Der Konzern - Konstanze Serail - E-Book

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Konstanze Serail

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Beschreibung

Die erfahrene Spezialistin und Unternehmensberaterin Anna Stern entwickelt zum Höhepunkt der Weltfinanzkrise im Herbst 2008 das geniale Reformkonzept digitalWorld. Gemeinsam mit ihrer jungen, energischen Fachanwältin, Frau Professor von Schliff, wird Anna von dem mächtigen Vorstandsvorsitzenden eines Großkonzerns persönlich eingeladen, digitalWorld vor den Top-Managern Zwinger und Feist sowie dem Konzernvorstand Dr. von Schach zu präsentieren. Wenige Monate nach Beginn der Verkaufsverhandlungen gelingt es dem gerissenen Top-Manager Zwinger zusammen mit weiteren Vorständen, digitalWorld zu rauben. Die wie eine kriminelle Bande organisierten Täter geben Annas Reformkonzept der Öffentlichkeit gegenüber als eigene bahnbrechende Entwicklung aus. Aufgrund der vorliegenden Beweise erstattet Annas Anwältin bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen drei Konzernvorstände sowie deren Unterstützer. In den Mühlen einer befangenen und parteiischen Justiz - die von Korruption und politischer Einflussnahme gekennzeichnet ist - beginnt ein Kampf David gegen Goliath.

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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Die Einladung

Der Termin

Das Telefonat

Die Präsentation

Der Verdacht

Der Vorstand

Das Exposé

Die Absage

Die Meetings

Die Strafanzeige

Das Verfahren

Die Einstellung

Der Ministerpräsident

Gerechtigkeit

Die Einladung

Am 23. September 2009 erhält Anna Stern, Geschäftsführerin einer kleinen und bis zu diesem Zeitpunkt vollkommen unbekannten Unternehmensberatung, einen überraschenden Anruf ihrer Anwältin, Frau Professor Charlotte von Schliff. Die aufgeregte Anwältin teilt ihrer Mandantin eine überwältigende Neuigkeit mit:

Ich habe soeben eine Mail von dem Vorstandsvorsitzenden Engelbert Dürr erhalten.

Interessiert spitzt Anna die Ohren.

Der Vorstandsvorsitzende interessiert sich für Ihr Reformkonzept digitalWorld und schlägt uns drei Termine mit drei Top-Managern des Versicherungskonzerns vor, erläutert die Anwältin gutgelaunt.

Damit ich digitalWorld präsentieren kann?, fragt Anna und bemerkt, dass ihr vor Aufregung der Schweiß ausbricht.

Ich weiss, dass das alles sehr überraschend kommt, aber eine solche PowerPoint-Präsentation war unser Ziel. Sie werden einen kometenhaften Aufstieg erleben, Anna, denn digitalWorld ist genial und löst mit einem Schlag alle schweren Probleme, unter denen der Versicherer hier in Deutschland seit Jahren leidet.

Die attraktive Anna und ihre energische Anwältin, die erst seit wenigen Monaten eine kleine Kanzlei mit einer überschaubaren Anzahl an Mandanten hat, hatten Ende August 2009 fast zwei Wochen lang an einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden des bekannten Versicherungskonzerns getüftelt und nach stundenlangem Brüten und hitzigen Wortwechseln schließlich ein drei Seiten umfassendes Schreiben versandt.

Wenn jeder meiner Mandanten so lange nachdenken und die Schreiben so oft überarbeiten würde, wie Sie das tun, dann könnte ich meine Kanzlei gleich schließen, macht Frau von Schliff ihrem Ärger Luft.

Wir haben nur einen einzigen Schuss frei und der muss sofort ins Schwarze treffen, erwidert Anna.

Schließlich einigen sich die beiden Frauen darauf, in ihrem Schreiben die zehn gravierendsten Probleme, unter denen das deutsche Versicherungsunternehmen leidet, knapp zu erläutern und die entsprechenden zehn – von Anna entwickelten – Problemlösungen nur knapp anzudeuten, um einerseits die Neugier des mächtigen Vorstandsvorsitzenden zu wecken und andererseits nicht zu viel von dem Inhalt der wertvollen Entwicklungen zu verraten. Außerdem setzt die Anwältin dem Vorstandsvorsitzenden für den Eingang seiner Antwort eine Frist und fügt ihrem Anschreiben eine Verschwiegenheitsvereinbarung zur Unterschrift bei. Im Falle einer Präsentation von digitalWorld sowie den damit einhergehenden Verkaufsverhandlungen werden aufgrund dieser Vereinbarung alle Beteiligten zur Verschwiegenheit verpflichtet, um die von Anna entwickelten Inhalte ihres Reformkonzepts zu schützen.

Wie das fristgemäß eintreffende Antwortschreiben der Konzernleitung zeigt, hat die von Anna und ihrer selbstbewussten Anwältin – die sich auf den Gewerblichen Rechtschutz spezialisiert hat und mit ihrem Mann in einem modernen, neu gebauten Haus in einem edlen Stadtviertel wohnt – nach langem Hin und Her gemeinsam festgelegte Vorgehensweise funktioniert. Die Konzernleitung zeigt ein außergewöhnlich hohes Interesse an den von Anna ausgearbeiteten Problemlösungen. Dies ist durchaus ungewöhnlich, da Anna lediglich die Geschäftsführerin einer kleinen und noch unbekannten Firma ist.

In den Jahren zuvor war Anna, die nach ihrem Universitätsexamen zunächst als Lektorin in einem Verlag gearbeitet hatte, zusammen mit einem sehr erfahrenen und erfolgreichen Kollegen viele Jahre in der Versicherungsbranche tätig gewesen. Sie hatte sich für diese Tätigkeit entschieden, da sie nicht mehr allein am Schreibtisch sitzen, sondern den Elfenbeinturm der Bücher verlassen und stattdessen mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenarbeiten und Erfahrungen sammeln wollte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Anna wie auf einer Insel in der abgeschotteten Welt der Bücher gelebt.

Während Anna sich das umfangreiche Wissen sowie die notwendigen Qualifikationen erworben hatte, um ihren Beruf erfolgreich auszuüben, hatte sie tiefreichende Erfahrungen im Versicherungswesen gesammelt und im Laufe der Zeit angefangen, über einen grundlegenden Strukturwandel dieser Branche nachzudenken. Herbst 2008 – als die Weltfinanzkrise an ihrem Höhepunkt angelangt war – war Anna zu der Überzeugung gelangt, dass nun der Zeitpunkt für umfassende Reformen gekommen war. Aus diesem Grund hatte sie in einjähriger Tag- und Nachtarbeit ihr Reformkonzept digitalWorld entwickelt.

Zusammen mit ihrer Anwältin entscheidet sich Anna für den ersten der drei vorgeschlagenen Termine – 12. November 2009 um 9.00 Uhr –, um digitalWorld zu präsentieren.

Nach der Terminvereinbarung beginnen die hektischen Vorbereitungen für die letzte Überarbeitung der PowerPoint-Präsentation, welche auch 35 hell leuchtende und farbenprächtige Icons beinhaltet, die für die zukünftigen Nutzer intuitiv verständlich und leicht zu handhaben sein sollen. Anna hatte diese Icons alle selbst entworfen und gemeinsam mit dem Grafiker Rainer Paradies umgesetzt.

Der launische und oftmals aggressive aber geniale Grafiker Rainer Paradies, der sich aus schwierigen Verhältnissen hochgearbeitet hat, kennt Anna von einem gemeinsam absolvierten einjährigen Computerkurs. Um sein Studium an der Kunstakademie zu finanzieren, hatte der schlanke junge Mann mit den intensiven braunen Augen in den Jahren zuvor als Taxifahrer gearbeitet und nach dem Abbruch seines Studiums – und dem anschließend absolvierten Computerkurs – ein eigenes Grafikstudio gegründet, das sich auf die Erstellung von Auktionskatalogen spezialisiert hat.

Rainers Freundin ist Professorin an einer Kunstakademie. Der Grafiker spricht mit Anna nur selten über sein Privatleben, aber soweit Anna das mitbekommt, lebt Rainer in einer glücklichen Beziehung. Er hatte Anna gegenüber einmal kurz angedeutet, dass dies auch damit zusammenhänge, dass er und seine Freundin in verschiedenen Städten arbeiten und lediglich jedes zweite verlängerte Wochenende sowie die Urlaube gemeinsam verbringen.

Für mich ist das genau das Richtige!, hatte der Grafiker erläutert. Ich würde mich schwer damit tun, gemeinsam in einer Wohnung zu leben. Im Urlaub ist es anders, weil ich im Urlaub vollkommen entspannt bin und keinen Stress habe. Da rege ich mich über nichts auf!

Um den Feinschliff der PowerPoint-Präsentation rechtzeitig fertig zu bekommen, arbeiten Anna und Rainer täglich bis tief in die Nacht hinein. Insbesondere die Umsetzung der Icons erfordert das ganze Können des Grafikers, der seine Neigung zu Wutausbrüchen oftmals nur mühsam zügeln kann: insbesondere dann, wenn das Ergebnis seiner Bemühungen nicht seinen hohen Ansprüchen genügt. Der Grafiker muss von Anna mehrfach daran gehindert werden, seinen Computer – den er duzt und ununterbrochen beschimpft – mit Fäusten zu traktieren.

Wieso macht der Sauhund jetzt wieder nicht das, was ich ihm sage?, ruft Rainer wütend aus.

Vielleicht benötigt er klare Angaben von Dir.

Jetzt will der mir auch noch vorschreiben, wie ich mit ihm umzugehen habe. Ständig dieses Rumgezicke! Eines Tages werfe ich diesen verdammten Mistkerl noch aus dem Fenster!

Bei einer gemeinsamen Sitzung zu dritt beschließt das kleine Team, die vollständige PowerPoint-Präsentation von digitalWorld nur dann vorzuführen, wenn die Top-Manager am 12. November die vorgelegte Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben.

Darüber hinaus fällt das Team die Entscheidung, den Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gerhard Ruppig, zum Präsentationstermin mitzunehmen. Gerhard Ruppig stammt von der Schwäbischen Alb und ist stolz darauf, die Ochsentour zum Fachanwalt erfolgreich bewältigt zu haben. Anna kennt den Anwalt bereits seit vielen Jahren, da sie ihm viele Kunden – darunter auch zahlreiche Firmeninhaber – geschickt hatte, die bei ihren quälenden und langwierigen Auseinandersetzungen mit zahlungsunwilligen Versicherungen den engagierten Einsatz des Fachanwalts benötigt hatten, um die ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten.

Gerhard ist von digitalWorld begeistert und der festen Überzeugung, Anna werde sich von dem Verkaufserlös eine große Villa am Starnberger See kaufen können. Auch wenn Anna über seine Bemerkung gelacht hatte, so hatte ihr die Anerkennung des Anwalts viel bedeutet. Schließlich ist Gerhard der einzige im Team, der die fachliche Qualität und die Erfolgschancen von digital-World wirklich beurteilen kann.

Die Besprechungen laufen in einer konstruktiven und gelösten Atmosphäre ab, denn die Teammitglieder freuen sich über die Einladung zur Präsentation. Dies gilt insbesondere für Anna: ihre große Euphorie lässt sie alle Müdigkeit und Erschöpfung vergessen.

Annas Therapeutin, Frau Schwertfeger, – bei der Anna seit Herbst 2008 in Therapie ist, da die weltweite Finanzkrise sie in Angst und Schrecken versetzt hatte, – unterstützt Anna wortgewaltig bei ihren beruflichen Anstrengungen, obgleich die Therapeutin wenig Ahnung von der äußerst spezifischen Thematik hat, mit der Anna sich in digitalWorld beschäftigt.

Vor dem Präsentationstermin informiert sich Anna noch im Internet über die drei von der Konzernleitung angekündigten Top-Manager. Bei ihren Recherchen stellt sie fest, dass einer der drei Manager, Dr. Maximilian Zwinger, ein promovierter Mathematiker ist und möglicherweise bald für die weltweite IT des Großkonzerns zuständig sein wird. Anna vermutet, dass Zwinger fachlich am meisten von der Thematik ihres Reformkonzepts verstehen dürfte.

Der Termin

Am Tag der Präsentation fährt Anna zusammen mit Frau von Schliff und Rainer in dessen Auto in die Hauptverwaltung des Versicherers. Nachdem Rainers grüner Volvo das Pförtnerhäuschen am Eingang erreicht und der Pförtner mit dem Vorzimmer von Zwinger telefoniert hat, um sich den Termin bestätigen zu lassen, teilt der Pförtner ihnen die Nummer des reservierten Parkplatzs in der Tiefgarage mit und winkt sie durch.

Mit dem Aufzug gelangen die drei nervösen Teammitglieder hinauf zur Rezeption, wo sie die für sie vorbereiteten Besucherausweise erhalten, welche sie – so werden sie mehrfach eindringlich ermahnt – nach der Präsentation unbedingt wieder abgeben müssen.

Im Vorzimmer von Zwinger empfängt sie die kleine energische Sekretärin Frau Wehr und führt sie durch die langen zum Verwechseln ähnlich aussehenden Gänge mit den hellgrauen Wandverkleidungen, die an geschlossene Kleiderschränke erinnern, zu dem kahlen, leeren Konferenzraum, in dem die Präsentation stattfinden soll. Dort angekommen blickt Rainer finster auf seine Uhr. Bis zum Terminbeginn bleibt dem Grafiker nur eine Viertelstunde Zeit, um das Equipment aufzubauen. Den Bildschirm und die weiteren technischen Geräte beschimpfend, als hätten diese ihm persönlich etwas Unverzeihliches angetan, macht er sich unverzüglich ans Werk.

Als Gerhard fünf Minuten vor Beginn des Termins eintrifft, ist Rainer bereits mit dem Aufbau fertig und verzieht sich für die Dauer der Präsentation grummelnd in die kleine Teeküche am Ende des Ganges. Gerhard, der leicht grünlich im Gesicht ist, erinnert Anna mit seiner Glatze und seinem schiefen Grinsen immer an einen Geier, dem alle Federn ausgefallen sind. Der Anwalt setzt sich an die Längsseite des Konferenztisches, während die Professorin und Anna am Kopfende des langen Tisches direkt neben der Tür Platz nehmen. Die Anwältin und ihre Mandantin haben eine unruhige, schlaflose Nacht hinter sich, denn beide wissen, wieviel von dieser Präsentation abhängt. Dies gilt auch für den Verkaufspreis von digitalWorld, welcher auf 12,5 Millionen Euro festgelegt wurde, da sich das Reformkonzept – mit jeweils kleinen länderspezifischen Anpassungen versehen – bei allen 100 Millionen Kunden des Konzerns weltweit einsetzen lässt.

Mit zusammengepressten Lippen justiert die Professorin während des Wartens mehrfach die Seiten der von ihr ausgearbeiteten Verschwiegenheitsvereinbarung, so dass die Unterkante der genau aufeinandergelegten Seiten exakt parallel zur Tischkante liegt. Daneben reiht die Anwältin rechts neben der Vereinbarung ihre mitgebrachten Stifte wie stramm stehende Soldaten auf, als die Tür aufgeht und zwei Männer den Raum betreten. Anna und ihre Anwältin erheben sich, um ihnen zur Begrüßung die Hand zu geben.

Ich bin Dr. Maximilian Zwinger und verwalte ein Budget von mehreren Milliarden Euro, begrüßt sie einer der beiden Eintretenden und wirft dabei lässig aus dem Handgelenk seine Visitenkarte auf den Konferenztisch. Anna wirft ihrer konsternierten Anwältin einen kurzen Blick zu, als bereits der zweite Manager seine Visitenkarte mit den Worten Und ich bin Dr. Axel Feist und verwalte ebenfalls ein Budget im Umfang von mehreren Milliarden Euro auf den Konferenztisch legt.

Wir haben so viel Geld. Wir scheißen Euch zu mit all unserem Geld!, denkt Anna unwillkürlich. Ist das alles? Mehr fällt Zwinger und Feist nicht ein?

Im Gegensatz zu seinem Kollegen trägt Feist, dessen rundes, volles Gesicht leicht gebräunt ist, einen teuren, massgeschneiderten grauen Anzug sowie eine wertvolle Uhr und – was Anna und ihrer Anwältin besonders auffällt – an den Fingern beider Hände protzige Goldringe.

Während Feist auffallend gepflegt und mit allen Merkmalen eines vermögenden sowie eitlen Mannes, der seinen Reichtum nach außen hin deutlich demonstrieren will, ausgestattet ist, macht Zwinger auf die Teammitglieder den Eindruck, als hätte der Mathematiker die ganze Nacht hindurch am Computer gearbeitet und kein Auge zugemacht. Die tiefen Augenringe, das blasse Gesicht mit den ausgeprägten Hamsterbacken und das zerknitterte Hemd, welches ihm hinten aus der Hose hängt, vermitteln den Eindruck, als sei Zwinger ein schlampiger Sachbearbeiter, der heimlich trinkt und kurz vor der Kündigung steht, und nicht nicht der promovierte Top-Manager eines Großkonzerns

Während die drei Teammitglieder noch versuchen, diese verwirrenden und widersprüchlichen Eindrücke zu verarbeiten, lässt sich Zwinger auf den Stuhl neben Anna fallen und starrt erschöpft auf den großen Bildschirm.

Unser Konzernvorstand, Herr Dr. von Schach, lässt sich entschuldigen. Er musste zu einer wichtigen Veranstaltung und kann deswegen heute nicht anwesend sein, erläutert Zwinger. Aber das ist kein Problem. Wir können sehr gut ohne Herrn Dr. von Schach starten.

Nachdem sich Anna und die beiden Anwälte vorgestellt haben, kommt die Professorin ohne Umschweife auf die zu unterschreibende Verschwiegenheitsvereinbarung zu sprechen.

Ich bitte um Verständnis, aber bei dem von meiner Mandantin entwickelten Reformkonzept handelt es sich um wertvolles geistiges Eigentum, das einen soliden Schutz benötigt. Meine Mandantin hat viel Kraft, Zeit und Geld investiert, um digitalWorld zu entwickeln und wir müssen Sie daher bitten, unsere Verschwiegenheitsvereinbarung zu unterschreiben, damit wir Ihnen die Präsentation zeigen können. Wir hatten Ihrem Vorstandsvorsitzenden, Herrn Engelbert Dürr, die Verschwiegenheitsvereinbarung – zusammen mit unserer Bestätigung des heutigen Termins – nochmals zugesandt.

Schweigend und stirnrunzelnd mustern Zwinger und Feist die ihnen von der Anwältin vorgelegte Vereinbarung und überfliegen anschließend gemeinsam den Text. Wie von den Anwälten und Anna vorab befürchtet, geben sich die Top-Manager empört und unwillig.

Das werden wir nicht unterschrieben, knurrt Feist.

Die Professorin, die zu ihrer kühlen Professionalität zurückgefunden hat, hakt sofort nach: Dürfen wir Sie fragen, warum Sie die Vereinbarung nicht unterschreiben wollen?

Eine solche Vereinbarung zu unterschreiben ist in unserem Hause nicht üblich, antwortet Feist eisig.

Anna spürt, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt. Sie weiss, dass Feist nicht die Wahrheit sagt. Eine Verschwiegenheitsvereinbarung wird in der Wirtschaft weltweit tagtäglich unterschrieben, denkt sie aufgebracht. Das ist absolut üblich!

Schnell wendet Anna ihren empörten Blick von Feist ab, da sie fürchtet, dass er sonst von ihrer Mimik ablesen könnte, wie wütend und verletzt sie ist.

Außerdem ist die eingetragene Vertragsstrafe im Falle eines Verstoßes gegen die Pflichten, die sich aus dieser Vereinbarung ergeben, viel zu hoch!, stösst Feist aggressiv hervor.

Der Top-Manager sitzt neben dem übernächtigten Zwinger am äußersten linken Rand am Kopf des Konferenztisches und starrt Anna durch seine teuere Designerbrille mit dem schweren dunklen Rahmen an. Seinem Gesichtsausdruck kann Anna entnehmen, dass Feist immer noch fassungslos darüber ist, dass Dürr, der Vorstandsvorsitzende eines der mächtigsten Konzerne weltweit, der Geschäftsführerin einer kleinen und vollkommen unbekannten Firma einen anderthalbstündigen Präsentationstermin eingeräumt hat.

Während Feist verärgert einen kurzen Blick auf seine frisch manikürten und gepflegten Hände wirft, um anschließend wieder damit fortzufahren, die attraktive Unternehmensberaterin mit den langen blonden Haaren und den schönen leuchtenden Augen penetrant anzustarren, erwidert die Professorin ruhig und entschieden:

Wenn Sie nicht bereit sind, die Verschwiegenheitsvereinbarung zu unterschreiben, werden Sie lediglich den Teil der Präsentation zu sehen bekommen, der die schweren Probleme erläutert, unter denen Ihr Unternehmen seit vielen Jahren leidet! Anschließend dürfen Sie drei Sekunden lang einen Blick auf eine der Folien der Präsentation werfen, um einen ersten Eindruck von den entwickelten Problemlösungen zu erhalten. Zu mehr Zugeständnissen sind wir nicht bereit!

Verstohlen mustert Anna die Gesichter der beiden Top-Manager. Während Gerhard vor sich hin grinst, als hätte er sich aufgrund seiner schlechten Erfahrungen mit zahlreichen nicht leistungswilligen Versicherungen schon vorher gedacht, dass Feist und Zwinger die Verschwiegenheitsvereinbarung nicht unterschreiben werden, fühlt Anna sich so hilflos und ohnmächtig wie schon lange nicht mehr.

Ein Jahr schwerste Tag- und Nachtarbeit und jetzt soll ein wertvoller, wichtiger Termin nach einer Viertelstunde abgebrochen werden, denkt sie und versucht krampfhaft, ihre tiefe Enttäuschung zu verbergen. Sie weiß, dass sie sich an die zuvor mit den beiden Anwälten getroffene Vereinbarung halten muss, den Termin nach einer Viertelstunde abzubrechen, wenn die Verschwiegenheitsvereinbarung nicht unterschrieben wird.

Während Zwinger übernächtigt vor sich hin schweigt, fährt Feist wie von der Tarantel gestochen von seinem Stuhl hoch und spielt den hochgradig Empörten, dem tiefes Unrecht widerfährt:

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir eine solche Vereinbarung unterschreiben! Das ist doch viel zu gefährlich für unser Unternehmen. Wir liefern uns Ihnen doch vollkommen aus!

Die Anwältin, die verhindern möchte, dass die Diskussion aus dem Ruder läuft, erstickt den drohenden hitzigen Wortwechsel im Keim:

Wie Sie wollen, meine Herren. Wir starten demzufolge mit dem Teil der Präsentation, den wir Ihnen problemlos zeigen können, ohne die wertvollen Inhalte preiszugeben.

Auf dieses Stichwort hin steht Anna auf und ruft die erste Folie auf. Sie stellt sich schräg hinter Zwinger, um sowohl ihn – den zuständigen Experten – als auch den Bildschirm genau im Blick zu haben. Während Anna eine Folie nach der anderen aufruft sowie ein Problem nach dem nächsten erläutert, bemerkt sie, wie Zwinger vor ihr anfängt, unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen.

Das kennen wir doch bereits alles, das ist nichts Neues für uns!, blafft Zwinger schließlich, als Anna das fünfte Problem – die Abwendung der jungen Kunden von den verstaubten Produkten des Versicherers – schildert.

Dann benenne ich nur noch kurz und bündig die restlichen fünf Probleme, die Ihnen bzw. Ihrem Unternehmen auf den Nägeln brennen, antwortet Anna gelassen.

Verstimmt und mit finsterem Gesichtsausdruck starrt Zwinger auf den Bildschirm, während Feist wieder seine hartnäckige Observierung der vortragenden Anna aufnimmt.

Es ist nicht nur so, dass wir jetzt keine interessante und originelle PowerPoint-Präsentation zu sehen bekommen, sondern wir müssen uns stattdessen auch noch sämtliche sattsam bekannten Probleme unseres Unternehmens anhören, die uns seit Jahren zum Hals raushängen, steht es Zwinger und Feist gut lesbar ins Gesicht geschrieben.

Und jetzt erhalten Sie einen kurzen Blick auf die Problemlösungen, sagt Anna freundlich. Die beiden Top-Manager sehen einen tiefblauen Bildschirm mit hell aufleuchtenden Icons.

Beim Anblick der Icons zuckt Zwinger zusammen und sagt leise: Das erinnert mich an die Kacheln von Google!

Nach drei Sekunden klickt Anna die Folie weg.

Damit ist die PowerPoint-Präsentation für heute beendet, sagt Frau von Schliff kühl. Anna meint einen vergnügten Unterton aus der Stimme ihrer Anwältin zu hören.

Während Gerhard schweigend vor sich hin grinst, erheben sich Zwinger und Feist schwerfällig von ihren Sitzen. Für einen kurzen Moment wirkt es so, als seien die Top-Manager es nicht gewöhnt, so knapp und konsequent – ohne ihren Willen durchzusetzen – behandelt zu werden.

Vielen Dank für die ausgesprochen nette Einladung zur Präsentation! Sollten Sie sich in den nächsten Wochen umentscheiden und bereit sein, die Verschwiegenheitsvereinbarung zu unterschreiben, wissen Sie ja, wie Sie mich und meine Mandantin kontaktieren können. Und bitte vergessen Sie nicht, Ihren Vorstandsvorsitzenden, Herrn Engelbert Dürr, ganz herzlich von uns zu grüßen, fügt die Professorin mit honigsüßer Stimme hinzu.

Bei der Erwähnung ihres obersten Chefs schauen Zwinger und Feist für einen kurzen Moment noch finsterer drein als zuvor und Anna stellt sich den nichtssagenden Bericht vor, den die beiden Top-Manager des deutschen Unternehmens dem Vorstandsvorsitzenden des Konzerns werden liefern müssen.

Dennoch tief enttäuscht reicht Anna zum Abschied Zwinger und Feist die Hand, während Gerhard mit einem festgefrorenem Dauergrinsen den beiden Männern hölzern die Hände schüttelt, bevor diese den Raum verlassen.

Kaum ist die Tür ins Schloß gefallen, ruft Anna verzweifelt aus:

Was sollen wir jetzt tun? Das ist doch eine Katastrophe! Ich habe alle meine Kraft und Zeit sowie meine gesamten finanziellen Resourcen in die Entwicklung von digitalWorld investiert. Eine solche Chance bekomme ich nie wieder. Jetzt ist alles verloren!

Und Du hast kein einziges Wort gesagt! Wieso haben wir Dich überhaupt mitgenommen, wenn Du nur dasitzt wie ein Ölgötze und den Mund nicht aufkriegst?, raunzt Anna nach einem kurzen Schweigen den Anwalt an.

Jetzt holen wir den Rainer, gehen einen Kaffee trinken und überlegen gemeinsam, wie wir weiter vorgehen, fährt die Professorin energisch dazwischen, bevor der Anwalt antworten kann. Es ist doch vollkommen klar, dass der Konzern digitalWorld haben will. Warten Sie ab, die kommen schon noch!

Während Rainer nach Annas kurzem Bericht das Equipment abbaut und ausnahmsweise schweigend arbeitet, ohne einen einzigen Fluch oder eine schwere Drohung gegen die niederträchtige und bösartige Technik auszustoßen, packen auch Anna und die Professorin ihre Sachen zusammen. Obwohl Anna sich darüber freut, dass die Anwältin der festen Meinung ist, dass der Konzern sich noch bei ihr melden wird, fühlt sie sich mit einem Schlag zutiefst verunsichert, erschöpft und niedergeschlagen.

Das Team macht sich auf den Weg zur Rezeption, um dort die vier Besucherausweise abzugeben und anschließend zu den Autos in die Tiefgarage zu gehen. Nachdem Rainer das Equipment im Kofferraum verstaut hat, fahren sie ins Stadtzentrum.

Aber auch die anschließende Diskussion hilft der sich zutiefst ohnmächtig fühlenden Anna nicht weiter. Dies auch deswegen, weil Gerhard auf ihr erneutes Nachhaken hin wieder keine Antwort auf die Frage gibt, warum der Anwalt während des gesamten Termins hartnäckig vor sich hin geschwiegen hatte.

Das Telefonat

Wieder zuhause angekommen, tigert Anna nachdenklich in ihrer sonnigen, zentral gelegenen Penthousewohnung hin und her. Die Wohnung mit dem dunkelroten Parkettboden hat einen langen Gang, von dem aus links und rechts die Zimmer abgehen und an dessen Ende der lichtdurchflutete Eckraum liegt, den Anna sich als Arbeitszimmer eingerichtet hat. Die große Terrasse vor ihrem Wohnzimmer bepflanzt Anna jedes Jahr mit Unmengen an Rosen in allen Farben, die bis in den Spätherbst hinein ihren süßen Duft verbreiten.

Nachdem Anna sich von ihrem langjährigen Partner, Georg, getrennt hatte, war es ihr gelungen, sich Schritt für Schritt ein eigenständiges und erfülltes Leben aufzubauen. Die seit ihrer Kindheit bestehende Liebe zum Lesen hatte sich die Literaturwissenschaftlerin immer erhalten. Da sie während ihrer Zeit auf dem Gymnasium acht Jahre lang Geigenunterricht bekommen hatte, spielt Anna weiterhin regelmäßig Geige und nimmt Gesangsstunden. Eines Tages hatte ihre Gesangslehrerin Anna vorgeschlagen, doch einmal in der Oper vorzusingen, da sie eine besonders schöne, ausdrucksvolle Stimme habe. Zu ihrer großen Überraschung entscheidet sich die Oper nach dem Vorsingen zu einer Zusammenarbeit und schlägt Anna vor, sich gesanglich noch umfassender ausbilden zu lassen. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfährt Anna, wie befriedigend die musikalische Zusammenarbeit mit echten Profis ist. Ihre musikalische Entwicklung macht daraufhin einen großen Sprung und Anna fängt an, sich intensiv mit den Arien von Mozart zu beschäftigen, die sie am liebsten singt.

Anna, Du überraschst mich immer wieder, hatte Rainer gesagt, als sie ihm von ihrem Vorsingen in der Oper berichtet hatte. Wie kriegst Du das nur alles unter einen Hut? Die künstlerischen Interessen und das Geschäftsleben?

Meine künstlerischen Interessen zu leben bedeutet für mich keine Arbeit, sondern Freude und Entspannung. Nur mein Job strengt mich an. Und leider lässt sich das nicht vermeiden, da ich schließlich Geld verdienen muss, hatte Anna lachend geantwortet.

Während Anna sich innerlich ausführlich mit sämtlichen Einzelheiten des vorausgegangenen Präsentationstermin beschäftigt, befallen sie große Zweifel, ob die Professorin wirklich recht hat. Würde sich der Konzern tatsächlich bei ihr und der Anwältin melden, um einen neuen Termin zu erhalten und die dafür erforderliche Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben?

Als eine genaue Kennerin der Branche weiß Anna, dass die Top-Manager vieler Versicherungen darauf gedrillt sind, jegliches Risiko – insbesondere dann, wenn es sie selbst betrifft, – vollständig zu vermeiden und auf eine strahlend weiße Weste zu achten. Die Suche nach einem charakterlich integren Menschen entspricht in dieser Branche der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Nach einigen schlaflosen und zergrübelten Nächten ruft Anna ihre Anwältin an:

So wie ich die Situation einschätze, werden Zwinger und Feist die Verschwiegenheitsvereinbarung nicht unterschreiben. Außerdem gehöre ich zu den wenigen Frauen in einer Branche, die im Top-Management überwiegend von Männern dominiert wird. Frauen stoßen hier schnell an eine undurchdringbare gläserne Decke. Ich habe Angst, dass meine ganze Arbeit vollkommen vergeblich war!

Bewahren Sie die Nerven, rät ihr die Anwältin. Zwinger und Feist spekulieren nur darauf, dass Sie deren Zermürbungstaktik nicht durchhalten und als Inhaberin einer kleinen Firma und angeblich – die Anwältin betont das Wort »angeblich« – Schwächere schnell aufgeben werden. Vergessen Sie nicht, dass Sie von dem Vorstandsvorsitzenden einer der mächtigsten und größten Konzerne weltweit auf ein einziges Anschreiben hin einen anderthalbstündigen Termin bekommen haben. Die Konzernleitung hat keine funktionierenden Lösungen für die schweren Probleme des deutschen Unternehmens. Deswegen ist Ihre Position deutlich besser als Sie glauben. Ihre entwickelten Problemlösungen sind genial.

Anna erinnert sich wieder an Gerhards Worte – Du kannst Dir gleich eine Villa am Starnberger See kaufen – und fühlt sich daraufhin ein wenig ruhiger und gelassener.

Aber ich werde Zwinger trotzdem anrufen und versuchen, mit ihm zusammen einen guten Kompromiss zu finden. Wenn meine Position wirklich so gut und stark ist, dann müsste Zwinger ein hohes Interesse daran haben, dass wir schnell vorankommen.

Ich an Ihrer Stelle würde Zwinger nicht anrufen, rät die Anwältin. Ich gehe davon aus, dass der Konzern sich von sich aus bei uns melden wird.

Nach einer weiteren Nacht voller wirrer und verunsichernder Albträume ringt sich Anna schließlich dazu durch, Zwingers Sekretärin anzurufen. Frau Wehr teilt ihr mit, dass der Top-Manager gerade im Auto unterwegs sei. Anna wählt seine Handynummer.