Der Maskenball - Karin Lindberg - E-Book

Der Maskenball E-Book

Karin Lindberg

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Beschreibung

Champagner, wilde Partys und eine traditionsreiche Familie. Jeder hält Virginia Prescott für ein reiches Töchterchen, das von Daddys Vermögen lebt. Auf einem Maskenball beschließt sie kurzerhand, ihr Leben zu ändern. Sie verschweigt dem charmanten Australier Liam, wer sie wirklich ist, und stürzt sich in ein Abenteuer mit ihm. Die Aktion mit der geliehenen Identität ist ein Spiel mit dem Feuer, denn im ungünstigsten Moment fliegt ihre Lüge auf … Die Liebesgeschichten sind in sich abgeschlossen. Wer es chronologisch mag, dem empfehle ich für den größten Lesegenuss folgende Reihenfolge: Band 1 Der Maskenball Band 2 Die Entführung Band 3 Der Meisterdieb Band 4 Der Amerikaner Band 5 Der Bodyguard

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Der Maskenball

Prescott Sisters 1

Karin Lindberg

Karin Lindberg

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Bonuskapitel Liam

Die Reihenfolge der Prescott Sisters

Prolog

Zum Schluss…

Lektorat: Dorothea Kenneweg

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer

2. Korrektorat: Martina König

Covergestaltung: Casandra Krammer

Copyright © Karin Lindberg 2017

Erstausgabe Mai 2017

www.karinlindberg.info

Reihenfolge »Prescott Sisters«:

Band 1 Der Maskenball

Band 2 Die Entführung

Band 3 Der Meisterdieb

Band 4 Der Amerikaner

Band 5 Der Bodyguard

K. Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern

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Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Erstellt mit Vellum

Prolog

Manchmal hasse ich mein Leben und dieser Moment ist einer davon. Ich bin es leid, diese Rolle zu spielen, in der ich die gesellschaftliche Stellung meiner Familie repräsentieren muss. Immer nur als Mitglied einer Unternehmerdynastie wahrgenommen zu werden und nicht als eigenständige Person, ist so schrecklich anstrengend.

Ich nippe an meinem Champagner und sehe mich gelangweilt um. Es ist bereits dunkel draußen und leise Klaviermusik dringt über das Murmeln der Gäste hinweg an mein Ohr. Durch die offenen Terrassentüren weht ein laues Lüftchen. Eigentlich eine herrliche Kulisse für einen schönen Abend, aber ich habe zu viele Feiern dieser Art erlebt und irgendwie ist jede gleich. Für mich gibt es kein Entrinnen, es ist die Dinnerparty meines Vaters. Meine Präsenz wird erwartet. Es ist ihm wichtig, dass ich hin und wieder an seinen sozialen Aktivitäten teilnehme. Solange ich in Shanghai bin jedenfalls. Um diesen familiären Verpflichtungen zu entkommen, habe ich in den letzten fünf Jahren in den Vereinigten Staaten Schauspielerei und Drehbuchschreiben studiert. Nun habe ich meinen Abschluss in der Tasche und weiß nicht so recht, was ich damit anfangen soll. Eigentlich geht es mir sehr gut. Mir fehlt es an nichts, eher im Gegenteil. Ich habe alles, was man sich nur wünschen kann – materiell gesehen zumindest.

Wahrscheinlich liegt genau da mein Problem, an dem ich arbeiten muss. Seit ich Liam begegnet bin, ist mir klar, was mir bislang gefehlt hat. Warum ich nicht glücklich war, sollte ich daher vielleicht lieber sagen. Bei ihm fühle ich mich wohl, bei ihm kann ich sein, wie ich wirklich bin. Und das ist gleichzeitig das Beängstigende an der ganzen Sache, denn ich habe ihm noch immer nicht die Wahrheit über meine Herkunft gesagt. Zu meiner Verteidigung rede ich mir ständig ein, dass der passende Augenblick einfach noch nicht gekommen ist. Aber das glaube ich nicht mal selbst. Es wird mit jedem Tag, den wir uns kennen, schwieriger, meine Lügen zu erklären.

Ich leere mein Glas mit einem großen Schluck. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, mir einen Schlachtplan zu überlegen, schon gar nicht, wenn meine älteste Schwester Megan mit diesem Gesichtsausdruck auf mich zukommt.

»Virginia«, zischt sie mir zu. »Steh hier nicht rum wie ein Ölgötze. Misch dich unter die Gäste, unterhalte dich, schließlich sind wir die Gastgeber.«

Ich unterdrücke ein Augenrollen. Ich hasse es, wenn sie mich bevormundet, als wäre sie meine Mutter. »Natürlich, Megan. Sekunde, ich knipse nur kurz das Partygesicht an.« Ich setze ein mechanisches Lächeln auf. Wenigstens etwas, das ich auf der Schauspielschule in Los Angeles gelernt habe. Megan atmet hörbar aus und für einen kurzen Moment presst sie ihre dezent geschminkten Lippen aufeinander, bis sie offenbar entscheidet, dass es keinen Sinn hat, ihre Energie mit mir zu vergeuden. Sie schnauft kurz und macht auf dem Absatz kehrt, um einen Herrn mittleren Alters zu begrüßen, den ich nicht kenne. Gott sei Dank, ich bin sie fürs Erste los.

Ein Kellner vom Cateringservice kommt mit einem Tablett an mir vorbei und ich tausche mein leeres Glas gegen ein volles. Dieses werde ich nicht so runterstürzen wie das vorige, denn ich spüre die Wirkung des Alkohols bereits und ich will mich nicht danebenbenehmen. So weit würde die Rebellin in mir heute dann doch nicht gehen. Für Eklats ist immer noch meine andere Schwester Ashley zuständig. Sie macht einfach, was ihr gefällt. Vielleicht bewundere ich sie dafür sogar ein bisschen. Mir als Nesthäkchen steht es jedenfalls nicht zu, aus dem Rahmen zu fallen.

In meinem Bauch hat sich nach dem Champagner eine wohlige Wärme ausgebreitet und ich fühle mich leicht und ein wenig kopflos. Das ist sehr angenehm, so kann ich den Abend besser ertragen.

Den Ausflug in ein anderes Leben habe ich so sehr genossen, dass es mir schwerfällt, in meiner Wirklichkeit klarzukommen.

Apropos klarkommen. Wo ist der Gastgeber eigentlich? Ich wundere mich ein bisschen, wo mein Vater steckt. Üblicherweise ist er der strahlende Mittelpunkt seiner Dinnerpartys. Heute werden ungefähr vierzig Leute zum Abendessen erwartet, da gibt es also einiges zum Bespaßen. Unsere Villa ist groß genug, um eine Veranstaltung für mehr als hundert Gäste auszurichten, aber mein Dad legt Wert auf ein gewisses Maß an Exklusivität und die Herrschaften der Society kommen gern zu uns. Das liegt unzweifelhaft daran, dass Jonathan Prescott einer der einflussreichsten Expats in Shanghai ist. In dieser Sekunde betritt er den Raum und mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich sehe, wen er im Schlepptau hat. Er unterhält sich angeregt und konzentriert mit … Liam. Meinem Liam.

Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass er es tatsächlich ist. Liam sieht mit Smoking und Fliege so anders aus, dass ich vergessen habe zu atmen. Auch wenn ich ihn auf dem Maskenball im Abendanzug gesehen habe, aber das scheint mir Lichtjahre entfernt, obwohl es noch nicht mal eine Woche her ist. Gierig sauge ich Luft in meine leeren Lungen, mein Puls rast und mir ist schwindelig.

Was zur Hölle will er hier?

Ich überlege fieberhaft, ob ich irgendwie ungesehen verschwinden kann, doch Dad hat mich leider schon erblickt und ist direkt auf dem Weg zu mir. Wir haben uns heute nicht getroffen und er will mich ganz offensichtlich erst mal richtig begrüßen – mit Liam an seiner Seite. Ich muss mir schnellstens was einfallen lassen. Liam folgt ihm und sieht mich jetzt an. Seine Augen leuchten kurz auf, als er mich erkennt. Er hat ja noch keine Ahnung! Ich weiß, dass er gleich überrascht sein wird, und dann wird er höchstwahrscheinlich sauer werden. Irgendwo tief in mir drinnen hoffe ich, dass er es vielleicht gelassen sehen wird, wenn ich ihm die Lage erkläre. Nach allem, was ich bisher über ihn gehört habe, glaube ich das jedoch nicht wirklich.

Mein Magen rebelliert und ich unterdrücke den Drang, mich zu übergeben. Es gibt kein Entrinnen mehr. Sie sind beinahe bei mir angekommen und mir ist noch nicht eingefallen, wie ich die Situation retten könnte. Ich schlucke und merke, dass ich nach wie vor ein gefrorenes Lächeln im Gesicht habe. Scheiße. Ich bin geliefert. Absolut geliefert.

»Virginia, Liebes«, begrüßt mich Dad und gibt mir wie immer, wenn er mich trifft, ein Küsschen auf die Wange. »Wie schön, dass du da bist. Darf ich dir Liam Granger vorstellen? Wir arbeiten an einem gemeinsamen Projekt.«

Vorsichtig sehe ich ihn an und begegne seinem Blick. Liams blaue Augen drücken zunächst Erstaunen aus, bis er begreift, dass etwas nicht stimmt. Jetzt lese ich bittere Enttäuschung darin und mir wird ganz schlecht. So viel Kommunikation, ohne ein Wort mit mir zu wechseln, in wenigen Sekunden. Liams Gesichtszüge sind verhärtet, jegliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. Ein Ruck geht durch seinen Körper, er fängt sich und hält mir seine Hand hin. Er schafft es sogar, zu lächeln. Es ist genauso unecht wie meines. Mein Vater scheint nichts von alledem mitzubekommen. Er hatte noch nie so feine Antennen, was die emotionale Ebene anbelangt.

»Liam Granger, guten Abend«, höre ich Liams dunkle Stimme. Würde ich sie nicht so gut kennen, wären mir die zarten Nuancen in seinem Tonfall gar nicht aufgefallen, die mir deutlich zeigen, wie sehr ihn die Tatsache mitnimmt, dass ich nicht die bin, für die er mich gehalten hat. Mir zerreißt es beinahe das Herz, weil ich ahne, was seine Reaktion bedeutet. Liam hasst Unehrlichkeit und Oberflächlichkeit so sehr, dass es kaum etwas Schlimmeres für ihn gibt, als belogen zu werden. Er hat triftige Gründe dafür, so zu denken. Trotzdem habe ich sein Vertrauen missbraucht, dabei hatte ich tausend Gelegenheiten, ihm reinen Wein einzuschenken. Aber ich habe es nicht getan und mich damit ins Aus katapultiert. Es ist offensichtlich, was das für mich heißt. Liam ist kein Mann, der sich manipulieren lässt, es mit einem Lächeln übergeht und anschließend zur Tagesordnung zurückkehrt. Vielleicht habe ich noch ein winziges Fünkchen Hoffnung, dass er das Spiel hier vor meinem Vater einfach mitspielt und ich es ihm nachher erklären kann, ohne dass er total ausflippt. Ich klammere mich an diesen Strohhalm.

»Virginia Prescott«, flüstere ich tonlos und erwidere seinen Händedruck. Das bekannte Prickeln ergreift Besitz von meinem Körper. Ehe ich etwas ergänzen kann, zieht er seine Finger zurück. Hiermit ist endgültig klar, dass ich für ihn Geschichte bin.

»Virginia, Liebling, würdest du dich einen Moment um Liam kümmern und ihn ein wenig herumführen? Ich sehe gerade, dass Anthony Kepler eingetroffen ist, ich muss ihm Hallo sagen. Entschuldigt mich bitte für einen Augenblick.« Er nickt Liam zu und ist schon auf dem Weg zu besagtem Neuankömmling.

Meine Beine zittern unkontrolliert und ich bin kurz davor, den Halt zu verlieren. Weil es meine einzige Chance ist, vielleicht doch noch etwas zu retten, fasse ich all meinen Mut zusammen und wende mich an den Mann, dem mein Herz gehört. »Sollen wir ein bisschen frische Luft schnappen? Dann kann ich dir alles erklären.« Vorsichtig suche ich Liams Blick. Ich fürchte mich vor seiner Reaktion.

Der Ausdruck in seinen intensiven blauen Augen sagt mir mehr, als tausend Worte es könnten. Es sind Gleichgültigkeit, Kälte und Enttäuschung. Dabei schüttelt er kaum merklich mit dem Kopf. »Danke, Virginia, aber ich glaube, ich möchte mir das nicht anhören. Das ist pure Zeitverschwendung.«

Seine dunkle Stimme ist so leise, dass ich ein Stück näher kommen muss, um ihn zu verstehen. Bis die Botschaft wirklich zu mir vorgedrungen ist, vergehen einige Sekunden und ich schaue ihn verzweifelt an. Ein harter Zug liegt um seinen sinnlichen Mund und ich weiß, dass es sinnlos ist, ihn um Vergebung zu bitten.

Ich habe ihn verloren. Ich bin zu weit gegangen. Als ich das begreife, zerbricht etwas in mir. Der Drang, mich in seine Arme zu werfen und ihn um Verständnis zu bitten, ist groß, aber wir sind nicht allein. Es hätte ohnehin keinen Sinn. Liam ist verletzt und vor allem eines: Er ist fertig mit mir. Er hat es nicht nötig, sich mit einer Lügnerin abzugeben. Das hat er mir vor weniger als vierundzwanzig Stunden sehr deutlich gemacht und nun muss ich die Konsequenzen tragen.

»Guten Abend, Miss Prescott.« Mehr höre ich nicht von ihm, denn er lässt mich eiskalt stehen. Meine Kehle ist trocken und ich spüre ein Brennen in meinen Augen. Ich werde nicht weinen, nicht hier, vor allen Leuten. Gefühlsausbrüche gibt es im Hause Prescott nur hinter verschlossenen Türen. Ohne eine Regung sehe ich ihm nach. Seine Schultern wirken im Smoking noch breiter, als sie auch so schon sind. Vielleicht ist das das letzte Mal, dass ich diese Aussicht genießen kann. Mein Herz wird bei diesem Gedanken seltsam schwer. Ich atme tief ein und versuche mich zu fangen, bevor die Tränen mich doch noch übermannen.

Er dreht sich nicht zu mir um, sondern marschiert direkt zum Kellner und nimmt sich ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit vom Tablett. Vermutlich Scotch. Mein Vater hat eine Leidenschaft für das rauchige Aroma edler Tropfen und unsere Gäste lässt er gern davon kosten. Ich persönlich bevorzuge Champagner, im Moment ist es mir allerdings herzlich egal, was in dem Kelch in meiner Hand schwimmt.

Ich kann nicht fassen, was eben passiert ist. Leider ist es kein Albtraum, aus dem ich gleich erwachen werde. Liam trinkt seinen Drink ex und schüttelt sich leicht, ehe er den Saal verlässt. Das war es dann wohl.

Ich habe es vermasselt.

1

Vier Tage zuvor

Am liebsten würde ich schreiend davonlaufen. Warum noch mal bin ich aus L.A. zurück nach Shanghai gekommen? Ich habe keine Ahnung. Ein Anflug von Heimweh oder der Sehnsucht, näher bei meiner Familie zu sein, vielleicht. Tatsächlich ist es so, dass ich mich in Los Angeles nie wirklich heimisch gefühlt habe. Der Alltag dort spielte sich auf einer ganz anderen, viel oberflächlicheren Ebene ab, mit der ich auf Dauer nichts anfangen konnte. Leider komme ich hier in Shanghai auch nicht mit meinem Leben zurecht. Wahrscheinlich war die Entscheidung, aus Amerika wegzugehen, ein großer Irrtum. Im Moment kommt es mir jedenfalls so vor, denn ich fühle mich ohne eine Sinn gebende Aufgabe schrecklich fehl am Platz und nutzlos. Die Sticheleien meiner Lieben sind dabei nicht hilfreich. Aber das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sie das Thema Zukunftspläne anschneiden. Nun ist es zu spät und ich muss da durch, ob ich will oder nicht.

»Virginia, Liebes«, höre ich meine Großmutter Eugenie sagen, »ich bin auch ganz gespannt, was du nun vorhast.« So geht das nun schon seit einer halben Stunde, genauso lange, wie wir alle zusammen beim Tee sitzen. Mit »alle« meine ich meine beiden Schwestern Megan und Kate und meine Granny. Zum Glück sind Ashley und Tessa nicht auch noch da, die jetten gerade irgendwo in der Welt herum. Unsere Familie ist sehr international, irgendwie sind wir überall und nirgendwo heimisch. Genau das ist wahrscheinlich mein Problem. Bin ich unterwegs, habe ich Heimweh, bin ich zu Hause, gehen mir alle auf den Keks. Ich liebe meine vier Geschwister, keine Frage, aber so viel Östrogen kann manchmal zu Streitereien führen, was wirklich anstrengend ist. Da ich die Jüngste bin, kann ich nicht mal den Spruch loslassen, dass ich mir immer einen Bruder gewünscht habe. Es war klar, dass es nach mir, dem fünften Kind, keinen weiteren Nachwuchs geben würde.

»Granny, ich glaube, sie hat keine Pläne. Bisher hat sie das Haus kaum verlassen, seit sie wieder zurück ist. Außer zum Shoppen natürlich.« Kate steckt sich ein Petit Four in den Mund und kaut genüsslich. Leider hat sie absolut recht, trotzdem passt es mir nicht, dass alle jederzeit in meinem Leben mitreden wollen. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Nesthäkchen zu sein, ist scheiße. Sie denken, das gäbe ihnen die Erlaubnis, mich für immer und ewig wie ein Baby zu behandeln.

»Himmelherrgott, ich bin fünfundzwanzig und gerade mit meinem Master fertig. Darf man sich da nicht mal etwas Bedenkzeit nehmen? Es ist ja nicht so, dass ich unter großem finanziellen Druck stünde.«

Megan seufzt theatralisch. Sie ist die Älteste von uns und hat, seit meine Mutter nicht mehr da ist, irgendwie das Bedürfnis, ihre Rolle zu übernehmen. Meiner Meinung nach ist Megan nicht besonders gut darin, aber wehe, man sagt was. Sie kann echt zur Furie werden. »Ich verstehe sowieso nicht, wieso du Schauspielerei und Drehbuchschreiben studiert hast. Du machst dir nicht mal was aus Filmen«, plappert sie die Worte zwischen ihren ungeschminkten Lippen hervor.

In diesen Momenten hasse ich sie sogar ein bisschen, denn sie hat leider recht. Unsere Mutter war eine erfolgreiche Schauspielerin und man sagte immer zu mir, dass insbesondere ich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten sei und dass ich Talent hätte. Im Laufe der Zeit ist mir schon ein paarmal der Gedanke gekommen, dass meine Familie vielleicht versucht hat, mir mit dieser Ähnlichkeit eine Verbindung zu meiner Mutter herzustellen, damit ich mich besser fühle, weil ich mich nicht an sie erinnern kann. Es lag für mich nach diesen Ermutigungen nahe, dass ich Schauspielkunst studiere. Tja, bislang sind die bedeutenden Rollenangebote ausgeblieben und für alles gebe ich mich auch nicht her. Ich würde nie in zweitklassigen Streifen mitspielen. So langsam dämmert es mir, dass ich wahrscheinlich nicht das Zeug dazu habe, eine von den Großen zu werden, was mir natürlich nie jemand so knallhart vor den Latz hauen würde. Aber es durch die Blume gesagt zu bekommen, tut genauso weh. Seltsamerweise macht mich die Erkenntnis, dass ich vermutlich nie in die Fußstapfen meiner Mutter treten werde, gar nicht so schrecklich traurig. Es hilft mir nur momentan nicht weiter, weil ich auch nicht weiß, was ich stattdessen beruflich anstreben könnte.

»Kinder, jetzt hört auf, zu streiten. Das ist ja unerträglich.« Meine Granny hält sich die Hand an die Stirn und schließt die Augen. »Ich krieg gleich eine Migräne!«

Ich unterdrücke ein Kichern, sage aber nichts, sondern nehme schweigend einen Schluck von meinem Tee. So hat sie es schon immer gemacht, wenn es ihr zu viel wurde. Und das muss recht häufig gewesen sein. Man stelle sich mal die Großmutter mit fünf Mädchen vor, die ohne ihre Mutter aufwachsen. Es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie mit uns nach Shanghai ausgewandert ist und für uns ihr Leben in England aufgegeben hat. Natürlich hatte sie Unterstützung von einer Nanny, das ist in unseren Kreisen völlig normal, aber die Hauptlast lag auf ihren Schultern. Mein Vater hat seit jeher viel gearbeitet und war ständig unterwegs. Heute beschäftigt er unser ehemaliges Kindermädchen Emma als persönliche Assistentin, die gleichzeitig seinen Haushalt organisiert. Verändert hat es an der Beziehung zu meiner Großmutter allerdings nichts. Granny schätzt ihre Arbeit, glaube ich, traurigerweise können sie sich jedoch nicht leiden, auch nach über zwanzig Jahren nicht. Ich habe nie kapiert, wieso, aber ich verstehe vieles in dieser Familie nicht. Irgendwann muss vielleicht einmal etwas vorgefallen sein, sehr wahrscheinlich sogar. Da die alte Dame in etwa so nachtragend ist wie ein Elefant, hat sich unser damaliges Kindermädchen womöglich mit einer Kleinigkeit alle Sympathien bei ihr verspielt. Ich habe keine Ahnung, aber eines Tages werde ich das herausfinden. Bisher hat mir keine von beiden auf Nachfragen jemals geantwortet. Selbst mein Dad wechselt einfach das Thema, wenn jemand auf das ambivalente Verhältnis zwischen unserer Nanny und unserer Großmutter zu sprechen kommt.

»Also, was hast du vor?«, fragt mich Kate und ich drehe eine Haarsträhne zwischen meinen Fingern, während ich mir eine einigermaßen befriedigende Antwort überlege. Ich habe auf diese Diskussion ungefähr so viel Lust wie auf eine Magenspiegelung. Trotzdem spüre ich, wie sich in meinem Bauch ein Knoten bildet, denn meine Schwester Kate hat im Gegensatz zu mir alles richtig gemacht. Sobald sie mir diese Frage stellt, habe ich das Gefühl, sie richtet ihren Zeigefinger nach dem Motto »Was ist bei dir nur schiefgelaufen, obwohl du jegliche Möglichkeiten hattest?« auf mich. Sie ist die Vorzeigeschwester. Blond, groß, schlank und vor allem erfolgreich. Sie wusste immer, was sie wollte, und hat nach dem Abitur Innenarchitektur und Design studiert. Sie hat mit ein wenig Startkapitel von Dad ihre eigene Firma gegründet, die floriert, und kann sich vor Aufträgen – und Verehrern – kaum retten. Wenn ich mit ihr unterwegs bin, werde ich gern mal übersehen, dabei bin ich alles andere als hässlich. Kate überragt mich mit ihren eins fünfundsiebzig beinahe um einen Kopf und ihr glänzendes blondes Haar ist einfach ein Blickfang. Ich habe es gerade mal auf lächerliche eins dreiundfünfzig gebracht und bin brünett. Nicht förderlich, wenn man als Jüngste buchstäblich noch die Kleinste ist.

Ich greife mein Handy vom Tisch und werfe einen Blick in den Kalender. Ich weiß genau, dass sie nicht nach meinen Verabredungen für diese Woche gefragt hat, aber im Moment habe ich genug vom Thema Zukunft.

»Wenn du es exakt wissen willst: Heute Abend gehe ich mit Amélie aus, morgen habe ich einen Termin zur Pediküre und dann bin ich auf den roten Teppich bei den Wong Awards geladen. Und selbst?« Ich lächele gezwungen.

Kate lacht und Megan hebt eine Augenbraue. Granny rührt mit dem silbernen Löffel im Tee und stellt sich auf meine Seite. »Nimm dir ruhig etwas Zeit, Virginia. Du kannst noch vierzig Jahre arbeiten, wenn du unbedingt möchtest. Ist ja nicht so, als ob du es nötig hättest. Dein Vater hat genug Geld.«

Meine Großmutter meint ja ohnehin, dass wir Frauen uns am besten einen tüchtigen und solventen Ehemann suchen sollten. In ihrer Generation und unseren Kreisen wurde man seinerzeit noch von den Eltern verheiratet. Leider ist keine von uns unter der Haube, was sie sehr bedauert. Ich sehe, wie Megan, die Älteste, sich auf ihrem Stuhl anspannt. Sie ahnt, was gleich kommt.

»Megan, Schätzchen, wie sieht es eigentlich aus bei dir? Triffst du jemanden?«

Bingo! Kate grinst breit und ich schnaufe durch, denn jetzt bin ich aus dem Schneider. Der einzige Vorteil, wenn man das Baby ist. Die kleine Virginia sollte gar keinen Freund haben, jedenfalls nicht, wenn es nach Daddy ginge. Der Arme hatte bisher an jedem was auszusetzen, den ich ihm ins Haus gebracht habe. Nicht, dass es viele gewesen wären …

»Das weißt du doch, Granny. Ich habe gar keine Zeit, Männer zu treffen«, versucht Megan sich rauszureden.

Oma schnaubt leise auf und schüttelt den Kopf. »Es ist mir völlig unverständlich. Ihr seid ausnahmslos hübsch. Na ja, wenn Ashley sich nicht immer die Haare so schrecklich bunt färben würde. Aber grundsätzlich, meine ich. Wie ist es möglich, dass keine von euch eine passende Partie ins Haus bringt?«

»Granny, wir sind emanzipiert«, versuche ich ihr zu erklären. »Es ist heutzutage okay, nicht Anfang zwanzig drei Kinder am Rockzipfel zu haben.«

»Pah, also so ein Quatsch. Die Uhr tickt bei euch allen. Bei der einen lauter, bei der anderen im Flüsterton. Am Ende schlagt ihr der Natur kein Schnippchen!« Sie legt den Löffel geräuschvoll beiseite und trinkt von ihrem Tee.

Megan schnappt nach Luft und schiebt sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Bobs hinters Ohr. Sie ist mit zweiunddreißig nach Grannys Berechnungen schon überfällig, das wissen wir alle. Ich habe keine Ahnung, was Megan darüber denkt oder ob sie sich einen Partner an ihrer Seite wünscht. Obwohl uns nur sieben Jahre trennen, haben wir keine so enge Beziehung zueinander, dass wir Derartiges teilen würden. Sie ist mir am entferntesten von allen Schwestern. Es hat auch damit zu tun, dass sie eine völlig andere Einstellung zum Leben hat als ich. Sie ist immer pflichtbewusst und korrekt. Absolut fokussiert und karrierebezogen. Nicht allein deswegen ist sie neben meinem Vater die unangefochtene Nummer zwei im Prescott-Konzern.

Ich komme am besten mit Ashley und Tessa klar, die wie ich ihre Macken haben. Kate und Megan sind so fehlerfrei und perfekt, dass es einem manchmal regelrecht schlecht werden kann. Natürlich liebe ich sie alle, aber dann und wann ist es einfach kompliziert. Nicht nur wegen unserer Vergangenheit. Viele Kinder wachsen schließlich ohne eine Mutter auf, das ist keine Entschuldigung. Es liegt auch an unseren unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen. Ich zum Beispiel habe keine Ahnung, was ich aus meinem Leben machen soll. Vor allem, wenn sich nicht bald ein Projekt auftut, mit dem ich meine Karriere als Schauspielerin ankurbeln kann. Vielleicht sollte ich doch was ganz anderes ausprobieren.

Im Hause Prescott ist alles irgendwie leistungsorientiert und gerade jetzt fühle ich mich wie eine komplette Versagerin, deren größtes Talent darin besteht, Daddys Geld auszugeben. Leider ist es ein Stück weit tatsächlich so und das ärgert mich, obwohl ich es vor meinen Schwestern nie zugeben würde. Wenn ich ein einziges Mal ganz ehrlich zu mir bin, dann wünsche ich mir eine Aufgabe, die mich mit Stolz erfüllt, bei der ich am Ende des Tages etwas vorzeigen kann, das ich geleistet habe. Bislang ist mir das nicht gelungen. Ja, gut, immerhin habe ich es geschafft, in der Regelstudienzeit meinen Abschluss zu machen, aber auch da schwamm ich immer im Mittelfeld. Ich war nie irgendwo die Beste und das … wurmt mich. Keine Ahnung, warum es mich auf einmal so stört. Vielleicht ist es mein Alter, ich bin kein Kind mehr. Mit fünfundzwanzig kann man sich so langsam nicht länger damit herausreden, dass man noch nicht weiß, wo die Reise hingehen soll.

»War nett, mit euch zu plaudern«, sage ich, weil ich absolut genug von dem Thema habe, und nehme mir ein Törtchen vom Servierbrett. »Leider muss ich jetzt los. Wir sehen uns!«

Hastig schiebe ich meinen Stuhl zurück, gebe Grandma einen Kuss auf ihre faltige Wange und atme einen Hauch ihres Lavendeldufts ein. Auf dem Weg durch den Flur stoße ich beinahe mit Emma zusammen, die gerade ein Tablett balanciert.

»Hey, wo willst du denn so eilig hin?«, fragt sie mich und rettet lachend die Gläser.

»Ich bin mit Amélie verabredet.«

»Ah, schön. Ich wünsche dir viel Spaß.«

Dass sie nicht tausend Fragen stellt, wie Granny oder Dad, liebe ich an ihr. Emma war unsere Nanny, so lange ich zurückdenken kann.

---ENDE DER LESEPROBE---