Der Kommissar und der Teufel von Port Blanc - Maria Dries - E-Book
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Der Kommissar und der Teufel von Port Blanc E-Book

Maria Dries

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Beschreibung

Monsieur le Commissaire und die verschwundenen Mädchen.

Bei Sanierungsarbeiten in einer alten Abtei entdecken die Arbeiter hinter einer Mauer vier Frauenskelette. Bei einer der Leichen wird ein Medaillon gefunden – darin ein Foto von Caroline Vernier, deren Enkelin vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist. Nachdem ein Privatdetektiv, der den Fall bearbeitet, sich das Leben nimmt, soll Philippe Lagarde die Ermittlungen leiten. Ihm wird der Polizist Jacques Bayrou zur Seite gestellt. Doch der zeigt ein ungewöhnliches Interesse an dem Fall, und bald ist Lagarde nicht mehr sicher, ob er ihm trauen kann ...

Ermittlungen vor atemberaubender Kulisse, voller Savoir-Vivre und französischer Cuisine.

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Seitenzahl: 249

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Über das Buch

Bei Sanierungsarbeiten in einer alten Abtei entdecken die Arbeiter hinter einer Mauer vier Frauenskelette. Bei einer der Leichen wird ein Medaillon gefunden – darin ein Foto von Caroline Vernier, deren Enkelin vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist. Nachdem ein Privatdetektiv, der den Fall bearbeitet, sich das Leben nimmt, soll Philippe Lagarde die Ermittlungen leiten. Ihm wird der Polizist Jacques Bayrou zur Seite gestellt. Doch der zeigt ein ungewöhnliches Interesse an dem Fall, und bald ist Lagarde nicht mehr sicher, ob er ihm trauen kann ...

Über Maria Dries

Maria Dries wurde in Erlangen geboren und hat Sozialpädagogik und Betriebswirtschaftslehre studiert. Heute lebt sie in der Fränkischen Schweiz. Schon seit vielen Jahren verbringt sie die Sommer in Frankreich.

Im Aufbau Taschenbuch sind bisher erschienen: Der Kommissar von Barfleur, Die schöne Tote von Barfleur, Der Kommissar und der Orden von Mont-Saint-Michel, Der Kommissar und der Mörder vom Cap de la Hague, Der Kommissar und der Tote von Gonneville, Der Kommissar und die Morde von Verdon, Der Kommissar und die verschwundenen Frauen von Barneville, Der Kommissar und das Rätsel von Biscarrosse, Der Kommissar und das Biest von Marcouf, Der Kommissar und die Toten von der Loire, Der Kommissar und die Tote von Saint-Georges und Das Grab im Médoc.

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Maria Dries

Der Kommissar und der Teufel von Port Blanc

Philippe Lagarde ermittelt

Kriminalroman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Der Feind

Côte du Goëlo, nördliche Bretagne

Erster Tag – Die Abbaye de Beauport

Zweiter Tag – Tréguier

Barfleur, Basse-Normandie

Dritter Tag – Grand Hotel

Vierter Tag – Die unterirdische Kammer

Fünfter Tag – Sept-Îles

Sechster Tag – Saint-André

Siebter Tag – Der Psychologe

Achter Tag – Die Hütte im Schilf

Neunter Tag – Der Teufel von Port Blanc

Zehnter Tag – Das Grab am Jaudy

Vier Tage später – Barfleur, Basse-Normandie

Impressum

Für Stefan

Der Feind

Mein Kinderland war voll Gewittertagen,

Nur selten hat die Sonne mich gestreift,

Und so viel Blüten hat der Blitz zerschlagen,

Dass wenig Früchte nur mein Garten reift.

Nun kommt der Herbst, – ich muss zur Harke greifen,

Die Erde sammeln, die verwüstet schlief,

In die der Regen Risse grub und Streifen

Und manche Höhle wie ein Grab so tief.

Charles Baudelaire

»Die Blumen des Bösen«

»Les Fleurs du Mal«

Côte du Goëlo, nördliche Bretagne

Die Côte du Goëlo, im Département Côtes-d’Armor, liegt am Ärmelkanal und ist mit ihren langen Steilküsten, gewaltigen Klippen und imposanten Felsen dem Spiel der Gezeiten und der wilden Brandung ausgesetzt.

Im pittoresken Fischerstädtchen Paimpol ducken sich am Quai Morand zwischen Crêperien und Cafés alte Reederhäuser. Bis 1935 lebten die Bewohner vom Kabeljaufang vor Island und Neufundland. Der Handel blühte. Im Schornstein aus roten Ziegeln im Hafen wurden Tonnen von Fisch getrocknet.

Perdu en mer – »im Meer verschollen« – verkünden die Grabtafeln in den Friedhofsmauern. Mehr als zweitausend Männer ließen beim Fischfang auf hoher See ihr Leben, und manche Frau hielt am Witwenkreuz sehnsüchtig und oftmals vergebens Ausschau nach ihrem Liebsten.

Im Dorf Kérity im Herzen der Bucht von Paimpol liegt die Abbaye de Beauport. Schon der Name verweist auf die außergewöhnlich schöne Lage direkt am Meer inmitten von Apfelbäumen, aus deren uralten Sorten Cidre hergestellt wird.

Von der Bucht aus hat man einen herrlichen Blick auf die benachbarten Inseln und das Leuchtfeuer von Minard. Die Abtei war ein Zentrum des Seehandels und ein Ausgangspunkt für die Pilgerschaft nach Santiago de Compostela. Heute blühen in der Kirchenruine unter freiem Himmel Rosen und Hortensien, während zwischen den elegant geschwungenen Bögen ungestört Schwalben und Fledermäuse leben. Besonders im Herbst erstrahlt die Patina des gotischen Glanzes, und man fühlt sich hier dem Paradies ganz nah.

Jedoch herrscht unter der Bevölkerung des Dorfs sowie des gesamten Landstriches der unausrottbare Glaube, dass die Abbaye ein düsteres Geheimnis berge.

Erster Tag Die Abbaye de Beauport

Das Ehepaar Jean-Charles und Laurence Le Gal wohnte in einer Fischerkate am nördlichen Rand von Paimpol in der Nähe der kleinen Straße, die zu der Arcouest-Landzunge führte. Dort legten die Schiffe ab, die die Inselgruppe Bréhat ansteuern wollten. Obwohl man leicht dorthin gelangte, barg das umgebende Meer einige Gefahren.

Das geduckte Reetdachhaus aus grauem Granitstein mit massigen Kaminzügen, die den First überragten, hatte leuchtend grüne Türen und Fenster. Der Vorgarten glich einem Pflanzenparadies, in dem die bretonische Nationalpflanze, die Hortensie, dominierte. Eine alte knorrige Tamariske, deren Rispenzweige vom stürmischen Westwind durchgeschüttelt wurden, erhob sich im Garten.

Jean-Charles war zweiundsechzig Jahre alt und hatte, solange er denken konnte, sein Brot mit der Küstenfischerei verdient. Er war klein, dürr und zäh, sein Gesicht vom Wetter gegerbt, und die grauen Haare begannen sich zu lichten. Vor einem Jahr hatte er sich aufgrund gesundheitlicher Probleme entschieden, in den Ruhestand zu gehen, fuhr jedoch fast jeden Tag mit seinem Boot aufs Meer hinaus, um zu angeln. Er liebte die raue See, den Geruch nach Fisch und Tang, die Weite und die Einsamkeit. Sein Leben verlief im Rhythmus der Gezeiten.

Laurence war früher in der ortsansässigen Fischfabrik beschäftigt gewesen und hatte sich nach dem dritten Kind entschlossen, ausschließlich Hausfrau und Mutter zu sein. In dieser Aufgabe war sie aufgegangen. Inzwischen waren die Kinder aus dem Haus, und sie beschäftigte sich mit Kochen, Backen, der Gartenarbeit und strickte Pullover für ihren Mann und die Enkelkinder. Sie war engagiertes Mitglied im örtlichen Kirchenchor und versäumte nie eine Probe. Im Gegensatz zu ihrem Mann war sie korpulent und mit den Jahren behäbig geworden. Sie hatte ein freundliches Gesicht mit rosigen runden Wangen und trug die Haare zu einem Dutt hochgesteckt.

An diesem nebligen Novembermorgen hatte sie eine Kittelschürze übergezogen, den Holzofen angeschürt und den Hund in den Garten gelassen. Hugo, ein verspielter Riesenschnauzer, hatte sich über das Trockenfutter hergemacht und lag jetzt zufrieden in seinem Korb neben dem Ofen und döste, während Laurence das Frühstück zubereitete.

Sie saß mit Jean-Charles am Küchentisch, aß die dritte Crêpe, dick bestrichen mit gesalzener Karamellcreme, crème de caramel au beurre salé, und sah dabei stirnrunzelnd aus dem Fenster, an dessen Scheibe unablässig Wasserschlieren hinabflossen. Im Garten peitschte der Wind die Regentropfen fast waagrecht vor sich her.

»Willst du bei diesem Wetter wirklich zur Abbaye hinausfahren?«, fragte sie ihren Mann.

»Aber ja«, antwortete er. »Ich bin mit Michel und Paul in der Bar-Tabac am Fischerhafen verabredet.« Er warf einen Blick auf die Küchenuhr. »In einer halben Stunde treffen wir uns. Ich trinke noch einen café au lait, dann muss ich los.«

Vor einigen Monaten hatte sich in Paimpol ein Verein zur Sanierung und Unterhaltung der Abbaye de Beauport gegründet. Federführend war Michel, ein Architekt im Ruhestand, der historische Monumente liebte und sich für ihren Erhalt einsetzte. Inzwischen war es ihm gelungen, eine stattliche Summe an Fördergeldern zu akquirieren, so dass die Restaurierungsarbeiten beginnen konnten. Das denkmalgeschützte Gebäude beherbergte Ausstellungen und war eine faszinierende Naturbühne für Theateraufführungen, Konzerte und artistische Darbietungen. Wenn es in der Adventszeit weihnachtlich geschmückt war, wähnte man sich in einer Märchenkulisse. Michel hatte Jean-Charles für das Projekt begeistern können, ebenso Paul, einen selbstständigen Maurermeister. Die drei Männer waren Gründungsmitglieder des Vereins gewesen, und etliche engagierte Bürger hatten sich ihnen angeschlossen. Die örtliche Presse war ganz auf ihrer Seite und veröffentlichte regelmäßig Zeitungsartikel mit Fotos.

Der Fischer erhob sich.

»Bis heute Nachmittag, ma chérie, mal sehen, was wir bei diesem Wetter ausrichten können.«

»Soll ich dir belegte Baguettes und eine Thermoskanne Tee machen?«

Er überlegte kurz. »Nein danke, im Weiler Kérity gibt es ein hübsches Bistro, vielleicht essen wir dort zu Mittag eine Kleinigkeit.«

Jean-Charles stieß einen leisen Pfiff aus und forderte Hugo auf, ihn zu begleiten. »Auf geht’s, mein Großer.«

Der wasserscheue Schnauzer sah kurz auf, warf einen Blick aus dem Fenster, gähnte, legte den Kopf auf die Pfoten und schloss die Augen.

»D’accord, dann eben nicht.«

»Vergiss dein Regencape nicht«, ermahnte Laurence ihn.

Jean-Charles legte die Strecke zum Fischerhafen mit seinem altersschwachen flaschengrünen Peugeot in wenigen Minuten zurück. Die Scheibenwischer kämpften gegen die Regenflut. Er fuhr an seinem Boot »Laurence III« vorbei, das am Anleger vertäut war und auf dem unruhigen Wasser schaukelte. An der Kaimauer spritzte Gischt hoch.

Gleich neben der Bar-Tabac »Chez Claudette« fand er einen Parkplatz. Er zog die Kapuze über den Kopf und lief los. Die Markise des Lokals war aufgerollt, und die Bistrotische und Stühle, die normalerweise auf dem Platz verteilt standen, waren verschwunden. Claudette hatte sich auf die kalte stürmische Jahreszeit eingestellt.

Angenehme Wärme schlug ihm entgegen, als er die Bar betrat, seine Brille beschlug, und er nahm sie ab. Alle Barhocker am ausladenden Mahagonitresen waren besetzt. Stimmengewirr drang durch den Raum, vereinzelt war Lachen zu hören. Claudette, eine resolute vollschlanke Frau um die fünfzig, die am liebsten kurze Röcke trug, winkte ihm zu. Gerade war sie damit beschäftigt, Bier zu zapfen. Jean-Charles fand seine Freunde im hinteren Teil des Lokals, wo sie an einem Bistrotisch neben dem Zeitungsständer saßen. Beide hatten ein Wasserglas mit Rotwein vor sich stehen. Am Nebentisch saßen drei Männer und eine Frau, die lautstark diskutierten. Es ging um die geplante Rentenkürzung der Regierung Macron, und die Gemüter waren erhitzt. Man rechnete mit landesweiten Streiks bis Weihnachten und womöglich darüber hinaus, zu Recht, da waren sich alle einig.

Der Fischer begrüßte Michel und Paul und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Claudette brachte ihm unaufgefordert ein Achtel Rotwein, den er immer um diese Zeit trank. Dazu servierte sie einen Korb mit gerösteten Baguettescheiben und eine Schale mit Ziegenkäsecreme und schwarzen Oliven.

»Ein schlechteres Wetter hättet ihr euch nicht aussuchen können«, meinte Paul. Der Maurermeister war groß, stämmig und trug einen gepflegten Schnauzbart. Auf seinem Kopf saß schief eine Baskenmütze.

»Wir machen uns nur ein Bild vor Ort, jetzt, wo wir endlich Fördermittel bekommen haben«, erwiderte Michel, ein schlanker Mann mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren, dessen Augen vor Tatendrang glänzten. »Das weitere Vorgehen will akribisch geplant sein. Wie ihr wisst, muss für jeden staatlichen Cent ein Verwendungsnachweis vorgelegt werden.«

»Es ist schon in Ordnung, Michel. Durch meinen Beruf bin ich häufig bei Wind und Wetter draußen, das macht mir nichts aus.«

»Mir auch nicht«, fügte Jean-Charles mit einem Lächeln hinzu. »Ich freue mich, dass es endlich losgehen kann.«

Nachdem sie ausgetrunken und sich von Claudette verabschiedet hatten, fuhren sie mit Pauls Kastenwagen über die Küstenstraße drei Kilometer in südlicher Richtung nach Kérity. Sie durchquerten den winzigen Ort, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein schien, fuhren ein Stück auf einem Schotterweg durch einen Buchenwald und erreichten schließlich den Parkplatz der Abtei. Dort stand kein einziges Fahrzeug, da die Klosteranlage wegen Ruhetag geschlossen war und aufgrund des schlechten Wetters sowieso keine Besucher unterwegs waren. Die Vereinsmitglieder hatten die Erlaubnis, mit einem Fahrzeug auf das Areal zu fahren. Nach wenigen Metern erreichten sie einen der Eingänge der Anlage, einen breiten Mauerdurchlass, der mit kompakten Pfeilern abgeschlossen war. Davor stand ein überdachter mittelalterlicher Brunnen, an dessen Querbalken ein Eimer mit einer rostigen Kette befestigt war. Wenn man einen Stein hineinwarf, dauerte es mehrere Sekunden bis zum Aufprall.

Vor ihnen lag der zur Landseite hin ausgerichtete Garten mit verstreut platzierten Buchsbaumkugeln, dahinter erhob sich majestätisch das sakrale Bauwerk. In seiner Mitte gruppierten sich die Klostergebäude mit dem Kapitelsaal, dem Refektorium, dem Vorratskeller und der Pilgerherberge. Rechter Hand stand die Kirchenruine, die durch den Kreuzgang mit dem ersten Empfangssaal verbunden wurde. Links neben dem Haupthaus befand sich der ehemalige Kräuter- und Gemüsegarten, dahinter der Friedhof. Die beiden offenen Portale der Kirchenruine gaben den Blick auf die Meerseite der Abtei frei. Dort lag der Apfelgarten, und an der Einfriedungsmauer wuchsen Hortensienbüsche dicht an dicht. Jenseits der Mauer breitete sich die bleigraue, schäumende See aus, deren Wogen an die Felsen am Ufer klatschten. Der Strand war menschenleer, nicht einmal ein Spaziergänger mit seinem Hund war unterwegs. Strandhafer bog sich im Wind, und ein Segelschiff nahm Kurs auf die Küste. Über die Szenerie zogen schwarze Wolken, am Himmel kreischten Möwen.

Paul stellte sein Auto vor dem westlichen Eingang des Kreuzganges ab. Die Männer stiegen aus und suchten schnell Zuflucht unter einem steinernen Bogen. Dieser Teil des Kreuzganges bestand aus mehreren zweistöckigen Bogenkonstruktionen, die durch filigran anmutende Säulen gestützt wurden. Verbunden waren sie durch marodes Mauerwerk, das von Ginster, Flechten und Farnen überwuchert war. Das Granitsteindach war teilweise eingestürzt.

Michel zeigte auf eine Säule. »Seht ihr das? Sie ist abgesackt und das Stützwerk dahinter auch.«

Jean-Charles und Paul nickten, die Schieflage war unverkennbar, und es war klar, dass sie etwas unternehmen mussten, um den Verfall zu stoppen. Ansonsten würde der Kreuzgang eines Tages zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

»Ich schlage vor, dass wir ein statisches Gutachten in Auftrag geben und dann die erforderlichen Schritte festlegen«, sagte Michel.

»Aber nachdem wir schon einmal hier sind, möchte ich mir das Fundament der abgesackten Säule ansehen. Ich will wissen, in welchem Zustand es ist. Womöglich gibt es einen unterirdischen Wasserlauf, der Sand und Geröll aufweicht. In diesem Fall müssten wir versuchen, den Untergrund mit einer Drainage trockenzulegen.«

Paul nickte. »Das kommt bei Bauten so nahe am Meer häufiger vor. Ich hole Spaten aus dem Wagen, damit können wir die Erde um den Sockel entfernen und uns ein erstes Bild verschaffen.«

Jean-Charles blickte skeptisch auf das marode Dach und die darunter liegenden Spitzbögen. »Und wenn sich Steine lösen und herunterfallen?«

»Aber nein«, beruhigte ihn Michel. »So schnell geht das nicht. Das Bauwerk steht seit achthundert Jahren an dieser Stelle und hat Kriege, Kreuzzüge, Orkane und Sturmfluten überstanden. So schnell stürzt das nicht ein, keine Angst.«

Diese Erklärung beruhigte den Fischer. »Gut, dann lasst uns graben. Zum Glück ist das Dach an dieser Stelle noch vorhanden und gibt ein wenig Schutz vor dem Regen. Sonst wären wir innerhalb von Sekunden völlig durchnässt.«

Paul kam zurück und drückte jedem seiner Freunde einen Spaten in die Hand. »Legen wir den Sockel frei.«

Schweigend gruben sie, jeder an einer Seite des Fundaments. Auf der vierten Seite erhob sich die Mauer. Der Boden war fest und unnachgiebig. Nach einer halben Stunde hatten sie ungefähr fünfzehn Zentimeter freigelegt. Trotz der Kälte und des Windes, der durch die Bögen pfiff, gerieten sie ins Schwitzen, und Jean-Charles bereute es, keine Getränke mitgenommen zu haben.

Michel begutachtete das Mauerwerk. »Es macht einen soliden Eindruck«, stellte er fest.

Paul grub dicht an der Mauer. Energisch schob er Ginsterzweige zur Seite und klemmte sie hinter einen Sims, um besser arbeiten zu können. Plötzlich stutzte er und besah sich die geschichteten Steine genauer. Sie waren nicht fest vermauert, sondern saßen lose aufeinander, manche waren nur oberflächlich verfugt. Ihre Farben waren um feine Nuancen heller als die anderen Mauersteine. Er wandte sich an die beiden Männer.

»Seht euch das mal an, das sieht aus, als wäre unter dem Gestrüpp eine Öffnung verschlossen worden.«

Michel kam zu ihm und betrachtete die Entdeckung. »Das ist merkwürdig, was könnte sich dahinter befinden?«

»Finden wir es heraus«, antwortete Paul.

Er holte eine Flachspitzhacke und eine Taschenlampe aus dem Auto und begann die obersten Steine zu lockern und sie herauszuziehen. Michel und Jean-Charles halfen ihm und stapelten die Granitsteine neben der Säule.

Schon bald lag eine düstere Höhlung vor ihnen. Im unteren Bereich der rechten Mauer steckten die Überreste eines verrosteten Scharniers. Unentschlossen standen sie davor.

»Wir gehen rein und sehen uns um«, entschied Michel.

Paul schaltete die Lampe ein und stieg vorsichtig durch die Öffnung. Seine Freunde folgten ihm. Der Lichtschein wanderte über die feuchten, moosüberwachsenen Wände eines rechteckigen, niedrigen Raumes, zu dessen Grund vier steinerne Treppenstufen führten. Hintereinander stiegen sie hinab. Genau in der Mitte befand sich ein rundes Loch. Paul leuchtete hinein und stellte fest, dass es einige Meter in die Tiefe ging. Darunter schien sich noch eine Kammer mit einem Sandboden zu befinden. »Was ist das, mon Dieu?«, fragte er. »Es gibt weder eine Leiter noch einen Strick.«

Michel spähte hinein. »Es sieht aus wie ein Verlies«, mutmaßte er.

»Im Mittelalter gab es barbarische Strafen. Auf dem Mont-Saint-Michel beispielsweise hat man Menschen in enge Käfige gesperrt und diese an die äußere Mauer gehängt, ganz weit oben. Sie konnten sich kaum bewegen, waren schutzlos dem Wetter ausgesetzt und bekamen Abfälle zu essen. Alle sind innerhalb weniger Tage verrückt geworden. Ihre Schreie hörte man weit über den Klosterberg hinaus. Gerade für Ehebrecher und Ketzer war diese Art Strafe sehr beliebt.«

Der Fischer schauderte, solche Geschichten mochte er nicht. »Du meinst, man hat Menschen in dieses Loch gestoßen?«

»Ja, wäre doch denkbar. Man überließ sie ihrem Schicksal, und sie hatten keine Chance, ohne Hilfe wieder herauszukommen.«

Paul starrte weiterhin angestrengt in das Loch und leuchtete es Zentimeter um Zentimeter aus. Auf einmal sog er scharf die Luft ein, so dass seine Begleiter ihn fragend ansahen.

»Was ist denn los?«, wollte Michel wissen.

»Da ist etwas, auf dem Boden des Kellers …«

»Was ist es?«

»Da unten liegt ein Schädel.«

»Von einem Tier?«

»Nein, ich glaube, das ist ein menschlicher Schädel.«

Die Gendarmerie von Paimpol lag in der Nähe der Fischfabrik und war im Erdgeschoss eines ehemaligen Reederhauses untergebracht. Mit den weißen Sprossenfenstern zu dem roten Mauerwerk aus Ziegelsteinen sah es fast idyllisch aus.

Die diensthabenden Gendarmen Juliette Berthier und Nicolas Millot waren gerade von einem Einsatz zurückgekommen und hängten ihre nassen Uniformjacken an der Garderobe auf. Die beiden jungen Polizisten waren ein gutes Team und verstanden sich auch privat. Manch einer hielt sie aufgrund ihrer hellen Haare, der graugrünen Augen und der feinen Gesichtszüge für Geschwister.

Sie tauschten sich schmunzelnd über ihren Einsatz aus. Ein deutsches Ehepaar hatte sich und sein Segelboot vor dem stürmischen Wetter im Hafen von Paimpol in Sicherheit gebracht und ausgerechnet an der signalroten Boje des Fischers Ernest angelegt. Als der kauzige Mann kurz darauf sein Boot dort vertäuen wollte, war ein erbitterter Streit ausgebrochen. Die Situation eskalierte, und der Hafenmeister holte die Polizei. Die Gendarmen sprachen ein Machtwort, und das Ehepaar wechselte schließlich den Platz. Ernest machte sich grummelnd auf den Weg zu »Chez Claudette«, um bei einem Glas Wein im Kreis der anderen Fischer über diese Unverfrorenheit zu berichten.

Gerade als Millot frischen Kaffee aufsetzen wollte, klingelte das Telefon. Er unterbrach seine Tätigkeit und nahm das Gespräch entgegen. Es war Michel, der Vorsitzende des Vereins zur Sanierung und Unterhaltung der Abbaye de Beauport.

»Salut, Nicolas. Ich bin gerade mit Paul und Jean-Charles im Kreuzgang der Abtei. Wir haben eine merkwürdige Entdeckung gemacht. Könnt ihr schnell kommen?«

Der Gendarm runzelte die Stirn. »Was habt ihr entdeckt?«

»In einer unterirdischen Kammer liegt ein Schädel.«

»Ein Schädel?«

»Ja, wir denken, dass er einem Menschen gehörte. Das müsst ihr euch ansehen.«

»D’accord, wir sind schon unterwegs.«

Auf der Fahrt nach Kérity informierte er seine Kollegin über die Entdeckung der Männer. Berthier schüttelte ungläubig den Kopf. »Der Friedhof befindet sich doch auf der anderen Seite des Klosters. Sonderbar!«

Millot parkte neben Pauls Kastenwagen, und sie stiegen aus. Die Männer warteten unter dem Eingangsbogen des Kreuzganges auf sie. Nachdem sie sich begrüßt hatten, führten sie die Gendarmen durch den Zugang und über die Treppe zu dem Loch. Paul leuchtete erneut hinein, bis sich der Lichtkegel auf den Schädel richtete. Er wirkte fahl und mit seinen dunklen Augenhöhlen unheimlich. »Dort liegt er«, sagte er. »Könnt ihr ihn sehen?«

Die Gendarmen nickten, es war der Kopf eines menschlichen Skeletts, zweifellos.

Berthier schaute ihren Kollegen nachdenklich an. »Sollen wir die Feuerwehr rufen? Wir brauchen eine Leiter.«

Millot überlegte. Mit einer solchen Situation war er noch nie konfrontiert worden. »Wir können da nicht einfach runter, Juliette. Es könnten alte Gebeine sein, die für Archäologen einen unschätzbaren Wert darstellen. Oder es handelt sich um einen Tatort.«

Michel sah ihn entsetzt an. »Einen Tatort?«

»Ja, es ist natürlich unwahrscheinlich, aber wir können es nicht ausschließen. Wir benachrichtigen die police judiciaire in Tréguier, die Kollegen müssen kommen und die Spurensicherung mitbringen.«

Berthier war ganz seiner Meinung. »Ich rufe in Tréguier an. Bis die Kollegen eintreffen, sichern wir die Fundstelle mit Absperrbändern.«

»Was ist mit uns?«, wollte Paul wissen. »Können wir gehen? Ihr wisst doch, wo wir wohnen, falls noch Fragen auftauchen.«

»Nein, das geht auf gar keinen Fall. Ihr müsst bis zum Eintreffen der Kripo hierbleiben«, entschied Millot. »Schließlich habt ihr den Schädel entdeckt.«

»Kann ich wenigstens schnell zum Bistro fahren und heißen Kaffee holen? Es ist verdammt kalt hier.«

Der Gendarm nickte. »Das ist in Ordnung. Bring uns bitte auch welchen mit und ein paar madeleines. Wer weiß, wie lange wir warten müssen.«

Der Maurermeister rückte seine Baskenmütze zurecht. »Wird gemacht. Bis gleich.« Er stieg in sein Auto, und bald waren nur noch die Rücklichter im Sprühregen zu sehen.

Die ehemalige Bischofsstadt Tréguier mit den engen Kopfsteinpflastergassen und den Granithäusern, deren kunstvolles Fachwerk ochsenblutrot, himmelblau oder maigrün lackiert war, lag am Fluss Jaudy und verfügte über einen kleinen Hafen. Der Glockenturm der berühmten Kathedrale St.-Tugdual stimmte alle fünfzehn Minuten ein Loblied auf den heiligen Saint Yves an, den Schutzpatron der Armen und der Juristen.

Die police judiciaire befand sich an der Place du Martray in einem Haus mit ockerfarbener Fassade und nussbraunem Fachwerk. Auf diesem Platz wurde jeden Mittwoch der Bauernmarkt veranstaltet, der sich bis zu den Quais erstreckte. In dem urigen Haus nebenan war das Restaurant »Auberge du Trégor« untergebracht. Dort bestand das kulinarische Angebot hauptsächlich aus Fisch und Meeresfrüchten, und die Spezialität des Hauses war Choucroute de la Mer, Sauerkraut nach Seemannsart.

Jacques-Pierre Bayrou saß an seinem Schreibtisch und beobachtete durch ein Fenster, wie der böige Wind Blätter von einem Ahornbaum riss. Die Zweige kratzten an der Glasscheibe. Der Kommissar war erst neunundzwanzig Jahre alt, groß und schlank. Die welligen dunkelblonden Haare fielen ihm in die Stirn und bedeckten die Ohren. Seine Gesichtszüge waren weich und sympathisch, die Augen von einem fast pastelligen Blau. Seine Ausbildung zum Kommissar hatte er in Saint-Brieuc absolviert und war dort der Star der Rugbymannschaft gewesen. Jetzt spielte er im Team von Tréguier. Vor einem Jahr hatte er hier seine erste Stelle angetreten, und er mochte das pittoreske Städtchen und seine freundlichen Einwohner. Vor seiner Polizeilaufbahn hatte er eine Lehre als Zimmermann gemacht, da er gerne mit den Händen arbeitete.

Er richtete die Aufmerksamkeit auf seinen Kollegen Mathieu Lias, einen kleinen dicken Mann mit Stirnglatze, und sah zu, wie er den letzten Karton mit seinen privaten Habseligkeiten füllte. Heute war sein letzter Arbeitstag. Vor Kurzem war er sechzig Jahre alt geworden, und er ging mit einem lachenden und einem weinenden Auge in den Ruhestand. Energisch verschloss er den Karton und lächelte Bayrou an.

»Ich bin fertig, das war es jetzt. Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn es plötzlich ernst wird. So von einem Tag auf den anderen.«

»Du kannst mich ja besuchen, wenn du Sehnsucht nach der Polizeiarbeit hast.«

»Mal sehen, meine Frau hat sich schon etliche Arbeiten für mich ausgedacht. Ich soll den Salon streichen, den Dachboden aufräumen, die Terrasse neu fliesen und so weiter und so fort. Wahrscheinlich werde ich auch einer von diesen Rentnern, die nie Zeit haben.« Er lachte. »Am meisten freue ich mich darauf, dass ich angeln gehen kann, sooft ich Lust habe.«

»Wir müssen noch eine Übergabe machen.«

»Wozu? Ein aktueller Fall steht nicht an, es ist ruhig zurzeit. Außerdem hast du dich gut eingearbeitet, du wirst zurechtkommen.«

»Du hast recht. Und in drei Wochen tritt ja schon die neue Kollegin ihren Dienst an.«

»Wenn sie bis dahin wieder gesund ist.«

»Bestimmt.«

»Wenn du vorher Unterstützung brauchst, wende dich an die Kollegen in Lannion, die sind in Ordnung.«

»Das werde ich tun.« Bayrou sah seinen Kollegen ernst an. »Eine Frage habe ich, es interessiert mich einfach. Welches Resümee ziehst du nach deiner langen Dienstzeit?«

Mathieu brauchte nicht lange zu überlegen. »Es war im Großen und Ganzen eine gute Zeit, ich war gerne Polizist. Mein Highlight war die Aufklärung des Mordes an der alten Virginie, die man tot in ihrer Badewanne gefunden hat. Eibengift! Das war eine harte Nuss.«

Seine Miene verdüsterte sich. »Mein Waterloo war die Sache mit den verschwundenen Mädchen. Diese Fälle konnte ich nie aufklären. Die Presse hat mich regelmäßig als Versager vorgeführt und mich als Sündenbock auserwählt. Das war eine schwere Zeit.«

»Ja, ich weiß, du hast manchmal davon erzählt. Aber du konntest nichts dafür, nicht alle Fälle werden aufgeklärt, nirgendwo. Das ist leider so.«

Mathieu legte die Hand auf sein Herz, sein trauriger Blick schweifte ab. »Ich träume ehrlich gesagt immer noch davon. Ich sehe grauenvolle Bilder und höre verzweifelte Schreie …«

»Am besten versuchst du, die ganze Geschichte zu vergessen und mit deiner Familie den Ruhestand zu genießen.«

»Das werde ich machen. Denk an die Abschiedsfeier heute Abend in der Auberge du Trégor. Wir treffen uns um zwanzig Uhr und machen einen drauf.«

»Ich werde da sein. Bis später, Mathieu.«

Das Telefon klingelte. Gewohnheitsmäßig warf sein Kollege einen Blick auf die Nummer auf dem Display. »Die Gendarmerie von Paimpol«, stellte er grinsend fest. »Sie rufen immer hier an, wenn sie ein Problem haben. Also bis dann, Jacques-Pierre.«

»Bis dann.« Der junge Commissaire griff nach dem Hörer.

Die freiwillige Feuerwehr von Paimpol traf als Erstes am Kreuzgang ein. Kurz darauf folgte der Rüstwagen, der mit Werkzeugen und Spezialgeräten ausgestattet war. Gemeinsam mit den Gendarmen und den Mitgliedern des Vereins warteten die Männer auf den Commissaire aus Tréguier, der eine halbe Stunde später mit einem Team der Spurensicherung eintraf. Nachdem Bayrou sich vorgestellt und seinen Dienstausweis gezeigt hatte, befragte er Jean-Charles, Paul und Michel. Bald darauf durften sie gehen.

Nach einer kurzen Lagebesprechung beschlossen sie, dass die Feuerwehrleute den Raum mit der runden Öffnung im Boden ausleuchten und dann eine Rettungsleiter in das Loch bis kurz vor den Sandboden hinablassen sollten. Sie hofften, auf diese Weise keine Spuren in der unterirdischen Kammer zu zerstören. Am Karabinerhaken, der am oberen Ende mit der Leiter verbunden war, wurde eine schwere Gliederkette befestigt, die um einen soliden Granitblock gelegt und gesichert wurde. Daraufhin stiegen Polizeitechniker und Bayrou, der einen weißen Schutzanzug übergezogen hatte, hinunter in den unterirdischen Raum. Bei jedem Schritt auf den wackeligen Sprossen wurde es kühler, und ein Luftzug war zu spüren. Der Commissaire fragte sich, was ihn da unten wohl erwartete.

Strahler wurden aufgebaut und erleuchteten den Keller bis in den letzten Winkel mit einem kalten weißen Licht. Die Form des Raumes erinnerte an eine Schildkröte. Die Grundfläche war ungefähr vier auf drei Meter groß, und die gewölbte steinerne Decke bildete den Panzer des Tiers. Auf einer Seite befand sich eine Höhlung. Die Wände schimmerten dunkel und waren bis auf einige Furchen und Vorsprünge glatt. Dünne Rinnsale bewegten sich wie Schlangen über den Fels. Ein Moosbett glänzte im Schein einer Lampe giftgrün, die Decke darüber glitzerte purpurrot.

Bayrou ging in die Hocke, zog einen Handschuh aus und berührte den Sandboden. Er war ein wenig feucht. Er wunderte sich, dass die Luft hier unten so frisch roch und leicht nach Seetang. Irgendwo mussten sich Luftschächte befinden. Ein fernes Rauschen war ganz leise zu vernehmen.

Die Polizeifotografin griff nach ihrer Kamera und fotografierte den Schädel, neben den ein Polizist ein Schild mit der Nummer eins aufgestellt hatte, aus verschiedenen Perspektiven.

»Wie sollen wir vorgehen?«, fragte Brigitte, die Chefin der Spurensicherung, eine attraktive rothaarige Frau, der sogar die Schutzhaube stand.

Bayrou sah sie mit ernster Miene an. »Wir müssen in Erwägung ziehen, dass hier mehr Gebeine liegen, nicht nur der Schädel.«

»Du meinst das vollständige Skelett?«

»Ja.«

Stirnrunzelnd ließ sie den Blick über den Boden gleiten. »Das ist durchaus möglich. Ich glaube, dass der Sandboden sich immer wieder verändert. Von irgendwoher könnte Meerwasser eindringen und Sandkörner sowie zerriebene Muschelschalen hereinspülen.«

Bayrou folgte ihrem Blick. »Du könntest recht haben.«

Vorsichtig begann er mit einer Hand im Sand zu graben. Als er einen festen Gegenstand ertastete, stellten sich seine Armhärchen auf, und er fragte sich, ob seine Vermutung sich bestätigte. Er schob vorsichtig den Sand über dem Gegenstand weg. Es war eine Rippe, die er entdeckt hatte, und er legte nach und nach mit behutsamen Handgriffen einen Brustkorb frei.

»Okay.« Der Commissaire richtete sich auf. »Wir müssen Schicht um Schicht entfernen, mit kleinen Werkzeugen, damit nichts beschädigt oder gar zerstört wird.«

»Am besten, wir machen Planquadrate und teilen uns auf. Auf diese Weise können wir mehrere Flächen gleichzeitig untersuchen«, entschied Brigitte und erteilte präzise Anweisungen. »Wenn es erforderlich ist, arbeiten wir mit feinmaschigen Sieben.«

Die Techniker machten sich an die Arbeit, und der Commissaire beobachtete, zurückgezogen an die Stelle neben der Leiter, um nicht im Weg zu stehen oder Spuren zu zerstören, fasziniert, wie Schicht um Schicht abgetragen wurde und dabei allmählich immer mehr Knochen in unterschiedlichen Größen und Formen zum Vorschein kamen. Zweimal kletterte er hinauf und berichtete, was in der Kammer vor sich ging und was sie bisher gefunden hatten. Dabei bekam er einen heißen Tee. Die Polizeitechniker wechselten sich ab, um sich kurz an einem Heizpilz aufzuwärmen und ebenfalls etwas zu trinken.

Bayrou wollte Berthier und Millot zurück auf die Wache schicken, da ihre Anwesenheit nicht mehr erforderlich war, doch sie wollten unbedingt bei der Bergung der Knochen anwesend sein. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, schließlich waren sie über ihr Funkgerät zu erreichen, falls andere Pflichten riefen.

Während er an seinem Tee nippte, informierte er die Kollegen über den neuesten Stand.

»Die Techniker haben bisher drei Skelette ausgegraben. Ob alle Knochen vollständig vorhanden sind, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist unverkennbar, dass es sich um Menschen handelt. Sie wollten die Suche vorhin schon einstellen, da fand ein Polizist einen weiteren Knochen, wahrscheinlich einen Oberschenkelknochen. Der siebte inzwischen.«

»Vielleicht war da unten vor Hunderten von Jahren eine Begräbnisstätte«, mutmaßte ein Feuerwehrmann.

»Dann könnten noch viel mehr Gebeine dort liegen.«

»Wir werden sehen.«