Der Lottogewinn - Henryk Bolik - E-Book

Der Lottogewinn E-Book

Henryk Bolik

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Beschreibung

Ob vor dem Fernseher auf dem Sofa oder mit vollem Schwung unterwegs: Älter werden wir so oder so. Aber was für ein Unterschied! Nach einem erfüllten Berufsleben ist noch viel drin: Einen Lottogewinn meistern, nach Teneriffa auswandern, mit der transsibirischen Eisenbahn reisen, auf einem Kreuzfahrtschiff nach einem Lebenspartner suchen und vieles andere mehr. Gelegenheiten gibt es genug, man muss sich ihnen nur stellen. Auch wenn nicht immer alles nach Plan läuft, nehmen die Akteure in dem Roman "Der Lottogewinn" mit Zuversicht und großer Energie die Herausforderungen an. Der Lottogewinn ist eine erweiterte Neuauflage des Erzählbandes Finale von Henryk Bolik Der zweite Roman von Henryk Bolik ist humorvoll, dynamisch, mit verdecktem Augenzwinkern und einigem Tiefgang erzählt. Er ist spannend, hat überraschende Wendungen und liest sich wie eine Liebeserklärung an das Leben der "Generation plus".

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Seitenzahl: 327

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Inhalt

Der Lottogewinn

Die Residenz

Eine Harfenaffäre

Bungee-Jumping

Elbphilharmonie

Die Blaue Mauritius

Die Ballerina

Der Bestseller

Deal von Sao Tomé

Transsibirische Eisenbahn

Auf Station

Nordische Brautschau

Kaffeefahrt

10 000 v. Chr.

Einmal um die Erde

Eno

Der Arbeitskreis

Der Lottogewinn

Es gibt nur wenige, die bei dem Wort Lottogewinn nicht interessiert aufmerken.

Der Traum vom großen Geld ist unter den meisten Menschen weiter verbreitet, als jede andere Illusion. Obwohl für das Glücksspiel »6 aus 49« die Wahrscheinlichkeit eines Hauptgewinns von 1 zu 140 Millionen ausdrücklich benannt wird. Das ist nicht wahrscheinlicher, als mitten in der Sahara eine gekühlte Flasche Coca-Cola zu finden.

In unserer Residenz lebt aber eine Dame, welcher ein solches Wunder widerfahren ist. Elisabeth, eine junggebliebene 82-jährige Mitbewohnerin hat angekündigt, am heutigen Abend das Geheimnis ihres Lottogewinns preiszugeben.

Hier ist ihre recht ungewöhnliche Geschichte:

»23:49 Uhr, 1:18 Uhr, 3:04 Uhr, 4:32 Uhr, 6:22 Uhr und 8:01 Uhr. Exakt zu diesen Zeiten musste ich eines Nachts die Toilette aufsuchen. Um die Blasenentzündung besser behandeln zu können, wollte der Arzt meines Vertrauens wissen, wie oft ich nachts aufstehen muss. Deshalb habe ich eine detaillierte Dokumentation erstellt, wobei ich unsicher war, ob er die Angaben so genau brauchte.

Am nächsten Morgen fiel mir beim Betrachten der Messreihe auf, dass im Minutenbereich sechs Zahlen zwischen 1 und 49 vertreten waren: 1, 4, 18, 22, 32 und 49. Die Assoziation »6 aus 49« lag auf der Hand! Schnell ließ ich mich zu der Schlussfolgerung hinreißen, meine Blase würde mir die »sechs Richtigen« für die nächste Lottoziehung mitteilen!

Ich spielte nur ab und zu Lotto, vielleicht einmal im Monat und dann die Geburtstage meiner Lieben, also nur Zahlen zwischen 1 und 31. Der Gedanke, dass meine Blase in bester Absicht mit mir Kontakt aufgenommen hat, ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Dann fiel mir im Supermarkt auch noch das Plakat der Lottogesellschaft ins Auge, auf dem verkündet wurde, dass bei der nächsten Ziehung zusätzlich 40 Millionen Euro aus dem Jackpot ausgeschüttet würden. Diese Nachricht musste ich doch als ein weiteres Zeichen werten, dass etwas Höheres im Gange sei. Je länger ein möglicher Lottogewinn meine Fantasie beflügelte, umso wahrscheinlicher erschien er mir.

Ich war damals Mitte 70 und führte ein glückliches Restleben, wohnte im eigenen Haus, leider allein, da mein lieber Mann schon gegangen ist. Es gab aber Freunde, die ich regelmäßig traf und mit denen ich einen sehr vertrauensvollen und herzlichen Kontakt pflegte. Meine finanzielle Versorgung war zufriedenstellend, Geld war für mich kein existenzielles Thema. Trotzdem setzte mir der Gedanke an einen möglichen Großgewinn mächtig zu.

Ich fing an, mir auszudenken, was ich mit dem Geld wohl anfangen könnte, ob und wie es mein schönes Leben noch schöner machen könnte. Aber ich fragte mich auch, ob ein so großer Gewinn am Ende nicht mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen würde. Unterdessen verfestigte sich der Verdacht immer mehr, dass mir, nur mir, die sechs Richtigen der nächsten Lotto-Ausspielung schon zwei Tage vor der Ziehung bekannt sind. In meinen wenigen lichten Momenten musste ich mir aber eingestehen, wohl nicht mehr »ganz dicht« zu sein. Trotzdem ließ mich das Thema nicht wirklich los.

Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Entschluss, meine Freunde in das Abenteuer einzubeziehen. Wenn sich das Leben schon ändern sollte, dann wenigstens nicht nur meines. Zusammen mit ihnen würde so ein Gewinn ganz bestimmt viel mehr Spaß machen.

Also lud ich sechs Freunde, mit denen ich durch nahezu tägliche Kontakte sehr verbunden war, kurzfristig zu einer »dringenden Unterredung mit Rhabarberschorle« auf die Terrasse meines Gartens ein.

Die vermutete Botschaft aus der Blase löste bei meinen Gästen zunächst ein riesiges Gelächter aus, verbunden mit Verunsicherung und Skepsis. Mein Angebot eines gemeinschaftlichen Vorgehens weckte dann aber doch Interesse. Am Ende setzte sich schließlich die Einsicht durch, dass das Unmögliche nur möglich werden kann, wenn man der Blase eine Chance gibt. Schnell wechselte die Stimmung vom berechtigten Zweifel zum unberechtigten Enthusiasmus. Obwohl die Chance, sechs aus 49 und die richtige Superzahl zu treffen, nahezu Null ist, entschieden wir uns am Ende einstimmig für das Abenteuer, ohne recht zu ahnen, worauf wir uns da einlassen und was daraus entstehen könnte. Dabei war der allgemeine Tenor: Wenn es nicht klappt, haben wir nichts verloren; wenn es doch klappt und dann zu kompliziert werden sollte, können wir ja den Spuk leicht beenden, zum Beispiel durch großzügiges Spenden. Ehrlicherweise muss man aber zugeben, dass die Aussicht, über Nacht Millionär zu werden, jeden von uns irgendwie elektrisiert hat.

Um den gemeinschaftlich angestrebten Gewinn auf den Weg zu bringen, trug ich die »sechs Richtigen« in zehn unterschiedliche Scheine ein, mit jeweils einer Superzahl zwischen Null und Neun, die ja auf jedem Formular schon aufgedruckt ist. Damit war sichergestellt, dass der Jackpot, trotz richtiger Gewinnzahlen, nicht an uns vorbeirauscht. Wenigstens diese Unwägbarkeit konnten wir preiswert ausschalten, sodass sich die Chance auf eins zu 14 Millionen verzehnfachte.

Wir pilgerten gemeinsam zur Lotto-Annahmestelle in unserem Supermarkt, gaben die Wettscheine ab und teilten den Einsatz gleichmäßig untereinander auf. Damit war unter Zeugen klar, dass nicht einer allein, sondern wir sieben gemeinsam mit einem Supergewinn fertig werden mussten. Vorausgesetzt, dass sich meine Blase nicht geirrt hat.

Die Ziehung am Samstagabend verfolgten wir natürlich gemeinsam am Fernseher, voller Spannung, ziemlich aufgeregt und mit einem vorauseilend organisierten Glas Sekt für jeden. Obwohl keiner von uns ernsthaft an einen Erfolg glaubte, bereitete die gemeinsame Erwartung viel Vorfreude.

Und ob ihr es glaubt oder nicht: Unsere Zahlen wurden tatsächlich gezogen! Und zwar genau in der Reihenfolge, die meine Blase vorhergesagt hat: 49, 18, 4, 32, 22 und 1. Die Superzahl war die sechs, was aber egal war; die hatten wir ja auf jeden Fall auf einem der abgegebenen Scheine richtig!

Erst nach einer unendlich lang erscheinenden Zeit der allgemeinen Lähmung konnten wir begreifen, was passiert ist! Danach brach ein orkanartiges Jubelgeschrei aus, dass durch heftige tanz artige Verrenkungen ergänzt wurde. Ein solch unkontrolliertes Verhalten hat sich in meinem Wohnzimmer nie zuvor zugetragen! Bei dem Freuden gehopseund -Gesinge wurden wir nicht nur heiser, sondern kamen einander in vielerlei Hinsicht näher! Es gab Umarmungen, Wangenküsse, auch Paar Tanzen und noch vieles mehr in der Art. Das war angesichts der ins Rollen gekommenen Entwicklung bestimmt hilfreich, da unsere Seniorengruppe dadurch ein gutes Stück weiter zusammengewachsen ist.

Nachdem das mit dem Jubeln erledigt war und wir wieder zu Atem gekommen sind, kehrte eine seltsame Nüchternheit ein. Wie sollte es jetzt weitergehen?

Unvermittelt standen viele Fragen im Raum. Jedem war klar, dass eine Rückkehr in unser bisheriges Leben ab sofort wohl nicht mehr ohne Weiteres möglich war.

Bevor wir das Geschehene aber konkret begreifen konnten, musste erst einmal geklärt werden, mit welcher Summe wir es zu tun haben werden.

»Da der Gewinn auf alle Spieler mit den richtigen Zahlen aufgeteilt wird, feiern möglicherweise zur gleichen Stunde tausend andere wie wir, und am Ende reicht es für den Einzelnen nur für einen zweiwöchigen Urlaub im Schwarzwald oder auf Mallorca«, bemerkte Lothar, unser Notar und Pessimist vom Dienst.

Ein pragmatischer Redebeitrag kam dann von Gudrun, unserer lustig-listigen Krankenschwester: »Auf jeden Fall sollten wir uns zuallererst bei Elisabeths Blase bedanken, das ist wohl das Mindeste! Ich schlage ein großes Glas Salbeitee auf ex vor.«

Dagegen hatte keiner in der Runde etwas einzuwenden, außer mir natürlich. Unter brüllendem Gelächter musste ich einen Becher des ekelhaften Tees austrinken. Das nennt man echte Freunde!

Wir, vier Frauen und drei Männer, waren eine lockere Freundesgruppe, alle um die 70 Jahre alt. Wir lebten im gleichen Ort, alle allein, bis auf Max und Ludwig, die als Schwule einen gemeinsamen Haushalt hatten. Was unsere ehemalig ausgeübten Berufe betrifft, waren wir sehr heterogen zusammengewürfelt: eine Krankenschwester, eine Bankkauffrau, eine Polizeikommissarin, ein Notar, ein Schauspieler und ein Koch; ich selbst war Journalistin. Wir sahen uns unregelmäßig bei Konzerten, Theateraufführungen, Veranstaltungen unseres Ortsvereins und bei sonstigen Festen. Jeweils am dritten Sonntag im Monat wurde bei jedem Wetter eine Wanderung mit anschließendem Essen unternommen, wobei in der Regel keiner fehlte. Wenn einer mal krank war, wurde ein Hilfs- oder Besuchsdienst organisiert. Das hört sich nicht nur gut an, es war auch gut. Abgesehen von spontanen Treffen rückten wir uns aber kaum auf die Pelle.

Jetzt waren wir zuversichtlich, dass das gewonnene Geld unsere Idylle nicht zerstört!

Als Initiatorin der Lottoaktion nahm ich direkt am Montag Kontakt mit der Lottogesellschaft auf, um das weitere Vorgehen abzuklären. Ich wurde sehr freundlich zu einem Herrn Koslowski durchgestellt, der als sogenannter Gewinnbetreuer standardmäßig den, in der Regel unerfahrenen, Gewinnern hoher Beträge »Erste Hilfe« leistet.

Nachdem ich dem Gewinnberater die Nummer unseres Spielscheins durchgegeben habe, bestätigte er ohne Umschweife, dass unsere Tippgemeinschaft den Jackpot geknackt hat und dass der Computer nur einen Schein mit den richtigen Gewinnzahlen plus Superzahl gefunden hätte. Wir könnten uns auf eine rekordverdächtige Gewinnsumme freuen. Das sollten wir aber, bitte, sehr, sehr leise tun! »Kein Wort zu niemandem!«, warnte er nachdrücklich.

Er bot sich an, uns zu Hause zu besuchen, um alles Weitere zu besprechen. Bis dahin riet er noch einmal zur absoluten Verschwiegenheit, ansonsten wären Missgunst, körbeweise flehende Bettelbriefe, aufdringliche Journalisten, Anlageberater und Verkäufer aller Arten die Folge.

Die Gewinnbetreuung fand schon zwei Tage später in meinem Wohnzimmer statt. Herr Koslowski ist mit seinem Kleinwagen vorgefahren, die Millionäre sind einigermaßen pünktlich zu Fuß eingetrudelt. Als Getränk gab es meine begehrte Rhabarberschorle.

Zu Beginn überprüfte der Gewinnberater, ob alle Zahlen auf dem Spielschein stimmen. »Ich muss das machen, routinemäßig«, entschuldigte er sich fast.

Als wir ihm die Geschichte unseres Lottogewinns und dann unsere Sorgen über mögliche Nebenwirkungen der geballten Geldladung anvertrauten, musste er grinsen und zugeben, so etwas noch nicht erlebt zu haben. »Dann kann ich mir ja die üblichen Empfehlungen sparen: Erst einmal keinen Porsche kaufen, den Job nicht sofort kündigen, nicht mit Geld um sich werfen usw.«, meinte er und wiederholte noch einmal, das Wichtigste sei, mit niemandem über den Gewinn zu reden. Mit unserem ruhigen Leben sei es sonst sofort und für immer vorbei!

Herr Koslowski hatte noch einige Beispiele über »misslungene« Gewinnverwendungen parat und deckte uns mit gut gemeinten Ratschlägen ein. Als er am Ende die vorläufige Gewinnsumme von ca. 44 Millionen steuerfreier Euros nannte, fiel mir mein Glas mit Rhabarberschorle aus der Hand und Gudrun verschluckte sich ordentlich.

Ansonsten war es eine gelungene Veranstaltung!

Nachdem der Gewinnberater sich verabschiedet hat, trat unvermittelt eine längere Stille ein, die jeder von uns dringend brauchte, um das Geschehene halbwegs zu verinnerlichen.

Da wir alle genug Lebenserfahrung hatten, wussten wir, dass nun ein geordnetes Vorgehen notwendig war. Das bedeutete, dass für unsere Gruppe eine gewisse Struktur geschaffen werden musste, womit insbesondere die Festlegung von Verhaltensregeln, die Zuweisung von Zuständigkeiten und die Verwaltung des Vermögens gemeint waren.

Da keiner als Vorsitzender auftreten wollte, verständigten wir uns auf mich als Sprecherin und Margret, unsere ehemalige Bankkauffrau, als Schatzmeisterin. Die Aufgaben für uns beide waren zwar zunächst nicht ganz klar, aber immerhin waren wir ab sofort so etwas wie ein Verein.

Anschließend führten wir über die Verwendung und Aufteilung der Gewinnsumme wir eine sehr lebendige Diskussion. Es war beeindruckend, wie viele Möglichkeiten sich auftun, wenn sieben Personen eine große Geldmenge ausgeben sollen. Nach langer, teilweise recht humorvoller Debatte stand fest, dass zur Bewältigung der großen Aufgabe ein differenzierter Ausgabenplan erstellt werden muss.

Als Erstes legten wir fest, dass jeder von uns eine Million erhält, die er selbstständig verwaltet und mit der er sich seine vordringlichen individuellen Wünsche erfüllen kann, wie zum Beispiel ein neues Auto anschaffen, dem Enkel ein Moped schenken, eine Reise nach Patagonien unternehmen und solche Sachen.

Auch der Vorschlag, einen Teil des Gewinns für humanitäre Zwecke zu spenden, fand die volle Zustimmung aller Neumillionäre. Hierfür sollte jeder von uns eine weitere Million erhalten, die er nach eigenen Vorstellungen an Bedürftige oder Organisationen seiner Wahl verschenken konnte.

Allergrößte Zustimmung fand aber Gudruns Vorschlag, einen ansehnlichen Betrag für unsere Gesundheit beiseitezulegen. Mit diesem Geld sollten alle Kosten gedeckt werden, die uns im Zusammenhang mit Krankheiten künftig entstehen könnten und die von den Krankenkassen voraussichtlich nicht bezahlt würden. Hierzu zählen insbesondere Krankenhaus- oder Kuraufenthalte als Privatpatienten, Honorare für Heilpraktiker, Medikamente für Naturheilverfahren, Pflegekosten und solche Dinge.

Für diesen Gemeinschaftsfonds wurden sieben Millionen abgezweigt, rechnerisch für jeden von uns eine. Natürlich war unser Wunsch, dass dieser Fond lange Zeit unangetastet blieb.

Die verbleibenden 23 Millionen sollten in eine Art Stiftung fließen, deren einzige Zielsetzung die Finanzierung von Anschaffungen und Unternehmungen zur Steigerung der Lebensfreude unserer Gruppe sein sollte. Keinem von uns war zu diesem Zeitpunkt klar, dass es gar nicht so einfach ist, 23 Millionen für Herzenswünsche auszugeben.

Klar war aber, dass eine vertragliche Lösung notwendig war, um eine möglichst reibungslose Umsetzung unseres Aktionsplans zu erreichen. Deshalb sollte zeitnah ein entsprechender Stiftungsvertrag entworfen werden, wozu sich Lothar, unser ehemaliger Notar, bereit erklärt hat.

Da die Millionen verteilt waren, konnten wir uns am Morgen nach der turbulenten Diskussion völlig entspannt zum Frühstück im ersten und einzigen Hotel unseres Städtchens treffen. Das Aufgetischte war zwar nicht schlecht, aber es fehlte vieles, was Ältere am Morgen gerne trinken und essen, zum Beispiel frisch gepressten Orangensaft oder Rosinenbrötchen. Immerhin gab es Sekt, wovon jeder ein Glas trank, sodass sich eine recht lockere Stimmung entwickelt hat.

Lothar machte, vom Sekt beflügelt, den Vorschlag, den Laden einfach zu kaufen und dann für ein ordentliches Frühstücksbuffet zu sorgen.

In wunderbar beschwingter Laune kreisten die Gespräche an unserem Tisch natürlich um die kommenden Aktionen. Schön war vor allem, dass keiner mehr über das Geld redete, es war ja alles geregelt!

Damit wieder etwas Alltag in unser Leben einkehrt, haben wir uns am Ende des Frühstücks eine vierwöchige Ruhepause verordnet, in der nur der Geldtransfer von der Lottogesellschaft durch unsere Schatzmeisterin Margret organisiert werden sollte. Lothar wollte an dem Vertrag für die Stiftung arbeiten. Alle anderen konnten sich ihrem normalen Leben widmen, wie zum Beispiel Arzttermine wahrnehmen, Enkelkinder verwöhnen und solche Dinge.

Vier Wochen Lottogewinnabstinenz haben uns gutgetan, wodurch wir wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen sind.

Nach der Pause ging es beschwingt weiter. Das Geld stand zur Verfügung, der Stiftungsvertrag war unterschriftsreif. Ein Manager wurde angestellt, der sich um die Stiftung und alles, was damit zusammenhing, kümmern sollte. Er hieß Siegfried Teufel, war damals Mitte 40, machte einen guten Eindruck und war gerade frei, weil sein Arbeitgeber insolvent geworden ist.

Nachdem die Millionen für den Eigenbedarf und für die Spenden wie verabredet geflossen waren, stand das Ausgeben des ausschließlich zu unserem Vergnügen vorgesehenen Geldes an. Darauf freuten wir uns natürlich sehr!

Der Plan war, dass mithilfe des Geldes jedem von uns ein Herzenswunsch erfüllt wird, wobei aber alle anderen nach Möglichkeit daran teilhaben sollten. Die Kosten für diese Herzenswünsche sollten den Rahmen von ein bis zwei Millionen pro Aktion nicht überschreiten, es sei denn, es würde im Einzelfall etwas mehr kosten. Die Aktionen sollten nacheinander und keineswegs parallel abgearbeitet werden. Auf diese Weise dürften wir wohl für viele Monate oder gar Jahre mit der Erfüllung von Herzenswünschen beschäftigt sein. War das nicht eine großartige Perspektive?

In den folgenden Monaten haben wir bereits einige großartige Aktionen realisiert, weitere waren in Vorbereitung. Den Ersten und besonders nachhaltigen Herzenswunsch hat Gudrun vorgebracht!

Gudrun war früher Krankenschwester und ist es nach ihrer Pensionierung geblieben, dann aber nur noch für den »privaten Gebrauch«. Sie war der Inbegriff von Hilfsbereitschaft und sozusagen unser Engel der Zuflucht. Ob Unpässlichkeit, Fahrradsturz oder Husten, vor weiteren Schritten war erst einmal Gudruns Meinung wichtig. Sie war mit uns allen auf eine wunderbare Art verbunden, wir alle liebten sie.

Gudruns Herzenswunsch war, irgendwo im Süden Europas, nicht weit von einem Flugplatz entfernt, ein geräumiges Haus zu kaufen, es gemütlich einzurichten und als Erholungsoase für uns alle, und warum nicht auch für weitere Feriengäste, vorzuhalten.

Es ist erstaunlich schnell geglückt, ein wirklich schönes Anwesen in der Nähe des Flughafens von Siena zu erwerben. Ein vertrauenerweckender Pächter für den Hotelbetrieb mit kleinem Restaurant wurde schnell gefunden. Die fällige Renovierung mit Umbau forderte den Bauleuten sehr große Anstrengungen ab und schlug sich auch in unserer Herzenswunsch-Kasse entsprechend nieder, aber es hat sich wirklich gelohnt!

Wer auch immer aus unserer Gruppe Lust auf Entspannung im sonnigen Süden verspürte, dem stand nun jederzeit ein komfortabler Platz in der »Villa Toskana«, wie Gudrun sie getauft hat, zur Verfügung. Die Unkosten für den Betrieb konnten durch Vermietung der jeweils nicht belegten Räume leicht erwirtschaftet werden.

Das Anwesen wurde von uns sehr gut frequentiert, meistens waren zwei bis drei von uns dort und genossen die Sonne, die Kultur und den Wein. Gudrun war sehr oft in der Villa, sie liebte die Toskana und das Haus über alles. Wenn sie nicht gerade auf einem Kulturtrip unterwegs war, kümmerte sie sich um das Haus und den von Blumen geradezu überwucherten Garten. Sie war sozusagen die Seele der Villa und bekannte mindestens täglich: »Mein Herzenswunsch ist vollständig in Erfüllung gegangen!«

Wir haben verabredet, uns einmal im Jahr in unserem kleinen Paradies zur Jahreshauptversammlung zu treffen. Dann sollten die notwendigen Entscheidungen getroffen und Planungen für das nächste Jahr besprochen werden.

Das Wichtigste bei unseren Zusammenkünften aber war unser freundschaftliches und vertrauensvolles Miteinander. Natürlich durfte bei jedem Treffen die Aufforderung, eine Tasse Blasentee auf ex zu trinken, nicht fehlen.

Der zweite Herzenswunsch war vergleichsweise schwerer zu realisieren. Unser Lothar war vom Golfspiel besessen, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als einen eigenen Golfplatz, um von Startzeiten unabhängig zu sein, wie er seinen Wunsch begründet hat.

Lothar war früher Notar und war ein eher unauffälliger Zeitgenosse. Er war hochgradig wortkarg und redete nur, wenn er etwas Substanzielles beizutragen hatte. Ansonsten konnte er sehr interessiert schweigen. Bei Grundsatzdiskussionen blühte er jedoch auf und ergriff souverän die Initiative.

Als Lothar seinen Wunsch nach einem eigenen Golfplatz äußerte, blieb uns erst einmal der Mund offenstehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht ganz realisiert, dass mit unserem Budget selbst die verrücktesten Wünsche erfüllt werden können.

Um uns zu beschwichtigen, ruderte Lothar erst einmal zurück und sagte: »Neun Löcher reichen auch, für achtzehn müsste ich ein E-Kart anschaffen.«

Da Golfplätze nicht zu den besonders häufig gehandelten Immobilien zählen, gestaltete sich die Suche nach einem geeigneten Objekt zunächst recht zäh. Es war schlicht und ergreifend keiner im Angebot. Selbst der professionelle Makler hatte in seiner langen Karriere noch keinen Golfplatz vermittelt. Schließlich schlug er vor, einen großen Rübenacker in der Nähe zu kaufen und eine neue Golfanlage darauf zu errichten. Der Plan war aber von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da für ein solches Vorhaben ein langwieriges Bewilligungsverfahren mit zahlreichen Umweltprüfungen, Bürgeranhörungen etc. erforderlich war. Das hätte viele Jahre gedauert, und ob es am Ende genehmigt worden wäre, stand in den Sternen. So lange wollten und konnten Lothar und wir nicht warten.

Unerwartet erreichte uns aus heiterem Himmel doch noch ein Angebot: Ein solider 18-Loch-Platz mit DGV-Zertifizierung, eine gute Autostunde entfernt, wurde als Pachtobjekt für zehn Jahre von einem Club, der in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, offeriert. Personal und das gesamte Equipment waren in dem Angebot eingeschlossen. Die einzige Bedingung war, den Clubmitgliedern von den nicht benötigten Startzeiten ein Kontingent abzugeben – natürlich gegen ein angemessenes Greenfee. Dem hat Lothar ohne Weiteres zugestimmt.

Wie es in unserer Satzung stand, sollten alle Mitglieder unserer Gemeinschaft von den erfüllten Herzenswünschen etwas haben. Also blieb uns anderen nichts übrig, als das Golfspiel zu erlernen. Dem war auch keiner abgeneigt. Zwar waren vereinzelt skeptische Stimmen zu hören, dass das in unserem Alter kein Kinderspiel sei, gekniffen hat aber am Ende keiner.

Der obligatorische Platzreifekurs dauerte einige Wochen und hat viel Spaß gemacht. Am Tag der Prüfung waren wir recht aufgeregt, bestanden haben aber alle. Knifflig war allein die Regelkunde, wobei wir aber, wie früher in der Schule, voneinander abgeschrieben haben. Am Ende konnte der Prüfer auf den Prüfungsbogen keinen einzigen Fehler finden. Wie auch?

So bekam jeder von uns einen Platzreifenachweis mit einem Handicap von 45. Damit standen uns nicht alle, aber die meisten Plätze in der Region offen. Unser eigener Platz ja sowieso.

Bereits einen Tag später fand das erste Golfturnier auf unserem Heimatplatz statt, wobei natürlich die Freude am gemeinsamen Spiel im Vordergrund stand. Wie nicht anders zu erwarten, ist der eine oder andere Ball im Gebüsch oder im Wasser gelandet und manchmal auch, keine zehn Meter weiter, im hohen Gras unauffindbar verschwunden. Lothar hat selbstverständlich die wenigsten Schläge gebraucht. Wir arbeiteten aber daran, ihn eines Tages in die Schranken zu weisen.

Schon nach kurzer Zeit erfreute sich unser Golfplatz großer Beliebtheit. Er wurde professionell gepflegt und es fanden regelmäßig Turniere statt, an denen sich auch die früheren Golfclubmitglieder, mit denen wir in friedlicher Kooperation spielten, beteiligten.

Die Anlage florierte nicht nur in sportliche Hinsicht. Sie warf zudem nennenswerte Erträge ab, die in die Stiftungskasse flossen.

Auch während der Erfüllung dieses Herzenswunsches hat unser Manager Siegfried Teufel die Ausgaben so gewissenhaft verwaltet, als ob es sein eigenes Geld gewesen wäre.

Mitten in unsere ungetrübte Idylle platzte die Nachricht, dass unser Geheimnis nicht mehr geheim war. Es musste eine undichte Stelle geben, wo auch immer. Unmittelbar nach den ersten Medienberichten über unseren Gewinnerclub flatterten, wie von Herrn Koslowski vorhergesagt, körbeweise Bettelbriefe in unsere Briefkästen, Anlageberater belagerten unsere Telefone und auch ein Erpresserbrief mit ausgeschnittenen Buchstaben machte sich wichtig. Keiner der vielen Postsendungen überlebte auch nur einen Tag, Siegfried Teufel hat sie alle, ohne Ausnahme, in unserer Zentrale geschreddert.

Die Sensation verbreitete sich in Windeseile, die Paparazzi lauerten uns auf Schritt und Tritt auf, wir wurden mit Mikrofonen und Fernsehkameras belagert und bedrängt. Vor der Villa Toskana und auf unserem Golfplatz tummelten sich Scharen von Schaulustigen, die sich zumindest ein Foto von einem der Glückspilze erhofften.

Trotz des großen Trubels kam der nächste Herzenswunsch auf die Agenda. Der Medienrummel sollte uns nicht das Heft aus der Hand nehmen.

Dieses Mal ging es um nichts Geringeres als ums gute Essen. Ludwig wünschte sich ein Restaurant, in dem er endlich seine eigenen gastronomischen Vorstellungen umsetzen und seine wahre Kochkunst auspacken konnte. Die Hoffnung auf einen Restaurantstern schwebte vermutlich über allem.

Ludwig war gelernter Koch und hat in vielen Restaurants Europas am Herd gestanden. Bis zu einem Sterne- oder gar Fernsehkoch hat es bisher leider nicht gereicht, obwohl seine Kreationen in unserer Region sehr begehrt waren. Sein absolutes Meisterwerk, Tafelspitz mit Marillenkompott an Grappa Sauce, wurde sogar von unserem Bürgermeister überschwänglich gelobt.

Für diesen Herzenswunsch brauchten wir ein halbwegs gut eingeführtes Restaurant, ein überzeugendes und innovatives Gastronomiekonzept und viel, viel öffentliche Aufmerksamkeit. Die passende Location kann man kaufen, ein spezielles Gastronomiekonzept hatte Lothar schon seit Jahren im Kopf. Um öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen, haben wir einen Marketingexperten ins Boot geholt und Geldmittel für diverse Promotion-Maßnahmen bereitgestellt.

Das passende Restaurant war relativ schnell gefunden, es wurde aufwendig renoviert und nach Ludwigs Wünschen gestylt, die Küche wurde perfekt aufgerüstet und ein Geschäftsführer sowie kompetentes Personal eingestellt. Um alle Dinge, die mit Geld zu tun haben, kümmerte sich auch in diesem Fall unser Herr Teufel, der aber ansonsten im Hintergrund blieb.

Ludwig war schnell in seinem Element und nicht wiederzuerkennen. Er sprach plötzlich viel und in einem ungewohnten Akzent, der ein wenig italienisch daherkam, was er mit Sicherheit in der Villa Toskana aufgeschnappt hat. Es sah so aus, als ob er seine Kochphilosophie an der italienischen Küche orientieren wollte.

Nach monatelangen Vorbereitungen und beachtlichem Mitteleinsatz war es dann vollbracht: Das »Luigi«, wie unser Maître sein Restaurant benannt hat, konnte starten.

Am Tag der Eröffnung strahlten, bei mediterraner Temperatur, Ludwig und die Sonne um die Wette. Aufgrund der sehr aufwendigen Werbekampagne und auch wegen unserer gegenwärtigen Medienpräsenz, kamen alle wichtigen und weniger wichtigen lokalen Größen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Auch die Tageszeitungen waren mit mehreren Journalisten und Fotografen präsent.

Zum Empfang gab es das obligatorische Glas Prosecco, mit einem Tropfen Rhabarbersirup (!), der aus einer großen silbernen Karaffe geträufelt wurde. Das war mein persönliches Eröffnungsgeschenk für Ludwig.

Ludwig präsentierte sich seinen Gästen in Kochmontur, mit großer weißer Mütze. Er wirkte cool und souverän und hielt sogar eine Rede!

»Das Besondere an meinem Restaurant«, sagte er, »ist das Normale«. Wie es überall sein sollte, kommen in meine Küche nur frische, naturbelassene Produkte, die ich persönlich morgens auf dem Markt einkaufe. Besonders ist auch, dass es in meinem Restaurant keine Speisekarte geben wird. Wenn ich ehrlich bin, muss ich nämlich eingestehen, dass ich, mit der nötigen Sorgfalt und Liebe zum Detail, an einem Tag nur ein Essen zubereiten kann! Deswegen wird es auch nur ein Menü pro Tag geben. Entweder man mag es oder nicht. Wer es nicht mag, muss sich gedulden und auf etwas Passenderes warten. Vegetarier können das gleiche Menü genießen, als fleischlose Variante.

Das Angebot wird nach meinem Markteinkauf täglich ab elf Uhr im Internet präsentiert werden.

Auf eine kleinliche und im Grunde eher störende Abrechnung der Bewirtungskosten wird verzichtet. Stattdessen ist ein pauschaler »Eintrittspreis« zu entrichten, mit dem auch die korrespondierenden Weine und alle sonstigen Getränke abgegolten sind. Trinkgelder bitte direkt an das Personal, aber nur bei außerordentlich hoher Zufriedenheit!«

Nach Ludwigs Rede wurde ein ganz besonderes Vorspeisebuffet mit einer Palette frischester Südfrüchte enthüllt, ein Meisterwerk aus dem Bereich des Food-Designs. Die Fotoapparate klickten unentwegt. Es hat ein Heidengeld gekostet, all die Exoten so taufrisch ins »Luigi« zu bekommen.

Zum Essen wurde, nach einigen typischen italienischen Vorspeisen, wie konnte es anders sein, Tafelspitz mit Marillenkompott an Grappa Sauce als Hauptgang serviert. Dieses Gericht wurde später von der Presse zum Erkennungszeichen des »Luigi« hochstilisiert.

Dafür, dass Ludwig früher eher kantinenmäßig gekocht hat, hat er die Latte im »Luigi« verdammt hoch aufgehängt! Wir sind gespannt, ob das eigenwillige Konzept funktionieren wird. Für alle Mitglieder unseres Clubs ist auf jeden Fall nachhaltig gesorgt: Ein besonderer Tisch am großen Fenster, mit großartiger Aussicht auf den nahegelegenen Wald, sollte für uns stets reserviert sein und durfte nur bei besonderen Notfällen anderweitig belegt werden.

Auch dieser Herzenswunsch hat uns, wie es in unseren Statuten im Stiftungsvertrag bestimmt war, ohne Ausnahme viel Freude bereitet und wird es bestimmt auch weiterhin tun. Es war fantastisch, sich jederzeit mit Freunden an einem Herzenswunschort treffen zu können und sich bei gutem Essen und Wein des Lebens zu erfreuen.

Das »Luigi« hat sich schnell in die Herzen der Gourmets in und außerhalb unserer Region gekocht und wurde zunehmend in einschlägigen Zeitschriften erwähnt und empfohlen. Selbst Ludwig war überrascht, dass sein Restaurant so gut florierte und sogar das Gerücht über einen möglichen Restaurantstern schnell die Runde machte.

Erfreulich war auch, dass das »Luigi« für uns schnell stattliche Gewinne einfuhr, worüber sich insbesondere unser Teufelsmanager freute.

Seit der Gründung unserer Stiftung war fast ein Jahr vergangen und wir hatten nicht einmal ein Drittel unseres Ausgabebudgets geschafft. Genau genommen war das Stiftungsvermögen sogar gewachsen, rechnete man die Immobilienwerte und die Einnahmen aus dem Betrieb der Villa, des Golfplatzes und des Restaurants hinzu. Geld wächst wie Unkraut, wenn man nichts dagegen unternimmt!

Der nächste Herzenswunsch sollte in dieser Hinsicht Abhilfe schaffen: Jetzt war Max, unser Schauspieler, an der Reihe. Bevor er uns seinen Wunsch verkündete, blickte er zunächst unsicher in die Runde, gab sich dann aber einen Ruck: »Ich möchte einmal im Leben die Hauptrolle in einem Spielfilm spielen!«

So, jetzt war es raus!

Max erklärte auch gleich, wie er sich das vorstellte: »Es soll aber nicht irgendein verwackeltes Amateurvideo werden, nein, ein richtiger Film mit Drehbuch, einem namhaften Regisseur, einem Kameramann, einem Beleuchterteam und mit Allem, was dazugehört!«

Max ist ein guter Schauspieler, aber er war bis zu diesem Zeitpunkt mit seiner Kunst leider nicht so richtig zum Zuge gekommen. Immerhin hatte er mehrere kleine Rollen in Fernsehfilmen, was ihm in unserem Städtchen eine gewisse Berühmtheit eingebracht hat.

Maximilian wollte also ein richtiger Filmstar werden. Ob er bereits mit einer Filmpreis-Nominierung liebäugelte, konnte man zwar vermuten, war aber nicht nachweisbar.

Schon in den ersten Beratungen über die Aktion haben wir erkannt, dass unser Vorhaben nur mithilfe einer Filmproduktionsfirma realisierbar wäre. Herr Teufel wurde also beauftragt, sich darum zu kümmern.

Damit auch die Satzung unserer Stiftung erfüllt wird und alle etwas davon haben, sollte jeder von uns eine Rolle in dem Film spielen, sei sie auch noch so klein. Ansonsten sollten professionelle Schauspieler engagiert werden, wobei die Hauptrolle natürlich mit Max zu besetzen war.

Als Grundlage für Gespräche mit der Produktionsfirma musste zuerst ein Filmstoff festgelegt werden, sonst hätte man kaum vernünftig kalkulieren können. Wir führten diesbezüglich lange und lustige Diskussionen, wobei abenteuerliche Ideen für die Rolle von Max vorgeschlagen wurden: Von »Rumpelstilzchen« bis »James Bond« war alles dabei!

Lange Zeit war Shakespeares Drama: »Der Widerspenstigen Zähmung« der Favorit, mit Max in der Rolle des Lucentio. Als Drehort wäre dafür natürlich nur unsere Villa Toskana infrage gekommen. Jeder von uns war gerne bereit, wieder einmal dorthin zu reisen.

Zur Diskussion stand auch eine Neuverfilmung der Tragikomödie »Das Beste kommt zum Schluss«, mit Max in der Rolle, die Jack Nicholson in dem Film gespielt hat. Dazu fiel uns aber weder ein passender Drehort ein, noch konnte sich einer unseren kleinen Max in der Rolle von Jack Nicholson vorstellen.

Also suchten wir Rat bei einem professionellen Regisseur, den wir nach vielem Hin und Her, nicht zuletzt mithilfe eines sehr großzügigen Honorarangebotes, verpflichten konnten. Nachdem er sich unsere Geschichte angehört hatte, machte er den genialen Vorschlag, wir sollten schlicht und einfach die Geschichte unseres Lottogewinns verfilmen, wobei jeder Einzelne seine eigene Rolle in der Gruppe der Gewinner verkörpern könnte. Die Rolle von Max könnte man, aus gegebenem Anlass, leicht zur Hauptrolle aufhübschen.

Der Vorschlag fand einhellige Zustimmung und löste große Turbulenzen bei uns allen aus. Schließlich gehörte ein Auftreten vor laufender Kamera für keinen von uns zu den alltäglichen Aktivitäten. Allein Max war, als einziger Profi, locker und gelassen. Jetzt brach seine Stunde an!

Über die von der Produktionsfirma vorgelegte Aufwandskalkulation haben wir nicht weiterverhandelt, dazu fehlte uns die fachliche Erfahrung. Nur unser Manager Teufel fand, dass die veranschlagten Kosten viel zu hoch seien, und er versuchte, das Ganze zu bremsen. Es war beinahe rührend, wie er sich um unser Geld sorgte!

Auf unseren Auftrag hin gab die Produktionsfirma den Startschuss, verpflichtete einen Drehbuchautor, stellte das Arbeitsteam zusammen und disponierte die erforderlichen Geräte.

Das Drehbuch war schnell geschrieben und abgestimmt. Das Geschehen war ja jedem von uns gut bekannt. Der Regisseur besuchte als Erstes die infrage kommenden Locations und stellte das Aktionskonzept auf. »Alles soll möglichst authentisch sein«, meinte er, »die Realität schreibt die besten Drehbücher.«

Alle wesentlichen Ereignisse wurden gewissenhaft abgearbeitet: die wundersame Verkündung der sechs Richtigen, die Ziehung der Gewinnzahlen, das Gespräch mit Herrn Koslowski, die Erfüllung der Herzenswünsche. Vor dem Hintergrund herrlicher Landschaftsbilder in der Toskana und Gudruns Blumenparadies im Garten unserer Villa, wurden echte und ausgedachte Episoden gedreht, wobei Max in der Hauptrolle, sozusagen als Mentor der Gruppe, glänzen durfte.

Auch auf unserem Golfplatz wurde gedreht, natürlich war die Darstellung unseres Platzreifekurses gründlich überzogen. Dabei entstanden viele lustige Szenen, die zwar nicht im Drehbuch standen, die aber für den Film das Salz in der Suppe waren und auch für unser aller Vergnügen bei den Dreharbeiten sorgten. Zum Beispiel brauchte Ludwig vor laufender Kamera sieben Versuche, bis er einen filmreifen Abschlag hinbekam.

Mit jedem Drehtag trat unsere Laienspielschar lockerer vor die Kamera. Wir wuchsen regelrecht zu einer großen Familie zusammen, freundeten uns mit dem Regisseur und den anderen Filmleuten an und hatten jeden Tag viel, viel Spaß.

Besonders lustig waren die Aufnahmen im »Luigi«, als die Eröffnungsfeier und die Rede des Maîtres Ludwig nachgedreht wurden.

Die Aktion wurde die ganze Zeit intensiv von den Medien begleitet. Es war »Saure Gurken-Zeit«, sodass immer wieder Berichte über den Fortgang der Filmarbeiten veröffentlicht wurden. Dadurch bauten sich die Spannung und das Interesse der Öffentlichkeit kontinuierlich auf.

Als wir die ersten Sequenzen des Films sahen, waren wir begeistert! Es war einfach sensationell wie vorteilhaft der Regisseur, die Maske, der Kameramann und die Beleuchter uns alle in Szene gesetzt hatten. Mit reichlich Filtern vor der Kameraoptik wurden alle Falten unsichtbar, wir wurden mit jedem Drehtag jünger.

Nach den interessanten und abwechslungsreichen Dreharbeiten haben wir uns den besten Filmmusiker, der gerade zu haben war, gegönnt. Der hat mit seiner Musik den ganzen Film noch mehr veredelt.

Das fertig geschnittene Werk haben wir zuerst gemeinsam und dann allein, jedes Mal mit Freudentränen, angesehen. Ohne Zweifel: Wir haben ganz große Filmgeschichte geschrieben und sind weltberühmt, zumindest für die Bewohner unseres Städtchens.

Nach den bahnbrechenden schauspielerischen Leistungen und der permanenten Medienbegleitung war es nur eine Frage der Zeit, wann ARD, ZDF und die Privaten vorstellig wurden, um die Rechte für eine Ausstrahlung zu erwerben. Dem konnten und wollten wir uns natürlich nicht verweigern. Margret, unsere Schatzmeisterin, hat dafür einen angemessenen Preis ausgehandelt, der unterm Strich aus dem Filmprojekt einen beachtlichen Überschuss in unsere Kasse gespült hat. Das war aber nichts im Vergleich mit dem herrlichen Spaß, den unvergesslichen Erlebnissen und Erfahrungen beim Schauspielern und besonders mit dem erlangten »Ruhm«, den das Event jedem Einzelnen von uns beschert hat.

Max war jetzt ein Superstar und hat eine Agentur mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. So konnte es weitergehen, immerzu!

Als sich der Rummel um unseren Film etwas gelegt hat, wollten wir den nächsten Herzenswunsch anpacken. Aber unvermittelt platzte eine Hiobsbotschaft in unsere Idylle: Während wir Ludwigs Geburtstag im »Luigi« feierten, stürmte Margret mit hochrotem Kopf an unseren Tisch und verkündete mit verzweifelter Stimme: »Der Teufel hat abgeräumt! Das ganze Geld ist weg!«

Margret bekam erst einmal ein Glas Rhabarberschorle und erzählte dann, was passiert ist.

Eine Freundin, die in der Girozentrale arbeitete, hatte Margret von mehreren auffälligen Überweisungen berichtet, die seit einigen Tagen vom gleichen Konto, jeweils kurz nach zwölf Uhr und immer in Höhe von einer Million Euro, auf ein südafrikanisches Bankkonto überwiesen wurden. Die Freundin hatte in der Zeitung alles über unsere Gruppe gelesen, sich ihren eigenen Reim aus den auffälligen Geldtransfers gemacht und sicherheitshalber Margret angerufen.

Es lag sofort auf der Hand, dass der vertrauenswürdig wirkende Herr Teufel unser Vertrauen missbraucht und die Konten geplündert hat! Eine Million pro Überweisung passte exakt zum Tageslimit, das wir unserem Manager leichtsinnigerweise zugebilligt hatten.

Natürlich waren wir zunächst wie gelähmt und blickten Hannelore an. Die ehemalige Polizeikommissarin zückte sogleich ihr Handy und wählte eine Nummer. Bevor sie sprach, schaute sie in die Runde, und ihr Blick sagte selbstbewusst: Das ist jetzt mein Fall!

Hannelore war früher als Polizeikommissarin in unserer Stadt zuständig für die Aufklärung von Kapitalverbrechen, wie zum Beispiel Mord, Totschlag, Banküberfall, Entführung oder wenigstens Erpressung. Leider ist während ihrer aktiven Amtszeit bei uns nichts dergleichen geschehen. Das schlimmste Verbrechen, das sie in ihrer langen Laufbahn zu lösen hatte, war eine Fahrerflucht unter Alkoholeinfluss. Ansonsten musste sie Wohnungseinbrüche und sonstige Diebstähle bearbeiten.

Hannelore nahm jetzt das Heft in die Hand und meldete den Betrug bei der zuständigen Polizeidienststelle. Sie verabredete sich mit den Beamten sofort am Tatort, also in unserer »Zentrale«, wie wir das Büro der Stiftung nannten. Selbstverständlich war jetzt auch Margret, die Schatzmeisterin, vor Ort gefragt.

Als die beiden Spezialistinnen weg waren, verharrte der Rest der Gruppe sichtbar niedergeschlagen am Tisch. Keiner sagte etwas, bis Max, unser neuer Filmstar, lässig und völlig überflüssigerweise bemerkte: »Ja, so schnell kann es gehen.«

Als Sprecher der Gruppe musste ich Max wegen seiner unangemessenen und deprimierenden Äußerung zur Ordnung rufen. Daraufhin blickte Ludwig zu seinem Max und versicherte für alle gut hörbar: »Egal was passiert, wir beide halten zusammen!«

»Das nennt man Liebe«, ließ Gudrun tiefgründig verlauten.

Zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, wie viel Herr Teufel abgeräumt hatte, ob noch etwas vom Vermögen der Stiftung und des Gesundheitsfonds übrig geblieben war oder ob er uns gar einen Schuldenberg hinterlassen hatte.

Die Stimmung war bedenklich getrübt, um es gelinde auszudrücken. Zur Aufmunterung sagte Lothar: »Ich schließe mich Ludwig an und schlage vor: Egal was passiert, wir stehen das zusammen durch!«

Die nächsten Tage waren voller Spannung. Die Stimmung schwankte zwischen sehr betrübt und mäßig hoffnungsvoll, je nachdem, welche Informationen uns über den Verlauf der Fahndung nach Siegfried Teufel und den verschwundenen Millionen erreichten. In die Fahndung war inzwischen auch Interpol eingeschaltet, Hannelore recherchierte zusätzlich auf eigene Faust. Bei der Spurensuche konnte sie auf ein Netzwerk von ehemaligen Kollegen, die es altersbedingt ziemlich weit nach oben geschafft haben, zurückgreifen. Das war sehr hilfreich, weil es die Möglichkeiten der offiziellen Maschinerie weit übertraf. Hinsichtlich des untreuen Teufels gab es schon bald einen internationalen Fahndungserfolg: Er konnte aufgrund exakter Hinweise von Hannelore im Tschad gefasst werden. Unsere Millionen blieben aber weiterhin verschwunden.

Nach einer langen Zeit des Wartens und Bangens konnten wir von offizieller Seite kaum noch etwas erwarten. So beauftragten wir eine renommierte Detektei in Südafrika mit privaten Nachforschungen, denn Hannelores Recherchen zufolge waren die Millionen dorthin verreist.

Zwei Monate später erreichten uns erste Informationen über eine heiße Spur. Teufel hatte seinen Coup zwar raffiniert vorbereitet, dabei aber zu viele Mitwisser einbezogen. Es gab Streit unter den Akteuren, die geplante Kette von Überweisungen und der geniale Plan brachen in sich zusammen. Die Spur der Millionen verlor sich im afrikanischen Sand.

Vermutlich wegen der versprochenen stattlichen Erfolgsbeteiligung setzte die Detektei die Suche fort. Kommissar Zufall machte es möglich, dass unser Detektiv nach einer dramatischen Verfolgung kreuz und quer durch Afrika einen Teil des Geldes in einem leer stehenden Lagerschuppen in der Nähe von Kapstadt doch noch aufspüren konnte.

Nach der langen Odyssee konnte nur ein kleiner Teil der verschollenen Euromillionen wieder in der Heimatbank einquartiert werden.

Damit war der Traum beendet, weitere Herzenswünsche in Angriff zu nehmen. Die Stiftung wurde abgewickelt, das verbliebene Kapital aufgeteilt.

Es war eine wunderbare Zeit, die aber, wie fast alles im Leben, irgendwann ein Ende gefunden hat. Immerhin kann ich mir von dem geretteten Rest des Lottogewinns ein unbeschwertes Leben mit euch, hier in dieser schönen Residenz, leisten. Übrigens: Bis heute trinke ich jeden Abend eine Tasse Blasentee auf Ex. Meine Blase ist ja wohl die letzte, der man eine Schuld an dem suboptimalen Ende geben darf.

Ich bin sicher, dass wir noch gute Zeit miteinander haben werden!

Es war nicht überraschend, dass alle, die dem Vortrag von Elisabeth gebannt gefolgt sind, etwas traurig über das »suboptimale« Ende waren. Natürlich gab es für den Vortrag einen starken Applaus! Endlich haben wir jemanden getroffen, dem das nahezu unmögliche zuteil geworden ist: Hauptgewinner im Lotto zu werden. 20 Millionen Deutsche versuchen Woche für Woche beim Lotto Ihr Glück. Für die winzige Chance, zu den Hauptglückspilzen zu gehören, zahlen sie jährlich rund 7 Milliarden Euro ein. In jedem Jahr werden aber nur rund 150 Spieler zu Millionären. Immerhin 3 pro Woche!

Die Diskussion nach dem Vortag dauerte sehr lange und brachte im Kern die Wünsche unserer Clubmitglieder, nämlich auch mal zu den Gewinnern zu gehören, auf den Punkt. Das geht aus den gestellten Fragen klar hervor:

»Kannst Du bitte noch einmal langsam, zum Mitschreiben, die Uhrzeiten Deiner damaligen Toilettengänge sagen?«

»Wie hat sich die Ziehung der Lottozahlen angefühlt, als nach und nach die »richtigen« Zahlen gezogen wurden?«

»Habt Ihr das Hotel mit dem miesen Frühstück wirklich gekauft oder war das nur ein Scherz?«

»Wem gehören jetzt die Villa Toskana, das Luigi, der Golfplatz und die Rechte an dem Film?«

»Was ist aus den Millionen geworden, die für krankheitsbedingte Kosten zurückgestellt worden sind?«

Aus den gestellten Fragen ging klar hervor, dass jeder von uns reif war, ein Lottomillionär zu werden. Wenn nur die Wahrscheinlichkeit etwas größer wäre!

Mit ihren Antworten hat Elisabeth zusammenfassend bestätigt, dass Herr Teufel alles weggeräumt hat, was sich ihm in den Weg gestellt hat. Außer der Million, die jeder für seinen privaten Bedarf am Anfang erhalten hat, war alles komplett weg! Aber auch die »privaten« Millionen waren zu gr0ßen Teilen schon ausgegeben, verschenkt oder sonst wie verschwunden.