Der Kuss der Liebenden - Kim Leopold - E-Book

Der Kuss der Liebenden E-Book

Kim Leopold

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Emma versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben. Willem ist ihr eine große Stütze, doch dann droht der Rat ein großes Geheimnis zu lüften, welches alle Bemühungen zunichte machen könnte. Derweil findet Mikael heraus, dass seinen Preis jemand anders gezahlt hat. Sein größter Wunsch ist in greifbare Nähe gerückt. Nur eins fehlt noch … Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Der Kuss der Liebenden – Band 14. der Urban Fantasy Serie Black Heart!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

 

 

 

Black Heart 14

Der Kuss der Liebenden

 

 

Kim Leopold

 

Für #personalsister, weil sie dieser Episode ihre Weisheit geschenkt hat.

 

 

Manches

Vergangene

hat nicht nur

damals

gute Gründe geboten

es hinter sich zu lassen

Es überzeugt

ebenso

beeindruckend

in der Gegenwart

(@personalsister)

 

 

 

 

 

 

 

 

[was bisher geschah]

 

1448 – Nanauatzin geht einen Handel mit der Hexe Meztli ein, um seine geliebte Ichtaca vor der Opferung an die Götter zu bewahren. Meztli teleportiert das junge Paar nach Norwegen, wo es sich ein neues Leben abseits eines Dorfes aufbaut. Dort entdeckt Ichtaca ihre magischen Fähigkeiten und lernt, Nanauatzin für sein Nicht-Handeln an jenem Tag zu verzeihen, an dem man sie in Haft nahm.

 

2018 – Mikael, Farrah und Willem sind zurück am Palast der Träume, denn die Wahrsagerin Adele befindet sich hier, um ihrer Tochter Hayet während der Trauerfeier beizustehen. Mikael sucht sie auf, um von ihr einen Rat bezüglich der Rückgewinnung seines Herzens zu erbitten, doch sie weist ihn ab. Schließlich ist Farrah diejenige, die einen Handel mit Adele eingeht, um Mikael seinen größten Wunsch zu erfüllen.

 

Im Palast der Träume geht es drunter und drüber, als Alex und Lotta dabei erwischt werden, wie sie Ivans leblosen Körper in einem Wäschewagen durch die Korridore schieben. Sie werden in Haft genommen, und Moose versucht herauszufinden, wie die drei überhaupt erst in diese missliche Lage kommen konnten.

 

Dabei findet er heraus, dass Ivans Körper nicht der einzige leblose ist, denn auch Louisa wurde beim Angriff der Hexenjäger von einem Fluch getroffen und fristet ihr Dasein in Lottas Wohnung. Je mehr er erfährt, umso sicherer ist sich Moose, dass Alex und Lotta nichts Böses im Schilde führen, sondern Ivan und Louisa vor dem sicheren Tod retten wollten. Er möchte Louisas Körper vor der Entdeckung retten, doch ihm kommt eine fremde Frau zuvor.

 

In der Zwischenzeit betreibt Hayet ihre eigenen Nachforschungen zum Thema Black Heart und findet ein Buch mit einem Hinweis. Sie bittet Moose um Hilfe, doch er vertröstet sie um ein paar Stunden. Während sie auf ihn wartet, bekommt sie Besuch von Mikael, der ihr erzählt, dass Emma anscheinend ihre Schwester ist.

 

[prolog]

Ichtaca

Norwegen, 1448

 

Manchmal kann ich nicht glauben, wie viel Glück wir hatten. Wie viel Glück ich hatte. Ich dachte, ich wäre dem Tode geweiht – und nun lebe ich hier, in einem Land, in dem die Menschen so freundlich sind, mit Nanauatzin an meiner Seite.

Ich kuschle mich tiefer in meinen Pelz, während wir dem Weg zurück zu unserer Hütte folgen. Auch wenn die Tage jetzt länger sind und der Schnee fast komplett geschmolzen ist, ist es noch zu frisch, um ohne warme Kleidung herumzulaufen. Dabei würde ich nichts sehnlicher tun, als meine nackten Zehen im vom Morgentau benetzten Gras zu vergraben.

Bald, verspreche ich mir stumm. Bald kommt der Sommer auch über dieses kalte Land.

»Worüber denkst du so angestrengt nach?« Nanauatzin, der ein paar Schritte vor mir gegangen ist, dreht sich zu mir und blickt mich neugierig an. »Ich kann dir ja fast dabei zuhören. Sonst bist du nach so einem Abend nicht so schweigsam.«

Ich schließe zu ihm auf, um meine Finger mit seinen zu verknoten. »Ich war bloß dankbar. Für all das hier. Für dich.«

Er lächelt mich warm an, und wir gehen den restlichen Weg zur Hütte gemeinsam zurück. Das Feuer von heute morgen brennt immer noch leicht und verbreitet einen sanften Schimmer in unserem Heim. Es riecht nach Tannen und dem Eintopf, den ich uns zum Mittagessen gemacht habe.

Wir bleiben in der Tür stehen, um noch ein bisschen Abendluft in die Hütte zu lassen. Mein Blick gleitet in den Himmel, an dem ein Sternenzelt steht, das mir schlichtweg den Atem raubt. Hier draußen kann mich die Natur jeden Tag aufs Neue begeistern.

»Manchmal frage ich mich, ob es da draußen noch mehr gibt«, überlege ich leise. »Mehr als uns Menschen, mein ich.«

»Im Himmel?«

Ich nicke. »Die Sterne sind so weit weg. Wer weiß schon, ob da jemand drauf lebt.«

»Hm.« Nanauatzin legt seine Arme um meine Schultern und küsst meinen Hinterkopf. »Vielleicht. Und vielleicht blicken sie jede Nacht auf uns herab und fragen sich, wie das Leben hier unten ist.«

»Das ist irgendwie ein schöner, aber gleichzeitig trauriger Gedanke.« Ich lache leise auf und drehe mich in seinen Armen um. Sein warmer Atem streift mein Gesicht. »Ich bin so froh, mit dir hier zu sein.«

»Ich auch, Taca, ich auch«, wispert er und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. In seinen Augen lodert Freude auf, die den Gefühlen in meinem Inneren entspricht.

Ich hebe die Fingerspitzen an sein Gesicht, fahre die maskulinen Züge nach und verharre auf seinen weichen Lippen, bevor ich sie mit meinen berühre. Unser Kuss schmeckt schwer und nach süßem Met, alles andere als unschuldig, wie es unser erster gewesen ist.

Er nimmt mir den Atem und lässt mein Herz schneller schlagen.

Nanauatzin schiebt mich weiter in die Hütte, bevor er mir den Pelz von den Schultern streift.

»Ich liebe dich«, flüstere ich zwischen zwei Küssen.

Mit zittrigen Fingern suche ich nach dem Knoten, der seinen eigenen Pelz zusammenhält und löse ihn langsam. Der Stoff fällt schwer zu Boden und besiegelt das Schicksal dieser Nacht.

 

 

Ich tauche meine Zehen ins Wasser und atme scharf ein. Das ist ja noch kälter, als ich gedacht habe!

Fröstelnd widerstehe ich dem Drang, sie gleich wieder hinauszuziehen und warte stattdessen darauf, dass sich meine Haut an die Kälte gewöhnt. Ich könnte mit meiner Magie nachhelfen, das Wasser einfach wärmer machen, dort, wo ich meine Füße baden will. Aber da wir heute Nachmittag üben wollen, möchte ich keinen Funken meiner Kraft verschwenden.

Die Gedanken an meine Übungsstunden mit Nanauatzin wärmen mein Herz und bald auch meine Füße. Es dauert nicht lange, da denke ich gar nicht mehr an die Kälte des Wassers, sondern lasse meine Füße einfach in der Strömung baumeln und genieße den ruhigen Vormittag am Bach.

Gestern erst war es hier wimmelnd voll, weil wir die Wäsche gemacht haben. Heute ist vom Fleiß der Frauen nichts mehr zu sehen, und der Nachhall unseres Gesanges ist längst verklungen.

Ich bleibe noch eine Weile länger in der Stille sitzen, bevor ich meine Füße schließlich aus dem Wasser ziehe und notdürftig an meinem Kleid abtrockne. Dann schlüpfe ich zurück in meine Stiefel und nehme meinen Korb, um die Aufgabe zu erfüllen, wegen der ich eigentlich hergekommen bin.

Mittlerweile ist es ein Leichtes, im Wald nach den Pilzen und Kräutern zu suchen, die ich zum Kochen nutzen kann. Die Frauen aus dem Dorf haben mir in den letzten Mondphasen viel über die Natur Norwegens beigebracht und mich einige ihrer Rezepte gelehrt, so dass ich mich nun traue, immer mal wieder neue Dinge auszuprobieren. Wenn es mir gut gelingt, sehe ich ein vielsagendes Lächeln auf Nanauatzins Lippen – und das ist jeden Fehlversuch wert.

Ich kehre kurz vor dem Mittagessen zurück und stelle die restliche Suppe von gestern auf die Feuerstelle, um sie für uns aufzuwärmen. Nanauatzin ist noch nicht von der Jagd zurück, doch lange kann es nicht mehr dauern, starten die Männer doch meist im Morgengrauen, um die Tiere noch zu erwischen, die sich über den Tag zurückziehen.

Erst letzte Woche haben sie ein Wildschwein erlegt, das groß genug war, um dem Dorf ein Festmahl zu bescheren. Ich bin gespannt, womit sie heute zurückkehren.

In der Hütte fege ich den Boden und schüttle unsere Kissen auf, immer noch ungläubig darüber, wie eng wir die letzten Mondzyklen beieinander geschlafen haben, ohne einen Fingerbreit Stoff zwischen uns. Es ist fast, als wäre jeder meiner Träume wahr geworden in jener Nacht, in der uns die Magica rettete.

Und obwohl mein Leben glücklicher nicht sein könnte, nagen an mir die Sorgen, je mehr Zeit vergeht. Ich frage mich, was Nanauatzin für meine Freiheit eintauschen musste. Er hat es mir nie erzählt, und ich habe ihn nie gefragt. Zu groß ist die Angst vor seiner Antwort.

Doch heute nehme ich mir vor, ihn darauf anzusprechen. Es ist besser, zu wissen, wie hoch der Preis war, als für immer Angst zu haben, dass dieses Leben von heute auf morgen vorbei sein könnte.

 

 

»Du warst sehr gut heute.« Nanauatzins Atem ist heiß an meinem Ohr. Er zieht mich in seinen Arm, und ich kuschle mich an seine starke Brust. »Wenn du weiter so gut übst, wirst du schon bald Dinge mit deiner Kraft anstellen können, von denen jeder andere nur träumen könnte.«

»Macht dir das keine Angst?«, frage ich unsicher. Selbst ich habe manchmal Angst vor dem, was ich aus dem Nichts erschaffen kann. Feuer, Eis, einen so rauen Wind, dass nicht einmal Nanauatzin stehen bleiben kann … Was, wenn ich ihn eines Tages aus Versehen verletze?

Er lacht leise auf und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. »Nein, Taca. Ich habe keine Angst vor dir. Niemals.«

Beruhigt schließe ich die Augen und lausche dem stetigen Rhythmus seines Herzens. Aber in den Moment fallen lassen kann ich mich nicht. Zu sehr kreisen meine Gedanken um das, was ich mir am Vormittag vorgenommen habe.

Endlich Gewissheit haben.

Das ist doch etwas Gutes. Nur wieso wird mir dabei so übel?

»Was ist los? Irgendetwas beschäftigt dich schon seit Tagen.«

Ich seufze, weil er mich so gut kennt, und nehme all meinen Mut zusammen. »Ich … ich hab mich gefragt, welchen Preis du damals gezahlt hast.«

Mehr muss ich gar nicht sagen. Er weiß genau, wovon ich spreche. Das höre ich am Schlagen seines Herzens, das plötzlich schneller wird.

»Du wusstest, dass ich dich eines Tages fragen würde«, füge ich besänftigend hinzu und hebe den Blick, um ihm in die Augen zu sehen. Er wirkt traurig, fast ein bisschen verzweifelt – und ich werde ganz ruhig. Meine Angst ist fort, denn jetzt weiß ich, dass er einen hohen Preis gezahlt haben muss. »Was es auch ist, wir kommen damit zurecht.«

Er schließt die Augen. Eine Träne löst sich aus seinem Augenwinkel. Ich streiche sie sanft von seiner Wange und warte, bis er sich genug gesammelt hat, um mir die Wahrheit zu erzählen.

»Meztli …« Er schluckt, presst den Kiefer aufeinander und atmet durch, bevor er weiterspricht. »Sie hat unser … unser Erstgeborenes gefordert.«

Es braucht einen Moment, bis seine Worte zu mir durchdringen. Ein Schaudern fährt mir über den Rücken.

»Ich ... es tut mir so leid. Ich hab es einfach nicht ertragen, dich da so zu sehen, weißt du? Ich hätte alles getan, um dich zu befreien.«

Ich schüttle den Kopf und richte mich auf. Das Entsetzen hat meine Glieder gepackt und lässt sie nicht mehr los.

»Ich wusste, wie gerne du Kinder haben wolltest, Taca ... aber ich ... ich konnte nicht anders. Ich musste etwas tun.«

»Ich weiß«, krächze ich mit rauer Stimme. Meine Augen füllen sich mit Tränen, und ich presse eine Hand vor den Mund, weil ich Angst habe, mich zu übergeben. So wie ich es in den letzten Tagen immer wieder im Morgengrauen tat. »Es … es ist zu spät. Nanauatzin, ich … ich glaube, es ist zu spät. Ich fürchte, ich trage bereits dein Kind unter meinem Herzen.«

 

 

[1]

 

Hayet

Österreich, 2018

 

Eine Schwester.

Eine Schwester.

Eine Schwester, verdammt. Ich schlage die Decke zurück und stehe auf, um mich anzuziehen und das Zimmer zu verlassen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber da ich wegen des Gesprächs mit Mikael sowieso die halbe Nacht nicht geschlafen habe, kann ich genauso gut aufstehen.

Emma soll meine Schwester sein? Was zur Hölle? Wenn das stimmt ... was weiß ich dann überhaupt über meine Abstammung? Über meine Familie? Über Maman?

»Gott«, murmle ich wütend und steige in meine Stiefel, bevor ich hinaus in den Flur trete, um Azalea nicht zu wecken. Die Neonröhren flackern auf, während ich zum Kaminzimmer gehe, um meine innere Unruhe hinauszulassen.

Ich bin allein, also stört es wohl niemanden, wenn ich hier meine Bahnen ziehe und über all das nachdenke, was geschehen ist. Über das, was mir Mikael erzählt hat.

Er wusste selbst nicht so genau Bescheid. Er wusste nur, dass Emma ihm erzählt hat, dass Maman ihre Mutter wäre. Und das allein reicht schon, um mich in die Verzweiflung zu treiben.

Wenn das wirklich wahr ist, frage ich mich, wieso Maman mir nie davon erzählt hat. Wieso Emma nicht bei uns aufgewachsen ist, immerhin ist sie doch auch nicht so viel älter, oder? Wie alt ist Maman überhaupt wirklich?

Fragen über Fragen prasseln auf mich nieder und versetzen mich in Panik. Maman war schon immer ein Mysterium, das ist einfach ihr Ding.

Aber eine Schwester verschweigen? Eine Schwester?!

Ich atme tief durch und versuche, mich zu beruhigen. Bevor ich nicht mehr weiß, kann ich mir kein Urteil bilden. So einfach ist das. Es macht überhaupt keinen Sinn, wütend zu werden, wenn ich nicht weiß, ob Emma nicht vielleicht gelogen hat. Vielleicht hatte sie einen bestimmten Grund, Mikael so was zu erzählen, und es stimmt gar nicht.

Kann doch sein.

Ich kenne Emma nicht gut genug, um zu wissen, welche Grenzen sie überschreiten würde und welche nicht.

Ich sollte sie zur Rede stellen. Sie fragen, ob es wahr ist, was Mikael mir erzählt hat. Sie bitten, mir die ganze Wahrheit zu sagen.

Ich könnte zwar auch beim Frühstück mit Maman reden, aber irgendwie will ich erst mehr wissen, bevor ich sie damit konfrontiere. Denn wenn es stimmt, was Mikael sagt, wenn ich wirklich eine Schwester habe, die sie mir verheimlicht hat, dann ...

Ja, was dann? Ich weiß nicht, was ich dann tun werde. Ihr das nicht verzeihen? Sie für den Rest meines Lebens ignorieren? Mich an einem Palast voller Menschen vor ihr verstecken?

Leise lache ich auf. Ich weiß selbst, wie unrealistisch das ist. Maman ist eine meiner engsten Vertrauten. Sie kennt mich wie keine andere, und wann immer ich ihren Rat brauche, ist sie für mich da. Selbst wenn sie ihn oft genug auf mysteriöse Art und Weise gibt, ich weiß, dass sie mich liebt und mir nichts Böses wollen würde. Wenn sie mir also verschwiegen hat, dass Emma meine Schwester ist, dann hat sie sicher einen guten Grund dafür.

Und den wird sie mir bestimmt erklären, wenn ich sie zur Rede stelle. Aber vorher finde ich verdammt noch mal heraus, ob Emma nicht eine der größten Schwindlerinnen des Jahrzehnts ist.

 

 

Um kurz nach sieben stehe ich vor Emmas Wohnung und schicke Maman eine kurze Nachricht, um unser gemeinsames Frühstück abzusagen, bevor ich energisch an die Tür klopfe. Es dauert einen Moment, aber dann öffnet Emma mir mit zerzaustem Haar und im Schlafanzug die Tür. Sie reibt sich über die müden Augen. »Hayet? Was machst du denn so früh hier?«

»Wir müssen reden«, entgegne ich eine Spur zu vehement. Sie blinzelt mich träge an. »Über Adele.« Ich verschränke die Arme vor der Brust, gehe davon aus, dass es bei ihr sofort Klick macht, und tatsächlich, der Schlaf weicht aus ihrem Blick, und sie schaut hinter sich in die Wohnung. Ist sie nicht allein?

»Das sollten wir wohl tun«, erklärt sie mit einem Seufzen. »Wenn du kurz wartest, ziehe ich mir schnell etwas an und wir gehen in den Krankenflügel, um dort in Ruhe zu reden.«

Also ist sie wirklich nicht allein. Hat sie etwa einen Wächter bei sich? Unsere neue Ratsvorsitzende? Neugierig versuche ich einen Blick in ihre Wohnung zu erhaschen, aber sie versperrt mir mit ihrem Körper die Sicht.

»Also gut«, gebe ich mich geschlagen. »Ich warte hier.«

Sie nickt, schließt die Tür und kommt ein paar Minuten später fertig angezogen und frisiert wieder raus. Auch dieses Mal kann ich nicht erkennen, wer sich noch in der Wohnung befindet.

»Ich hoffe, du planst nicht auch, sie um Rat für etwas zu bitten«, murmelt Emma, während wir den Weg zum Krankenflügel im Eiltempo hinter uns lassen.

Ich runzle die Stirn. »Und wenn?«

»Ich weiß ja nicht, was dir Mikael erzählt hat, aber ... ihr Rat ist teuer.«

»Nicht für ihre Tochter«, erwidere ich grimmig, denn mir wird klar, dass Mikael seit unserem Gespräch gestern keinen Kontakt mehr mit Emma hatte. Sonst wüsste sie, dass ich Adeles Tochter bin. Ebenfalls. Wie auch immer.

Nun bleibt sie wie angewurzelt stehen. »Er hat dir gesagt, dass ich ihre Tochter bin?«

Ich lache auf, weil sie es immer noch nicht versteht. »Nicht direkt. Er hat gestern vielmehr festgestellt, dass wir offenbar Geschwister sind, die nichts voneinander wissen.«

»Oh«, macht sie, und ihr Mund bleibt offen stehen. Dann noch einmal: »Oh.«

»Mhm.« Ich wackle vielsagend mit den Brauen, und sie zieht mich weiter, bis wir den Krankenflügel erreichen und in ihr Büro gehen. Ich lasse mich in den weichen Ledersessel fallen, während sie unruhig im Raum umhergeistert. Weil sie nach einer Weile immer noch nichts sagt, ergreife ich das Wort. »Falls du es dir noch nicht gedacht hast: Ich erwarte eine Erklärung.«

Sie bleibt stehen und blickt mich erstaunt an. »Von mir? Wieso nicht von ihr? Sie hat es dir ja scheinbar verschwiegen.«

»Ich wollte erst mal hören, ob Mikael wirklich die Wahrheit sagt. Es stimmt also? Maman ist ... auch deine Mutter?«

»Ich rede nicht gerne darüber, aber da das hier so was wie eine Familiensache ist, muss ich wohl oder übel.« Sie seufzt und lässt sich in ihren Stuhl fallen, der dabei einen halben Meter nach hinten rollt. »Also ja, Adele ist meine Mutter. Aber das ist schon lange, lange her. Ich geh mal davon aus, dass sie es dir deshalb nicht gesagt hat.«

Ich schlucke meine Fassungslosigkeit hinunter. »Wie lange her ist … lange her?«

Emma lächelt unschuldig und hebt die Schultern. »Mehrere Jahrhunderte.«

»Jahrhun- Was?«

»Dass ich so aussehe, liegt vor allem an der Magie. Du weißt ja, dass in der Heilmagie meine Begabung liegt. Für diese Art Hexen ist es ein Leichtes, ihren Körper immer wieder zu heilen. Ich bin so jung, wie ich aussehe – und doch bin ich es wiederum nicht.«

»Das ist verrückt«, murmle ich und lasse mich baff zurücksinken. Ich wusste zwar, dass Hexen ihr Leben auf magische Weise verlängern können ... aber dass so etwas über mehrere Jahrhunderte funktioniert, ist unglaublich.

»Und noch dazu habe ich mir antrainiert, meine Gestalt zu verändern. Adele weiß nicht, dass ich hier bin. Wenn sie mich ansieht, sieht sie nicht ihre Tochter, sondern bloß Emma, die neue Ratsvorsitzende.«

Verwirrung macht sich in mir breit. »Aber ... ich verstehe nicht. Wieso ...?«

»Wieso ich nicht will, dass sie mich erkennt?« Emma lacht schnaubend auf. »Nun, Adele und ich sind nicht unbedingt unter guten Umständen auseinandergegangen. Man könnte sagen, sie verabscheut mich. Und deswegen wäre es mir auch sehr lieb, wenn du sie nicht darauf ansprechen würdest, dass ich hier bin.«

Ich atme laut aus. Mein Kopf rattert. Die neuen Informationen wollen erst mal verarbeitet werden, aber irgendwie komme ich kaum noch hinterher. So viele Neuigkeiten in so kurzer Zeit – und ich habe keinen blassen Schimmer, was ich daraus machen soll. Bewahre ich Emmas Geheimnis oder spreche ich Maman darauf an? Rede ich überhaupt mit Maman, bevor ich nicht alle Fakten von Emma kenne? Kann ich überhaupt mit ihr reden, wenn ich Emmas Geheimnis bewahren will?

Emma verzieht mitleidig das Gesicht. »Es tut mir sehr leid, dass du auf eine so blöde Art und Weise davon erfahren hast. Ich wusste nicht, dass du Adeles Tochter bist. Aber ich lebe schon so lange verborgen vor ihr, dass ich mich vermutlich selbst dann nicht preisgegeben hätte.«

»Aber wieso versteckst du dich vor ihr? Ich meine, ja, ihr Rat kann manchmal teuer sein, doch ansonsten ist sie doch kein schlechter Mensch.«

Emmas Blick wird traurig, und doch lächelt sie sanft. »Ich bin sehr froh, dass du das so empfindest, Hayet.«

 

 

[2]

 

Emma

Österreich, 2018

 

Aufgewühlt schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich mit geschlossenen Augen gegen das Holz. Schlimm genug, dass Adele am Palast ist. Aber dass jetzt auch noch ihre Tochter – meine Schwester – hier ist und weiß, dass ich mich vor unserer Mutter verstecke ...

Ich sollte direkt meine Tasche packen und fliehen. So wie ich es schon vor Jahrhunderten gemacht und immer wieder getan habe, wenn Adele mir auf die Schliche kam. Wenn mich nur die anderen nicht so dringend brauchen würden, um hier die Stellung zu halten.

»Ist alles in Ordnung?« Willem sieht mich stirnrunzelnd an. Seine blauen Augen schimmern besorgt. Er hält eine Tasse Kaffee in der Hand, und man sieht ihm deutlich an, dass unsere Nacht zu kurz gewesen ist. Aber dass der Kaffee reicht, um seine Müdigkeit zu vertreiben, bevor er das erste Mal seinen Schülern gegenübersteht, wage ich zu bezweifeln.

Ich zwinge ein Lächeln auf meine Lippen. »Alles bestens«, flunkere ich ihn an. Wenn er die ganze Geschichte wüsste, würde er mich dann immer noch lieben? Wenn er herausfände, wie viele Dinge ich all die Zeit vor ihm verborgen gehalten habe?

»Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst getroffen«, erwidert er naserümpfend. »Geht es um Adele?«

Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass er ins Schwarze getroffen hat, aber dazu ist meine Angst zu groß und meine Schauspielfähigkeit zu klein. Also nicke ich schließlich.

»War sie das eben?«

»Nein.« Ich löse mich endlich von der Tür. »Das war eine meiner Schülerinnen. Sie hilft mir gelegentlich im Krankenflügel und hat etwas gesucht. Ich hab auf dem Rückweg bloß über Adele und ihre Anwesenheit am Palast nachgedacht. Mir ist immer unwohl dabei, über die Gänge zu laufen. Ich könnte ihr jederzeit in die Arme laufen.«

Willem lächelt verständnisvoll und stellt seine Kaffeetasse auf den Tisch, um zu mir zu kommen und mich in den Arm zu nehmen. Sein markanter Duft nebelt mich ein und sorgt dafür, dass sich meine Schultern etwas entspannen. Ich lege meine Arme um seine Taille und kuschle mein Gesicht an seine Halsbeuge.

»Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, oder?« Willem haucht mir einen Kuss auf die empfindliche Stelle Haut hinter meinem Ohr.

---ENDE DER LESEPROBE---