Der Kampf um Amerika Buch 1 - W. Michael Gear - E-Book

Der Kampf um Amerika Buch 1 E-Book

W. Michael Gear

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 1539: Hernando de Soto landet mit kampferprobten, schwer bewaffneten Soldaten an der Küste Floridas. Die Gier der Konquistadoren kennt auch nach der Unterwerfung des Inka-Reichs keine Grenzen. Es gilt, Ruhm und Reichtum für die spanische Krone zu vermehren.

Die blassen, bärtigen Neuankömmlinge, die sich selbst „Kristianos“ nennen, üben eine seltsame Faszination auf Black Shell aus, einen verbannten Händler vom Volk der Chickasaw. Erst eine direkte Konfrontation mit der Brutalität der Kristianos lässt Black Shell das ganze Ausmaß der Gefahr erkennen, die diese Eindringlinge für die Lebensweise seines Volkes darstellen. Obwohl sein erster Impuls ist, so weit wie möglich fortzulaufen, wird Black Shell vom Geistwesen namens Gehörnte Schlange zu einer größeren Bestimmung gerufen: Er muss einen Weg finden, die verstreuten Stämme und Siedlungen seines Heimatlandes zu vereinen und die gnadenlosen Soldaten des Konquistadors Hernando de Soto zu bezwingen.

W. Michael Gear und Kathleen O‘Neal Gear gehören zweifelsohne zu den weltweit führenden Autoren auf dem Gebiet der amerikanischen und archäologischen Geschichte. Mit ihrem fundierten Wissen und akademischem Hintergrund in Anthropologie, Archäologie und Literatur entführen uns diese beide Ausnahme-Autoren in die gnadenlose Epoche der Kolonialisierung Amerikas, in der die europäischen Großmächte mit beispielloser Grausamkeit ganze einheimische Zivilisationen zu Fall brachten.

Erleben Sie den Kampf um den amerikanischen Kontinent, der noch nie auf so fesselnde Art beschrieben wurde. Fiebern Sie mit Black Shell mit, der alles daransetzt, sein Volk vor dem Untergang zu bewahren.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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W. Michael Gear

& Kathleen O'Neal Gear

 

 

Der Kampf um Amerika

Buch 1: Das Aufziehen des Sturms

 

 

 

EK-2 Publishing

 

 

Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!

 

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein Familienunternehmen aus Duisburg und jeder einzelne unserer Leser liegt uns am Herzen!

 

Mit unserem Verlag EK-2 Publishing möchten wir militärgeschichtliche und historische Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

 

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Haben Sie Anmerkungen oder Kritik? Lassen Sie uns gerne wissen, was Ihnen besonders gefallen hat oder wo Sie sich Verbesserungen wünschen. Welche Bücher würden Sie gerne in unserem Katalog entdecken? Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns und unsere Autoren.

 

 

Schreiben Sie uns: [email protected]

 

Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!

 

Ihr Team von EK-2 Publishing,

Ihr Verlag zum Anfassen

 

Für unseren entzückenden Sheltie Shannon

 

 

Vorwort

 

S

eit den Anfängen unserer „People“ Serie sind wir von Lesern gebeten worden, Romane über die Zeit der ersten Zusammentreffen zwischen Europäern und der Ureinwohner Amerikas zu schreiben. Bisher hatten wir davon aber die Finger gelassen, denn im Gegensatz zu den archäologischen Kulturen, über die wir normalerweise schreiben, sind die Informationen über diese Zeitepoche in Form von Dokumenten, historischen Tagebüchern und Berichten von Menschen, die tatsächlich dabei waren, jederzeit verfügbar. Ein Teil der Geschichte der ersten Kontakte zwischen diesen Kulturen wird sogar in den öffentlichen Schulen gelehrt. Oder zumindest war das so.

Einer unserer guten Freunde, der immer wieder scherzt, dass er auch weißes Blut unter seinen Vorfahren hat, bemerkte einst, „Mann, warum haben wir außer der Schlacht gegen Custer nie gewonnen?“

Die Wahrheit ist, dass selbst nachdem die Europäer endlich herausgefunden hatten, wo Amerika zu finden war, sie fünfzehntausend Jahre länger als die Paläo-Indianer für die Besiedlung benötigten, denn die Kolonisierung des Kontinents war alles andere als ein Kinderspiel. Die meisten indigenen Völker hatten nichts dagegen, dass die seltsamen Weißen in ihrer Nähe lebten. Damals beutete jeder seine Nachbarn, ob rot oder weiß, genauso gerne aus wie heute, und die Ureinwohner waren nie nur die unschuldigen Opfer, wie uns die moderne Mythologie glauben machen will.

Aber wo soll man anfangen? Welche der Mythen vom ersten Zusammentreffen sollten wir in Angriff nehmen?

In den Annalen der amerikanischen Geschichte gibt es wohl keine Person, die so unverdientermaßen mit Ruhm überschüttet wurde wie Hernando de Soto. Überall im amerikanischen Süden sind ganze Bezirke nach ihm benannt. Seine Statue steht in zahlreichen Stadt- und Staatsparks. Historische Gesellschaften haben liebevoll Markierungen entlang öffentlicher Straßen angebracht, um die ursprüngliche Route seiner Armee zu feiern. Ein amerikanisches Automobil wurde mit De Sotos Namen auf der Motorhaube und seinem Konterfei auf dem verchromten Emblem hergestellt, welches das Lenkrad dominiert.

Hernando de Soto ist eine amerikanische Ikone.

Vielleicht sollten wir dankbar sein, dass die meisten Menschen von ihm gehört haben. Zumindest wissen sie, dass die amerikanische Geschichte bis ins Jahr 1539 zurückreicht. Das ist schon mal ein Anfang. Aber de Soto war nicht der erste Europäer, der in Florida landete. Juan Ponce de León, Diego Miruelo, Francisco Hernandez de Córdoba, Alonzo Álvarez de Pineda und Pánfilo de Nárvaez segelten alle vor de Soto nach Florida, wobei die Expedition von Narvaez im Jahr 1528 die bemerkenswerteste von allen war. Sie endete in einer spektakulären Katastrophe unter den Apalachen im Nordwesten Floridas.

Als de Soto 1539 in der Bucht von Tampa landete, brachte er eine kleine Armee von schätzungsweise sechs- bis siebenhundert Soldaten mit, weitere hundertsechzig Leibwächter, Pagen, Sekretäre, Rechtsanwälte, Hirten, Schmiede, Zimmerleute, Ingenieure und zahlreiche Hausangestellte. Zwei der Adligen hatten sogar ihre Ehefrauen mitgeschleppt, um diese Hausangestellten zu beaufsichtigen.

Nicht alle Teilnehmer der Expedition waren so hochgestellt. Die schmutzige Arbeit – das Heben, Tragen und Schleppen – wurde einem Korps von mehreren hundert karibischen Sklaven und gelegentlich auch Afrikanern übertragen. De Soto war überzeugt, dass er ihre Reihen jederzeit wieder auffüllen und vergrößern könnte, während die Sklaven brutal zu Tode geschuftet wurden. Zahlreiche in der Karibik gefangene Frauen und Mädchen mussten tagsüber kochen, Feuer machen und natürlich nachts die Truppen bedienen.

Schätzungen über das Gefolge von de Soto reichen – je nach Quelle – von siebenhundertdreißig bis etwas über eintausend. Dann waren da noch die Tiere. Zweihundertfünfzig Kriegspferde und eine unbekannte Anzahl von persönlichen Reittieren, Packpferden und Maultieren wurden in der Bucht von Tampa von den Schiffen gebracht. Die Zahl der Kriegshunde wurde nicht bekannt gegeben. Und – last but not least – wurden etwa dreihundert Schweine an Land getrieben.

Mit dieser Truppe begann de Soto seinen Marsch durch den amerikanischen Süden und verdiente sich so seinen Platz in Geschichtsbüchern, Stadtparks, Autodesigns und Straßenschildern. Man fragt sich, ob künftige Generationen in fünfhundert Jahren vielleicht dasselbe für Adolf Hitler, Joseph Stalin oder Pol Pot tun werden.

Im Großen und Ganzen blieben de Sotos Truppen nicht lange genug an einem Ort, um wirklich umfassenden Völkermord zu betreiben. Wir können die Zahl der Ureinwohner, die er und seine Truppen ermordeten, nicht genau beziffern. An Orten wie Napetuca, Mabila, Chicaza und anderswo wurden mehr Menschen gefangen genommen, in Ketten gelegt und mussten sich zu Tode arbeiten, als dass sie im Kampf starben. Die Aufzeichnungen seiner Chronisten Rodrigo Rangel, dem Herren von Elvas, Luis Hernandez de Biedma und Garcilaso de la Vega sind voll von martialischen Berichten. Die Auswirkungen von de Sotos Entrada werden durch archäologische Funde an Orten wie Tatham Mound belegt (siehe Dale L. Hutchinson, Tatham Mound and the Bioarchaeology of European Contact, University Press of Florida, 2006).

Ohne sich bei den lokalen Geschichtsvereinen für die Verherrlichung dieses Mannes zu entschuldigen, muss man sagen, dass Hernando de Soto schlichtweg ein Ungeheuer war. Wir verweisen den Leser auf die umfassende Biografie von David Ewing Duncan: Hernando de Soto. De Soto fing früh mit dem Morden an – als Teenager verbrannte er seinen ersten Mann bei lebendigem Leib: einen panamaischen Häuptling, der nicht genug Gold bieten konnte. Während er sich mordend und plündernd seinen Weg durch Teile Mittel- und Südamerikas bahnte, eignete er sich Fähigkeiten an, die einem Offizier der Nazi-SS das Fürchten gelehrt hätten. Während des Inka-Feldzugs mit Francisco Pizarro perfektionierte de Soto die Kunst des Abschlachtens und erlangte erstaunlichen Reichtum.

Als de Soto 1539 durch Florida nach Norden zog, ritt er an der Spitze der fortschrittlichsten Armee der Welt, ausgestattet mit den neuesten Waffen und mit Taktiken, die er in jahrelangen Kämpfen gegen die Azteken, Maya und Inka erprobt hatte. Er und seine Soldaten wussten, wie man Ureinwohner tötet. Die große Ironie besteht darin, dass die Indianer des Südostens dieses Ungeheuer trotz aller Widrigkeiten vernichteten. Es war ein klassischer Kampf des Guten gegen das Böse. Doch durch die Ungerechtigkeit der Geschichte ist es de Sotos Name, an den man sich mit Ehrfurcht erinnert.

In diesem Buch lernen Sie also die andere Seite der Geschichte kennen. Der Konflikt hielt lange an und dauerte vier Jahre. Er wurde von Florida bis nach Nord- und Süd-Carolina, durch Tennessee, Alabama, Mississippi und Arkansas bis nach Texas und wieder zurück ausgetragen. Es war nicht nur ein einzelnes indigenes Volk, das den Kampf anführte, und kein bestimmter Stamm versetzte der Armee den tödlichen Schlag. Die Verteidiger vermuteten sich nicht einmal auf der gleichen Seite. Aber alle konnten das Ungeheuer erkennen, als es in ihrer Mitte auftauchte.

Die Ankunft der Europäer in Nordamerika wurde zu einer einzigen „Eroberung“ verdichtet: als ob ein unvermeidliches Dampfwalzenereignis auf das andere erfolgt wäre. Das ist ein Mythos. Tatsache ist – wie das Schicksal von de Soto zeigt –, dass das Heimteam tatsächlich die meisten Eröffnungsrunden gewann.

Black Shell, Pearl Hand und andere Figuren in dieser Erzählung sind natürlich fiktiv. Eingeborene Nationen, Anführer, Völker und Städte sind jedoch real. Mit dem Übergang zur Serie „Kampf um Amerika“ mussten wir uns auf schriftliche Aufzeichnungen stützen. Daher werden Sie Timucua-Namen wie Irriparacoxi, Uzachile und Ahocalaquen vorfinden. Sie, liebe Leserin, lieber Leser, haben jeden Tag mit Namen wie Albuquerque, Talladega, Minneapolis und Pensacola zu tun. Auch diese konnten wir schließlich lernen.

Der Name Timucua wurde von den Franzosen ins Leben gerufen und von den Spaniern übernommen, um die Menschen zu bezeichnen, die die „Timucua“-Sprache sprachen. Diese Ureinwohner von Nordflorida und Süd Georgia organisierten ihre Gesellschaften rund um Stammesführer von fließender und unterschiedlicher Komplexität. Zur Zeit der Ankunft de Sotos überfielen sie sich gegenseitig, lebten von der Landwirtschaft, verehrten die Ahnen, die sie in Erdhügeln bestatteten, opferten gelegentlich einen namhaften Gefangenen der Sonne, schnitzten prächtige Holzarbeiten und schufen sich im Allgemeinen ihr eigenes Drama.

Einige, wie die Uzachile, organisierten sich in übergeordneten Häuptlingen und Anführern, die den zeitgenössischen absoluten Königreichen in Europa entsprachen.

De Soto bahnte sich seinen Weg durch die südlichen Timucua, als wären sie Weizenhalme. Nachdem er die organisierten und kämpferischen Uzachile erreicht hatte, können wir uns nur fragen, wie es wohl ausgegangen wäre, wenn nicht ein verräterischer Informant de Soto ins Ohr geflüstert hätte. Um mehr über dieses bemerkenswerte Volk zu erfahren, empfehlen wir Jerald T. Milanichs The Timucua, Blackwell Publishers, Cambridge, Mass. und Oxford, UK.

Für diejenigen, die sich an den tatsächlichen historischen Quellen orientieren möchten, empfehlen wir The De Soto Chronicles, Volumes I and II, Clayton, Knight, and Moore, eds., University of Alabama Press, 1993.

 

Träume

 

D

er Traum trug letzte Nacht eine ihrer Seelen fort. Zumindest glaubte sie das. Die Bilder, die ihre Traumseele gesehen hatte, waren so lebendig, frisch und hell gewesen, als ob sie alles noch einmal erlebt hätte – genau wie an jenem Tag vor langer Zeit. Die Details, die vom Lauf der Zeit nicht beeinträchtigt worden waren, waren in ihrer Erinnerung so scharf definiert wie frisch gesplitterter Obsidian. Der erdige, feuchte Geruch von Schlamm, frisch geschnittenen Palmwedeln und Frühlingsblumen stieg ihr unaufgefordert in die Nase. Die Strahlen des Lichts, Tupfer von frisch aufgeblühten Blumen in Gelb, Rosa, Blau und Rot, sprenkelten das grüne Gewirr von Reben, Büschen und hohem Gras.

Die Sonne schien aus einem dunstigen Himmel, während sie mit einer scharfen Muschel dicke Palmetto-Stämme zersägte. Eine verirrte Schweißperle rann von ihrer Achselhöhle an der Wölbung ihrer nackten rechten Brust herunter. Der Zweig gab nach, so dass sie die restlichen Fasern abschneiden konnte. Sie legte ihn zu den anderen, die sie von der Palme abgeschnitten hatte, und richtete sich auf, dankbar, dass sie ihre Lendenwirbelsäule durchstrecken konnte.

Wie damals kamen er und seine Hunde den Pfad entlang, die Muskeln wölbten sich unter der feuchten, sonnengebräunten Haut. Weiße Reiherfedern, drei an der Zahl, flatterten an seinem Händlerstab, und er trug einen dicken Köcher aus Alligatorenleder quer auf dem Rücken. Sein Gesicht war glatt, kantig, mit einem festen Kiefer und einer geraden Nase. Sie mochte den Anblick seiner breiten Wangenknochen und das halbe Lächeln auf seinen schmalen Lippen. Seltsamerweise für einen Mann seines Alters war sein Gesicht weder bemalt noch tätowiert. Sein schwarzes Haar wuchs voll und war am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden und mit einer Knochenahle festgesteckt.

Sie erinnerte sich an seine muskulösen Arme, seine breiten Schultern und den fleckigen Lendenschurz, der vorne und hinten an einem um seine schmale Taille gebundenen Tuch befestigt war. Seine fünf Hunde liefen vor ihm her, und natürlich sahen diese sie zuerst.

Sie fror das Bild ein und starrte auf das rußige Strohdach, das sich über ihrem Kopf erhob. Was, wenn meine Augen seinen nicht begegnet wären? Was, wenn ich nicht dieses Kribbeln gespürt hätte, als sich unsere Seelen über Zeit und Raum hinweg berührten?

Was wäre gewesen, wenn sie sich einfach weiter über ihre abgeschnittenen Palmwedel gebeugt hätte? Manchmal sind es die kleinsten Entscheidungen, die zu den größten Turbulenzen führen.

Sieh ihm nicht in die Augen, Mädchen. Lass ihn einfach vorbeigehen.

Aber ihre Augen hatten sich getroffen. Jetzt, ein Leben später, erlebte sie diesen Augenblick wieder. Ihr Herz schlug schneller, das Blut raste durch ihre alten Adern. Ihre Lungen blähten sich auf, und ihre Lenden kribbelten vor Erwartung.

Sie hustete, hielt sich eine verkümmerte Hand vor den Mund und blickte sich in dem dunklen Raum um, in dem sie lag.

Hätte es einen Unterschied gemacht? Wirklich? Sie schüttelte den Kopf und lächelte zu den dunklen Nischen des Daches hinauf.

„Woher sollen wir das wissen?“

Und wenn ich es gewusst hätte? Hätte ich ihn passieren lassen, hätte ich dann die Welt retten können? Wäre irgendetwas anders gewesen? Sie grinste über die Absurdität des Gedankens. Nein, selbst jetzt, wenn sie zurückgehen könnte – so wie sie es im Traum getan hatte –, würde sie alles noch einmal gleich machen.

Sie schloss hingebungsvoll die Augen, rief den Tag herbei und wickelte ihn wie eine Hülle um sich. Sie atmete die feuchtwarme Luft ein, spürte die schwache Brise und fuhr mit den Fingern über die gestapelten Palmwedel. Das Ziehen an ihrem Rücken nahm zu, und ihr wieder junges Herz schlug mit neuer Kraft. Ihre Haut war glatt und seidig, ihre Brüste fest und rund.

Er kommt, genau wie ich gehofft hatte.

Beherzt hob sie den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.

Der Schock war immer noch stark – er lebte wieder auf, als sein scharfer Blick den ihren traf. Wieder sah sie, wie sich seine Überraschung in Neugierde verwandelte, wie sich ein Lächeln um seine Lippen kräuselte. Etwas in seinen Augen, ein Spiegelbild seiner Seele, forderte sie heraus und beruhigte sie zugleich. Eine Wärme breitete sich tief in ihrer Lendengegend aus.

Warte, du Närrin. Benutze doch einmal deinen Kopf. Männer waren ihr schon immer zum Verhängnis geworden – genau wie ihrer Mutter. Vielleicht ist er nur ein weiterer Mann. Erkenne die Tiefe des Wassers, bevor du springst.

Sie beobachtete, wie er stehenblieb und seinen Hunden ein Zeichen gab. Die ganze Zeit über starrte sie ihm dabei in die Augen.

„Seid gegrüßt!“, rief er in Timucua.

Sie richtete sich auf und blieb aufrecht stehen. Bei ihrem Anblick schien ihm auf seltsame Weise der Atem auszugehen. Die Veränderung in seinen Augen, während er ihre hohen Brüste, ihre schmale Taille und ihre langen Beine betrachtete, war so vorhersehbar gewesen wie der nächste Sonnenaufgang.

Oh, ja. Ich würde ihn haben, vorausgesetzt, ich entscheide mich, dass ich ihn auch will.

„Vergiss es“, sagte sie und sprach dieselben Worte, die sie schon vor so vielen Jahren gesagt hatte.

Vergessen? Wie?

Als die Tränen durch ihre fest zusammengepressten Augenlider glitten und ihre faltigen Wangen hinunterliefen, begann die Welt, die sie einst gekannt hatte, erneut zu sterben.

 

Kapitel 1

 

 

I

ch bin Black Shell, vom Clan der Häuptlinge der Hickory Moiety, der Chicaza Nation. Aber um die Wahrheit zu sagen, sind zehn lange Jahre vergangen, seit ich mich von meinem Volk abgewandt habe. In ihren Augen bin ich nämlich ein Akeohoosa. Das bedeutet in der Sprache der Mos'kogee „tot und verloren“. Ein genauerer Begriff wäre Ausgestoßener. Als ich vor langer Zeit von meinem Land vertrieben wurde, empfand ich das als eine göttlich bittere Ironie. Die Vorstellung, ein Akeohoosa zu sein, hätte einen geringeren Menschen umgebracht. Zumindest habe ich mir das eingeredet. Andere hat es zerstört, meist aus Verzweiflung, Einsamkeit und Schuldgefühlen.

Mein Volk, die Chicaza, hat den Mythos genährt, dass sie irgendwie überlegen sind, dass sie mehr wert wären. Solche Vorstellungen haben ihnen gut gedient. Indem sie einen Ehrenkodex, Frömmigkeit und Adel kultivierten, hatten sie weniger Skrupel vor Eroberungen oder erfanden einen Grund, Krieg zu führen, wegen einer vermeintlichen Kränkung oder Beleidigung.

Erst als ich schließlich ein Außenstehender war, habe ich die Stärken und Schwächen eines solchen Systems verstanden. Die meisten anderen Stämme mögen die Chicaza nicht. Sie halten uns für stachelige und arrogante Zimper Lieschen. Gleichzeitig fürchtet man uns, weil das Einzige, was die Chicaza besser können als sich zu brüsten und sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und Lügen über unsere angeborene Überlegenheit zu erzählen, ist, Krieg gegen andere zu führen. Niemand nimmt einen Kampf gegen die Chicaza auf die leichte Schulter.

Diese seltsame Mischung aus Ehrfurcht und Abneigung hat mir in meinen Jahren als Akeohoosa gute Dienste geleistet, denn ich mag mein Volk auch nicht.

An jenem schicksalhaften Tag, als der ganze Ärger begann, hörte ich die Stimme der gehörnten Schlange. Es war dieses schreckliche Geistwesen – die große geflügelte Schlange, die in den Sommerhimmel fliegt. Sie sagte mir, ich solle vor meinem ersten Kampf fliehen. Mein Clan nannte mich einen Lügner, als ich behauptete, die gehörnte Schlange habe zu mir gesprochen. Seit dem Tag, an dem ich verbannt wurde, fließt der Zorn wie eine heiße Flüssigkeit durch meine Adern und hat mich auf meinen Wanderungen angespornt.

Was macht ein Ausgestoßener? Wenn er zum Chicaza-Häuptlingsclan gehört – wie ich –, handelt er und spielt. Ich handle mit Luxusgütern: wertvollen Kupferstücken, polierten weißen Muscheln, Büffelwolle, Heilkräutern und Geisterpflanzen, bunten Federn und ungewöhnlichen Schnitzereien oder Kunstwerken.

Was Glücksspiele angeht, so habe ich eine Vorliebe für Spiele wie Stickball, Chunkey oder Akbatle. Zusätzlich zu diesen Fähigkeiten habe ich einen Großteil meines Lebens der Perfektionierung meines Umgangs mit dem Bogen gewidmet. Krieger – egal welcher Nation – sind ein stolzer Haufen und mehr als bereit, alles auf ihre Fähigkeit zu wetten, einen Pfeil auf zwanzig Schritte durch die Öffnung eines enghalsigen Gefäßes schießen zu können. Die Versuchung wird noch größer, wenn der Herausforderer ein heimatloser und fremder Angeber ist, wie ich es bin.

Ich reise mit einer Meute von fünf Hunden. Die Tiere eines Händlers müssen groß, robust und trittsicher sein. Im Laufe der Jahre sind Hunde gekommen und gegangen, aber die, mit denen ich in den Süden gereist bin, gehörten zu den besten, die ich je besessen habe.

Mein Favorit – und der am meisten geliebte – war Fetch. Er war mehr als nur ein Hund, denn er hatte eine beinahe menschliche Seele. Er hielt mich bei Laune, wenn es mir schlecht ging. Seine größte Freude im Leben war das Apportieren von geworfenen Stöcken, Fellbällen oder sogar Steinen. Er hat mich acht lange Sommer lang begleitet, und einen besseren Gefährten konnte man nicht finden.

Skipper, ein anderer meiner Hunde, erhielt seinen Namen wegen seines merkwürdigen Seitwärtsgangs. Beim schnelleren Laufen wich er mit dem Hintern eine Handbreit nach rechts von der Vorderseite ab. Er war hellbraun, hatte kurzes Fell und sein linkes Auge hatte eine seltsame blaue Farbe.

Kläffer, nun, sein Name sagt alles. Auf Kommando blieb er meistens still, aber wenn einer der anderen Hunde ihm etwas stahl, plumpste er auf seinen Hintern und bellte sich entrüstet um Kopf und Kragen. Er war kohlrabenschwarz und hatte einen bulligen Kopf, der von alten Narben gezeichnet war. Kläffer hatte noch ein weiteres Talent: Wann immer es zu einem Hundekampf kam, war er ein entfesselter Schrecken.

Und Zappel? Er liebte es, sich aus meinem Rucksack zu winden, und hatte gelernt, wie er das bewerkstelligen konnte, ohne dass ich es bemerkte. Ich hätte schwören können, dass er zusätzliche Gelenke in seinen Beinen und seiner Wirbelsäule hatte. Sein langes Fell war dunkelbraun und glatt und betonte die weiße Blesse in seinem Gesicht und den weißen Latz auf seiner Brust.

Nager wurde seinem Namen nicht mehr gerecht, aber als Welpe endete er mehrmals beinahe im Eintopf, nachdem er mit seinen Zähnen Teile des Packleders zerstört hatte. Er war der schnellste und stärkste meiner Hunde. Folglich trug er auch das schwerste Gepäck. Für mich war er ein riesiges, graues Ungetüm von einem Hund – ein Bild, das nur durch die niedliche weiße Spitze an seinem Schwanz getrübt wurde.

Mehrere Jahre lang hatte mich mein Weg nach Süden geführt, weg von den zivilisierten Ländereien der Mos'kogee und der anderen großen Völker. Er führte mich zu den Apalachee. Dort wurde zum ersten Mal meine Neugier auf die bärtigen und bleichen Seevölker geweckt. Als ich bei den Apalachee war, besuchte ich den Ort, den sie Aute nennen. Dort sah ich mit eigenen Augen die gebleichten Schädel von großen und furchterregenden Tieren, die größer als Elche waren. Auf ihnen reiten die geheimnisvollen Männer, die mit ihren haarigen Gesichtern aus dem Meer kamen.

Vor elf Wintern trafen die Eindringlinge, die sich Kristianos nannten, unter der Führung ihres Häuptlings Narvaez aus dem Süden in unserem Gebiet ein. Die Apalachen hatten für die Kristianos nichts als Verachtung übrig, denn sie hatten gesehen, wie sie sich durch die Küstensümpfe und das Wattenmeer kämpften, krank und hungrig in einem Land des Überflusses. Schließlich bauten die Kristianos Flöße, aßen ihre großen Tiere auf und ließen sich zum Golf hinuntertreiben. Danach verschwanden sie einfach im Meer.

Ich war zwischen ihren seltsamen Konstruktionen in Aute umhergewandert und hatte die großen Holzkreuze gesehen, die sie in die Bäume gehängt hatten. Ich betrachtete mit Ehrfurcht das geheimnisvolle Metall, das sie zurückgelassen hatten, und berührte Stücke ihres Stoffes. Ich wunderte mich über die bemerkenswerten, vielfarbigen Perlen, die sie während ihres Aufenthalts getauscht hatten. Meine Neugierde wuchs mit jeder neuen Entdeckung.

Der Mikko – so nennen die Apalachen ihr höchstes Oberhaupt – heißt Cafakke oder Großer Boden. Er besitzt einen Kristiano-Schädel in seinem Palast in seiner Stadt Anhaica. Ich habe ihn in der Hand gehalten, die schmalen Gesichts- und Nasenknochen studiert und mich über den Mann gewundert, dessen verschiedene Seelen einst in diesen zerbrechlichen Knochen wohnten. Da beschloss ich, die Quelle der Legende zu ergründen. Denn – dumm wie ich war – hoffte ich, ein Vermögen mit Handel zu verdienen, wenn ich nur eine Auswahl ihrer Waren bekommen könnte. Die großen Häuptlinge im Norden würden fabelhafte Reichtümer für solch exotische Dinge eintauschen.

Ich muss Sie nicht mit der Geschichte meines Weges durch das Timucua-Land langweilen oder meiner Zeit als Händler in den Uzachile-Städten oder dem Ärger, den ich mit dem Holata, dem Häuptling, in der Stadt Ocale hatte. In gewisser Weise beginnt diese Geschichte an einem späten Nachmittag, als ich mich der Stadt White Bird Lake näherte. Für diejenigen, die noch nie in diese Richtung gereist sind, ist es ein Gebiet voller Kiefernwälder, gelegentlicher Harthölzer und Palmenhaine. Offene Flächen, die manchmal durch Waldbrände gerodet wurden, sind mit üppigem Gras bewachsen und die Böden sind sandig genug, um Maisfelder anzulegen. Die Siedlungen befinden sich meist im Landesinneren, weit weg von den Küsten, um der Gefahr von Unwettern zu entgehen, obwohl gelegentlich heftige Stürme ganze Wälder fällen, wenn sie von einem Gewässer zum anderen über die Halbinsel brausen.

Das Volk der Halbinsel ist kriegerisch und bereit, ihre Cousins einen halben Tagesmarsch entfernt ebenso zu bekämpfen wie die Calusa und Tequesta im Süden oder die Uzita im Westen. Die meisten ihrer Städte sind um einen oder zwei niedrige Hügel herum gebaut. Diese dienen als Stützen für das Haus des Häuptlings, das Leichenhaus oder manchmal auch für einen Tempel. Um die Stadt herum wird in der Regel eine Befestigung aus Holzstämmen auf einem Erdwall errichtet – gerade so eng zusammenstehend, dass die Verteidiger zwischen den Lücken hindurch schießen können.

Wenn ich sage, dass die Menschen kriegerisch veranlagt sind, dann ist das nicht wie bei den großen Nationen des Nordens, wo trainierte Armeen von einem eingeschnappten Minko wegen einer vermeintlichen Beleidigung entfesselt werden. Stattdessen befinden sich diese Dörfer und Städte in der Lage ständiger, aber unregelmäßiger Überfälle.

Manchmal gelingt es jedoch einem Kriegshäuptling – in der Sprache der Südtimucua Paracusi genannt –, seine Nachbarn zu besiegen und eine lockere Art von Verbund zu schaffen, die von den Tributen der eroberten Städte abhängig ist. Solche Häuptlingsverbände – wenn man sie überhaupt so nennen kann – sind zerbrechlich, zerfallen leicht und sind im Allgemeinen ständigem Wandel unterworfen. Ihr Aufstieg und Fall beruhen auf dem Charisma und der Gerissenheit der einzelnen Anführer.

Das war auch der Fall bei einem Kerl namens Irriparacoxi, einem neu aufgestiegenen Anführer in den zum größten Teil unorganisierten Dörfern von Südtimucua.

Wenn ein Mann in diesen Ländern zum Häuptling ernannt wird, nimmt er den Namen der Stadt an, in der er herrscht. Ein Mann könnte also Red Hawk heißen, aber er wird ab dem Zeitpunkt seiner Wahl Holata Ahocalaquen oder Häuptling Ahocalaquen genannt. Ich fand das verwirrend, aber so handhabten es die Timucua.

Irriparacoxi, was so viel bedeutet wie „hoher Ratskrieger und Kriegshäuptling“, hatte die meisten Städte südlich des Ocale-Gebietes und die nördlich von Calusa und Tequesta unterworfen. Da er ein so großes Gebiet kontrollierte, war er in der glücklichen Lage, Tribut von seinen unterworfenen Städten zu erhalten, und – was für mich noch wichtiger war – er war sehr zufrieden mit sich selbst. Wie die Kugelfische der Meere können sich kleine Häuptlinge über ihre wahre Bedeutung und Größe hinaus aufblasen.

Denken Sie daran, dass ich ja als Chicaza geboren und aufgewachsen bin. Ich weiß alles über geschaffene Selbstherrlichkeit.

An diesem Tag ging ich an der Spitze meiner Rudelhunde, meinen Händlerstab in der Hand. Der Weg war breit und gut ausgetreten und auf beiden Seiten von Palmen, Kiefern und Eichen gesäumt. Der Frühling stand in voller Blüte, die Luft war beinahe schwül. Die Nachmittagssonne hing am westlichen Himmel, und die südöstliche Brise verströmte den perfekten Duft von Geißblatt, Gallapfel, Phlox und Feuerbüschen, die alle in voller Blüte standen. Die Luft schien vom Summen der Insekten zu schwirren und zu vibrieren.

Über dem Himmel flogen Schwärme von Reihern nach Norden und ihre trillernden Rufe schwebten über das Land. Spottdrosseln riefen mit trällernden Stimmen aus dem Gebüsch. Ich konnte einen Fischadler sehen, der über einem Sumpfgebiet im Westen kreiste. Ich atmete tief ein, und der feuchte Moschusduft der Vegetation und des fruchtbaren Bodens füllte meine Nasenlöcher.

Die Rudelhunde hörten sie zuerst, spitzten die Ohren und stellten die Schwänze auf, während sie das Gebüsch am Wegrand absuchten. Dann ertönte ihr leises Knurren, als die Frau den Kopf hob. Sie schnitt mit einer geschärften Muschelschale Palmetto-Fächer ab.

Auf mein Handzeichen hin waren die Hunde still und hechelten, während sie die Frau beobachteten. Zappel versuchte wie immer, sich aus seinem Rucksack herauszuwinden. Ich schnippte zurechtweisend mit den Fingern, und Zappel warf mir einen Du-hast-mich-erwischt-Blick zu.

„Grüße“, rief ich in meinem stockenden Timucua.

Die Frau richtete sich auf, und was für ein Anblick sie war: groß, mit rabenschwarzem Haar, das ihr bis über die Hüften fiel. Ihre breiten Schultern erinnerten mich an die einer Schwimmerin, und ihre Arme waren muskulös. Manche Männer hätten ihre runden Brüste vielleicht als zu voll empfunden, aber bei ihrer großen Statur wirkten sie einfach perfekt. Ein brauner Rock hing von einer schmalen Taille herab und wurde von einem geknoteten Seil gehalten. Glänzende Oberschenkel und wohlgeformte Waden machten ihre langen Beine zum Stoff, aus dem die Träume aller Männer sind.

Dann trafen ihre Augen auf meine. Dunkel wie eine Mitternachtssonne durchdrangen sie mich, als könnten sie in all meinen Seelen lesen. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, und eine Augenbraue hob sich wissend. Offensichtlich war sie es gewohnt, von Männern angestarrt zu werden.

Mit einem Augenzwinkern sagte sie: „Vergiss es. Ich gehöre zu Irriparacoxi. Er ist ein sehr eifersüchtiger Mann.“

Ich hatte ein wenig Mühe mit ihrem Akzent, antwortete aber: „Wie kommst du darauf, dass ich an dir interessiert bin?“

Sie deutete auf die hechelnden Hunde, die sich unter ihren schweren Rucksäcken ausruhten. „Deine Zunge hängt weiter heraus als die der Hunde. Was ist los mit dir? Gibt es keine Frauen, wo du herkommst, Händler?“

Keine wie du. Zu meiner Verteidigung sagte ich: „Frauen genug.“ Oh, ihr Götter, sie war wunderbar. Ich beobachtete, wie sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung bückte, um den Arm voll abgeschnittener Blätter aufzuheben. Sie warf mir einen irritierten Blick zu, als sie sich ihren Weg durch das Gras zum Pfad bahnte. Aus der Nähe sah sie noch besser aus, mit ihrem dreieckigen Gesicht und einer seltsam zarten und geraden Nase. Ihr festes Kinn balancierte weiche Lippen und breite Wangenknochen aus. Meine offensichtliche Verliebtheit erfüllte sie mit tänzerischer Belustigung.

„Du bist also der berühmte Händler aus dem Norden“, sagte sie skeptisch.

„Du wusstest, dass ich kommen würde?“

„Wir haben vor ein paar Tagen davon gehört. Wir haben gehört, dass der Häuptling von Ocale nicht viel von dir hält.“

„Er ist der dummen Überzeugung, dass ich ein Spion von Potano sei.“

„Bist du es?“

„Nein.“ Ich deutete auf meinen Händlerstab mit den weißen Federn, die an seiner Spitze baumelten. „Ich bin ein Händler … und tue das, was Händler tun. Ich war noch nicht einmal im Land der Potano. Sie leben drüben an der Ostküste. Ich bin dem zentralen Pfad nach Süden gefolgt.“

„Warum?“

War sie absichtlich so kratzbürstig? „Weil ich noch nie hier unten war. Ich habe Waren aus dem Norden, die ich gegen Dinge wie Löffelreiherfedern, Tabak von den Taino und Panzer der Meeresschildkröten eintauschen möchte. Waren, die es im Norden nicht gibt.“ Zeit, in die Offensive zu gehen. „Also, warum bist du ganz allein hier draußen?“

Sie begutachtete mich nachdenklich, als wäre ich ein Stück Hirschkeule. „Ich bin gekommen, um herauszufinden, was für ein Mann du bist.“

Das verwirrte mich. „Warum sollte dich das interessieren?“

Ich versuchte, nicht auf ihre Brüste oder auf die schmale Taille zu starren. Auch nicht darauf, wie ihr Rock auf den runden Hüften hing. War sie eine Zauberin, die meine vielen Seelen verzauberte? Wie würde es sich anfühlen, mit den Fingern über ihre Wange zu streichen und zu sehen, wie sie mich dabei anlächelt?

„Wir haben alle unsere Gründe“, flüsterte sie abwesend.

Ich musste mich beherrschen, um nicht wie ein Narr zu glotzen. Welcher Mann würde das nicht tun?

„Du wanderst allein durch das Land?“, fragte sie.

„Vorläufig.“

„Wo ist deine Frau?“

„Ich habe keine.“

„Ist es so schwierig, mit dir auszukommen?“

„Nein. Ich habe nur nie die richtige Frau gefunden. Die meisten verlassen ihre Familie, den Clan und die Heimat nicht gerne. Der Handel kann ein einsames Geschäft sein, man ist nie lange mit denselben Leuten zusammen.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Man braucht einen gewissen Sinn für das Abenteuer, um die Frau eines Händlers zu sein. Man muss ungebunden sein.“ Ich lächelte. „Frei.“

„Und du glaubst, eine Frau will nicht frei sein?“ Sie legte den Kopf schief, als ob etwas Wichtiges von meiner Antwort abhinge.

Ich dachte kurz darüber nach, bevor ich antwortete: „Der Handel ist einfach nichts für Frauen. Die Händler verbringen viele kalte Nächte damit, im Regen auf dem Boden zu schlafen. Es gibt Tage mit schlechtem Essen oder einem leeren Bauch. Was ich besitze, trage ich auf dem Rücken oder es wird von den Hunden getragen.“

„Aber du bist niemandem verpflichtet.“

„Es gibt nur mich und die Macht des Handels“, stimmte ich zu und lächelte dann. „Glücklicherweise habe ich nur mich selbst als Gesprächspartner und gewinne alle Streitereien.“

„Ist das wichtig für dich? Den Streit zu gewinnen?“

„Ich habe einen Witz gemacht. Ich mache oft Witze auf meine Kosten. Das hält mich davon ab, mich selbst zu ernst zu nehmen.“

„Warum?“ Es war, als ob sie versuchte, in meine Eingeweide zu sehen, als ob sie mich verurteilen würde. Verurteilen, wofür?

„Sagen wir einfach, dass es besser ist, einen Sinn für Humor zu haben, wenn man vom Leben oft geschlagen wird“, grinste ich. „Und glaub mir, das Leben hat die Angewohnheit, einen zu schlagen, wenn man nicht aufpasst.“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. Doch hinter ihren Augen brodelte es – maskiert durch eine lang geübte Kontrolle? Warum sah sie mich ständig so an? Nicht, dass es mir etwas ausmachte. Eine Frau wie sie konnte ihre Aufmerksamkeit jederzeit in meine Richtung lenken. Die Fantasien, die sie dabei entfachte, begannen ihren eigenen Weg zu gehen … in ein gemütliches Lager.

„Vergiss es“, wiederholte sie. „Ich gehöre zu Irriparacoxi.“

„Ehefrau?“ fragte ich und gab den Hunden ein Zeichen, mir zu folgen, als sie den Pfad hinunterging und ich ihrem Tempo folgte.

Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu und gab einen angewiderten Laut von sich. „Zum Glück nicht. Aber wenn ich seine Frau wäre, könnte ich mich wenigstens von ihm scheiden lassen. Als gefangene Frau kann er mit mir machen, was er will.“ Eine Pause. „Und er würde dich umbringen, wenn du mich nur schief ansiehst, geschweige denn, wenn du etwas anderes versuchen würdest.“

Das erklärte eine Menge. Sie war sein Eigentum. Gefangene Frauen hatten nur einen geringfügig höheren Status als Sklaven. Ich konnte mir vorstellen, wie ihr Leben bislang verlaufen war. „Du bist schon zu lange mit den falschen Männern zusammen.“

„Und du bist anders? Ich würde mir den Geifer vom Kinn wischen, bevor du in das große Haus von Irriparacoxi gehst, um dich anzukündigen.“

„Er würde mich umbringen, nur weil ich geifere?“

„Wenn es um mich geht, ja.“

„Dann werde ich vorsichtig sabbern.“

„Die meisten Männer tun das.“

Ich warf ihr einen weiteren Seitenblick zu. Sie warf mir ähnliche Blicke zu, beinahe als würde sie etwas abwägen.

„Du hast einen Namen, nehme ich an?“

Sie lächelte. „Ich hatte schon viele Namen.“

„Wie nennt dich Irriparacoxi?“

„In Timucua heiße ich Pearl Hand. Privat gibt mir Irriparacoxi … andere Namen.“

„Ich freue mich, dich kennenzulernen, Pearl Hand. Bei den Händlern bin ich als Black Shell bekannt. Ein Mann aus dem weit entfernten Chicaza.“

„Ja, ich weiß. Du hast einen gewissen Ruf, Black Shell. Sogar hier haben wir von deinen legendären Taten gehört. Man sagt, du bist ein guter Spieler.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Manchmal habe ich Glück beim Chunkey-Spiel.“ Ich griff nach hinten und klopfte auf den Rucksack auf meinem Rücken. Meine Chunkey-Lanzen und mein Bogen ragten aus der Tasche aus Alligatorenleder. „Und ab und zu trifft ein Pfeil dort, wo er treffen soll. Aber ansonsten ist es nur Gerede.“

Ich sah, wie sich die Muskeln in ihrem zarten Kiefer anspannten. „Irriparacoxi hält sich selbst für einen Krieger. Zwar wird hier kein Chunkey gespielt, aber seine Fähigkeiten mit dem Bogen werden von kaum einem seiner Krieger übertroffen. Bist du deshalb hierhergekommen? Um ihn herauszufordern?“

Ich schenkte ihr ein unverbindliches Grinsen. „Nicht wirklich. Wenn man nach Süden will, muss man hier auf der Halbinsel das Land der Irriparacoxi durchqueren. Es sei denn, man will durch die Sümpfe im Westen des Uzita-Landes waten.“

„Aber du wirst handeln?“

Ich warf ihr einen Blick zu. „Wenn Irriparacoxi etwas hat, was ich haben will.“

Pearl Hand konnte ihre Berechnung nicht ganz hinter ihrem kontrollierten Gesichtsausdruck verbergen. Sie wechselte ihre Ladung Palmwedeln von einer Seite zur anderen. „Was ist im Süden?“

„Gerüchte. Geschichten über bärtige, bleichhäutige Männer. Ich habe die Metalle, die Perlen und die prächtigen Stoffe gesehen. Einige der Geschichten sind so fantastisch wie die, die wir zu Hause erzählen, um kleine Kinder zu erschrecken. Ich habe gehört, dass diese seltsamen Männer auf riesigen Bestien reiten. Bei den Apalachee habe ich sogar die Schädel solcher Tiere gesehen. Im Norden erzählt man sich, die Fremden hätten große schwimmende Paläste, die auf den Wellen reiten, und ihre Kriegsrüstungen seien aus magischem Metall. Ich will sehen, ob diese Geschichten wahr sind.“

„Dann bist du ein Narr.“

„Ein Narr?“

Ihr ruhiger Blick traf meinen. „Händler, die Geschichten sind wahr. Aber das Letzte, was du willst, ist den Kristianos zu begegnen. Es sei denn, du willst den Rest deines dann kurzen Lebens als Sklave verbringen. Sie suchen an der Küste nach Gefangenen. Diejenigen, die sie gefangen nehmen, werden in die schwimmenden Paläste gepfercht und segeln aufs Meer hinaus. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie gehört, dass jemand zurückgekehrt wäre. Es gibt Gerüchte, dass sich die meisten Sklaven innerhalb einer einzigen Jahreszeit zu Tode schuften müssen.

„Wo? Ich meine, in den schwimmenden Palästen können sie nicht so viel Arbeit haben.“

Sie warf mir denselben Blick zu, den sie einem Idioten zuwerfen würde. „Sie haben große Inseln draußen im Meer. Die Sklaven dort fällen Bäume, roden Felder, betreiben Bergbau, bauen Pflanzen an und errichten riesige Erdwälle. Einige der Geschichten, die ich gehört habe, ergeben keinen Sinn, aber in einem Punkt sind alle der gleichen Meinung: Es sind brutale Männer mit schrecklichen Methoden.“

„Ich will sie trotzdem sehen.“

Mit einem Anflug von Verzweiflung fragte sie: „Warum? Damit du ein Sklave werden kannst?“

„Ich bin durch die Macht des Handels geschützt.“

„Sie halten sich an keine Gesetze oder Regeln, Black Shell. Und sie haben keinen Respekt vor der spirituellen Macht, zumindest, soweit wir das beurteilen können. Wenn du auf sie zugehst und von ihnen erwartest, dass sie die Macht des Handels ehren, werden sie dich entweder zum Vergnügen töten oder dir eines ihrer Metallhalsbänder um den Hals legen und dich an einer Metallkette abführen.“

„Jeder glaubt an die Macht des Handels“.

Sie warf mir einen mitleidigen Blick zu. „Nicht die Kristianos.“

„Du scheinst viel über sie zu wissen.“

„Als ich ein kleines Mädchen war, versuchten sie, eine Stadt zu bauen. Meine Mutter ging zu ihnen und suchte nach meinem Vater.“

„Ich verstehe das nicht.“

Sie warf ihr langes Haar aufreizend zurück. „Ich bin eine Chicora. Sagt dir das etwas?“

Ich nickte langsam und erinnerte mich an die Geschichten. „Von der Küste im Norden. Die bärtigen weißen Männer waren im Laufe der Jahre schon zweimal dort.“

Sie warf mir weiterhin diesen Blick zu, der besagte, dass sie mich als bemerkenswert dumm einschätzte.

Ich versuchte zu verstehen. „Sie haben deinen Vater entführt … ihn als Sklaven gestohlen? Und deine Mutter hat nach ihm gesucht?“

Ihre Miene verhärtete sich, und ihr Mund wurde schmal vor Wut. „Mein Vater nahm meine Mutter aus Chicora mit und behielt sie, bis sie ihr großes Schiff mit Sklaven gefüllt hatten. Aber in jener letzten Nacht – in dem Durcheinander, als sie packten – entkam sie. Als ihre Familie entdeckte, dass sie einen bärtigen Balg in sich trug, verstieß man sie. Als die Kristianos ein paar Jahre später wieder an Land gingen, kehrte sie aus mir unbegreiflichen Gründen zurück, um den Mann zu suchen. Ich war damals noch sehr klein und hatte erst fünf Sommer hinter mir. Die Kristianos waren nicht sehr erfolgreich beim Aufbau ihrer Stadt. Manche Dinge, die sie tun, sind unerklärlich dumm. Sie waren am Verhungern, umgeben von Essbarem, das sie nicht zu essen wagten. Schließlich beluden sie die Schiffe und segelten aufs Meer hinaus.

Sie war so freundlich, meinen starren Blick zu ignorieren. Ich studierte ihr Gesicht, die dünne Nase, die Linie ihres Kiefers.

Sie warf mir einen amüsierten Blick zu. „Willst du einen sehen? Einen Kristiano? In Holata Mocoso lebt einer, gleich westlich von hier. Ab und zu tauchen weiße Männer auf, deren große Boote bei Stürmen Schiffbruch erleiden. Die Überlebenden, die nicht von Mutter Meer aus dem Boot gesaugt werden und ertrinken, werden an Land gespült. Meist in einem erbärmlichen Zustand.“

„Ja, ich würde sehr gerne einen sehen. Ich habe so viele Fragen.“

Der Blick, den sie mir zuwarf, jagte mir einen Schauer über den Rücken. „Sie sind böse, Black Pearl. Einzeln oder zu zweit wirken sie sogar sympathisch. Aber wenn sie in Gruppen kommen, lauf weg. Versteck dich, denn wenn sie dich gefangen nehmen, ist das schlimmer, als auf dem Dorfplatz zu sterben.“

Sie bezog sich auf das Holzviereck, an das die Gefangenen gebunden und langsam zu Tode gefoltert wurden. Konnten sie wirklich so schlimm sein?

„Und du?“ Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen: „Du bist eine von ihnen? Oder zumindest die Hälfte eines Kristianos? Ist das wirklich wahr?“

Sie schaute mich mit ihren strahlenden Mitternachtsaugen an. „Oh, ja, Händler.“ Dann wiegte sie keck ihre Hüften. „Also, wenn sie wirklich böse sind, was bin ich dann?“

„Verlockend“, sagte ich in Mos'kogee.

Zu meiner schockierten Überraschung lächelte sie, als hätte sie einen Entschluss gefasst, und antwortete in präzisem Mos'kogee: „Und was würdest du mit mir machen?“

Ich starrte sie an und war sprachlos.

Sie war sich meiner Aufregung bewusst und fügte hinzu: „Genau das, was ich von einem Mann erwarte.“

Ich blickte auf meine Rucksäcke und rechnete. Was müsste ich tun, um Irriparacoxi davon zu überzeugen, Waren gegen diese Frau zu tauschen?

Als sie meinen Gesichtsausdruck las, lachte sie listig. „Mehr als du hast, Händler.“

Nun, wir würden sehen.

 

Kapitel 2

 

 

D

as Dorf am White Birds Lake war eine typische Siedlung in dieser Region. Die Stadt selbst befand sich in einer Lichtung von Bäumen auf einem Erdhügel an den Ufern eines der vielen Süßwasserseen, die es auf der zentralen Halbinsel gab. Ein niedriger Erdwall mit einer zerklüfteten Holzpalisade erhob sich über einem Graben, der vom Wasser des Sees gespeist wurde.

Der Graben diente zur Verteidigung, aber auch als Garten für gelben Lotus, Rohrkolben, Seerosen und andere Wasserpflanzen, die von den Menschen angebaut wurden. An seinen schlammigen Ufern erlernten Kinder, Fische zu harpunieren.

Im Inneren der Festung befand sich ein einzelnes Gebeinhaus direkt vor dem Tor auf einer niedrigen Anhöhe im Westen. Irriparacoxis Palast beherrschte einen höheren Hügel auf der Ostseite. Beide Gebäude waren in einer direkten Linie mit dem Sonnenaufgang und der Tagundnachtgleiche errichtet worden.

Durch die wackelige Palisade hindurch konnte ich sehen, dass die Häuser ein Strohdach hatten, welches von einem hölzernen Rahmen gestützt wurde. Sie waren mit Matten ausgelegt, aber an den Seiten offen. Das Klima begünstigte solche Konstruktionen, besonders im Sommer.

Wenn die Müll- und Muschelhaufen groß genug waren, wurde Erde korbweise herangetragen, um einen erhöhten Boden für ein neues Haus zu schaffen und so sicherzustellen, dass das Gebäude in der Regenzeit über dem Wasserspiegel stand.

Ich möchte an dieser Stelle etwas über das Volk der südlichen Timucua erzählen: Ackerbau ist ein Nebenerwerb. Je weiter man nach Süden kommt, desto weniger eignen sich die Böden für den Anbau von Mais, Bohnen und Kürbissen. Deshalb sind die Irriparacoxi auf das Jagen, Fischen, Sammeln und Fallenstellen als Überlebensgrundlage angewiesen, und ihr Land ist reich genug an solchen Ressourcen, um sie gut zu ernähren. Ständige Kleinkriege und auch die hohe Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen halten ihre Zahl so gering, dass sie, anders als wir im Norden, nicht so sehr auf den Anbau von Feldfrüchten angewiesen sind, da sie keine große Bevölkerungsgruppe ernähren müssen.

Als Pearl Hand und ich den Wald verließen und die Felder am Rande der Siedlung betraten, ertönte ein Schrei. Ich hielt sofort meinen Händlerstab hoch, damit niemand meine Ankunft als Bedrohung missverstehen würde. Der Stab erwies sich auch als nützlich, um die Hunde der Stadt abzuwehren, die herbeieilten, bellten und bereit waren, einen Kampf zu beginnen.

Obwohl ich in Pearl Hand vernarrt war, bestand meine Aufgabe darin, meine Hunde zusammenzuhalten, mich anzukündigen und dafür zu sorgen, dass ich mit dem Respekt und der Ehre empfangen wurde, die einem Händler meines Standes gebührt. Manchmal gehörte dazu auch das Spielen meiner kleinen Stockflöte, wenn ich mich näherte. Da ich an der Seite von Pearl Hand ging, schien die Flöte unnötig. Außerdem bin ich sowieso nicht so gut im Musizieren.

Pearl Hand erfüllte ihre Aufgabe mit Bravour, trat durch das Tor und rief: „Ein Händler. Der berühmte Händler Black Shell kommt aus dem Norden zu uns. Benachrichtigt den Irriparacoxi und die Priester! Jemand soll Essen vorbereiten. Es ist uns eine Ehre, einen so berühmten Mann zu empfangen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch und nickte anerkennend. Inzwischen kamen Frauen und Kinder von der anderen Seite der Felder auf mich zu, und mit ihnen kamen auch die Hunde. Es ist schwierig, einen großen Auftritt durch das Palisadentor zu bewerkstelligen, wenn man gegen die Hunde fuchteln muss, um sie vom eigenen Rudel fernzuhalten. Glücklicherweise schienen die einheimischen Kinder das zu kapieren und trieben ihre Köter mit Stöcken und anderen geworfenen Gegenständen zurück.

Kläffer schaute erwartungsvoll zu, aber es kam kein Kampf zustande. Nager wedelte mit dem Schwanz, wobei die weiße Spitze hin und her flog. Zappel versuchte, seinen Rucksack loszuwerden.

Ein schrumpeliger alter Mann, weißhaarig und zerbrechlich, kam durch das Tor. Er warf einen Blick auf Pearl Hand mit ihrer Ladung von Palmwedeln im Arm und schaute dann auf mich. Der Blick, den er Pearl Hand zuwarf, machte mich neugierig; denn in ihm schwelte eine unterschwellige Feindseligkeit.

„Du bist der Händler, der als Black Shell bekannt ist?“, fragte er und formte mit seinen Händen die entsprechenden Zeichen, während er sprach. Im Gegensatz zu gesprochenen Sprachen, die von einer Siedlung zur nächsten bereits unverständlich sein können, ist die Zeichensprache beinahe universell.

„Ich bin bekannt“, antwortete ich in meinem unbeholfenen Timucua, wobei auch meine Hände die Worte unterstrichen. „Es sei den Menschen dieses Ortes gesagt, dass ich unter der Macht des Handels stehe. Möge es der Sonne, den Ahnen und dem großen Irriparacoxi und seinen Ratgebern gefallen.“

„Ich, Anacotima, Red Wing, erster Berater der Siedlung White Bird Lake, heiße dich im Namen des großen Irriparacoxi und seines Volkes willkommen. Wir haben Geschichten über den Händler namens Black Shell gehört. Man sagt, dass du viele wundersame Dinge in deinen Rucksäcken trägst und dass du sehr großzügig mit deinen Waren handelst. Man erzählt sich auch, du seist ein ehrlicher Mann, der seine Gastgeber nicht über Gebühr ausnutzt.“

Der alte Mann redete atemlos weiter. Anacotima ist ein Begriff, den man sich als eine Kombination aus Redner, Ratsmitglied und auch Aufseher des Hauses des Anführers des Volkes vorstellen kann.

Ich für meinen Teil konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, den Hals zu verrenken, als Pearl Hand durch das Tor verschwand. Ich stieß einen Seufzer aus und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den alten Mann. Seine Aufgabe war es natürlich, mich mit endlosen Monologen hinzuhalten, während die Stadtoberhäupter aufgesucht und informiert wurden, das Haus des Häuptlings hergerichtet wurde und alle Machthaber genügend Zeit hatten, ihre beste Kleidung anzuziehen, ihren Schmuck zu drapieren und sich perfekt schminken zu lassen. In der Zwischenzeit wurden mehrere Frauen damit beauftragt, alles, was gekocht werden sollte, einzusammeln und zum Haus des Häuptlings zu bringen. Auf diese Weise sollte der Eindruck erweckt werden, dass prächtige Festmahle in Irriparacoxis Haus auf der Hügelspitze eine langweilige und alltägliche Angelegenheit waren.

Eine Faustregel der Händler war: Je pompöser der Anführer eines Volkes war, desto aufwändiger die Vorbereitungen.

Während der alte Mann von seiner Stadt und seinem Häuptling erzählte, beobachtete ich die einheimischen Frauen, die von den Feldern herbeieilten. Die meisten trugen Körbe, einige auf den Hüften, andere hingen an Gurten: bunte Bänder, die um die Stirn drapiert waren und den Lastenkorb knapp über den Hüften hielten. Als sie an mir vorbeigingen, lächelten sie mich schüchtern an und eilten dann durch das Tor. Sie trugen Feldkleidung, die aus einem Rock aus unverzierten Palmwedelfasern bestand. Dieser wurde in der Taille mit einem Seil zusammengehalten. Die meisten trugen ihr Haar hochgesteckt und hielten es mit geschnitzten Muschelteilen oder mit einer verzierten Schnur zusammen. Die Kinder schienen gesund zu sein, aber wenn man in diesem Land das fünfte Lebensjahr überlebte, war das auf eine harte Konstitution zurückzuführen. Das Land der Timucua war nichts für schwache Gemüter oder anfällige Körper.

Der alte namens Red Wing sprach gerade über die Fruchtbarkeit der Ländereien von Irriparacoxi und darüber, wie er seinen Kriegern die Kraft gegeben hatte, alle umliegenden Siedlungen zu erobern, als eine Delegation von Kriegern und Unterhäuptlingen hinter ihm am Tor erschien.

Einer der bemalten Krieger lehnte sich nahe an ihn heran, flüsterte dem alten Mann etwas ins Ohr und trat zurück. Ich musterte den Kerl beiläufig. Er hatte eine Kette aus getrockneten menschlichen Ohren um den Hals hängen. Zweifelsohne Trophäen von Überfällen. Als er in meine Richtung schaute und sich unsere Blicke trafen, wusste ich sofort, wer er war: der zweifelsohne arrogante und leicht verbitterte Unterhäuptling, der vor Ehrgeiz stank und sich allen außer dem Oberhäuptling überlegen fühlte. Es lag an der Art, wie der Mann dastand, an seinen hochgezogenen Schultern und seinem grinsenden Gesichtsausdruck. Er sah mich an, als wäre ich nur ein fremder Fischer, der zum Handeln gekommen war.

So sehr ich Typen wie ihn auch hasste, meine Aufgabe war genau das: zu handeln. Und vielleicht Pearl Hand zu stehlen.

Der alte Mann holte tief Luft und hob die Hände. „Großer Händler Black Shell, unser Iniha Stalks the Mist hat mich gerade informiert, dass alles vorbereitet ist. Wir heißen dich im Namen des Irriparacoxi in der Stadt am White Bird Lake willkommen. Komm im Angesicht der Sonne und der Geister der Ahnen in unser Dorf, und teile mit uns die Gastfreundschaft des Irriparacoxi.“

Red Wing verbeugte sich, dann drehte er sich um und ging voraus. Hinter den Häusern kündigte das hohle Blasen von Muschelhörnern unseren Einzug an. Ich gab meinen Hunden ein Zeichen, in der Nähe zu bleiben, und folgte pflichtbewusst dem alten Redner, während sich die Krieger zu beiden Seiten von uns aufstellten.

Rauch stieg von den abendlichen Feuern auf, die in flachen Gruben vor den offenen Häusern entzündet worden waren, und die Menschen drängten sich um uns herum, begierig, den Händler zu sehen. Irriparacoxi empfing zweifellos viele Besucher und Delegationen, denn so etwas gehörte zum gehobenen Stand des Eroberers –, aber fremde Händler waren immer etwas Neues.

Wir marschierten an dem Beinhaus auf dem Hügel vorbei. Der unverwechselbare und süßliche Geruch ließ meine Nase zittern. Wie die meisten Völker tragen auch die Timucua der Halbinsel ihre frisch Verstorbenen in das Beinhaus. Dort wird der Leichnam mit großer Zeremonie gewaschen und gepflegt. Bei einigen Völkern werden die Knochen sofort entfleischt, bei anderen lässt man den Körper langsam verwesen.

Unabhängig vom Verfahren wird dies alles mit präzisen Ritualen und großer Demut durchgeführt, um den Seelen der Verstorbenen zu versichern, dass sie immer noch geliebt und geschätzt wurden. Und warum tat man das?

Bei den Timucua glaubt man, dass die Seelen der Verstorbenen mit dem richtigen Anreiz in die Reihen der Ahnen aufgenommen werden. Diesen sagt man nach, dass sie für immer wie eine Art von Geisterbienen um die Lebenden schwirren. Diese Ahnengeister leisten gute Arbeit, indem sie Hexerei oder Krankheiten abwehren und böse Einflüsse aus der Geisterwelt ablenken. Manchmal erscheinen sie auch in den Träumen der Menschen und geben ihnen weise Ratschläge.

Und wie sehe ich das? Bei meinen Chicaza glaubte man, dass die Menschen fünf Seelen haben. Die wichtigste von ihnen ist die Lebensseele, die nach Westen an den Rand der Welt reist. Dort stößt die Seele auf eine Klippe, die steil in einen Abgrund abfällt. Nur im zeitigen Frühjahr erscheint die Konstellation der sehenden Hand auf der anderen Seite des Weges. In der Mitte der Hand befindet sich eine dunkle Öffnung, ein Auge. Die Seele des Toten muss hindurchspringen, und nur dann kann sie den vorbestimmten Pfad der Toten suchen.

Ich war schon immer empfindlich, wenn es um Leichenhäuser ging. Wahrscheinlich lag das daran, dass mein Körper nicht in einem solchen landen wird. Ausgestoßene wie ich haben selten ein gutes Schicksal zu erwarten.

Dennoch berührte ich meine Stirn, als ich an dem Beinhaus vorbeikam. Die Timucua schätzen wie alle anderen Völker auch, wenn Fremde ihre Traditionen respektieren.

Unsere Siedlungen haben unverwechselbare Gerüche: Holzrauch von Kochfeuern, das Beinhaus, das herrliche Aroma von Latrinen und Müllhaufen und natürlich der Moschus von so vielen Menschen. Jede Stadt unserer Völker ist einzigartig, wenn man sie betritt, und scheint sich dann mit den Erinnerungen an so viele andere zu vermischen. Der Geruch von White Bird Lake erinnerte mich an modrige, verrottende Rohrkolben.

Die Südtimucuaner sind Meister der Holzschnitzerei. Im Vorbeigehen bewunderte ich die naturgetreuen Darstellungen von Pelikanen, Hirschen, Waschbären, Schlangenhalsvögeln, die wir Anhingas nannten, und verschiedenen Fischen. Ein Haus wurde von Pfosten gestützt, die in die Form von springenden Delphinen geschnitzt waren; das Dach selbst thronte auf deren Nasen. Im Inneren der offenen Veranden konnte ich detaillierte Reliefs mit Vögeln, Jägern und Hirschen sehen. Sie waren mit großer Sorgfalt gemalt worden und hätten im Norden einen hohen Gewinn eingebracht.

 

Ich folgte meinem Begleiter über einen kleinen Platz. Im Gegensatz zu unseren großen Plätzen im Norden war dieser kaum mehr als ein längliches Rechteck zwischen den Häusern. Der Palast von Irriparacoxi stand auf einem langen, flachen Erdhügel am östlichen Rand der Siedlung. Eine unbefestigte Rampe führte zur Vorderseite des Gebäudes hinauf. Zwei kunstvoll geschnitzte Pumas mit langgestreckten Körpern standen als Wächter an der Spitze der Rampe. Sie waren jeweils aus einem einzigen Stück Holz gefertigt und sitzend dargestellt, mit hoch erhobenen Köpfen und aufgerissenen Mäulern, als würden sie brüllen. Ihre Augen waren mit polierten Muscheln eingelegt.

Hinter ihnen lag der Palast, ein großes Gebäude mit einer offenen Fassade. Jeder der Pfeiler, die das Dach stützten, war so geschnitzt, dass er an der Basis verschiedene Tiere darstellte und der obere Teil des Pfeilers aus ihren Köpfen zu wachsen schien.

Der Mann, den ich für Irriparacoxi hielt, stand in der Mitte dieser Säulen. Seine breiten Schultern, seine ausladende Brust und sein Bauch zeigten die Auswirkungen von zu vielen Festen und zu wenig Tagen auf dem Kriegspfad. Tätowierungen in Form von Sonnenstrahlen und gepunkteten Linien zierten sein breites Gesicht und trugen wenig dazu bei, den Ausdruck seiner durchtriebenen, dunklen Augen zu mildern. Die Haut des Mannes war reichlich eingefettet, nicht nur zum Schutz vor den Moskitos, sondern auch, um seine verblassenden Tätowierungen zu betonen. Die gefetteten Haare waren hochgesteckt und zu einem Knoten gebunden. Die Hälfte der weißen Schwanenfedern der südlichen Halbinsel war in das Haar gesteckt worden, um einen Sternen-Effekt zu erzeugen. Um seine breiten Hüften hing eine locker sitzende Schürze, in die ein Panthermuster eingewebt worden war. Das Sonnenlicht schimmerte auf dem weißen Muschelkranz, der über seiner Brust baumelte, und weitere zwanzig oder dreißig Muschelketten verdeckten seinen gesamten Hals. Er warf mir einen beiläufigen Blick zu, als ich die Rampe hinaufging und vor ihm stehen blieb. Auf mein Zeichen hin ließen sich meine Hunde, die mir gefolgt waren, auf den Bauch fallen und ruhten sich zufrieden unter ihren Rucksäcken aus.

Zu Irriparacoxis Rechten befanden sich zwei alte Männer und eine uralte Greisin. Alle drei hatten eine Haut, die aus kaum mehr als schlaffen Falten und verblassten Tätowierungen bestand. Ihr weißes Haar hielt kaum die wenigen bunten Federn auf ihren Köpfen. Angesichts ihrer eingefallenen Kiefer bezweifle ich bis heute, dass die drei auch nur noch einen einzigen Zahn im Mund hatten.

Auf der rechten Seite standen die Krieger: vier muskulöse Männer, auf deren Arme Ringe, Sterne und so etwas wie Vogelköpfe tätowiert waren. Auf jeder Brust befanden sich Sterne, die mit dunkelblauer, schwarzer und roter Farbe gemalt waren. Verschnörkelte, hölzerne Kriegskeulen ruhten leicht auf ihren gekreuzten Armen. Der schmalgesichtige Stalks the Mist mit seiner Kette aus getrockneten menschlichen Ohren nahm seinen Platz direkt vor ihnen ein. Als Unterhäuptling oder Iniha war er nur Irriparacoxi selbst unterstellt.

Der Anacotima Red Wing wich zur Seite und rief: „Ich habe Black Shell, einen Händler der Chicaza aus dem hohen Norden, zu euch gebracht. Er steht unter der Macht des Handels und würde gerne die Gastfreundschaft des großen Irriparacoxi beanspruchen.“

Auf dem Platz am Fuße des Hügels hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Die Leute unterhielten sich und warteten ab, was passieren würde.

„Er ist willkommen“, verkündigte Irriparacoxi mit großer Feierlichkeit. „Alle sollen wissen, dass Black Shell sich frei im Land des Irriparacoxi bewegen kann und dass ihm nichts Böses widerfahren kann, solange er sich an die Macht des Handels hält.“

Alle Augen waren auf mich gerichtet. „Ich danke Irriparacoxi für seinen herzlichen Empfang. Ich bin hier, um Handel zu treiben und dann das Land von Irriparacoxi zu durchqueren, ohne Schaden anzurichten. Ich begrüße eure herzliche Gastfreundschaft und werde euch im Gegenzug mit Geschichten über wundersame Dinge, die ich auf meinen Reisen gesehen habe, erfreuen und Neuigkeiten berichten, die für euch und euer Volk von Interesse sein könnten. All das gebe ich euch gerne als Gegenleistung für eure freundliche Aufnahme.“

Da klatschte Irriparacoxi in die Hände und rief: „Bringt Essen!“ Mit tieferer Stimme fügte er hinzu: „Guter Händler, ich bedaure, dass wir keine Nachricht von deinem Kommen erhalten hatten. Hätten wir es gewusst, wäre dir ein Festmahl bereitet worden, wie du es noch nie erlebt hast. So aber bitten wir dich, uns nicht für gemeine und gefühllose Gastgeber zu halten. Wir haben nur bescheidene Kost, die wir dir so kurzfristig vorsetzen können.“

„Ein hungernder Mann beschwert sich nie, großer Irriparacoxi.“ Ich lächelte.

„Dann werden wir uns als Erstes um deinen leeren Bauch kümmern“, fuhr er sehr freundlich fort.

Im Laufe der Jahre habe ich ein Gespür für Männer entwickelt. Irriparacoxi beobachtete mich so, wie ein Turmfalke eine Wühlmaus beobachtet. Das machte mich wütend. Eigentlich hätte er nur ein wenig neugierig sein müssen, fasziniert von der Ankunft eines bekannten Händlers und in der Hoffnung auf einen Abend voller Abwechslung vom Tagtäglichen. Warum bekam ich dann diesen raubtierhaften Blick ab?

Es wurden Vorkehrungen für die Hunde meines Rudels getroffen. Ein großes Feuer wurde entzündet. Von überall her kamen dampfende Töpfe auf uns zu und die Frauen trugen sie wie Opfergaben die Rampe hinauf. Sie hatten die Töpfe in alte Gewänder gewickelt oder trugen sie auf Stöcken, damit sie sich nicht die Hände verbrannten. Jemand brachte die Hälfte eines in der Grube gebratenen Hirsches und Brote aus Rohrkolben und Smilaxwurzeln erschienen wie aus dem Nichts. Die Ankunft zur Abendessenszeit ist ein alter Händlertrick.

Und dann erschien sie. In der zunehmenden Dämmerung trat sie aus dem hinteren Teil des Häuptlingshauses hervor. Das triste Kleid war verschwunden. Ihr frisch gewaschenes Haar war mit weißen Federn und geschliffenen Muschelteilen geschmückt. Beides betonte die rabenschwarzen Locken. Muschelarmbänder klapperten, wenn sie ihre Arme bewegte. An ihrem schlanken Hals hingen nicht weniger als zwanzig Halsketten aus Muscheln, Knochen und bunten Holzperlen. Ein auffälliger weißer Rock schmiegte sich an ihre Hüften und schwang bei jedem Schritt aufreizend mit.

Alle Augen der Siedlung waren auf sie gerichtet, als sie so elegant zum großen Feuer schritt. Zum Schutz vor den abendlichen Mücken hatte Pearl Hand ihre Haut mit einer Mischung aus Puccoon und anderen Kräutern eingefettet. Beides schreckte die bösartigen kleinen Blutsauger ab. Das vielleicht unbeabsichtigte Ergebnis davon war, dass jede Kurve ihres wunderbaren Körpers das Licht des Feuers reflektierte.

Als ich meinen Blick von ihr losreißen konnte, sah ich, dass auch Irriparacoxi sie beinahe atemlos anstarrte. Der Puls des Mannes raste an seinem Hals, seine Augen waren geweitet, der Mund hing in einem weichen O offen. Er war nicht der Einzige. Nur der uralte Priester schien nichts zu bemerken.

Pearl Hand blickte sich um und zeigte ein wissendes Lächeln. Dann richtete sie ihren beinahe flüssig scheinenden, dunklen Blick auf mich und zog herausfordernd eine Augenbraue hoch, als wollte sie sagen: „Glaubst du wirklich, dass er sich von mir trennen wird?“

 

Kapitel 3

 

 

H

andel ist ein heiliges Konzept, das in unserem Teil der Welt von allen Völkern gelebt wird. Durch ihn bewegen sich Waren von Mensch zu Mensch, aber da ist noch mehr: der spirituelle Aspekt. Alles wird aus der Kraft geboren, die aus den Wellen der Kreativität stammt, die der Atemspender in die Welt verströmt hat.

Wenn etwas hergestellt wird, z. B. ein Kupferanhänger, nimmt der Handwerker ein Stück Rohkupfer und klopft es sorgfältig flach. Er legt das Kupfer auf eine geschnitzte Holzform und verwendet dann Knochen- oder Geweihdübel, um das Kupfer vorsichtig auf die Form zu drücken. Dies muss ganz langsam geschehen, damit das dünne Metall nicht reißt oder sich wellt.

Dann gibt es den Muschelschnitzer, der mühsam ein großes, rundes Stück aus einer Wellhornschnecke oder einem Muschelgehäuse herausschneidet. Seine Konzentration, seine Kreativität und sein Können fließen in das Stück ein, während er akribisch ein verehrtes Symbol eingraviert oder eine Szene aus einer der heiligen Geschichten darstellt. Die Macht hat ihn mit dieser Fähigkeit ausgestattet, und ein Teil dieser Gabe ist in das von ihm geschaffene Werk eingeflossen. Auch die Seele des Kunsthandwerkers spiegelt sich in seinem Werkstück wider und gibt ihm auch ein Stück von sich selbst zurück.

Ich habe Holzschnitzer gesehen, die im letzten Akt des Schnitzens ihren Kreationen physisches Leben einhauchen. Alles, was geschaffen wird, fließt aus der Geistkraft, aus dem Ausatmen des Atemgebers. Daher geht es beim Handel um die Bewegung des Geistes zwischen den Völkern, nicht nur um den bedeutungslosen Austausch von hübschen Schmuckstücken.

Und dann ist da noch die einzigartige Beziehung zwischen dem Händler und der Partei, mit der er handelt. Beziehungen sind die Grundlage des Lebens, sei es mit anderen Nationen, zwischen Menschen, mit der Geisterwelt oder sogar mit den Pflanzen und Tieren, auf die wir zum Überleben angewiesen sind. Ein Muschelschnitzer am Tanasee-Fluss kann sein Handwerk nicht ausüben, wenn nicht Wellhornschnecken und Muscheln vom Golf nach Norden gebracht werden. Ein Heiler bei den Calusa kann bestimmte Krankheiten nicht ohne Heilpflanzen aus dem Landesinneren heilen. Der Handel kann mit dem Blutkreislauf der Schöpfung verglichen werden.