Der Letzte macht das Licht aus - Robert B. Laughlin - E-Book

Der Letzte macht das Licht aus E-Book

Robert B. Laughlin

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Beschreibung

Wenn es dunkel wird, machen wir das Licht an. Wenn es kalt wird, heizen wir. Wenn wir Energie ­brauchen für weltweite Industrie und Technik, ­bedienen wir uns. Jederzeit. Doch schon bald sind die Brennstoffe der Erde wie Kohle, Gas, Öl und Uran unwiderruflich aufgebraucht. Und dann? Der Physiknobelpreisträger Robert B. Laughlin über die Zukunft unserer Energieversorgung.

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2012

ISBN 978-3-492-95655-0

Deutschsprachige Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH München, 2012

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Powering the Future. How we will (eventually) solve the energy crisis and fuel the civilization of tomorrow« bei Basic Books (A member of the Perseus Books Group), New York.

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagfoto: Planetary Visions Ltd/Science Photo Libary/Agentur Focus

Datenkonvertierung E-Book: Kösel, Krugzell

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Für die Leser in Mitteleuropa – meiner Ansicht nach ein besonders wichtiger Teil der Welt, wenn es um Energie geht – erkläre ich hiermit nachdrücklich, dass dieses Buch kein getarnter Aufruf für mehr Kernreaktoren ist. Manchmal zeigt sich, dass politisch heikle Angelegenheiten so sehr zum Tabu werden, dass die Leute ihre bloße Erwähnung als unausgesprochene Werbung interpretieren. Dieses Buch befasst sich mit Energie, und da Kernenergie eine Art von Energie ist, wird sie hier erörtert.

Im Grunde stellt dieses Buch keinerlei Aufruf für irgendetwas dar. Woher die Menschen ihre Energie beziehen oder wie viel sie verwenden, ist mir ziemlich gleichgültig. Es ist mir egal, ob europäische Pendler den Zug nehmen oder Benzinsäufer fahren. Für mich macht es keinen Unterschied, ob Wohnungen ihre Energie aus deutscher Kohle, norwegischem Wasserkraftstrom, russischem Erdgas oder holländischem Hühnermist beziehen. Wie sich zeigen wird, behandelt das Buch genau die Gründe, aus denen ich auf diesem Gebiet keine unumstößlichen Überzeugungen habe. Meine Botschaft ist an vielen Stellen absichtlich (aber nicht unangemessen) konträr und politisch unkorrekt. Stark verkürzt, könnte sie lauten: Die vom bevorstehenden Ende der fossilen Energieträger entfesselten ökonomischen Kräfte werden so mächtig sein, dass sie die meisten – wenn nicht sogar alle – der politischen Maßnahmen, die wir heute ergreifen, überwältigen und ablösen werden. Auch die Klimakrise wird eine Rolle spielen, doch die Krise unzureichender Energievorräte wird vorher auftreten, und sie wird schrecklich sein. Ich habe das Buch aus einer Science-Fiction-Perspektive verfasst – wir begeben uns in Gedanken zwei Jahrhunderte in die Zukunft und fragen, was geschehen ist –, weil ich es locker und lesbar gestalten wollte, doch die zugrunde liegende Geschichte ist alles andere als leichtgewichtig.

Ein massives Problem kommt auf uns zu – auf einem Weg, den wir nicht verlassen können. Keiner der heute lebenden Menschen wird ihm zum Opfer fallen, weil das Problem noch ziemlich weit entfernt ist, doch ein paar Generationen später wird es unsere Nachkommen treffen. Auch wenn Politik und Wirtschaft kurzfristig undurchsichtig sein mögen, kann man getrost über die ferne Zukunft sprechen: Vieles, was sich in den nächsten zwei Jahrhunderten ereignen wird, ist durch physikalische Gesetze und die menschliche Natur so eingeschränkt, dass es praktisch als vorgegeben anzusehen ist. Selbst wenn die Menschen feierlich schwören, sich nicht darum zu bemühen, ihr Leben zu verbessern, werden sie es trotzdem tun – besonders dann, wenn die Zukunft ihrer Kinder auf dem Spiel steht.

Anders als Worte oder Geld kann Energie nicht durch bloßes Denken geschaffen oder vernichtet werden. Es handelt sich um eine physikalische Größe, die erhalten bleibt und endlich ist. Nutzung von Energie lässt sich angemessen als Ausgabe von Energie umschreiben. Wir nutzen Energie, indem wir sie in Wärme umwandeln, die anschließend ins Weltall abstrahlt. Wenn sie fort ist, ist sie fort. Den Zahlen können wir entnehmen, dass die heute von uns genutzten Energiearten in etwa ein oder zwei Jahrhunderten erschöpft sein werden. Die Menschen jener Zeit werden um die verbleibenden Vorräte kämpfen. Deren Ururenkel werden ihre Wohnungen mit anderen Energiequellen als heute beheizen und beleuchten. Wie das im Einzelnen aussehen wird, ist schwer vorherzusagen, doch die Liste der Alternativen ist begrenzt und bekannt – alles, was darauf steht, gibt es heute schon. Es besteht nicht die geringste Möglichkeit, dass bis dahin irgendeine grundlegend neue Energiequelle entdeckt werden wird.

An meiner Entscheidung, in diesem Buch die Energie vom Klima abzukoppeln, halte ich unumstößlich fest. Aus meinen bisherigen Schriften sollte klar ersichtlich sein, dass ich persönlich die Erde liebe. Ich fahre mit dem Rad zur Arbeit, pflanze Mammutbäume, wann immer meine Frau mir das durchgehen lässt, und besitze eine kleine Hütte nördlich des Yosemite an einem Ort mit einer Menge Granit und Kiefern und relativ wenigen Menschen. Dessen ungeachtet entnehme ich den kühl und nach Art der Physiker analysierten Fakten, dass Energie und Klima verschiedene Dinge sind. Außerdem sagen mir diese Fakten, dass die Energie erstens das einfachere und zweitens das unmittelbar bedrohlichere Problem ist. Selbstverständlich sind viele Leute nicht mit dieser Einschätzung einverstanden – speziell in Europa. Letzten Sommer erhielt ich den Brief eines erbosten jungen Mannes. Mein Aufsatz mit dem Titel »What the Earth Knows« war in The American Scholar erschienen. Nachdem er die Arbeit als Angriff auf die globale Erwärmung interpretiert hatte, was sie nicht war, putzte er mich herunter, weil ich die Bedürfnisse der Menschen über die Bedürfnisse der Erde gestellt hätte. Ich erklärte, nichts dergleichen getan zu haben. Vielmehr hätte ich mich bewusst darum bemüht, mithilfe der fiktiven Reise in eine Zeit, in der keine fossilen Energieträger mehr verwendet werden, politischen Fragen auszuweichen. Darauf erwiderte er, es sei sehr wohl eine politische Aussage, das Überleben der Menschheit für mehr als hundert Jahre zu unterstellen. Weil ich das für richtig halte, antwortete ich höflich – doch damals dachte ich mir, dass mir für so etwas die Geduld fehlt. Die von solchen und ähnlichen Diskussionen aufgedeckte ideologische Seite der Auseinandersetzung um Energie/Klima erklärt den überaus umfangreichen Anmerkungsteil am Ende des Buches. Normalerweise hätte ich auf so ausführliche Referenzen verzichtet, da man bei den Verlagen weiß, dass jede mathematische Gleichung den Lesefluss behindert und die Verkäufe verringert. In diesem Fall haben wir es jedoch mit einem hochpolitischen Gegenstand zu tun, wo aus rhetorischen Gründen Wahrheit und Unwahrheit miteinander vermengt werden, eingefahrene Überzeugungen alles einfärben und bei manchen Sachverhalten jeder irgendwie falschliegt. Deshalb habe ich diese Anmerkungen und Quellen eingefügt – nicht um zu beweisen, dass ich recht habe, sondern um detailliert zu zeigen, woher meine Fakten kommen. Jeder, der meint, ich würde mich da irren, kann dann ebenso verfahren, und anschließend können wir das Thema freundschaftlich klären, anstatt Beleidigungen zu rufen. Natürlich habe ich mich nach Kräften bemüht, die Liste meiner Anmerkungen von Fehlern zu befreien, doch es ist eine Menge Material, und manche Fehler sind dazu bestimmt, erhalten zu bleiben. Jeder, der Fehler findet, möge sie mir bitte per E-Mail mitteilen. Ich werde auf der Stelle reagieren, denn ich hasse Fehler und tilge sie sofort, wenn ich sie bemerke. Korrekturen werden in meine örtlichen Anmerkungen hier in Stanford eingearbeitet – viele davon sind online verfügbar – und auch in nachfolgenden Ausgaben dieses Buches berücksichtigt.

In dem ausführlichen Anmerkungsteil zeigt sich auch, wie wenig mir daran liegt, unbelegte gelehrte Ratschläge zu erteilen – sei es gegenüber Regierungsvertretern oder jedem anderen. Ich mache Fehler wie alle anderen, und auch wenn ich in diesem Fall alle meine Fakten besonders sorgfältig überprüft habe, bin ich nicht allwissend. Ich bevorzuge den Professorentyp, der die Dinge einfach und klar erläutert und den anderen dabei in die Lage versetzt, selbst gute Entscheidungen zu treffen. Außerdem muss ich gestehen, dass ich keinen telefonischen Ansturm von wichtigen Beamten erlebt habe, die verzweifelt meinen Rat gesucht hätten …

Wie schon gesagt, die deutsche Ausgabe dieses Buchs soll sich auf einem besonders wichtigen Markt bewähren, ich hoffe also, dass das gelingt. Wichtig ist er unter anderem deshalb, weil Europa immer bedeutsam sein wird – eine Tatsache, die auf dieser Seite des Atlantiks von vielen Menschen nie vergessen wird. Außerdem gibt es in Europa ein ausgeprägteres Verständnis dafür, wie ernst das Energieproblem ist – meiner Ansicht nach eine Folge der Tatsache, dass man dort über relativ wenig Öl verfügt. Am wichtigsten finde ich jedoch, dass Deutschland sich an der Energiefront als technisch führend gezeigt hat. Für mich ist es also deshalb sehr bedeutsam, was die Menschen mit Technikverstand in diesem Land von meiner Arbeit halten. Europa und Amerika unterscheiden sich voneinander, allerdings nicht so stark, wie das manche glauben. In dieser speziellen Angelegenheit sitzen wir alle im selben Boot.

Robert B. Laughlin

Stanford/Kalifornien, Januar 2012

1. KAPITEL

Eine Reise im Lehnstuhl

In ein paar Hundert Jahren werden die Menschen keine Kohle mehr verbrennen und auch kein Öl oder Erdgas. Entweder sind die Vorräte dann vollständig verbraucht, oder es sind Gesetze erlassen worden, damit die Reserven aus Umweltschutzgründen in der Erde bleiben – diese Unterscheidung ist jedoch nebensächlich. Die Menge fossiler Energieträger ist nun einmal begrenzt, weshalb die Menschen am Ende gar keine mehr werden verbrennen können.1 Um die Energiezukunft zu erkennen, müssen wir nicht in die heutigen Streitigkeiten zum Thema Energie einsteigen und uns durch die vielen Minenfelder und das Kreuzfeuer der Meinungen arbeiten. All das können wir hinter uns lassen und uns einfach gedanklich in eine Zeit versetzen, in der keine fossilen Brennstoffe mehr vorhanden sind.

Deshalb wollen wir bequem zu Hause eine Reise in die ferne Zukunft antreten, in der Kohle, Öl und Erdgas der Vergangenheit angehören. Es besteht eine geringe Möglichkeit, dass unser Ausflug scheitert, weil die ganze Menschheit durch eine schon vorher stattfindende Umweltkatastrophe oder einen Krieg ausgelöscht worden sein könnte und wir deshalb keine Menschen mehr antreffen, doch das ist äußerst unwahrscheinlich. Die Menschen sind sehr anpassungsfähige und fruchtbare Wesen, und um uns von einer erneuten Besiedlung der Welt abzuhalten, müsste schon der Allerletzte von uns ausgeschaltet worden sein. Gehen wir also davon aus, dass dieser Fall nicht eingetreten ist und wir auf einige Menschen treffen werden, die sich nicht besonders von uns unterscheiden, da sie gewissermaßen Kopien von uns sind.

Kombattanten der heutigen Energiekriege weisen eilig darauf hin, wie verantwortungslos dieses Denken sei. Das endgültige Ende der Kohlenstoffverbrennung liege in so weiter Ferne – vielleicht zehn Generationen –, dass es für die heutigen Energieprobleme völlig irrelevant sei.2 Wenn wir uns auf die ferne Zukunft konzentrieren, sagen sie, werden wir nichts weiter als Apathie fördern.

Doch wenn wir uns gedanklich weit über alle Eigeninteressen der heute lebenden Menschen hinausbegeben, hat das den großen Vorteil, dass technische Fragen sich von den politischen ablösen. Natürlich sind die heutigen Energiefragen ihrer Natur nach politisch, es ist also nicht sinnvoll, die beiden Bereiche völlig voneinander zu trennen. Doch wir ersparen uns viel Zeit und Ärger, wenn wir uns zunächst mit den weit einfacheren technischen Fragen auseinandersetzen. Man kann es sich so vorstellen: Für den Bau eines Kraftwerks benötigen wir sowohl genügend Wählerstimmen als auch ausreichend Beton, doch wenn gar kein Beton vorhanden ist, werden wir das Kraftwerk schlicht nicht errichten.

Sich in dieser Frage Klarheit zu verschaffen ist auch nützlicher als in sonstigen Fällen: Wegen der auf dem Spiel stehenden sehr hohen Einsätze sehen sich viele Menschen veranlasst, einander falsch zu verstehen und – wie soll ich es nennen – ab und zu bewusst die Unwahrheit zu sagen. Da heißt es einmal, wir brauchen keine alternativen Treibstoffe, weil der Welt das Öl nicht ausgeht – derzeit gibt es Öl in Hülle und Fülle, wir entdecken ständig neues, und was vorhanden ist, reicht noch 42 Jahre.3 Oder es heißt, wir brauchen alternative Treibstoffe, weil der Welt das Öl ausgeht – das wird in ein oder zwei Jahrzehnten der Fall sein, und wir müssen in grüne Technologien investieren und uns von der Kohle absetzen. Oder man sagt, wir brauchen schnelle Züge, weil der Welt das Öl ausgeht, große Autos verschwenden Ressourcen, die Züge werden fahren, wohin wir wollen, und es ist gut, Brummis zu besteuern. Bei solchen Auseinandersetzungen neigen alle Seiten zu der Behauptung, die Wissenschaft sei auf ihrer Seite und ihre Position sei die einzig logische, vernünftige Haltung. Mit Logik hat das natürlich nichts zu tun.

Wie sich zeigen wird, sind Fragen der Energie im Rückblick besonders einfach zu durchdenken. Wir könnten uns beispielsweise fragen, ob die Menschen, die wir in dieser fernen Zeit antreffen, immer noch Autos fahren werden. Praktisch jeder beantwortet diese Frage nach kurzem Überlegen mit einem Ja, obwohl sich niemand ganz sicher ist, woher die Energie dafür kommen könnte. Das liege daran, sagen sie, dass Menschen sich dringend Autos wünschen, und sei es nur, weil Autos Statussymbole sind. Deshalb werden sie jeden Preis dafür bezahlen, und Unternehmer werden sich bemühen, die Autos irgendwie zur Verfügung zu stellen. Wir können auch fragen, ob die Menschen der fernen Zukunft noch in Flugzeugen unterwegs sein werden. Das ist etwas schwieriger, weil wir uns eher vorstellen können, ohne Flugzeuge zu leben als ohne Autos. Doch auch hier kommt fast jeder zu dem Schluss, dass die zu dieser Zeit lebenden begüterten Menschen sich das Tempo und die Bequemlichkeit der Luftreisen wünschen werden, weshalb das gewöhnliche Volk ebenfalls fliegen will, auch wenn das nicht unbedingt billig sein wird. Dann gibt es noch die Frage, ob die Lichter weiter brennen werden – das heißt, ob Strom zu vernünftigen Preisen verfügbar sein wird, wann immer die Verbraucher das wollen. Diese Frage beantwortet jeder sehr schnell mit Ja – mit dem Argument, dass Regierungen, die dumm genug wären, die Lichter ausgehen zu lassen, nicht lange im Amt bleiben würden.

Sind die grundlegenden Merkmale der künftigen Energielandschaft auf diese Weise erst einmal bestimmt, so lassen sich wichtige technische Details problemlos einfügen. Wenn die Menschen in Flugzeugen unterwegs sind, müssen sie diese irgendwie mit Energie versorgen. Erdöldestillate kommen nicht infrage, weil kein Erdöl vorhanden ist. Der Treibstoff, woraus auch immer er bestehen mag, muss leicht, kompakt und sicher sein, weil die Flugzeuge sonst nicht fliegen oder gelegentlich in der Luft explodieren könnten. Die einzige Substanz dieser Art, die die elementare Chemie zulässt, ist genau der Düsentreibstoff, den wir heute verwenden. Demnach müssen sie Flugbenzin aus Rohstoffen synthetisieren, vermutlich mithilfe irgendeiner externen Energieversorgung. Das Gleiche gilt, wenn die Menschen Autos fahren – sie müssen sie irgendwie mit Energie versorgen. Hier könnte ebenfalls synthetisches Benzin als Energiequelle dienen, es könnte aber auch etwas anderes sein, beispielsweise Batterien oder Stromschienen, doch dabei wird definitiv die billigste Option zum Zug kommen. Die Menschen der Zukunft werden ebenso wenig Geld verschwenden wollen wie wir, und ganz besonders werden sie es nicht zugunsten von Energieunternehmen verschwenden wollen. Und wenn die Beleuchtung bei den Leuten auf Schalterdruck angeht, muss auch hier die Energie von irgendwo herkommen. Sie könnte von der Sonne, aus Windkraft oder aus Kernreaktoren stammen, doch letztlich wird sie von dem Produzenten geliefert werden, der dafür den niedrigsten Preis verlangt.

An diesem Punkt könnten wir möglicherweise Bedenken bekommen, ob diese Leute nicht flunkern, wenn sie vorgeben, ihre Welt verfüge über Energieressourcen, die zur Deckung ihrer Bedürfnisse ausreichen – eine kurze Überprüfung räumt diese Bedenken aber aus. Es gibt bei Weitem genug Energieressourcen, speziell die Sonne und deren Repräsentanten, insbesondere den Wind. Es geht lediglich darum, was mit den geringsten Kosten verbunden ist. Diese Leute haben nicht nur nicht geflunkert, sondern scheinen tatsächlich in genau dem gleichen Rattenrennen der Kostenminimierung für Produktion und Lieferung gefangen zu sein wie wir, nur dass die Details sich unterscheiden.

Was unsere Lehnstuhlreise über die Art der künftigen Energieunternehmung verrät, ist für aktuelle Energiedebatten nicht unmittelbar von Bedeutung, denn wir leben in einer Zeit, in der fossile Energieträger über die Preise bestimmen. Am Rand spielt es dennoch eine Rolle, weil die Grundlagen dessen, was wir heute tun sollten, auch die Zukunft der Energie festlegen werden. Falls wir beispielsweise glauben, Kohlenstoff sei für den Luftverkehr unerlässlich und deshalb dazu bestimmt, noch lange nach dem Ende der fossilen Energieträger eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung zu spielen, so werden wir vielleicht allmählich fürsorglicher mit unseren Kohlenstoffbranchen umgehen. Falls wir der Ansicht sind, die Produktion synthetischer Kraftstoffe müsse auf jeden Fall realisiert werden, werden wir vielleicht dafür sorgen, dass ihre Einführung jetzt gefördert wird, damit wir nicht gezwungen sind, mitten in der Krise und voller Panik entsprechende Anlagen zu bauen. Falls wir glauben, die Kernenergie könne auf jeden Fall dazu dienen, für den elektrischen Strom eine Preisobergrenze zu schaffen, wollen wir sie vielleicht angemessen weiterentwickeln und sie auf Abruf bereithalten, ob wir sie nun einsetzen oder nicht. Falls wir Sonnen- und Windenergie für die zentralen Energiequellen halten, versuchen wir vielleicht Möglichkeiten zu entwickeln, die von ihnen produzierte Energie in extrem großen Mengen zu speichern, auch wenn das teuer ist.

Die Energiesituation in so ferner Zukunft können wir deshalb einigermaßen zuverlässig vorhersagen, weil sie durch elementare Sachverhalte umrissen ist. Insofern unterscheidet sie sich beispielsweise vom Wetter oder von den Wahlergebnissen. Wir wissen, dass die Gesetze der Ökonomie immer noch gelten werden, selbst wenn sich die schlimmsten Vorhersagen zur globalen Erwärmung erfüllen sollten, und sogar dann, wenn es in der Zwischenzeit ernste militärische Konflikte geben wird. Die Menschen jener Zeit werden ebenso egoistisch sein wie wir, ebenso ehrgeizig, ebenso entschlossen, ihre Kinder zu schützen, und – dank der Magie der Genetik – ebenso clever. Zudem unterscheidet sich Energie von anderen Aspekten menschlichen Lebens wie Marktpräsenz oder Aktienkursen, weil sie überaus grundlegend ist und von einfachen, mächtigen physikalischen Gesetzen beherrscht wird. Wir wissen, dass diese Gesetze lange vor dem ersten auf Erden wandelnden Menschen gültig gewesen sind, und wir sind aus guten Gründen davon überzeugt, dass sie niemals durch künftige Entdeckungen oder technische Neuerungen verändert oder außer Kraft gesetzt werden können. Was immer auch geschehen mag – die Gleichungen der Quantenmechanik werden viele Jahrhunderte in der Zukunft noch genauso aussehen wie heute, ebenso wie die aus ihnen abgeleiteten Regeln der Chemie und der Technik. Das gilt auch für die Gleichungen für Wärme, Licht, Elektrizität und Strahlung. Energie wird weiterhin erhalten bleiben und weiterhin irgendwo herkommen müssen. Ihre möglichen Quellen werden bis in alle Einzelheiten die gleichen sein wie heute. Während der Nutzung wird die Energie weiterhin durch Entropie vermindert werden, und wenn ihre Arbeit getan ist, wird man sie als Abwärme in den Weltraum entsorgen müssen. Um leben zu können, werden die Menschen jener Zeit immer noch einen ständigen Nachschub an Energie benötigen.

Dass es so einfach ist, diese Energieberechnung anzustellen, erweist sich jedoch als zweischneidiges Schwert, denn dadurch sind wir gezwungen, unsere Fakten sorgfältig zu überprüfen. Wir müssen abklären, ob die heutige Energiewirtschaft tatsächlich so halsabschneiderisch funktioniert, wie das behauptet wird. Wir müssen feststellen, ob Materie unter Belastung aufgrund der Quantenmechanik tatsächlich niemals in der Lage sein wird, es mit chemischen Energieträgern als Speichermedium für Energie aufzunehmen. Wir müssen prüfen, ob normaler Düsentreibstoff tatsächlich die von den physikalischen Gesetzen zugelassene optimale Energiedichte besitzt und ob der darin enthaltene Kohlenstoff entscheidend ist. Wir müssen klären, ob Elektrizität und Magnetismus für die Übertragung von Energie unübertroffen, für die Speicherung von Energie jedoch nutzlos sind. Wir müssen die Kosten für Batterien unter die Lupe nehmen – einschließlich der verborgenen Kosten, die mit den darin enthaltenen umweltschädlichen Metallionen verbunden sind. Wir müssen abklären, ob Kernreaktoren die Energie auch dann noch so billig produzieren, wie ihre Befürworter behaupten, wenn die zusätzlichen Kosten für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und die Schutzmaßnahmen gegen terroristische Anschläge mit eingerechnet werden. Wir müssen uns die Kosten biologischer Verarbeitungsprozesse genau ansehen und sicherstellen, dass sie mit den Kosten herkömmlicher chemischer Verarbeitung angemessen verglichen werden. Und schließlich müssen wir die Leistungszahlen der Sonnenenergie in ihren verschiedenen Formen sorgfältig überprüfen.

Denkt man darüber nach, was das Ende der fossilen Energieträger in der Zukunft bedeutet, macht einem das auch schmerzlich klar, dass Klima und Energie sehr unterschiedliche Dinge sind. Die Menschen, die im Dämmerlicht des Zeitalters fossiler Brennstoffe arbeiten, werden sich ebenso um die Erde sorgen wie wir. Doch sie werden sich bemühen, zum Überleben die irdischen Ressourcen auf neuen Wegen in Anspruch zu nehmen, und sie werden gezwungen sein, diesen Bemühungen höchste Priorität zu verleihen. Ihre Kostenzwänge werden auch deshalb besonders schwer wiegen, weil ihnen keine billigen fossilen Energieträger mehr zur Verfügung stehen, auf die sie zurückgreifen könnten. Für teure Entscheidungen zugunsten der Umwelt werden sie selbst aufkommen müssen. Wie sich das auf das Verhalten auswirkt, ist leider nur zu gut bekannt. Leute, die sich leidenschaftlich für die Verbesserung des Zustands der Welt in kommenden Jahrhunderten einsetzen, verlieren gewöhnlich das Interesse, sobald wir anfangen, spezielle Opfer aufzuzählen, die sie erbringen müssten, um die Verbesserung zu realisieren – besonders wenn diese Opfer mit Nachteilen für die eigenen Kinder einhergehen. Wir finden heraus, dass sie nur daran interessiert waren, die Welt mit dem Geld anderer Leute zu retten. Solche Einstellungen, die heutzutage weit verbreitet sind, werden mit dem Schwinden der fossilen Energieträger und dem verstärkten Wettbewerb um die Notwendigkeiten des Lebens eher noch häufiger werden. Wenn es so weit sein wird, können wir folglich damit rechnen, dass der Antrieb, angemessene Energielieferungen zu gewährleisten, weitgehend von Bedenken zugunsten der Umwelt abgekoppelt wird oder sich sogar gegen sie stellt, weil die Menschen ihre eigenen Interessen an die erste Stelle setzen werden. Wenn die alternativen Energien schließlich kommen, werden sie nicht grün sein.

Klima und Umwelt werden also während des Übergangs von fossilen Energieträgern zu anderen problematisch bleiben, selbst wenn die Zunahme des Kohlendioxids in der Atmosphäre zum Stillstand kommt und die Angleichung der globalen Temperatur zunimmt. Das zentrale Problem – die ständig wachsenden Ansprüche des Menschen an die Ressourcen der Erde – wird weiterhin bestehen und könnte sich sogar verschlimmert haben. Die Menschen jener künftigen Epoche werden sich immer noch saubere Luft und sauberes Wasser wünschen, dazu eine natürliche Umgebung, weite, unberührte Landstriche, gesunde Fischgründe und Wälder sowie Fabriken an jedem Ort, solange es nicht neben dem eigenen Garten ist. Möglicherweise können sie all das jedoch nicht haben, vielleicht weil die Erde wärmer ist, aber vor allem deshalb, weil diese Dinge nur auf Kosten des wirtschaftlichen Wohlergehens (für einige) erhältlich sein werden und weil sie nicht mit großen Bevölkerungszahlen in Einklang zu bringen sind. Die Lasten, die der Erde durch den Menschen auferlegt werden, sind ein Spezialfall der Lasten, die Pflanzen und Tiere ganz allgemein ihren jeweiligen ökologischen Nischen auferlegen. Deren Grenzen stellen einen zentralen Faktor in ihrem Kampf ums Dasein dar und bestimmen deshalb ihren Aufstieg und Niedergang als Spezies im Rahmen geologischer Zeiträume.

Auch wenn das Ergebnis des Übergangs von fossilen Energieträgern zu anderen letztlich positiv ausfallen dürfte, könnte der Übergang als solcher überaus schrecklich werden. Er wird als großes globales Ereignis verlaufen, etwa wie eine Eiszeit oder ein Asteroideneinschlag, nicht als ein bloßes Planungsdefizit oder eine überfüllte Autobahn – Dinge, die von der Politik durch ein Gesetz weggefegt werden können.4 Die Menge des Erdöls, das derzeit aus dem Boden strömt (es ist die größte Menge seit Beginn des Ölzeitalters), entspricht an einem Tag dem mittleren Wasserdurchfluss des Mississippi bei New Orleans in dreizehn Minuten.5 Wenn wir die Energieäquivalente von Gas und Kohle noch hinzuaddieren, kommen wir auf 36 Minuten. Auch wenn der wagemutige Einsatz von Kapital entscheidend dafür war, diese Fülle ernten zu können, hat er diesen Überfluss nicht selbst bereitgestellt, und wenn die Fülle zur Neige geht, wird er sie nicht wiederherstellen können. Wenn nichts mehr da ist, wird es für die Menschen nicht einfach nur unbequemer. Eine grundlegende Voraussetzung der modernen Industriezivilisation ist die Fähigkeit der Erde, unvorstellbar große Mengen von Öl, Gas und Kohle auf Nachfrage liefern zu können. Alle großen Städte der Welt sind ausnahmslos zu groß, als dass man sie ohne Hilfe von Maschinen versorgen könnte. Würden morgen die Energievorräte auf katastrophale Weise ausfallen, würde die Großstadt, wie wir sie kennen, nicht länger existieren, und die meisten von uns würden verhungern. Das Schwinden und die abschließende Erschöpfung fossiler Treibstoffe ist also vergleichbar mit dem Wintereinbruch bei einem Volk, das nur den Sommer gekannt hat.

Wenn Menschen um abnehmende Ressourcen konkurrieren, kommt es oft zu militärischen Konflikten. Doch es ist besser, nicht bei diesem Thema zu verweilen.6

2. KAPITEL

Geologische Zeitskalen

Ironischerweise muss ein richtiger Gedankenausflug in die Energiezukunft mit einem Blick zurück in die geologische Zeit beginnen. Denn der Weg nach vorn ist vernebelt durch Missverständnisse über unseren Planeten, die Erde – bei ihr jedoch muss jede ernsthafte Diskussion über Energievorräte oder das Klima beginnen. Denken wir über diese Themen nach, kämpfen wir ständig darum, Mythen und Wirklichkeit auseinanderzuhalten. Experten sind hier kaum eine Hilfe, da sie mit den gleichen Schwierigkeiten zu tun haben – das führen sie routinemäßig vor, indem sie übereinander herziehen. Angesehene Wissenschaftler warnen vor unmittelbar bevorstehender Energieknappheit, weil die geologischen Brennstoffvorräte zu Ende gehen. Manager der Wall Street tun deren Vorhersagen als Märchen ab und fordern mehr Bohrstellen. Umweltschützer schildern die Zerstörung, die der Erde durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas zugefügt wird. Ökonomen beschreiben die Gefahr, in die die Welt gerät, wenn Kohle, Öl und Erdgas nicht mehr verbrannt werden. Forschende Geologen berichten von neuen Erkenntnissen über den Zustand der Erde vor Millionen Jahren. Kreationistische Forscher berichten von neuen Erkenntnissen, wonach die Erde vor Millionen Jahren gar nicht existiert hat. Um sich nicht in diesem schrecklichen Sumpf zu verirren, bleibt einem nur, sich die Grundlagen erneut vor Augen zu führen und zu entscheiden, was man glauben will und was nicht.

Da die geologische Zeit ein so weit gefasster Begriff ist, kann es hilfreich sein, sie nur zur Orientierung in eine eher an Alltagserfahrungen angepasste Größenordnung umzuwandeln. Ich mag den Regen. Der gesamte Niederschlag, der in einem Jahr auf die Erde fällt, ergibt etwa einen Meter Regen, also die Schulterhöhe eines Golden Retrievers.7 Die seit dem Beginn der industriellen Revolution auf die Erde gefallene Regenmenge ergibt etwa 200 Meter, die Höhe des Hoover-Damms. Die seit der Zeit von Moses gefallene Regenmenge reicht aus, alle Ozeane aufzufüllen. Die seit dem Ende der Eiszeit gefallene Menge reicht aus, alle Ozeane viermal zu füllen. Die seit dem Aussterben der Dinosaurier gefallene Regenmenge könnte alle Ozeane zwanzigtausendmal füllen – das entspricht dem Dreißigfachen des gesamten Erdvolumens. Der seit Entstehung der Kohle gefallene Regen reicht aus, die Erde einhundertvierzigmal zu füllen. Die seit der Bildung von Sauerstoff auf die Welt gefallene Regenmenge ergibt das Tausendfache des Erdvolumens.8

Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass ein so altes Objekt wie die Erde in Gedanken leichter zu beschädigen ist als in der Wirklichkeit – ähnlich wie bei einer Invasion in Russland. Die Erde hat gewaltige Vulkanexplosionen, Überflutungen, Meteoriteneinschläge, Gebirgsbildungen und alle Arten anderer Misshandlungen erlitten, die heftiger sind als alles, was Menschen ihr antun könnten, und es gibt sie immer noch. Sie ist ein Überlebenskünstler. Wir wissen nicht genau, wie die Erde sich von diesen Verwüstungen erholt hat, da das Gestein sehr wenig darüber aussagt, doch wir wissen, dass sie sich erholt hat – unsere Existenz ist der Beweis dafür.

Dennoch ist eine Schädigung der Erde genau das, was im Moment eine Menge verantwortungsbewusster Menschen mit Sorge erfüllt. Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Treibstoffe durch den Menschen reichert sich derzeit in beängstigendem Tempo in der Atmosphäre an – die Menge reicht aus, die aktuelle Konzentration innerhalb eines Jahrhunderts zu verdoppeln. Manche vermuten, dieser Anstieg werde die Durchschnittstemperatur auf der Erde um mehrere Grad erhöhen, was das Wetter beeinflussen und das Abschmelzen der polaren Eisschilde beschleunigen würde.9 Regierungen in aller Welt sind von dieser Aussicht inzwischen so beunruhigt, dass sie erhebliche (wenn auch ineffektive) Schritte unternommen haben, um die Erwärmung zu bremsen. Dazu gehören Gesetze zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes, die Finanzierung von Forschungsprojekten zur CO2-Endlagerung, die Subventionierung alternativer Energietechnologien und zumindest die Errichtung eines internationalen Vertragswerks, das die erforderlichen wirtschaftlichen Opfer grenzüberschreitend in ein Gleichgewicht bringen soll.10

Leider wird diese Besorgnis nicht entsprechend erwidert. In den für sie selbst relevanten Zeitskalen kümmert sich die Erde um keine dieser Regierungen oder deren Gesetze. Sie kümmert sich nicht darum, ob wir unsere Klimageräte, Kühlschränke und Fernseher ausschalten. Sie merkt es nicht, wenn wir unsere Thermostaten zurückdrehen und auf Hybridautos umsteigen. All diese Aktionen dehnen die Pein nur über ein paar Jahrhunderte mehr aus, was im Hinblick auf die Erde lediglich ein Augenblick ist, und lassen das Endergebnis absolut unverändert: Alle fossilen Brennstoffe, die einmal im Untergrund gewesen sind, befinden sich dann in der Luft, und zum Verbrennen ist nichts geblieben.11 Die Erde hat vor, den größten Teil dieses Kohlendioxids innerhalb etwa eines Jahrtausends in ihren Ozeanen zu lösen – die Konzentration in der Atmosphäre wird dann etwas höher sein als heute. Im Verlauf einiger Zehntausend oder vielleicht auch Hunderttausend Jahre danach wird sie das überschüssige Kohlendioxid dann in ihre Gesteine einlagern und schließlich im Meer und in der Luft zu Werten zurückkehren, wie sie vor dem Auftreten von uns Menschen vorgelegen haben. Aus Sicht des Menschen wird dieser Vorgang eine Ewigkeit dauern, in geologischer Zeitrechnung jedoch wird das nur ein kurzer Moment sein.

Einige Details dieses speziellen CO2-Szenarios sind selbstverständlich umstritten, da alle einschließlich der von Computern stammenden Vorhersagen teilweise subjektiv sind. Man muss von aktuellen Fakten und Prinzipien aus extrapolieren, und dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Zeitskala für die Absorption des vom Menschen erzeugten Kohlendioxids wird davon bestimmt, wie schnell das Oberflächenwasser des Meeres sich mit dem Tiefenwasser mischt. Das wissen wir nur indirekt, und es ist vorstellbar, dass es sich in den tausend Jahren der vorübergehenden Erwärmung verändern könnte.12 Die Menge des Kohlendioxids, die in der Atmosphäre verbleibt, nachdem sich ein Gleichgewicht eingestellt hat, variiert von tolerabel bis besorgniserregend – je nachdem, wie viel industrielle Verbrennung man in seinem Modell annimmt.13 Niemand weiß sicher, wie lange es dauern wird, bis das überschüssige Kohlendioxid im Gestein verschwunden ist, und nicht einmal die hieran beteiligte spezielle Chemie ist bekannt. Die Überlegung, es werde im Gestein verschwinden, gründet vor allem darauf, dass irgendetwas, möglicherweise ein geologischer Regulationsprozess, das Niveau des Kohlendioxidgehalts auf der Erde vor dem Auftreten des Menschen fixiert hat. Manche bringen sogar vor, das Kohlendioxid sei über Millionen Jahre hinweg auf diesem Niveau fixiert geblieben, weil die Fotosynthese-Maschinerie der Pflanzen optimal daran angepasst erscheint.14 Doch das Gesamtbild eines tausendjährigen Kohlendioxidimpulses, dem ein extrem langsamer Rückgang auf die Werte vor Beginn der Zivilisation folgt, ist den meisten Modellen gemeinsam – sogar den sehr pessimistischen.

Vorhersagen zur globalen Erwärmung stehen zudem vor der Schwierigkeit, dass in den aktuellen Wetterbeobachtungen wenig von dieser Erwärmung zu finden ist. Prinzipiell sollten Klimaänderungen sich in den Statistiken der Regenmengen, der Häufigkeit von Hurrikanen, der Temperaturaufzeichnungen und so weiter zeigen. Praktisch ist das nicht der Fall, weil Wettermuster von weiträumigen, mehrjährigen Ereignissen in den Ozeanen beherrscht werden – etwa die Südliche Oszillation El Niño und die North Pacific Gyre Oscillation (NPGO, Oszillation des Nordpazifischen Wirbels), die nichts mit dem Klimawandel zu tun haben.15 Wollten wir die Vorhersagen testen, müssten wir diese großen Effekte von kleinen, unumstößlichen Änderungen im Maßstab mehrerer Jahrhunderte trennen, und derzeit weiß niemand, wie man das bewerkstelligen könnte.

Zweifellos können Menschen Schäden anrichten, die geologische Zeiträume überdauern, wenn man ihren Beitrag zum Rückgang der Artenvielfalt einbezieht. Es gibt beachtliche Belege dafür, dass die Menschen derzeit etwas verursachen, was Biologen als »sechstes Massensterben« bezeichnen, eine Anspielung auf die fünf vorhergehenden, im Gestein ablesbaren Fälle, bei denen sehr viele Arten auf rätselhafte Weise in einem kurzen Augenblick geologischer Zeit ausstarben.16 Eine verbreitete – und plausible – Erklärung für das letzte dieser Ereignisse (das, bei dem die Dinosaurier verschwanden) besagt, ein mit 15 km/sec anfliegender Asteroid mit 10 km Durchmesser sei auf der Erde eingeschlagen und mit der Energie von einer Million Wasserstoffbomben von je 100 Megatonnen explodiert.17 Heute denken viele Beobachter, der durch menschliche Aktivitäten angerichtete Schaden sei damit vergleichbar. Im Gegensatz zu Kohlendioxidüberschüssen kommt das Aussterben von Arten ständig vor. Nach dem Ende der Dinosaurier setzte die Erde nichts an ihre Stelle, ungeachtet der verbesserten Wetterbedingungen und zwanzigtausend biblischen Zeitaltern, um Reparaturen vorzunehmen. Sie drehte sich einfach weiter und wurde zu etwas anderem als zuvor.

Für den überwiegenden Anteil dieses Drucks zum Artensterben ist Kohlendioxid an sich jedoch nicht verantwortlich. Es gibt zwar eine Handvoll potenzieller Gegenbeispiele wie etwa Korallen,18 die für die Ansäuerung des ozeanischen Oberflächenwassers besonders empfindlich zu sein scheinen, und Amphibien, die aus unbekannten Gründen im Niedergang begriffen sind.19 Doch abgesehen von diesen wenigen isolierten Fällen würde der Rückgang der Artenvielfalt nicht sehr gemildert, wenn man die Energieträger auf Kohlenstoffbasis noch etwas länger im Boden ließe. Das eigentliche Problem ist ganz allgemein der Bevölkerungsdruck durch Menschen – übermäßige Landnutzung, Zerstörung von Lebensräumen, Missbrauch von Pestiziden, Arteneinwanderung und so weiter. Wollte man das vom Menschen ausgelöste Artensterben nennenswert reduzieren, müsste die Erdbevölkerung drastisch verringert werden.20 Dass dies geschieht, ist auf alle Fälle äußerst unwahrscheinlich.

Es ist falsch, das Urteil zu Fragen der Bevölkerung, des Klimas, der Verwendung von Kohlenstoff und so weiter nur deswegen in der Schwebe zu lassen, weil es heikle Fragen sind. Wer sich so verhält, den macht die Verwirrung hilflos. Geowissenschaftler werden leicht ultrakonservativ, wenn es um die Zukunft geht, vermutlich weil sie vermeiden möchten, als Verbreiter von Mythen angeschwärzt zu werden. Sie geben sich überaus große Mühe, anhand von Messungen zu beweisen, dass der Globus sich jetzt erwärmt, der Ozean jetzt versauert, fossile Brennstoffe jetzt zu Ende gehen und so weiter, obwohl all dieses doch in geologischen Zeitskalen ohnehin offensichtlich ist. Das führt leider dazu, dass wir immer mehr Daten erhalten, aber immer weniger verstehen – ein in der Wissenschaft verbreitetes, in der Klimatologie jedoch besonders dringliches Problem. In solchen Situationen kommt es darauf an, gerade jene schlichten Fakten stärker zu gewichten und mithilfe dieser Übung Konfusion zu vermeiden, wo immer (und falls) wir das können.

Die ungeheure Speicherkapazität des Meeres für Kohlendioxid gehört zu den einfachen Sachverhalten, an denen man sich verlässlich orientieren kann. Das zeigt ein Experiment für den naturwissenschaftlichen Unterstufenunterricht in höheren Schulen. Lässt man ein Glas mit destilliertem Wasser über Nacht auf dem Tisch stehen, wird man am nächsten Morgen feststellen, dass das Wasser leicht sauer reagiert – es hat Kohlendioxid aus der Luft aufgenommen.21 Viel hat es nicht absorbiert – etwa die Menge, die im gleichen Volumen Luft vorhanden ist –, weshalb dieser Effekt allein nicht viel Kohlendioxid bindet. Wirft man nun aber ein Stück Kalkstein ins Wasser, womit man die Anwesenheit von Karbonatgestein am Meeresgrund nachahmt, wird man feststellen, dass das Wasser nun leicht alkalisch ist und die Menge des im Wasser gelösten Kohlenstoffs sechzigmal größer ist als zuvor.22 Man muss ein wenig herumspielen, um herauszufinden, wo dieser Kohlenstoff herkommt, aber schließlich entdeckt man, dass eine Hälfte vom Kalkstein, die andere aus der Luft stammt. Das alles hängt mit der wunderbaren (und elementaren) Chemie der Bikarbonatsalze zusammen. Zudem stellt man fest, dass die Alkalität ebenso wie die Aufnahmekapazität für Kohlendioxid der des Meerwassers entspricht. Daraus ersehen wir, dass in den Ozeanen derzeit vierzigmal mehr Kohlenstoff in Form von Bikarbonationen gelöst ist, als die Atmosphäre enthält. Das sind dreißig Billionen Tonnen – das Dreißigfache der weltweiten Kohlereserven.23

Die Experimente, mit denen geologische Zeitskalen eingegrenzt werden können, sind fast so einfach wie der gerade geschilderte Unterrichtsversuch, wenn auch nicht ganz so simpel, und sie bieten eine ebenso verlässliche Orientierung. Selbstverständlich ist nicht jeder mit dieser Einschätzung einverstanden.24 Geologische Zeitskalen laufen religiösen Überzeugungen zuwider – bei diesem Thema ist das Problem besonders bedauerlich, weil es nicht den religiösen Überzeugungen zuwiderläuft, auf die es ankommt. Doch bezeichnender ist wahrscheinlich, dass zu den Experimenten, obwohl sie einfach sein mögen, schwer verständliche Fakten über Gesteine gehören. Außerdem sind Kenntnisse physikalischer Gesetze erforderlich sowie die Annahme, diese Gesetze seien in der fernen Vergangenheit ebenso gültig gewesen wie heute, was alles nicht unmittelbar auf der Hand liegt und den Durchschnittsmenschen noch weniger interessiert. Wenn man mit der Kassenkraft im Supermarkt ein Gespräch über das Paläozoikum, Radioaktivität oder das Verschwinden der Megafauna anfängt, wird das mit einem Lächeln beantwortet und man selbst möglicherweise als Spinner aus dem Gebäude eskortiert. Dennoch leiten sich die Zeitskalen aus irgendwelchen konkreten Tatsachen ab, was auf einfache Weise erklärt werden kann.

Wollen wir geologische Zeitskalen begreifen, kommen wir sehr weit, wenn wir uns einfach dazu zwingen, Dinge in unserer Umgebung, die anscheinend keinen Sinn ergeben, nicht als bedeutungslos abzutun. Ein wenige Autominuten von meiner Wohnung entfernter Strand beispielsweise wird gesäumt von ungefähr 30 Meter hohen Klippen, die abwechselnde Schichten von Sandstein, Tongestein und Konglomerat zeigen – insgesamt sind es um die sieben.25 Auch wer keine einzige Unterrichtsstunde in Geologie mitgemacht hat, erkennt, dass diese Schichten durch die Wirkung von Wasser geformt wurden. Als wahrscheinlichster Kandidat kommt das in der Nähe liegende Meer infrage, vor allem angesichts der in manchen Schichten eingeschlossenen fossilen Muschelschalen. Doch dort liegen sie hoch und im Trockenen und sind in die wogenden Hügel dahinter eingebettet, als wären sie aus einer riesigen Torte ausgeschnitten. Außerdem sind die Schichten mal aufwärts und mal abwärts gekippt, als hätten sich an manchen Stellen Riesen niedergelassen und an anderen nicht. Die Neigung ist so groß, dass manche Fläche am oberen Ende der Klippe zum Strand hin abfällt und im Sand verschwindet. Die Klippen erodieren. An einigen Stellen ist das Gestein auffallend brüchig, oben erkennt man kleine Erdrutsche, und unten, wo bei Flut Wellen anschlagen, findet man Riffe und Aushöhlungen.

Sobald man die Merkwürdigkeiten im Gestein erst einmal bemerkt hat, beginnt man unvermeidlich darüber nachzudenken, was das bedeutet. Gesteinsschichten mit eingeschlossenen fossilen Muscheln können nur dann über dem Wasser liegen, wenn das Land sich gehoben oder das Meer sich gesenkt hat – oder beides. Während der aufgezeichneten Geschichte, also etwa in den letzten 5000 Jahren, ist der Meeresspiegel ziemlich konstant geblieben, und abgesehen von Vulkanen gibt es auch keine dokumentierten Fälle von Landhebungen über eine Höhe von etwa 30 Metern. Demnach sind die Klippen erheblich älter als die Geschichtsaufzeichnungen.26 Das Abkippen zeigt uns, dass das Land sich – unabhängig von der Bewegung des Meeres – verlagert hat. Das Material der Schichten muss von irgendwo herstammen. Als einzige Möglichkeit kommt wirklich nur die Erosion der Klippen infrage, denn die örtlichen Bäche und Flüsse transportieren nicht genügend Schlamm, um die schiere Masse an Gestein erklären zu können, und zudem sind die Schichten körnig und bröckelig, was der Flussschlamm nicht ist. Doch Klippen können nicht aus den Erosionstrümmern ihrer selbst hervorgehen. Deshalb müssen sie zumindest einmal komplett abgetragen und wiedererstanden sein; der komplexen Schichtung nach zu urteilen, ist es sogar wahrscheinlicher, dass das mehrmals geschehen ist. Die Erosionsgeschwindigkeit der Klippen legt also das Mindestalter der Gesteine fest. Diese Rate scheint bei etwa einem Millimeter jährlich zu liegen – der Stein ist hier relativ hart –, sodass ein Kilometer in ungefähr 100 000 Jahren erodiert und die Küste insgesamt in etwa einer Million Jahren. Das reicht aus, dass man die Eiszeit nicht einbeziehen muss, doch das sollte man ohnehin nicht, weil wir davon ausgehen müssen, dass man von der Eiszeit heute nichts wirklich weiß. Das Gestein ist also ungefähr eine Million Jahre alt oder vielleicht auch zwei Millionen, womit wir auf der sicheren Seite wären.27

Bis in die 1960er-Jahre waren solche groben Schätzungen geologischer Zeiträume das Beste, was man bekommen konnte, doch dann wurde die radiometrische Datierung von Gestein allgemein verfügbar. Dass diese Technologie relativ neu ist, erklärt einige Glaubwürdigkeitsprobleme der Geologie: Geologische Zeitskalen hatte man ein Jahrhundert zuvor erfunden, und so hatten sie viel Zeit, als wolkig in Verruf zu geraten. Diese Neuheit erklärt auch, weshalb die organisierte Opposition gegen eine radiometrische Altersbestimmung erst in jüngster Zeit zugenommen hat. Schließlich ist es nicht notwendig, die Zuverlässigkeit eines Verfahrens zu bestreiten, wenn es dieses noch gar nicht gibt.

Obwohl die Radiometrie technisch anspruchsvoll und ohne raffinierte Gerätschaften tatsächlich unmöglich ist, kann man sie sofort begreifen.28 Bei der für diesen Fall geeigneten Methode bringen wir ein Stück Gestein von der Größe eines Golfballs in eine Vakuumkammer, schmelzen das Material, fangen alle dabei austretenden Gase auf und messen die Gesamtmasse des in den Gasen enthaltenen Elements Argon.29 Anschließend lösen wir diese Gesteinsprobe in Säure auf, bearbeiten die Lösung mit einigen Verfahren der konventionellen nassen Chemie und messen die Gesamtmasse des darin enthaltenen Kaliums. Das Verhältnis dieser beiden Massen, multipliziert mit einer bestimmten Zahl, ergibt das Alter des Gesteins. Physikalisch beruht das Verfahren darauf, dass das in fast allen Gesteinen vorhandene Kalium leicht radioaktiv ist und zu Argon zerfällt. Dieses Element ist chemisch träge. Argon entweicht gern aus sehr heißem Gestein, besonders wenn es zu vulkanischer Lava geschmolzen ist, bleibt aber sonst eingeschlossen. Normales Vulkangestein enthält unmittelbar nach dem Erstarren kein Argon. Die Menge Argon, die es im Moment der Messung enthält, gibt demnach an, wie viele Kaliumatome seit dem Erstarren zerfallen sind, was ein Maß für die seither verstrichene Zeit darstellt.

Die Radiometrie muss jedoch sorgfältig vorgenommen werden – sie ist berüchtigt dafür, dass man sie falsch durchführen kann. So können die Argonwerte wegen atmosphärischer Verunreinigungen in Lufteinschlüssen und Korngrenzen im Gestein künstlich überhöht sein, oder sie sind künstlich erniedrigt, weil das Gestein nach seiner Entstehung überhitzt wurde oder weil es sich umkristallisierte oder aufgrund geeologischer Vorgänge im Untergrund Einschlüsse jüngerer Gesteine aufnahm. Sedimentgestein ergibt stets unsinnige Messwerte, weil es bei seiner Entstehung nicht erhitzt wird und Verwitterung, Aggregation und Metamorphismus Änderungen der Kristallstruktur bewirken, welche die Argonwerte beeinflussen.

Zum Glück schließen die Klippen an meinem Strand eine ziemlich hoch liegende Schicht vulkanischer Asche ein, die eine Altersbestimmung erlaubt. Das Forscherteam, das die Stelle zuletzt untersuchte, hat die Asche vermutlich deshalb nicht direkt datiert, weil man dem Argongehalt nicht traute. Stattdessen stellten die Forscher fest, dass sie chemisch einer mehrere Hundert Meilen entfernten Ascheschicht entsprach, die mit vulkanischem Basalt bedeckt war. Aus dem Basalt ließ sich ein eindeutiges Argon-Alter von 2,5 Millionen Jahren ableiten. Älteres Basaltgestein weiter oben in den Bergen hinter dem Strand liefert ein Alter von 20 Millionen Jahren. Das Gestein am Strand ist demnach zwischen 2 und 20 Millionen Jahre alt. Ein Quervergleich mit den darin enthaltenen Fossilien engt diese Spanne auf etwa 6 Millionen plus/minus eine Million Jahre ein. Als die untersten dieser Schichten sich aus dem Meer absetzten, gab es also auf der Erde noch keine Menschen. Zwischen damals und heute fiel eine Regenmenge auf die Erde, die ausgereicht hätte, die Ozeane zweitausendmal zu füllen.

Es wäre eine große Überraschung, wenn die bequem bei meinem Haus gelegenen Gesteine geologisch besonders alt wären, und natürlich ist das nicht der Fall. Analysieren wir Gesteine in anderen Weltgegenden auf die gleiche Weise, kommen wir üblicherweise auf zehn- bis hundertfach größere Zeitspannen. Besonders berühmt ist das Beispiel aus der ersten Ausgabe von Darwins Über die Entstehung der Arten, wo er das Alter des Weald, einer südöstlich von London gelegenen, seltsam kalkarmen Gegend, aufgrund von Erosionsvorgängen schätzte.30 Er kam auf dreihundert Millionen Jahre. Damals war es nicht möglich, diese Schätzung radiometrisch zu verfeinern, weshalb es wahrscheinlich keinen überrascht, dass er sie in der zweiten Auflage halbierte und in der dritten jede Erwähnung des Themas entfernte. Seine Überlegung war jedoch grundsätzlich korrekt, und die Schätzung kam dem richtigen Wert recht nahe. Das Weald ist etwa 120 Millionen plus/minus zehn Millionen Jahre alt.31 Es ist ein interessanter Teil Englands – hier wurden die Schlacht von Hastings ausgefochten, Cricket erfunden und die ersten Dinosaurierfossilien entdeckt.32

Das Weald ist jedoch nur der Anfang, denn Großbritannien ist extrem alt. Aufgrund eines glücklichen Zufalls ist das ganze Land eine vollständige Abfolge der Sedimentschichten der Welt, die nach Nordwesten leicht abfällt und oben abgeplattet ist.33 Deshalb bilden die zahlreichen, in verschiedenen Schichten jeweils unterschiedlichen Fossilien im Boden schmale Bänder, die ungefähr parallel zur französischen Küste verlaufen. Als man diese Bänder entdeckte, gab es keine Möglichkeit, die betreffenden Gesteine zu datieren, weshalb man ihnen einfach Namen gab. Das östlichste Band wurde als Kreide bezeichnet. Das zweite nannte man nach dem schweizerischen Jura. Anschließend folgte die Trias, die ihren Namen einem charakteristischen, vorwiegend in Deutschland vorkommenden Ablagerungsmuster aus drei Ebenen verdankt. Von der Region Perm in Russland stammt die entsprechende Bezeichnung für die nächste Schicht und so weiter. Nach der Erfindung der Radiodatierung war man später jedoch in der Lage, diese Namen mit einem bestimmten Alter zu verbinden, wenn auch mit den an meinem Strand anzutreffenden Problemen hinsichtlich der Genauigkeit.34 Die weißen Klippen von Dover sind 70 Millionen Jahre alt. Der Ton unter Oxford ist 150 Millionen Jahre alt. Das Gestein unter Stratford-upon-Avon hat ein Alter von 200 Millionen Jahren. Bei der Kohle unter Stoke-on-Trent sind es 300 Millionen Jahre, beim Lake District 400 Millionen, bei der Isle of Man 500 Millionen, beim schottischen Hochland 600 Millionen Jahre und mehr.

Die ältesten Gesteine der Welt finden sich nicht in Großbritannien, sondern an Orten, die extremer eiszeitlicher Vergletscherung unterworfen sind, wie etwa Grönland, Nordkanada und Nordfinnland. Dort hobeln die Gletscher alle oberen Sedimentschichten ab und legen das Urgestein darunter frei. Das radiometrische Alter dieser Gesteine beginnt, wo die geologische Vorgeschichte in Britannien aufhört, und reicht weitere vier Milliarden Jahre zurück.35 Die ältesten Daten stimmen mit denen von Meteoriten und Mondgestein überein, was impliziert, dass sie den Anfang der Erde begründen.36 Das Alter der Erde ist für Energiedebatten nur insofern bedeutsam, als es anzeigt, dass die Gesamtskala geologischer Zeiträume durch kosmische Ereignisse und nicht durch kunstvolle Wertabschätzungen bestimmt wird.

Im Ablauf der geologischen Zeit haben die Kontinente sich über eine Strecke auf- und abwärtsbewegt, die die Tiefe des Meeres übersteigt. Das wissen wir, weil das Sedimentgestein an einigen Orten mehr als vier Kilometer dick ist. Nachdem Charles Darwin das Weald datiert hatte, bemerkte er auch, dass die Dicke aller Sedimentschichten in England, würde man sie aufeinanderlegen, insgesamt 22 Kilometer ausmacht. Damals war nicht klar, wie wörtlich man diese Tatsache verstehen sollte, da niemand je einen Stollen durch all die Schichten getrieben hatte und auch keiner sicher wusste, wie tief der Ozean überhaupt war. Mittlerweile wurden die Meere jedoch gründlich untersucht, und mithilfe von Öltechnologien wie Echo-Stratigrafie und Tiefbohrungen findet man regelmäßig Schichten von Sedimentgestein mit einer Dicke von 10 bis 15 Kilometern.37 Das spektakulärste Beispiel für solch dicke Schichten ist natürlich der Grand Canyon, der zunächst um drei Kilometer über den Meeresspiegel angehoben werden musste, ehe er vom Colorado River durchschnitten werden konnte. Zusammen mit dem Escalante Staircase in Utah bildet er eine insgesamt 10 Kilometer dicke Sedimentmasse.38 Außerdem zeigt der Grand Canyon, dass Hebung und Senkung abwechselten – hier finden sich Schichten mit fossilen Pflanzen zwischen Schichten mit Meeresfossilien. Weniger berühmt, aber nicht weniger aufschlussreich für die gewaltige Ausdehnung geologischer Zeitskalen ist der nahe gelegene Canyon des Animas River, der fünf Kilometer dickes Sedimentgestein durchschneidet. Sedimentablagerungen mit mehr als einem Kilometer Dicke kommen überall auf der Welt häufig vor.39

Der Meeresspiegel ist im Verlauf geologischer Zeiten jedoch nicht um einen Betrag angestiegen oder abgesunken, der die Höhe der Berge übertroffen hat. Das wissen wir, weil Meeressedimente sich während der letzten 600 Millionen Jahre kontinuierlich angesammelt haben – das wäre nicht geschehen, wenn die kontinentale Erosion aufgehört hätte oder der Meeresboden trockengefallen wäre. Zudem lässt sich anhand von Hinweisen im Gestein rückblickend ableiten, wo der Meeresspiegel in der geologischen Vergangenheit lag.40 Dieses Verfahren weist methodische Ungenauigkeiten auf, da man dabei beurteilen muss, wie Schichtfolgen in verschiedenen Teilen der Welt aufgereiht sind, woraus man Belege für Küstenlinien erhält, und wie die Erdkruste unter dem Einfluss entstehender und verschwindender Gesteinsmassen nachgab und sich wieder hob.41 Die Genauigkeit des Verfahrens reicht aber aus, uns erkennen zu lassen, dass die Wassermenge auf der Erde sich in geologischen Zeiträumen nicht entscheidend verändert hat und das Ansteigen und Fallen der Meere durch Zunahme und Schwund der polaren Eismassen sowie durch langsame Veränderungen der Meeresbeckenvolumina angemessen erklärt wird. Der Meeresspiegel hat eine komplexe und interessante Geschichte, doch er ist nie mehr als 200 Meter von seinem aktuellen Wert abgewichen.

Besonders stark ist das Meer infolge der Vergletscherung während der Eiszeiten der letzten Millionen Jahre angestiegen und gefallen. Das wissen wir, weil das Verhältnis der Sauerstoffisotope in den Meeressedimenten in Abhängigkeit von der Tiefe stark variiert.42 Diese Verhältnisse messen indirekt die zur Zeit der Sedimentierung in glazialen Eisschilden eingeschlossenen Wassermengen.43 Die Sedimente verzeichnen neun große Perioden der Vergletscherung, die den Meeresspiegel jeweils um mehr als fünfzig Meter sinken ließen. Anschließend stieg er unvermittelt wieder auf seinen derzeitigen Wert.44 Mindestens vier dieser Perioden ließen das Meer um mehr als hundert Meter sinken. Das gilt auch für die jüngste Eiszeit, die den Meeresspiegel um 120 Meter absenkte. Die Größe dieser Absenkung wird durch angehobene Korallenriffe bestätigt, die Wachstum an Orten zeigen, wo es sonst unmöglich gewesen wäre – sie benötigen spezielle Wassertiefen.45 Außerdem ist sie vereinbar mit den Schätzungen der Eismasse, die erforderlich war, um einen so gewaltigen Unfug wie Long Island, Nantucket und die Great Lakes zu hinterlassen – insgesamt etwa 30 Millionen Kubikkilometer oder 30 Millionen Milliarden Tonnen.46

Die großen Eiszeiten sind spektakuläre Beispiele für den natürlichen Klimawandel, der sich in geologischen Zeiträumen ereignet hat. Sie fanden in regelmäßigen Abständen von 100 000 Jahren statt und folgten stets dem gleichen merkwürdigen Muster einer langen, kontinuierlichen Abkühlung, der sich eine unvermittelte Erwärmung hin zu ähnlichen Bedingungen wie heute anschloss. Das wissen wir, weil chemische Spuren im Polareis, deren Muster mit denen der Sedimente übereinstimmen, eine Information enthalten, in der die präzessionsbedingte Taumelbewegung der Erde aufgezeichnet ist.47 Die Präzession ist eine astronomische Größe, die einer Uhr gleicht, weshalb ihr Auftreten in den Eisdaten ermöglicht, das Eis präzise zu datieren. Das wiederum erlaubt es uns, die Sedimente genau zu datieren. Die letzte Gletscherschmelze vor 15 000 Jahren – die Zeit ergibt sich aus dem Quervergleich mit dem Radiokarbonalter von im Eis begrabenen Holzresten, die beim Rückzug der Gletscher ans Licht kamen – verlief rasch.48 10 000 Jahre lang stieg das Meer um mehr als einen Zentimeter pro Jahr an, dann hörte das auf. Die für dieses Schmelzen erforderliche zusätzliche Wärme betrug das Zehnfache des gegenwärtigen Energieverbrauchs der Zivilisation.49 Der gesamte Schmelzwasserfluss entsprach der doppelten Menge des Amazonas oder der halben Schüttung aller Flüsse der Welt.

Die großen Eiszeiten waren jedoch nicht die einzigen Beispiele für natürlichen Klimawandel.50 Vor sechs Millionen Jahren fiel das Mittelmeer trocken.51 Vor 90 Millionen Jahren tummelten sich in der Arktis Krokodile und Schildkröten.52 Vor 150 Millionen Jahren überfluteten die Ozeane die Mitte Nordamerikas und konservierten Dinosaurierknochen. Vor 300 Millionen Jahren verdorrte Nordeuropa zu einer Wüste, und in der Antarktis bildete sich Kohle.53 Den großen Eiszeiten wiederum gingen vor ein bis zwei Millionen Jahren annähernd 30 kleinere voraus und vor dieser Zeit möglicherweise noch einmal die doppelte Anzahl.

Niemand weiß, warum es in der Vergangenheit zu diesen dramatischen Klimaveränderungen kam. Zu den üblicherweise auftauchenden Erklärungsansätzen gehören Störungen der Erdbahn durch andere Planeten,54 Abriss von Meeresströmungen,55 Anstieg und Minderung von Treibhausgasen,56 Wärmereflexion durch Schnee,57 Kontinentaldrift,58 Kometeneinschläge, Sintfluten biblischen Ausmaßes,59 Vulkane und langsame Änderungen der Sonneneinstrahlung.60 Nichts davon hat bislang zu einer vernünftigen wissenschaftlichen Erklärung geführt.61 Eines wissen wir jedoch sicher: Menschen waren daran nicht beteiligt. Während der Eiszeiten gab es nicht genug Menschen, als dass sie eine Rolle hätten spielen können, und davor gab es überhaupt keine Menschen.

Das geologische Archiv legt, soweit wir es kennen, den Schluss nahe, dass Klima eine grundlegend größere Angelegenheit ist als Energie. Energieversorgung hat mit Technik zu tun; es geht darum, dass die Lichter auch unter Bedingungen brennen, die mit der Zeit wahrscheinlich schwieriger werden. Beim Klimawandel dagegen geht es um geologische Zeiträume, um etwas, das die Erde gewöhnlich aus sich heraus vollzieht, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten oder sich zu rechtfertigen. Die Zivilisation, die keineswegs für die Schädigung des Erdklimas verantwortlich ist, dürfte nicht imstande sein, eine dieser schrecklichen Veränderungen zu verhüten, sobald die Erde sich anschickt, sie ablaufen zu lassen. Wäre die Erde beispielsweise entschlossen, Kanada wieder einzufrieren, kann man sich nur schwer vorstellen, was man tun könnte – außer sein Grundstück in Kanada zu verkaufen. Entschließt sie sich, Grönland abzuschmelzen, dürfte es am besten sein, sein Grundstück in Bangladesch abzustoßen.

Das geologische Archiv legt also nahe, dass uns das Klima nicht übermäßig kümmern sollte, wenn wir in die Energiezukunft blicken – nicht weil es unwichtig ist, sondern weil die Energiekrise über uns gekommen sein wird, ehe es uns gelingt, das Wärmegleichgewicht der Erde entscheidend zu ändern. Das weiß man, weil die bislang vom Menschen verursachten Klimaänderungen klein sind im Vergleich zu denen, die sich in ferner Vergangenheit auf natürliche Weise abgespielt haben.

Das geologische Archiv erklärt auch, warum die Fragen zu Energie und Klima oft so weltfern erscheinen. Es liegt daran, dass das sechste Massensterben und das Ende fossiler Treibstoffe Ereignisse geologischer Zeiträume sind. Wie das Aufkommen von Atomwaffen oder die industrielle Revolution führt ihr Herannahen bald zu einem Zusammenprall der Welt der Phantasie mit der Welt des Hier und Jetzt, bei dem die beiden kurz miteinander verschmelzen, um sich anschließend mit veränderten Definitionen wieder voneinander zu lösen. Alles wird gut, doch es ist kaum eine Überraschung, dass Gespräche über beide Welten manchmal ein wenig psychotisch erscheinen.

3. KAPITEL

Das Gesetz des Dschungels

Als ich ein Kind war, wollte mein Vater immer das billigste Benzin tanken. Für ihn war es nicht nur sinnvoll, keinen Cent mehr zu bezahlen als notwendig. Es war eine Frage der Selbstachtung. Ständig hörte er sich nach Gelegenheiten um; er wusste immer, wer gerade ins Geschäft ein- oder daraus ausstieg und wer zu einem bestimmten Zeitpunkt wie viel verlangte. Wenn er von einem geringen Preisvorteil irgendwo auf der anderen Seite der Stadt Wind bekam, pflegte er sofort hinzufahren und vollzutanken. Wenn es bei Benzin zu Preiskämpfen kam, freute er sich nicht bloß, sondern war die ganze Zeit über seltsam gut gelaunt und summte vor sich hin, als wäre er im Himmel und hätte nur vergessen, seine Harfe in die Hand zu nehmen.

Es war natürlich nicht besonders ungewöhnlich, dass mein Vater so versessen war auf billigen Sprit. Wir erfahren das in gewissem Grad einfach, indem wir älter werden und die Kaufgewohnheiten unserer Mitbürger beobachten. Besonders gut lernt man dieses Verhalten jedoch auf Reisen kennen. Ein beiläufiges Gespräch über Spritsorgen mit einem Taxifahrer in China, Europa, Lateinamerika oder Afrika, sei es direkt oder über einen Dolmetscher, läuft am Ende immer auf die gleiche Unterhaltung hinaus. Es ist einigermaßen verblüffend. Man entdeckt, dass dieser Mensch bis in die Einzelheiten genauso denkt wie man selbst. Jeder will den billigsten Treibstoff.

Haben wir einmal verstanden, wie ähnlich uns die meisten anderen Menschen in der Welt sind, bekommen wir allmählich Probleme mit der Idee, Energie zum Vorteil aller zu sparen.62 Wir würden uns gern verantwortungsvoll verhalten, aber das eigene Denken rebelliert und bringt hinterhältig einen Kerl in Bangladesch ins Spiel – mit großer Familie, glänzendem neuen Auto, erdrückenden Ausbildungsverpflichtungen für die Kids und dem Bestreben, noch mehr Geld zu machen, um für das Alter vorzusorgen. Er steuert seine heimische Tankstelle an, beginnt zu tanken und sinniert während der ziemlich langen Wartezeit (der Tank ist sehr aufnahmefähig) darüber nach, wie schön es doch ist, dass die Leute in Deutschland, Frankreich und den USA so hart daran arbeiten, weniger Sprit zu verbrauchen, was für ihn die Preise niedrig hält. Während er so tankt, wird er immer fröhlicher, und das absolut nicht wegen des schönen Wetters, denn es ist heiß und regnerisch. Auf dem Weg zur Kasse summt er zufrieden vor sich hin, als wäre er eine Kopie meines Vaters, und das ist er ja auch. Dann springt er ins Auto und dreht die Klimaanlage auf volle Dröhnung. Im Kopf vervielfältigen wir die Szene dann milliardenfach und sehen sie in verschiedenen Sprachen und Umständen rund um den Globus vor unserem inneren Auge, und jedes Mal läuft sie im Grunde gleich ab – aus den gleichen Gründen. Daraufhin überfällt uns die Versuchung, leise zu kichern, und der sollten wir auch nachgeben.

Weil die Energie für jeden eine solche persönliche Bedeutung hat – das zeigt sich in dem extremen Aufwand, den wir für Schnäppchen in Kauf nehmen –, sorgt sie dafür, dass statt menschlicher Gesetze eher das Gesetz des Dschungels herrscht, wenn ihre Produktion und ihre Verwendung zu regulieren sind. Die meisten von uns denken über diese offenkundige Tatsache nicht besonders nach, weil das Zeitverschwendung ist. Im Vergleich zu anderen Dingen, für die wir bezahlen müssen – medizinische Versorgung, Erziehung, Hypotheken und so weiter –, ist Energie so billig, dass wir besser damit fahren, wenn wir es anderen überlassen, sich wegen der Ungerechtigkeit beim Benzin Sorgen zu machen.63 Allerdings begreift jeder, dass diese billigen Preise weniger der Bändigung des Dschungels, sondern eher einem zufälligen Überfluss an Bananen zu verdanken sind. Insbesondere sind sie Folge eines ruinösen Wettbewerbs um Marktanteile. Wenn der Wettbewerb schiefläuft, wie das gelegentlich vorkommt, zahlen wir auf einmal, was immer die Verkäufer für Treibstoff verlangen, oder wir müssen ohne Sprit zurechtkommen. Wenn wir ihn nicht kaufen, tut es ein anderer. In solchen Momenten werden wir daran erinnert, wie brutal die Energiebranche ist, und wir merken, wie machtlos Regierungen sein können, wenn es schwierig wird.

Die Aussage, dass Produktion und Nutzung von Energie im Grunde nur wirtschaftliche Fragen und keine Fragen der Technologie seien, ist jedoch nicht trivial, wie das hartgesottene Typen von der Wall Street gern behaupten. Denn diese Tatsache hat großen Einfluss darauf, was im nächsten Jahrhundert wahrscheinlich geschehen wird, wenn die fossilen Energieträger zu Ende gehen. Insbesondere schließt sie ein, dass eine wundersame wissenschaftliche Entdeckung oder Erfindung wahrscheinlich keinen großen Einfluss auf den Gang der Dinge haben wird. Dazu müsste sie sowohl brillant als auch ökonomisch auf dem richtigen Weg sein, und das ist eine extrem hohe Anforderung. Ohne außergewöhnliche und beispiellose Eingriffe in die weltweite Preisbildungsmaschinerie für Energie ist kaum eine andere Zukunft vorstellbar als eine schrittweise Entwicklung von der billigsten Energiequelle zur nächstbilligen und dann zur nächsten und so weiter, während die Ressourcen nacheinander zu Ende gehen. Vermutlich wird die Preisbildung auf jeder Schwelle mit erheblichen Schmerzen einhergehen. Es gibt absolut keine Möglichkeit, diesen Prozess zu stoppen, außer man bezahlt höhere Preise für Benzin, wozu niemand bereit ist. Natürlich ist dieses Szenario der Albtraum des Umweltschützers, weil darin nacheinander alle fossilen Treibstoffe verbraucht werden und wir am Ende beim schmutzigsten landen, nämlich der Kohle. So läuft das Leben im Dschungel.

Die Brutalität der Energiebranche ist einerseits so entscheidend für das Verständnis der Zukunft und andererseits für die meisten so schwer zu begreifen, dass es sich lohnt, die Geschichte eines speziellen Zwischenfalls im Energiedschungel genauer zu betrachten – nur um zu erfassen, wie unser Leben wirklich aussieht. Man kann aus einer langen Liste solcher Vorfälle wählen – die Konsolidierung der Ölbranche im 19. Jahrhundert,64 das Auf und Ab beim Ölschiefer,65 die Mauscheleien bei den Teersänden,66 große Kohlestreiks67 und die Schließung der britischen Kohlegruben durch Lady Thatcher.68 Doch optimal geeignet ist wahrscheinlich die kalifornische Energiekrise von 2000 /01.69 Denn abgesehen davon, dass sie noch nicht lange zurückliegt und bedeutsam ist, wurde sie äußerst gründlich dokumentiert – dank des leidenschaftlichen Interesses der Presse für die Story und einiger glücklicher Zufälle während der Ausbreitung der Krise. Alles zusammen ermöglicht uns, den Ablauf des Geschehens selbst zu erschließen – unabhängig von der Analyse anderer. Außerdem hat die Krise ein solches Ausmaß, dass sie das ganze Spektrum des Dschungelverhaltens und nicht nur ein paar seiner Aspekte zur Schau stellt. Dazu gehören der Drang der Energieerzeuger und -versorger, ihre Profite zu maximieren, der Drang demokratisch gewählter Regierungen, ihnen diese Profite abzunehmen und sie an das Volk zu verteilen, sowie der Drang von Käufern wie Verkäufern, die gesetzlichen Regulierungsmaßnahmen im Rahmen der politischen Abläufe zu ihren Gunsten zu manipulieren. Dazu kommt das Bemühen aller Beteiligten, sich in der öffentlichen Diskussion als die moralisch überlegene Seite darzustellen und nach den eigenen Vorstellungen zu definieren, was richtig und gut ist, obwohl es in Wahrheit allein ums Geld geht.

Ende der Leseprobe