Der Kalendermann vom Veitsberg - Otto Glaubrecht - E-Book

Der Kalendermann vom Veitsberg E-Book

Otto Glaubrecht

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Eine historische Erzählung aus Hessen. Die Serie "Meisterwerke der Literatur" beinhaltet die Klassiker der deutschen und weltweiten Literatur in einer Sammlung.

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Seitenzahl: 304

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Der Kalendermann vom Veitsberg

Otto Glaubrecht (Rudolf Ludwig Öser)

Inhalt:

Rudolf Ludwig Oeser – Biografie und Bibliografie

Der Kalendermann vom Veitsberg

1. Der Gruß an den Leser aus der Heimath des Kalendermannes.

2. Der Gallusmarkt.

3. Lust neben Schmerz.

4. Das Trauerhaus.

5. Des Kalendermanns Jugend.

6. Die Wartezeit.

7. Scheiden von der Heimath.

8. Der Schulmeister.

9. Der Kalendermann.

10. Die Hausfreunde.

11. Der verlorene Sohn.

12. Der Feind kommt, wenn die Leute schlafen.

13. Die Nachtmenschen.

14. Die Versuchung.

15. Die Tiefe.

16. Die Rache.

17. Es wird Licht.

18. Selma's Abschied vom Veitsberg.

19. Das Wiederfinden.

20. Der Tag ist da.

Der Kalendermann vom Veitsberg, Otto Glaubrecht

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849615833

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Rudolf Ludwig Oeser – Biografie und Bibliografie

Unter dem Namen Otto Glaubrecht bekannter Volksschriftsteller, geb. 31. Okt. 1807 in Gießen, seit 1835 Pfarrer zu Lindheim in der Wetterau, starb daselbst 13. Okt. 1859. O. gab eine Reihe von Erzählungen heraus, die das Volksleben, besonders in der Wetterau und im übrigen Hessenland, in einfacher und fließender Darstellung zur Anschauung bringen und trotz ihrer pietistischen Färbung zu den bessern Erscheinungen dieser Art gehören. Wir nennen davon: »Anna, die Blutegelhändlerin« (Frankf. 1841); »Die Schreckensjahre von Lindheim« (1842); »Heimkehr« (1848); »Die Goldmühle« (1852); »Erzählungen aus dem Hessenland« (1853); »Die Zigeuner« (1851; 7. Aufl. mit Lebensskizze von seinem Sohn, Stuttg. 1899); »Die Heimatlosen« (1858); »Das Wassergericht« (1860) etc. Ausgewählte Schriften Ösers erschienen Frankfurt 1866. – Sein Sohn Hermann, geb. 27. Nov. 1849 in Lindheim, seit 1882 Direktor des Lehrerinnenseminars in Karlsruhe, schrieb stimmungsvolle Skizzen und Novellen: »Stille Leute«, zwei Lebensbilder (5. Aufl., Basel 1900); »Vom Tage« (2. Aufl., das. 1895); »Des Herrn Archemoros Gedanken über Irrende, Suchende und Selbstgewisse« (4. Aufl., das. 1899); »Am Wege und abseits« (3. Aufl., das. 1900); »Midaskinder« (2. Aufl., das. 1904); »Aus der kleinen Zahl« (das. 1904) u. a; auch gab er ein »Hausbuch aus deutscher Dichtung und Prosa« (2. Aufl., das. 1901) heraus.

Der Kalendermann vom Veitsberg

Sehet an, lieben Brüder, euren Beruf. Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen, sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da nichts ist, daß er zu nichte mache, was etwas ist; auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme. (1. Korinter 1, 26-29.)

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1. Der Gruß an den Leser aus der Heimath des Kalendermannes.

Wenn in unsern Tagen ein junger Mann sein Studium oder sein Handwerk gelernt hat, wenn er auch seine Wartezeit hinter sich hat, wenn er draußen gewesen ist in der Welt mit dem Reisebündel auf dem Rücken, und er kehrt zur lieben Heimath wieder, wer will's ihm verargen, daß er dann nach dem Plätzchen sich umsieht, wo er sein Haus bauen und sein Geschäft treiben, und manchen stillen Herzenswunsch befriedigen kann? Und unsere Zeit ist eine gütige Mutter, für alle Wünsche ihrer Kinder hat sie auch die Erfüllung; sie weiß Mittel und Rath, und wer es anders nur klug angreift, der findet auch Haus und Brod. Ueberall wächst die Bevölkerung, aber mit ihr auch die Klugheit, der Erde ihr Gewächs abzugewinnen, daß es den Tausenden nicht an Brod fehle, und überall auch der Kunstfleiß, der Neues schaffet und das Alte verbessert. Hätten wir vor hundert Jahren gelebt und könnten einmal wieder unsere alte Heimath besuchen; sähen wir da die Länder mit Straßen durchzogen, die wüsten Stellen in fruchtbare Aecker umgewandelt, die Sümpfe ausgetrocknet und die Eisenbahnen im Flug die Menschen zu einander führen; sähen wir in Städten und Dörfern das Volk sich wie in einem Ameisenhaufen durcheinander winden; wir würden uns wie Träumende vorkommen, und die Heimath nicht wieder erkennen.

Denn an's Wunderbare gränzt der Fortschritt, den unsere Zeit vor den früheren gemacht hat, unsere Zeit, die so Vielen nicht gefallen will. Manchen gefällt sie nicht, weil sie nicht schnell genug geht, weil der junge Mensch, der mit hoffendem Herzen in sie hineintritt, nicht seine Zeit, oder vielmehr Gottes Zeit mit ihm, abwarten kann, und murret und klagt, daß ihm nicht schnell genug geholfen werde.

Höre doch einmal, du Unzufriedener, von der Väter Zeit; die lehrte warten. Da war auch das Herz der Jugend ungestüm, aber die lange Wartezeit machte es kühl; da ward auch die Jugend gelehrt und unterwiesen, länger und fast gründlicher, denn jetzt; aber die Mühe fand nicht so schnell ihren Lohn; das Brod kam oft lange in kleinen Laiben nur in's Haus, und unter Geduld und Warten mußte es im Schweiße des Angesichtes gegessen werden. Wie viele Meister gab es damals, die niemals eine eigne Werkstätte erlangten, sondern froh sein mußten, Zeit Lebens das Gesellenbrod zu essen! Wie viel Künstler gingen damals umher, den Kopf voll großer Entwürfe und schöner Gedanken, und war Niemand da, der sie verstand! Wie viel studirte Leute, die was Tüchtiges gelernt hatten, sah man noch über die Mitte ihres Lebens hinaus umhergehen und nach einem Aemtchen suchen, das ihnen das tägliche Brod geben könnte, und suchten oft lang und immer vergebens! Wie ist in dem langsamen, tiefgründigen Strom jener Zeit so manches Haupt untergegangen, das man jetzt hochheben würde, damit es seiner Zeit leuchte! Wie ist damals manches Herz in Ungeduld und Trübsinn gebrochen, dem nichts gefehlt hätte, als ein verwandtes Herz, daran sich's anschmiegen und festhalten konnte!

Aber wie viel schöne, stille Bilder der Genügsamkeit, wie viel Bilder der Gottseligkeit und einer Tugend, die wir fast nicht kennen, bot auch wieder jene Zeit dar! Manches Herz, dem die Welt nicht hielt, was sie ihm versprach, baute sich ungekannt von ihr ein stilles Haus des Gottesfriedens. Unzerstreut und unverworren durch das Geräusch der Welt ward Mancher ein Weiser in Gesinnung und in That und half das Reich Gottes im kleinen, engen Raum ausbauen.

Von einem solchen weiß ich dir zu erzählen, mein lieber Leser, und bitte dich, du mögest mir in jene Zeit folgen, wo in unserm lieben Deutschland das äußere Leben noch gar eng und klein war, wo aber das Leben, das aus Gott ist, in manchem Dörfchen, in manchem unscheinbaren Haus eine trauliche Stätte gefunden hatte, und dort zu Thaten trieb, die auch in Gott gethan waren. Erwartest du, daß ich dir von Menschen erzähle, die Tausende beglückt oder über die Tausende geweint, daß ich dich mit Staunen erregenden Begebenheiten unterhalte, oder wohl gar Mordgeschichten dir vor's Auge führe, wie das hin und wieder geschieht; dann, mein lieber Leser, lege das Büchlein schon jetzt bei Seite. Nein, in ein stilles Dörfchen, auf einer grünen Höhe im lieben Vaterland, will ich dich führen; in ein Häuschen will ich dich geleiten, arm und klein; von einem Manne will ich dir erzählen, der im kleinen Kreise des Guten viel that, und heiß geliebt und innig betrauert zum Herrn ging, an den er im Leben treu geglaubt hatte. Noch spricht man in jenen Thälern, wo unsere Geschichte sich zugetragen, vom Kalendermann vom Veitsberg, noch steht sein Häuschen in seinem alten Zustande da, noch grünen die Bäume, die er gepflanzt, noch weht sein guter Geist des Glaubens und der Liebe in den Enkeln seiner Schüler. Ist auch Manches untergegangen, was er gewirkt, sein Gedächtniß lebt noch im Segen, und manches Blatt Papier gibt hier und da Zeugniß von seinem Fleiß und seiner Frömmigkeit.

Und so begleite mich denn, mein lieber Leser, in die Heimath des Kalendermanns. Ich weiß gut Bescheid daselbst, denn sie ist auch meine Heimath, mein liebes Hessenland, mit seinen grünen Hügeln und waldigen Höhen und fruchtbaren Ebenen, auf die Gottes Auge allezeit segnend herabblicken möge! Während ich die gelben Blätter betrachte, die der Kalendermann geschrieben, denk' ich der Zeit, wo ich am Haag, der sein Grab umgränzt, Veilchen gesucht, oder von seinen Bäumen die Kirschen gebrochen. Lieb ist mir sein Gedächtniß, möchte es auch dir lieb werden! —

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2. Der Gallusmarkt.

Es war Gallustag des Jahres 17.., und in Grünberg, dem freundlichen Städtchen im Lande Hessen, war Jahrmarkt. Weithin über die Felder am westlichen Theile der Stadt breitete sich eine vielfache Reihe von Zelten aus, manche einfach von Leinwand, manche groß und mit mehr Kunst von Baumästen aufgeführt, zum Nutzen und Vergnügen der Marktgäste. Da sah man hoch aufgeschichtet die Holzwaaren vom Vogelsberg, Löffel und Küchengeräthe, zierlich mit Figuren geschmückt, und vor Allem Spinnräder, bunt von Farben und künstlich ausgedreht, mit Ringlein und hölzernen Springmännlein, die bei jedem Umschwung des Rades tanzten. Zwischen den Spinnrädern durch gingen sittig und prüfend die Mägdlein, mit den Krämern feilschend, und der Winterabende gedenkend, wo die bunten Räder zum lustigen Gespräch der Spinnstube schnurren sollten.

Und neben die Spinnräder hatten die Bänderkrämer aus Sachsen ihre Buden aufgeschlagen. Hoch von den Stangen herab flatterten lustig und lockend, von Seide und Wolle, theuer und wohlfeil, aber brauchbar und sehr beliebt, die bunten Bänder, und die Krämer priesen den Mägdlein die breiten, mit Flittergold durchwirkten Streifen zu Rockenbändern an.

Von vielen Kunden besucht, bekannten und unbekannten, und manchen Gruß rufend und manchen Händedruck gebend, sah man dort die Schuhmacher von Alsfeld und Homberg guten Markt halten, während die Messerschmiede von Lauterbach mit den Kindern um die Batzenmesserlein feilschten, klein und mit hölzernen Stielen, indeß der Kaufmann von fern her, auf dem Nagel den Stand der Messer und Gabeln prüfte und dutzendweise sie mit sich nahm.

Hell glänzten dort in der Octobersonne die Zelte und Buden der Blech- und Kupferschmiede von Grünberg, und ihnen zur Seite hatten auf dem grünen Rasen einer Wiese zwischen den Herbstzeitlosen, die Niemand beachtete, die Töpfer von Marburg und Hausen ihre bräuchliche Waare ausgestellt.

Es war gute Zeit im Lande, die Erndte war reichlich ausgefallen, in den Säcken des Bauern war Geld und die Kaufleute waren billig und ließen Alles um den halben Preis, wie sie sagten, aus lauter guter Freundschaft. Wohin man nur sah, da bemerkte man frohe Gesichter. Selbst um die Bude eines reisenden Doctors her gab's mehr Lachen, als Weinen; denn so schrecklich der Mann selber aussah in seiner ungeheuren Perücke und seinem dreieckten Bordenhut darauf und seinem rothen Rock mit thalergroßen Stahlknöpfen und seinem Halsband von Menschenzähnen; so hatte er doch neben sich ein Männlein stehen, bunt gekleidet und immer lachend, das mit seinen Späßen auch die bittersten Pillen und Pulver versüßte, und so drollige Gesichter schnitt, während er die Köpfe zum Zahnausziehen hielt, daß aller Schmerz nicht der Rede werth war.

Und was doch in der Bude gegenüber das Bier so trefflich schmeckte und die Würste so lieblich dufteten; denn wer that's je den Metzgern von Grünberg in ihrer Blutwurst gleich! Nur Einer wagte zu versichern, die seine sei besser, fetter und delicater, das war ein Metzger aus Schotten, der seine Bude nicht fern von dem Grünberger aufgeschlagen hatte, und allen Kunden mit Stirnrunzeln nachsah, die hinüber zu dem Grünberger gingen; "denn Schotten", sagt er, "liefert die beste Wurst auf weit und breit;" und "alls herein, meine Herrn", rief er, "alls herein, hier ist Alles zu haben für Mund und Herz, Musik und Schauspiel, wenn's beliebt!"

Das Schauspiel war aber eine Gesellschaft von Hunden, theils in Bordenröcke gekleidet, mit Hüten und Perücken auf den Köpfen, theils in Reifröcke gehüllt und die Damen vorstellend. Die führten nach dem Ton einer Sackpfeife, die ihr Herr blies, allerlei kurzweilige Tänze aus, machten einander Diener und Knickse, und benahmen sich ganz anständig, bis ein Spaßvogel ihnen ein Stück Wurst zuwarf, worauf sie schnell in ihre Hundenatur zurückfielen.

Da gab's unmäßiges Gelächter, in das eine Schaar von Knaben aus vollem Halse einstimmte, die mit Holz und Strohbündeln unter den Armen den benachbarten Höhen zueilten. Denn wer mag ein Knabe sein in der guten Stadt Grünberg und kein Gallusfeuer sehen! Zwei Freuden auf einmal; von den Höhen herab den Markt sehen mit seinem bunten Gewimmel und vor sich das Gallusfeuer! Da klingt erst das Lied recht gut.

"Gallmarkt ist da! Drum heraus Aus dem Haus! Wer Bier hat, der trink's, Wer Holz hat, der bring's Zum Gallusfeuer, Zum Gallusfeuer!"

Während so Geschäftigkeit und Frohsinn den Jahrmarkt belebte, schallte durch das Getümmel hindurch der dumpfe Ton einer Trommel, in den sich schrillernd die Melodie einer Querpfeife mischte. Alles was abkommen konnte, drängte sich der Stelle zu, und man sah, was man lange nicht gesehen hatte, zween Polacken in Pelzkleidern und mit großen Prügeln in den Händen, die führten an einer langen Kette einen Bären, und auf dem Rücken des fürchterlichen Thieres saß, o Wunder und Entzücken! ein Aefflein in einem rothen Jäckchen, sonst nichts um und nichts an. Das Aefflein tanzte auf dem Bären und schlug Purzelbäume, und aß Aepfel und warf die Krutzen nach den Zuschauern. Und der Bär tanzte auch, aber viel ungelenkiger und schien gar keine Freude an seinem Tanzen zu haben, und bekam viele Prügel, daß er zum Entsetzen von Jung und Alt erschrecklich brummte.

In der Menschenmenge, die den Bären von allen Seiten umgab, hielt seit geraumer Zeit eine Chaise; denn es war nicht möglich, auch nur einen Schritt weit vorwärts zu kommen. Der Kutscher war abgestiegen und stand vor den Pferden, und hielt ihnen die Augen zu, und strich ihnen den Hals, und gab ihnen Schmeichelnamen aller Art; denn den Pferden war's bange vor dem Raubthier, und wollten nicht Stand halten. Ein Bedienter in Jägeruniform hatte derweil seinen Rath mit Einem aus der Bürgerschaft, der zur Marktwache gehörte, und auf seinen Spieß gestützt, das einzige Zeichen seiner Würde, in das Treiben hineinsah und behaglich sein kurzes Pfeifchen rauchte. Der Rath zwischen dem Jäger und dem Spießmann schien nicht sehr freundlich zu sein; denn der Jäger hatte ein zornrothes Gesicht und rief in einem fort: "Macht Platz, oder ich ziehe vom Leder!" Der Spießmann blickte lächelnd auf die halbgezogene Waffe und sagte gelassen: "Stecket euer Schwert an seinen Ort, mein Freund; nach gutem alten Marktrecht spielt der zuerst, der zuerst kommt, und da der Polack mit seinem Pelz zuerst auf dem Fleck war, so spielt der zuerst, dann kommt die Reihe auch an euch. Was ihr nun in eurem Kasten dort habt — es will mich bedünken, als wären auch fremde Thiere drinnen — das laßt später sehen. Eile mit Weile." — "Aber seht ihr denn nicht, Mann", rief der Jäger noch ungeduldiger, indem er den Hirschfänger völlig aus der Scheide zog, "daß der Kutscher die Pferde nicht halten kann, die Bestie dort bringt meine Herrschaft in's Unglück!" — "Das ist ein Anderes, Freund", sagte der Spießmann, "das hättet ihr gleich sagen können, daß ihr Reisende führt. Ich will gleich Platz machen; nur sag' ich noch einmal: Steckt euer Schwert an seinen Ort; nach gutem Grünberger Marktrecht kommt Jeder dort in den Thurm, der sich erdreistet, wider hochlöbliche Bürgerschaft, zumal im Marktdienst, das Gewehr zu ziehen!" So sagend schwang er seine Waffe und gebot in gebrochenem Deutsch, das sie selber redeten, den Bärführern zur Seite zu gehen.

Die Pferde zogen rasch an mit manchem gefährlichen Seitensprung, mit manchem scheuen Blick nach dem Bären hin, und nach wenigen Minuten rollte der Wagen durch die Marktgasse hinauf auf den Marktplatz und vor das Gasthaus zum Riesen. Da war ebenfalls ein reges Leben und Treiben. Unter Mühe nur konnte der Kutscher eine Anfahrt gewinnen; denn Fuhrwerke von allen Arten hatten bereits die Straße besetzt. Der Riesenwirth, ein kleines fettes Männlein, mit einem langen steifen Zopf, stand, ein weißes Schürzlein vorgebunden, und die weiße Mütze unter dem linken Arme, unter seinem Hofthore und machte einen Bückling hinter dem andern, während der Jäger zur Seite des Schlages stehen blieb, um abzuwarten, bis drinnen die Thüre des Wagens geöffnet werde. Das kam dem Riesenwirth sonderbar vor und noch sonderbarer seinen Gästen, die zu allen Fenstern heraussahen und sich über die Kutsche von so fremder Gestalt und über die Passagiere unterhielten, die gar nicht aus dem Wagen heraus wollten.

Da es endlich dem Riesenwirth scheinen wollte, als thue der Jäger seine Schuldigkeit nicht, so trat er an den Kutschenschlag, um ihn zu öffnen, wurde aber von dem Jäger ziemlich unsanft zur Seite geschoben. Da öffnete sich von innen die Thüre und statt eines alten, gebrechlichen Reisenden, den man vermuthet hatte, sprang schnell und leicht ein junger Mann, in einen weiten Reisemantel gehüllt, heraus, und half mit der rechten Hand, während er die linke unter dem Mantel verborgen hielt, als trüge er etwas, einem, wie es schien, eben so jungen Frauenzimmer aus dem Wagen. Ueber das Alter seiner Reisegefährtin ließ sich nichts sagen, denn ein dichter Schleier verbarg ihr Angesicht; aber mit rüstigen Schritten folgte sie dem Begleiter in ein Zimmer im obern Stocke, indeß der Jäger sich mit den Koffern und Reisepäcken zu schaffen machte.

Der Riesenwirth, der die Fremden auf ihr Zimmer geleitete, sprach vom Wetter und vom Vergnügen, das er habe, solche vornehme Marktgäste beherbergen zu dürfen, und wie er es bedaure, den Herrschaften heute kein besseres Zimmer anbieten zu können, sintemal die Marktbesucher schon Alles besetzt hätten, und machte Bücklinge über Bücklinge; aber es kam aus dem Munde der Fremden keine Antwort. Ein Wink des Herrn nach der Thüre gab zu vergehen, daß die Reisenden allein zu sein wünschten, und kopfschüttelnd entfernte sich der Riesenwirth. Nach einiger Zeit erschien der Jäger, der ab- und zugegangen war, und verlangte für seine Herrschaft ein Mittagessen, nahm aber alle Schüsseln dem Riesenwirth vor der Thüre ab und trug sie selber hinein. Das kam dem Wirthe immer sonderbarer vor, und er säumte nicht, seinen Gästen mitzutheilen, wie in seiner langen Wirthschaft ihm so eigne Leute noch nicht vorgekommen seien, und wie dahinter gewiß etwas stecke. Und die Gäste theilten seine Meinung und blickten von Zeit zu Zeit hinab auf die Straße und staunten den Wagen an, vor dem bereits eine Anzahl Schaulustiger sich gesammelt hatten.

"Hätte ich nicht mit meinen Augen gesehen, wie der Jäger das Fuhrwerk ausgepackt bis auf den Grund, es möchte mich schier bedünken, es wär' noch allerei fremdes Gethier in dem Kasten", sagte Einer aus den Umstehenden. "Und sehet nur", hub ein Zweiter an, "wie tief die Axen hinabreichen, fast scheint es, der Wagenkasten schleife auf dem Boden. Es sieht das Ding fast einer Feuerspritze ähnlicher, denn einem Herrnwagen." "Aber das bleibt gewiß", sprach ein Dritter, "schön ist das Fuhrwerk; seht nur, wie bunt die Räder gemalt sind; und so wahr ich lebe, Goldleisten überall. Gebt Acht, das sind keine geringen Leute, die also fahren; aber weit her sind sie, darauf möcht' ich wetten!"

So ging eine Stunde des Gallustages nach der andern hin. Der Markt vor der Stadt nahm seinen fröhlichen Fortgang, die Gäste im Riesen gingen aus und ein, und der Jäger bediente die fremde Herrschaft allein. Als es Abend ward, trat er unter das Thor und schaute sich die Marktbesucher an, wie sie gingen und kamen. Eben ward das Marktglöcklein gezogen, zum Zeichen, daß für heute das Kaufen und Verkaufen aufhören solle, da trat der Riesenwirth zu dem Jäger heran und sagte, auf das Fuhrwerk der Fremden zeigend: "Schön Fuhrwerk das!" "Wem's gefällt", war des Jägers Antwort. "Scheint im Ausland gebaut zu sein?" "Denk's auch", sagte der Jäger. "Ist die Herrschaft schon lang auf der Reise?" fragte der Riesenwirth. "Ziemlich!" — "Weit her?" — "Soll's meinen!" "Aus Frankreich?" — "Nein!" — "Holland?" — "Ja!" — "Also aus Holland ist die Herrschaft?" fragte erfreut der Riesenwirth. "O das ist schön, große Ehre für Grünberg. Doch wohl ein Kaufmann, der auf unserm Gallusmarkt denkt Geschäfte zu machen? Glück zu! Gibt auch nur einen Gallusmarkt auf weit und breit." Damit folgte der Riesenwirth zweien Gästen, die eben in sein Haus eingingen.

"Hört Landsmann", rief der Jäger einem Bauer zu, der näher getreten war, sich das fremde Fuhrwerk zu besehen, "wo seid ihr her, wenn's erlaubt ist, zu fragen?" Der Bauer lüftete seinen dreieckigen Hut und sprach "Wie's euren Edlen gefällt, ich bin von Göbelnrod." "Nun dann seid ihr ja nicht weit vom Veitsberg", sprach der Jäger, "und könnt mir wohl sagen, ob der Schulmeister Justus noch lebt?" — "Wird wohl noch leben", war des Bauers Antwort, "denn wär' er gestorben, so hätt' ich's sicher erfahren. Doch wart', alleweile fällt mir ein, daß der Kalendermann noch lebt. Denn mein Nachbar, der Bornpeter, sagte vorgestern zu mir, er wolle bald auf den Veitsberg, und sich den Kalender holen für's künftige Jahr. Wenn ihr den Schulmeister kennt, so wißt ihr auch, daß Keiner auf weit und breit den Kalender besser versteht, denn der Justus. Ehe die Sterngucker, Gott weiß wo sie sind, ihn gemacht haben, da haben wir ihn hier herum längst und Einer schreibt ihn vom Andern ab, und wenn die Drucker ihn endlich liefern, so um Weihnachten hin, da weiß Unsereiner schon längst im neuen Jahr Bescheid. Und wenn er's wissen will, so sagt ihm der Kalendermann vom Veitsberg auch jede Sonn- und Mondsfinsterniß voraus, und das auf die Minute. Kurz der Mann versteht seine Sache, das muß man ihm lassen." "Dank für die Nachricht, guter Freund", sprach der Jäger freundlich, "da trinkt, ehe ihr heimgeht, noch ein Frisches auf die Gesundheit des Kalendermanns, und gedenkt auch mein dabei, wenn's euch nichts verschlägt!" — Ehe noch der erstaunte Bauer seinen Dank sagen konnte, war der Jäger in's Haus zurückgegangen.

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3. Lust neben Schmerz.

Eine milde Octobernacht breitete sich über die Stadt Grünberg aus. Die Sterne schienen friedlich vom dunkelblauen Herbsthimmel hernieder, aber Friede brachte ihr Glanz nicht allen Menschenseelen an diesem Abend. Die Buden auf dem Marktplatz waren geschlossen, um erst am Morgen zu neuer Geschäftigkeit geöffnet zu werden, und mit festen Schritten und einander zurufend, schritten die Wächter auf und ab. In den Bäckereien war man emsig beschäftigt, neuen Vorrath zu backen, und aus den Häusern der Metzger hörte man das taktvolle Fallen der Hackmesser. Aus allen Gasthäusern und Herbergen schallte Tanzmusik und Jubel, und die Mühe des Tages ward vergessen in der neuen Mühe, die man Freude nannte.

Auch im Riesen war Tanz, und von dem Saale auf dem Hinterbau drang der Ton der Instrumente und das Jauchzen der Fröhlichen durch alle Zimmer des Hauses. Eben drängte sich der Wirth, dicke Schweißtropfen auf seiner Stirne, zum hundertsten Male durch das Getümmel, um den Durstigen einen neuen Trunk zu bringen; da winkte ihm die Hausmagd zur Seite und sagte in ängstlichem Tone, indem sie sich schüchtern umsah: "Herr, mit den Fremden, die heute hier eingekehrt sind, ist es nicht geheuer. Denkt nur, ich ging eben an ihrer Stube vorbei, da hörte ich Kindergeschrei drinnen, so wahr ich lebe, Kindergeschrei; ist das nicht fürchterlich? Darum lassen sie Niemanden hinein, und liegen wie die Dachse im Baue, während der unleidliche Jäger wie ein Jagdhund davor liegt, und Unsereinem nicht einmal ein freundlich Gesicht gönnt, zumal am Gallustag." "Nun was wird's sein, Susann'", rief der Riesenwirth, "was wird's sein! Geh' deiner Wege, Mädchen, und laß' mich in Ruh', zumal heut' Abend. Kehr' vor deiner Thür', sag' ich, und lern' dein' Lektion, statt durch die Schlüssellöcher zu gucken. Wer in meinem Haus einkehrt, der mag in seiner Stube treiben, was er will. Der Herr ist ein Holländer und ist ein Kaufmann und ist reich, das ist mir schon genug, mehr brauch' ich nicht zu wissen." Damit ließ er die Hausmagd stehen und ging weiter. —

Und doch hatte die Susanne recht gehört. Es hatte wirklich in der Stube der Fremden ein Kind geweint, und ein Kind war es gewesen, was der Reisende unter seinem Mantel verbarg, als er aus dem Wagen stieg. An dem Bette ihres Kindes saßen die Aeltern an diesem Abend, während die Tanzmusik schallte, und weinten und klagten, und je lauter das Jauchzen der Fröhlichen wurde, desto betrübter wurden sie. "Ist's denn gar nicht zu ändern, Lewin", sprach weinend die fremde Dame, indem sie einen Kuß auf die Stirne eines lieblichen Mädchens drückte, das schlafend im Bette lag; "ist's denn gar nicht zu ändern, und muß ich mich von meinem kleinen Engel scheiden? Ach ich halt' es nicht aus! Thue Alles, was du willst; sage lieber vor aller Welt, ich wäre nicht dein Weib, nur nimm mir mein Kind nicht, meine Selma. Sage deinem Vater, was du willst; sage ihm, wir seien nicht getraut. Geh' allein zurück, vergiß mich, wenn du kannst, aber laß' mir mein Kind. Ach, in fremdem Land es zurücklassen, Wochen und Monate nichts von ihm hören, wie kann ein Mutterherz das ertragen?" — "Mora", hub der Fremde an, indem die Thränen fast seine Stimme erstickten, "hältst du mich denn für einen Wilden, ohne Gefühl und Glauben? Weißt du nicht, wie ich selber gekämpft, bis dieser fürchterliche Entschluß gefaßt war? Meinst du, ich wäre so stark, daß ich mit lachendem Munde unser Kind in fremde Hände geben könnte? O, schon daß ich dich nöthigen mußte, das Kind abzugewöhnen, damit es in fremde Hände könne gegeben werden, das hat mir tief in's Herz geschnitten. Aber es muß sein; morgen am Tage muß das Kind von uns, und wir müssen mit aller Schnelligkeit nach Hause. Und ich, o schrecklicher Fluch! muß mein Weib und mein Kind vor meinem Vater verläugnen, und mich von dir scheiden, gebe Gott, auf recht kurze Zeit." "Aber, Lewin", fragte schluchzend die Frau, "ist es denn gar nicht möglich, das Herz deines Vaters zu erweichen? Wenn du ihm dein Kind bringst, wenn du ihm sagst, daß ich schon seit zwei Jahren mit dir vermählt sei; wenn du ihn beschwörest, dich und dein Kind nicht unglücklich zu machen, sollte dann nicht endlich sein Widerwille gegen mich aufhören, und er mir um deinetwillen erlauben, dein Weib sein zu dürfen?" — "O Mora", rief hastig der Fremde, indem eine brennende Röthe sein blasses Gesicht überzog, "zwinge mich nicht, daß ich dir meinen Vater schildere, wie er mir erscheint nach seiner Härte gegen mich. Du kennst ihn nicht. Ich habe nie gehört, daß er jemals etwas zurückgenommen hätte, das er gesagt. Als er durch feile Zwischenträger von unserer Liebe hörte, da beschied er mich einst in seine Arbeitsstube. Lange schien er nach Fassung zu ringen, und ging mit gesenktem Kopfe auf und ab. Dann blieb er plötzlich vor mir stehen und sprach in leisem Tone: "Lewin, du hast die Wahl, entweder du gibst dein Vorhaben mit jenem Mädchen auf, oder du bist enterbt, und bekommst meinen Fluch oben drein. Jetzt geh' und wähle!" "Aber um Christi willen, Lewin", rief das Weib in höchster Aufregung, "warum hast du mir davon nichts gesagt? Nur obenhin berührtest du, dein Vater mißbillige unsere Verbindung vor der Hand; sie müsse darum heimlich vollzogen werden. O hättest du mich doch bei meiner alten Base gelassen, und mich junges, unerfahrenes Mädchen nicht in einen Stand hineingezwungen, der mir jetzt, wie ich sehe, zum Verderben werden wird. Sag' mir, Lewin, ich frage dich bei Gott, dem Allwissenden, nicht wahr, dein Vater nöthigte dich selbst zu der Reise nach Deutschland, damit du mich vergessen solltest?" "Ja, Mora, so ist es", sprach der Fremde mit niedergeschlagenem Auge; "ich that Unrecht, großes Unrecht, beides an dir und an meinem Vater. Ich sehe unendliches Herzeleid über uns hereinbrechen, und es ist mir manchmal, als wenn mein Herz mit tausend Messern durchbohrt würde. Ja, Gottes Gerichte sind ernst und strenge! Laß mir nur den Trost, daß du mich nicht hassest, daß du mit mir tragen willst, was Gott mir auferlegt hat!" — "Hast du je daran gezweifelt, Lewin", sprach mit sanfter Stimme die Frau, indem sie ihren Arm um des Mannes Nacken schlang. "Komme, was da wolle, ich bin auf Alles gefaßt; ich bin dein Weib, rechtmäßig durch den Segen der Kirche dir angetraut, und das will ich bleiben, ob man mich von dir reißt oder nicht. Laß uns aber zum Herrn beten, daß er uns unsere Sünden vergebe und die Last uns leicht mache, nach seinem gnädigen Willen; ach, daß er vor Allem unser Herz stark mache für die bittere Trennung von unserm Kinde, und es uns bald wieder schenke, an Leib und Seele gesund." — Ein Kuß besiegelte den frommen Vorsatz und still betend und weinend saßen sie am Lager ihres Kindes, bis der Morgen graute.

Wie der Tag anbrach, verlor sich ein Tänzer nach dem andern vom Tanzplatze; die Musik verstummte, und auf den Straßen begann es laut zu werden, denn der zweite Markttag brach an. Mit dem Verstummen der Musik sanken die Fremden in einen kurzen Schlaf; böse Träume unterbrachen ihn oft.

Ein leises Pochen an die Thüre weckte zuerst den Herrn; und wie er sich erhob, da fuhr mit einem Schrei auch die Frau auf, und griff hastig nach dem Kinde an ihrer Seite. Es war der Jäger, der anfragte, ob's der gnädigen Herrschaft gefällig wäre, das Frühstück zu nehmen? Ein Kopfnicken war die einzige Antwort. Im Hinausgehen fragte der Herr hastig: "Bist du fertig, Heinrich?" "Zu dienen, Ihre Gnaden", war die Antwort.

Unberührt stand noch das Frühstück, als der Jäger bald darauf in einen weiten Mantel gehüllt zur Stube hineintrat und an der Thüre stehen blieb. Da schritt die junge Frau hastig auf das Bett zu, wo das Kind ruhte, schlang mit Hast mehrere Tücher um dasselbe, knüpfte eine Perlenschnur von ihrem Halse ab und band sie dem Kinde um, und unter sanftem Weinen sprach sie: "Nimm den letzten Kuß, Engel meines Lebens; der Herr sei mit dir, mein Herzenskind. Und nun fort, Heinrich, fort, oder ich sterbe auf der Stelle!" "Hier, Heinrich", rief mit abgewandtem Angesicht der Fremde, und legte einen schweren Beutel in des Dieners Hand. "Alles bleibt nach der Verabredung."

O Menschenherz, wie viel Jammer bereitest du dir selbst! Wie wahr bleibt deines Heilands Wort: "Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen."

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4. Das Trauerhaus.

Der Morgen des 17. Octobers war so schön, wie nur ein Herbsttag sein kann im lieben Deutschland. Die Sonne schien warm vom wolkenlosen Himmel herab, der Herbstthau schimmerte noch im Grase, und zwischendurch zirpten die Heimchen. In langen weißen Fäden flog der Sommer über die Felder hin, hier von einzelnen Sträuchern in seinem Flug aufgehalten, und dort vom Morgenwind einem Wandrer entgegengeführt. Eine eigenthümliche Stille herrschte in der Natur, nur hin und wieder unterbrochen vom lauten Schlag der Drossel oder vom sanften Gesang des Rothkehlchens. O unser Vaterland ist schön zu jeder Jahreszeit; und wer mit dem Frieden Gottes in der Brust hinaustritt auf die gesegneten Felder oder auf die grünen Höhen, der fühlt tief das Wort der Schrift: "Groß sind deine Werke, Herr, wer ihrer achtet, der hat eitel Lust daran." —

Die Stille des Herbstmorgens waltete auch um das Häuschen her, in dem der Schulmeister Jakob Konrad Justus wohnte. Das stand auf dem Veitsberg, eine Stunde von Grünberg, neben der Kirche, und drum her eine kleine Zahl von Häusern. Von der Höhe herab übersieht man eine Reihe von Dörfern, deren Bewohner sonntäglich entweder die Kirche vom Veitsberg, oder die vom Wirberg besuchen. An den Kirchhof lehnt sich das Schulhaus, damals wie jetzt noch klein und unscheinbar, aber heimisch und traulich gelegen. Trauben rankten an der Sonnenseite empor und bedeckten fast die kleinen Fenster, und zwischen den breiten Blättern schimmerten blau und hellgrün die saftigen Trauben hervor. —

In dem Häuschen herrschte eine düstere Stille, nur manchmal durch einen einzelnen Laut der Klage unterbrochen. Magdalenchen, das jüngste Kind des Schulmeisters, war gestorben, und um das offne Särglein in der Wohnstube standen Vater und Mutter und drei Geschwister, auch die Gespielinnen des Kindes und einige Nachbarn standen da, Alle sonntäglich geschmückt und den Rosmarinkeim in der Hand. "Nun Kinder", sprach der Schulmeister in wehmüthigem Tone, "draußen läuten die Glocken, seht euch euer Schwesterlein noch einmal an, es ist Zeit, daß wir aufbrechen; und ihr Kameraden meines Magdalenchens, gebt ihm die Blumen, die ihr tragt, in sein Todtenstübchen. So, nun sieht mein Lenchen wie ein Engel aus, der unter Blumen schläft. Nun, Nachbarn, deckt den Sarg zu und laßt uns gehen. Komm Dorothe und sei fest; ein Kind weniger auf Erden und einen Engel mehr im Himmel, wozu da das Trauern? Das Mägdlein ist nicht todt, es schläft nur, und ist droben schon erwacht. Der Herr ist sein Hirte und weidet sein Schäflein, gebe er auch uns seinen Frieden in die Seele und die Hoffnung des seligen Wiedersehens in's Herz. Und damit Amen in seinem Namen! — Wie dann der Zug der Leidtragenden um das Grab stand, wie das Särglein hinabgesenkt und mit Erde bedeckt war, wie sie die Blumenkrone auf dem Hügel befestigt hatten; da sprach der Schulmeister, indem ihm die Thränen über die Wangen rollten: "Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun. Du, Herr, wirst es wohl machen. — Du warst ein Kind guter Art und das Loos ist dir gefallen auf's Liebliche; dir ist ein schön Erbtheil geworden!" — "Und nun, Nachbarn, betet ein still Vaterunser mit uns, und dann habt Dank für eure Liebe. Der Herr vergelt's. — So, und nochmals Amen! und einen freundlichen guten Morgen euch Allen, auch euch, ihr Kinder!"

"Guten Morgen, Bruder!" rief's da plötzlich, und der Jäger, den wir zu Grünberg im Riesen kennen gelernt, eilte über die Gräber weg, und schlang seinen Arm um den Schulmeister und küßte ihn. Aber erschrocken fuhr er zurück, als er die Thränen in seinen Augen gewahrte. "Was ist mit euch, Bruder", rief er, "habt ihr Eines der Euren verloren? Doch nicht meinen Pathen Heinrich, das wolle Gott verhüten!" "Sei willkommen", sprach freundlich der Schulmeister, "auf dem Grab meiner Jüngsten muß ich dir heute die Hand reichen. Aber es ist auch so gut; der Herr hat's gethan! Siehe, diese sind mir ja noch übrig, meine Dorothe, mein Heinrich, meine Marie und meine Anna. Bin ich da nicht reich genug? — Und woher kommst du denn, Bruder Heinrich, und was trägst du denn unter deinem Mantel? Ein Kind? Wem gehört denn das? Dein vielleicht?" "Seid ihr verheirathet, Schwager?" fragte Dorothe. "Davon laßt uns drinnen im Hause reden", sprach in leiserem Tone der Jäger, "was ich euch zu sagen habe, gehört nicht vor Jedermanns Ohren."

Wie sie nun in's Haus gegangen waren und der Jäger die Tücher, mit denen es umhüllt war, abgebunden hatte, da erwachte das Kind, und da es die gewohnten Gesichter nicht sah, so fing es an zu weinen. Dorothe nahm es auf ihren Arm und liebkoste es, und hieß die Marie hinausgehen und Milch für das Kleine holen, während Anna auf einen Schemel stieg, um sich den kleinen Fremdling besser zu betrachten.

"Wo das Kind eben ist, Schwägerin", sprach da der Jäger, "in euren Armen, da möcht' ich es gern auf einige Zeit lassen. Seid so gütig und nehmt euch seiner an; das Kind muß von Vater und Mutter weg, seid ihr ihm Vater und Mutter, bis ich es wiederhole. An einem schönen Stück Geld für eure Mühe soll's nicht fehlen; hier ist einstweilen der Anfang." Und der Jäger legte den Beutel mit Geld auf den Tisch.

"Ich wünschte, Heinrich", hub da der Schulmeister an, "du sagtest mir erst, ehe du mich mit dem Gelde versuchst, wem das Kind gehört und ob es ehrlicher Leute Kind ist; denn selbst deine Bitte könnte mich nicht vermögen, ein fremd Kind in mein Haus zu nehmen, wenn nicht Alles ehrlich dabei zugeht."

Da erzählte der Jäger, was er von den Aeltern des Kindes wußte; wie sein Herr ein vornehmer, reicher Kaufmann aus Delft in Holland sei; wie er van der Bruck heiße; wie der Vater desselben ein harter Mann sei, der sich der Heirath seines Sohnes widersetzt habe; wie aber dennoch diese Verbindung zu Stande gekommen sei; wie aber die Aeltern ihr im Ausland gebornes Kind nicht mit nach Holland zurücknehmen dürften, weil dadurch ihre Verbindung dem alten Vater verrathen würde; wie sie aber bald wiederkommen und das Kind mit tausend Dank aus den guten Händen, denen sie es vertraut, nehmen würden.

Wie der Jäger so sprach, ging der Schulmeister Justus kopfschüttelnd auf und ab. Endlich blieb er vor dem Bruder stehen und sagte: "Dein Wort in Ehren, Heinrich, aber es will mich sonderbar bedünken, wie so reiche, vornehme Leute, denen die Welt offen steht, ihr Kind in das Haus eines armen Schulmeisters thun wollen, den sie gar nicht kennen. Und dann muß wohl zwischen den Leuten nicht Alles in Richtigkeit sein, sonst nähmen sie ihr Kind mit zurück nach Holland und ließen es nicht hier in so weiter Ferne von Haus." —