Der Junge - Arminia Igelbach - E-Book

Der Junge E-Book

Arminia Igelbach

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Beschreibung

Als nach dem Tod seiner letzten Verwandten auch noch sein letzter Freund sich von ihm abwendet, beschließt ein kleiner Indianerjunge, sein Dorf zu verlassen.

Auf der Suche nach großen Taten stößt er auf seltsame Spuren und folgt ihnen.

Damit beginnt eine weite und gefährliche Reise...

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Arminia Igelbach

Der Junge

Eine indianische Reise

Ich danke meinen Kindern, die bei der Entstehung des Buches so geduldig waren. Es ist für euch und alle anderen Kinder und Jugendlichen, die gern lesen.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Allein

Langsam löste sich der silbergraue Nebel aus dem Nachtschatten des Tales und wich in den nahe gelegenen Wald zurück. Schemenhaft lösten sich die Umrisse der runden Dächer der verstreut stehenden Holzhütten und spitzen Zelte aus dem einheitlichen Grau. Ein Hund bellte und wurde von einer mürrischen Stimme zum Schweigen gebracht. Das Dorf erwachte. Die ersten Frauen kamen aus ihren Zelten, ganze Bündel von leeren und schlaffen Wasserblasen an Schnüren gebündelt in den Händen und gingen im grauen Licht der Morgendämmerung den Weg hinunter durch die noch kargen Maisfelder zum nahen Flussufer. Ein einzelner Mann ging den schmalen Pfad in die entgegen gesetzte Richtung durch die Pflanzen den Hügel hinauf. Bald erreichte er die Anhöhe, von der aus man das ganze Dorf und die umliegenden Täler überblicken konnte und drehte sich nach Osten. Dann hob er die Arme, in denen er einen mit Federn und bunten Schnüren geschmückten Stab hielt, und begann mit langem Atem melodisch zu singen. Als endlich die ersten Sonnenstrahlen über die Ausläufer der nahen Berge kletterten, und die Spitze seines Stabes sich vom Licht der aufgehenden Sonne golden färbte, stieß der Mann einen letzten Jubelschrei aus, beendete seinen Gesang und stieg wieder ins Dorf hinunter.

Inzwischen waren alle Dorfbewohner wach, auch der Junge, der in dem Zelt am Rand des Dorfes wohnte. Es war ein altes Reisezelt und es hatte eindeutig bessere Tage gesehen: Die Lederhäute, die es bedeckten waren dünn geworden und ließen stellenweise bereits Feuchtigkeit hindurch. Die Lederklappe, die den Eingang verschloss, war zerrissen. Sie flatterte im leichten Wind, der nun aufkam und ließ die kühle Morgenluft herein. Murrend kniff der Junge unter seiner Decke die Augen zu und versuchte zu ignorieren, dass er allein in seinem Zelt war. Aber er wusste, es war sinnlos. Niemand würde kommen, das Feuer anmachen und warme Suppe für ihn kochen. Und wenn er nicht selber die Wasserblasen füllen würde, würden sie leer bleiben. Er vermisste die Zeiten, in denen er vom Geruch warmer, frischer Suppe aufgewacht war. Seit dem frühen Tod seiner Eltern hatte seine Großmutter für ihn gesorgt, und sein Großvater hatte ihm mit viel Geduld und Weisheit die Dinge beigebracht, die ein guter Jäger wissen musste. Die Tage waren angefüllt gewesen mit der Pflege des kleinen Maisfeldes der Familie, aufregenden Jagdausflügen in die Umgebung und wilden Spielen mit den anderen Kindern des Dorfes. Aber der letzte Winter war zu lang und zu kalt gewesen und hatte seine Großeltern in die nächste Welt gerufen. Ein Stück von ihm selbst war mit ihnen gegangen und hatte eine Wunde in seinem Herzen hinterlassen, die nur langsam heilte. Am Schlimmsten war es, wenn er von seinen Großeltern geträumt hatte, so wie diese Nacht.

 Er wischte sich mit den Handrücken das Gesicht trocken und seine Einsamkeit verwandelte sich in Wut über seine eigene Schwäche. Mit einer mürrischen Handbewegung warf er das Fell von sich, das ihn bedeckt hatte und zog sich seine Beinlinge und die Jacke an, die über seiner Schlafstelle lagen. Das Leder war steif und von der Kühle der Nacht klamm. Er schauderte, fachte zitternd die Glut der Kochstelle wieder an und legte ein paar Äste nach, als die Flamme stärker wurde.

 Für einen Moment hielt er seine Hände und die kalten Zehen an die Flammen und schloss seufzend die Augen. Dann wickelte er eine Decke um seine schmalen Schultern und packte die Schnüre der leeren Wasserblasen um zum Fluss zu gehen. Einige Frauen murmelten ihm einen flüchtigen Gruß entgegen, als er mit schnellen Schritten und gesenktem Blick an ihnen vorbeiging, um Wasser vom Fluss zu holen. Er antwortete leise und beeilte sich.

Aber auf dem Rückweg hatte er weniger Glück: Die schweren Wasserblasen zogen an dem Stirnband, mit dem er sie trug und er musste mit gesenktem Kopf gehen, um das Gewicht auszugleichen. So sah er nur seine eigenen Füße. Plötzlich stieß er mit jemandem zusammen. „Pass doch auf!“, tadelte ihn eine ärgerliche Stimme. Der Junge taumelte kurz, um sein Gleichgewicht wieder zu finden und murmelte eine Entschuldigung. Doch der Zusammenstoß war kein Versehen gewesen. Als er weiter gehen wollte, stellte sich ihm Pfeilsucher, der berüchtigtste Rabauke der Jungs des Dorfes, wieder in den Weg. Auch die beiden Freunde von Pfeilsucher, Erdschläfer und Taubenfänger, waren natürlich mit von der Partie und bauten sich vor dem Jungen auf, der unter dem Gewicht der Wasserblasen wankte. Ein paar andere Kinder standen um die Szene herum oder kamen herbei, in Erwartung des Schauspiels. Sie verspotteten ihn, weil er wie ein Mädchen Wasserblasen schleppte und versuchten, sie ihm wegzureißen. Jeden Morgen war es das Gleiche! Konnten sie ihn nicht in Ruhe lassen? War nicht sein Verlust und seine Einsamkeit genug? Meistens entkam er ihnen, wenn sie ihn ärgern wollten, denn er war ein guter Läufer. Heute war er ihnen mit den schweren Wasserblasen jedoch ausgeliefert. Es war schwierig, gute Wasserblasen herzustellen, er wollte sie nicht aufgeben. „Lasst mich durch!“ versuchte es der Junge, aber die anderen lachten nur. „Er hat Angst! Seine Hosen sind ja nass! Ob das wirklich nur Flusswasser ist?“ spotteten sie und schubsten ihn. Mit zusammengepressten Lippen wich er aus.

Er kannte Pfeilsucher und seine Freunde gut und wusste, sie würden nicht nachgeben, bis sie ihren Spaß gehabt hätten. Aber dann sah er Wolkenfänger, seinen Freund und schöpfte Hoffnung. „Wolkenfänger?“ Der Junge hoffte, dass seine Stimme sich nicht so zittrig anhörte, wie er sich fühlte. Der Freund jedoch tat, als ob ihn die ganze Geschichte nichts anginge und sah ihn mit kaltem Blick an. Der Junge begriff und stöhnte unwillkürlich auf. Er hatte bemerkt, dass sich sein Freund von ihm fernhielt, seit er zur Last des ganzen Dorfes geworden war. Aber dass er mitmachte, wenn die anderen ihn verspotteten, traf ihn sehr. „Oh, jetzt hofft er auf Hilfe von seinem Freund...“ spottete Pfeilsucher, der ihm noch näher kam. „Was ist, Wolkenfänger, sag ihm, dass du nicht mehr sein Freund bist!“ befahl er. Wolkenfänger strich sich verlegen mit der Hand über den Scheitel. Dann atmete er entschlossen ein und stieß ihm an die Brust. „Ja, ich bin schon lang nicht mehr dein Freund. Hast du nicht gemerkt, wie peinlich du mir bist? Niemand hier will dich! Ich wünschte, du würdest gehen und nie wieder kommen!“

Das war eindeutig. Der Junge biss die Zähne zusammen, schluckte seinen Schmerz hinunter. Niemand würde ihm helfen, jetzt war er völlig allein. Plötzlich stieg ihm die Wut in den Kopf. Er würde nicht klein beigeben! Mit einem wütenden Schnauben ließ er die Wasserblasen bis auf eine fallen. „Ihr Feiglinge! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt! Verrotten sollt ihr! Die Raben sollen euch fressen!“ schrie er ihnen zornig zu. Unbändiger Hass erfüllte ihn und brannte wie Feuer in seiner Brust. Sollte Wolkenfänger doch ersticken an seinem Verrat! „Die Würmer sollen dich fressen!“ Mit aller Kraft spuckte er seinem ehemaligen Freund ins Gesicht. Für einen Moment fühlte er grimmige Genugtuung, doch dann sah er die Gefahr in den Augen Wolkenfängers, der sich mit einer drohend langsamen Bewegung den Speichel abwischte. Mit Schwung zog sich der Junge die Decke von den Schultern und warf sie Wolkenfänger und Pfeilsucher ins Gesicht, die beide gleichzeitig einen Sprung auf ihn zu machten. Sie prallten aneinander, stolperten über die Decke und fielen in einem Knäuel aus Armen und Beinen zu Boden. Die Angst gab dem Jungen die Kraft, über beide Angreifer drüber zu springen und durch die Reihe der anderen Jungen durchzubrechen. Die letzte seiner Wasserblasen in der Hand rannte er zu seinem Zelt, so schnell er konnte. Das ärgerliche Geschrei der Jungen dröhnte in seinen Ohren, die Stimme Wolkenfängers war die lauteste von allen, aber er hatte genug Vorsprung gewonnen. Haken schlagend hängte er sie ab und stand bald keuchend und schwitzend vor seinem Zelt.

Die Verfolger hatten aufgegeben. Bevor er durch die Zeltklappe ins Innere sprang, drehte er sich noch einmal um: Er sah gerade noch, wie Wolkenfänger unter dem Gelächter seiner Freunde die Decke mit einem langen Stock auf ein benachbartes Zelt warf, wo sie sich verfing und in unerreichbarer Höhe hängen blieb. Die Wasserblasen hatten sie in die Äste der Bäume geworfen, wo sie leer und zerrissen im Wind wehten. Pfeilsucher schlug Wolkenfänger auf die Schulter und Arm in Arm verschwanden sie mit den anderen Kindern lachend zwischen den Hütten.

 Wütend schüttelte der Junge seine Faust in ihre Richtung, wischte sich ärgerlich die Tränen aus dem Gesicht und bückte sich in sein Zelt hinein. Wolkenfängers Verrat hatte ihn zutiefst getroffen. Mit Wolkenfänger hatte er seine gesamte Kindheit verbracht und sie teilten so viele schöne und auch gefährliche Erlebnisse, dass er immer das Gefühl gehabt hatte, sie wären so etwas wie Brüder. Aber er war nicht der erste Freund, der sich von ihm abwandte, seit seine Familie vom Unglück heimgesucht worden war, wenn auch der, dessen Verrat am meisten schmerzte. Er war der letzte, der noch zu ihm gehalten hatte. Jetzt war er völlig allein.

 

Nach der Trauerfeier für seine Großeltern war die Hütte seiner Großeltern verbrannt worden um ihren Geistern eine Rückkehr zu verleiden. Aus demselben Grund lag auch das kleine Feld der Familie seitdem brach. Eine Zeitlang hatte der Junge abwechselnd bei verschiedenen Familien gelebt, und ihr Mitleid und ihre Geschenke hatten ihn am Leben erhalten. Aber keiner fühlte sich wirklich für ihn zuständig, und so war er eigentlich sich selbst überlassen. Er war es leid, immer der Bittsteller zu sein, der, der die Reste der Familien bekam und die abgelegten Kleider. So hatte er das alte Reisezelt seiner Familie aufgebaut, und lebte nun bereits seit einigen Mondzyklen allein. Er wollte nicht länger als Bettler von der Barmherzigkeit des Dorfes abhängen. Anstatt zu spielen, wie die anderen Jungen seines Alters, verbrachte er seine Tage mit Jagen und Fallenstellen und suchte weggeworfene Kleidung, die er noch reparieren und benutzen konnte. Doch obwohl er dadurch viel selbstständiger geworden war als seine Altersgenossen, und sich mit seinen knapp 10 Jahren beinahe selbst versorgte, hatte niemand für ihn ein lobendes Wort oder einen stolzen Blick. 

 Er hatte noch nicht einmal einen Namen - und keinen Menschen, der ihm einen geben würde. Wenn er nicht eine besondere Tat vollbrachte, würde er immer „der Junge“ bleiben, einsam, ohne Verwandte, ohne Besitz und ohne Bedeutung. Das ließen ihn sogar seine Freunde spüren. Seine Freunde! Pah! Das waren verwöhnte und verzogene Kinder, stolz auf Dinge, die sie nicht selber erreicht hatten: Ihre Ponys bekamen sie von ihren Vätern, ihre Kleidung nähten ihre Mütter, und bei allem was sie taten, halfen ihnen ihre älteren Brüder! Keiner von ihnen könnte wie er selber für sich sorgen, keiner könnte auch nur einen Monat ohne seine Familie überleben. Trotzdem verachteten und verspotteten sie ihn. Sogar Wolkenfänger, sein bester Freund hatte gesagt, „Du bist seltsam geworden, seit du allein lebst…“, und jetzt hatte er sich von ihm abgewandt, ihn und alles, was sie verband, verraten. Ach – und außerdem – was bedeutete schon Freundschaft? Alle mieden ihn, nur weil er allein war, und weil er keine Zeit mehr für Spiele und Späße hatte... Man hatte ja gesehen, was deren Freundschaft wert war.

Eine Weile saß der Junge jetzt schon grübelnd im Zelt am Feuer und hielt den Kopf in den Händen verborgen. Das Knurren seines Magens holte ihn aus seinen Gedanken. Er musste an seine Großmutter denken: Ein voller Bauch füllt auch das Herz, das hatte sie immer gesagt, wenn er über etwas traurig war. Er rieb mit den Fingern über sein Gesicht, seufzte resigniert und beschloss, erst einmal zu essen. Er stand auf und goss Wasser aus der letzten Blase in den Rest Gemüsebrühe von gestern. Das Feuer hatte inzwischen die Kochsteine erhitzt. Vorsichtig holte er sie aus der Asche, klopfte mit einem Stock die schwarze Schicht ab und legte sie, vorsichtig auf einer Astgabel balancierend, in die Flüssigkeit. Blasen stiegen zischend von den heißen Steinen auf. Dann warf er noch einige Streifen Trockenfleisch hinein und wechselte die Kochsteine noch einmal aus. Mit einer Feder schöpfte er die Ascheflocken von der Oberfläche und schüttelte die Tropfen als Opfer ins Feuer. Ohne Appetit füllte er sich ein wenig in seine Essschale und steckte ein Stück Fleisch in den Mund. Er kaute eine Weile darauf herum, würgte es dann hinunter und nahm das nächste Stück. Es war zäh und nicht besonders lecker. Aber das Essen wärmte seinen Bauch und vertrieb seine düstere Stimmung. Großmutter, du hattest recht. dachte er dankbar. Jetzt waren seine Gedanken klar, die Betäubung war Tatendrang gewichen.

 Er musste etwas unternehmen, so konnte das nicht weiter gehen! Lange genug hatte er versucht, den Spott und die Verachtung zu ignorieren. Aber es wurde immer schlimmer. Jetzt hatte er sogar noch seine Wasserblasen verloren und sein letzter Freund hatte sich gegen ihn gewandt. Nun hatte er hier nichts und niemanden mehr. Was sollte er hier noch? 

Er beschloss, wegzugehen. Er war sich sicher: Niemand würde ihn vermissen. Er würde erst wiederkommen, wenn er etwas gelernt oder erbeutet oder gesehen hatte, das ihn zu jemand besonderem machte. Vielleicht konnte er einen Bären erledigen, einen Büffel oder einen Berglöwen... Oder einen feindlichen Krieger besiegen, sein Pony stehlen, seine Waffen, oder etwas in der Art... Egal, irgendetwas würde ihm schon gelingen. Er würde es ihnen allen zeigen! Hätte er doch nur ein Pony... Ja, das war es!

Ein eigenes Pony, selbst gefangen und gezähmt – oder am Besten – irgendjemandem gestohlen. Das würde nicht nur sein Geschick mit Pferden sondern auch seinen Mut beweisen. Das würde ihm Ansehen verschaffen und mit einem eigenen Pferd könnte er andere, größere Taten vollbringen... Ja, die Idee gefiel ihm. Wieso war er nicht längst darauf gekommen? Schnell trank er die Brühe aus, die noch in der Schüssel war und sprang auf.

 

Voll Tatendrang und neuer Energie sah er sich in seinem kleinen Zelt um. Wie unordentlich seine wenigen Sachen herumlagen! Es sah alles alt und hässlich aus. Er hatte viel zu lange gewartet, dass sich seine Lage von allein besserte. Jetzt würde er endlich etwas unternehmen... Er überlegte, was er mitnehmen würde und packte die besten Sachen in sein großes Schlaffell: Den ganzen Vorrat an Trockenfleisch, eine kleine Kochschale, die halbvolle Wasserblase, ein Paar Mokassins, die warme Weste aus Eichhörnchenfell und die schöne Tasche seiner Großmutter mit dem Feuerstab, Zunder und der knöchernen Nähnadel sowie einer Rolle dünner Sehnen. 

Das ganze Bündel schnürte er mit dem Lasso seines Großvaters zusammen, der so gleichzeitig als Tragegurt funktionieren würde. Seinen wertvollsten Besitz, ein kleines scharfes Steinmesser mit einem geschnitzten Griff aus Hirschgeweih, steckte er in seine lederne Schutzhülle und band es fest an seinen linken Unterarm. Bald hatte er die Dinge, die bleiben würden, ein paar alte Decken, die große Kochschale und anderen Hausrat, ordentlich in einem Eck seines Zeltes verstaut. Dann streute er Erde auf das Feuer, hängte sich die Rolle mit dem Gepäck über die Schultern, nahm den kleinen Bogen, den Köcher mit den Pfeilen und verließ das Dorf.

 

Niemand blickte ihm nach. Sein Ziel waren die großen Grasebenen, die am Fuße des bewaldeten Hochlandes lagen, wo sich die wilden Pferdeherden zu dieser Jahreszeit meist aufhielten. Oben auf dem Hügel drehte er sich ein letztes Mal um und sah zu dem Dorf zurück, in dem er bis jetzt gelebt hatte. Leise drangen die fröhlichen Stimmen der spielenden Kinder zu ihm, das fröhliche Bellen der Hunde und das Lied einer Frau. Für einen Moment wurde ihm schwer ums Herz. Hier hatte er mit seinen Großeltern sein ganzes Leben lang gewohnt und viele schöne Tage erlebt.

Er nahm eine Handvoll Erde – irgendwie war ihm danach, ein Andenken mitzunehmen. Aber der Moment ging schnell vorüber: Er dachte er an den hässlichen Vorfall heute Morgen und die Stimme seines Freundes dröhnte in seinen Ohren: Ich wünschte, du würdest gehen und nie wieder kommen! Er war hier nicht länger erwünscht. Verrotten sollt ihr! Die Raben sollen euch fressen! hatte er ihnen gewünscht. Ja, er hätte ihnen noch viel schlimmere Sachen an den Kopf werfen sollen! Mit vor Wut und Enttäuschung brennenden Augen spuckte er in die Richtung des Dorfes und warf die Erde hinterher. Mit zornigen Schritten und Hass im Herzen schritt er kräftig aus und ließ sein altes Leben hinter sich...

Vision

Schon über zwei Wochen war er inzwischen unterwegs. Ziellos lief er durch die hohen Gräser, die sich im ständigen Wind bewegten wie die Wogen eines riesigen hellgrünen Meeres. Noch nie hatte er sich so weit von den Jagdgründen seines Stammes entfernt, aber weit und breit waren keine Herden oder ihre Spuren zu sehen. Seine Zuversicht, bald ein eigenes Pony zu besitzen, war langsam einer Niedergeschlagenheit gewichen, die seine Schritte zu lähmen begann. Irgendetwas machte er falsch. Die Pferde schienen sich vor ihm zu verstecken. Als er an einen kleinen Fluss kam, an dessen Rand sich ein paar Bäume zu einem dichten Wäldchen zusammengeschlossen hatten, ließ er sich erschöpft ins Gras fallen und breitete sein Schlaffell aus obwohl gerade erst Mittag vorbei war. So hatte es keinen Sinn. Was hatte ihm sein Großvater beigebracht? Nur wer rein in Körper und Geist war, konnte der Natur den gebührenden Respekt entgegen bringen.Und nur dem, der ihr mit Respekt gegenübertrat, gab sie, was er benötigte. Und was machte er? Wie ein Irrer war er in der Gegend herumgelaufen, trübe Gedanken, Wut und Trauer im Herzen. Er schämte sich. Er beschloss zu fasten und seinen Geist zu reinigen. Dann würde er beten und den Geist der Pferde herbeirufen. Eines von ihnen würde sich ihm sicher nähern und fangen lassen.