikanischen von Ronald M. Hahn

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1969 by Frank Herbert

Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

ISBN 978-3-641-13958-2V003

www.penguinrandomhouse.de

 

PROLOG

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

EPILOG

 

PROLOG

 

 

Der Planet Arrakis ist eine Welt ausgedehnter und lebensfeindlicher Wüsten. Nur die nördliche Polarregion bietet Raum für Leben; doch dieses Leben muss der erbarmungslosen Umwelt in täglichem hartem Kampf abgerungen werden. In den Gebräuchen der Bewohner, den in lockeren Stammesverbänden nomadisierenden Fremen, spielt der Wassermangel eine beherrschende Rolle. Gigantische Sandwürmer und verheerende Stürme sind ihnen eine ständige Bedrohung, und das mörderische Klima zwingt sie, ihr Leben in feuchtigkeitsbewahrenden Destillanzügen zuzubringen. Einziger Exportartikel des Planeten ist die Melange, eine von den Sandwürmern erzeugte Droge. Diese auch »Gewürz« genannte Substanz wirkt lebensverlängernd und kann dem Kundigen, wenn er sensibel genug ist, gewisse seherische Fähigkeiten verleihen.

Paul Atreides war der Sohn eines kleinen Feudalherrn, der die Herrschaft über Arrakis an sich gebracht hatte. Als sein Vater in einem Krieg gegen das rivalisierende Geschlecht der Harkonnen getötet wurde, floh Paul mit seiner schwangeren Mutter Jessica in die Wüste. Sie war eine Eingeweihte, ausgebildet von den Bene Gesserit, einer weiblichen Ordensgemeinschaft, die sich geistige und körperliche Vollkommenheit sowie die Reinerhaltung und Kontrolle gewisser Abstammungslinien zum Ziel gesetzt hatte. Nach ihrer Meinung gehörte Paul einer Linie an, die den Messias der Zukunft hervorbringen sollte: den Kwisatz Haderach.

Paul erkämpfte sich seinen Platz unter den Wüstennomaden. In einem ihrer Rituale nahm er eine Überdosis Drogen, die zu einer bleibenden Bewusstseinsveränderung führte, weil er von da an seherische Zukunftsvisionen hatte. Auch seine Mutter nahm die Droge und versuchte, die Wirkung mit den Methoden der Bene Gesserit zu kontrollieren. Die Folge davon war, dass Pauls Schwester Alia schon als Ungeborene zur Teilhaberin allen Wissens wurde, das ihre Mutter besaß, und bei der Geburt bereits voll erkenntnisfähig war.

Mit der Zeit stieg Paul zum anerkannten Führer der Wüstenbewohner auf. Er nahm ihre Sitten an und heiratete ein Mädchen aus ihren Reihen: Chani. Aber er war nach Grundsätzen ausgebildet und erzogen, die nicht die ihren waren, und er gab ihnen eine Organisation und ein Sendungsbewusstsein, wie sie es bisher nicht gekannt hatten. Auch plante er, das Klima des Planeten zu verändern, mit einem Projekt, das der Erste Planetare Ökologe Pardot Kynes ausgearbeitet hatte.

Bevor seine Pläne gereift waren, griffen die Harkonnen Arrakis und seine Hauptstadt Arrakeen erneut an. Obwohl sie ihre für unbesiegbar geltenden Sardaukar-Truppen einsetzten, unterlagen sie in einer entscheidenden Schlacht gegen die einheimischen Fremen unter Paul Atreides.

Mit seinem Sieg gewann Paul Atreides eine Machtbasis, die ihn zur Errichtung eines sternenweiten Imperiums verleiten sollte. Im Zuge dieser Expansionspolitik nahm er die kaiserliche Erbfolgerin Irulan zur Gemahlin, weigerte sich dann allerdings, die Ehe zu vollziehen, und hielt Chani die Treue.

In den folgenden zwölf Jahren schuf er sein Imperium. Doch nun beginnen die alten Machtgruppen sich neu zu formieren und verschwören sich gegen ihn und gegen die Legende von Muad'dib, wie er von den Fremen genannt wird ...{1}

Auszüge aus dem Interview in der Todeszelle mit Bronso von Ix

 

F: Welche Beweggründe führten dazu, dass Sie Ihre Ansichten über Muad'dibs Bild in der Geschichte änderten?

A: Welche Beweggründe sollte ich haben, Ihre Fragen zu beantworten?

F: Weil ich Ihre Worte für die Nachwelt erhalten werde.

A: Ah! Kann es für einen Historiker etwas Erstrebenswerteres geben?

F: Dann sind Sie also bereit, zu kooperieren?

A: Warum nicht? Auch wenn Sie trotzdem niemals meine Beweggründe, die Geschichte anders zu sehen, verstehen werden. Niemals. Ihr Priester ... für euch steht einfach zuviel auf dem Spiel, als dass ihr ...

F: Lassen Sie es auf einen Versuch ankommen.

A: Einen Versuch? Na gut. Warum auch nicht. Auch ich teilte einst jenen oberflächlichen, allgemeingültigen Standpunkt, von dem aus man den Wüstenplaneten sah. Wir alle sahen in Arrakis lediglich den Wüstenplaneten und den Geburtsplaneten des Volkes der Fremen. Unsere Ansichten basierten auf den Sitten, die aus der Wasserknappheit erwachsen, und der Tatsache, dass die Fremen, in Destillanzüge gehüllt, die den größten Teil ihrer Körperfeuchtigkeit wieder nutzbar machten, ein halbnomadisches Leben führten.

F: Entspricht das etwa nicht den Tatsachen?

A: Oberflächlich gesehen ja. Aber wir mussten ignorieren, was unter dieser Oberflächlichkeit verborgen lag. Es war so, als unternähme man den Versuch, meinen Heimatplaneten Ix zu verstehen, indem man lediglich davon ausginge, dass sein Name deswegen Ix sei, weil er der neunte Planet seiner Sonne ist. Nein ... nein. Es reichte für mich nicht aus, den Wüstenplaneten lediglich als eine Welt wilder Stürme zu sehen und über die Bedrohung zu reden, die die gigantischen Sandwürmer darstellen.

F: Aber diese Prämissen sind wichtige Details, will man den Charakter Arrakis' richtig beurteilen.

A: Wichtige Details? Natürlich sind sie das. Aber wenn das ausschließlich die Details sind, anhand derer man einen Planeten beurteilen darf, verschleiern sie den Blick. Immerhin stellt der Wüstenplanet die Quelle und exklusive Fundstätte des Gewürzes Melange dar.

F: Ja. Lassen Sie mich Ihre Ansichten über das Heilige Gewürz hören.

A: Heilig! Wie alle geheiligten Dinge, tendiert auch dieses dazu, mit der einen Hand zu geben und mit der anderen zu nehmen. Das Gewürz beeinflusst das Leben derjenigen, die es nehmen. Es erlaubt ihnen, in die Zukunft zu sehen und macht sie gleichzeitig zu Süchtigen, die gezeichnet sind. Es verfärbt die Augen, bis sie aussehen wie die Ihren: Blau in blau, ohne jedes Weiß. So werden die Organe des Sehens Dinge ohne Kontrast. Sie erlauben nur noch den Blick in eine bestimmte Richtung.

F: Es waren Ketzereien dieser Art, die Sie in diese Zelle brachten!

A: Es waren Priester, die mich in diese Zelle brachten. Und wie alle Priester, so haben auch Sie als erstes gelernt, die Wahrheit mit dem Wort ›Ketzerei‹ zu übersetzen.

F: Sie sind hier in dieser Zelle, weil Sie es wagten zu sagen, dass Paul Muad'dib, bevor er zu einem Fremen wurde, etwas Wesentliches von seiner Menschlichkeit verloren habe.

A: Gar nicht zu reden davon, dass er in dem Krieg gegen die Harkonnens hier seinen Vater verlor. Und Duncan Idaho, der sein Leben opferte, um Paul und Lady Jessica die Flucht zu ermöglichen.

F: Der Zynismus Ihrer Worte entgeht mir nicht.

A: Zynismus! Das ist ohne Zweifel ein noch größeres Verbrechen als Ketzerei. Aber sehen Sie, ich bin wirklich kein Zyniker. Ich stelle lediglich einen Beobachter und Kommentator dar. Und ich sehe auch jetzt noch wirkliche Größe in Pauls Verhalten, als er mit seiner schwangeren Mutter in die Wüste hinaus flüchtete. Aber man sollte eben nicht vergessen, dass sie für ihn nicht nur einen Gewinn, sondern auch eine Last darstellte.

F: Das Schreckliche an euch Historikern ist, dass ihr die Dinge nie so stehen lassen könnt, wie sie sich euch darbieten. Natürlich erkennt ihr die Heiligkeit Paul Muad'dibs an, aber ihr könnt es euch dennoch nicht verkneifen, diese Tatsache mit einer bissigen Anmerkung in Zweifel zu ziehen. Es wundert mich an sich gar nicht mehr, dass sogar die Bene Gesserit dazu übergehen, euch zu denunzieren.

A: Ihr Priester werdet euch auf jeden Fall mit ihnen gut verstehen. Auch die Bene Gesserit haben nur bis auf den heutigen Tag überlebt, weil sie ihre wahren Ziele vor der Öffentlichkeit verbergen. Aber sie werden nicht verleugnen können, dass Lady Jessica eine ihrer Schülerinnen ist. Und selbst Sie wissen, dass sie ihrem Sohn die Ausbildung der Schwesternschaft angedeihen ließ. Mein Verbrechen bestand darin, dieses Phänomen zu diskutieren, mich über ihre geistigen Fähigkeiten und ihr genetisches Programm auszubreiten. Und ihr wollt natürlich verhindern, dass man die Tatsachen erfährt, dass nämlich Muad'dib ein Produkt der Erziehung der Bene Gesserit ist; und dass er, bevor ihr ihn zu eurem Propheten machtet, als der langerwartete Kwisatz Haderach der Schwesternschaft galt.

F: Hätte ich bis jetzt noch den geringsten Zweifel an Ihrer Schuld gehabt, so wäre er jetzt zerstreut.

A: Auch ich kann nur einmal sterben.

F: Dennoch gibt es den Tod in vielerlei Gestalt.

A: Sie sollten darauf achten, dass Sie aus mir nicht doch noch einen Märtyrer machen. Ich glaube nicht, dass Muad'dib ... Sagen Sie, weiß er eigentlich, was in diesen Kerkern vor sich geht?

F: Wir belästigen die königliche Familie nicht mit derlei Trivialitäten.

A: (lacht) Und dafür hat sich Paul Atreides seinen Platz unter den Fremen erkämpft! Dafür also hat er gelernt, einen Sandwurm zu bezwingen und zu reiten! Ich sehe jetzt, dass es ein Fehler war, Ihre Fragen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

F: Ich werde mein Versprechen, Ihre Worte der Nachwelt zu überliefern, dennoch halten.

A: Werden Sie das wirklich? Dann hören Sie mir genau zu, Sie degenerierter Wüstenmann, Sie Angehöriger jener Kaste, die nur sich selbst als Götter anerkennt: Ihr werdet eines Tages eine Menge Fragen zu beantworten haben. Es war das Ritual der Fremen, das Paul Muad'dib einst der ersten Melangedosis aussetzte. Dies führte dazu, dass sich die Zukunft in Visionen vor ihm öffnete. Und es war das gleiche Ritual, welches das Bewusstsein Alias, der ungeborenen Tochter Lady Jessicas, bereits im Mutterleib erwachen ließ. Können Sie sich vorstellen, was es für ein ungeborenes Kind bedeutet, plötzlich in das Universum der Bewusstheit geschleudert zu werden und das gesamte Wissen und die Erfahrungen seiner Mutter zu teilen? Nicht einmal die brutalste Vergewaltigung könnte schrecklicher sein!

F: Ohne das Heilige Gewürz wäre Muad'dib niemals zum Führer aller Fremen geworden. Und ohne die gleiche Heilige Erfahrung würde Alia nicht Alia sein.

A: Und ohne die blinde Grausamkeit der Fremen wären Sie niemals zu einem Priester geworden, ich weiß. Ah, ich kenne euch Fremen. Ihr glaubt, dass Muad'dib der eure ist, weil er eure Sitten anerkennt und mit Chani zusammenlebt. Aber in erster Linie ist er ein Atreides und ein Schüler der Bene Gesserit. Er besitzt Fähigkeiten, die euch völlig unbekannt sind. Ihr lebt in dem Glauben, er habe euch eine neue Organisation gebracht und eine Mission gegeben. Er versprach, eure Welt in ein wasserreiches Paradies zu verwandeln. Und während er euch mit derartigen Träumen betrunken machte, nahm er euch eure Unschuld!

F: Auch diese ketzerischen Worte ändern nicht die Tatsache, dass die ökologische Umwälzung Arrakis' fortschreitet.

A: Meine Ketzerei bestand darin, dass ich nach den Gründen dieser Umwälzung fragte und auf die Konsequenzen hinwies. Die Schlacht, die auf der Ebene von Arrakeen stattfand – sie hätte dem Universum zeigen können, dass die Fremen dazu fähig waren, die kaiserlichen Sardaukar-Truppen zu schlagen. Aber was lehrten sie es wirklich? Als aus dem Interstellaren Imperium des Hauses Corrino das Imperium der Fremen unter Muad'dib wurde, was geschah da in Wirklichkeit mit ihm? Obwohl der Djihad zwölf lange Jahre dauerte, offenbarte er nichts. Doch nun sieht das Imperium, dass durch die Heirat Muad'dibs mit Prinzessin Irulan nichts weiter als ein Kuhhandel sanktioniert wurde.

F: Sie wagen es ...?

A: Auch wenn Sie mich dafür umbringen lassen: Das, was ich sagte, war keine Ketzerei. Die Prinzessin wurde zwar mit Muad'dib verheiratet, aber sie ist nicht seine Frau. Das ist Chani, das Fremenmädchen. Jeder weiß dies. Irulan stellte für ihn nichts anderes als den Schlüssel zum Thron dar.

F: Es ist nicht zu übersehen, dass jene, die gegen Muad'dib konspirativ tätig sind, ebenfalls Ihre Geschichtsanalyse als Gegenargument missbrauchen.

A: Ich will das nicht leugnen. Ich weiß es selbst. Aber die Argumente der Konspirativen existierten bereits, bevor ich meine Analyse verbreitete. Der zwölfjährige Djihad Muad'dibs trug zum Entstehen der Gegenargumentation bei. Ihre Argumente sind es, die die Machtgruppen der Vergangenheit einigen und die Grundvoraussetzung der Konspiration erfüllen, nicht meine Analyse.

1

 

Die Zahl der Mythen und Legenden um den Herrscher Paul Muad'dib und seine Schwester Alia ist so groß, dass die wirklichen Personen hinter diesem Schleier kaum noch auszumachen sind. Aber es gab einen Mann, der als Paul Atreides, und eine Frau, die als Alia Atreides geboren wurde. Ihr Fleisch war Raum und Zeit unterworfen. Und wenngleich ihre orakelhaften Kräfte sie jenseits der gewöhnlichen Grenzen von Raum und Zeit stellten, entstammten sie doch menschlichem Geschlecht. Sie erlebten wirkliche Ereignisse, die in einem wirklichen Universum wirkliche Spuren hinterließen. Um sie zu verstehen, muss gesehen werden, dass ihre Katastrophe die Katastrophe der ganzen Menschheit war. Dieses Werk ist darum nicht dem Muad'dib oder seiner Schwester gewidmet, sondern ihren Erben – uns allen.

 

»Widmung der Muad'dib-Konkordanz«

herausgegeben von der geistlichen

Kommission der Mahdi-Bruderschaft

 

 

Muad'dibs Herrschaft brachte mehr Historiker hervor als die meisten anderen Epochen der Menschheitsgeschichte. Viele von ihnen vertraten gegensätzliche Standpunkte und verbreiteten eifersüchtige und sektiererische Thesen, aber gerade dies sagt etwas über die eigentümliche Wirkung dieses Mannes auf seine Zeitgenossen aus.

Muad'dib, als Paul Atreides Abkömmling einer alten Adelsfamilie, wurde von Kindheit an dem mehrstufigen Prana-Bindu-Training unterworfen, dessen Ziel absolute Beherrschung von Muskeln und Nerven ist. Damit nicht genug, war er ein Mentat, ein Intellekt, dessen systematisch ausgebildete Logik und Abstraktionsfähigkeit die Leistungen der in alter Zeit gebräuchlichen und später geächteten mechanischen Computer übertraf.

Vor allem aber war Muad'dib der Messias, den die Schwesternschaft der Bene Gesserit seit vielen Generationen gesucht und durch ihr Zuchtprogramm heranzuziehen versucht hatte.

Dieser Messias, dieser Prophet, dieser Mann, durch den die Bene Gesserit das Menschheitsschicksal zu beherrschen hofften – dieser Mann wurde Muad'dib, Begründer und Herrscher eines Reiches, Nachfolger des geschlagenen Kaisers Shaddam IV., mit dessen Tochter er eine Vernunftehe einging.

Es kann nicht überraschen, dass eine solche Konstruktion von Anfang an den Keim des Misserfolgs in sich trug. Zu zahlreich und zu warnend sind die historischen Beispiele vergangener Zeitalter. Erstaunlich erscheint dem nüchternen Betrachter allenfalls die tiefe Naivität eines genialen Mannes, der, den seherischen Blick in die Zukunft gerichtet, die Lehren einer vieltausendjährigen Geschichte übersah und in seiner Eigenschaft als Reichsgründer mit fast zwanghaft anmutender Folgerichtigkeit die Fehler der alten feudalen Alleinherrscher wiederholte – bis hin zum unausweichlichen Ende. Seine hinreichend bekannten Siege und politischen Entscheidungen seien an dieser Stelle nur erwähnt, weil sie mit gespenstischer Deutlichkeit die Parallelität in den Entwicklungen feudaler Herrschaftssysteme aller Zeiten aufzeigen.

Seine Heere vernichteten das Kaiserreich Shaddams IV. Sie bezwangen nacheinander die Sardaukar-Legionen, die verbündeten Streitkräfte der Hohen Häuser und die mit dem Geld des Landsraads finanzierten Söldnerarmeen. Er zwang die Raumfahrergilde in die Knie und setzte seine Schwester Alia auf den religiösen Thron der Bene Gesserit, die sich so um ihren geistlichen Herrschaftsanspruch gebracht sahen.

Damit nicht genug, trugen Muad'dibs Missionare ihre Glaubensbotschaft in fast alle Gegenden des bewohnten Universums – gewöhnlich in der Form des Djihad, des Heiligen Krieges, dessen ursprüngliche Stoßkraft zwar nach zwölf Jahren erlahmte, der in dieser Zeit aber fast den gesamten menschlichen Siedlungsraum unter Muad'dibs Herrschaft brachte und ins Joch eines religiös eingefärbten Kolonialismus zwang.

Ein Umstand, der ihm alle diese Aktionen erleichterte, war, dass er mit dem Besitz des Planeten Arrakis das Monopol auf die höchste und wertvollste Münze des menschenbewohnten Kosmos hatte – das geriatrische Gewürz, Melange, das lebensverlängernde Gift.

Diese physisch und psychisch ungemein wirksame Substanz stellt in der Tat ein neues Element in der historischen Wirklichkeit des Menschen dar, dessen Bedeutung noch nicht abzusehen ist und das die hier untersuchte Epoche vielleicht noch entscheidender geprägt hat als die überragende Gestalt Muad'dibs. Ohne Melange waren die ehrwürdigen Mütter der Bene Gesserit unfähig, ihr geistig-körperliches Vollkommenheitsideal zu verwirklichen. Ohne Melange konnten die Steuerleute der Raumfahrergilde nicht navigieren. Ohne Melange wären Milliarden Bürger des Imperiums an Suchtmittelentzug gestorben.

Ohne Melange konnte Paul Muad'dib nicht prophezeien.

Es ist eine tragische Ironie, dass gerade dieses Mittel zu höchster persönlicher Macht den letztlichen Misserfolg in sich trug: eine vollkommene und umfassende Zukunftssicht muss tödlich sein.

Andere Historiker vertreten die Auffassung, Muad'dibs Niederlage sei allein den systemimmanenten Palastintrigen und Verschwörungen entmachteter und revanchelüsterner Cliquen zuzuschreiben – der Gilde, der Schwesternschaft, den wissenschaftlichen Amoralisten der Bene Tleilax mit ihren Verwandlungskünsten. Sie beschreiben die priesterlichen Ränke des Lobredners Korba und anderer Mitglieder des Qizarats und verweisen auf die Pläne dieser Leute, Muad'dib zum Märtyrer zu machen und ihrer religiösen Bewegung so zu einer messianischen Gestalt von bleibender Ausstrahlung zu verhelfen.

Dies alles mag wahr sein, aber es genügt noch nicht zur Erklärung historischer Tatsachen. Nur wenn wir die tödliche Natur der prophetischen Gabe erkennen, können wir den vorzeitigen Zusammenbruch einer so gewaltigen Macht ganz verstehen.

 

»Historische Analysen: Muad'dib«

von Bronso as Zahir

2

 

Es gibt keine klare Trennung zwischen Göttern und Menschen; die Grenzen sind fließend.

 

»Worte des Muad'dib«

von Prinzessin Irulan

 

 

Trotz der mörderischen Natur seiner Pläne empfand Scytale Mitleid. Muad'dib muss beseitigt werden, sagte er sich, aber ich werde bedauern, Elend und Tod über ihn zu bringen.

Er verbarg diese seine Gedanken sorgfältig vor seinen Mitverschwörern, aber er fand es einfacher, sich mit dem Opfer als mit den Angreifern zu identifizieren – was in gewisser Weise für einen Tleilax charakteristisch war.

Er stand in nachdenklichem Schweigen etwas abseits von den anderen. Die Diskussion über psychische Gifte dauerte noch immer an, und Scytale begann sich zu langweilen.

Die Ehrwürdige Mutter der Bene Gesserit, Gaius Helen Mohiam, ihre Gastgeberin hier auf Wallach IX, brachte ihr Misstrauen gegen eine in solchen Fällen bevorzugte Droge zum Ausdruck:

»Wenn man glaubt, man habe den anderen schon aufgespießt, findet man ihn unverwundet.«

Sie war uralt, eine ausgetrocknete, magere Hexengestalt mit lederigem Gesicht unter silberweißem Haar. Die Augen waren in ihre dunklen Höhlen zurückgesunken und gaben ihrem Gesicht das Aussehen eines hautüberzogenen Totenschädels.

Edric, der Steuermann der Gilde, sagte: »Wenn wir so weitermachen, haben wir in einem Jahr noch keinen Beschluss gefasst.«

Edric schwamm in einem durchsichtigen Behälter, der mit orangefarbenem Gas gefüllt war. Der Abgesandte der Raumfahrergilde war eine längliche Gestalt von unbestimmt humanoider Form, mit Flossenfüßen und breitgefächerten Händen, deren Finger durch Schwimmhäute miteinander verbunden waren – ein Fisch in einem seltsamen Aquarium. Aus den Entlüftungsventilen seines Behälters kam eine blassorangefarbene Wolke, die mit dem Geruch von Melange gesättigt war.

Die vierte anwesende Person – bisher nur potentielles Mitglied der Verschwörung – war Irulan, Ehefrau (aber nicht Bettgenossin) ihres gemeinsamen Feindes. Sie stand an eine Ecke von Edrics Tank gelehnt, eine große blonde Schönheit in einem blauen Pelz, mit Schmuck behängt. Ihre Haltung sprach von aristokratischer Hochnäsigkeit, doch etwas in der Undurchdringlichkeit ihrer glatten Züge verriet die Beherrschtheit der einstigen Bene-Gesserit-Schülerin.

Während die Diskussion weiterging, blickte Scytale umher. Der Versammlungsplatz lag zwischen Hügeln, die vom schmelzenden Schnee fleckig waren. Das kalte Licht einer kleinen, bläulich-weißen Sonne nahe dem Mittagspunkt des verwaschen blauen Himmels erfüllte ihn mit vagem Unbehagen, ohne dass er den Grund zu bestimmen vermochte.

»Haben Sie nichts zu sagen, Scytale?«, fragte die Ehrwürdige Mutter.

»Sie wollen mich in diese alberne Diskussion hineinziehen?«, fragte Scytale. »Also gut: Wir haben es mit einem potentiellen Messias zu tun. Gegen einen Messias kann man keinen Frontalangriff führen. Wir würden einen Märtyrer schaffen, der uns noch nach seinem Tod vernichten könnte.«

Alle starrten ihn an, als ob ihnen diese Überlegung völlig neu wäre; dann fragte die Ehrwürdige Mutter mit pfeifender Stimme: »Halten Sie das für die einzige Gefahr?«

Scytale hob die Schultern. Für dieses Zusammentreffen hatte er eine bieder-joviale Erscheinung gewählt: rundes Gesicht, joviale Züge mit vollen Genießerlippen, untersetzte Statur und einen gemütlichen Spitzbauch. Er war ein menschliches Chamäleon, und die Gestalt, die er jetzt trug, lud andere ein, ihn nicht ganz für voll zu nehmen. »Ich denke«, sagte er nach einer Weile, »dass unsere internen Spannungen besser unerörtert bleiben sollten.«

Die Alte beharrte nicht weiter auf ihrer Frage, und Scytale sah, dass sie sich bemühte, ihn neu einzuschätzen. Sie waren alle Produkte eines gründlichen Prana-Bindu-Trainings und einer Beherrschung ihrer Muskel- und Nervenreflexe fähig, die den meisten Menschen für immer unerreichbar blieb. Aber Scytale war ein Verwandlungskünstler und hatte Muskeln und Nervenverbindungen, die den anderen abgingen. Vor allem jedoch hatte er das Einfühlungsvermögen des genialen Mimikers, das ihm erlaubte, mit der körperlichen Erscheinung eines anderen auch dessen Psyche anzunehmen.

Scytale merkte, dass die anderen auf irgendeine weitergehende Meinungsäußerung von ihm warteten, und so sagte er mit einer geringschätzigen Handbewegung: »Gift!«

Der Steuermann regte sich in seiner orangefarbenen Dunstwolke, und aus dem kleinen Lautsprecher des Behälters sagte seine ungeduldige Stimme: »Wir sprechen von psychischen Giften, nicht von physischen.«

Scytale lachte ein joviales Lachen, das in der Atmosphäre dieses Verschwörerzirkels um so aufreizender wirkte.

»Hören Sie auf!«, krächzte die Ehrwürdige Mutter.

Scytale stellte sein Lachen ein. Er hatte ihre Aufmerksamkeit gewonnen, und darauf kam es ihm an. »Der Vorschlag mit dem Gift besagt«, erklärte er, »dass zwei Bene-Gesserit-Hexen trotz ihrer bekannt subtilen Methoden noch nicht genug über den Nutzen der Täuschung gelernt haben.«

Die Alte wandte den Kopf und richtete ihren starren Blick auf die kalten Hügel ihrer Heimatwelt. Sie sah nun, worauf es hier ankam; jedenfalls schien es Scytale so. Das war gut. Irulan hingegen begriff nicht, wenn er ihren Blick richtig deutete.

»Sind Sie auf unserer Seite, oder nicht?«, fragte Edric.

»Meine Untertanentreue steht nicht zur Diskussion«, antwortete Scytale, um sich sogleich wieder Irulan zuzuwenden. »Sie fragen sich, Prinzessin, warum Sie das Risiko dieser Reise auf sich genommen haben?«

Sie nickte.

»Sicherlich nicht, um mit einem humanoiden Fisch oder einem fetten Gaukler von Tleilax Plattheiten auszutauschen?«

Sie warf ihm einen forschenden Blick zu, dann schüttelte sie leicht den Kopf. Edric benützte den Augenblick, um eine Melangepille in den Mund zu stecken. Er aß und atmete das Gewürz, und ohne Zweifel trank er es auch, dachte Scytale. Es war verständlich, denn das Gewürz erhöhte die Voraussicht eines Steuermanns, verlieh ihm erst die Fähigkeit, ein Schiff mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Raum zu steuern. Mit drogenerweitertem Bewusstsein sah er die Zukunftslinie des Schiffes, wie es drohenden Gefahren auswich. Jetzt witterte Edric eine andere Art von Gefahr, ohne recht zu wissen, wie er sie ausfindig machen sollte.

»Ich glaube, es war ein Fehler, hierher zu kommen«, sagte Irulan.

Die Ehrwürdige Mutter wandte sich ihm wieder zu und schloss und öffnete langsam ihre faltigen Lider; Scytale fühlte sich an ein zu früh aus dem Winterschlaf erwachtes Reptil erinnert.

»Prinzessin«, sagte er, »wegen unseres Freundes Edric hier bleiben gewisse Vorgänge – darunter auch dieser – der Wahrnehmung Ihres Gemahls entzogen.«

»Mutmaßlich«, erwiderte Irulan.

Die Ehrwürdige Mutter nickte. »Das Phänomen der Voraussicht«, sagte sie hüstelnd, »wird selbst von seinen Nutznießern kaum verstanden.«

»Keine Sorge«, erklärte Edric. »Ich bin ein vollwertiger Navigator und habe die Macht.«

»Sie sagen, mein Mann könne weder sehen, wissen noch voraussagen, was in der Einflusssphäre eines Navigators geschieht«, antwortete Irulan. »Aber wie weit reicht diese Einflusssphäre?«

Edric wälzte sich in der Schwerelosigkeit seines Behälters herum, dass die Wirbel orangefarbenen Rauchs ihn für einige Augenblicke verhüllten. Als er wieder zum Vorschein kam, sagte er: »Das ist schwer zu sagen. In unserem Universum gibt es Personen und Dinge, die ich nur an ihren Wirkungen erkenne. Ich weiß, dass sie hier, dort, irgendwo gewesen sind. Wie Wassertiere im Vorüberschwimmen die Strömung aufrühren, so rührt der Besitzer des zweiten Gesichts die Zeit auf. Ich habe gesehen, wo Ihr Gemahl gewesen ist; aber niemals habe ich ihn selbst oder die Menschen gesehen, die wirklich seine Ziele und Loyalitäten teilen. Dies ist die Verborgenheit, die ein Kundiger jenen gewähren kann, die sein sind.«

»Irulan ist nicht die Ihre«, sagte Scytale mit einem Seitenblick zur Prinzessin.

»Wollen Sie streiten, oder wollen Sie zu Ergebnissen kommen?«, entgegnete Edric mit einiger Schärfe. »Wir alle wissen, dass die Verschwörung meiner Anwesenheit bedarf.« Mit einem Ruck wandte er sich Irulan zu. »Sie wollen eine Herrscherdynastie begründen. Solange Sie sich nicht uns anschließen, wird das nie geschehen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und das ist so gut wie ein Orakel. Der Herrscher heiratete Sie aus politischen Gründen, aber Sie werden niemals sein Bett mit ihm teilen.«

»Das Orakel ist also auch ein Voyeur«, sagte Irulan.

»Der Herrscher ist mit seiner Konkubine enger verheiratet als mit Ihnen, das weiß jeder«, erklärte Edric ungerührt.

»Und sie gebiert ihm keinen Erben!«, fauchte Irulan.

Scytale blickte zum Himmel auf und murmelte: »Die Vernunft ist das erste Opfer jeder Gefühlsaufwallung.«

Das brachte Irulan zur Besinnung. Beherrschter fuhr sie fort: »Sie schenkt ihm keinen Erben, weil ich ihr heimlich ein empfängnisverhütendes Mittel verabfolge. Wollten Sie das von mir hören?«

»Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn der Herrscher das entdeckt«, sagte Edric lächelnd.

»Ich habe Lügen vorbereitet«, erwiderte Irulan wegwerfend. »Er mag ein Gespür für Wahrheit haben, aber manche Lügen sind leichter zu glauben als die Wahrheit. Übrigens genieße ich Pauls Vertrauen. Ich sitze in seinem Rat.«

»Hat er Ihnen in den letzten zwölf Jahren auch nur die geringste Wärme gezeigt?«, fragte Edric.

Irulan schüttelte den Kopf.

»Sehen Sie?«, fuhr Edric fort. »Er hat Ihren Vater abgesetzt, Sie geheiratet, um seinen Thronanspruch zu sichern, aber er hat Sie nie zur Herrscherin gekrönt.«

»Edric versucht, Emotionen zu mobilisieren«, bemerkte Scytale. »Ist das nicht interessant? Haben Sie nicht den Eindruck, dass Edric in unserer Verschwörung zu großen Einfluss hat?«

»Er wünscht nur, dass sie sich wirklich engagiert«, schnarrte die Ehrwürdige Mutter. »Es sollte keine Ränke und Eifersüchteleien zwischen uns geben.«

Irulan hatte die Hände in die Ärmel ihres Pelzmantels gesteckt und stand in Gedanken versunken. Wahrscheinlich, dachte Scytale zynisch, überlegte sie, was für einen Plan die Verschwörer ausgeheckt haben mochten, um sich vor ihr zu schützen.

»Prinzessin«, fing Edric wieder an, »Sie sind bereits eine von uns, keine Angst. Spionieren Sie nicht schon jetzt für Ihre Bene Gesserit-Oberinnen im Palast und anderswo?«

»Paul weiß, dass ich meinen Vorgesetzten Meldungen mache«, sagte sie.

»Aber liefern Sie ihnen nicht Propagandamaterial gegen Ihren Herrscher?«, fragte Edric.

Sie ging nicht auf die Frage ein, sondern sagte kühl: »Sie haben mich noch nicht überzeugt, dass wir den Herrscher schlagen können.«

»Wir wären froh, wenn wir selbst davon überzeugt wären«, sagte Scytale.

»Wohin wir uns auch wenden«, sagte Irulan, »sehen wir uns mit seiner Macht konfrontiert. Er ist der Mann mit dem zweiten Gesicht, dessen Bewusstsein an verschiedenen Orten zugleich sein kann. Er ist der Mahdi, dessen Launen seinen Missionaren und Glaubenskämpfern Befehl sind. Er ist der Mentat, dessen Gedächtnis besser und dessen Logik unangreifbarer ist als die der alten Computer. Er ist der Muad'dib, die höchste Autorität der halbwilden Fremen, deren Legionen ganze Planeten entvölkern. Er hat die Fähigkeit, visionäre Blicke in die Zukunft zu tun – und schließlich besitzt er jene Genkombination, die wir Bene Gesserit seit langem gesucht ...«

»Wir kennen seine Eigenschaften«, unterbrach die Ehrwürdige Mutter, »und wir wissen auch, dass seine Schwester Alia diese Genkombination ebenfalls besitzt. Aber sie sind nur Menschen, er und sie. Also haben sie Schwächen.«

»Aber wo liegen diese menschlichen Schwächen?«, fragte Scytale. »Sollen wir sie auf dem religiösen Sektor suchen? Können seine Priester gegen ihn aufgewiegelt werden? Auf die Autorität des Landsraads ist nicht mehr zu bauen; seit die Hohen Häuser entmachtet sind, ist ihr gemeinsames Instrument zu einem Debattierklub hilfloser alter Herren herabgesunken, und alle Welt weiß es. Mehr als moralische Unterstützung werden wir dort nicht erhalten.«

»Ich schlage die MAFEA{2} vor«, sagte Edric. »Geschäft ist Geschäft, und Geschäft ist, wo Profit winkt.«

»Die MAFEA hat nie höhere Profite gemacht als jetzt«, widersprach Scytale. »Womit könnten wir sie locken? Und vergessen wir nicht, dass der Herrscher selbst maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt ist und seine Vertrauensleute in Vorstand und Aufsichtsrat sitzen hat. Nein, da sehe ich keinen Weg.«

»Vielleicht können wir seine Mutter zu unserem Werkzeug machen«, meinte Edric. »Soviel ich weiß, verlässt sie Caladan nie, aber sie steht mit ihrem Sohn in regelmäßiger Verbindung.«

»Die verräterische Hündin«, sagte die Mohiam. »Ich würde mir am liebsten die Hände abhacken, die sie angeleitet haben.«

»Unsere Verschwörung bedarf eines Hebels«, stellte Scytale fest.

»Wir sind mehr als Verschwörer«, versetzte die Ehrwürdige Mutter.

»Richtig«, sagte Scytale. »Wir sind energisch, und wir lernen rasch. Das macht uns zur einzigen wahren Hoffnung.« Er sprach im Ton absoluter Überzeugung, die allerdings einen Beigeschmack subtiler Ironie hatte. Nur die Ehrwürdige Mutter schien es zu merken, und sie fragte ihn geradeheraus: »Wie das?«

Bevor er antworten konnte, räusperte sich Edric ungeduldig und sagte: »Verzichten wir doch auf den Austausch von Spitzfindigkeiten. Jede Frage lässt sich auf die eine reduzieren: Warum ist etwas? Und jede politische, geschäftliche und religiöse Frage hat die eine Ableitung: Wer wird die Macht ausüben? Allianzen, Verbindungen, Zusammenschlüsse sind sinnlos, wenn sie nicht die Erlangung der Macht zum Ziel haben. Alles andere ist Unsinn in einer Welt, die nur Macht anerkennt.«

Scytale sah die Ehrwürdige Mutter an und zuckte die Achseln. Edric hatte ihre Frage für ihn beantwortet. Der gravitätische Dummkopf war ihre Hauptschwäche. Um sich zu vergewissern, dass die Ehrwürdige Mutter verstand, sagte Scytale: »Indem man auf den Lehrer hört, erwirbt man eine Ausbildung.«

Die Alte nickte bedächtig.

Irulan, die von versteckten Andeutungen dieser Art ebenso wenig zu halten schien wie Edric, wandte sich dem Behälter zu und sagte: »Eingangs erwähnten Sie einen Geist, einen Wiedererstandenen, mit dem wir den Herrscher vergiften können. Erläutern Sie mir das.«

»Atreides wird sich selbst vernichten!«, erklärte Edric.

»Soll das eine Erläuterung sein?«, sagte sie ungeduldig. »Was für ein Geist ist das?«

»Ein sehr ungewöhnlicher Geist«, sagte Edric. »Er hat einen Körper und einen Namen. Der Körper ist der eines bekannten Schwertmeisters, der sich zu seinen Lebzeiten Duncan Idaho nannte. Der Name ...«

»Idaho ist tot«, sagte Irulan. »Paul hat seinen Verlust oft in meiner Gegenwart betrauert. Er war dabei, als Idaho von einem Sardaukar meines Vaters getötet wurde.«

»Es gibt Leute, die selbst im Sieg einen kühlen Kopf bewahren«, sagte Edric. »Nehmen wir an, ein kluger Sardaukar-Kommandeur erkannte den Schwertmeister in einem Toten, den seine Leute erschlagen hatten. Was dann? Es gibt Verwendungsmöglichkeit für solches Fleisch und eine solche Ausbildung – wenn man rasch handelt.«

»Ein Ghola?«, flüsterte Irulan mit einem Seitenblick zu Scytale. Dieser nutzte ihre Aufmerksamkeit, um seine Verwandlungskünste vorzuführen. Seine Gestalt, seine Gesichtszüge flossen in neue Formen, verfestigten sich wieder. Nach kurzer Zeit sah sie einen jungen Mann vor sich, schlank und kräftig. Das Gesicht blieb rundlich, mit hohen Backenknochen und ungekämmtem schwarzem Haar.

»Ein Ghola von ungefähr diesem Aussehen«, sagte Edric und zeigte auf den verwandelten Scytale.

»Oder nur ein anderer Verwandlungskünstler?«, fragte Irulan.

»Nein«, antwortete Edric. »Ein solcher würde unter verlängerter Beobachtung riskieren, dass man ihn schließlich entlarvt. Nein; nehmen wir an, dass dieser kluge Sardaukar-Kommandeur den Leichnam in Frischhaltelösung verwahrte. Warum nicht? Dieser Idaho war einer der besten Schwertmeister gewesen, Atreides' Lehrer und Berater. Welch eine Verschwendung, alle diese Fähigkeiten zu verlieren, wenn es doch möglich war, den Toten wiederzubeleben und als Ausbilder für die Sardaukar zu verwenden.«

»Ich habe nie ein Wort davon gehört, und mein Vater vertraute mir alles an«, sagte Irulan.

»Ja, aber Ihr Vater war damals schon besiegt«, sagte Edric. »Wenige Tage später musste er Frieden schließen, und Sie wurden dem neuen Herrscher verkauft.«

»Verkauft?«, fragte sie. »Wirklich?«

Edric lächelte in nervenaufreibender Selbstzufriedenheit, ging aber nicht auf die Frage ein. »Nehmen wir an, dass unser weiser Sardaukar-Kommandeur Idahos konservierten Leichnam sofort zu den Bene Tleilax schickte. Selbstverständlich gab es nur eine Möglichkeit der Beförderung – mit einem Schiff. Wir von der Gilde kennen natürlich jede Sendung, die wir transportieren. Als wir von dieser hörten, fanden wir es klug, den Ghola zu erwerben, um ihn dem Herrscher als angemessenes Geschenk darzubringen.«

»Dann haben Sie es wirklich getan?«, fragte Irulan.

Scytale, der seine rundliche erste Gestalt wieder angenommen hatte, sagte: »Wie unser langatmiger Freund eben erläuterte, haben wir es getan.«

»Wie wurde dieser Idaho-Ghola konditioniert?«, fragte Irulan.

»Idaho?«, sagte Edric mit einem Blick zu dem dicken Gaukler. »Wissen Sie von einem Idaho, Scytale?«

»Wir haben euch eine Kreatur namens Hayt verkauft«, antwortete Scytale.

»Ah, ja – Hayt«, sagte Edric. »Warum haben Sie ihn uns verkauft und nicht selbst behalten?«

»Weil wir ihn nicht brauchten. Wir können solche Typen selbst züchten. Einmal züchteten wir uns unseren eigenen Übermenschen, einen zweiten Atreides mit allen möglichen angeborenen Fähigkeiten.«

Die Ehrwürdige Mutter blickte mit ruckartiger Kopfbewegung auf. »Das haben Sie uns nie gesagt!«, tadelte sie ihn.

»Sie haben uns nie gefragt«, erwiderte Scytale.

»Wie sind Sie mit Ihrem Übermenschen fertig geworden?«, fragte Irulan.

»Ein Mensch, der sein Leben damit verbracht hat, eine bestimmte Verkörperung seines Selbst zu schaffen, wird lieber sterben als die Antithese dieser Verkörperung werden«, sagte Scytale.

»Ich verstehe nicht«, murmelte Edric.

»Er beging Selbstmord«, sagte die Ehrwürdige Mutter.

Edric sagte: »Scytale, Sie erklärten uns, Sie verkauften Hayt, weil Sie unsere Vorstellungen über seine Verwendungsweise teilten.«

»Natürlich, das war auch ein Grund«, sagte Scytale. »Aber lassen wir das; die einzige relevante Tatsache ist die untergründige Furcht, die uns zu dieser Zusammenkunft veranlasst hat.«

»Wir verstehen«, sagte Irulan. »Also weiter.«

»Sie müssen die gefährlichen Beschränkungen unseres Schilds sehen«, sagte Scytale. »Das Orakel kann nicht durch Zufall auf etwas stoßen, das es nicht verstehen kann.«

»Sie sind ausweichend und abgefeimt, Scytale«, sagte Irulan.

Wie abgefeimt ich bin, braucht sie nicht zu wissen, dachte Scytale. Wenn dies alles vorbei ist, werden wir einen Übermenschen besitzen, den wir kontrollieren können. Die anderen werden nichts haben.

»Welches war der Ursprung Ihres Übermenschen?«, fragte die Ehrwürdige Mutter.

»Wir haben mit verschiedenen reinen Essenzen herumgepfuscht«, sagte Scytale. »Reinem Gutem und reinem Bösem. Ein reiner Bösewicht, der seine Freude daran hat, nur Qualen und Schrecken zu bereiten, kann sehr lehrreich sein.«

»War der alte Baron Harkonnen, der Großvater unseres Herrschers, vielleicht auch eine Ihrer Schöpfungen?«, fragte Irulan.

»Nicht dass ich wüsste«, sagte Scytale. »Aber die Natur bringt häufig Schöpfungen hervor, die nicht weniger tödlich sind als unsere. Wir produzieren sie nur unter Bedingungen, wo wir sie studieren können.«

»Ich schlage vor, wir diskutieren die Art und Weise, wie Hayt dem Herrscher übergeben werden soll«, sagte Edric. »Soweit mir bekannt ist, spiegelt Hayt die Denkgewohnheiten und Moralvorstellungen wider, die Atreides auf der Welt seiner Geburt gelernt hat. Hayt wird es dem Herrscher leicht machen, sich über seine moralische Natur zu verbreiten und die positiven und negativen Momente von Leben und Religion zu unterstreichen.«

Scytale ließ seinen wohlwollenden Blick über seine Gefährten wandern. Sie waren ziemlich genau so, wie er erwartet hatte. Die alte Ehrwürdige Mutter schwang ihre Emotionen wie eine Sense. Irulan war gut für eine Aufgabe ausgebildet worden, vor der sie dann versagt hatte, eine fehlerhafte Schöpfung der Bene Gesserit. Edric war nicht mehr (und nicht weniger) als die Hand eines Magiers: er konnte verbergen und ablenken.

Irulan fragte: »Habe ich recht verstanden, dass dieser Hayt Pauls Psyche vergiften soll?«

»Mehr oder weniger«, sagte Scytale.

»Und was ist mit dem Qizarat?«, fragte sie.

»Es gehört nicht viel dazu, Neid und Frustration in Feindschaft zu verwandeln«, sagte Scytale.

»Und die MAFEA?«

»Kümmert sich um nichts, solange keine Umwälzungen von unten drohen, die den Profiten schaden könnten.«

»Und die anderen Machtgruppen?«

»Man beschwört die Worte Regierung, Sicherheit und Ordnung«, sagte Scytale, »und alle werden zufrieden sein, besonders, wenn man sie wissen lässt, dass ein Staatsstreich ihnen klare Vorteile bringen kann. Sollten sich einzelne der neuen Ordnung widersetzen, werden wir sie im Namen der Freiheit und des Fortschritts unterdrücken. Unsere Opposition wird sich in ihren eigenen Verstrickungen erdrosseln.«

»Auch Alia?«

»Hayt ist ein Vielzweck-Ghola«, antwortete Scytale. »Und die Schwester des Herrschers ist in einem Alter, wo sie einem charmanten und für diesen Zweck entworfenen Mann erliegen kann. Sie wird sich von seiner Männlichkeit und seinen Fähigkeiten als Mentat angezogen fühlen.«

Die alten Augen der Mohiam öffneten sich weit vor Erstaunen. »Der Ghola ist ein Mentat? Das ist ein gefährlicher Schritt.«

»Ein Mentat muss genaue Daten haben«, sagte Irulan. »Was, wenn Paul von ihm verlangt, dass er den Zweck hinter unserem Geschenk definiert?«

»Hayt wird die Wahrheit sagen«, erklärte Scytale. »Es macht keinen Unterschied.«

»Sie lassen Paul einen Ausweg offen«, sagte Irulan, aber es war nicht auszumachen, ob die Feststellung einen Tadel enthielt.

»Ein Mentat!«, knurrte die Mohiam.

Scytale warf der Alten einen Blick zu und sah den alten Hass in ihren Augen. Seit den Tagen von Butlers Djihad, als das Universum von praktisch allen »Denkmaschinen« befreit worden war, waren Misstrauen und Hass gegen Computer wach geblieben. Solche Empfindungen färbten auch auf die menschlichen Computer ab.

»Mir gefällt die Art Ihres Lächelns nicht«, sagte die Ehrwürdige Mutter plötzlich mit einem giftigen Blick zu Scytale.

Scytale entgegnete: »Und ich denke um so geringer von dem, was Ihnen gefällt. Aber wir müssen zusammenarbeiten. Wir alle sehen das ein, nicht wahr?«

»Ich sehe noch mehr«, knurrte Edric. »Atreides hat das Gewürzmonopol. Ohne das Zeug kann ich die Zukunft nicht durchdringen. Die Bene Gesserit brauchen es ebenfalls. Wir haben Vorräte, aber sie sind begrenzt. Melange ist eine wertvolle Münze und ein überzeugendes Druckmittel.«

Scytale sagte wegwerfend: »Unsere Zivilisation hat mehr als eine wertvolle Münze. So gesehen, versagt das Gesetz von Angebot und Nachfrage.«

»Sie haben vor, das Geheimnis zu stehlen«, schnaufte die Ehrwürdige Mutter. »Und er mit einem Planeten, der von seinen verrückten Wüstenbeduinen bewacht wird!«

»Die freien Wüstenbewohner sind höflich, gut erzogen und unwissend«, sagte Scytale. »Die Fremen sind nicht verrückt. Sie sind gedrillt zu glauben, nicht zu wissen. Glaube kann manipuliert werden. Nur Wissen ist gefährlich.«

»Aber wird mir etwas bleiben, womit ich eine königliche Dynastie begründen kann?«, fragte Irulan.

»Etwas«, sagte Scytale. »Etwas.«

»Es bedeutet das Ende dieses Atreides als Machtfaktor«, sagte Edric.

»Ich könnte mir denken, dass selbst weniger Begabte zu dieser Voraussage gekommen sind«, sagte Scytale trocken. »Für sie, mektub al mellah, wie die Sandläufer sagen.«

»Für sie war es mit Salz geschrieben«, übersetzte Irulan.

Während sie sprach, erkannte Scytale, was die Bene Gesserit hier für ihn aufgeboten hatten – eine schöne und intelligente Frau, die niemals ihm gehören würde. Auch gut, dachte er, vielleicht werde ich sie für eine andere kopieren ...

3

 

Jede Zivilisation muss sich mit einer unbewussten Macht abfinden, die fast jede bewusste Absicht der Gemeinschaft blockieren kann.

 

Theorem der Bene Tleilax (unbewiesen)

 

 

Paul Atreides saß auf der Bettkante und zog seine Stiefel aus. Sie rochen nach ranzigem Lederfett. Es war spät. Er hatte seinen nächtlichen Spaziergang ausgedehnt und denen, die ihn liebten, Anlass zur Sorge gegeben. Selbst nach zwölfjähriger Herrschaft war es ihm noch nicht gelungen, die Straßen seiner Hauptstadt bei Nacht sicher zu machen, aber weil er sie anders als seine Untertanen nur zur Entspannung aufsuchte und in solcher Stimmung den prickelnden Reiz des Abenteuers schätzte, focht ihn die Gefahr nicht an. Für ihn hatte das Durchstreifen der nächtlichen Straßen von Arrakeen in der Anonymität der Dunkelheit und eines Destillanzugs jedes Mal den Zauber einer Neuentdeckung.

Er warf seine Stiefel in die Ecke und schälte sich aus dem Anzug. Seine Muskeln und Knochen waren müde, aber in seinem Geist lebten noch die frischen Eindrücke seines Spaziergangs. An Abenden wie diesem, wenn er das alltägliche Leben und Treiben in den Gassen und an Marktständen beobachtet hatte, war er gewöhnlich von tiefem Neid erfüllt. Ein Herrscher konnte dieses namenlose, brodelnde Leben außerhalb der Mauern seines Palastes nicht teilen – aber welch ein Privileg war es für ihn, eine öffentliche Straße entlang zu gehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen! Den Singsang bettelnder Pilger zu hören, oder wie ein hagerer Nomade einen Ladenbesitzer beschimpfte: »Du hast feuchte Hände!«

Paul lächelte bei der Erinnerung.

Er stand nackt auf dem grünen Teppich, merkwürdig eingestimmt auf seine Welt. Arrakis war jetzt eine paradoxe Welt – eine belagerte Welt, doch zugleich Machtzentrum. Belagert zu werden, dachte er, war das unausweichliche Schicksal der Macht.

Flugsand, den die hohen Winde über das Gebirge getragen hatten, hatte knöcheltief in den Straßen gelegen und war von den Passanten zu erstickenden Staubwolken aufgewirbelt worden, die die Filter der Destillanzüge verstopften. Noch jetzt konnte er den Staub riechen, obwohl er im Schlossportal unter einem Gebläse gestanden hatte. Es war ein Geruch voll von Wüstenerinnerungen.

Andere Zeiten ... andere Gefahren.

Verglichen mit jenen anderen Zeiten waren die Gefahren, die bei seinen einsamen Spaziergängen lauerten, geringfügig. Aber wenn er einen Destillanzug anlegte, legte er zugleich seine Vergangenheit an. Er wurde wieder zum wilden Wüstenbewohner. Im Destillanzug gab er die Sicherheit auf und wurde sich wieder der alten Geschicklichkeiten und Kampftechniken bewusst. Pilger und Stadtbewohner traten in kluger Vorsicht zur Seite, wenn er des Weges kam; sie ließen die wilden Nomaden strikt in Ruhe. Wenn die Wüste für Städter und Fremde ein Gesicht hatte, dann war es das Gasmaskengesicht des Destillanzugs.

Der Vorhang zum Nebenzimmer glitt zurück, und einfallendes Licht beendete seine Träumerei. Chani brachte den Tee auf einem Tablett aus Platin.

Sie bewegte sich mit der alten unverwechselbaren Verbindung anmutiger Zerbrechlichkeit und Kraft. Etwas an der Art, wie sie sich über das Teeservice beugte, erinnerte ihn an ihre ersten gemeinsamen Tage. Ihre dunklen Züge waren zart und von den Jahren anscheinend nicht gezeichnet; nur wenn man genauer hinsah, bemerkte man die Fältchen und Krähenfüße um die blauen Augen, in denen es kein Weiß gab.

Dampf stieg aus der Teekanne, als sie den Deckel hob und den Duft schnupperte. An der Art und Weise, wie sie den Deckel wieder auflegte, konnte er erkennen, dass der Tee noch nicht fertig war. Die Kanne, ein rundliches Gefäß mit einem knopfartigen Smaragd auf dem Deckel, war als Kriegsbeute auf ihn gekommen, als er den früheren Besitzer im Zweikampf erschlagen hatte. Jamis hatte der Mann geheißen ... Jamis. Welch eine seltsame Unsterblichkeit der Tod Jamis eingebracht hatte!

Chani stellte drei Tassen auf den kleinen Teetisch: eine für Paul, eine für sich und eine für alle früheren Besitzer.

»Es wird nur noch einen Moment dauern«, sagte sie.

Dabei blickte sie auf, und Paul fragte sich, wie er in ihren Augen erscheinen mochte. War er noch der exotische Fremdling aus einer anderen Welt, schlank und kräftig, doch fett und voll Wasser, verglichen mit den ausgemergelten Gestalten ihrer Stammesbrüder?

Paul machte eine halbe Wendung und betrachtete sich im Spiegel. Nach zwölf Jahren als Herrscher war er äußerlich im wesentlichen derselbe geblieben ... nicht mehr so schlank, das musste er zugeben; weniger sehnig als muskulös und stämmig, das Gesicht härter, die Nase schärfer. Dazu die Augen blau in blau, Kennzeichen des Gewürzsüchtigen. Im großen und ganzen war er mit seinem Aussehen zufrieden, obgleich ihm der beginnende Haarausfall Sorgen machte. Sein Großvater, der in der Stierkampfarena gestorben war, als er sich vor allem Volk als Matador produzieren wollte, hätte seinen Enkel nicht verleugnen können.

Ein Ausspruch seines Großvaters kam ihm in den Sinn, etwas über die Verantwortung des Herrschers für die Beherrschten, über die Selbstlosigkeit als höchste Tugend und Notwendigkeit, selbst wenn sie in ihren Manifestationen den Untertanen nur als amüsante Marotte erschien.

Die Menschen seiner Heimat erinnerten sich des alten Mannes noch immer mit Zärtlichkeit.

Und was habe ich getan?, fragte sich Paul. Ich habe die Wölfe auf die Schafe losgelassen ... Für einen Moment gedachte er all der Gewalttätigkeiten, die in seinem Namen verübt wurden. Er ließ sich aufs Bett zurückfallen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Die angenehme Vertrautheit von Chanis Bewegungen, die Stille im Zimmer und seine eigene Schläfrigkeit lullten ihn jedoch bald wieder ein, und er betrachtete müßig die farbigen Gläser auf einem Wandregal hinter Chani, sagte sich stumm ihren Inhalt auf – die getrockneten Bestandteile der Wüstenpharmazie, Salben, Räucherwerk, Erinnerungsstücke ... eine Handvoll Sand von der Höhlensiedlung Tabr, eine Haarlocke von ihrem Erstgeborenen ... lange tot ... seit zwölf Jahren tot, unschuldiges Opfer der Schlacht, die Paul zum Herrscher gemacht hatte.

Der Duft von gewürztem Tee erfüllte den Raum. Paul inhalierte, und sein Blick fiel auf eine gelbe Schale auf dem Tisch, wo Chani den Tee einschenkte. Die Schale enthielt Erdnüsse. Der unausweichliche Giftschnüffler wedelte mit seinen Insektenbeinen über die Nahrung. Der Anblick verdross Paul; damals in der Wüste hatten sie nie Schnüffler gebraucht.

»Der Tee ist fertig«, sagte Chani. »Hast du Hunger?«

Er dachte an seine Gewichtszunahme und verneinte. Als er sich aufsetzte und nach seiner Tasse griff, klirrten die Gläser leise im Regal, und im nächsten Moment schlug ein gellendes Pfeifen und Heulen durch die offenen Fenster, dessen Intensität bis zur Unerträglichkeit zunahm und dann sehr rasch in der Weite des Himmels verhallte. Vom Raumhafen außerhalb der Stadt war ein Gewürzfrachter gestartet.

Paul brummte etwas über ein Verbot von Nachtstarts, dann trank er seinen Tee, und das Getränk und die erneute Stille beruhigten ihn wieder. Chani setzte sich zu ihm auf die Bettkante und schlürfte ihren Tee, und nach einer Weile sagte sie sanft und so beiläufig sie konnte: »Lass uns über Irulan und ihr Verlangen nach einem Kind reden.«

Paul wandte den Kopf. »Sie ist erst vor zwei Tagen von Wallach zurückgekehrt ... Hat sie dich schon wieder behelligt?«

»Wir haben ihre Frustrationen nicht diskutiert«, antwortete sie. »Aber ich sehe, dass das Thema dich beunruhigt. Das war nicht meine Absicht.«

»Was war deine Absicht?«

Sie sah ihm in die Augen und lächelte scheu. »Wenn du dich ärgerst, Lieber, dann kannst du es einfach nicht verbergen.«

Er schenkte sich eine zweite Tasse Tee ein, balancierte sie behutsam in der Hand, während er den Oberkörper ans Kopfende des Bettes lehnte.

»Soll ich sie beseitigen?«, fragte er. »Ihr Nutzen ist nur noch gering, und was ich über ihre Reise zur Schwesternschaft fühle und ahne, gefällt mir nicht.«