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Eine kosmische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes bedroht das Leben auf der Erde. Nur drei tapferen Frauen kann es gelingen, die Apokalypse zu verhindern. Im Juli 1994 schlägt der Komet Shoemaker Levy 9 auf dem Planeten Jupiter ein. Die Bruchstücke des Kometen bohren sich tief in den Planeten und reißen riesige Krater auf. Sie zünden gewaltige thermonukleare Explosionen, deren gigantischer Feuerschein den Beginn der Katastrophe gespenstisch beleuchtet. Der Jupiter kippt aus seiner Bahn, er bewegt sich auf die Sonne zu und wird in naher Zukunft in sie hinein stürzen. Die Sonne strahlt immer heißer und härter. Sie heizt die Erde auf, Erdbeben, Flutwellen und Feuerbrünste leiten das Ende der Menschheit ein. Ein Team von Wissenschaftlerinnen, Technikern und Unternehmern aus Deutschland, Amerika und Australien entwickelt Pläne, das Unheil abzuwenden. Die Machenschaften skrupelloser Geschäftsleute, korrupter Politiker und kaltblütig mordender Geheimdienstleute durchkreuzen diese Pläne. Drei tapfere Frauen des Teams nehmen das Schicksal in die Hand. Es muss ihnen gelingen, die Apokalypse zu verhindern.
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Seitenzahl: 592
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Eine kosmische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes bedroht das Leben auf der Erde. Nur drei tapferen Frauen kann es gelingen, die Apokalypse zu verhindern.
Im Juli 1994 schlägt der Komet Shoemaker Levy 9 auf dem Planeten Jupiter ein. Die Bruchstücke des Kometen bohren sich tief in den Planeten und reißen riesige Krater auf. Sie zünden gewaltige thermonukleare Explosionen, deren gigantischer Feuerschein den Beginn der Katastrophe gespenstisch beleuchtet.
Der Jupiter kippt aus seiner Bahn, er bewegt sich auf die Sonne zu und wird in naher Zukunft in sie hinein stürzen. Die Sonne strahlt immer heißer und härter. Sie heizt die Erde auf, Erdbeben, Flutwellen und Feuerbrünste leiten das Ende der Menschheit ein.
Ein Team von Wissenschaftlerinnen, Technikern und Unternehmern aus Deutschland, Amerika und Australien entwickelt Pläne, das Unheil abzuwenden. Die Machenschaften skrupelloser Geschäftsleute, korrupter Politiker und kaltblütig mordender Geheimdienstleute durchkreuzen diese Pläne.
Drei tapfere Frauen des Teams nehmen das Schicksal in die Hand. Es muss ihnen gelingen, die Apokalypse zu verhindern.
Der Komet
In der Ferne des Weltalls, August 1927
München, 25. August 1927
In der Ferne des Weltalls, August 1929
München, 25. August 1929
In der Ferne des Weltalls, Februar 1979
Genf, 22. Februar 1979
Almeria, Andalusien, Spanien, 10. Mai 1979
In der Ferne des Weltalls, 7. Juli 1992
München, 7. Juli 1992
Hamburg, 7. Juli 1992
Die Entdeckung
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 23. März 1993
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 25. März 1993
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 26. März 1993
In der Ferne des Weltalls, Juni 1993
Ismaning, 10. Juni 1993
München, 10. Juni 1993
Der Impakt
In der Ferne des Weltalls, 16. Juli bis 22. Juli 1994
La – Silla – Observatorium, Chile, 16. Juli 1994 Sternwarten-Zentrale, Ismaning, 16. Juli 1994
Siding – Spring – Observatorium, Australien, 18. Juli 1994
Kitt - Peak - Nationalobservatorium, Arizona, 20. Juli 1994
Calar-Alto-Observatorium, Andalusien, 20. Juli 1994 Sternwarten-Zentrale, Ismaning, 20. Juli 1994
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 22. Juli 1994
Hamburg, 22. Juli 1994
Thomas
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 3. August 1994
Nizza, 3. August 1994
München, 2. Mai 1996
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 20. August 1996
Genf, 23. August 1996
Chicago, 27. August 1996
Frankfurt a.M., 27. November 1997
Frankfurt a.M., 28. November 1997
In der Nähe von Frankfurt a.M., 29. November 1997
Frankfurt a.M., 7. Juli 1998
Frankfurt a.M., 8. Juli 1998
Garching, 31. August 1998
Frankfurt a.M. und Umgebung, 10. September 1998
Frankfurt a.M., 28. November 1998
Hamburg, 28. November 1999
Frankfurt a.M., 28. November 1999
Offenbach, 29. November 1999
Sedville, Arizona, 30. Dezember 1999
Logan
Merida, Halbinsel Yukatan, 21. Dezember 2006
Sydney, 2. Januar 2007
Sydney, 5. Januar 2007
Coonabarabran, Australien, 7. Januar 2007
Las Vegas, 3. September 2007
Merida, Halbinsel Yukatan, 5. September 2007
Corpus Christi, Texas, 6. September 2007
Garching, 20. Oktober 2007
Mainz, 16. Dezember 2007
Hamburg, 18. Dezember 2007
Frankfurt a.M., 20. Dezember 2007
Garching, 5. April 2008
Mount – Palomar – Observatorium, Kalifornien, 6. Mai 2008
Berlin, 6. Juni 2008
Garching, 20. Oktober 2009
Berlin, 20. Oktober 2009
Genf, 27. Oktober 2009
Coonabarabran, Australien, 15. Februar 2010
Phoenix, 4. September 2010
Sydney, 5. September 2010
Frankfurt a.M., 5. November 2010
Cancun, Mexico, 1. Dezember 2010
Cancun, Mexiko, 5. Dezember 2010
Frankfurt a.M., 15. Dezember 2010
Nole
Las Vegas, 15. Januar 2015
Garching, 20. März 2015
Genf, 20. März 2015
Kitt – Peak – Nationalobservatorium, Arizona, 9. April 2015
Sedville, Arizona, 10. April 2015
München, 11. Juli 2015
Corpus Christi, Texas, 11. Juli 2015
Moskau, 11. Juli 2015
Moskau, 12. Juli 2015
Pristina, Kosovo, 12. Juli 2015
Garching, 12. Juli 2015
Mainz, 13. Juli 2015
Phoenix, Arizona, 17. Juli 2015
Berlin, 3. September 2015
Berlin, 21. Dezember 2015
Sydney, 21. Dezember 2015
Garching, 21. Dezember 2015
Washington D.C., 3. Mai 2018
Sydney, 6. Mai 2018
Phoenix, Arizona, 6. Mai 2018
Merida, Halbinsel Yukatan, 7. Mai 2018
Chetumal, Halbinsel Yukatan, 8. Mai 2018
Claudia
Sydney, 16. Februar 2022
Phoenix, Arizona, 16. April 2022
Sydney, 21. Dezember 2022
Belmopan, Belize, 21. Dezember 2022
München, 23. Dezember 2022
Mainz, 16. Juli 2024
Corpus Christi, Texas, 1. Juli 2025
Sedville, Arizona, 2. Juli 2025
Kitt - Peak - Nationalobservatorium, Arizona, 11. Mai 2026
Corpus Christi, 11. Oktober 2026
Merida, Halbinsel Yukatan, 12. Oktober 2026
Corpus Christi, 1. November 2026
Berlin, 21. Dezember 2026
San Antonio, Texas, 24. Dezember 2026
Corpus Christi, 9. Mai 2027
Corpus Christi, 10. Mai 2027
Corpus Christi, 20. Oktober 2027
Coonabarabran, Australien, 21. Dezember 2027
In der Ferne des Weltalls, August 2028
Seit Millionen von Jahren ist der Komet schon unterwegs, aus der Tiefe des Weltalls in unser Sonnensystem gekommen. Seit hunderttausend Jahren kreist er um die Sonne, ein Klumpen aus Eis, Staub und lockerem Gestein, zehn Kilometer im Durchmesser. Von den Planeten des Sonnensystems hat er sich bisher ziemlich weit ferngehalten, aber in diesen Tagen kommt er dem Jupiter schon mal bis auf hundert Millionen Kilometer nahe.
Den Astronomen auf der Erde bleibt er verborgen, mit ihren Fernrohren können sie ihn nicht entdecken.
„Dafür hätte dein Vetter dem Scharnagl nicht in den Hintern kriechen müssen“, missmutig stapft Franziska ins Freie. Endlich wieder frische Luft atmen, nach drei Stunden bedrückender Enge im Saal der Sendlinger Tor – Lichtspiele.
„Komm, Schorsch, schnell fort von hier“, sie nimmt ihren neuen Freund Georg an die Hand und zieht ihn auf die gegenüberliegende Straßenseite. Von dort dreht sie sich um zu den großen Plakaten neben dem Lichtspielhaus,
„Metropolis“, sie betont jede einzelne Silbe, „ein grandioser Film, aber ich fand ihn einfach nur gruselig.“
Mit den Fingern streicht sie sanft über Georgs Wangen,
„Trotzdem vielen Dank für deine Mühe, Karten für uns zu besorgen. Ganz lieb war das von dir. Du konntest ja nicht ahnen, was uns da erwartet.“
Abrupt streckt Georg seinen Kopf in die Höhe,
„Schade, dass ich dich so enttäuscht habe. Dabei war es wirklich nicht einfach, an die Billetts zu kommen. Mein Vetter Sepp kennt den Oberbürgermeister ganz gut; trotzdem hat er lange buhlen müssen. Nur geladene Gäste waren zugelassen. So gruselig fand ich den Film nicht, Franzi.“
„Doch, Schorsch. Wie diese Arbeiter in der Unterstadt hausen, während die Reichen sich in den ‚Ewigen Gärten‘ vergnügen. Das ist alles so frustrierend. Die gigantische Stadt, riesig und kalt, abstoßend. Der Erfinder, der aus einer Maschine einen richtigen Menschen macht, die Maschinen – Maria, die so wollüstig rumtanzt. Ob es so etwas wirklich einmal geben wird? Eine Einschienenbahn? Dieses komische Telefon? Was war das an dem Telefon? Das sah wie ein Spiegel aus, und auf einmal war das Gesicht von dem Wächter drauf, als er vom Alleinherrscher, diesem Fredersen, angerufen wurde.“
„Der Fritz Lang hat eine Menge Fantasie. Bestimmt berieten ihn Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler, die von neuen Dingen klare Vorstellungen haben. Von Maschinen und Apparaten wissen, die uns unbekannt sind. Wir werden sicherlich noch manche Überraschung erleben.“
„Wenn du meinst. Lass uns ein Stück durch die Straßen bummeln“, Franziska hakt sich bei Georg ein und schmiegt sich an ihn, „schau mal nach oben, Schorsch, wie die Sterne funkeln. Ist das nicht herrlich?“
„Wunderschön, so wie deine Augen“, er bleibt stehen und umfasst sie mit beiden Armen. Er küsst ihre Augen und sucht ihren Mund; sie drückt ihn fest an sich.
Sanft schiebt sie ihn weg und blickt wieder zu den Sternen,
„Schnell, Schorsch, da oben, gerade hat es ganz hell geleuchtet, eine Sternschnuppe.“
„Eine Sternschnuppe? Da darf ich mir etwas wünschen.“
„Was du dir wünschst, kann ich mir denken, so stürmisch, wie du rangehst. Ich wünsche mir auch etwas.“
„Und was wünschst du dir?“
„Dass wir zusammenbleiben, Schorsch, und du lieb zu mir bist.“
Georg versucht, sie wieder zu sich zu ziehen, aber Franziska hält ihn auf Abstand,
„Sag mal, was passiert da oben eigentlich, wenn die Sternschnuppe so leuchtet? Du weißt so viel, kannst du mir das erklären?“
„Sternschnuppen, das sind kleine Meteorite, die in die Erdatmosphäre eindringen und dort verglühen; dabei leuchten sie.“
„Ach du Wissenschaftler. Was sind Meteorite und wo kommen die her? Erklär‘ mir das mit einfachen Worten; ich habe nur Volksschule, bin nicht so gebildet wie du.“
„Stell‘ dein Licht nicht so unter den Scheffel, Franzi. Du weißt, unsere Erde ist ein Planet, der um die Sonne kreist. Es gibt noch andere Planeten, die auch um die Sonne kreisen, Mars, Neptun, Saturn, Jupiter, Venus und Pluto. Alle diese Planeten sind weit von uns entfernt, viele Millionen Kilometer. Der große Raum zwischen uns und den anderen Planeten ist nicht ganz leer. Da gibt es Staub und Gesteinsbrocken, auch Metallkörper. Diese kleinen Brocken nennt man Meteorite.“
Franziska nickt. Nachdenklich sieht sie Georg an,
„Die kleinen Brocken, diese Meteoriten, verglühen. Gibt es auch große Brocken? Verglühen die auch? Oder können sie zu uns auf die Erde fallen? Gerade hierher, wo wir jetzt stehen?“
„Keine Angst, Franzi. Ganz große Brocken können auf die Erde fallen, aber das passiert ganz selten, vielleicht einmal in hunderttausend Jahren. Übrigens heißen die großen Brocken Kometen.“
„Kometen, Meteoriten, noch nie habe ich davon gehört.
Woher weißt du das alles?“
„Ich war neulich draußen in Bogenhausen, zu einem Vortrag in der Sternwarte. Ein Astronom sprach über ‚Steine im Weltall‘ und hat viel darüber erzählt, was in dem riesigen Universum so vor sich geht. Sehr interessant war das. Vor vielen Millionen Jahren sind wahrscheinlich große Kometen auf dem Mars eingeschlagen, aber dort lebt ja sowieso niemand.“
Dass nach Meinung des Referenten diese Kometen alles Leben auf dem Mars auslöschten, verschweigt Georg lieber. Er möchte seiner Franzi den Abend nicht verderben und sich nicht die Nacht mit ihr gefährden.
„Da war wieder eine Sternschnuppe“, reißt Franziska ihn aus seinen Gedanken, „ich habe mir wieder etwas gewünscht.“
„Und was, wenn ich fragen darf?“
„Du darfst. Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen, das habe ich mir gewünscht.“ Sie zieht seinen Kopf herunter und presst ihre Lippen auf die seinen. Franziska greift nach Georgs Hand, die sich in ihre Bluse geschoben hat,
„Später, Schorsch. Lass uns etwas schneller laufen, bis zu mir ist es noch ein ganzes Stück. Ich warne dich schon mal vor der Treppe zu meinem Zimmer unterm Dach.
Die unteren Stufen knarren furchtbar. Tritt ganz vorsichtig drauf; die Scheunertsche, was meine Wirtin ist, darf dich nicht hören. Sie mag keine Herrenbesuche bei mir.“
„Herrenbesuche? Da kommen wohl öfter mal Herren zu dir?“
„Einen Herrn hatte ich, nur einen, den Alois. Wir waren eine Weile zusammen. Anfangs ging es ganz gut, aber dann wollte er immer in diese Bar, wo die Nackttänzerin auftritt. Bis es mir gereicht hat und ich ihn abserviert habe. Du hast ja wohl schon genug mit Damen zu tun gehabt? Nicht jetzt, erzähle mir alles später. Oder gar nicht, eigentlich interessiert es mich nicht. Nur eins will ich wissen, hast du was dabei? Du weißt schon, was ich meine.“
„Alles gut, ich bin ausgerüstet.“
„Aha, du hast es dir vorgenommen. Komm, schnell jetzt.“
Sie fassen sich an den Händen und rennen los.
Bevor Franziska die Haustür aufschließt, schaut sie noch einmal in den sternenklaren Himmel,
„Das mit den Kometen geht mir nicht aus dem Kopf, Schorsch. Ob das immer so gut geht mit den großen Brocken da draußen im Weltall? Oder doch mal ein Unglück passiert?“
„Das steht in den Sternen, Franzi. Und jetzt schließ endlich auf.“
Der Komet hat an Fahrt verloren; er kommt dem Jupiter so nahe, dass der ihn einfängt. Es wirkt das Gesetz der Gravitation. Die Anziehungskraft zwischen Jupiter und dem Kometen zwingt den großen Brocken auf eine Umlaufbahn um den Planeten. Diese verläuft unregelmäßig, der Komet eiert. Die Umlaufbahn schwankt zwischen flachen Ellipsen und fast perfekten Kreisen.
Er gähnt herzhaft und dreht sich auf die andere Seite.
Vorsichtig tastet er nach seiner Frau, aber Franziska liegt nicht mehr im Bett. Aus der Kammer nebenan hört er Franz jauchzen. Seine Mutter albert mit ihm herum.
Georg gibt sich einen Ruck und schlurft zu den beiden,
„Guten Morgen mein Schatz, guten Morgen mein Engel“
„Wer ist der Schatz und wer der Engel?“
„Ihr seid Schatz und Engel zugleich“, Georg drückt einen Schmatzer auf seinen Sohn und haucht Franziska einen Kuss in den Nacken,
„Zwei Festtage sind das heute. Der erste Geburtstag und der zweite Jahrestag.“
„Der zweite Jahrestag von was?“, Franziska sieht ihren Mann verschmitzt an, „von diesem gruseligen Film oder davon, dass du das erste Mal in mein Bett mitdurftest?“
Georg schiebt seine Hände in die Ärmel ihres Nachthemdes,
„Leg‘ doch den Franzl noch mal zurück in sein Bettchen.“
„Nix da, jetzt wird gestillt. Der kleine Matz hat Hunger.“
Stumm sitzt Georg am Tisch, in Gedanken versunken klopft er auf seinem Frühstücksei herum. Franziska gießt Kaffee ein,
„Na Schorsch, so schweigsam heute, zum Sonntag; gibt es Probleme?“
„Ja, in der Firma. Die Geschäfte laufen nicht mehr so richtig.“
„Was, ausgerechnet bei dir? Export und Import, das läuft doch immer; sind deine Worte, mein Lieber.“
„Waren meine Worte; sind es nicht mehr. Bei den amerikanischen Kunden braut sich was zusammen, die kaufen immer weniger. Unsere Firma wird Leute abbauen, vor allem die, die noch nicht so lange dabei sind. Mein Chef hat’s mir bereits angekündigt.“
„Musst du dir was Neues suchen? Aber was? Vielleicht kannst du deinen Vetter Sepp anhauen? Der könnte den Scharnagl fragen, der hat doch viele Beziehungen.“
„Daran habe ich schon gedacht. Aber ich frage erst mal bei der Sternwarte in Bogenhausen nach, ob die mich nehmen würden. Die suchen einen Mitarbeiter für die neuen optischen Geräte. Da könnte ich mein Steckenpferd zum Beruf machen.“
„Verdienst du auch genügend Geld, wenn du dein Steckenpferd reitest? Wir brauchen das. Sonst gehe ich putzen.“
„Putzen?“
„Ja, putzen, zu den reichen Leuten in den ‚Ewigen Gärten‘, dort gibt es immer Dreck weg zu räumen.“
„Die ‚Ewigen Gärten‘, Metropolis, den Film vergisst du wohl nie.“
„Nein, nie, der gehört zum Jahrestag dazu.“
„Und was wird mit Franzl, wenn du putzen gehst?“
„Den nimmt Oma Ida, die freut sich schon. Es sollen ja nur ein paar Stunden am Vormittag sein, nicht den ganzen Tag. Ein paar Mark mehr in der Wirtschaftskasse.
Könnten wir gebrauchen.“
Eine Weile schweigen sie sich an; Franziska greift nach Georgs Hand,
„Wenn du bei der Sternwarte angestellt wirst, sitzt du dann am Fernrohr und schaust nach den Sternen? Vielleicht siehst du auch die Kometen, von denen du mir vor zwei Jahren das erste Mal erzählt hast.“
„Es gibt jetzt immer größere Fernrohre, Teleskope heißen sie, Spiegelteleskope, mit denen kann man immer tiefer ins Weltall schauen, immer mehr Sterne werden entdeckt, in immer größerer Entfernung, viele Milliarden Kilometer entfernt. Es ist unglaublich, wie riesig das Universum ist. Die Sternwarte in Hamburg besitzt so ein Spiegelteleskop. Ob auch eins nach Bogenhausen kommen wird, weiß ich nicht, ich hoffe es.“
„Was ist mit den Kometen, kann man die mit diesen Spiegelteleskopen sehen?“
„Ich denke : Ja. Es gibt auch Kometen, die schon lange bekannt sind. Vom Kometen Halley habe ich dir neulich erzählt, der 1910, vor neunzehn Jahren, an der Erde vorbeiflog. Mit dem bloßen Auge konnte man ihn sehen, den großen Brocken, größer als der Chiemsee. In siebenundfünfzig Jahren kommt er wieder in unsere Nähe, das haben die Astronomen ausgerechnet. Er wird an der Erde vorbeifliegen, auch das hat man berechnet.“
„Na, hoffentlich stimmen diese ganzen Rechnungen und der Halley hält sich daran. Und ebenso die anderen Kometen, die du vielleicht mit so einem Spiegelteleskop entdecken wirst.“
Franziska geht in den Nebenraum, um nach dem schlafenden Franz zu sehen. Als sie zurückkommt, bleibt sie hinter ihrem Mann stehen und legt die Hände auf seine Schultern,
„Wenn der Himmel heute Abend klar ist und wir die Sterne sehen können, gehen wir auf die Straße. Für ein paar Minuten können wir den Franzl alleine lassen, natürlich nur, wenn er fest schläft. Ich möchte eine Sternschnuppe sehen und mir etwas wünschen. Der Franzl will sich auch etwas wünschen.“
„Der Franzl will sich was wünschen? Was denn?“
„Der Franzl wünscht sich ein Brüderchen, oder ein Schwesterchen.“
Georg greift nach Franziskas Händen und zieht sie auf seinen Schoß,
„Ich glaube, ich werde doch lieber den Sepp ansprechen; er soll den Scharnagl um Hilfe bitten. Du sollst nicht den Reichen in den ‚Ewigen Gärten‘ den Dreck wegräumen.“
„Wenn du keine Gelegenheit bekommst, Schorsch, mit dem Spiegelteleskop nach den Kometen zu suchen, wird es möglicherweise einmal der Franz machen, oder der Sohn vom Franz in fünfzig Jahren.“
„Das steht in den Sternen, Franzi.“
Der Komet zieht weiter seine Bahn um den Jupiter, mal auf flachen Ellipsen, mal auf fast perfekten Kreisen. Zwei Jahre braucht er, um einmal um den Jupiter herum zu kommen. Mitunter eiert er beträchtlich, aber er fängt sich immer wieder ein.
Niemand auf der Erde entdeckt ihn, auch für Carrie, William und Mike bleibt er unsichtbar.
Franz schiebt den Ärmel des Jacketts ein Stück hoch; nur mit Mühe kann er den Zeigerstand auf der Armbanduhr erkennen. Der lange Arbeitstag und fünf Whiskys an der Bar des Hotels Le Richmond zeigen Wirkung. Viertel vor Elf, Zeit, ins Bett zu gehen; er gähnt. Das pausenlose Stimmengewirr um ihn herum nervt immer mehr. Alle Tische sind besetzt, von den Hockern an der Bar ist nur der eine neben ihm frei geblieben, und das hat er seiner Hartnäckigkeit zu verdanken. Ein dutzend Mal war er aufgefordert worden, seine dort platzierte Aktentasche herunter zu nehmen. Konsequent hatte er es verweigert, ‚Meine Frau kommt noch‘, auf Deutsch, Englisch und Französisch.
„Sie entschuldigen, ist der Platz neben ihnen frei?“
Es ist der besondere Klang der Stimme, der ihn davon abhält, seinen Spruch ein dreizehntes Mal zu gebrauchen,
„Gerne, bitte sehr“, Franz steigt vom Hocker und stellt die Aktentasche auf den Boden. Er wendet den Kopf der Stimme zu und nimmt die junge Dame ins Visier, die sich anschickt, den frei gewordenen Hocker zu entern. Das kurze dunkelrote Kleid rutscht ihr dabei an den Oberschenkeln hoch, was seinem wachen Blick nicht entgeht.
Schnell taxiert er die weiteren Reize, raffinierter Ausschnitt, der ordentliche Brüste erahnen lässt, eine silberne Spange im nachtschwarzen, schulterlangen Haar.
Franz schluckt; kein Gedanke mehr, schlafen zu gehen.
Wie alt mag sie sein? Mitte Dreißig vielleicht? Dezent geschminkt, graugrüne Augen. Ist sie allein hier oder kommt noch ein Begleiter?
„Vielen Dank“, sie lächelt ihm zu, „nett von ihnen. Mein Gott, ist das voll hier. Ich war schon auf dem Weg unter die Dusche, das Nachthemd lag bereit. Dann habe ich es mir anders überlegt. Am letzten Abend in Genf, da wollte ich nochmal unter Leute. Ein Glas Champagner trinken, nur so zum Absacken.“
„Champagner?“, Franz ergreift die Gelegenheit, „darf ich sie zu einem Gläschen einladen? Ich wollte gerade für mich bestellen. Lassen sie mir die Freude, geben sie mir keinen Korb.“
Ihn trifft ein prüfender Blick,
„Weil sie es sind, aber nur ein Glas.“
Franz streckt zwei Finger in die Höhe,
„Champagne“, ruft er dem Barkeeper zu.
Die junge Frau nestelt an ihrer Handtasche und zieht eine Visitenkarte hervor,
„Ich darf mich vorstellen.“
Franz angelt seine Brille vom Tresen,
„Die Brille, alter Mann braucht Brille.“
„Alter Mann“, sie kichert, „sie sind noch keine Fünfzig, höchstens Fünfundvierzig.“
„Und sie gerade mal Zwanzig, junge Frau.“
„Genug der Komplimente, Sechsunddreißig bin ich bereits, und sie?“
„Fünfzig.“
„OK, der richtige Altersunterschied.“
„Wieso?“
„Ich mag mehr die älteren Herren, die wissen in der Regel genau, was sie wollen. Die Jungchen sind meistens nicht imstande, ein klares Ziel zu fixieren.“
Franz nimmt ihre Visitenkarte zur Hand,
„Frau Doktor aus Hamburg. Alle Achtung, promoviert; kann ich nicht aufweisen“, er gibt ihr seine Geschäftskarte, „war nicht so einfach nach dem Krieg, hat nur zum Ingenieur gereicht. Optiker habe ich gelernt. Und welchen Wissenschaftszweig vertreten sie?“
„Ich bin Biologin, ich arbeite im Institut für Meteorologie.“
„Institut für Meteorologie? Interessant. Mein Junge, der Thomas, schafft in einem Institut in Ismaning. Er ist frisch gebackener Astrophysiker.“
Der Barkeeper stellt zwei Sektgläser auf den Tresen.
Franz reicht seiner neuen Barbekanntschaft ein Glas und hält seins in die Höhe,
„Auf ihr Wohl, Frau Doktor.“
„Auf ihr Wohl, und auf den Zufall unseres Zusammentreffens. Gleich noch ein Vorschlag, wir lassen die Förmlichkeiten, sagen sie Renate zu mir. Oder einfach Reni, wie mich meine Freunde nennen.“
„Einverstanden, ich bin der Franz, das ist bereits kurz genug.“
Renate leert ihr Glas in einem Zug. Franz nickt ihr anerkennend zu,
„Super, gelernt ist gelernt. Gleich noch eins?“
„Weil du es bist. Entschuldigung, Franz, weil sie es sind.“
„Entschuldigung abgelehnt. Das du passt besser zu uns.“
Er winkt dem Barkeeper und hält wieder zwei Finger in die Höhe,
„Noch einen Whisky dazu. Für dich auch was Konzentriertes?“
„Das gleiche, was für dich kommt.“
„Wie lange bist du schon in Genf, Reni?“
„Die zweite Woche, viel zu lange, aber morgen ist Schluss mit der Konferenz, ich fliege nach Hause, wird höchste Zeit.“
„Was für eine Konferenz?“
„Die Welt – Klima – Konferenz, die erste dieser Art, veranstaltet von der Weltorganisation für Meteorologie.
Vierhundert Teilnehmer aus vierzig Ländern. Der gesamte Pulk, der dort drüben an den Tischen hockt, gehört dazu. Und ich gehöre auch dazu.“
„Welt – Klima – Konferenz, was gibt es für vierhundert Leute zwei Wochen lang zu bereden?“
„Das frage ich mich manchmal auch. Dann, wenn einige kein Ende finden und das Lamento vom Vorredner und vom Vorvorredner immer und immer wieder nachplappern. Obwohl, das Hauptthema der Tagung ist ein ernstes, die zukünftige Entwicklung des Erdklimas. Interessiert es dich?“
„Du interessierst mich, also auch deine Arbeit und dieses Thema.“
„Na dann, ein paar Fakten. Die Durchschnittstemperaturen im Nordatlantik sinken langsam, die Kältezonen des Nordens, Kanada und Sibirien, werden zunehmend frostiger.“
„Uns droht eine neue Eiszeit? Rutsch ein bisschen näher zu mir ran, damit mir wärmer wird.“
„Ach du, später vielleicht. Neue Eiszeit? Nicht unbedingt.
Weltweit wachsen die Wüsten. Extreme Wettersituationen nehmen zu, Dürreperioden, Überschwemmungen und Stürme. Was uns Wissenschaftler besonders beunruhigt, Franz, ist die Tatsache, dass wir Menschen immer stärker in die Entwicklung des Erdklimas eingreifen. Ich denke dabei an das Abholzen der tropischen Regenwälder oder die Wärmeentwicklung über industriellen Ballungsgebieten. Das wird auf die Dauer unkalkulierbare Folgen haben. Größere Klimaschwankungen, etwa ein globaler Klima – Kurswechsel, könnte ein Menschheitsdesaster nach sich ziehen.“
„Junge Frau, male nicht so schwarz“, Franz langt mit einer Hand an Renates Wangen, „ganz heiß, Reni, nicht aufregen, bis zur Apokalypse ist noch lange hin. Oder ist es meine Nähe, die dich erregt?“
„Ein Charmeur bist du. Hier, unsere Whiskys. Du willst mich betrunken machen. Ich weiß, warum.“
Renate prostet Franz zu und kippt den Whisky herunter,
„Bah, gleich noch einen.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl.“
Renate müht sich, den Saum ihres Kleides ein Stück nach unten zu ziehen,
„Wie ich hier dasitze, schamlos, aber das stört dich wohl nicht. Bevor ich mich weiter alkoholisiere, will ich dich noch aufklären. Nicht über die Wünsche und Begierden einer Frau, das hat der Oswalt Kolle dir bereits erzählt.
Ich kläre dich auf über die Ursache des Klima – Desasters. Hörst du weiter zu oder langweile ich dich?“
„Nein, im Gegenteil, ich bin ganz Ohr.“
„Und ganz Auge. Ist ja auch sehenswert, was neben dir sitzt. Jetzt zur Ursache. Es gelangt immer mehr Kohlendioxid in die Erdatmosphäre. Wir verbrennen Holz, wir verbrennen Kohle und Heizöl und Benzin, und das alles in immer größeren Mengen. Das Kohlendioxid, das dabei entsteht, reichert sich in der Atmosphäre an, die Schicht aus Kohlendioxid wird dicker und dicker, wie eine Glasglocke. Das Licht von der Sonne kommt durch, die von der Erde reflektierte Wärmestrahlung wird zurückgehalten, wie in einem gigantischen Treibhaus.“
Franz schüttelt den Kopf,
„Bevor du den Whisky getrunken hast, drohte uns die nächste Eiszeit, jetzt ist es der Wärmetod. Gibt es denn keine Modellrechnungen oder so etwas? Ihr habt am Institut bestimmt Computer stehen und Mathematiker dazu.“
„Du denkst ganz richtig, Franz“, Renate greift nach seiner Hand, „mit Modellrechnungen beschäftigen wir uns seit geraumer Zeit. Darüber hielt ich auf der Tagung einen Vortrag.“
„Du hast einen Vortrag gehalten? Bestimmt wurdest du aufmerksam beäugt, von den Herren, in diesem superschicken Kleid“, Franz wirft einen vielsagenden Blick zu Renates Dekolletee hin.
„Das ist nur für ganz besondere Anlässe“, Renate legt eine Serviette über den Blickfang, „auf der Tagung bin ich im schwarzen Business – Dress zu bewundern.“
„Deine Modellrechnungen, was besagen die?“
„Das ist das Dilemma. Die Klimaschwankungen folgen keinem Gesetz, sondern dem Zufall. Bestimmte Klima – Faktoren können sich aufaddieren, zufällig, nicht vorhersagbar. Sie können zum Wärmetod führen oder in eine neue Eiszeit.“
„Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist“, Franz langt nach den Whisky – Gläsern, „vor der Eiszeit habe ich keine Angst mehr, deine Dunstglocke über uns macht alles wärmer, das mildert die eisige Kälte ab. Wir trinken noch ‘nen Whisky, da wissen wir, was wir haben. Da gibt es keinen unvorhersehbaren Zufall.“
Schnell leert Renate ihr Glas,
„Erst mal Pause jetzt. Sonst verlier‘ ich die Kontrolle und falle dir vor versammelter Schar der Klimaforscher um den Hals. Oder springe auf den Tresen und reiße mir das Kleid vom Leibe.“
„Soll ich dir hinaufhelfen?“, er greift nach ihrer Hand. Sie wehrt ab und rückt ein Stück von ihm weg,
„Das wär’s denn wohl gewesen. Du bist dran, mein Lieber. Erzähle, was du so machst. Was treibst du überhaupt in dieser noblen Gegend?“, Renate langt nach seiner Visitenkarte, „Schott, Schott – Glas, aha, du bist ja Optiker.“
„Gelernter Optiker. Zu Schott kam ich mehr zufällig; sie suchten einen Betriebswirt für die Einkaufsabteilung, und ich wollte etwas Neues machen, nach ein paar Jahren in der Buchhaltung einer kleinen Klitsche. Beinahe zwanzig Jahre ist das her. Meine Ausbildung als Optiker kam mir bei Schott zugute, ich konnte schnell vom Einkauf in den Vertrieb wechseln. Bin dort der Spezialist für einen besonderen Typ von Spezialgläsern, Teleskopspiegelträger für die Astronomie.“
„Die großen Fernrohre, mit denen ich den Mann im Mond sehen kann“, Renate rollt ihre Serviette zu einer Röhre und lugt durch sie zu Franz hin.
„Und ich zu mancher Venus“, er nimmt ihr die Röhre aus der Hand und richtet sie auf ihre Augen.
„Seit wann schaust du einer Venus in die Augen? Dich interessieren doch ganz andere Partien.“
Er senkt die Röhre langsam zum Ausschnitt ihres Kleides hin. Mit einem Ruck nimmt Renate ihm die umfunktionierte Serviette fort,
„Schluss, du Casanova. Was machst du mit diesem Fernrohr in Genf?“
„Ich war tagsüber in Sauverny, zwanzig Kilometer von hier entfernt. Dort steht seit zehn Jahren die ursprüngliche Genfer Sternwarte. Die soll ein Großteleskop bekommen. Ein Millionen – Auftrag wird das werden, wenn das Geld dafür bewilligt wird.“
„Ein Großteleskop? Wie weit kann man damit sehen?“
„Viele Millionen Lichtjahre in das Universum hinein, zu ganz fernen Galaxien, eigentlich unvorstellbar. Milliarden von Sternen; das Licht, das wir von denen sehen, ging dort vor zig Millionen Jahren weg, und das mit unglaublicher Geschwindigkeit, dreihunderttausend Kilometer in der Sekunde. Manchmal bekomme ich die Gelegenheit bei einem Kunden, einen Blick in die Sternenwelt zu werfen, und jedes Mal bin ich wieder überwältigt von dem, was ich sehe.“ Franz stützt seine Arme auf den Tresen und schaut versonnen vor sich hin. Renate legt eine Hand auf sein Knie,
„Wo du hinschaust, Franz, da funkeln nur die Schnapsflaschen, nicht die Sterne, und meine Augen funkeln hier. Du liebst deinen Beruf, ich spüre das.“
„Ja, in gewisser Weise schon. Für Astronomie habe ich mich schon als Kind interessiert, mein Vater hat mir das vererbt. Astronomie, das war sein Hobby. Er ging oft zu Vorträgen in die Sternwarte in Bogenhausen, das ist ein Stadtteil von München. Vieles hat er mir erzählt und erklärt, von Sternen und Galaxien, Planeten und Monden, auch von oftmals unsichtbaren Himmelskörpern, Kometen und Meteoriten.“
„Kometen? Vom Halley – Komet habe ich schon gehört, kracht irgendwann auf unsere Erde. Passiert vielleicht noch vor der Klima – Apokalypse.“
„Der Halley ist nur einer von vielen. Sie können auf die Erde aufschlagen, genauso auf die anderen Planeten, den Mars oder den Jupiter.“
„Auf die Venus bitte nicht. Die Venus wird beschützt, die wird gebraucht“, ein wenig verstärkt Renates Hand den Duck auf sein Knie, „Schott in Mainz, in der Hochburg des Faschings, Alaaf.“
„Falsch, Renate, alles falsch. Erstens heißt es nicht Fasching, sondern Fastnacht, bei uns in Mainz Fassenacht, Määnzer Fassenacht, Määnz mit zweimal ‚Ä‘. Alaaf rufen die Jecken in Köln, Kölle Alaaf. Wir rufen Helau; erfunden haben wir das nicht, das wurde aus Düsseldorf importiert.“
„Sag mal, die drei tollen Tage, die sind in der nächsten Woche, Rosenmontag, Faschingsdienstag, Aschermittwoch, dann beginnt die Fastenzeit, nicht mehr völlern, nicht mehr vögeln, nicht mehr saufen. Bestell uns noch mal Champagner, wir müssen vortanken.“
„Wieder falsch, Reni. Fastnacht kommt nicht von Fasten.
Auch nach den drei tollen Tagen müssen wir auf nichts verzichten. Ursprünglich hieß es nicht Fastnacht, sondern Fasnacht. Das kommt von Faseln, was im Mittelhochdeutschen Viseln heißt, und das bedeutet fruchtbar machen, gedeihen und vermehren. Das Faseln ist ein alter Brauch, in unseren Worten eine ausschweifende Fruchtbarkeitsorgie“, Franz dämpft seine Stimme zum Flüsterton, „der Visel ist des Mannes bestes Stück.“
Renates Hand gleitet an seinem Oberschenkel noch ein Stück höher,
„Das sieht euch Kerlen ähnlich, die christliche Tugend des Fastens ins Gegenteil zu verwandeln, damit ihr ungehemmt eure Triebe ausleben könnt.“ Fest drückt ihre Hand zu.
Franz atmet tief durch, ein wenig muss er sich noch zurückhalten,
„Fastnacht, das ist die Zeit wilder Feste mit Vermummung, Trinkgelagen und phallischen Umzügen.“
„Phallische Umzüge? Ich dachte immer, die Mainzer Karnevalsumzüge widmen sich politischen Themen, nehmen unsere Regenten aufs Korn, geißeln sie für ihre Fehlleistungen.“
„Dafür sind die Umzüge auch da, dieser Teil des Karnevals ist das Bild nach außen. Im Inneren, Verborgenen, wird die ursprüngliche Fasnacht gefeiert, wird dem Faseln gefrönt, und das mit derben Späßen. Einen darf ich dir erzählen? Einen nicht ganz so derben?“
„Erzähle, aber lass das Viseln weg, ich laufe sonst noch rot an.“
„Also gut, die Geschichte vom Treiben. Die Treiber geben sich Zeichen, wenn auf den Straßen oder Plätzen einige junge, hübsche Frauen zusammenstehen, so in der Gruppe, zufällig, fünf oder sechs oder zehn. Nicht mehr, sonst würde es kompliziert. Die Treiber haken sich unter und kreisen die Mädchen ein. Sie werden zu vorbereiteten Orten getrieben, zu Lagerräumen, Turnhallen, größeren Büros oder auch Ladengeschäften, die an diesen Tagen geschlossen sind. Dort gibt es erst einmal was Ordentliches zu trinken, Schnaps oder Cognac, was gerade da ist, damit alle in Stimmung kommen. Den Frauen werden die Augen verbunden und eine von ihnen wird zur Schönsten gewählt.“
„Zur Schönsten, wie das?“
„Die Mädchen müssen sich alle ausziehen, ganz nackt.
Sie werden nacheinander auf einen Tisch gehoben. Diejenige, die den meisten Beifall einheimst, ist die Schönste, ganz einfach.“
Renate rutscht von ihrem Hocker; sie fasst nach seinen Schultern, um sich beim Absteigen festhalten zu können,
„Mir ist ganz schwindlig, nicht nur vom Alkohol. Komm, begleiche unsere Zeche, die beiden Sektgläser nehmen wir mit.“
Franz bezahlt und lässt sich ein Glas mit Eisstücken geben.
Auf dem Weg zum Aufzug geht er ihr voran, das Glas mit Champagner in der linken, das mit Eisstücken in der rechten Hand. Er schwankt ein bisschen. Sie geht dicht hinter ihm,
„Lass mich voran gehen, du verfehlst noch den Aufzug.
Außerdem kannst du in meinem Rücken besser agieren.
Du bist bestimmt ein guter Treiber; von dir würde ich mich treiben lassen.“
„Würde oder werde?“
Sie dreht sich zu ihm um,
„Bei dir oder in meinem Zimmer?“
„In deinem, du hast doch dein Nachthemd bereits zurechtgelegt.“
Renate öffnet die Zimmertür,
„Was hast du denn mit den Eisstücken vor?“
„Die werde ich dir auf die Titten legen.“
„Ach, wie charmant du bist. Hauptsache, du schlägst mich nicht. Ich kannte mal einen Typ, der wollte mich fesseln und schlagen.“
Franz stellt die beiden Gläser auf das Nachtschränkchen.
Den runden, flachen Tisch, der unter dem Fenster steht, zieht er in die Mitte des Zimmers,
„Steig auf den Tisch, Reni, ich helfe dir.“
„Da hoch, jetzt?“
„Ja, mein Schatz, ich will die Schönste küren. Hoch mit dir, zieh dich aus.“
„Ich dachte mir schon so etwas. Ziehst du mir hinten den Reißverschluss auf?“
„Gerne, das weitere machst du aber selber.“
Franz schaltet die Deckenbeleuchtung aus und die Stehlampe an.
Renate steigt auf den Tisch,
„Private Peepshow, lass dir nichts entgehen. Gibt’s noch was vom Champagner, wegen der Stimmung?“
Er reicht ihr das Sektglas, das sie in kleinen Schlucken austrinkt,
„Alles hübsch der Reihe nach. Beim Striptease ziehen sich die Frauen ganz langsam aus, und dazu gibt’s Musik.
Mach doch bitte das Radio an und suche was Gefühlvolles.“
Franz dreht zwischen den Sendern, bis er das Passende findet, Saxophon und Streicher.
Renate wiegt sich im Rhythmus der Musik und pellt sich aus dem Kleid,
„Darf nach ihrer Wahl die Schönste mit euch Treibern vögeln?“
„Sie darf, selbstverständlich, das wird erwartet, wenigstens mit einem der Treiber.“
„Ich bin beruhigt, muss ich mich nicht nur ausziehen“, sie hakt den BH auf und streift die Träger ab,
„Hier, fang auf.“
Franz tritt an den Tisch und legt die Hände unter ihre Brüste,
„Schöne Titten hast du, passt das Eis gut drauf. Höschen zieh‘ ich dir aus.“ Er hebt sie vom Tisch und trägt sie zum Bett.
„Du bist ein geiler Bock, Franz. Mach das Licht aus, und dann nimm die Eisstücken.“
Sie stöhnt leise,
„Und jetzt den Visel. Schlägt der Komet heute Nacht hier ein?“
„Das steht in den Sternen, Reni.“
Griesgrämig betritt Franz den Frühstücksraum des Hotels ‚La Perla‘. Erst kurz vor Mitternacht hatte ihn der Fahrer vorm Hotel abgesetzt. Die Bar war bereits geschlossen und im Zimmer stand nur eine Flasche lauwarmen Bieres. Nichts getrunken, schlecht geschlafen, keine guten Vorzeichen für den anstehenden Tag. Gegenüber der Tür sitzt eine Frau und sieht ihm lächelnd entgegen. Verdutzt bleibt Franz stehen und schüttelt ungläubig den Kopf,
„Renate? Ich glaub‘, ich träume, bist du das wirklich?“ Er eilt zu ihr und will sie umarmen. Sie wehrt ab,
„Ich staune, dass du mich wiedererkennst, zwölf Wochen nach unserem Rendezvous in Genf. Seitdem absolute Funkstille, kein Lebenszeichen von dir, kein Anruf, kein Brief, nichts. Aus den Augen, aus dem Sinn.“
„Ach, die viele Arbeit, ständig unterwegs“, Franz bricht ab, „diese Überraschung jetzt. Hast du hier im Hotel übernachtet? Du hättest mir Bescheid geben können, dann …“
„Was dann? Um mit mir zu vögeln? Du hättest mit einer schwangeren Frau schlafen müssen.“
„Du erwartest ein Kind?“
„Und du wirst Vater, mein Lieber.“
Franz erstarrt,
„Bist du sicher?“
„Ich bin im dritten Monat, du bist der Erzeuger, zweifelsfrei. Frage gar nicht erst, ob ich es wegmachen will. Ich werde es bekommen. Dir das zu sagen, deswegen bin ich hier. Deine Sekretärin gab mir den Tipp, wo ich dich auftreiben kann. Du willst heute noch nach Gergal und weiter auf den Calar Alto, zum Observatorium.“
„Ja, zusammen mit Christian von der Hamburger Sternwarte. Das Observatorium oben auf dem Calar Alto bekommt ein neues Spiegelteleskop, und da ist Schott dabei. Reni, Mädel, wie wird das mit dem Kind und mit mir? Ich bin vollkommen durcheinander.“
„Hör zu Franz, hör gut zu, nur ein paar Minuten, dann gehe ich zum Bus, zurück nach Sevilla. Der Flughafen hier macht nur Ferienflieger. Das Kind wird Ende November auf die Welt kommen. Ich lebe seit Mitte März in einer festen Beziehung mit Robert. Er arbeitet in der Sternwarte Hamburg. Ich komme wohl nicht weg von euch Sternenguckern. Ich weiß noch nicht, ob ich es Robert erzähle, dass es nicht sein Kind wird. Eins weiß ich, ich will, dass du dich fernhältst, von mir und von dem Kind, später mal. Es soll keinerlei Kontakte geben. Ich will nichts von dir, ich beanspruche nichts. Für das Kind wirst du nichts bezahlen. Diese Abmachung treffen wir jetzt, dann verschwinden wir aus deinem Leben, ich und das Kind in mir“, Renate reicht ihm die Hand, „schlag ein, dann gilt die Abmachung. Wenn du dich nicht an diese Abmachung hältst, besuche ich dich zu Hause und erzähle alles deiner Frau; das willst du ja wohl vermeiden.“
Franz zögert kurz, dann greift er in die ausgestreckte Hand und drückt sie fest. Er versucht, Renate an sich zu ziehen, doch sie reißt sich los. Mit schnellen Schritten läuft sie zur Tür.
„Reni“, ruft Franz ihr nach, aber Renate dreht sich nicht um.
In Gedanken versunken lässt er sich auf den Stuhl nieder, den sie gerade verlassen hat. Renate bekommt ein Kind, von ihm, er hat sie geschwängert; dass ihm so etwas passieren muss. Was für eine wilde Nacht war das gewesen, so hemmungslos durfte er selten mit einer Frau vögeln. Und jetzt das.
Wie versteinert hockt Franz da. Christian bemerkt er erst, als der sich zu ihm setzt,
„Guten Morgen lieber Franz. Einen guten Appetit wollte ich dir wünschen, aber ich sehe, du hast bereits gefrühstückt. Ich hoffe, es hat dir geschmeckt.“
Erschrocken blickt Franz auf die Brötchenkrümel und Wurstreste, die Renate zurückgelassen hat, schnell schiebt er Teller und Besteck zusammen,
„Hallo Christian. Schön, dich zu sehen. Ich bin noch ganz mitgenommen von den Strapazen des gestrigen Tages.
Nervig, diese Fliegerei. Die Maschine von Madrid zwei Stunden Verspätung, die lange Autofahrt, um Mitternacht hier angekommen, die Bar schon zu, nix Gescheites zu trinken, kaum geschlafen, die Wärme dazu. Na ja, erst mal Kaffee. Hab‘ nicht achtgegeben, was alles so rumsteht auf dem Tisch.“
„Sag mal, ist die junge hübsche Frau schon weg? Ich habe sie vorhin draußen gesehen.“
„Hübsche junge Frau? Wo? Wer?“
„Die Frau Doktor aus dem Institut, dem Institut für Meteorologie. Ich war ganz überrascht, sie in Hamburg am Gate zu treffen. Wir stiegen nicht nur in dieselbe Maschine, wir saßen auch nebeneinander. Wie sich herausstellte, hatten wir sogar das gleiche Reiseziel, Hotel ‚La Perla‘ in Almeria. Leider war sie nicht gut drauf, recht einsilbig und verschlossen. Ging gleich auf ihr Zimmer.
Schade, ich hätte gerne ein Glas Rotwein mit ihr getrunken.“
„Ein Glas? Seit wann bist du Abstinenzler, Christian?
Woher kennst du die Frau Doktor?“
„Renate heißt sie, ist liiert mit Robert, meinem neuen Arbeitskollegen. Den wirst du nicht kennen, er ist noch nicht lange dabei. So ein ganz ruhiger, in sich gekehrter.
Das ganze Gegenteil von Renate, die immer auf hundertachtzig ist, vibriert vor Elan und guter Laune. Nur gestern, da war nichts los mit ihr.“
Fahrig greift Franz nach der Kaffeetasse, seine Hand zittert, er muss die Tasse abstellen. Was hatte Renate zu ihm gesagt? ‚Ich komme wohl nicht weg von euch Sternenguckern‘. Robert, Christian, er mittendrin, Renate ist schwanger, er ist schuld. Ihm dreht sich der Kopf.
Franz atmet tief durch,
„Wie geht’s zuhause, Christian? Alles in Ordnung? Was macht die Arbeit? Was Neues in der Sternwarte Bergedorf?“
„Alles bestens, alles im Lot. Ein paar neue Geräte stehen an, da kannst du wieder mitspielen. Ich gebe dir später noch mehr Informationen, ich habe einiges für dich aufgeschrieben.“
„Prima, vielen Dank, Christian, ich revanchiere mich.
Was ist mit deinen Beobachtungen? Du warst im März oben auf dem Calar Alto, sagtest du mir am Telefon.“
„Es ist unser Teleskop, das Hamburger Schmidt – Teleskop, an dem ich im Februar nächtelang saß. Du kennst die Geschichte; 1975, vor vier Jahren, setzten wir das Schmidt – Teleskop ins Calar – Alto – Observatorium um, daher kenne ich es gut, weiß um die Feinheiten der Einstellung, auch um seine Macken. Leider sind die Aufnahmen, die ich am 22.Februar machte, nicht scharf genug. Irgendetwas klappte nicht an der Einstellung.
Dabei war die Nacht auf den 23.Februar gerade wichtig.
Ich könnte schwören, am Jupiter ist was; und in dieser Nacht hätte ich ihn aufnehmen können, den Kometen.
Ein ganz schön großer Brocken muss das sein.“
Franz schluckt, die Nacht vom 22. zum 23.Februar, die wilde Nacht mit Renate, die Nacht der Zeugung. Verdammt, wenn das kein Vorzeichen ist. Ein Vorzeichen, auf was?
„Hoffentlich hast du in den kommenden Nächten mehr Glück, ich wünsche es dir. Was sagt der Wetterbericht?
Klare Nächte? Wie ist die Stimmung oben im Observatorium? Wie läuft das neue Teleskop? Zwei – Komma – Zwei – Meter sind schon was, ein Meter mehr als das Schmidt. Du wirst dem Kometen auf die Spur kommen, ganz bestimmt.“
„Ich hoffe es. Mit den klaren Nächten wird es die nächsten zwei, drei Tage nichts werden, ein Tief zieht heran.
Zwei Wochen insgesamt werde ich oben sein, mal sehen.
Mit dem neuen Teleskop bin ich noch nicht so vertraut, das braucht zusätzliche Zeit. Die Stimmung im Observatorium ist gut, sehr gut. Das Neuste weißt du wahrscheinlich nicht, wir planen bereits das nächste Spiegelteleskop, einen Dreieinhalbmeter – Wummi. Schott und Carl Zeiss werden liefern, das ist schon mal klar. Es wird das größte Spiegelteleskop im westlichen Europa werden, irre. Dauert ein paar Jahre, die ganze Planungsrunde, ehe das Geld bewilligt wird; dazu die baulichen Vorbereitungen. In fünf Jahren könnte das Ding stehen, wenn alles klappt. Zur Einweihung gibt’s ‘ne richtige Sause, drei Tage Sekt in Strömen, spanischen Rotwein, ein paar flotte Mädels. Vielleicht kommt die Frau Doktor dazu, sie war schon öfters in der Sternwarte, auch als es den Robert noch nicht gab.“
„Den bringt sie sicherlich mit, da hast du keine Chance.“
„In fünf Jahren? Glaube ich nicht, den Robert wird sie dann wahrscheinlich wieder abgelegt haben. Frau Doktor wechselt gern die Pferde.“
„Du machst mich neugierig“, allmählich gewinnt Franz seine Fassung wieder, „ob sie gut reitet? Gibst du mir ihre Telefonnummer? Womöglich darf ich es ausprobieren.“
„Du bist zu alt dafür. Außerdem bist du glücklich verheiratet. Oder?“
„War nur so ein Gedanke. Der Fahrer draußen wartet schon, wir machen los.“
Sie verlassen das Hotel und schlendern zum Taxi, das ihnen vom Observatorium geschickt wurde.
„Die Taxirechnung kannst du dem Schott schicken, ich lasse eine Kostenstelle ‚Drei-Komma-Fünf-Meter Teleskop Calar-Alto‘ einrichten“, Franz blinzelt in die helle Morgensonne, „da oben, unser Fixstern, ohne den wäre auf der Erde nichts. Was dort oben an Energie erzeugt wird, ist einfach unvorstellbar. In einer Sekunde so viel, wie alle Kernkraftwerke dieser Welt innerhalb von einer Million Jahren nicht schaffen würden. Die Sonne gibt uns Wärme und Licht, und die Zeit. Ihr Himmelslauf gliedert den Tag und das Jahr.“
Christian bleibt stehen,
„Du zeigst neue Seiten, Franz, philosophische, Kompliment.“
„Was mir zu denken gibt, mein lieber Christian, ist die Tatsache, dass wir von der Sonne wenig wissen. Wir verfügen über umfangreiche Informationen zu den Planeten, dringen mit den Teleskopen immer weiter vor in die Tiefe des Universums, die Sonne aber wird vernachlässigt. Oder täusche ich mich?“
„Ja und Nein. Es gibt eine Reihe von Observatorien, die mit Sonnenteleskopen ausgerüstet sind. Du kennst sicherlich das Observatorium auf dem Kitt – Peak in der Sonora – Wüste in Arizona. Dort steht das größte Sonnenteleskop der Welt. Beobachtet wird viel, für die Öffentlichkeit publiziert eher wenig. Das liegt auch am mangelnden Interesse. Mit Sonnenflecken und Magnetstürmen lassen sich nicht so Schlagzeilen machen wie mit unerklärlichen Leuchterscheinungen auf dem Mars oder einer Supernova in ferner Galaxie. Manchmal denke ich, dass von den Untersuchungen über Vorgänge auf Der Sonne einiges unter Verschluss bleibt, aus welchen Gründen auch immer.“
„Desinteresse oder bewusste Verdrängung? Neulich brachten sie im ZDF eine Sendung über die Welt – Klima-Konferenz in Genf. War wohl ein bedeutendes Ereignis, vierhundert Wissenschaftler aus vierzig Ländern, und das zwei Wochen lang. Es ging um Klimaveränderungen, neue Eiszeit oder Wärmetod der Erde. Was vom Menschen alles so verzapft wird, Abholzen der tropischen Regenwälder, Verfeuern fossiler Brennstoffe. Eine Menge von Fakten, Theorien und Spekulationen. Die Sonne kam nur ganz am Rande vor. Doch sie ist die Quelle des Lebens. Jede Veränderung auf der Sonne zieht Veränderungen der abgesandten Strahlung nach sich. Und das beeinflusst die Vorgänge auf der Erde, das Wetter, den Wasserhaushalt, Wachsen der Bäume, Leben und Sterben von Mensch und Tier. Lamentiert wird über Dürreperioden und Überschwemmungen und das viele Kohlendioxid, das der Mensch erzeugt. Die Auswirkungen von Vorgängen auf der Sonne negiert man. Geschieht das aus Unwissenheit oder mit Vorsatz?“
Christian schüttelt den Kopf,
„Aus Unwissenheit, weil zu wenig bekannt ist. Komm, der Fahrer ist ganz ungeduldig.“
„In zwei Stunden sind wir in Gergal, da machen wir Halt bei Manuel. Ich kaufe drei Kisten Rotwein, für jeden im Observatorium eine Flasche. Das bin ich euch schuldig für die guten Beziehungen all die Jahre hindurch. Und für dich habe ich ein Extra im Koffer, bekommst du später“, Franz legt einen Arm um Christians Schultern, „Sonne und Erde sind mehr als vier Milliarden Jahre alt. Den Menschen, den Homo Sapiens, gibt es seit dreihunderttausend Jahren. Ich bin Fünfzig, eine winzig kleine Zeitspanne sind diese fünfzig Jahre. Welche Entwicklung sich in dieser kurzen Zeit vollzogen hat, ist enorm. Ich meine nicht die politischen Dinge, auch nicht die Kriege, ich bewerte die technische Entwicklung zwischen den Zwanziger Jahren und heute, Autos, Raumfahrt, Computer.
Was wird es in fünfzig Jahren zu bestaunen geben? Können die Autos dann vielleicht fliegen, werden wir auf dem Mars gelandet sein? Bei den Computern tut sich auch einiges. Oder wird es den technischen Fortschritt nicht geben? Weil es auf der Erde kein Leben mehr gibt, alles verwüstet ist? Ein Atomkrieg alles vernichtet hat?
Ein großer Komet eingeschlagen ist?“
Christian öffnet die Wagentür,
„Das mit dem Kometen haben wir Astronomen zu klären. Wir sitzen nicht nächtelang am Teleskop, nur um neue Kometen zu entdecken, wir wollen auch deren Bahnverlauf bestimmen und berechnen, wohin sie in Zukunft fliegen werden. Ob da einer dabei ist, der uns den Garaus macht, wissen wir nicht, das weiß nur der da oben.“ Er zeigt Richtung Himmel.
Franz setzt sich zu Christian ins Taxi,
„Mein Vater war begeisterter Hobbyastronom. Wenn solche Fragen aufkamen, pflegte er zu sagen : ‚Das steht in den Sternen‘.“
Der Komet kommt dem Jupiter gefährlich nahe, lediglich zwanzigtausend Kilometer trennen ihn von dessen Wolkendecke. Als er in einer Haarnadelkurve um den Riesenplaneten schwingt, zerreißen ihn die Anziehungskräfte in einundzwanzig Einzelbrocken. Der größte von ihnen hat immerhin noch einen Durchmesser von vier Kilometern.
Die Brocken fliegen weiter auf ihrer Bahn um den Jupiter, hintereinander, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Noch immer bleibt der Komet unentdeckt.
Sie haben zwei Tische zusammengestellt und mit Blumen dekoriert, Teller mit Kuchen und Tortenstücken aufgebaut und Kaffee gekocht. Die Cafeteria des Altenpflegeheimes ist an diesem Dienstagnachmittag nur mäßig besucht; für die kleine Schar der Geburtstagsgratulanten ist genügend Platz vorhanden. Ingrid, Sabine und Claudia nehmen Aufstellung an der Eingangstür.
Franz und Thomas helfen Franziska in den Rollstuhl und fahren sie von ihrem Zimmer zur Cafeteria. Daniel eilt voraus, öffnet die Türen und gibt den Wartenden Kommando,
„Sie kommt.“
Als der Familienchor ‚Hoch sollst du leben‘ schmettert, tritt Marianne, die neue Chefin des Heimes, hinzu, einen großen Blumenstrauß in der Hand,
„Herzlichen Glückwunsch, Franziska, alles Gute. Neunzig Jahre, das erleben wir selbst in diesem Hause nicht alle Tage. Bist du so lieb und stellst mir deine Familie vor?
Nur deinen Sohn Franz konnte ich bisher kennenlernen.“
„Mache ich, Marianne, vielen Dank dir. Ich freue mich so, dass sich meine Lieben hier versammelt haben. Regina fehlt, sie kommt hoffentlich noch.
Also, Franz, den kennst du bereits, er ist inzwischen pensioniert; neben ihm seine Frau Ingrid, meine Schwiegertochter. Und dort mein Enkel Thomas im blühenden Alter von neununddreißig Jahren; seine Frau Sabine, auch blutjung, Siebenunddreißig. Stimmt, Sabine?“
Sabine nickt,
„Wie du dir das merken kannst, Oma, ich staune jedes Mal wieder. Wenn ich irgendwann Neunzig bin, werde ich das nicht draufhaben, bestimmt nicht.“
Franziska gibt den beiden Kindern einen Wink. Sie stellen sich links und rechts neben den Rollstuhl; Franziska fasst sie an den Händen,
„Die Urenkel, Claudia und Daniel, zwei ganz helle Sterne am Firmament, Sieben und Zwölf“, sie wendet sich an Franz, „wenn Regina eintrifft, eure Tochter, dann sind wir komplett, dann geht mein Wunsch vollständig in Erfüllung, heute die Familie zusammen zu haben. Ob sie es vergessen hat?“
„Sie wird noch kommen“, beschwichtigt Franz seine Mutter.
„Schade, dass Georg es nicht mehr erleben konnte, aber einer von uns zweien musste nun mal voran gehen.“
„Feiert schön, erzählt unserer Jubilarin ein bisschen davon, was ihr so treibt, aber nur die guten Dinge. Sie ist in Gedanken sehr oft bei euch, ich weiß es. Mich rufen jetzt andere Verpflichtungen. Am zeitigen Abend komme ich in dein Zimmer.“ Marianne umarmt Franziska und winkt den Gästen zu.
„Langt zu, lasst es euch schmecken“, einladend streckt Franziska die Hände nach vorn, „und dann erzählt, wie Marianne es euch geraten hat. Ihr wisst, allzu lange halte ich nicht mehr durch. Du fängst an, Franz.“
„Aber nur die guten Dinge“, wirft Ingrid ein, ihr Groll ist nicht zu überhören.
Mit einer ärgerlichen Handbewegung schneidet Franz seiner Frau das Wort ab,
„Wie du weißt, Mutter, oft bin ich nicht mehr unterwegs, nur ab und zu, wenn die Firma ein besonderes Projekt verfolgt und mein früherer Chef der Meinung ist, dass nur ich es zum Erfolg führen kann. Anfang März war ich in Kalifornien, auf dem Gipfel des Mount Palomar.
Das Palomar – Observatorium verfügt über ein sehr großes Spiegelteleskop, fünf Meter im Durchmesser, das sogenannte Hale - Teleskop. Viele Jahre lang, bis 1975, war es das größte Teleskop der Welt. Ich traf Carrie und William, ein Astronomen – Ehepaar. Beide gehen ihrer Aufgabe mit geradezu missionarischer Überzeugung nach, Kometen aufzuspüren. In den vergangenen vier Jahren entdeckten sie zehn dieser Himmelskörper.“
„Kometen“, unterbricht ihn Franziska, „wisst ihr, wann ich das Wort ‚Komet‘ zum ersten Mal hörte und von wem? Vom Schorsch, im August 1927. Wir waren im Kino gewesen, sahen einen furchtbar blöden Film, ‚Metropolis‘, ein Stummfilm war das. Anschließend bummelten wir durch die Straßen, wir kannten uns noch nicht lange. Am sternenklaren Himmel sahen wir Sternschnuppen und Schorsch erklärte mir, wie sie entstehen.
Und dann sprach er von den Kometen und dass ich keine Angst haben muss; der Aufschlag eines Kometen auf die Erde passiert nur ganz selten, einmal in hunderttausend Jahren. Er war ein begeisterter Sternengucker, euer Vater, Großvater und Urgroßvater; ein Hobbyastronom, sagt man heute dazu. Er blieb es auch, als die Zeiten schlecht wurden, 1929, 1930, als er seine Arbeit verlor.
Du Franz, warst da gerade auf die Welt gekommen. Zum Glück half ihm der Scharnagl, unser damaliger Oberbürgermeister, und versorgte ihm Anstellung in der Stadtverwaltung. Dem Scharnagl spielten die Nazis übel mit, setzten ihn gleich 1933 ab; später steckten sie ihn ins KZ.
War ein feiner Kerl, wurde nach dem Krieg von den Amerikanern wieder als Rathauschef eingesetzt. Jetzt du weiter, Franz. Wo geht’s als nächstes hin?“
„Ich hoffe, nirgendwo mehr hin“, wagt Ingrid den nächsten Einwurf. Aber Franz fährt ungerührt fort,
„Als nächstes fliege ich in die USA, in zwei Wochen, zunächst nach San Diego, anschließend nach Arizona. Dort besuche ich ein Observatorium auf dem Mount Graham, das zur Sternwarte des Vatikans gehört. Wir bauen am Teleskop mit, das im nächsten Jahr in Betrieb gehen wird.“
„Habe ich dich richtig verstanden, der Vatikan betreibt eine Sternwarte?“, Franziska ist sichtlich verwundert, sie verzieht spöttisch das Gesicht, „es reicht dem Papst wohl nicht, mit dem HERRN zu sprechen? Er will ihn auch sehen? Vor vierhundert Jahren wurden diejenigen auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die sich zu intensiv mit Sternen und Planeten beschäftigten. So ändern sich die Zeiten.“
Franziska schaut in die Runde und wendet sich Franz‘ Schwiegertochter zu,
„Womit beschäftigst du dich in deiner Zeitung, Sabine?
Du bist doch wohl noch Redakteurin beim Münchner Merkur?“
„Aber klar, und das mit Leib und Seele. Die Männer in dieser Familie sind alle mit überirdischen Dingen befasst, mit Sonne, Sternen, Weltall, Universum, praktisch und theoretisch. Ich widme mich den irdischen Ereignissen, Politik und Gesellschaft.“
„Erzähle deiner Großmutter nicht zu viel von den ganz aktuellen Ereignissen hier bei uns in München“, wirft Thomas ein, „sonst bringst du sie um den Schlaf.“
„Ach, nicht doch“, wehrt Franziska mit der Hand ab, „berichte, Mädel, ich vertrage eine Menge.“
„Die ganze Stadt ist in Aufruhr, Oma, wegen des G7 - Gipfels, die Innenstadt ist abgesperrt, tausende Polizisten sind im Einsatz, Hubschrauber kreisen über dem Zentrum.“
„Erkläre Oma, was der G7 – Gipfel bedeutet“, mischt sich Thomas erneut ein.
„Nein, nicht notwendig. Ab und zu lese ich Zeitung oder höre Nachrichten im Radio. Nur Fernsehen lass ich sein, es regt mich zu sehr auf, das ganze Elend auf der Welt zu sehen. G7 – Gipfel, da kommen die Regierungschefs zusammen, Amerikaner, Engländer, Franzosen, wir Deutschen, Italiener, Japaner und Kanadier, richtig?“
„Unsere Oma weiß Bescheid“, Sabine greift nach Franziskas Händen, „ganz super, ich bewundere dich. Tagungsort der G7 ist unsere Residenz, das Stadtschloss.“
„Wo denn sonst“, Franziska nickt heftig, „Prunk und Reichtum, zu allen Zeiten lieben das die Regenten, früher die Herzöge, Kurfürsten und Könige, heute Kanzler und Präsidenten. Was ist am Treffen so dramatisch?
Was könnte mich um den Schlaf bringen?“
„Die Begleiterscheinungen. Tausende demonstrieren, vor allem junge Leute. Sie protestieren gegen den Gipfel.
Die Polizei geht ziemlich brutal vor, es wird auf die Demonstranten eingeschlagen; ein paar hundert wurden gestern verhaftet und die ganze Nacht hindurch eingesperrt. Es soll auch Übergriffe gegeben haben, scheußlich. Der Tumult geht heute bestimmt weiter.“
„Ich kann das nicht bewerten und will es auch nicht. Eins würde ich den jungen Leuten zu bedenken geben : ‚Seid froh, dass sich die Mächtigen zusammenfinden und miteinander reden. Solange sie reden, schießen sie nicht.
Solange sie sich verständigen, gibt es keinen Krieg. Das ist das, was wichtig ist, nur das.“
Franziska schließt die Augen und lehnt sich zurück, am Tisch herrscht Schweigen. Sie streicht mit der Hand über die Stirn, sie will das Bild verscheuchen, das sich einnistet. Sie gibt sich einen Ruck und richtet den Blick wieder auf Sabine,
„Der Merkur im Namen deiner Zeitung, wofür steht er, wo kommt er her. Vom Planeten, dem kleinsten im Sonnensystem?“
„Ja und Nein, Oma. Den Planeten Merkur bezog man im antiken Griechenland auf den Gott und Götterboten Hermes, der ist in der griechischen Mythologie der Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden, der Kaufleute und der Hirten. Er ist auch der Gott der Diebe und der Kunsthändler, der Redekunst, der Gymnastik und der Magie. Hermes steht für viele Bereiche des Lebens. Über die Zuordnung des Hermes zum Planeten Merkur verkörpert Merkur im Zeitungsnamen den Anspruch, ein breites Spektrum der Gesellschaft abzubilden.“
„Interessant, mein Kind, wirklich neu für mich, vielen Dank für deine ausführliche Erklärung. Wer setzt fort?
Wer übernimmt den Staffelstab?“, Franziskas Augen bleiben an ihrer Schwiegertochter Ingrid hängen, aber die schüttelt heftig den Kopf.
„Lass mich anschließen“, Thomas schiebt Teller, Tasse und Besteck zusammen, „ich entführe dich vom Irdischen zurück in die Sphären oberhalb der Erde, vom kleinen Merkur zum großen Jupiter, weiter zur Sonne und von dort zu den fernen Galaxien.“
„Stopp, Thomas, mach mal Halt beim Jupiter, dem größten der Planeten, die ihre Bahnen um die Sonne ziehen.
Nachdem Schorsch pensioniert wurde, Ende der sechziger Jahre, verbrachte er viel Zeit in der Sternwarte, zusammen mit seinem Freund Edgar manchmal ganze Nächte. Besonders der Jupiter mit seinen vielen Monden hatte es den beiden angetan. Sie durften Aufnahmen machen und die Bilder mit einem Mitarbeiter der Sternwarte, einem richtigen Profi, auswerten. Ich erinnere mich gut an einen Nachmittag vor dreizehn Jahren, 1979 war das. Schorsch kam ganz aufgeregt von der Sternwarte nach Hause. Er glaubte, sie hätten auf einer dieser Aufnahmen einen neuen Kometen entdeckt, in der Umgebung des Jupiters. Mit späteren Aufnahmen konnten sie das nicht bestätigen, worüber Schorsch sehr enttäuscht war. Nach seinem Schlaganfall musste er die Beobachtungen leider aufgeben. Ab und zu kam er auf das Thema zu sprechen, wenn er im Rollstuhl saß und vom Balkon aus Richtung Himmel blickte, ‚Da oben, am Jupiter, da ist was, ein Komet; muss ein großer Brocken sein, sonst hätten wir ihn mit unserem kleinen Teleskop nicht entdecken können‘, das waren seine Worte. Und wenn ich ihn fragte, ob vielleicht jemand anders von der Sternwarte die Entdeckung einmal würde bestätigen können, dann gab er zur Antwort, ‚Das steht in den Sternen‘.“
Franziska schließt wieder die Augen, das Bild verfestigt sich, sie kann es nicht entfernen. Ein leichter Schauer huscht ihr über den Rücken. Sie beugt sich zu Thomas vor,
„Mach weiter, Junge, ich möchte mehr von dir wissen und von euren Kindern, und danach machen wir Schluss, ich werde allmählich müde.“
„Ich halte mich kurz, Oma. Ich bin Astrophysiker. Seit zehn Jahren arbeite ich am Institut in Ismaning. Meine Hauptarbeitsgebiete sind die Sonne und der Raum zwischen den Planeten sowie die kosmische Erscheinung der Supernova, das kurzzeitige, extrem helle Aufleuchten eines Sternes am Ende seiner Lebenszeit. Wenn der Stern explodiert und sich selbst vernichtet.“
„Das wird auch mit unserer Sonne passieren, habe ich vor kurzem gelesen.“
„Ja, aber erst in ein paar Milliarden Jahren. Wir am Institut versuchen, anhand von Modellen Himmelserscheinungen nachzubilden und vorauszusagen. Zu den Modellen gibt es mathematische Formeln, die ziemlich kompliziert sind. Um mit ihnen rechnen zu können, braucht man große, leistungsfähige Computer, wie sie unser Institut besitzt“, Thomas bemerkt, dass Franziska an ihm vorbeischaut, sie hört nicht mehr zu, „eins von deinen Urenkeln hat auch schon an der Astronomie Feuer gefangen. Daniel bekam zu Weihnachten einen Astronomischen Baukasten geschenkt. Er konnte sich ein kleines Fernrohr basteln, das ganz prima funktioniert. Soll er es dir zeigen und erklären?“
Franziska reagiert nicht, Thomas‘ Worte rauschen an ihr vorbei,
„Ich bin so müde. Schön, dass ihr mich alle besucht habt.
Nur Regina nicht, warum ist sie nicht gekommen? Es ist noch Kuchen übrig, nehmt ihn mit.“
Sie winkt Daniel und Claudia zu sich und streichelt ihre Wangen,
„Nicht böse sein auf eure Uroma, das nächste Mal beginnt ihr mit dem Erzählen, damit ich richtig munter bin und alles mitbekomme. Komm Franz, bring mich zurück auf mein Zimmer.“
Kaum bemerkt sie, wie ihre Gäste sie zum Abschied drücken.
Franz stellt den Rollstuhl neben das Bett,
„Willst du dich hinlegen, Mutter, oder lieber sitzen bleiben?“
„Lass mich ein Weilchen hier sitzen, zum Schlafen gehen ist es zu früh. Hinter dir im Regal steht der Brockhaus, gib mir bitte den Band Drei, I bis M, und vom Nachttisch meine Lesebrille. Vielen Dank für den schönen Nachmittag, mein Junge, komm gut nach Hause, und sei lieb zu Ingrid.“
„Brauchst du noch etwas, ein Glas Wasser vielleicht?“
„Nein, alles gut, geh jetzt.“
Franz drückt seiner Mutter die Hand. Er sieht ihr ins Gesicht,
„Alles in Ordnung? Soll ich lieber bleiben?“
Sie schüttelt den Kopf,
„Geh.“
Franziska wartet, bis die Schritte ihres Sohnes im Treppenhaus verhallen. Sie setzt die Brille auf und blättert im Brockhaus die Seiten zum Buchstaben K durch. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, sie hat das Stichwort gefunden. Sie kennt den Text, sie muss ihn nicht lesen. Als sie die Brille abnimmt und ins Buch legt, steht das Bild vor ihren Augen. Die Sterne leuchten am klaren Nachthimmel, sie bewegen sich und kommen ihr näher. Es werden immer mehr Sterne, sie fliegt ihnen entgegen, schneller und immer schneller. Die Sterne rücken zusammen, sie verschmelzen zu einer riesigen Helligkeit.
Mitten aus diesem gleißenden, funkelnden Sternenmeer kommt etwas auf sie zu, ein großer Brocken, ein schwarzer Klumpen. Schorsch? sie will ihn fragen, ob er den Brocken sieht. Franziska braucht ihn nicht zu rufen, sie ist bei ihm.
Marianne klopft an die Tür und tritt ins Zimmer. Sie will zu Franziska eilen, hält jedoch inne und tritt behutsam zum Rollstuhl. Sie drückt Franziska die Augen zu und legt ihre Hände übereinander. Der Brockhaus liegt aufgeschlagen auf dem Bett; Marianne liest den Abschnitt unter der Brille, ‚Komet, Schweifstern, als nebliger Fleck in Erscheinung tretender Himmelskörper‘. Sie wird jetzt den Arzt anrufen und danach den Franz.