Der Junge, der sein Herz wiederfand - Elana Bregin - E-Book

Der Junge, der sein Herz wiederfand E-Book

Elana Bregin

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Beschreibung

Manchmal muss man vom Weg abkommen, um die eigene Bestimmung zu finden ...

»Erzähl mir von ihr«, sagte sie, »erzähl mir von deiner Mutter ...« Dies sind die Worte der alten Esther, nachdem sie den Flüchtlingsjungen Emanuel von der Straße aufgelesen und bei sich aufgenommen hat. Der junge Mann ist mit seiner Mutter aus dem Kongo geflohen, wurde unterwegs von ihr getrennt und fristet seitdem ein mittelloses Dasein in Durban an der Ostküste Südafrikas. Esther, selbst eine Außenseiterin, sieht in ihm, was niemand sonst zu sehen vermag: einen Jungen, der sein verlorenes Herz wiederfinden kann. Und tatsächlich, in einer alten Hütte inmitten der Schönheit der Drakensberge erfahren beide, dass ihre ungewöhnliche Freundschaft die Macht hat, alle Wunden zu heilen ...

Ein Plädoyer für Mut, Vertrauen und dafür, die Hoffnung niemals aufzugeben - inspirierende Unterhaltung vor der wunderschönen Kulisse Afrikas.

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Seitenzahl: 244

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Buch:

»Erzähl mir von ihr«, sagte sie, »erzähl mir von deiner Mutter …« Dies sind die Worte der alten Ester Winter, nachdem sie den Flüchtlingsjungen Emanuel von der Straße aufgelesen und bei sich aufgenommen hat. Der junge Mann ist mit seiner Mutter aus dem Kongo geflohen, wurde unterwegs von ihr getrennt und fristet seitdem ein mittelloses Dasein in Durban an der Ostküste Südafrikas. Ester Winter, selbst eine Außenseiterin, sieht in ihm, was niemand sonst zu sehen vermag: einen Jungen, der sein verlorenes Herz wiederfinden kann. Und tatsächlich, in einer alten Ameisenbärenhütte inmitten der Schönheit der Drakensberge erfahren beide, dass ihre ungewöhnliche Freundschaft die Macht hat, alle Wunden zu heilen …

Autorin:

Die südafrikanische Autorin Elana Bregin liebt Menschen, Landschaften und die schillernden Facetten Afrikas. Sie setzt sich intensiv für Menschenrechte, für den Schutz von Tieren und unseres Planeten ein und hat zahlreiche Romane verfasst, die zum Teil ausgezeichnet wurden. In Südafrika gehören ihre Bücher zur Schullektüre. Bevor sie Schriftstellerin wurde, arbeitete sie viele Jahre als Verlagslektorin. Heute leitet sie Schreibseminare.

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ELANA BREGIN

Der Junge, der sein Herz wiederfand

EIN SÜDAFRIKA-ROMAN

Aus dem Englischen

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »The Antbear Cabin« bei Wobling Earth, 2019.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Elana Bregin

Published by agreement with agentur literatur gudrun hebel, Berlin

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Margit von Cossart

Covergestaltung und -motiv: www.buerosued.de

KW · Herstellung: sam

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN978-3-641-26721-6V002

Kapitel 1

Gemeinsam mit den kleinen Menschen des Flussvolkes durchstreifte er die riesigen Wälder Ituris. Die zierlichen, dunkelhäutigen Männer in ihren einfachen Lendenschurzen bewegten sich durch die dichte Vegetation fast ohne Spuren zu hinterlassen. Nur für sie und die Tiere war der schmale Pfad, dem sie folgten, zu erkennen. Ihr Fortkommen verursachte keinerlei Geräusch, nur gelegentlich ein leises Knacken von einem Zweig, der gebrochen wurde, um ihnen später den Rückweg zu weisen. Sie hatten Glück mit ihm, denn auch er machte keinerlei Geräusch. Er verstand es genauso wie sie, seine Füße lautlos aufzusetzen und seinen Körper zwischen den dichten Bäumen hindurchgleiten zu lassen, ohne anzustoßen. Er war glücklich, wieder hier sein zu können, eins sein zu können mit dem Wald und seinem Leben im Überfluss.

Ein scheues Okapi mit weißem Giraffengesicht und gestreiften Zebrahinterbeinen kam aus dem Schutz der Bäume und flüchtete wieder hinein. Andere Waldtiere traten an seine Stelle und verharrten ohne Angst, um ihn anzusehen, bis sie wieder zwischen den Bäumen verschwanden. Vor ihnen rauschte Wasser: Sie waren zum Fluss Loya gekommen. Ein hölzerner Einbaum trieb in seiner Mitte. Er sah seine Mutter darin. Sie trug das Kleid aus dem hellen Batikstoff, das er so gern mochte – gelbe Zebras mit roten Mähnen auf blauem Hintergrund waren darauf zu sehen. Die Haare hatte sie sich nach kongolesischer Art zu vielen Knoten hochgedreht.

»Emanuel!«, rief sie ihm zu. »Komm zu mir ins Kanu. Spring ins Wasser.«

Er tat, was sie sagte, doch der Fluss hatte eine starke Strömung und trieb ihn schnell von ihr fort. Er drehte sich um sich selbst, um sie zu sehen. Sie lächelte.

»Hab keine Angst, ich werde hier auf dich warten!«, rief sie.

Die Landschaft war ihm bekannt. Links von ihm erhob sich der rauchende Vulkankrater von Nyiragongo mit einer Aschenkrone von seinem letzten Ausbruch. Dahinter die drei vertrauten Gipfel: Visoke, Karisimbi, Mikeno. Der Wald begleitete ihn, hohe Comba-Comba-Bäume streckten ihre gefiederten Blätter in den Himmel. Im grünen Dämmerlicht konnte er die unregelmäßigen Erhebungen der Hütten des Flussvolkes mit den Dächern aus Bananenblättern erkennen. Kurz darauf folgten die viereckigen Lehmhütten der Waldmenschen. Hinter seinen Augenlidern folgte ein Bild dem nächsten: Bananenplantagen, in Terrassen angelegte Maniokfelder mit den riesigen Blättern, die wie Elefantenohren aussahen, ein großer Marktplatz auf einer Lichtung aus gestampfter Erde, auf dem Mais, Süßkartoffeln, Bohnen, Papayas und anderes angeboten wurde. Es überraschte ihn, so viel zu sehen. Er begriff, dass das der Ort von früher war. Aus der Zeit des Friedens. Als die Menschen noch pflanzen, ernten und von ihrem Land leben konnten, wie sie es gewohnt waren.

Vor ihm erhoben sich die Berge von Ruwenzori, wo die Gorillas lebten. Er spannte seine Muskeln an, kam mit einem Sprung aus dem Fluss und kletterte mühelos den Hang hoch. Die Vegetation war hier noch dichter als in den Wäldern zuvor, es gab nicht so viele Bäume, dafür riesige Pflanzen, die zu allen Seiten hin grüne Wände bildeten, darüber die tief hängenden grauen Wolken. Diese Ruhe im grünen Dämmerlicht. Keine Vogelrufe. Keine Geräusche von Insekten. Nur das Rascheln der Blätter, wenn ein schwacher Windstoß durch die feuchte Stille drang. Er setzte sich an den Hang und blickte auf die weiten Ebenen hinunter, die sich bis an den Fuß der Berge erstreckten.

Plötzlich bewegte sich das Grün hinter ihm. Er wandte den Kopf, zum ersten Mal rührte sich Angst in ihm. Aus dem Dickicht aus Stämmen und Blättern schob sich eine schwarze Gestalt: ein großer männlicher Gorilla. Mit schaukelnden Bewegungen kam er auf ihn zu und setzte sich neben ihn. Er hatte keine Angst vor dem Gorilla. Gemeinsam – wie Brüder – blickten sie friedlich über die sanften Hügel des Urwalds, über denen dunkle Wolkenschatten hingen.

Er erwachte auf nacktem Stein, unfähig zu atmen. Ein Arm war um seine Kehle gelegt. Ein Paar Hände kämpfte mit seinen Füßen. Er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht einmal an sein Messer herankommen, das in einer unsichtbaren Falte innen an seinem Hosenbein versteckt war. Die Hände durchsuchten seine Taschen. Da gab es nichts zu finden. Sie schlugen gegen seinen Kopf, zur Strafe. Sie hätten noch Schlimmeres tun können, hätte das Brüllen sie nicht gestört. Ein großer, bärtiger Bär von einem Mann kam mit schweren Schritten aus einer Häusernische und schwenkte seinen Schlagstock. Die Angreifer zerstreuten sich, seine Schuhe nahmen sie mit.

Sein Retter stand über ihm und sah ihn an.

»Lungile ngane? Du bist in Ordnung, mein Sohn?«

Emanuel nickte, konnte aber nicht antworten. Er verstand die Sprachen dieser Region, sprach sie jedoch noch nicht. Auch das machte ihn zu einer leichten Beute.

Kapitel 2

Der Samstag begann immer langsam im Zentrum von Hillcrest. Es dauerte eine Weile, bis die Straßen wach wurden. Noch war es früh, und die Läden waren geschlossen, nur einige Fahrradfahrer in Grüppchen störten den herumwirbelnden Müll bei ihrer Durchfahrt. Eine einzige verschlafene Straßenhändlerin lehnte sich gegen eine Mauer und wartete darauf, dass sie den Fahrern der Pendeltaxis die Süßigkeiten und Früchte auf ihrem improvisierten Tischchen anbieten konnte. Später würde die Old Main Road wieder zum beliebten Treffpunkt werden, der Verkehr würde sich auf der zehn Blocks langen Einkaufsmeile in allen Spielarten stauen: elegante SUVs, auf deren Nummernschildern Namen statt Zahlen standen; glänzende, teure Limousinen neben alten Kastenwagen, die schon bessere Tage gesehen hatten; Taximinibusse, die überall anhielten, wo Passagiere ihnen Zeichen gaben; schicksalsergebene Motorradfahrer, die dahinter anhalten mussten.

Außerhalb der bewachten Areale der Shoppingcenter gingen Kleinunternehmer zu Fuß ihren Geschäften auf der Straße nach. Hausierer und Glücksuchende aller Art wanderten auf den ausgetretenen Bahnen zwischen den Fahrstreifen entlang und warteten darauf, dass sich ein Autofenster öffnete. Sie hofften auf ein schnelles Geschäft, bevor die Ampel umsprang: handgenähte Schuhbeutel und aus Resten gefertigte Säckchen für Wäscheklammern; Sonnenbrillen, Handtaschen und Steinschleudern; Vögel und andere Tiere, von kunstfertigen Händen aus Draht und Perlen gebogen.

Emanuel saß auf seinem kleinen Grünstreifen hinter der Ampel, genoss die frühe Morgensonne und arbeitete an den Holzkistchen, die er vor den Supermärkten aufgesammelt hatte. Er mochte diesen Platz mit den gelben Stämmen der Fieberakazien, die ein Rasenstück umrahmten. Er war ein bisschen weiter weg von den Autos, seitlich des Kreisverkehrs zwischen Supermarktparkplatz und Tankstelle. Hier war man nicht auf der Straße, hatte aber einen guten Blick darauf. Was bedeutete, dass es sich nicht lohnte, sich um diesen Platz zu streiten. Bisher hatte ihn auch noch keiner deshalb angegriffen.

Er verbrachte den Vormittag meistens hier und arbeitete an seinen Kisten. Dafür nahm er die verdreckten und gesplitterten Bretter auseinander und ordnete die noch brauchbaren neu. Es war nicht schwer, sie zu zerlegen. Manchmal war das Holz verrottet, und die Nägel fielen einfach heraus. Die restlichen Nägel hebelte er mit der Klinge seines Messers aus dem Holz. Er ließ sich gerne damit Zeit, die raue Oberfläche der Bretter abzuschmirgeln, die Nägel zu retten und die guten Teile wieder zusammenzusetzen.

Manchmal verkaufte er eine Kiste. Es spielte keine Rolle, ob er das tat oder nicht. Die Kisten gaben ihm etwas zu tun. Ließen ihn beschäftigt aussehen. Solange du aussahst, als hättest du etwas zu tun, ließ die Straße dich in Ruhe. Es bedeutete, dass du einen Grund hattest, hier zu sein. Dass du niemandem den Platz in der Schlange der Bedürftigen wegnahmst.

Ein großer Polizeiwagen hielt mit quietschenden Reifen auf der anderen Seite der Straße. Noch schenkte ihm niemand Beachtung. Uniformierte schoben sich heraus. Er verspannte sich, fragte sich, ob sie seinetwegen gekommen waren, doch sie waren hinter jemand anders her. Eine Gestalt mit wildem Blick und einer Handtasche hastete über die Kreuzung auf ihn zu. Schwerfällig nahmen die Polizisten die Verfolgung auf. Sie waren nicht gemacht für schnelles Tempo. Die Extrakilos, die sie herumschleppten, machten den Wettkampf unfair.

Der Bösewicht sah zurück und grinste, dann drosselte er sein Tempo, bis er beleidigenderweise nur noch schlenderte. Für einen kurzen Moment begegnete sein scharfer Blick dem Emanuels, dann weidete er die Handtasche aus, warf sie in den Rinnstein und lief die Seitenstraße hinunter, die zur Eisenbahntrasse führte.

Die Polizisten liefen zu ihrem Wagen zurück, stiegen mit genervtem Zungenschnalzen wieder ein und fuhren davon. Emanuel setzte seine Arbeit fort. Seine Hände genossen das Hämmern, die befriedigende Erneuerung von etwas Altem, Unbrauchbarem.

Ein verbeulter roter Toyota, dessen beste Tage bereits vorbei waren, hielt neben seinem Platz an der Ampel.

»Verkaufst du diese Kisten?«, rief ihm die Fahrerin zu.

Er nickte vorsichtig. Sie sah nicht aus, als bräuchte sie Secondhandkisten.

Sie schwenkte in die Parkbucht neben seinem Platz ein und stieg aus. »Wie viel?«

Er hielt fünf Finger hoch.

»Fünf Rand? Das ist viel zu billig. Ich nehme zwei. Hier sind vierzig Rand.«

Er starrte sie an: eine seltsame Frau. So ging das nicht mit dem Handeln. Er nahm das Geld trotzdem.

Es gab nur drei Kisten zum Aussuchen, aber sie ließ sich Zeit und sah sich jede genau an. »Ich nehme diese beiden.«

Sie gab ihm die vierzig Rand. Er sagte nichts.

»Warum malst du nicht etwas darauf?«, fragte sie. »Eine Blume. Und mach die Bretter näher zusammen. Dann können die Leute sie verwenden, um Gemüse darin zu pflanzen.«

Er nickte höflich.

Sie stieg zurück in ihren Wagen, der eine gründliche Wäsche nötig gehabt hätte, und fuhr davon.

Die vierzig Rand vibrierten in seiner Hosentasche. Er ließ seine übrig gebliebene Kiste stehen und ging zu dem Imbiss an der Ecke, setzte sich an den einzigen Tisch im Freien. Ein richtiger Kunde, der köstliches vegetarisches Curry löffelte, die Sauce mit Brot auftunkte und die Reste mit der Zunge abschleckte. Fleisch aß er zurzeit nur selten, es erinnerte ihn zu sehr an den Geruch von Leichen.

Ein paar Tage später war seine einzige Kundin wieder da, ihr rotes Auto war jetzt noch staubiger. Das Rücklicht war zerbrochen, und die Karosserie hatte eine neue Beule.

»Hallo!«, rief die Fahrerin. »Wie läuft das Geschäft mit den Kisten?«

An diesem Morgen hatte er vier Stück, die neu zusammengesetzt waren und in einem Halbkreis um ihn herumstanden. Eine fünfte ließ sich nicht mehr retten, also nutzte er sie als Sitz. Die vier Kisten waren dieselben wie gestern. Niemand wollte sie kaufen.

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern polterte wie ein Sammeltaxi auf den Bordstein, ohne auf das Hupkonzert hinter sich zu achten. Dann stieg sie aus und ging um das Auto herum zur Beifahrerseite, um etwas herauszuholen.

»Ich wollte dir meine Gemüsekiste zeigen. Schau, wie gut sie funktioniert«, sagte sie. »Ich habe den Boden mit Zeitungspapier ausgelegt und sie dann mit guter Pflanzerde gefüllt.«

Reihen grüner Setzlinge winkten ihm mit ihren Ranken fröhlich zu.

»Warum probierst du nicht, was ich vorgeschlagen habe? Male ein paar Blumen oder Gemüsepflanzen auf die Seiten deiner Kisten. Mach sie ansprechender. Und mach ein bisschen Werbung. Die Leute nehmen dich nicht wahr, wenn du hier sitzt. Ein nettes Schild an diesem Pfosten würde das ändern. Hier, ich habe dir ein bisschen Farbe gekauft.«

Sie verstand es nicht. Er wollte nicht besser zu sehen sein. Gesehen zu werden bedeutete Ärger zu bekommen.

Sie legte zwei Tuben Farbe auf den Boden vor ihm. Er sah sie an, hob sie aber nicht auf. Warum interessierte sie sich so für das, was er tat? Gehörte sie zu den rechthaberischen Leuten, die immer dachten, sie müssten die Welt retten?

»Ich kann meine Kiste hierlassen, wenn du willst«, schlug sie vor. »Dann können die Leute sehen, was man mit den Kisten machen kann.«

Er schüttelte den Kopf.

»Sicher?«

Ihre Beharrlichkeit ging ihm langsam auf die Nerven. Wortlos stand er auf und ging davon, auf die Seitenstraße zu, in der vor ein paar Tagen der Handtaschendieb verschwunden war, ließ sie einfach stehen, obwohl sie immer noch redete.

In den nächsten Tagen hungerte er. Die meiste Zeit regnete es stark. Auf den Verkehrsinseln standen armselige durchweichte Gestalten, die zitternd an das Mitleid der Vorbeifahrenden appellierten. Ein paar Fenster wurden heruntergelassen, ein oder zwei Münzen wurden in die Plastikbecher der Bettler geworfen.

Bei diesem Wetter hatte er keine Chance auf einen Gelegenheitsjob wie eine Schicht Parkplatzwache oder das Waschen eines Autos, bezahlt mit ein paar Rand oder einer warmen Mahlzeit. Seine Mutter hatte Glücksarbeiten dazu gesagt, zu allem, was einem so unterkam, während man herumzog. Manchmal brauchten sie ihn, um etwas zu heben oder zu tragen. Manchmal wollten sie ihn als menschliche Werbung, wollten, dass er den ganzen Tag mit einem Schild oder einem Hühnerkopf auf der Straße herumstand. Oder sie gaben ihm Flugblätter, die er an Autofahrer verteilen sollte. Das war schwieriger, als es sich anhörte. Niemand riskierte es gerne, sein Autofenster herunterzukurbeln. Man könnte ja ein Whoonga-Junkie sein, der einem Autofahrer die Brille von der Nase schlagen würde.

Er verfiel in Winterschlaf, bis die Welt wieder trocken war, vergaß im Traum seinen Hunger. In einigen Zentren, durch die er gekommen war, gab es Anlaufstellen von Wohltätigkeitsorganisationen, wo man für wenig Geld eine Mahlzeit bekam und duschen konnte. Aber in den Vororten oberhalb der Autobahn nach Durban existierte kaum dergleichen. Einem blieb nichts übrig, als mit den anderen nach Nahrung zu suchen. Wäre seine Mutter hier gewesen, hätte sie gewusst, wie sie ihnen ein Einkommen sichern konnte. Sie hatte die Gabe, alle Chancen zu erkennen, und genügend Charme, um sie auch zu ergreifen.

»Iss nichts aus den Mülltonnen«, hatte sie ihn immer ermahnt. »In dieser Hitze verdirbt das Essen schnell. Es wird dich krank machen.«

An manchen Tagen war es schwer, ihren Rat zu befolgen. Die Glücksarbeiten blieben aus. Das zum Überleben notwendige Einkommen verdienten Geschäftstüchtigere.

Er war nicht beharrlich, so wie der Besenverkäufer. »Eine kleine Unterstützung, Mama. Nur vierzig Rand für dich. Ich habe heute noch nichts verkauft.«

Oder der zahnlose Avocadoverkäufer: »Fünf für zwanzig Rand, Miss, billig, billig. Sehr gute Avocado, diese. Schau, wie Butter.«

»Helfen, Mama. Ich bin hungrig, Mama. Nur ein bisschen. Ich habe heute noch nichts gegessen.«

Die Frauen hatten ein weiches Herz, hatte er festgestellt. Sie waren es, die sich zu noch einem Reisigbesen überreden ließen, obwohl er gesehen hatte, wie sie genauso einen ein paar Tage zuvor erst gekauft hatten. Sie kauften die Avocados, die viel zu früh von den Bäumen an der Straße gepflückt worden waren, sodass sie, statt reif zu werden, innen verfaulten. Sie gaben einer armseligen Gestalt, die nichts hatte außer den eigenen Hunger, Brot oder Äpfel oder gerade erst gekauftes Gebäck.

Das von ihnen verschenkte Essen war kein halb vergammelter Rest, wie einige Autofahrer ihn durchs Fenster reichten, als wäre man ein Mülleimer. Dieses Essen hatte Qualität. Du bist ein Mensch, sagte es. Du bist wichtig. Kein Abfall, der mit dem Rest weggeworfen werden sollte.

Irgendwann hörte der Regen auf. Er ging zurück zu seinen nutzlosen Kisten. Die ungewollten Farbtuben lagen immer noch im Matsch.

Um sich selbst aufzuheitern, versuchte er, eine große gelbe Sonnenblume mit breiten grünen Blättern zu malen, so wie die, die in seiner Heimat am Straßenrand wuchsen. Das waren die einzigen zwei Farben, die er hatte. Als Pinsel verwendete er einen angespitzten Stock, mit dem er die Farben in mehreren Schichten auftrug. Das Holz sog die Farbe auf, als wäre sie Wasser, doch er ließ sich Zeit. Es überraschte ihn, wie viel Spaß ihm diese Beschäftigung machte. Das Ergebnis war gut. Die gelben Blütenblätter sahen so dick und lebendig aus, dass man sie berühren wollte. Der knollige Fruchtstand der Sonnenblume bestand aus verschwommenen blauen Punkten, die aus einer Schicht Gelb über dem Grün entstanden waren. Er fügte noch eine gestreifte Biene hinzu, die auf der Blüte saß.

»Wie viel kostet die Kiste mit der Sonnenblume darauf?«

Sie schon wieder. Sie sah aus, als hätte sie sich vom Wind durchpusten lassen. Aus ihrem Knoten hatten sich Haare gelöst, als wäre sie mit ihrem Besen hergeritten. Der rote Wagen wirkte wie ein Rennauto, das durch Matsch gerast war.

Er hielt einfach zehn Finger hoch.

»Ich nehme sie.«

Sie schaukelte auf ihren Parkplatz auf dem Bordstein, stieg bei laufendem Motor aus und gab ihm einen roten Fünfziger. Dann nahm sie die Kiste und fuhr davon, ohne auf Wechselgeld zu warten.

Er machte sich auf den Weg zu seinem Lieblingsimbiss, der gutes Essen anbot. Dort hatte er sich gerade erst gesetzt und begonnen, seinen Hunger mit einem dampfenden vegetarischen Curry in einem halbem Brotwecken zu stillen, da sah er das vertraute Rot in der Autoschlange aufblitzen.

»Hey, mon ami, wäschst du Autos?«, rief sie aus dem Fahrerfenster, sodass es die ganze Straße hören konnte.

Er erstarrte mitten in der Bewegung, das Brot auf halbem Weg zum Mund. Woher wusste sie, dass er Französisch sprach? Er hatte nie ein Wort mit ihr geredet.

Anscheinend konnte sie ihn einfach nicht in Ruhe lassen. Wie eine lästige Fliege.

»Mein Auto braucht eine gründliche Wäsche, wie du siehst. Wenn ich es hinter dem Supermarkt dort parke, kannst du es für mich waschen?«

Er nickte. Auch wenn diese Fremde ihn mit ihrer Einmischung nervte: Glücksarbeiten boten sich so selten an, dass man sie nicht ausschlagen konnte.

»Warte da auf mich, wenn du fertig bist mit dem Essen«, befahl sie ihm. »Ich bin sofort zurück.«

Sie kam so schnell wie versprochen und brachte einen Eimer, der randvoll war mit Seifenwasser, einen anderen mit klarem Wasser zum Abspülen und einen Putzlappen.

»Leer das Wasser über dem Abfluss aus, nicht auf dem Parkplatz. Mach hier keine Sauerei, sonst schimpfen sie mit dir. Und ich auch. Und erledige den Job ordentlich«, wies sie ihn an. »Ich warne dich: Ich habe sehr genaue Vorstellungen. Ich zahle nicht für schlampige Arbeit.«

Damit ging sie davon, um ihre Einkäufe zu erledigen, und ließ ihn allein zurück.

Ihr Auto hätte eher eine Scheuerbürste gebraucht als einen Putzlappen. Der Matsch war hartnäckig und ging nicht so leicht ab. Er setzte seine ganze körperliche Kraft ein und genoss die Arbeit. Es war gut, etwas zu tun zu haben, einen richtigen bezahlten Job.

Gerade als er fertig war, kam sie zurück, einen mit Schachteln beladenen Einkaufswagen vor sich her schiebend.

»Ist das mein Wagen?« Sie lächelte. »Ich hatte ganz vergessen, dass er so rot ist.«

Sie inspizierte ihn gründlich, genau wie sie es mit den Kisten gemacht hatte. Rieb an ein oder zwei Flecken herum, beschloss dann wohl, dass es sich dabei um Rost und nicht um Dreck handelte, und richtete sich auf.

»Nicht schlecht«, gab sie, sichtlich erstaunt, zu. »Du warst gründlich, das gefällt mir.«

Sie gab ihm Geld. Einen Hundertrandschein diesmal. Sie schien keine Ahnung von den üblichen Preisen zu haben. Er hatte mit höchstens zwanzig Rand gerechnet.

Sie stand vor ihm und sah ihn so intensiv an, dass er unruhig wurde. Er wandte den Blick ab und massierte sich, verunsichert von ihrem scharfen Blick, den rasierten Kopf.

»Ich habe noch eine andere Arbeit für dich«, sagte sie, »weil du das hier so gut gemacht hast.«

Misstrauisch sah er sie wieder an.

»Ich brauche einen Gehilfen für das Wochenende. Er soll mir bei ein paar Recherchen helfen, die ich mache. Hast du Lust?«

»Was für Arbeit?«, fragte er.

»Oh, du hast eine Stimme«, erwiderte sie. »Bonne. Ich habe mich schon gewundert. Es wird eine Exkursion. Nichts Schwieriges, versprochen. Vielleicht wird es dir sogar gefallen. Ich erkläre dir mehr auf dem Weg dorthin.«

Sie drehte sich um und lud ihre Einkäufe in den schon fast vollen Kofferraum.

»Aber du solltest dich schnell entscheiden. Ich muss los.«

Sie warf den Kofferraumdeckel zu und sah ihn an.

»Nun?«, fragte sie. »Was meinst du?«

Das Angebot klang sehr unkonkret. Er wusste nicht, was eine Exkursion war. Er wollte noch mehr Fragen stellen, aber es kam ihm zu schwierig vor, die englischen Wörter zu finden.

»Ich werde dir nicht viel zahlen können. Aber immerhin würdest du an diesem Wochenende gut essen.«

Sie wartete kurz ab und zuckte dann die Schultern.

»Gut, denk darüber nach«, sagte sie. »Das Angebot läuft in einer halben Stunde aus. Ich habe noch andere Dinge zu tun. Ich kurve vorbei, wenn ich fertig bin, dann schaue ich, ob du noch da bist oder nicht.«

Sie fuhr in ihrer sauberen feuerroten Karosse davon, die Putzeimer ließ sie einfach zurück. Er drehte einen davon um, setzte sich darauf und grübelte über das verdächtige Jobangebot nach. Was bedeutete eine Exkursion? Warum sollte er mit dieser nervigen Person irgendwohin fahren wollen? Weder kannte er sie noch mochte er sie oder vertraute ihr.

Sie hatte sicher irgendwelche Hintergedanken, und das beunruhigte ihn. Wer wusste schon, was wirklich ihre Absichten waren. Vielleicht wollte sie ihn an die Einwanderungsbehörde übergeben.

Er stand auf, setzte sich wieder.

Autos kamen und fuhren wieder. Lastwagen hielten am Liefereingang, luden Waren ab und wieder ein. Es war angenehm, hier zu sitzen und diese Aktivitäten zu beobachten. Das ersetzte die Grübelei.

Der uniformierte Wachmann kam herüber, um zu überprüfen, was diese seltsame Person auf dem Rasenstück da machte. Emanuel sagte, er würde auf den roten Wagen warten, der ihn mitnähme.

In dem Moment fuhr sie wieder auf den Parkplatz und kam schlitternd neben ihm zum Stehen.

»Noch hier«, sagte sie. »Gut. Hilf mir, diese Sachen in die Kühlbox hinten zu packen.«

Weitere Einkäufe in Tüten. Sie fühlten sich schwer an, es waren wohl essbare Dinge darin. Er tat, was sie anordnete. Sie verhielt sich wie eine Lehrerin in der Schule, was einem keine Wahl ließ.

»Gib mir die Eimer«, wies sie ihn an. »Nun, wie hast du dich entschieden? Kommst du mit oder nicht?«

Er wusste immer noch nicht, ob er mitwollte.

Sie ließ ein ungeduldiges Zungenschnalzen hören.

»Komm schon – tata ma chance! Nutz die Gelegenheit. Gönn dir ein Abenteuer. Was hast du zu verlieren?«

Sie stieg in den Wagen. Beugte sich zur Seite, um die Beifahrertür aufzustoßen.

»Beeil dich«, drängte sie, »komm rein. Wir verschwenden gutes Tageslicht.«

Sie startete den Motor mit einem Aufheulen.

Geschickt zog Emanuel seine Zehen weg, als das Auto erst zurück und dann mit einem Satz nach vorn fuhr, beinahe über seine Füße.

»Letzte Chance«, sagte sie, »spring rein.«

Der Wachmann war immer noch da. Er kaute auf seiner Lippe herum und sah ihnen aufmerksam zu. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war nicht gerade freundlich.

Emanuel sprang.

Kapitel 3

Sie fuhren aus der Stadt hinaus und auf die Autobahn N3. Sie hielt sich auf der Überholspur, allerdings in ihrem eigenen Tempo, wobei sie das wütende Hupen der dicht auffahrenden Autos hinter sich ignorierte. Im Wagen war es heiß, alle Fenster waren zu, und die Lüftung sog die Hitze der Straße herein. Die alte Maschine lief geräuschvoll, was es schwierig machte, sich zu unterhalten – wofür er dankbar war.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Ausflug wirklich aus der Stadt hinausführen würde. Angespannt saß er da und starrte durch das Fenster auf die Betonschlange der Autobahn, die sie aus seinem vertrauten Gebiet wegbrachte. Es machte ihn nervös, dass er nicht wusste, wohin sie fuhren oder warum. Sie hatte ihm nichts mehr über den Job erzählt, mit dem sie ihn gelockt hatte. Er wusste nicht einmal, ob es ihn wirklich gab. Aber für Bedenken war es zu spät. Er saß jetzt in ihrem Auto. Er konnte nur abwarten, bis er sah, was sie mit ihm vorhatte.

Sie wandte ihre Augen von der Straße ab und sah ihn an. »Du siehst verängstigt aus. Hast du Angst? Denkst du, ich will dich an diese guma-guma-Typen verkaufen, die mit Flüchtlingen handeln?«

Ihm fiel auf, dass ihr Kopf wackelte. In der Windschutzscheibe spiegelten sich ihre Gesichtsfalten. Ein Spinnennetz mit feinen Rissen zog sich über ihr Gesicht wie der ausgetrocknete Schlamm an einem Wasserloch, aus dem zu viele durstige Mäuler getrunken hatten.

»Entspann dich«, sagte sie. »Dir wird nichts Schlimmes passieren. Ich nehme dich an einen schönen Ort mit. Wo du gute Luft atmen kannst und wieder echte Sterne sehen.«

Sie sah, dass er die Stirn runzelte. »Was? Glaubst du mir nicht?«

Er rang um die Wörter, die er brauchte. »Warum bist du nett zu mir?«, stieß er hervor.

»Nett? Ich bin nicht nett. Ich bin pragmatisch. Ich brauche einen Gehilfen, wie ich dir gesagt habe, und du eignest dich dafür. Ich mag deine Arbeitshaltung«, erklärte sie. »Ich mag es, wie viel Aufmerksamkeit du deinen Kisten widmest. Mein Wagen war noch nie so sauber. Du wirkst wie jemand, der Eigeninitiative entwickelt, wenn sie gefragt ist. Ich kann Leute nicht ausstehen, die den ganzen Tag wie ein Klotz herumsitzen und darauf warten, dass ihnen jemand sagt, was sie tun sollen.«

Ihre Antwort genügte ihm nicht.

Schweigend fuhren sie weiter. Auf dieser Straße herrschte starker Verkehr, große Lastwagen scherten immer wieder aus ihren Spuren aus und überholten sich gegenseitig im Schneckentempo, womit sie den Verkehrsfluss behinderten. Ihr Fahrstil war unberechenbar, sie bremste immer wieder grundlos und wechselte die Spur, ohne zu blinken. Sie war mit ihrer Aufmerksamkeit sicher ganz woanders, so wie sie mal langsamer wurde und dann schneller. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und betrachtete die ungewohnte Landschaft, die an ihnen vorüberzog.

Es war gut, unterwegs zu sein und sich von der Straße tragen zu lassen, nicht von den eigenen Füßen. Die Weite, die ihn umgab, der Horizont, der nie näher kam, die Ausdehnung des Himmels, den niemand töten konnte.

Ohne Vorwarnung fuhren sie bei einem Schild mit der Aufschrift Umlaas Road von der Autobahn ab. Kaum hatten sie den Highway hinter sich gelassen, und die Farmlandschaft öffnete sich vor ihnen, wurde sie gesprächig.

»So. Erzähl mir etwas über dich«, sagte sie. »Wenn du mein Gehilfe bei den Recherchen sein wirst, muss ich ja irgendetwas über dich wissen. Fangen wir bei deinem Namen an.«

»Emanuel«, nuschelte er.

»›Gott ist mit uns‹, du kannst glücklich sein, so einen Namen zu haben. Auch wenn momentan das Leben nicht dazu passt. Du kannst mich Winter nennen. Gut, Emanuel. Jetzt erzähl mir deine Geschichte. Wo kommst du her?«

Er wollte nicht antworten.

Sie warf ihm einen Blick zu.

»Nicht von hier offensichtlich, mit dem Akzent. Aus einem der französischsprachigen Länder. Ich würd mal schätzen, aus dem Kongo … der DRK. Liege ich richtig?«

Er nickte mit versteinerter Miene.

»Aber was hat dich hierher gebracht? Den ganzen Weg bis ans südliche Ende von Afrika?«

Er zuckte mit den Schultern, ohne zu antworten.

Wieder sah sie von der Straße weg.

»Du bist nicht sehr gesprächig, oder?«, stellte sie fest.

Er zuckte noch einmal die Achseln.

»Aber warum? Es liegt nicht daran, dass du kein Englisch kannst. Du verstehst gut, was ich sage. Du magst nur nicht antworten.«

Ein paar Kilometer herrschte Ruhe.

»Du musst zu sprechen üben«, sagte sie. »Es ist wichtig, dass du die Sprache eines Ortes sprichst. Tust du das nicht, wirst du immer ein Außenseiter bleiben.«

Trotzig presste er die Lippen zusammen. Was wusste sie davon, wie es war, ein Außenseiter zu sein? In einem Land, das Fremde als Feinde betrachtete? Jedes Mal, wenn er den Mund öffnete, gab er etwas von sich preis.

»Was ist mit deiner Mutter und deinem Vater?«, fragte sie. »Sind sie mit dir nach Südafrika gekommen? Oder sind sie noch im Kongo?«

Er presste die Lippen noch fester zusammen.

An diesem Punkt schien sie aufzugeben und ließ ihn, Gott sei Dank, in Ruhe.

Sie durchquerten jetzt eine andere Landschaft. Schmale Bäume warfen ihre Schatten auf die enge, holprige Straße. Endlose Reihen an hohen, spindeldürren Eukalyptusbäumen, deren Stämme so gerade waren wie Gitterstäbe. Das waren keine natürlichen Wälder, sondern Plantagen zur schnellen Holzgewinnung. Steril und traurig. Leblos. Das Einzige, was in ihrem Schatten wuchs, war Unkraut. Im Hintergrund die kahlen gerodeten Hügel, die Stämme lagen frisch abgeschlagen an der Luft.

Wie aus dem Nichts fragte sie ihn: »Wie heißt sie, deine Mutter? Aus welchem Teil des Kongo kommt sie?«

Vor Unbehagen wand er sich in seinem Sitz.