Erst das Unglück - dann die Liebe! - Viola Maybach - E-Book

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Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Fabian fuhr aus dem Schlaf auf und lauschte. Da war es wieder! Dieses Knacken und Rascheln, ganz dicht am Haus. Er meinte sogar, jemanden atmen zu hören, was aber nur Einbildung sein konnte, denn die Fenster waren geschlossen. Und außerdem hatte Carl gesagt, dieses Haus sei ein absolut sicherer Ort. Trotzdem lag er stocksteif da, wagte nicht, sich zu rühren, während er den fremden Geräuschen lauschte und versuchte, sie einzuordnen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass die Geräusche nicht von außen kamen: Im Kamin knackten die verkohlten, noch glimmenden Scheite, eine alte Standuhr tickte, und in den Heizkörpern gluckerte das Wasser. Erst nach und nach entspannte er sich wieder und wagte es schließlich sogar, sich aufzurichten, einen Arm auszustrecken und eine Stehlampe neben dem Sofa einzuschalten. Sofort wich alles Bedrohliche aus dem Raum, er sah freundlich und gemütlich aus. Erstaunt stellte er überdies fest, dass es noch gar nicht spät war. Wieso war er dann eingeschlafen? Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lauschte seinem immer noch wild klopfenden Herzen, das sich jedoch auch allmählich beruhigte. Carl hatte Recht gehabt: Dies war ein sicherer Ort, hier konnte ihm nichts geschehen. Und sollte sich doch, wider Erwarten, ein Einbrecher nähern, so blieb ihm immer noch das Telefon hier im Haus. Sein eigenes hatte Carl ja mitgenommen, damit ihn die Polizei nicht orten konnte. Die Polizei! Natürlich suchten sie längst nach ihm, aber keine Spur führte hierher, sie würden ihn nicht finden. Bettina würde durchdrehen – und sie stand als schlechte Aufsichtsperson da, weil er verschwunden war. Sein Vater würde ihr kündigen, dann waren sie sie los, wie all die anderen vor ihr.

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Der kleine Fürst – 247 –

Erst das Unglück - dann die Liebe!

… denn Maximilian war sehenden Auges mit Blindheit geschlagen

Viola Maybach

Fabian fuhr aus dem Schlaf auf und lauschte. Da war es wieder! Dieses Knacken und Rascheln, ganz dicht am Haus. Er meinte sogar, jemanden atmen zu hören, was aber nur Einbildung sein konnte, denn die Fenster waren geschlossen. Und außerdem hatte Carl gesagt, dieses Haus sei ein absolut sicherer Ort.

Trotzdem lag er stocksteif da, wagte nicht, sich zu rühren, während er den fremden Geräuschen lauschte und versuchte, sie einzuordnen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass die Geräusche nicht von außen kamen: Im Kamin knackten die verkohlten, noch glimmenden Scheite, eine alte Standuhr tickte, und in den Heizkörpern gluckerte das Wasser. Erst nach und nach entspannte er sich wieder und wagte es schließlich sogar, sich aufzurichten, einen Arm auszustrecken und eine Stehlampe neben dem Sofa einzuschalten.

Sofort wich alles Bedrohliche aus dem Raum, er sah freundlich und gemütlich aus. Erstaunt stellte er überdies fest, dass es noch gar nicht spät war. Wieso war er dann eingeschlafen?

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lauschte seinem immer noch wild klopfenden Herzen, das sich jedoch auch allmählich beruhigte.

Carl hatte Recht gehabt: Dies war ein sicherer Ort, hier konnte ihm nichts geschehen. Und sollte sich doch, wider Erwarten, ein Einbrecher nähern, so blieb ihm immer noch das Telefon hier im Haus. Sein eigenes hatte Carl ja mitgenommen, damit ihn die Polizei nicht orten konnte.

Die Polizei! Natürlich suchten sie längst nach ihm, aber keine Spur führte hierher, sie würden ihn nicht finden. Bettina würde durchdrehen – und sie stand als schlechte Aufsichtsperson da, weil er verschwunden war. Sein Vater würde ihr kündigen, dann waren sie sie los, wie all die anderen vor ihr.

Er hätte zufrieden sein müssen, war es aber nicht. Statt Freude über die gelungene Durchführung von Carls Plan fühlte er sich unbehaglich, er hatte sogar Angst. Sein Vater würde sich schreckliche Sorgen um ihn machen. Er würde vielleicht denken, dass er nach seiner Frau auch noch seinen ältesten Sohn verloren hatte. Bei diesem Gedanken traten ihm unwillkürlich Tränen in die Augen, aber nun war es zu spät, um noch etwas zu ändern. Und Theo und Flora … Die beiden waren ja noch so klein. Auch sie würden Angst haben, dass ihm etwas passiert war.

Er hatte das vorher nicht bedacht. Er hatte nur daran gedacht, dass sein Verschwinden auf Bettina zurückfallen und seinen Vater gewiss dazu bewegen würde, ihr zu kündigen. Mehr hatte er ja gar nicht gewollt. Carls Plan war ihm genial erschienen, auch genial einfach. Nur eine gefälschte Entschuldigung, morgens so tun, als mache man sich auf den Weg zur Schule und ein bisschen Schuleschwänzen – das war alles gewesen.

Wo sie wohl nach ihm suchen würden? Auf dem Friedhof vielleicht, da war er oft, aber das wusste eigentlich niemand. Wenn es ihm ganz schlecht ging, besuchte er seine Mama dort und erzählte ihr, wie unglücklich er war. Manchmal kam es dann vor, dass er ihre Stimme hören konnte, wie sie ihn besänftigte und tröstete, wie sie ihm sagte, dass sie trotz allem noch bei ihm war. Dann ging es ihm besser. Aber noch nie hatte er jemandem von diesen Besuchen erzählt, und er würde es auch in Zukunft nicht tun. Das war allein seine Sache, das ging niemanden etwas an.

Er schaltete die Lampe wieder aus, obwohl es noch immer zu früh zum Schlafen war, aber zum Fernsehen hatte er keine Lust mehr, das hatte er schon den ganzen Nachmittag getan. Die Nacht würde er hier verbringen, morgen früh alles aufräumen, die Heizung wieder ausschalten, Fenster und Türen schließen, die Haustür absperren, den Schlüssel einstecken. Und dann würde er sich auf den Heimweg machen und sich irgendwann ›finden‹ lassen. Sein Vater würde überglücklich sein und Bettina sofort kündigen. Ziel erreicht.

Aber als er langsam dem Schlaf entgegentrieb, war sein Kopf von Bildern erfüllt, die nicht zu seinem Plan passten: Bilder von diesem zurückliegenden Wochenende, das so schön und harmonisch gewesen war, an dem sie so viel Spaß gehabt und gelacht hatten wie schon lange nicht mehr. Bilder von Bettina mit Theo auf dem Eis, wie der Kleine übers ganze Gesicht strahlte; Bilder von Flora, die sich nach anfänglicher Unsicherheit plötzlich elegant auf Schlittschuhen zu bewegen wusste; Bilder vom Abendessen, bei dem sie sich mit Rätseln unterhalten und auch wieder viel gelacht hatten; und nicht zuletzt Bilder von Bettinas liebevollem Blick, wenn sie Theo oder Flora ansah.

Oh ja, er zweifelte nicht daran, dass sie die beiden gern hatte. Aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, seinen Vater zu heiraten und sich einzubilden, sie könnte sich in seiner Familie einnisten!

Mit diesem Gedanken schlief er ein, doch im Traum sah er wieder die anderen Bilder, die schönen, unbeschwerten, die ihn an eine lange zurückliegende Zeit erinnerten, da es auch so gewesen war: an die Zeit, als seine Mama noch gelebt hatte.

*

Maximilian, der sonst so ordentlich und umsichtig war, stopfte seine Sachen blindlings in den Koffer, nur um dann festzustellen, dass er auf diese Weise die Hälfte im Schloss würde lassen müssen, weil er sie nicht mehr unterbringen konnte.

Eine sanfte Stimme unterbrach ihn. »Lassen Sie mich das machen, Herr von Seeberg, ich packe Ihren Koffer im Handumdrehen. Sie könnten in der Zwischenzeit vielleicht im Badezimmer nachsehen und Ihre Sachen dort zusammensuchen.«

Maximilian war bei den ersten Worten erschrocken herumgefahren. »Ach, Sie sind das, Herr Hagedorn.«

»Die Tür stand offen, deshalb habe ich mir erlaubt, einzutreten. Gestatten Sie?«

»Ja, natürlich, Sie sehen ja, welches Durcheinander ich angerichtet habe.«

»Angesichts der Nachrichten, die Sie erhalten haben, ist das mehr als verständlich.«

Während Eberhard Hagedorn den Koffer wieder leerte und danach begann, ihn systematisch und ordentlich zu packen, eilte Maximilian ins Bad, wo er freilich ähnlich chaotisch vorging wie zuvor mit seiner Kleidung. Er stopfte alles, was ihm gehörte, in den Kulturbeutel, der sich danach ebenso wenig schließen ließ wie zuvor der Koffer.

»Nicht einmal das schaffe ich, Herr Hagedorn«, sagte er kleinlaut, als er ins Schlafzimmer seiner Gästesuite zurückkehrte.

»Das haben wir gleich«, erwiderte der alte Butler ruhig, während er ein paar Schuhe sorgfältig in Schuhbeuteln verstaute und an ihren vorher berechneten Platz im Koffer legte. »Hier bin ich fertig. Geben Sie mir den Kulturbeutel. Ist das alles?«

»Moment, ich sehe mal nach.«

Erneut verschwand Maximilian im Bad und kam mit seinem Rasierapparat zurück. »Den hätte ich jetzt glatt vergessen.«

Zwei Minuten später schloss Eberhard Hagedorn den tadellos gepackten Koffer, nachdem er noch einen letzten Rundgang durch die Suite gemacht und dabei eine Brille, ein Buch und einen teuren Füller entdeckt hatte. »Das hier soll sicher auch noch mit.«

Maximilian nickte und steckte Füller und Brille ein, während Eberhard Hagedorn den Koffer noch einmal öffnete, um auch das Buch noch darin zu verstauen.

»Ich bringe den Koffer gleich nach unten, gehen Sie ruhig schon, um sich von den Herrschaften zu verabschieden. Sie wollen sich ja so schnell wie möglich auf den Weg machen.«

Maximilian nickte dankbar und eilte die breite Treppe hinunter, wo die Schlossbewohner bereits auf ihn warteten: Baron Friedrich, Baronin Sofia und die drei Teenager Anna, Konrad und Christian. Auch Togo war dabei, Christian Boxer, doch da er seinen Abendspaziergang mit dem kleinen Fürsten bereits hinter sich hatte, verhielt er sich ruhig. Es war auch sonst ruhig, die Stimmung war gedrückt.

Maximilian umarmte alle der Reihe nach, murmelte Dankesworte für die schöne Zeit im Schloss und die moralische Unterstützung, und dann kam auch schon Eberhard Hagedorn mit dem Koffer.

Als er die lange Auffahrt hinunterrollte, sah er seine Freunde im Rückspiegel vor dem geöffneten Hauptportal stehen, sie winkten ihm nach, so lange er zu sehen war. Dann verschluckte ihn der Wald, und er war allein. Allein mit seinen Gedanken, mit seiner panischen Angst, Fabian könnte etwas passiert sein, etwas Schlimmes.

Der bloße Gedanke schnürte ihm die Kehle zusammen, ihm brach trotz der Kälte im Auto der Schweiß aus. Aber als er das Tal erreichte, hatte er den Anfall von Panik bezwungen, seine Hände auf dem Lenkrad zitterten nicht mehr. In einer knappen Stunde würde er zu Hause sein und endlich etwas tun können.

*

»Chef!«, sagte Arndt Stöver verwundert. »Was machen Sie denn hier an einem Sonntagabend?«

»Und Sie?«, fragte Kriminalrat Volkmar Overbeck zurück. »Dienst haben Sie jedenfalls nicht, das weiß ich, denn ich hatte Sie ja angewiesen, Überstunden abzubauen.«

Sein Assistent grinste verlegen. »Das hatte ich auch vor, ehrlich. Aber ich kann es nicht leiden, wenn so viel Unerledigtes auf meinem Schreibtisch herumliegt.«

»Sie arbeiten zu viel. Ich will nicht, dass Sie mir eines Tages zusammenklappen.«

»Das wird nicht passieren«, versicherte Arndt. »Ich bin jung und gesund, und ich arbeite gern.«

»Genau wie ich«, sagte Miriam Bauer von der Tür her. »Wir schaffen ordentlich was weg, Chef.«

»Sie auch!«, rief der Kriminalrat. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Nichts«, schlug Miriam Bauer vor. »Freuen Sie sich doch einfach über Ihre eifrigen Mitarbeiter.«

Kopfschüttelnd blickte der Kriminalrat von ihr zu Arndt und wieder zurück.

»Also, wieso sind Sie hier?«, wiederholte Arndt seine Frage.

»Ich bin auf dem Heimweg und habe Licht in Ihrem Büro gesehen, also dachte ich, ich sehe mal nach, wer sich an Ihrem Schreibtisch breit gemacht hat, denn Sie selbst konnten es meiner Meinung nach nicht sein, da Sie ja Überstunden abfeiern. Wie ich nun weiß, habe ich mich geirrt.«

Sie lächelten beide. Natürlich hatte der Kriminalrat genau gewusst, wen er an Arndts Schreibtisch antreffen würde. Sie arbeiteten schon lange zusammen, sie kannten einander gut. Miriam, die Dritte im Bunde, gehörte noch nicht so lange zum Team des Kriminalrats, aber sie war auf dem besten Wege, sich unersetzlich zu machen. Sie und Arndt ergänzten einander hervorragend. Dass sie sich außerdem mochten, war dem Kriminalrat nicht entgangen.

»Gar nicht so schlecht, dass Sie gerade jetzt hereinschneien«, sagte Arndt und schob seinem Vorgesetzten ein Blatt zu.

»Das kam gerade herein von den Kollegen. Sie bitten um unsere Mithilfe, weil wir hier in Sternberg viel besser ausgestattet sind als sie, auch personell.«

»Vermisst: Fabian von Seeberg, zwölf Jahre alt«, las der Kriminalrat, während er das Foto betrachtete. »Hübscher Junge.«

»Ja. Gerade habe ich noch einen Anruf bekommen. Die Kollegen haben herausgefunden, dass der Junge heute gar nicht in der Schule war. Er hat entschuldigt gefehlt.«

»Elektronisch abgeschickt, die Entschuldigung«, ergänzte Miriam. »Der Absender war unterdrückt.«

»Und er ist dann nachmittags nicht nach Hause gekommen – mithin auch erst dann vermisst worden?«, fragte Volkmar Overbeck.

»So ist es«, bestätigte Arndt. »Fabian und seine beiden Geschwister waren mit der Erzieherin allein. Die Mutter ist vor vier Jahren gestorben, der Vater war unterwegs, ist aber bereits auf dem Heimweg. So viel wissen wir bis jetzt. Bevor Sie kamen, hatten wir gerade überlegt, ob wir hochfahren, es sind ja nur fünfzig oder sechzig Kilometer. Wir können nicht warten, bis es hell ist, um mit der Suche anzufangen. Man muss die Erzieherin befragen, die jüngeren Geschwister, die Lehrer, die Freunde – vielleicht ist jemandem eine Veränderung an dem Jungen aufgefallen.«

»Für mich sieht es so aus, als hätte der Junge das geplant«, murmelte der Kriminalrat nachdenklich. »Auf eine Entführung deutet bis jetzt doch offenbar nichts hin?«

»Nein«, bestätigte Miriam. »Unsere Überlegungen sind in eine ähnliche Richtung gegangen, vor allem wegen der Entschuldigung, die der Schule vorliegt.«

»Also ein unglückliches Kind?«

»Sieht im Augenblick zumindest so aus. Leider sind unglückliche Kinder besonders gefährdet, den falschen Menschen in die Hände zu fallen, deshalb denke ich, dass Eile geboten ist.«

Der Kriminalrat fällte eine schnelle Entscheidung. »Ich komme mit Ihnen beiden. Lassen Sie uns aufbrechen.«

Arndt grinste breit, während Miriam anerkennend sagte: »Sie sind doch immer wieder für eine Überraschung gut, Chef. Dann kündigen wir aber unser Kommen bei den Kollegen an, nicht, dass die aus allen Wolken fallen.«

Als das erledigt war, verließen sie das Präsidium und machten sich auf den Weg in den Norden des Sternberger Landes.

*

Theo war auf dem Sofa eingeschlafen, auch die Aufregung um seinen verschwundenen Bruder hatte den Schlaf nicht fernhalten können, aber Theo war ja auch erst vier. Flora hingegen blieb wach. Sie wartete zusammen mit Bettina auf ihren Papa, der sofort aus Sternberg abgefahren war, als er gehört hatte, dass Fabian vermisst wurde.

Flora hatte sich ganz eng an Bettina gekuschelt, deren beide Arme um sie geschlungen waren. Sie saßen neben dem schlafenden Theo auf dem Sofa, geredet hatten sie in der vergangenen halben Stunde nur wenig. Davor hatte Bettina zwei Polizeibeamten, die vorbeigekommen waren, Fragen beantwortet. Einer der beiden hatte sich dann noch einmal gemeldet, um ihr mitzuteilen, Fabian sei gar nicht in der Schule gewesen, habe aber eine Entschuldigung vorgelegt. Diese Informationen hatten sie in helle Aufregung versetzt, seitdem war das Telefon stumm geblieben.

»Glaubst du, er ist weggelaufen?«, fragte Flora mit piepsiger Stimme.

Diese Frage hatte Bettina sich auch schon gestellt, immer wieder. Sie hielt es für möglich. So, wie sie es mittlerweile auch für möglich hielt, dass der Junge sie während des Wochenendes nur hatte in Sicherheit wiegen wollen, damit sie glaubte, es könnte ihr doch noch gelingen, ihn für sich zu gewinnen. Er hatte ihr ja gedroht nach dem Vorfall mit der lauten Musik, sie hatte diese Drohung nicht vergessen.

Aber gegen diese Vermutung sprach vieles. Er war glücklich gewesen, da war sie ganz sicher. Im Kino hatte er mehrmals aus vollem Herzen gelacht, das hatte er nicht gespielt – und mit Flora auf der Eisbahn war es ähnlich gewesen. Aber offenbar hatten diese Erlebnisse nicht ausgereicht, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Er hasste sie, er hatte sie vom ersten Moment an gehasst, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, ihm jemals etwas getan zu haben. Aber das war wohl nicht der Punkt. Es ging hier ja nicht um Tatsachen, sondern um Gefühle, und die folgten in den seltensten Fällen den Gesetzen der Logik.