Der letzte echte Kuss - James Crumley - E-Book

Der letzte echte Kuss E-Book

James Crumley

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Beschreibung

Zunächst sieht alles nach einem harmlosen Auftrag aus: Privatdetektiv Chauncey Wayne Sughrue aus Montana soll den Schriftsteller Abraham Trahearne ausfindig machen, der sich auf einer Sauftour quer durch Amerika befindet, und ihn zurück zu seiner Frau und an seinen Schreibtisch bringen. Sughrue trinkt sich von Tresen zu Tresen, doch als er den Autor endlich findet, nimmt das Unheil erst so richtig seinen Lauf. Barbesitzerin Rosie heuert die beiden für gerade mal 87 Dollar an, ihre seit zehn Jahren verschwundene Tochter Betty Sue zu finden. Und weil Sughrue bisweilen selbst hinter der Theke steht, um nicht davor hocken und saufen zu müssen, und weil er ein Herz für die Barkeeperin hat, nimmt er den Auftrag an. Ein wilder Roadtrip beginnt - mit der durstigen Bulldogge Fireball Roberts und dem ramponierten Schriftsteller im Schlepptau.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Der letzte echte Kuss

Der erste Fall für Sughrue

Aus dem Amerikanischen von Tony Westermayr

Kampa

Für Dick Hugo,

den großen, alten Detektiv des Herzens

Du kommst vielleicht sonntags in einer Laune hin. Sagen wir, dein Leben ist kaputt. Der letzte schöne Kuss, den du bekommen hast, ist Jahre her. Du gehst durch diese von Irren angelegten Straßen, vorbei an Hotels, die nicht von Dauer, an Bars, die es doch waren, am gequälten Versuch der Fahrer, ihr Leben zu beschleunigen. Nur Kirchen werden instand gehalten. Das Gefängnis ist dieses Jahr 70 geworden. Der einzige Gefangene ist immer zu Hause, ohne zu wissen, was er getan hat …

 

Richard Hugo, Degrees of Gray in Philipsburg

1

Als ich Abraham Trahearne endlich einholte, trank er in einer baufälligen Kneipe direkt vor Sonoma in Kalifornien Bier mit einer Säufer-Bulldogge namens Fireball Roberts und soff einen schönen Frühlingsnachmittag kaputt.

Trahearne war schon fast drei Wochen auf dieser Wander-Sauftour, und der große Mann in zerknittertem Kaki sah aus wie ein alter Soldat nach einem langen Feldzug; er trank langsam ein Bier nach dem anderen, um den Geschmack des Todes fortzuspülen. Der Hund kauerte wie sein müder kleiner Kumpel zusammengesunken auf dem Nachbarhocker und hob nur gelegentlich den Kopf, um aus einem schmutzigen Aschenbecher auf der Theke Bier aufzuschlabbern.

Keiner von beiden machte sich die Mühe, einen Blick auf mich zu werfen, als ich mich auf einen Barhocker zwischen der Bulldogge und den zwei anderen Gästen dort schob, stellenlosen Baumschatten-Mechanikern, die über ihre verlorenen Arbeitslosen-Schecks, ihre letzte Vorstrafe wegen Volltrunkenheit und den vermutlichen Verbleib der Steuerkette eines 57er Chevrolet sprachen. Ihre knorrigen Gesichter und die nasale Sprechweise stammten aus einer anderen Zeit, einem anderen Ort. Aus den dreißiger Jahren mit der großen Dürre und einem selbst gebastelten Klapperkasten von Lastwagen Model T, der untergehenden Sonne entgegen. Als ich mich hinsetzte, warfen sie mir mit den schmalen Augen der Leute vom Land Blicke zu und musterten mich von oben bis unten, als wäre ich ein aufgegebenes Autowrack, das sie ausschlachten wollten. Ich nickte freundlich, um ihnen klarzumachen, dass ich ein Wrack sein mochte, aber noch kein Totalschaden. Sie erwiderten meinen stummen Gruß mit leeren Augen und nachdenklichem Nicken, das anzudeuten schien, man könnte für Unfälle sorgen.

Von zu vielen Meilen auf den falschen Straßen schon erschöpft, ließ ich sie denken, was sie mochten. Als ich bei dem älteren Barmädchen ein Bier bestellte, kippte sie aus ihren Tagträumen in ein schläfriges Grinsen. Sie machte die Flasche auf, und der Hund erwachte aus seinem Trunkenheitsschläfchen, rülpste wie ein Drache, stemmte seine mageren Hinterbeine hoch und watschelte über drei wacklige Hocker durch die muffige Wolke aus schalem Bier und Bulldoggen-Atem, um mir für einen Schluck von meinem Bier einen nassen, fadenziehenden Kuss anzubieten. Ich gab ihm nichts, und er erhöhte den Einsatz, indem er meinen ganzen sonnenverbrannten Ellenbogen besabberte. Trahearne knurrte scharf einen Befehl und schüttete etwas Bier in den Aschenbecher. Der Hund starrte mich traurig klagend an, dann wackelte er zu einer sicheren Sache zurück.

Während ich mit einem feuchten Lappen, der vor zu kurzer Zeit und zu oft denselben Zweck erfüllt hatte, den Hundespeichel von meinem Arm wischte, fragte ich das Barmädchen nach einem Münztelefon. Sie deutete stumm auf die grauen staubigen Bereiche hinter dem Billardtisch, wo ein schwarzes Telefon hing.

Als ich an Trahearne vorbeiging, hatte er seinen schweren Arm um die faltigen Schultern der Bulldogge gelegt und rezitierte Lyrik in das Stummelohr. »Der Fels vor uns beginnt zu reißen … vor diesem grünen Meereswind … die … Der Salzgestank des Wales … ach, Mensch … hundsgemein waren wir, alter Freund, hundearm sind wir geworden, und Hundekacke werden wir sein …« Dann kicherte er ziellos in sich hinein, wie ein alter Mann, der seine Brille sucht.

Es störte mich nicht, wenn er Selbstgespräche führte. Das machte ich selbst auch schon lange.

Das hatte ich ebenfalls an dem Nachmittag gemacht, als Trahearnes geschiedene Frau mich angerufen hatte – in meinem kleinen Blechwandbüro in Meriwether, Bundesstaat Montana, sitzend, während ich über die Gasse hinweg auf den überquellenden Müllcontainer gestarrt und mir gesagt hatte, es mache mir nichts aus, wenn das Geschäft schlecht ginge, es sei mir sogar recht. Dann schnurrte das Telefon. Trahearnes Ex-Frau war ganz sachlich. In weniger als einer Minute hatte sie erklärt, dass sowohl die Gesundheit als auch die Trinkgewohnheiten ihres Ex-Ehemannes schlecht seien und sie den Wunsch habe, ich solle ihn finden, ihn auf seiner langen Sauftour aufspüren, bevor er sich in ein frühes Grab hineintrinke. Ich schlug vor, dass wir uns über den Auftrag unter vier Augen unterhalten sollten, aber sie wollte mich sofort auf der Straße haben; ich sollte keine Zeit mehr damit verlieren, dass ich die drei Stunden nach Cauldron Springs hinauffuhr. Um Zeit zu sparen, hätte sie bereits ein Lufttaxi ab Kalispell bestellt, das in eben diesem Augenblick Richtung Meriwether fliege und mir einen Barscheck als Vorschuss, eine Liste von Trahearnes Lieblingskneipen im Westen – vor allem jene, über die er nach anderen Sauftouren Gedichte geschrieben hatte – und ein Schutzumschlag-Foto von seinem letzten Roman bringe.

»Und wenn ich den Auftrag nicht annehmen will?«, fragte ich.

»Wenn Sie gesehen haben, wie hoch der Vorschuss ist, werden Sie ihn wollen«, erwiderte sie kühl und legte auf.

Als ich am Flugplatz Meriwether den großen braunen Umschlag abholte, warf ich einen Blick auf den Scheck und beschloss, den Auftrag zu übernehmen, bevor ich mir noch das Foto ansah.

Trahearne schien ein großmächtiger Mann zu sein, ein Dockarbeiter im Ruhestand, wie er an einer Säule auf der Veranda des Cauldron Springs Hotels lehnte, in einer Hand ein leuchtendes Getränk, in der anderen eine rauchende Zigarre. Man sah ihm sein Alter sogar durch das jungenhafte Grinsen hindurch an, aber zur Kur war er gewiss nicht nach Cauldron Springs gegangen. Hinter ihm schlurften zwei arthritische Gespenster in gleichen Karo-Bademänteln durch den breiten, dunklen Eingang in die Sonne. Ihre uralten Gesichter schienen vor Vorfreude darauf zu lächeln, ihre spröden Knochen in die heißen Mineralquellen zu tauchen.

In den Jahren, die ich damit verbracht hatte, nach vermissten Ehemännern, Ehefrauen und Kindern zu suchen, hatte ich gelernt, nicht zu glauben, ich könnte in ein eindimensionales Gesicht blicken und den Menschen hinter der Fotografie erkennen. Der große Mann wirkte aber wie einer, der eine breite Bahn zieht und eine unübersehbare Spur hinterlässt.

Anfangs war es zu einfach. Wieder in meinem Büro, rief ich fünf oder sechs von den Bars an und erwischte den Alten in Ovanda, Montana, in einer großartigen kleinen Bar, die Trixi’s Antler Bar hieß. Trahearne war aber schon fort, bis ich die achtzig Meilen zurücklegte, und hatte dem Barmann erklärt, er sei unterwegs nach Two Dot, um sich die Bierdosensammlung in einer der beiden Bars von Two Dot anzugucken. Ich verfolgte ihn durch ganz Montana, aber als ich Two Dot erreichte, war Trahearne zur 666 in Miles City weitergefahren. Von dort aus fuhr er in Richtung Süden nach Buffalo in Wyoming, um ein episches Werk über den Krieg im Johnson County zu schreiben. Das erzählte er jedenfalls der Kellnerin. Wie sich herausstellte, unternahm Trahearne nie einen Schritt, ohne ihn mit allen Leuten im Lokal zu besprechen. Dadurch konnte man ihm mühelos folgen, ihn aber nicht einholen.

Wir machten die Tour durch die Bars, sahen uns die Sehenswürdigkeiten an. Das Hotel Chugwater unten in Wyoming, das Mayflower in Cheyenne, das Stockman’s in Rawlings, eine Stacheldrahtsammlung in der Bar des Hotels Sacajawea in Three Forks, Montana, Gesteinsbrocken in Fossil, Oregon, betrunkene Mormonen in ganz Nord-Utah und Süd-Idaho – ziellos im Kreis herum. Zweimal charterte ich Privatflugzeuge, um dem Alten zuvorzukommen, und zweimal tauchte er erst auf, als ich wieder fort war. Sein Geschmack an Bars gefiel mir, aber ich betrat und verließ so viele davon, dass sie alle anfingen, wie stets dieselbe Bar auszusehen. Mitte der zweiten Woche wurden meine Spesen sogar mir peinlich, sodass ich die gewesene Mrs. Trahearne anrief, um zu fragen, wie viel Geld sie in das rollende Saufloch schütten wolle.

»So viel nötig ist«, erwiderte sie in gereiztem Ton, weil ich überhaupt gefragt hatte.

Ich ließ mich also wieder in den Schalensitz meines El-Camino-Transporters zu einer langen Belagerung auf Rädern sinken, folgte Trahearne von Bar zu Bar, auf allen Straßen, die seine Laune ihm eingab. Ich wieselte dahin wie ein aufgeregter junger Jagdhund, nur um seine Witterung nicht zu verlieren, folgte ihm, während er weiterzog, einem Sturmwind zugewandt, den nur er spürte, sein Ohr gespitzt, um die Melodie eines fernen Liedes zu vernehmen, das nur er hörte.

Bis zur Mitte der zweiten Woche hatte ich dasselbe hohe, einsam-scharfe Pfeifen in der Brust, und hätte ich das Geld nicht so dringend gebraucht, ich hätte Abraham Trahearne vielleicht zum Teufel fahren lassen, eine Willie-Nelson-Kassette in den Rekorder gesteckt und versucht, in einem eigenen Whiskey-Strom zu ertrinken. Aber ich werde dafür bezahlt, Leute zu finden, nicht dafür, mich zu verlieren; deshalb hielt ich seine Spur wie ein alter Jagdhund, der hinter letzten Waschbären her ist.

Und es machte mich noch verrückter als Trahearne. Ich sah mich Gespenster über graue Bergpässe verfolgen und hinab durch grüne Täler, die gesprenkelt waren mit Spätfrühlingsschnee. Ich fing an, in denselben Motelbetten zu schlafen, die er benutzt hatte, bemüht, ihn im Traum heraufzubeschwören, fing an, mich in denselben Bars zu betrinken, in der Hoffnung auf eine Whiskey-Vision. Sie kamen auch, diese tristen Motelträume, die Whiskey-Visionen, aber sie stammten aus meiner eigenen verwehten Vergangenheit. Was Trahearne anging, hatte ich keinen Anhaltspunkt.

Einmal bumste ich sogar dieselbe traurige junge Hure auf einem Wohnwagenplatz draußen in der Wüste von Nevada. Sie war ein zerbrechliches, mageres kleines Ding aus Cincinnati und hatte ihre Goldmine hinaus in den Westen geschafft, damit diese dort vielleicht mehr bringe, aber ihr Schacht war eingestürzt, ihre Adern erschöpften sich, und die Kanülenspuren an ihren dünnen Armen sahen aus, als stammten sie von einem rostigen Pickel. Nachdem ich zu viele Nächte zielloser Barhocker-Begierde inmitten ihrer Glieder gestillt hatte, fragte ich sie noch einmal nach Trahearne. Sie sagte zuerst gar nichts, sondern lag nur auf ihrem zerdrückten Bettzeug, rauchte Hasch und starrte durch die Aludecke in die kalte Wüstennacht.

»Glaubst du, dass wir wirklich auf dem Mond gewesen sind?«, fragte sie ernsthaft.

»Weiß ich nicht.«

»Ich auch nicht«, flüsterte sie in den Rauch hinein.

Ich knöpfte meine Levi’s zu und floh in die Wüste hinaus, in eine von Mondlicht und Schatten zersprengte Landschaft.

In Reno verlor ich dann die Fährte, musste die Stadt in immer größer werdenden Schleifen umkreisen, mit Barmännern und Tankwarten reden, bis ich in Truckee einen fand, der sich erinnerte, dass der große Mann in seinem Cadillac-Cabrio nach den Schlammbädern von Calistoga gefragt hatte. Der Schlick war noch warm, als ich hinkam, aber seine Fährte so kalt wie die Augen der alten Leute, die rund um die Thermalbäder starben.

Als ich Trahearnes Ex-Frau anrief, um mein Scheitern einzugestehen, erklärte sie mir, sie hätte eine Ansichtskarte mit der Golden Gate Bridge und einem rätselhaften Spruch von ihm bekommen. Als bester Freund des Mannes gilt der Hund, doch kennt sein Durst kein Ende, seine Tasche keinen Grund.

»Trahearne hat eine seltsame Zuneigung zu Hunden«, erzählte sie, »vor allem zu solchen, die nicht nur Kunststücke können, sondern auch trinken. Einmal hat er drei Wochen in Frenchtown, Montana, verbracht, um mit einem Köter zu trinken, der eine winzige verbeulte Offiziersmütze, Sonnenbrille und eine Maiskolbenpfeife trug. Trahearne sagte, sie hätten bei Brombeerlikör den Feldzug im Pazifik besprochen.«

Ich antwortete, es sei ihr Geld, und wenn sie wünsche, dass ich in der Bay Area herumwanderte und nach einem saufenden Barhund suche, würde ich das gern tun. Das wolle sie, sagte sie, also hängte ich ein und fuhr nach San Francisco, ein schlauer Detektiv, einem trinkenden Barköter dicht auf den Fersen, ein Narr im Auftrag einer Verrückten.

Ich hätte mir denken müssen, dass es in der Stadt der Lichter von Barkötern wimmeln würde – tanzende Hunde und singende Hunde, sogar halluzinierende Hunde –, sodass ich erst drei Tage später, während ich mit einem rosaroten Pudel in Sausalito Gimlets trank, von der Bier trinkenden Bulldogge bei Sonoma erfuhr.

Das alte Holzhaus stand fünfzig Meter abseits der Straße nach Petaluma, und Trahearnes roter Cadillac war davor abgestellt. Früher war das einmal eine Tankstelle gewesen. Eine kleine Herde herrenloser Autos stand bis zu den Hälsen im staubigen Sudangras und Unkraut, und die leeren Höhlen der Scheinwerfer träumten von Pegasus und Asphaltflug. Das Lokal hatte nicht einmal einen Namen, nur ein verblasstes, an der windschiefen Veranda hängendes Schild, das BIER versprach. Die alten Benzinpumpen mit ihren Glasaufsätzen waren längst auf und davon – vielleicht nach Sausalito, um einen Antiquitätenladen zu eröffnen –, aber die rostigen Bolzen ihrer Sockel ragten immer noch aus dem Beton wie Fingerknochen aus einem flachen Grab.

Ich hielt neben Trahearnes Caddy, stieg aus, um mir die Meilen aus den Beinen zu schütteln, dann ging ich aus der Frühlingssonne in den staubigen Schatten der Kneipe. Das war der Ort, den ich auf meiner eigenen Wander-Sauftour aufgesucht hätte, um wie eine Murmel in einem Spalt eingeklemmt zu bleiben, eine Zuflucht für Okies aus Kalifornien und Texaner im Exil, ein Heim für Leute vom Land, die erst vor Kurzem enteignet wurden und deren Augen von Hoffnung so entleert waren, dass sie heißen, winddurchfegten Ebenen glichen, kargen, beinahe biblisch weiten, nur vom Rückgrat eines verwaisten Schaukelstuhls unterbrochenen Horizonten. Das hätte ebenso gut mein Heim sein können, eines, wo ein Mann in Langeweile trinken und in Heftigkeit bereuen und um den Preis für ein Glas Bier Vergebung erlangen konnte.

 

Nachdem ich überlegt hatte, steckte ich meine Münze wieder in die Tasche und ging zur Theke zurück, um noch ein Bier zu bestellen. Ich hatte auf dem ganzen Weg dies oder jenes von Trahearne entdeckt und kam mir vor wie ein alter Freund. Es wäre eine Schande gewesen, ihn nicht zu genießen, nicht ein paar Bier mit ihm zu trinken, bevor ich seine Ex-Frau anrief und der Sache ein Ende machte. Sooft ich jemanden gefunden hatte, war ich immer der Meinung gewesen, ich verdiente als Bezahlung mehr als Geld. Das war immer der traurigste Augenblick der Jagd, das stumme Warten auf die bedauernden Eltern oder das zornige Ehegespons oder die Polizei. Das Verfahren war schön, aber das fertige Produkt immer hässlich. In meinem Beruf braucht man eine moralische Gewissheit, die zu besitzen ich längst nicht einmal mehr behauptete, und jedes Mal, wenn eine Jagd zu Ende ging, wäre ich am liebsten weggegangen.

Aber noch nicht jetzt, nicht diesmal. Ich lehnte mich an die Theke und bestellte noch eine Flasche Bier. Als das Barmädchen sie hinstellte, huschte ein großer schwarzer Kater auf der Theke heran, um die Feuchtigkeit am langen Hals zu beschnuppern.

»Trinkt die Katze auch Bier?«, fragte ich das Barmädchen.

»Schon lange nicht mehr«, antwortete sie mit einem Grinsen, während sie mit dem tropfnassen Thekenlappen nach dem Kater schnalzte. Er sah sie böse an, dann lief er gemächlich die Theke entlang, vorbei an Hund und Trahearne, wobei sein Schwanz über Trahearnes teilnahmsloses Gesicht strich.

»Das Viech hat gesoffen wie’n Fisch, ist aba zu viel Ärger gewor’n. Wie der olle Lester da«, sagte sie und wies mit dem Kinn auf den Baumschatten-Mechaniker mit den meisten Zähnen. »Er verträgt’s nich. Er is so gemein besoffen gewor’n und dahergewankt, dass er überall da, wo’s nich gepasst hat, ’s Rumhur’n anfing.« Das Barmädchen warf dem ollen Lester einen scharfen, vielsagenden Blick zu, dann begann sie freudig zu gackern.

Der olle Lester versuchte zu grinsen und zeigte mir den Rest seiner Zähne. Sie waren nicht schöner als jene, die ich schon gesehen hatte.

»Nachts mal fing der bekloppte alte Saukerl an, alles zu bumsen, was da war – die Beine vom Billardtisch, Queues, die Füße von den Gästen, alles, was nich schnell genug wegkonnte – und dann tat er was Böses an ner Dam’hose, und einer lachte, und dann gab’s die größte Schlägerei, die ich je geseh’n hab. Jeder, der nich ins Krank’nhaus kam, saß im Knast, und mir is sechs Wochen die Konzession entzog’n wor’n.« Sie lachte und fügte hinzu: »Da hab ich ihm das Ding abhacken lassen. Seitdem säuft er nich mehr.«

»Meinen Sie Lester oder den Kater?«, fragte ich.

Das Barmädchen gackerte fröhlich, der andere Mechaniker wieherte, nur der olle Lester saß da, als schmerzten ihn seine sämtlichen Zähne.

»Nee«, gab sie zurück, als sie mit dem Lachen fertig war. »Der olle Lester da macht hier keen Ärger. Da hat er zu viel Angst vorm Hund da.«

»Sieht mir aus nach einer schlichten alten Dogge«, sagte ich, dann lehnte ich mich zurück und wartete auf die Geschichte.

»Schlicht«, quietschte Lester. »Schlicht bösartig. Und wie! Mensch, Mann, vorigen Sommer komm ich morgens mal hier ganz friedlich rein, und mach den Fehler, dem Kerl auf’n Fuß zu treten, als er’n Kater hatte, und da reißt er mir doch beinah das ganze Bein ab.« Lester beugte sich vor, um sein Hosenbein zu lüften und eine Garnitur Hundebissnarben vorzuweisen, die aussahen wie Hühnerkratzspuren. »Siebenundfünfzig Mal genäht«, behauptete er stolz. »Der olle Oney hier musste dem Kerl eins mit dem Queue auf’n Kopf geben, damit er mein Bein losließ.«

»Das verdammte Queue is in zwei Stücke gebrochen«, fügte Oney schnell an.

»Schlichte alte Dogge, hä«, sagte Lester. »Das Vieh is hinterfotziger wie ne Schlange. Sag’s ihm nur, Rosie.«

»Hören Sie, Mister«, sagte das Barmädchen, als sie sich über die Theke beugte, »ich hab geseh’n, wie Fireball Roberts da stockbesoffen und sterbensverkatert war, un dann war das auf’n Schlag weg, un’ er hat so manch ei’m einfach’s Beinkleid weggefetzt, wenn der gemeint hat, er macht’s ner armen Frau schwer, die ganz allein steht.« Als Sie »allein« sagte, stützte Rosie ihr Kinn mit einem Finger und lächelte geziert. Ich blickte über ihre Schulter in den blinden Spiegel, um zu sehen, ob mein Haar auf der Fahrt ergraut war. Ein altes Gespenst mit schwarzen Haaren grinste wie ein Coyote heraus. Rosie fügte hinzu: »Der stößt se nich bloß um, Mister, der zieht se am Hosenboden raus, und se sin meistens froh, dass se wegkomm.«

»Na, hol mich der Teufel«, sagte ich, angemessen beeindruckt, dann warf ich einen Blick auf die Bulldogge, die zusammengerollt still auf dem Barhocker schlief. Trahearne fing meinen Blick mit einem bösen Funkeln auf, so, als glaube er, ich wollte am Mut des Hundes zweifeln, aber seine Augen verloren die zornige Scharfeinstellung und schienen, jedes für sich, wegzugleiten.

»Wenn Fireball se jetzt aber nich alle ganz alleine packt, versteht sich«, fuhr Lester mit hoher, erregter Stimme fort, »die alte Rosie da is auch nich faul. Wenn Se die wild machen, Mister, knallt se Ihnen die Augen aus, bevor Se sich umsehen.«

Ich nickte, und Rosie errötete süß.

»Zeig ihm mal die Pistole«, verlangte Lester.

Rosie ergänzte ihr Erröten um einen Spritzer verschämtes Widerstreben, und einen Augenblick lang ließ das Gesicht einer jüngeren, hübscheren Frau ihre Falten verschwimmen. Sie ordnete ihre grauen Locken, dann griff sie unter die Theke und holte eine uralte und misshandelte vernickelte Automatikpistole, Kaliber 38, heraus, von der die Vernickelung wie billiger Lack abgegangen war.

»Sieht nicht nach viel aus«, räumte Lester unerschrocken ein, »aber den Abzug hat se ganz fein zugefeilt, und das Drecksding schießt lieber gleich fünf- als einmal.« Er drehte sich herum und zeigte durch das Lokal auf einen Haufen ungeflickter Einschusslöcher zwischen zwei Fenstern über einer schäbigen Nische. »Se hat nich abdrücken müssen, aber ich schwör Ihnen, Mister, wenn se unter de Theke langt, wird’s hier herinnen ganz friedlich.«

»Wie in einer Kirche«, sagte ich.

»Eher wie auf einem Friedhof«, verbesserte Lester. »Wird überhaupt nich gesungen, nur still gebetet.« Dann lachte er wild los, und ich prostete seiner Fröhlichkeit zu.

Rosie behielt die Pistole noch einen Augenblick in den Händen, dann warf sie die Waffe unter die Theke, dass es krachte.

»Zu Haus’ hab ich natürlich ne richtige Pistole«, sagte Lester selbstzufrieden.

»Eine deutsche Parabellum?«, fragte ich, ohne zu überlegen.

»Woher wissen Sie das?«, fragte er argwöhnisch.

In Wahrheit hatte ich mein Leben damit zugebracht, mir in Bars Kriegserlebnisse und diverse Lügen anzuhören, aber ich log und erzählte Lester, mein Papa hätte eine aus dem Krieg mitgebracht.

»Die meine hab ich nem Kraut-Hauptmann in der Normandie abgenomm’«, sagte er mit gerümpfter Nase, als hätte mein Papa die seine beim Würfelspiel gewonnen.

»Da müssen Sie aber ziemlich jung gewesen sein«, sagte ich und bedauerte es sofort. Leute wie Lester erzählen manchmal eine windige Geschichte, aber nur ein ausgemachter Dummkopf macht sie darauf aufmerksam.

Lester starrte mich lange an, um zu sehen, ob ich ihn einen Lügner nennen wollte, dann sagte er mit geübter Lässigkeit: »Hab mich älter gemacht.« Nach einer kleinen Pause fragte er: »Sin’ Se mal beim Barras gewesen?«

»Nein, Sir«, log ich. »Plattfüße.«

»Untauglich«, sagte er, bemüht, nicht allzu sehr von oben herab zu reden. »Oney da is auch untauglich, aber bei dem waren’s nich die Füße, sondern der Kopp.«

»Ich geh zu keiner gottverdammten Scheißarmee«, sagte Oney ernsthaft, dann schaute er sich um, als wäre ihm das Wehrkreisamt noch auf den Fersen.

»Gibt ja nich mal mehr ne Wehrpflicht«, sagte Lester und schnaubte vor Oneys Unwissenheit.

»Ja«, sagte Oney traurig. »Die sollten bei Gott da mal rübergeh’n nach San Francisco un’n paar Hunnerttausend von den gottverdammten haarigen Hippies kassier’n.«

»Das is bei Gott wahr«, sagte Lester und wandte sich mir zu. »Nich?« Seine Augen verengten sich vor den Dreitage-Stoppeln an meinem Kinn, als sei das ein Bartbeginn.

Zur Abwechslung hielt ich den Mund und nickte. Aber ich nickte nicht nachdrücklich genug. Lester war nicht zufrieden. Er wollte etwas sagen, aber ich unterbrach ihn, entschuldigte mich und ging auf Trahearne zu. Ich tippte ihm auf die Schulter, und sein mächtiger kahler Schädel drehte sich langsam, als sei er schwer wie Blei. Er zog seine Brauen hoch, beförderte ein freundliches, kleines Lächeln auf sein Gesicht, zuckte die Achseln und kippte dann rückwärts vom Barhocker. Ich bekam eine Handvoll Hemd zu fassen, aber das bremste ihn nicht einmal. Er prallte hart auf den Rücken, wie ein Doppelzentnersack Zement. Dachbalken und Fensterscheiben zitterten, zwischen den Dielenbrettern quollen Wolken uralten Staubes hoch, und die Billardkugeln auf dem Tisch tanzten munter über den abgestoßenen Filz.

Während ich blöd dastand, eine Handvoll schmutzigen Kaki in der rechten Hand, sprang Lester von seinem Hocker und schrie: »Wozu ha’m Se denn das gemacht, Mensch?«

»Was gemacht?«

»Den alten Mann einfach geschlagen«, sagte Lester, während sein Adamsapfel wie eine irre Maus in seiner Kehle auf- und absauste. »So nen Scheiß hab ich überhaupt noch nich geseh’n.«

»Ich habe ihn nicht geschlagen«, sagte ich.

»Mensch, Mann, hab ich doch selber gesehen.«

»Tut mir leid, aber da müssen Sie sich getäuscht haben«, sagte ich, bemüht, ruhig und vernünftig zu bleiben, was in solchen Fällen ein Fehler ist.

»Woll’n Se mich nen Lügner nenn?«, fragte Lester, während er die Fäuste ballte.

»Durchaus nicht«, sagte ich, und machte einen zweiten Fehler, während ich zu meinem Bier an die Theke zurücktrat: Ich versuchte, die Dinge zu erklären. »Hören Sie, ich bin Privatdetektiv, und die geschiedene Frau des Herrn hat mich beauftragt …«

»Was’n los?«, unterbrach mich Lester verächtlich, »is er mit seinen gottverdammten Al-ü-menten im Rückstand, was? Ihre Sorte kenn ich, Freundchen. Ein mieser, hinterlistiger Dreckskerl wie Sie is mir mal bis zu meiner Mama in Barstow nachgefahr’n, nur weil ich der Hure, mit der ich verheiratet war, ’n paar Monate nischt bezahlt hab, un’ ich will Ihn’ bloß sagen, ich hab ihm sauber den Arsch versohlt, und gute Lust, dass ich’s mit Ihn’ genauso mach.«

»Wollen wir uns einfach beruhigen, hm?«, sagte ich. »Ich spendiere den Herren eine Runde und erzähle Ihnen alles, ja?«

»Ich will hier kein’ Ärger«, warf Rosie leise ein.

»Kein Ärger«, sagte ich. Lester und Oney mochten Komikergesichter, eine seltsame Redeweise und schlechte Zähne haben, aber sie hatten auch Handgelenke, so dick wie Zaunpfähle, knochige, beschwielte Hände, klumpig, wie Socken voll Steinbrocken, und ein Leben voller Zorn und Groll hinter sich. Ich war mit solchen Menschen aufgewachsen und hütete mich, ernsthaft mit ihnen in Streit zu geraten. »Gar kein Ärger«, sagte ich. »Ich gehe schon.«

»Das reicht aber hint’n und vorne nich«, knurrte Lester, als er zwei Schritte auf mich zutrat und einen Schwinger auf mein Gesicht loslassen wollte.

Ich duckte ab, dann hieb ich ihm mit einer Rückhand die halbvolle Bierflasche auf den Kopf. Sein rechtes Ohr verschwand in einem blutigen Schaumregen, er fiel seitlich um und krabbelte ein Stück, während er fluchend die Hand aufs Ohr presste. Oney stand auf und setzte sich wieder, als er die abgebrochene Flasche in meiner Hand sah.

»Reicht das?«, fragte ich.

Oney stimmte mit einem nervösen Nicken zu, aber Lester hatte gerade in seine Hand geguckt und kleine Stückchen von seinem Ohr gefunden. Er schrie mit dünner, hoher Stimme: »Verdammich, Oney, hol die Pistole!«

Hinter mir hörte ich Trahearne aufstehen und verträumt fragen, was denn los sei. Niemand antwortete. Oney und Rosie und ich guckten einander starr an. Dann reagierten wir alle gleichzeitig. Rosie hetzte die Bar hinunter zur Pistole, während Oney hinüberkletterte. Ich warf einen Blick auf die Dogge, die immer noch wie ein Murmeltier schlief, dann suchte ich das Weite. Ich hätte es auch geschafft, aber der gute olle Lester rollte sich herum und rammte mir eine Schulter in mein Knie. Wir brachen zusammen. Genau auf sein kaputtes Ohr. Er wimmerte, klammerte sich aber fest. Sogar noch, als ich aufstand und ihm eine Handvoll schmutziger Haare ausriss.

Hinter der Theke rangen Rosie und Oney immer noch um die Pistole. Trahearne war so weit nüchtern geworden, dass er sie sah, aber als er davonzulaufen versuchte, krachte er an den Billardtisch und versuchte dann, unter ihn zu kriechen, als Oney Rosie die Pistole aus der Hand riss und sie wegstieß. Im Fallen schrie sie: »Fireball!« Ich gab auf und hob die Hände, fand mich mit einem Nachmittag Spaß und Spiel als Strafe für Lesters Ohr ab. Aber als Oney die Pistole hob und mit dem Daumen den Sicherheitshebel umlegte, fuhr Fireball aus tiefem Schlaf hoch und setzte wie ein Blitz aus fettem grauem Licht mit einem einzigen Sprung über die Theke. Noch in der Luft verbiss er sich mit den gelben Stummelzähnen in Oneys Rücken, an der empfindlichen Stelle knapp unter den kurzen Rippen und über der Niere. Oney ächzte wie jemand, dem man einen Baseballschläger übergezogen hat, ließ die Arme fallen und erbleichte so stark, dass alte Pickelnarben auf seinem ganzen Gesicht glühend rot aufleuchteten. Er ächzte noch einmal, schluchzte kurz auf und drückte ab.

Der erste Schuss riss ihm einen erheblichen Teil vom rechten Fuß weg, der zweite richtete eine schaumige Verheerung im Wasserkühltank an, und der dritte durchschlug die dünne Hartfaserplatte der Thekenwand und fuhr Mr. Abraham Trahearne genau in seinen berühmten Hintern. Der vierte pulverisierte Billardkugel 14, der fünfte zerballerte eine Fensterscheibe, der Rest durchsiebte das Dach.

Als das Magazin endlich leer war, sank Oney hinter der Bar langsam zusammen, die Pistole mit der erhobenen Hand umklammernd und Fireball immer noch wie einen fetten grauen Blutegel am Rücken. Während der Pistolensalven war der Kater aus dem Nichts aufgetaucht und schoss nun wie ein schwarzer Blitz zur Eingangstür hinaus. Lester umklammerte wie ein verschrecktes Kind meine Knie. Oder wie ein Mann, dessen Erzählungen nun endlich wahr geworden sind.

»Verdammt noch mal, Lester«, sagte ich, als der Widerhall aufgehört hatte, die alten Balken zu erschüttern, »Sie verbluten mir.«

»Tut mir leid«, sagte er leise, als sei ihm ernst damit, dann ließ er mich los.

Als ich ihm mein Taschentuch für sein Ohr gab, kam Fireball um die Theke herumgetrabt. Seine hängenden Lefzen waren blutgerändert. Er kletterte auf den vorspringenden Thekensockel, auf einen Hocker und die Theke. Er arbeitete sich dort entlang, kippte Flaschen um, fing sie mit dem Maul auf und trank sie leer. Dann leckte er seinen Aschenbecher aus, rülpste und sprang auf demselben Weg, den er hinaufgekommen war, wieder hinunter. Mit erschöpftem Watscheln, aus dem bei jedem Schritt ein Seufzer zu kommen schien, wanderte er zum Eingang und streckte sich in einem Flecken Sonnenlicht aus, schlief schon, bevor sein Bauch den Boden berührte und kleine, zarte Schnarcher die Stäubchen in der Luft aufwirbelten.

»Ich glaube nicht, dass ich so etwas schon einmal gesehen habe«, sagte ich zu Lester.

»Gottverdammter Mistköter«, knurrte Lester, während er zu einer Nische ging, um sich hinzusetzen.

Ich ging hinter die Bar, um nach Oney und Rosie zu sehen. Oney war ohnmächtig geworden, und sie lag wie eine Leiche auf den Laufbrettern. Nur hatte sie die Hände auf die Ohren gepresst, statt sie auf der Brust zu kreuzen.

»Irgendjemand tot?«, fragte sie, ohne die Augen aufzumachen.

»Ein paar gehfähige Verwundete, aber keine Toten«, erwiderte ich.

»Wenn Sie warten würden, bis ich meinen Verstand beisammen habe, bevor Sie die Polizei rufen, wäre ich sehr dankbar«, sagte sie. »Wir müssen uns was ausdenken, wie wir den ganzen Scheiß erklären.«

»Richtig. Haben Sie Whiskey?«

Sie wies mit dem Kinn auf einen Wandschrank, wo ich eine halb leere Flasche Old Crow fand. Ich tat für Oneys Fuß, was ich tun konnte, zog seinen Arbeitsschuh und den Baumwollsocken aus und goss etwas Whiskey auf die Knubbel, wo seine beiden Mittelzehen gewesen waren; dann wickelte ich den Fuß in ein sauberes Spültuch. Nachdem ich den Hundebiss mit Kernseife ausgewaschen hatte, ging ich hinüber zu Lester, um ihm zu helfen, Glassplitter aus der Schläfe und dem zerfetzten Ohr zu ziehen.

»In das Ohr steckt keine Dame mehr ihre Zunge rein«, witzelte ich.

»Da war ich sowieso nie dafür«, sagte er steif. »Wie geht’s dem ollen Oney?«

»Hat sich zwei Zehen weggeschossen«, sagte ich.

»Große oder kleine?«

»Mittlere.«

»Mensch, das is gar nischt«, sagte Lester, während er vorsichtig sein Ohr berührte. »Un’ Rosie?«

»Ich glaube, sie macht ein kleines Schläfchen.«

»Der Große da, scheint’s, auch«, sagte Lester mit einem Nicken.

Ich hielt es für unliebenswürdig, darauf hinzuweisen, dass aus dem »Alten« auf irgendeine Weise der »Große« geworden war, also ging ich hinüber, um festzustellen, warum Trahearne immer noch unter dem Billardtisch kauerte.

»Alles in Ordnung, Mr. Trahearne?«, fragte ich, als ich niederkniete, um unter den Tisch zu gucken.

»Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich eine Kugel erwischt, glaube ich«, erwiderte er ruhig.

Ich sah kein Blut, also fragte ich, wo.

»Genau im Arsch, mein Freund«, sagte er, »genau im Arsch.«

Dann öffnete er die Augen, sah die Flasche und nahm sie mir weg. »Sie trinken so ein Gesöff?«

Das tat ich nicht oder hatte es jedenfalls nicht getan, aber er hatte keine Schwierigkeiten, den Flaschenhals in den Mund zu bekommen. Schwierigkeiten hatte ich, als ich ihm Hose und seine segeltuchgroße Unterhose herunterzog, damit ich die Wunde sehen konnte. Das ummantelte Geschoss hatte ein säuberliches blaues Loch hinterlassen, das bezeichnet war von einem wässrigen Blutgerinnsel, direkt unter der linken Gesäßbacke. Ich konnte nicht wissen, ob die Kugel einen Knochen oder eine Arterie durchschlagen hatte, aber Gesichtsfarbe und Puls von Trahearne waren in Ordnung, und ich konnte das Blei wie einen kleinen blauen Klumpen direkt unter der Haut sitzen sehen, unterhalb des Fettgewebes, das an seiner rechten Hüfte herabhing.

»Wie sieht es aus?«, fragte er zwischen den Schlucken.

»Wie Ihr Arsch, werter Herr.«

»Ich wusste schon immer, dass ich einen komischen Tod sterbe«, meinte er ernst.

»Nicht heute. Das ist nur eine kleine Fleischwunde.«

»Sie haben leicht reden, es ist nicht Ihr Fleisch.«

»In wenigen Tagen haben Sie nichts als eine schlechte Erinnerung und einen wehen Hintern«, sagte ich.

»Vielen Dank«, sagte er, »aber beides scheine ich schon zu haben.« Er legte eine Pause für einen Schluck Whiskey ein. »Woher wissen Sie meinen Namen, junger Mann?«

»Na, Mensch, Sie sind ein berühmter Mann, Mr. Trahearne.«

»Leider nicht so berühmt.«

»Ja nun, Ihre Ex-Frau hat sich Sorgen um Ihre Gesundheit gemacht«, meinte ich.

»Und Sie beauftragt, mir in den Hintern zu schießen, damit ich nicht mehr auf einem Barhocker sitzen kann.«

»Ich habe nicht auf Sie geschossen.«

»Mag sein, aber die Schuld wird man Ihnen trotzdem zuschreiben.« Dann saugte er am Bourbon, bis er sich um die leere Flasche zusammenrollte und mit seinem rauen Schnarchen dem leisen Brummen Fireballs Gesellschaft leistete.

2

Als die amtliche Kolonne – zwei Krankenwagen und ein Streifenwagen mit Hilfssheriff – von Rosies Parkplatz in einer Staubwolke hinausrauschte, schalteten sie alle gleichzeitig die Sirenen ein und verschwanden heulend in der Ferne. Für Rosie und mich, auf den Eingangsstufen sitzend, hörte es sich an wie der Anfang vom Ende der Welt.

»Auf die Sirenen sin’ die Kerle wirklich scharf«, meinte sie leise.

»Das ist so ungefähr der einzige Spaß, den sie im Leben haben«, sagte ich.

»Sprechen Sie aus Erfahrung?«, fragte sie mit schmalen Augen.

»Ich bin schon mit ein paar Polizeiautos abtransportiert worden«, sagte ich, und sie nickte, als würde das auch für sie gelten.

Während sie und ich im Lokal aufgeräumt, die Verwundeten hinausgetragen und eine höchst unwahrscheinliche, aber zufällige Version der Schießerei erfunden hatten, waren Rosie und ich Freunde geworden. Jetzt verbanden uns auch noch unsere gemeinsamen Lügen vor den Beamten. Lester und Oney hätten umsonst gelogen, nur um widerborstig zu sein, aber ich verteilte an sie eine großzügige Portion Bargeld, um bei den Arztkosten behilflich zu sein. Lester steckte das Geld ein, dann erzählte er mir, dass er und Oney kraft einiger Ausflüge zur Trinkerheilanstalt unter der Fürsorgeaufsicht des Staates Kalifornien stünden. Der ältere Hilfssheriff, der uns vernahm, schien zu wissen, dass wir ihn belogen, aber das schien ihm gleichgültig zu sein. Er hatte mehr Interesse, Oney auf den Arm zu nehmen, weil dieser sich in den Fuß geschossen hatte. Als er ging, sagte er aber, ich solle am nächsten Morgen im Gerichtsgebäude vorbeikommen, um ein Protokoll zu unterschreiben, und er und ich wussten, was das bedeutete.

Als die Sirenen verklungen waren, sagte Rosie: »Meinen Sie, wir sollten uns ein Bier genehmigen?«

»Whiskey«, sagte ich und ging zu meinem Transporter, um die Reiseflasche aus dem Handschuhfach zu holen. Als ich zu den Stufen zurückkam, hatte Rosie zwei noch unangebrochene Flaschen Bier als Nachtrunk gefunden. Nachdem wir eine Weile stumm getrunken hatten, sagte ich: »Tut mir leid wegen des Ärgers.«

»War nicht Ihre Schuld«, erwiderte sie und schwenkte müde die Hand. »Das war dieser verdammte Taugenichts Lester. Als ihn der Privatdetektiv unten in Barstow erwischte, wurde Lester frech, und der Knabe fing an, Lester vor dem Haus seiner Mama windelweich zu prügeln, bis Lester ihn angefleht hat, für die Kinder was zahlen zu dürfen.«

»Dachte mir schon so etwas«, sagte ich.

»Wieso sind Sie hinter dem Großen her gewesen?«, fragte sie. Dann fügte sie schnell hinzu: »Sie brauchen’s mir natürlich nicht zu sagen, wenn’s mich nix angeht.«

»Ich sollte ihn finden, bevor er sich in die Klinik hineintrinkt«, sagte ich. »Oder ins Grab.«

»Das machen Sie als Beruf?«, fragte sie. »Leute finden?«

»Manchmal«, sagte ich. »Sonst suche ich nur.«

»Bringt das was?«

»Halbwegs, aber nichts Regelmäßiges. Die Hälfte der Zeit stehe ich hinter der Bar.«

»Wie das?«

»Immer noch viel besser, als bei Monkey Wards herumzustehen und auf sechzehnjährige Kaufhausdiebe aufzupassen.«

»Kann ich mir denken«, sagte sie, lachte und setzte die Whiskeyflasche an. »Wie lange fahren Sie schon hinter dem Großen her?«

»Fast drei Wochen.«

»Sie werden pro Tag bezahlt, was?«

»In der Regel.«

»Der Auftrag müsste Ihnen aber was einbringen«, meinte sie.

»Hoffentlich«, sagte ich. »Die sind vielleicht schlecht auf mich zu sprechen, weil der alte Mann angeschossen worden ist, und sagen sich, ich wäre überbezahlt.«

»Verklagen.«

»Haben Sie das bei reichen Leuten schon mal probiert?«

»Kleiner, ich kenn gar keine reichen Leute«, sagte sie, dann starrte sie auf den Boden. »Wovor, glauben Sie, ist der Alte davongelaufen?«

»Vielleicht brauchte er seine Ruhe und den Schnaps oder eine Wander-Sauftour«, sagte ich. »Ich weiß es wirklich nicht.« Und das stimmte. Normalerweise habe ich, wenn ich jemanden ein paar Tage lang verfolge, eine Vorstellung davon, was in ihm vorgeht, aber ich hatte das nicht bei Trahearne. Im Verlauf meiner wenigen lichten Momente hatte ich das sonderbare Gefühl, dass der alte Mann vor mir davonlief, damit ich ihn jagte. »Vielleicht wollte er nur sehen, was hinter dem nächsten Berg ist«, fügte ich hinzu.

»Er muss es satt bekomm haben, nachzusehen, weil er sich hier häuslich eingerichtet hat«, sagte Rosie leise.

»Na, wenn er nur halb so müde ist wie ich, muss er verdammt kaputt sein«, meinte ich, »weil ich völlig hin bin. Ich könnte eine Woche lang schlafen.«

»Aber das werden Sie wohl nicht tun, oder?«

»Wohl nicht.«

»Was werden Sie tun?«, fragte sie, für mein Gefühl zu beiläufig.

»Mich bei der Klinik herumtreiben, bis er herauskommt.«

»Wie lange kann das dauern?«

»Ungefähr eine Woche, je nachdem.«

Wir schwiegen wieder ein paar Minuten und sahen zu, wie der sanfte Frühlingssonnenschein auf den flachen Hügeln grünes Feuer entzündete, hörten auf das ferne Summen des Verkehrs.

»He«, sagte sie plötzlich, als sei ihr das gerade eingefallen. »Könnte sein, dass ich Ihnen nen kleinen Auftrag verschaffen kann, während Sie hier rumsitzen. Nichts tun ist auch nichts.«

»Ich bearbeite in der Regel nur eine Sache«, erklärte ich schnell. »Das ist mein Vorteil gegenüber den großen Agenturen.« Als sie nichts sagte, fragte ich: »Was haben Sie? Einen Stapel fauler Schecks?«

»Genug, um eine Wand damit zu tapezieren«, sagte sie, »aber das is nich das Problem.« Als ich sie nicht fragte, was das Problem denn sei, fuhr sie fort: »Es ist meine Kleine. Sie ist mir weggelaufen, und ich dachte, Sie könnten vielleicht ein paar Tage – was Sie halt an Zeit haben – herumschauen.«

»Na, ich weiß nicht …«

»Ich weiß, der Laden gibt äußerlich nicht viel her«, unterbrach sie mich, »aber alles ist bezahlt, und ab und zu kommt auch ’n Dollar rein.«

»Das ist es nicht«, sagte ich. »Ich brauche nur eine Pause.«

»Sie warten jetzt hier«, meinte sie, als hätte sie mich nicht gehört, und stürzte ins Haus zurück.

Während ich wartete, wurde aus dem, was anfangs ganz nach schönem Frühlingsdunst ausgesehen hatte, deutlich Smog über der Bay Area, und das rief mir ins Gedächtnis zurück, dass das nicht irgendeine ländliche Bierkneipe unten in Texas an einem Frühlingsnachmittag in den fünfziger Jahren war. Das Labyrinth von San Francisco lag jenseits der Bucht, eine Zuflucht für weggelaufene Leute, und obwohl auch die sechziger Jahre tot und begraben waren, flüchteten sich immer noch junge Mädchen dahin. Das hatte sich nicht geändert, wenn auch sonst alles. Ich wollte nicht hören, was Rosie mir zu sagen hatte – ich wollte nicht wieder das Foto eines verlorenen Kindes anstarren. Veränderung ist die Regel. Man kann nicht mehr nach Hause, selbst wenn man dort bleibt, und seitdem es überall gleich ist, kann man nirgendwo mehr hinflüchten. Aber das hindert manche nicht daran, es doch zu versuchen. Und Rosie hielt es auch nicht auf.

»Da«, sagte sie, als sie sich hinsetzte und mir ein Foto gab. »Schauen Sie.«

Ich blickte gerade lange genug auf das Bild, um zu sehen, dass es eine brieftaschengroße Schulaufnahme eines ziemlich hübschen Mädchens war. Dann drehte ich sie um und sah die Jahreszahlen: 1964/65.

»Sie war ein hübsches Mädchen«, sagte ich, als ich Rosie das Bild zurückzugeben versuchte.

»Und schlau«, erwiderte sie, die Hände zwischen den Knien.

Ich musste mir das Bild noch einmal ansehen. Es hätte aus meiner Highschool-Zeit in den fünfziger Jahren stammen können. Das Gesicht war nett, nicht mehr, obwohl sie unter einer kleinen Schicht Babyspeck ein gutes Knochengerüst zu besitzen schien. Der breite Mund wirkte beinahe mürrisch, und die wallende Haarmähne kam mir unecht vor. Die Nase war gerade, an der Spitze aber zu knollig, um hübsch zu sein. Nur die Augen waren auffallend, dunkel glitzernd vor Zorn und Groll, ein Hinterwäldler-Zorn, der zu einem mehr hageren Gesicht passte. Sie trug eine altmodische Spitzenbluse mit hohem Kragen, durch den ein schwarzes Band geführt war, das eine Kamee an ihrer Kehle festhielt.

Ich kannte die Geschichte: ein beinahe hübsches Mädchen, aber ohne das Geld für die richtige Kleidung oder Zahnspangen oder Selbstvertrauen, die Sorte, die entweder in den Randzonen der reicheren, beliebteren Mädchen herumschleicht und für ihre Mühe als vorwitzig gilt, oder die allein blieb und die Highschool-Kreise mied und für ihre Bemühungen als eingebildet angesehen wurde. Während ich das Bild anstarrte, freute ich mich zum wiederholten Mal darüber, dass ich diesem Unsinn zum größten Teil entgangen war. Ich hatte auf dem Land gelebt und gearbeitet und war, wenn auch nicht ganz nach Plan, drei Wochen vor dem Examen zum Militär gegangen. Das kam mir auf irgendeine Weise sauberer vor.

»Wann ist sie abgezogen?«, fragte ich Rosie.

»Im kommenden Mai sind es zehn Jahre«, sagte sie ganz ruhig, so, als hätte sie gesagt: Am kommenden Sonntag ist es eine Woche.

»Und seitdem haben Sie nichts mehr von ihr gehört?«

»Kein einziges Wort.«

»Zehn Jahre sind zu lang«, sagte ich. »Schon ein Jahr ist in der Regel zu lang, aber zehn Jahre sind eine Ewigkeit.«

Doch Rosie tat erneut so, als hätte sie mich nicht gehört.

»Sie ist an einem Samstagnachmittag mit ihrem Freund nach San Francisco gefahren, und er sagte später, sie wäre an einer roten Ampel einfach ausgestiegen und weggegangen, ohne ein Wort zu sagen oder sich auch nur umzuschauen. Einfach weggegangen. Das hat er gesagt.«

»Irgendein Grund, das für gelogen zu halten?«

»Keiner«, sagte Rosie. »Den kenn ich sein ganzes Leben, und seine Mama ist eine Freundin von mir. Sie hat mir fast zwanzig Jahre lang einmal in der Woche die Haare gemacht. Und Albert war furchtbar durcheinander. Er hat Betty Sue noch Jahre gesucht, als ich schon aufgegeben hatte. Seine Mama sagt, er fragt noch jedes Mal nach ihr, wenn sie’n sieht.«

»Haben Sie das der Polizei mitgeteilt?«, fragte ich.

»Na, versteht sich«, antwortete Rosie zornig. »Was wär ich denn da sonst für eine Mutter? Meinen Sie, ich lass ein siebzehnjähriges Mädel in der verdammten Großstadt voller Nigger und Rauschvögel und Schwulen rumlaufen? Natürlich hab ich’s der Polizei gesagt. Fünf, sechs Mal.« Dann fügte sie mit leiserer Stimme hinzu: »Nicht dass sie sich den Scheiß drum gekümmert hätten. Ich bin sogar selber rübergefahren. Vielleicht zwanzig, dreißig Mal, bis ich mir die Schuhe abgelaufen hab und die Bilder hin waren, die ich rumgezeigt hab. Aber keiner hatte sie geseh’n. Keine Menschenseele.« Wieder machte sie eine Pause. »Die verdammte Stadt da drüben ist mir verhasst, wissen Sie. Am liebsten wär mir wieder ein Erdbeben, das sie einfach ins Meer kippt. Ich hasse sie. Wenn’s in dieser schlechten, sündigen Welt ein Sodom und Gomorrha gibt, dann is es das«, sagte sie und zeigte mit einem Finger über die Bucht, als spräche sie einen Fluch aus. Als sie mich belustigt grinsen sah, verstummte sie und funkelte mich an ihrer scharf geschnittenen Nase entlang an.

»Da drüben gefällt’s Ihnen wohl, was? Sie finden das wohl alles richtig, den ganzen Scheiß da drüben?«

»Auf mich brauchen Sie nicht wütend zu werden«, erwiderte ich.

»Tut mir leid«, sagte sie schnell und blickte zur Seite.

»Schon gut.«

»Nein, gar nicht gut. Da will ich Sie um einen Gefallen bitten und brüll hier herum. Tut mir leid.«

»Schon okay«, sagte ich. »Ich verstehe das.«

»Haben Sie selber Kinder?«

»Nein«, sagte ich. »Ich bin nie verheiratet gewesen.«

»Dann versteh’n Sie gar nichts. Überhaupt nichts.«

»Auch gut.«

»Und Sie brauchen auch gar nicht so zu tun«, sagte sie und gab mir mit den geröteten Fingerknöcheln eins auf das Knie.

»In Ordnung.«

»Und es tut mir leid, Herrgott noch mal.«

»Okay.«

»Ach Scheiß, gar nix ist okay«, klagte sie, dann stand sie auf und wischte sich die Handflächen an der staubigen Hose ab.

»Soll alles der Teufel holen«, murmelte sie, dann drehte sie sich um und versetzte Fireball einen gewaltigen Tritt in den Hintern, dass der schlafende Hund von den Stufen in die Staubschicht auf dem Beton flog. »Gottverdammter Nichtsnutz von Hund«, sagte sie. »Geh mir aus den Augen.«

Fireball musste Rosies Ausbrüche gewohnt gewesen sein. Er schlich davon, ohne sich umzuschauen, nicht gerade hastig, aber auch ohne Zögern. An der Hausecke stolperte er über den Kater, der im tiefen Gras unter dem Giebel zusammengerollt schlief, und es gab einen kurzdauernden, aber ausschlaggebenden Zusammenstoß, dann ging jeder seiner Wege, der Kater unter das Haus und Fireball zurück zu seinem Platz in der Sonne, welche die Stufen wärmte.

Als er sich hinlegte, warf er Rosie einen trägen Blick zu, dann schloss er die Augen und seufzte wie ein alter Ehemann, der mit einer verrückten Frau geschlagen ist. Aber Rosie sah der Brise zu, die durch das Hügelgras fuhr.

»Noch’n Bier?«, fragte ich.

»Gern sogar«, gab sie zurück, ohne sich umzudrehen. Ihre nasale Stimme klang traurig. »Sehr gern«, sagte sie.

Ich machte mich auf, ihr ein Bier zu holen, und wünschte mir, es wäre etwas Besseres.