Der Meister des siebten Siegels - Johannes K. Soyener - E-Book

Der Meister des siebten Siegels E-Book

Johannes K. Soyener

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Beschreibung

Der österreichische Geschützgießer Adam Dreyling gilt als talentiertester Geschützmacher seiner Zeit. Von seinem Oheim, einem Meister des Bronzegeschützgusses, erlernte er die Waffenkunst der „sieben Siegel“. Da man ihm keine eigene Werkstatt zugestanden hat, ist er mit diesem Wissen über Venedig nach England geflohen, um dort mit dem Schiffsbauer Matthew Baker in den Dienst der Königin zu treten. Gemeinsam haben sie England zum Sieg über die gefürchtete spanische Armada verholfen. Aber Elizabeths Dankbarkeit währte nicht lange und Dreyling bleibt nur die Flucht. Die Häscher der Habsburger sind ihm auf der Spur. Als sie ihn finden und 1590 in der Heimat vor ein Berggericht stellen, beginnt sein gefährlichster Kampf ...

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Johannes K. Soyenerund Wolfram zu Mondfeld

DER MEISTERDESSIEBTENSIEGELS

Roman

Inhalt

Personen

Bericht an  Kardinal Montaldo

Lissabon,  April 1588

Brief an  Königin Elizabeth I.

London,  den 6. März 1590

Das Berggericht, Schwaz 1590

Bericht  William Davison

Sonntag,  der 4. Februar, 10.00 Uhr

Sonntag, der 4. Februar, 10.15 Uhr

Sonntag, der 4. Februar, 10.25 Uhr

Sonntag, der 4. Februar, 10.40 Uhr

1  Die Katastrophe, Schwaz 1574

1. Tagebuch  Adam Dreyling

Montag,  der 26. April

Dienstag, der 27. April

Mittwoch, der 28. April

Das Berggericht, Schwaz 1590

Bericht  William Davison

Sonntag,  der 4. Februar, 10.50 Uhr

2  Der Herr auf Büchsenhausen, Innsbruck 1574

1. Tagebuch  Adam Dreyling

Donnerstag,  der 29. April

Freitag, der 30. April

Samstag, der 1. Mai

Mittwoch, der 1. Mai 1577

3  Die sieben Siegel, Innsbruck 1578

2. Tagebuch  Adam Dreyling

Samstag,  der 13. September

Sonntag, der 14. September

Montag, der 15. September

4  Die Feldschlange, Innsbruck 1579

2. Tagebuch  Adam Dreyling

Mittwoch,  der 1. April

Donnerstag, der 2. April

Freitag, der 3. April

Samstag, der 4. April

5  Die Schleusung, Südtirol 1579

2. Tagebuch  Adam Dreyling

Samstag,  der 4. April

Sonntag, der 5. April

Montag, der 6. April

Donnerstag, der 9. April

Samstag, der 11. April

6  Der Palazzo de Diavolo, Venedig 1579

3. Tagebuch  Adam Dreyling

Sonntag,  der 12. April

Donnerstag, der 30. April

Freitag, der 1. Mai

Montag, der 4. Mai

Mittwoch, der 6. Mai

Das Berggericht, Schwaz 1590

Bericht  William Davison

Sonntag,  der 4. Februar, 11.05 Uhr

7  Die Überfahrt, Atlantik 1579

3. Tagebuch  Adam Dreyling

Mittwoch,  der 6. Mai

Samstag, der 16. Mai

Sonntag, der 17. Mai

8  »Adam Dreyling Made this Piece«, England 1579

4. Tagebuch  Adam Dreyling

Freitag, der 22. Mai

Sonntag, der 23. Mai

Mittwoch, der 17. Juni

Freitag, der 19. Juni

Samstag, der 20. Juni

Sonntag, der 21. Juni

Montag, der 22. Juni

Dienstag, der 23. Juni

9  Der Schiffskopf, Chatham-Mayfield-Plymouth-Deptford 1580/81

4. Tagebuch  Adam Dreyling

Donnerstag,  der 9. Juni

Freitag,  der 10. Juni

Samstag,  der 11. Juni

Sonntag, der 13. November

Dienstag, der 15. November

Sonntag, der 5. März 1581

Montag,  der 6. März

Dienstag,  der 7. März

Samstag,  der 11. März

Sonntag,  der 2. April

Dienstag,  der 4. April

10  Blutgeruch, London 1586-1587

5. Tagebuch  Adam Dreyling

Dienstag,  der 19. Juli

Mittwoch,  der 20. Juli

Donnerstag,  der 21. Juli

Freitag,  der 22. Juli

Mittwoch, der 22. Februar 1587

11  El Dragón, Plymouth-Cadiz 1587

5. Tagebuch  Adam Dreyling

Freitag,  der 24. März

Samstag,  der 25. März

Montag,  der 27. März

Dienstag,  der 28. März

Montag,  der 10. April

Samstag,  der 29. April

Sonntag,  der 30. April

Montag,  der 1. Mai

Donnerstag,  der 8. Juni

Das Berggericht, Schwaz 1590

Bericht  William Davison

Freitag, der 4. Februar, 11.30 Uhr

12  Die unüberwindliche Armada, Ärmelkanal 1588

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Freitag,  der 19. Juli

Samstag,  der 20. Juli

Sonntag,  der 21. Juli

13  Piratenart, Ärmelkanal 1588

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Montag,  der 22. Juli

14  Gezeitenströme, Ärmelkanal 1588

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Dienstag,  der 23. Juli

15  Kanonenfutter, Sussex 1588

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Dienstag,  der 23. Juli

Mittwoch,  der 24. Juli

Donnerstag,  der 25. Juli

16  Der Halbmond bricht, Vor Flandern 1588

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Sonntag,  der 28. Juli

Montag,  der 29. Juli

17  Königliche Dankbarkeit, Tilbury, Mayfield, London 1588

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Mittwoch,  der 31. Juli

Freitag, der 2. August

Sonntag,  der 4. August

Samstag, der 24. August

Dienstag,  der 27. August

Samstag,  der 31. August

Dienstag, der 24. September

Sonntag, den 17. November

Donnerstag, der 21. November

Freitag, der 22. November

Samstag, der 23. November

18  Der letzte Beacon, Mayfield, Rye 1588-1589

6. Tagebuch  Adam Dreyling

Dienstag,  der 31. Dezember

Mittwoch, der 1. Januar 1589

Freitag,  der 3. Januar

Samstag,  der 4. Januar

19  Der Orden vom Schwert, Krakau 1589

7. Tagebuch  Adam Dreyling

Samstag,  der 11. Januar

Dienstag,  der 20. Januar

Sonntag,  der 25. Januar

Dienstag,  der 6. Februar

20  Klementyna und Ysabel, Krakau und Mogilany 1589

7. Tagebuch  Adam Dreyling

Donnerstag,  der 21. Dezember

Freitag, der 22. Dezember

Samstag, der 23. Dezember

21  Der venezianische Spiegel, Leutschau, Kazimierz, Mogilany 1589

Bericht  William Davison

Schwaz, der 2. Februar 1590

Januar 1589

Februar 1589

März 1589

Mai 1589

Juni 1589

Juni und Juli 1589

Juli 1589

August 1589

September bis Dezember 1589

Dezember 1589

23. Dezember 1589

23. Dezember 1589

23. Dezember 1589

30. Dezember 1589

Schwaz, der 2. Februar 1590

Das Berggericht, Schwaz 1590

Bericht  William Davison

Sonntag,  der 4. Februar, 12.00 Uhr

Sonntag, der 4. Februar, 13.00 Uhr

Sonntag, der 4. Februar, 14.00 Uhr, Palais Fugger

22  England und Tirol, Wattens 1590

Bericht  William Davison

Sonntag,  der 4. Februar, 16.00 Uhr

Epilog

Danksagung

Quellen

Museen

Personen

DAS BERGGERICHT

Erasmus Reisländer: Bergrichter

Leoman von Schiller-Herdern: Kanzler von Tirol, Ankläger

Adam Dreyling zu Wagrain: Angeklagter

Nicklas Findler: Fronbote

Markus (Marx) Fugger: Erster Gewerke in Schwaz

Dr. Johann Dreyling: Hofrat, Halbbruder des Angeklagten

Baron Hans Christoph Löffler: Geschützgießer zu Innsbruck

Katharina Endorferin: seine Tochter

Alexander Endorfer: Kanzleischreiber, ihr Gatte

William Davison: Beobachter Englands

Monsignore Umberto d’Angelis: Beobachter des Heiligen Stuhls

Zenon Querini: Beobachter Venedigs

Don Cristóbal María de Alvarez: Beobachter Spaniens

Karl Freiherr von Wolkenstein: Vizestatthalter zu Innsbruck

Georg Scherer S.J.: Hofprediger zu Innsbruck

Dr. Justinian Moser: Geheimer Rat, Visitator zu Innsbruck

SCHWAZ

Erzherzog Ferdinand II. Habsburg: Landesherr zu Tirol

Markus (Marx) Fugger: Erster Gewerke in Schwaz

Siegmund Fugger: Alchemist, sein Onkel

Erasmus Reisländer: Bergmeister

Adam Dreyling: Schiener

Maria Dreyling: seine Frau

Ulrich Dreyling: Schmelzmeister, sein Bruder

Dr. Johann Dreyling: Hofrat, sein Halbbruder

Regina Dreyling: seine verwitwete Stiefmutter

Peter Gstein: Schichtmeister am Falkenstein

Nandel Kunzmeier: Bergknappe

Korbi Brandhuber: Bergknappe

Jos Ammer: Bergknappe

Ambros Mornauer: Silberbrenner

Thomas Hasl: Schichtmeister am Falkenstein

Pater Conrad: Guardian der Franziskaner in Schwaz

Georg Scherer S.J.: Hofprediger zu Innsbruck

Willi Davido: Kupferhändler aus Meran

INNSBRUCK

Hans Christoph Löffler: Geschützgießermeister auf dem Gänsbichel

Elisabeth Löfflerin (Geizkofler): seine Gattin

Katharina Löfflerin: ihre Tochter

Max Löffler (Brettschneider): sein Bastardsohn

Alexander III. Endorfer: Kanzleischreiber zu Innsbruck

Alexander Colin: Hofbildhauer zu Innsbruck

Willi Davido: Kupferhändler

Toni Hebsteller: Altgeselle in der Gießerei

Pietro: Geselle in der Gießerei

Pantaleon: Geselle in der Gießerei

Bartlme: Heizer in der Gießerei

Lienhard: Schmelzmeister in der Gießerei

Antonia: Bedienstete im Haus Löffler

Franz »der Rosenheimer«: Bediensteter im Haus Löffler

VENEDIG

William Davison: Agent Walsinghams

Doña Ysabel: Agentin Walsinghams

Zenon Querini: Provveditore der Erhabenen Republik

Marcantonio Querini: Admiral der Erhabenen Republik, sein Bruder

Joseph von Furttenbach: Admiral Genuas

Antonio Giustinani: Gießermeister im Arsenal zu Venedig

Isaac Nieto: Davisons Verbindungsmann im Ghetto Nuovo

Rabbi Isaak Silbermantel: Gelehrter und Tarotmeister

Maria Cavallino: die teuerste Kurtisane Venedigs

Sir Richard Grenville: englischer Kapitän

ENGLAND

Elizabeth Tudor: Königin von England, Frankreich und Irland

Sir Francis Walsingham: Erster Staatssekretär der Königin

William Cecil, Baron of Burghley: Lordschatzmeister

Dr. Matthew Baker, Sieur de Rochester: Erster Schiffsbaumeister

Peter Pett: Schiffsbaumeister in Deptford

Phineas Pett: Schiffsbaumeister in Deptford, sein Sohn

Richard Chapman: Schiffsbaumeister in Woolwich

Charles Howard of Effingham, Earl of Nottingham: Lordadmiral

Robert Dudley, Earl of Leicester: Favorit der Königin

George Clifford, Earl of Cumberland: Höfling und Kapitän

Lady Margaret Simpson: seine Geliebte

Lady Joan Cranbrook: Hofdame der Königin, seine Nichte

Lady Susan Pocklington: Hofdame der Königin

Robert Ambros, Earl of Warwick: Verwalter der Artillerie

Sir Walter Raleigh: Kapitän der königlichen Garde

John Hawkins: Staatspirat, Schatzmeister der Marine, Vizeadmiral

Sir Francis Drake: Staatspirat, Entdecker, Vizeadmiral, sein Neffe

Martin Frobisher: Staatspirat, Entdecker, Vizeadmiral

Lord Henry Seymour: Vizeadmiral

Sir William Winter: Master des Ordnance Board und Navy Board

George Winter: Beauftragter für königliche Schiffe, sein Bruder

George Fenner: Kapitän

Thomas Fenner: Kapitän

Thomas Fleming: Kapitän

Lord Thomas Howard: Kapitän, Bruder des Lordadmirals

Sir Edward Hoby: Sekretär der königlichen Flotte

Samuel Clerke: Geschützmeister auf der ARK ROYAL

Lord Buckhurst: Verantwortlicher für die Küstenverteidigung

Federico Giambelli: Ingenieur für schwimmende Bomben

Samuel Owen: Geschützgießer

Henry Pitt: Geschützgießer

Thomas Orthmann: Altgeselle in Mayfield Furnace

Isaac Foulon: Former in Mayfield Furnace

Humphrey Pickfatt: Heizer in Mayfield Furnace

Jonathan Stanton: Schreinermeister in Mayfield Furnace

Vladyslav Graf Rzeszówski: Polnischer Gesandter in London

Jacobe (Jakob) Halder: Erster Plattnermeister

Richard Gibbes: Agent Walsinghams

Edward Alleyn: Direktor des Rose-Theaters

Will Shakespeare: Dichter und Schauspieler

Maria Stuart: Exkönigin von Schottland

Philipp II.: König von Spanien und Portugal

Alonso de Guzman, Herzog von Medina Sidonia: Spanischer Admiral

Alexander Farnese, Herzog von Parma: Statthalter der Niederlande

Juan Martínez de Recalde: spanischer Vizeadmiral

Diego Florez de Valdéz: spanischer Vizeadmiral

KRAKAU

Sigismund August Wasa: König von Schweden und Polen

Richard Meyerholdt: Kapitän der WITCHOF CUMBER CASTLE

Sven Larsson: Kapten des schwedischen Regiments Södermanland

Ulrich Dreyling, Baron von Novgorod Sjewersk, Adams Bruder

Jadwiga Dreyling (Bethman): seine Frau

Klementyna Montelupich: Tochter des Post-Zaren

Levi Landau: Handelsherr in Kazimierz

Izaak Jakubowitcz: Bankier in Kazimierz

Israel Isseries Auerbach: Handelsherr in Kazimierz

Rabbi Joseph Kac: Rektor der Talmudischen Akademie in Krakau

Rabbi Nathan Spira: Kabbalist

Bericht an Kardinal Montaldo

Lissabon, April 1588

Bericht eines Sonderbeauftragten des Vatikans über das Gespräch mit Admiral Juan Martínez de Recalde, Führer der Biscaya-Flotte, an Kardinal Montaldo, Nuntius in Madrid …

Ich fragte ihn unverblümt:

»… und wenn Ihr im Kanal auf die englische Armada stoßt, erwartet Ihr, die Schlacht zu gewinnen?«

»Natürlich«, antwortete der höchste und erfahrenste Offizier der spanischen Flotte.

»Woher nehmt Ihr diese Gewißheit?«

»Das ist einfach genug. Es ist altbekannt, daß wir für Gottes Sache streiten. Wenn wir also auf die Engländer treffen, wird Gott es sicherlich so einrichten, daß wir an sie herankommen und entern können, entweder dadurch, daß Er uns plötzlich ein unberechenbares Wetter schickt oder – was noch wahrscheinlicher ist – den Engländern einfach den Verstand verwirrt. Wenn wir aneinander geraten, werden spanische Tapferkeit und spanische Klingen – dazu die Unmassen von Soldaten, die wir an Bord haben – uns sicher den Sieg einbringen.

Wenn Gott uns jedoch nicht mit einem Wunder hilft, werden die Engländer, die schnellere und manövrierfähigere Schiffe und vor allem Geschütze mit größerer Reichweite haben als wir und diesen ihren Vorteil ebenso kennen wie wir, sich auf keinen Nahkampf einlassen, sondern uns aus entsprechender Entfernung mit ihren Feldschlangen in Stücke schießen, ohne daß wir ihnen das geringste anhaben können.

Und so« – schloß der Admiral – »segeln wir gen England in der vertrauensvollen Hoffnung auf ein Wunder …«

Brief an Königin Elizabeth I.

London, den 6. März 1590

Euer Majestät!

Dank Eurer Majestät und Gottes Güte bin ich heute in der erfreulichen Lage melden zu dürfen, daß der Fall des Geschützgießers Adam Dreyling in dem von Euer Majestät erwünschten Sinne abgeschlossen werden konnte.

Beiliegend erlaube ich mir Euer Majestät den Bericht zu überreichen, welchen Euer ergebenster Diener William Davison verfaßt hat, der, wie ich erinnern darf, Euer Majestät schon früher in heiklen Missionen vorzügliche Dienste zu leisten die Ehre hatte.

Erklärend habe ich, mit Euer Majestät gütigster Erlaubnis, Auszüge jener Geheimprotokolle beigefügt, die durch William Davison und seine Helfer für mich angefertigt wurden und die auf den umfassenden Aufzeichnungen besagten Geschützgießers Adam Dreyling beruhen. Euer Majestät mögen aus dessen eigenen Ausführungen am besten ermessen, wie wichtig die Besitznahme der Dokumente für die Krone und wie weise die Entscheidung Euer Majestät zur Person besagten Geschützgießers Adam Dreylings waren.

In tiefster ErgebenheitEuer Majestät treuester Diener

Sir Francis Walsingham

Das Berggericht

Schwaz
1590

Bericht William Davison

Sonntag, der 4. Februar, 10.00 Uhr

»Benedicat vos omnipotens Deus, Pater et Filius et Spiritus Sanctus.«

Weit ausholend schlug der Hofprediger Georg Scherer S.J. in seiner scharlachroten Kasel das Zeichen des Kreuzes über der Gemeinde.

»Amen«, murmelte die tausendköpfige Menge.

Der Priester breitete die Arme aus:

»Ite, missa est!«

»Deo gratias!«

Nochmals beugte der Jesuitenpater tief das Knie, verließ gemessenen Schrittes mit seinen Ministranten den hohen Altar und schritt zur Sakristei.

Nach der Zahl des gläubigen Volkes und der anwesenden Bergknappen zu urteilen, hätte diese Messe zum fünften Sonntag nach Erscheinung des Herrn mindestens die Rangstufe »Duplex I. mit privilegierter Oktav 1. Ordnung« genau wie zu Ostern, dem höchsten Kirchenfest, verdient gehabt.

Ein Raunen und Murmeln, ein Scharren und Husten durchlief den Kirchenraum, doch niemand in der bis zum letzten Winkel gefüllten Kirche machte Anstalten, das Gotteshaus zu verlassen.

Die Männer und Frauen, die dicht an dicht in den Seitengängen und unter der aus rotem Marmor gemauerten Empore standen, sich gar in den Knappenchor hineindrängten, bereuten es nicht, den Weg aus Jenbach und Rattenberg, aus Brixlegg, Vomp und Wattens, aus Hall und sogar aus Innsbruck auf sich genommen zu haben. Auch wenn manch neidischer Blick die Bürger von Schwaz traf, die in ihren seit Generationen reservierten Kirchenstühlen hockten, die geschnitzten Türlein zu den Gängen gegen die Ortsfremden fest verschlossen.

Einen Trost freilich hatten sie, die Neugierigen aus der Umgebung: Wenn es erst zum Richtplatz ging, würden sie vor den anderen aus der Kirche kommen, würden die Schnelleren sein, würden das blutige Spektakel, das Foltern und Schinden, das Reißen und Stechen und Hacken in vorderster Reihe verfolgen können.

Ein wenig seltsam mischte sich diese Vorfreude mit den verklungenen Paulus Worten der Epistel:

»Brüder! Als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte, ziehet an mitleidiges Erbarmen, Güte, Demut, Bescheidenheit, Geduld. Ertraget einander und verzeihet einander, wenn einer über den anderen zu klagen hat. Wie der Herr vergeben hat, so sollt auch ihr tun.«

Doch der Jesuitenpater hatte in seiner girlandenreichen Predigt dargelegt, daß dies allein für wahre Christen gelte. Nicht aber für Teufelsdiener und Räuber, Sakrileger und reißende Bestien wie jenen, der heut und hier abgeurteilt werden solle, für das Ungeheuer, das Not und Tod von Tausenden auf seinem Gewissen habe.

Ebenso erwartungsvoll wie das Volk von außerhalb saß an diesem Sonntag die Gemeinde in zwei Chören säuberlich getrennt auf den Bänken. Der nördliche Leutchor war mit Bürgern, Kaufleuten, Handwerkern besetzt; im südlichen Knappenchor, wo das Gerichtsspektakel stattfinden sollte, drängte sich die Berggemeinde.

Zwischen beiden erhob sich ein mannshoher Bretterzaun.

Die Ursache für diese Teilung lag nicht bei Gott als kommendem Richter. Sie lag in der irdischen Gerichtsbarkeit. Es gibt in Schwaz nicht nur eine Gemeinde, sondern deren zwei: die Bergwerksgemeinde unter Aufsicht des Bergrichters und eine Bürgergemeinde aller Nichtbergleute unter dem Landrichter. Zwei rivalisierende Gemeinden unter einem Dach, getrennt durch eben jenen drei Ellen hohen Bretterzaun entlang der mittleren Säulenreihe – Gottes Wort und Lehre verhöhnend, aber notwendig, auf daß aus dem Gotteshaus neben geistlicher Erbauung nicht auch leibliche Blessuren davongetragen werden.

Ein Aufatmen ging durch die Menge. Franziskanermönche aus dem nahe gelegenen Kloster begannen die Bretterwand mit schnellen, geübten Griffen einzulegen.

Beifälliges Gemurmel durchzog den Leutchor.

Überraschend die Mächtigkeit des Langhauses, das wie ein weiter Saal wirkte, jetzt, wo der Zaun fiel. Drei Reihen massiver Rundsäulen gebändert und zusammengefügt aus rotem Marmor, schwarzem Kalk und gelbem Tuff, verliehen der Halle nach allen Seiten bis hinauf zum hohen Gewölbehimmel eine unvermutete Farbigkeit.

Jedoch im selben Augenblick, als durch die großen, hellen Fenster das Sonnenlicht flutete, das die morgendliche Nebeldecke über Schwaz durchbrach, erzeugte das Licht einen gespenstischen Kontrast zu dem schwarzbraunen Leder und den spitzen, weißen Gugelhauben der Bergleute im südlichen Knappenchor. Wie ein stolzes Abzeichen für ihre Zugehörigkeit zum Berg trugen sie alle den schweren, ledernen Schurz, das Arschleder, um die Hüften gebunden.

»Von unten rädern – erst die Knöchel, dann die Schienbeine, die Knie …«, zischelte die Engensteinerin unterdessen aufgeregt in der Bank, neben meinem Standplatz.

Ein breitschultriger Mann mit schwarzem Haarschopf und einem ausgeschlagenen Schneidezahn beugte sich, nun nicht mehr von dem trennenden Zaun behindert, um die Säule herum:

»Gar nichts werdet Ihr sehen, Meisterin. Der Mann ist des Bergfrevels angeklagt. Und wenn man ihn richtet, dann werden nur die Knappen zugegen sein.«

»Aber für was wären denn dann die vielen Zuschauer hergekommen?« empörte sich die Engensteinerin.

»Na, besonders viel werden wir Knappen auch nicht davon haben«, grinste der Mann zahnluckig. »Bestenfalls einen langen Schrei, wenn er in den tiefsten Schacht zum Gapl hinuntergeworfen wird. Und vielleicht – vielleicht – wenn’s ihn drunten zerbatzt.«

Auch mein nun ungehinderter Blick schweifte hinüber ins parallele Südschiff der Liebfrauenkirche, den Knappenchor: Im Chorgestühl die Häuer, Truhenläufer und Haspler, die Männer, die die schwere Arbeit unter Tage leisten, mit den Schienern und Schichtmeistern an der Spitze. Dahinter die Wäscher, Saigerer, Vorwäger, Röstmeister aus den Pochwerken und Schmelzhütten. In den Seitengängen die Säuberbuben, die Haldenscheider, Schlepper und Hüttknechte.

Wie ein Block standen und saßen sie da: hart wie der Stein, den sie schlagen, zäh wie das rote Kupfer und stolz wie das weiße Silber, das sie aus ihm schmelzen.

In ihren schweren Fäusten lag der Reichtum und damit die Macht und die Ehre von Schwaz. Sie, die Berggemeinde, die Bergverwandten, waren die Standesvertreter des Schwazer Bergbaus, »Aller Bergwerke Mutter« genannt.

Stolz und Entschlossenheit konnte man auf ihren Gesichtern lesen. Nur bei wenigen sah ich Unsicherheit und Sorge. Die Sorge kam nicht von ungefähr. Seit Jahren ging die Ausbeute an Kupfer und Silber unerbittlich zurück. Die Zeiten, als bis zu zwanzigtausend Männer in und am Berg arbeiteten, waren längst vorüber – jetzt waren es noch zwei einhalb tausend.

Ihre Thesen sind in jeder Knappenschänke zu hören:

»Wir sind nicht irgendeine, wir sind die Bergstadt.

Wir sind, zusammen mit den Augsburger Handelshäusern, die Quelle des europäischen Handels.

Wir stärken mit unserem Erz das Habsburger Weltreich.

Wir sind das Fundament des europäischen Silberhandels.

Trotz unseres Hungers und Elends. Trotz des Silbers aus der Neuen Welt. Auch heute noch!«

Die im Mittelgang stehenden Männer wirkten wie drohende Marschkolonnen.

»Keine Strafe ist schwer genug für dieses Schwein!« hörte ich den stiernackigen Häuer Franz Prasch.

»Verraten und verkauft hat er uns an die Ketzer, an die Polacken und Gott weiß, an wen sonst noch!« stimmte Joseph Eiba, einer der Truhenläufer zu.

Ein weißhaariger Lehenhäuer winkte ab: »Was soll er denn verraten haben, was die anderen nicht längst wußten? Daß wir tiefer und tiefer graben und mehr Wasser fördern als Stein? Und mehr tauben Stein als Erz? Ist er vielleicht der liebe Gott, daß er mit einem Wunder das Kupfer und Silber aus dem Berg hat verschwinden lassen?«

»Aber gib doch zu«, erregte sich Franz Prasch, »damals, Anno ’74, fing das Elend an! Just damals, als er Schiener gewesen ist!«

Der alte Lehenhäuer schüttelte den Kopf:

»Anno ’74 – just in dem Jahr hab’ ich mich als Lehenhäuer verdingt. Und er hat mich mitgenommen in den Berg, hat mir eine Ader gezeigt, ziemlich hoch oben. Hat gesagt: ›Korbi Brandhuber, reich ist die Ader nicht, aber dein Auskommen wirst du haben.‹ Ich hab’ ihm vertraut – reich bin ich nicht geworden, aber gehungert hab’ ich auch nie. Und ich muß nicht Tag um Tag wie eine halbersoffene Ratte aus dem Berg kriechen wie Ihr, die Ihr in den tiefen Stollen grabt. Ich sage: Gott segne ihn!«

»Du bist ein unverbesserliches Rindvieh, Korbi!« antwortete ihm der Berti Mader, ein langnasiger, strohblonder Häuer. »Weil er vielleicht zu dir tatsächlich anständig gewesen ist, willst du nicht sehen, daß er Tausende an den Bettelstab gebracht hat!«

»In den tiefsten Schacht mit diesem Saukerl!« bestätigte Joseph Eiba, der Truhenläufer.

»Und da wird er auch landen«, nickte Franz Prasch. »Wenn es schon die Hand oder gar den Kopf kostet, auch nur einen einzigen Stein aus dem Berg heimlich mitzunehmen, dann erst recht, wenn einer all unsere Geheimnisse verraten hat!«

»Und ich glaube es einfach nicht!« begehrte der Korbi Brandhuber auf.

»Dann laß es! – Aber red nicht so laut!« wandte sich der Schiener Ferdinand Kreitmayer in der Bank um.

»Ich red’, so laut ich mag. Und das Gericht wird erweisen, daß ich recht hab’!«

»Das wird etwas ganz anderes erweisen«, stellte der Schiener fest. »Der gnädige Herr Marx Fugger hat es mir selber erst gestern gesagt: Alles ist wahr, was in der Anklage erhoben wird. Alles! Und beweisen läßt es sich. Ganz leicht, hat der gnädige Herr Fugger gesagt. Hat mit mir selber geredet, der gnädige Herr Fugger, und mit dem Zacharias Berner und dem Toni Grassel und dem Enzio Trescore auch. Magst sie ja fragen.«

In der Kirche wandten sich die Köpfe.

Von der Orgelempore polterten dumpfe Schritte herunter, begleitet vom Knistern und Rauschen schwerer Seide und starren Brokats und dem leisen Klirren von Degenscheiden, die gegen den Stein schlugen.

Die Blicke gingen hinauf zur Westempore. Es schien, als schwebte der spanische Modehimmel über den Chor: Herren in Wämsern mit weit vorgewölbten Gänsbäuchen, die Damen in hochgeschlossenen Leibchen mit Schneppe, Männlein wie Weiblein mit prächtig aufgepluderten Ärmeln, um den Hals die mit Reismehl gestärkte Halskrause, einem Mühlrad gleich an Umfang, der die Herbergen an den Poststraßen und auch so manchen hochherrschaftlichen Haushalt mittlerweile dazu gezwungen hatte, die Stiele der Löffel beträchtlich zu verlängern.

Zwar sah man von unten über die Balustrade hinweg nur knapp die Hälfte der Pracht. Doch es prunkten und funkelten die reich über die Kleidung verstreuten Edelsteine der Adeligen, der hohen Hofbeamten, der Kleriker und reichen Kaufleute, die Macht und den Einfluß ihrer Träger unterstreichend, auf das gemeine Volk herunter.

Der Einzug war auch für mich das Signal, meinen Beobachtungsplatz im Volk aufzugeben, um das Geschehen auf meinem zugewiesenen Emporensitz weiterzuverfolgen.

Oben angekommen, erblickte ich als erstes die Gestalt des beredsamen Herrn Marx Fugger. Ein kostbarer Zobelpelz betonte die breiten Schultern, über die Brust wallte ein Patriarchenbart, darüber sprang eine kühn gebogene Nase aus einem kantigen Gesicht mit dunkelblauen Augen und einer ungewöhnlich hohen Stirn.

Auch jetzt redete er auf zwei Herren ein. Links auf den Geheimen Rat Dr. Justinian Moser, Visitator zu Innsbruck; rechts auf einen schlanken, jüngeren Herrn in eleganter, schwarzer spanischer Hoftracht, auf dessen Brust ein großer, in Gold und Perlen gefaßter Smaragd blitzte. Sein modisch gestutzter Bart und die kurzgeschnittenen Haare waren brandrot, die Augen graugrün, der Mund voll, sinnlich, etwas weich. Ein Mann, der im Augenblick Sorgen zu haben schien, vielleicht sogar so etwas wie Angst.

»Beunruhigt Euch nicht, mein lieber, junger Freund«, tröstete ihn der Herr Fugger. »Wir alle wissen, daß diese Angelegenheit für Euch nicht angenehm ist.«

»Nicht angenehm?« fauchte der Angeredete, während ihm das Blut ins Gesicht schoß. »Sie ist einfach abscheulich! Widerwärtig! Schändlich! Obszön! Jawohl: Obszön!«

»Mein verehrter Herr Doktor von Dreyling …«

»Wie stehe ich da vor dem allergnädigsten Erzherzog?« lamentierte der junge Mann weiter, ohne zuzuhören, schlug die ringbeladene Hand vor die Augen. »Mein Halbbruder als Aufrührer vor Gericht gezerrt! Als Staatsfeind entlarvt! Als Ketzer gebrandmarkt! Als gemeiner Verbrecher öffentlich hingerichtet!«

»Um der Jungfräulichkeit der Mutter Maria willen, redet leiser!« zischelte der Geheimrat Dr. Moser von der anderen Seite. »Deshalb haben wir doch das Berggericht von Schwaz ausgewählt, damit nichts offenbar wird – weil das Berggericht dafür gar nicht zuständig ist.«

Ein unglaublich fetter, kurzatmiger Prälat mit einem schweren Goldkreuz auf der Brust, Monsignore Umberto d’Angelis, der römische Beobachter des Prozesses, war hinzugetreten.

»Herr von Dreyling, niemand – ich betone: niemand! – ist daran interessiert, daß Euer Bruder Adam als Hochverräter vor Gericht kommt. Ihr nicht – und wir erst recht nicht!«

»Man wird Euren Bruder …«

»Halb! Halb-Bruder!«

»… Halbbruder«, fuhr Herr Marx Fugger fort, »wegen irgendeines bedeutungslosen Bergfrevels verurteilen und hinrichten – und damit ist die ganze Sache begraben und vergessen für die Welt.

Die Rechtslage ist klar. Herr Leoman von Schiller-Herdern, der Anklagevertreter, ist einer unserer besten Juristen und wird spielend mit solch einem Tölpel von Bergrichter, der ja nicht einmal ordentlich Jurisprudenz studiert hat, fertig. Die Geschworenen – sind meine Leute …«

»Ihr habt sie doch nicht etwa bestochen?« entsetzte sich Dr. Justinian Moser. »Ich meine, weniger aus moralischen Gründen, Herr Fugger. Aber wenn da etwas aufkäme …«

Marx Fugger zuckte verächtlich mit den Mundwinkeln.

»Haltet Ihr mich für einen Narren, hochverehrter Herr Geheimrat? Die Leute sind einfach von mir abhängig. Und wie das Sprichwort sagt: ›Wes Brot ich eß, des Lied ich sing’.‹«

Nach und nach kam so etwas wie Ordnung in das glitzernde Gedränge, als die edlen Herren und Damen endlich auf ihren Stühlen Platz nahmen. Die Damen waren auf den hinteren Stuhlreihen plaziert. Die aus Innsbruck und Rom, aus Wien, Venedig und Hall angereisten Herren ließen sich in den vorderen Reihen, direkt an der Balustrade nieder: Der quirlige Dr. Justinian Moser; der Monsignore Umberto d’Angelis; Jakob Pertolph, der fuchsgesichtige Münzmeister von Hall, dem man neben seinem unbestrittenen Können auch weniger rühmenswerte Eigenheiten nachsagte. Der feiste Vizestatthalter Karl Freiherr von Wolkenstein nebst seiner Gemahlin Johanna, einer Schwester des Herrn Marx Fugger. Daneben der Landrichter von Innsbruck, Augustin Strobele, dessen stets getragene Sorgenmiene fast schon Amtszeichen war. Auf dem übernächsten Stuhl der olivhäutige Messer Zenon Querini aus Venedig, ein Bruder des berühmten Provveditore Marcantonio Querini, der bei dem grandiosen Sieg der Christen bei Lepanto Anno ’71 über die Türken mitgefochten hatte. Neben ihm der puppensteife Don Cristóbal María de Alvarez als Beobachter der Katholischen Majestät von Spanien. Daran anschließend der junge Herr Dreyling – mit vollem Titel: Herr Dr. Johann Dreyling von Wagrain, Hochaltingen, Ebbs, Oberndorf und Stumm, Hofrat des Erzherzogs Ferdinand. Zu seiner rechten Seite setzte sich gerade ein kleiner, leicht bucklig wirkender Herr in giftgrünem Brokatwams mit fuchsroten Haaren und kurzgeschnittenem Bart, schmalen Lippen und gletschergrünen, stechenden Augen nieder: sein Oheim Hans Christoph Löffler, der berühmte Geschützgießer zu Innsbruck, dem der Erzherzog erst vor wenigen Tagen Patent und Schwert eines Barons zu Büchsenhausen überreicht hatte.

Zu seiner Linken hatte der Jesuitenpater Georg Scherer Platz gefunden. Hinter ihm hatte sich ein höchst ungleiches Paar niedergelassen: Der magere, vom Alter gebückte Mann mit scharfer Nase und ein paar schlohweißen Haarbüscheln an einem mit fleckiger Haut überzogenen Schädel, der auf einem dürren Hals mit vortretendem Adamsapfel balancierte, erinnerte mich entfernt an einen Geier. Seine Kleider, die, obwohl reich und kostbar, wie alte Lappen um seinen ausgemergelten Leib schlotterten, hatten etwas von hängenden Flügeln. Das einzig Lebendige an ihm waren seine Augen, die jede Sekunde eine junge, auffallend hübsche, wenn auch ein wenig blaß aussehende Frau an seiner Seite fast hämisch beobachteten: Katharina, die Tochter Hans Christoph Löfflers und seine, des Herrn Alexander Endorfers, Gattin.

Sonntag,der 4. Februar, 10.15 Uhr

Der Schlag der Uhrglocke drang aus dem Giebeldreieck der Kirchenfassade an jedes Ohr und schlug dort Alarm.

Alle Köpfe waren geradeaus gerichtet auf die Altarzone im Knappenchor und fixierten dort den Annen-Altar, hinter dem der Ausgang der Sakristei liegt.

Wie aus einer Felsenschlucht kamen die Geschworenen des Berggerichts hintereinander über die Ebene des Chores geschritten. Dreißig Fuß über Stein ging es bis zum endgültigen Standort – zur Geschworenenbank.

In der pelzverbrämten, kurzen aber weiten und dunkel gehaltenen Schaube mit farblich abgesetzter Hose, Wams und Barett der ehrgeizige Bergmeister Thomas Hasl. Als Aufseher über den Bergbau bekleidet er wohl das schwierigste Amt. Sowohl über die Technik der Grubenarbeit als auch über die Arbeitsmoral der Knappen hat er zu wachen. Der ständige Ärger hatte ihm tiefe Falten ins Gesicht gemeißelt. Seine Berichte an das Berggericht bildeten die Grundlage für einen Punkt der Anklage gegen Adam Dreyling.

Hinter ihm Abraham Schnitzer und Caspar Tanner, beide Schiener, Vermessungsingenieure am Falkenstein, Ringenwechsel und an der Alten Zeche. Viele Leute haben sich schon gefragt, ob die »Schienis« noch lachen können? Bei allen Neuschürfungen sind sie dabei, um die Richtung anzugeben, legen Grenzen fest, sind durch Genauigkeit bemüht, von vornherein zu vermeiden, zwischen den Ansprüchen der Gewerken - jener Gesellschaften oder Personen, die den Erzbergbau betreiben – aufgerieben zu werden. Bei den dauernden Grenzstreitigkeiten unter Tage, bei sinkendem Bergsegen wahrlich keine leichte Aufgabe.

Neben dem Paar saßen die »Heiligen Drei Könige«, wie sie von ihren Knappen beim Bier in der RATZENFALLE, gleich an der Alten Marktstraße, genannt werden: die Herren Schichtmeister Paul Hasselwarter, Hans Peer und Martin Posch, letzterer seit fünfzehn Jahren der Günstling des Bergmeisters Thomas Hasl. Sie überwachen den gesamten Bergwerksbetrieb bei Tag und Nacht im Namen des Landesherrn, Erzherzog Ferdinands II, durch Kontrollgänge und überzeugen sich vom ordnungsgemäßen Betrieb, der Pünktlichkeit der Knappen und der Qualität des gewonnenen Erzes.

Etwas abgesetzt von den ersten sechs Geschworenen kamen die restlichen fünf Männer auf die Bank zugeschritten. Sie nahmen einer nach dem anderen, beobachtet von tausend Augenpaaren, ihren Platz ein. Der gesenkte Blick verriet die Belastung, die der Fall Dreyling und die ungewohnte Öffentlichkeit auf die Männer ausübten.

Zyprian Gotzner. Scheu ging er, vom Rücken Haselwarters gedeckt, zur Geschworenenbank. Fast alle Knappen wußten, daß er als Bergschreiber seine Verpflichtungen überaus ernst nahm, jedoch Hemmungen hatte, mit ihnen ein Bier zu trinken.

Deutlich getrennt in der Bank – drei Ellen weg von Gotzner – der hitzige Silberbrenner Ambros Mornauer, der »Silberling«, wie er von den Knappen genannt wird. Bleich im Gesicht, und einen Kopf so blank wie eine frisch geprägte Silbermünze aus Hall. Die »Dämpfe«, so sagte er, hätten ihm das Haar genommen.

Als letzte der Prozession nahmen die Fronboten auf der Bank Platz. Asum Achner, Wilhelm Ygl und Caspar Clainer könnten Drillinge sein. Ihre Brutalität, mit der sie für Ruhe und Ordnung sorgten, war unter den Knappen und Wirten gefürchtet.

Erneut vernahm ich das Geräusch der sich öffnenden Sakristeitür.

Das Raunen in der Kirche schwoll ab, als hätte der Trennschieber den Wasserstrom auf ein Schaufelrad angehalten.

Zwei Gestalten schritten aus dem dunklen Altarraum ins Licht. Vorneweg Leoman von Schiller-Herdern, der Ankläger. Dahinter der altehrwürdige Bergrichter Erasmus Reisländer.

Leoman von Schiller-Herdern war eine Erscheinung, die sofort ein Gefühl der Abwehr hervorrief. Sein schwarzer Talar, von dem sich die kleine, weiße Halskrause deutlich abhob, verstärkte die Düsterkeit, die ihn umgab.

Seine Schriften und Reden, die er verfaßte, beweisen seine besonders leidenschaftliche Hinwendung zur Gegenreformation. Seine bekannt schroffe, kalte Art, Menschen zu behandeln, war gefordert bei dieser Aufgabe und gewünscht vom Hofe – besonders innig an jenem Tag. Seine juristische Ausbildung, die er bei den Jesuiten zu Ingolstadt erhalten hatte, machte ihn zur Speerspitze der Hoffnungen und zum loyalsten Vollstrecker der genauen Weisungen der Herren auf der Empore.

Seine kurzen Blicke zu uns herauf empfand Schiller-Herdern wohl wie einen Ringtausch zwischen ihm, der die Anklage vertrat, und den Politikern samt Geldadel, hoch über den blanken, kalten Steinplatten. Solch einer innigen Beziehung bedurfte es schon, um Hunger, Haß, Aufruhr, wirtschaftlichen Abstieg, die das ganze Tiroler Volk bewegten, auf einen einzigen Menschen vernichtend zu bündeln.

Sein Gesicht war scharf geschnitten, von einem dichten, schwarzen, am Kinn spitz zulaufenden Bart gerahmt, der den vollippigen, etwas zu groß geratenen Mund freiließ. Die schmale, lange Nase zwischen den eng stehenden Augen verstärkte das Stechen im Blick. Das Haar, so kurz wie der Bart, bedeckte den Schädel ebenso dicht wie jener das Gesicht. Die langfingrige rechte Hand umfaßte ein Bündel eng beschriebener Seiten: Protokolle aus Innsbruck, Aussagen des Angeklagten zur Person, vor allem aber die Anklageschrift. Die dunkel angelaufenen Tränensäcke waren die Quittung für das nächtliche »Talglicht-Abbrennen«.

Sichere Anklagepunkte wie beim Malefiz-Gericht, wo unter schwerer Folter alle geständig werden, wären eine wesentliche Erleichterung für die Anklage gewesen, besonders aber für die Urteilsfindung. Schiller-Herdern hatte es hier ein wenig schwerer. Bei Dreyling war kein Inquisitionsverfahren vorangegangen, bei dem das zur Aburteilung erforderliche Geständnis herausgefoltert werden konnte!

Bei Berggerichtstagen war es schon immer schwierig gewesen, über das Blut zu richten. Die Berggerichtsbarkeit ist ein von den Bergverwandten begehrtes und ein vom Bergrichter eifersüchtig gehütetes Recht. Sein Gerichtsstab schwebt nicht nur über den Köpfen derer, die mit dem Berg durch tägliche Arbeit zu tun haben, nein, er schwebt auch über den Frauen, Witwen, Kindern, und zwar im Leben und sogar im Tode – wie mir der alte Reisländer in seiner bestimmten Art vor vielen Jahren erklärte.

Nun, Leoman von Schiller-Herdern war deutlich gegen diese Gewaltenteilung. Die Zusammensetzung des Gerichtes an jenem Tag war freilich ein Sieg des Landgerichts. Der Bergrichter Reisländer hatte sich bis zuletzt gegen die Person Leomans als Ankläger gesträubt. Öffentlich warf er ihm Einmengung, Übergriffe, willkürliche Gefangennahme und den Versuch der Verurteilung eines seiner Untertanen vor. Am Ende hatte er aber doch zustimmen müssen, daß Leoman die Anklage vertrat.

Während dieser in dem großen, mit rotem Samt bezogenen Chorstuhl seinen Platz einnahm, schweifte der Blick des Bergrichters über den Knappenchor. Schnell prüfte er die Anordnung des Richtertisches, die Position des Anklägerstuhles, der nach seinen Anweisungen etwa sechs Ellen rechts vom Richtertisch aufgestellt war, sowie die Sitzordnung der Geschworenen.

Im gleichen Moment wurde ich überrascht durch das laute Getöse der sich von den Kirchenbänken erhebenden Menge.

Ich sah, wie Schiller-Herdern sich gequält aus seinem Stuhl erhob, auf den er sich vorschnell gesetzt hatte.

Erasmus Reisländer trat hinter den Richtertisch, wandte sich und stand voll in der einfallenden Sonne – unnahbar, ja majestätisch. Sein Kopf hob sich, seine Augen fixierten durch den Dunst hindurch die Männerreihe vor mir an der Balustradenkante.

Wir saßen! Ich war mir sicher, er fühlte den Unwillen und die Mißachtung, die ihm und seinem Bergrichteramt entgegenschlugen.

Mit dem Atem, der aus seiner Lunge gleichmäßig strömte, zitierte Reisländer langsam, tragend, aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums:

›»Im Anfang war das Wort … nicht die Tat … nicht die Macht, sondern die im Wort sich öffnende Wahrheit!‹«

Die Worte hallten zurück wie ein Echo am Berg.

Links von ihm stand der Gerichtsdiener, der auf beiden Händen den Richterstab trug. Der Stab wird Keilhaue oder auch Judenhammer genannt und ist aus purem Silber gegossen – einerseits Amtszeichen, andererseits Sinnbild der Gerichtsherrschaft. Wer ihn hält, hat die Macht und spricht das Urteil.

Reisländer wandte sich dem Gerichtsdiener zu, ergriff den Stab und intonierte die traditionellen Worte:

»Um allezeit der Gerechtigkeit hier Gehör zu verschaffen, übernehme ich zu dieser Stunde an diesem geweihten Ort die Berggerichtsherrschaft. Ich eröffne den Prozeß gegen Adam Dreyling, heute am Sonntag, dem 4. Februar im Jahre des Heils 1590.«

Daraufhin nahm er auf dem Richterstuhl Platz, lehnte sich zurück und blickte hinüber zur Bank der Geschworenen. Jedem einzelnen der elf sah er in die Augen, hielt den Blick, ließ nicht zu, daß einer ihm auswich.

Seine Augen herrschten und beobachteten, während die Hände zuerst das Pergament sicher sortierten und danach ausbreiteten. Der Richterstab lag rechts neben ihm. Das einfallende Licht betonte den Kopf und hob ihn aus dem Schatten hervor, machte ihn zum Zentrum auf der Altarebene. Auf ihn allein konzentrierten sich die Menschen beider Chöre. Von ihm wurden sie angesogen – ein Augenblick jenseits von Ort und Zeit.

»Diese frontale Darstellung ist allein dem Erlöser vorbehalten!« keuchte Monsignore d’Angelis. »Wer verschafft ihm diese Bühne? Der Tisch gehört rechts hinunter an die Wand – diese Pose an diesem Ort ist ein Frevel!«

»Ich kenne ihn. Er selbst hat die Position genau gewählt – er beobachtet seine eigene Wirkung – er hat einen Instinkt dafür, seine Richterrolle wirksam zu spielen. Ich war von vornherein dagegen, das so aufzuziehen!« erregte sich Dr. Justinian Moser.

Reisländer erhob sich wieder von seinem Stuhl, um die Besetzung des Berggerichts zu verkünden:

»Ankläger gegen Adam Dreyling: der Kanzler von Tirol, Herr Leoman von Schiller-Herdern.«

Schiller-Herdern schnellte gespannt wie eine Fidelsaite empor. Danach gab Reisländer die Namen der Geschworenen des Berggerichts bekannt. Die Keilhaue pochte zweimal auf den Richtertisch. Das Signal lockte die Aufmerksamkeit hinüber zum Westportal, dem Seiteneingang gleich gegenüber der Totenkapelle, in der Adam Dreyling auf seinen Prozeß wartete.

»Fronboten! Den Angeklagten!«

Sonntag,der 4. Februar, 10.25 Uhr

Abertausend Köpfe drehten sich seitlich zum Westportal, durch das der Delinquent nun hereinkommen mußte.

Das Portal öffnete sich.

Eisen klirrte.

Die Menschen davor wurden von den groben Fäusten der Büttel auseinandergeschoben. Von der Empore aus wirkte es wie eine Welle der Unruhe, die sich quer durch die Menge wälzte.

Voran stapfte der Fronbote Nicklas Findler, ein in die Breite gelaufenes, kurzbeiniges Mannsbild mit grellroten Pluderhosen, Brust und Rücken in blanken Stahl gepanzert, das stählerne Schützenhäubl auf dem runden Schädel über dem aufgedunsenen Gesicht, dessen Farbe die deutliche Liebe seines Trägers zu Bier und Branntwein verriet.

Dahinter, von vier Bütteln halb gezerrt, halb gestoßen – der Angeklagte.

Sehr verändert hatte er sich nicht in den bald 16 Jahren, seit ich ihm zum erstenmal in Schwaz begegnet war. Immer noch so schlank und geschmeidig wie damals. Immer noch dieser Hochmut in den dunkelblauen Augen, die im Zorn fast schwarz wirken können. Immer noch der spöttische, beinahe arrogante Zug um die Mundwinkel. Die Haare, der Bart waren nun der Mode gemäß kürzer geschnitten, und in das Schwarz mischte sich vereinzeltes Grau.

Was hatte er bewegt mit seinem Drang zur Perfektion, der alles überrollte, um nur eines zu erreichen: das gesetzte Ziel!

Auch in Ketten wirkte er noch immer wie der Mann, der wie selbstverständlich stets sich und anderen das Höchste abverlangte.

Auch Reisländer schien dies zu spüren. Zornig musterten die Blicke des alten Bergrichters die zerrissene, mit Stroh, Schlamm und eingetrocknetem Erbrochenen verschmutzte Kleidung des Gefangenen, die schweren, eisernen Handschellen, das Halseisen mit den rasselnden Ketten, die zu den Fußeisen herabhingen, die groben Stricke, mit denen die Oberarme an den Körper geschnürt waren, den langen, kaum verschorften Riß an der Wange.

Nicklas Findler, der Fronbote, stieß den Gefangenen zur vorderen Ecke der linken Bankreihe, wo aus dem Fußboden ein in weißen Stein gemeißelter Totenkopf heraufgrinst.

»Da! Knie dich hin, du Drecksack!«

Ein brutaler Stoß, ein Tritt.

Kettenklirrend stürzte Dreyling schwer zu Boden.

Der Hammerschlag des Bergrichters knallte wie ein Schuß durch den Kirchenraum.

»Gleich seid Ihr selbst in Ketten gelegt, Fronbote!«

Nicklas Findler zuckte zusammen, »’s ist allgemein der Brauch im Land, daß der Verurteilte seinen Spruch auf Knien hört.«

Die Stimme Reisländers war kälter als der Gletscher des Schrankogels, als er sich an alle in der Kirchenhalle Versammelten wandte:

»Merkt Euch dies: Das Berggericht ist kein Malefizgericht!« Und wieder zum Fronboten: »Und jetzt heb den Angeklagten auf und nimm ihm die Ketten ab!«

Findler winkte seinen Bütteln.

Doch Erasmus Reisländer fuhr dazwischen: »Das Gericht hat Euch etwas befohlen, Fronbote. Euch!«

Nicklas Findler bückte sich. Zerrte den Angeklagten am Arm auf die Füße. Kramte einen Schlüssel aus seinem Beutel. Schloß umständlich die Schlösser der Handschellen und des Halseisens auf. Mußte sich schließlich auf ein Knie fallen lassen, um die Fußeisen aufzusperren.

»Fronbote!«

Der Angesprochene drehte sich unwillig zum Richtertisch.

»Weshalb ist der Angeklagte in diesem Zustand?«

»Welchem Zustand?« versuchte sich Findler dumm zu stellen.

»Verdreckt, zusammengeschlagen, verletzt.«

Findler zuckte mit den Achseln. »Als man ihn in Krakau verhaftete, wird er sich vielleicht gewehrt haben.«

»Das ist viele Tage her. Die Verletzungen sind frisch!«

Nicklas Findler warf einen hilfesuchenden Blick zu uns herauf.

»Antworte, Fronbote!«

»Nun … nun ja … gestern abend … Da sollte er ein Protokoll unterschreiben …«

»Was für ein Protokoll?«

»Seiner Untaten.«

»Ein Geständnis also.«

»Ja. Man meinte, daß Euch das heute viel Zeit und Mühe ersparen würde.«

»Wer ist ›man‹?«

Wieder blickte er – diesmal ein stummer Hilfeschrei – herauf zur Empore.

»Antwortet!« herrschte ihn der Bergrichter an.

»Der … der Herr Endorfer«, stotterte Findler, »und der Herr Baron Löffler …, und der Herr Pater Georg Scherer war auch dabei, hat aber nur Protokoll führen sollen …«

»Weiter! Wer noch?« forderte Reisländer.

»Der Herr Kanzler Schiller-Herdern – war aber nur anwesend.«

»Und?«

»Der … der … der Herr … Herr Marx Fugger.«

»Waren das alle?«

»Ja.«

»Hat der Angeklagte dieses Protokoll freiwillig unterschrieben?«

»Nein.«

»Und dann sind die Herren dazu übergegangen, ihn zu malträtieren?«

»Ja.«

»Und hat er dann unterschrieben?«

»Nein.«

»Ihr könnt gehen, Fronbote.«

Alexander Endorfer hob die Hände, daß die Ärmel wie Flügel wehten, ruckte mit dem Kopf und sah mehr denn je aus wie ein Geier, der bereit war, sogleich ins Kirchenschiff hinunter zu flattern. Hans Christoph Löffler krallte die starken Finger in die Armlehnen seines Sessels, daß die Gelenke weiß hervortraten. Herr Marx Fugger war erstarrt, sein Mund stand offen. »Eure Leute!« zischte Monsignore d’Angelis empört.

In den Augen der schönen Katharina Endorfer glomm so etwas wie Hohn. Und auch um die Mundwinkel des Angeklagten zuckte es spöttisch.

Reisländer lehnte sich in seinem hohen Stuhl zurück. Er fixierte den Gefangenen:

»Jeder hier weiß, wer Ihr seid, doch um dem Protokoll des Gerichtes Genüge zu tun, muß ich Euch fragen: Wer seid Ihr? Nennt uns Euren Namen, Eure Herkunft, Euren Stand.«

»Ich bin Adam Dreyling, Herr zu Wagrain, Ebbs, Oberndorf und Stumm, Ritter des Ordens vom Schwert.«

Seine Stimme klang für mich wieder vertraut. Ein weicher Bariton, nicht laut, und doch war sie hörbar bis in den hintersten Winkel der Liebfrauenkirche:

»Ich wurde am 13. September, im Jahr des Herrn 1549, hier zu Schwaz geboren. Mein Vater war Hans Dreyling, genannt der Ältere, von Steineck, Herr zu Wagrain. Meine Mutter Barbara war die Tochter des Hans Katzbeck von Winkel, Zollherr in Lueg am Brenner und seiner Ehegattin Anna Kaufmann, Gewerkentochter aus Schwaz.

Der Euch bekannte Hofrat Erzherzog Ferdinands, Dr. Johann Dreyling, Herr zu Wagrain, sowie Herr Kaspar Dreyling zu Wagrain und Hochalting sind meine leiblichen Brüder.«

Dr. Johann Dreyling auf der Empore wollte aufspringen, wollte brüllen: »Halb-! Halbbruder!«

Die eisenharte Hand seines Onkels Hans Christoph Löffler auf dem Arm zwang ihn auf die Bank zurück.

»Ich war in erster Ehe verheiratet mit Maria Katzbeck, Tochter des Faktors Benedikt Katzbeck aus Schwaz, die am 2. Mai 1574 ermordet wurde.«

»Ermordet?« Die buschigen, weißen Augenbrauen Reisländers zogen sich zusammen. »Ihr gebraucht ein hartes Wort, Herr Dreyling zu Wagrain. Es wurde nie Anklage erhoben.«

»Von wem denn auch?«

Für einen Augenblick war es totenstill in der weiten Kirchenhalle.

Dann fuhr Reisländer ruhig fort: »Was ist Euer Beruf?«

»Ich habe bis zum meinem 16. Lebensjahr die Lateinschule der Brüder des heiligen Franziskus hier in Schwaz besucht und sollte dann an die Universität nach Ingolstadt gehen. Doch dann erschien es wichtiger, daß meine beiden jüngeren Brüder Johann und Kaspar, die Söhne meiner Stiefmutter Regina, Tochter des Gießermeisters Gregor Löffler zu Innsbruck, dieser Ehre teilhaftig werden sollten. Ich wurde in den Berg geschickt.«

»Erschien Euch das als Schande?«

»Nein, Herr, auch wenn die Universität meine Lehrjahre als Säuberbub und Truhenläufer vielleicht verkürzt hätte. Auch wenn ich nach Ingolstadt gegangen wäre oder wie mein Bruder, der gelehrte Dr. Johann, gar zu Padua studiert hätte, ich wäre immer gern in den Berg gegangen. Ich liebte den Berg. Ich verachte ihn nicht, selbst wenn er jetzt mein Grab werden sollte.«

»Und weiter …«

»Ich wurde Häuer, Schiener. Ich heiratete. Ich war zufrieden, ich war glücklich bis zu jenem Jahr des Unheils 1574.«

»Ihr habt in diesem Jahr Schwaz verlassen?«

»Ja.«

»Und später?«

»War ich Werkführer bei meinem Stiefonkel Hans Christoph Löffler, Geschützgießer zu Innsbruck. Ich habe zu Venedig versucht zu arbeiten, später in England und Polen, bis zu jener Nacht, in der ich überfallen, niedergeschlagen und in Fesseln hierher geschleppt wurde, um die Rolle als Sündenbock wieder aufzunehmen, die mir Anno ’74 die Herren Fugger schon zugemessen hatten.«

Dreyling verstummte.

»Die Anklagepunkte!« befahl Reisländer.

Sonntag,der 4. Februar, 10.40 Uhr

Leoman von Schiller-Herdern fixierte Adam Dreyling.

Dieser stand mit gesenktem Kopf auf der Totenplatte. Seine Haltung, wie auch seine Ausführungen zu seinem Lebenslauf, erweckte den Eindruck von Resignation.

Leoman trat zwei Schritte vor, ein Bündel Pergamente in der rechten Hand. Er hatte einen einzigen Auftrag, ein einziges Ziel: den Tod Dreylings.

»In nomine Domini, Amen!«

Leoman von Schiller-Herderns Stimme war schneidend, durchdringend, klar und vernehmlich; die Tonlage hell, metallisch:

»Acta iudiciorum et alia quelibet negotia que tractantur in tempore …«

»Bedient Euch unserer Sprache«, stoppte Reisländer den Beginn der Ausführungen des Anklägers, »damit jeder Euch versteht.«

»Nichts anderes, Bergrichter«, entgegnete von Schiller-Herdern schnell, »ist Ziel und Zweck meiner Rede. Den Tisch des Wortes, den ich wahrhaftig und reichlich zu decken entschlossen bin, wird jedermann verstehen, so wahr ich hier stehe!«

Er wandte sich ab und begann neuerlich:

»Edle, ehrwürdigste und gütigste Herren, Volk von Tirol, Berggemeinde von Schwaz.

Gerichtliche Handlungen und andere zeitliche Geschäfte müssen, damit sie nicht mit der Zeit vergehen, durch die Zunge der Zeugen und das Zeugnis der Schrift verewigt werden wegen des Gedächtnisses der Menschen, das schwach ist und hinfällig.

Im Gedächtnis geblieben ist uns allen, durch die Zungen der Zeugen, das schwere Jahr 1574.«

Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf Dreyling und steigerte seine Lautstärke:

»Dieses unheilvolle Jahr mit seinen Auswirkungen auf uns alle ist mit seinem Namen verbunden. Unauslöschbar! Jeder weiß es.

Adam Dreyling! Knöpfe deine Ohren auf: Ich klage dich an, der alleinige Anstifter des Aufruhrs von 1574 zu sein, mit allen seinen Folgen, der kurz darauf zum Knappenaufstand führte, ja, sich zum Angriff auf unseren ehrwürdigen, durchlauchtigsten Landesfürsten und die Gewerken entwickelte, aber unter dem die Knappen mit ihren Frauen und Kindern, wie jeder sehen kann, noch heute leiden.«

Beifällige Töne durchsetzt mit Rufen: »Richtet ihn! – Sein Blut! - Sein Blut!« bestätigten dem Ankläger, daß er die Stimmung in der Kirche richtig erfaßt hatte.

Leoman von Schiller-Herdern hämmerte in die Kirchenhalle:

»Des weiteren klage ich dich an, wertvolle Bergbaugeheimnisse, besonders die von uns entwickelte Wasserkunst, an die Polen verraten zu haben, um uns dauerhaften Schaden beizubringen. Und das erst im vergangenen Jahr!«

»Verbrennen – an den Galgen – vierteilen – rädert ihn – in den Schacht!« kochte der Zorn aus der Menge hoch.

»Höre nun, Dreyling, höre Knappenvolk und du, Volk von Tirol!

Begründete Anklagen erfordern Maßstäbe, und gerechte Anklagen erfordern, daß alle mit gleichen Maßstäben verurteilt werden. Dem wird jeder zustimmen. Aufruhr ist keines Gerichts, keiner Gnade wert! Die Anstifter, und das ist der einzige Maßstab für diese Brut, sind sogar unter Heiden, Juden und Türken dem Tod überantwortet. Aufruhr wurde auch bei Luther – hörst du, Dreyling -, sogar bei Luther, dem Ketzer, ohne Gnade und Barmherzigkeit begegnet.

Darum ist hier nicht mehr zu tun, als Dreyling eilig zu richten, um damit Gottes Urteil zu vollenden.

Du hast der Berggemeinde und den Untertanen das Lärmen eingeblasen zum Aufruhr wider die Gewerken, wider die Obrigkeit, wider den Fürsten und Herrn.

Dreyling, du hast auch darin den Weg zum Knappenkrieg bereitet, indem du gerufen hast:

›Ein Christ ist frei von allen Gesetzen, und seinem Willen können weder Menschen noch Engel etwas auferlegen. Lasset eure Schwerter und Geräte nicht kalt werden, wärmt sie im Blut der gottlosen und bösen Obrigkeit! Wärmt sie im Blut der Tyrannen in den Gewerken und im Blut der mörderischen Fürsten!‹

Wer zu blutigen Anschlägen aufhetzt wie er, Volk von Tirol, Berggemeinde von Schwaz, ist einer Todsünde schuldig, die hier wie in der Hölle gesühnt werden muß.

Dreyling, die Wahrheit schwimmt wie Öl auf dem Wasser, für jeden sichtbar. Wer das nicht sieht, dem antworte ich, daß die christlichen, katholischen Fürsten notgezwungen sind, gegen den Aufrührer Dreyling mit aller Schärfe vorzugehen, wollen nicht die Berggemeinde mit all ihren Nachkommen, aber auch Land wie Leute, mit Leib und Leben, ja, gar um Gott und seine heilige Religion kommen!«

Adam Dreyling hob den Kopf. Seine geschlossene linke Hand öffnete sich. Sein Arm hob sich, so daß der Zeigefinger wie ein Pfeil auf den Kopf Schiller-Herderns zielte:

»Womit beweist du das, Ankläger?«

Diese Worte trafen Leoman völlig unvermutet. Und schon fuhr Dreyling fort: »Ist in dir noch ein Tropfen Redlichkeit und ein Funken der Ehrbarkeit, so beweise deine Geschichte!«

Der Zeigefinger zielte weiter auf den Kopf Leomans – genau zwischen die Augen.

»Beweise es, sage ich! Hörst du, Ankläger: Beweise es!

Lasse uns die verfälschten Worte deiner Zeugen hören!

Wie heißen deine Zeugen?

Wo wohnen sie?

Wer hat sie denn verhört?

Von wem ist das aufgeschrieben worden?

Warum machst du so ein Geschrei, Ankläger, als ob ein Mord passiert wäre? Oder willst du ihn durch dein Gerede wahr machen?

Ja, hättest du einen redlichen Zeugen gefunden, du hättest ihn nicht verschwiegen, sondern groß herausgestellt!

Ich aber habe 1574 meine geliebte Frau verloren und mein ungeborenes Kind! Ich! Nur ich! Nur ich habe gleich zwei Menschen verloren … Durch Mord!

Warum redest du also so verschlagen und so verzwickt?«

Adam Dreyling stand breitbeinig auf der Totenplatte. In der Hallenkirche war es still geworden.

Langsam ließ Dreyling seine Hand sinken, mit der er Schiller-Herderns Kopf wie mit einem Pfeil festgeheftet hatte.

Der Ankläger streckte sich, donnerte von seinem Platz in beide Chöre:

»Seht hin und hört alle genau zu!«

Seine Hand wies nun seinerseits auf Dreyling, der sich mit der rechten Hand über Mund und Wange wischte.

»Seht genau hin: Dreyling wischt sich das Maul und leugnet!

Er habe die Knappen keineswegs aufgewiegelt.

Er will das Opfer sein.

Er will die Fragen stellen, die er beantworten soll.

Er fragt nach Zeugen und Beweisen!«

Leoman von Schiller-Herdern stand auf den Zehenspitzen, ballte die Hand zur Faust. Seine Stimme hatte eine Lautstärke erreicht, die bei den Menschen Beklemmung hervorrief:

»Es sind seine Worte, seine unverschämten Fragen, mit denen er versucht, auseinander und vorüber zu reden! Genau eben diese Reden«, Leoman stieß im Takt zu seinen Worten die Faust nach oben und wiederholte: »Genau diese Reden – wir haben sie alle vernommen! Sind das nicht wahrlich Kostproben seines aufwieglerischen Könnens, Kostproben seines rebellischen Geistes?

Aber, Dreyling, höre, du hast nur eines nicht bedacht: Deine Reden beschuldigen und überfuhren dich! Nur wer diese Sprache kennt, wer so offen seine Art zu reden hier vorführt wie du, der hat in dieser Minute bewiesen, daß er den Frieden und die Wohlfahrt der Tiroler Nation zu gefährden weiß, ja gar aufzuheben versteht!

Was sollen wir aus deinen Worten anderes schließen …«

Dreyling fiel ihm zornig ins Wort:

»Schließen sollt Ihr daraus, daß Irren schändlich ist! Noch schändlicher ist es aber, den bewußten Irrtum zu verteidigen! Am allerschändlichsten ist es aber, den Irrtum, Ankläger, nicht abstellen zu wollen, sondern ihn zu mehren und aufzuhäufen wie taubes Gestein vor den Stollenlöchern am Falkenstein!«

Das Schlagen des Judenhammers lähmte alle weiteren Worte.

»Es ist genug!« unterbrach der Bergrichter ärgerlich die Auseinandersetzung. »Ankläger! Verzichtet auf Verdrehungen und Verdunkelungen des Streitpunkts, denn damit steht Ihr jenseits von Falsch und Richtig. Bringt die Wahrheit an den Tag – und nichts anderes als die Wahrheit! Ich wünsche eine ordnungsgemäße Befragung des Angeklagten!

Und Ihr, Angeklagter, beantwortet im Namen Gottes redlich die gestellten Fragen. Schwört ab den Angriffen und haltet Euch ebenfalls an die Regeln!

Ankläger, beginnt endlich mit der Befragung!«

»Angeklagter«, nahm Schiller-Herdern erneut Anlauf. »Da du ein frommer Zögling sein und kein Wasser trübe gemacht haben willst, dabei sogar protestierst, du hättest nichts Böses getan – so begehre ich von dir, Dreyling, drei Dinge zu wissen:

Warum warst du Anno Domini 1574 der Anführer des Knappenhaufens?

Warum hast du die Knappen nach Hall geführt in offenem Aufruhr, in den du auch noch die Bauern mit hereingezerrt hast?

Und schließlich: Warum hast du die Nacht davor das Haus unseres ehrwürdigen Herrn Markus Fugger gestürmt und verwüstet?

Antworte!«

Adam Dreyling, der bis dahin den Knappen, der Berggemeinde, den hohen Herren auf der Empore, dem Tiroler Volk seinen Rücken zugekehrt hatte, drehte sich langsam um:

»Knappen von Schwaz! Ich habe gehört, daß etliche unter Euch mir nach dem Leben trachten und begierig sind, ihre Hand in meinem Blut zu waschen. Euer Durst nach meinem Blut wird aber vergehen, wenn Ihr bereit seid zu prüfen, ob ich oder wir allesamt damals, Anno ’74, tatsächlich zum offenen Aufruhr wider die Obrigkeit ins Feld gezogen sind oder nicht …«

1Die Katastrophe

Schwaz1574

1. Tagebuch Adam Dreyling

Montag, der 26. April

»Ich erwarte Euch dringend im großen Raber-Liegendbau!«

Die Nachricht von unserem »Bergschrat«, dem Schichtmeister Peter Gstein, verhieß nichts Gutes.

Gegen Mittag krieche ich durch den niederen Verbindungsstollen zu unserem reichsten Erzlager. Als ich mich tief gebückt durch den engen Gang zwänge, gurgelt mir das Wasser bis über die Knie. Schon jetzt zum Beginn der Schmelze, haben sich die plätschernden Rinnsale zu kleinen Wildbächen zusammengeschlossen. Das große Wasserrad kann den Schrägschacht gerade noch trocken halten. Die Arbeit der Männer ist noch schwerer als sonst, stehen sie doch teilweise bis zu den Hüften im eisigen Wasser. Dann bin ich durch, richte mich auf, atme mir die erdrückende Enge des Stollens aus der Brust.

Wie immer bin ich überwältigt von der Majestät dieser riesigen, einst mit Fahlerz gefüllten Kaverne, die sich schräg nach oben zieht. Der Berg ist an dieser Stelle schon vor mehr als sechzig Jahren buchstäblich von oben her ausgekratzt worden. Die Kluft über uns, mal enger, dann wieder sechs bis sieben Lachter breit, führt über fünfzig Lachter zum Eibelschroffen hinauf. Das flackernde Licht der blakenden, in Mannshöhe an den Wänden steckenden Kienspäne reicht gerade aus, uns hier unten den Weg zum neuen Schacht und Stollen zu weisen. In der Höhe verliert sich die gewaltige Spalte im Dunkel, während das flimmernde Licht der Grubenlampen auf die Wände und Felszacken tanzende Schatten wirft.

Die fünf Lachter breite Sohle, auf der ich stehe, ist mit Erz versetzt. Wir haben den weiteren Verlauf der Erzgänge, die sich hier in die Tiefe ziehen, aufgefunden und hoffen auf einen reichen Abbau ohne große zusätzliche Schwierigkeiten.

Linker Hand, keine dreißig Schritt vor mir, ein hell ausgeleuchteter Schacht am Ostende dieses Verhaues. Senkrecht fällt der Schacht in die Tiefe, hinunter in den Teil des Abbaus, in dem wir ein neues, gewaltiges Erzlager vermuten.

An seinem Rand vier Knappen, von denen zwei die hochgestemmten, vollen Wasserkübel in Empfang nehmen und hinter sich auf die Sohle ausgießen, wo wahre Bäche dem Gefälle zum Sigmund-Erbstollen folgend davongurgeln. Die anderen zwei Knappen befördern die leeren Kübel an einem Seil wieder in die Tiefe.

Die ledernen Kübel werden genauso weitergereicht wie früher vorne im Schrägschacht zu den Tiefen Bauen, den Stollen unter den Wassern des Inn, ehe das große Pumprad, unsere berühmte Wasserkunst, eingebaut wurde.

Wie nasse Ratten stehen sie, einer über dem anderen, mit dem Rücken gegen die Leitern gelehnt vom Schachtsumpf herauf bis zur Sohle des Schachtreviers Raber-Liegendbaue. Bei der gebotenen Eile vergießen sie genügend Wasser, auch wenn die Kübel und Kannen sich nach oben verjüngen. Das Wasser trieft auf die tiefer stehenden Knappen und Häuer herab, durchnäßt in Minuten auch das beste Lederzeug.

»Glück und Heil, Herr Schiener.«

Über dem Rand des Abstiegs erscheint der Kopf des »Bergschrats« Peter Gstein. Sein schwarzer Haarschopf besteht aus unzähligen Wirbeln, die seine breite Stirn verdecken, danach folgt eine schmale Nase zwischen blauen wachen Augen, dann ein voller schwarzer Bart.

Mit sicherem Schritt schwingt er sich über das Ende der Leiter - klein, stämmig, mit schweren Schultern, naß bis auf die Haut. Wir schütteln uns die Hände.

»Gibt es Schwierigkeiten, Peter?«

»Wasser!«

Ich zucke mit den Schultern. »Jetzt bei der Schneeschmelze auf den Bergen …«

Doch der Bergschrat schüttelt energisch den Kopf:

»Schaut es Euch selber an, Schiener. Das ist nicht nur Schmelzwasser. Das ist etwas anderes! Etwas Übles!«

Wir klettern zusammen die Leitern hinunter, vorüber an den Wasserträgern, stehen schließlich hüfttief im eiskalten Wasser am Ende des Stollens vor Ort.

Hier ruht die Arbeit.

Ich ziehe fragend die Augenbraue hoch.

Peter Gstein klopft mit dem Berghammer leicht gegen den Felsen.

Es bröckelt, bröselt.

»Schiefer! Alles Bruch und Dreck!«

Niemand liebt die schwere Arbeit in dem harten Dolomit, der die Erzgänge führt. Aber wenn wir etwas fürchten, dann den weichen Schiefer. Er bröckelt, bröselt, schiebt in Platten unkontrolliert nach und ist naß wie ein Schwamm.

»Der Herr Siegmund Fugger meint, das Erz gehe hinter dieser Schicht mit Sicherheit weiter«, stellt Gstein fest.

»Und Ihr?« frage ich.

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich’s weiß … Das Erzband zieht sich von Nordosten hier nach Südwesten herunter. Nach Westen und Osten ist nichts mehr, das ist sicher. Und jetzt haben wir die Wahl: Entweder wir brechen weiter nach Nordosten durch den Schiefer und hoffen das Beste – oder wir müssen diesen Abbau aufgeben.«

Wir sehen uns nachdenklich an.

»Was würdet Ihr tun, Peter?« frage ich schließlich.

Der Bergschrat ist nicht nur ein erfahrener Schichtführer. Er kennt den Berg trotz seiner jungen Jahre wie kaum ein anderer. Hat dazu ein Wissen um die Gesteine und ihre Eigenheiten wie wenige und würde es gewiß in ein paar Jahren zum Schiener, wohl auch einmal zum Bergmeister bringen. Ich halte viel von seinem Rat, mehr jedenfalls als vom Wissen unserer hohen Herren Marx und Siegmund Fugger.

Um uns hat sich inzwischen ein Grüppchen von Häuern und Knappen versammelt. Ich erkenne die knorrige Gestalt des ehrlichen Korbi Brandhuber, den eifrigen Kunz Weidinger, der mit 17 Jahren erst letzte Woche seine Häuerprüfung abgelegt hat, den ewigen Spaßvogel Nandl Kunzmaier, das Sorgengesicht des Jos Ammer, der eine Schicht nach der anderen schiebt, um die hungrigen Mäuler seiner acht Kinder voll zu bekommen, daneben Adelwart Demmer, den vierschrötigen Vormann der Wasserleute.

Gstein läßt sich Zeit mit der Antwort:

»Also: Ich würde meine Finger von dem Schiefer lassen.«

»Den Abbau hier aufgeben?« vergewissere ich mich.

Ein Aufstöhnen geht durch die Reihen der Knappen. Der Schichtmeister nickt langsam: »Besser als ersaufen.«

»Wegen des Wassers im Schiefer?«

»Ich meine wegen des Wassers, das hinter dem Schiefer kommt. Schaut Euch die Platte an: sie ist schräg zu uns geneigt, zieht sich über unsere Köpfe nach oben weiter.

Die Situation ist die: Der Schiefer hält das Wasser zurück – und wir stehen hier auf der trockenen Seite.«

»Heilige Scheiße!« knurrt Adelwart Demmer. »Wenn du das trocken nennst, Peter, wie sieht dann naß eigentlich aus?«

Gstein fährt fort: »Sollte dahinter eine Wasserkaverne sitzen, dann saufen wir so schnell ab, daß wir nicht einmal mehr Zeit haben, das Kreuzzeichen zu schlagen!«

»Und wenn wir den Schiefer nicht durchschlagen und den Abbau hier aufgeben, hängt uns der Herr Marx Fugger eigenhändig am höchsten Galgen an den Eiern auf«, stellt Nandl Kunzmaier mit schiefem Grinsen fest.

»Bis wir wieder – falls überhaupt – solch ein Vorkommen finden, können Jahre vergehen«, klagt Jos Ammer entsetzt. »Und was wird dann aus unserem Lohn?«

»Dabei hab’ ich erst zu Lichtmeß den Hutmann Karl Gerdolf mit zwanzig Dukaten geschmiert, damit ich hier arbeiten kann«, murrt Karl Viehbauer.

»Du hast was getan, Viehbauer? Du weiß doch ganz genau, daß derlei strengstens verboten ist …«

Der grauhaarige Häuer zuckt mit den Schultern. »Natürlich weiß ich’s. Aber die guten Plätze bekommst du nun einmal nur, wenn du den Gerdolf schmierst. Ist doch wahr! Ich bin lange genug anständig geblieben, hab’ mich an die Berggesetze gehalten – und dafür endlose Gänge durch totes Gestein gekratzt!«

Die Häuer murmeln zustimmend.

»Was machen wir mit dem verdammten Schiefer? Eure Entscheidung, Schiener!«

»Meine Entscheidung …«, wiederhole ich gedankenversunken.

Letztlich die Entscheidung des Bergmeisters Erasmus Reisländer, gewiß. Aber es ist mein Revier, also liegt ein Gutteil der Verantwortung auch bei mir …

Stellen wir den Abbau ein, ist bei den Herren Fugger der Teufel los. Lassen wir weitermachen, und es geschieht ein Unglück – daran wage ich nicht zu denken …

Ich muß mit unserem Bergmeister sprechen.

Für den Augenblick bestimme ich: »Bändigt vor allem das Wasser. Aber: Keiner rührt an den Schiefer!«

Ich bin bereits auf dem Weg nach draußen, als das Dröhnen der Campana, der großen Glocke, das Schichtende einläutet. Minuten später höre ich das Hämmern und Schlagen der Schichtführer am Holzwerk der Schächte, die das Zeichen in die Tiefe weitergeben. Obwohl ich schon seit Jahren im Berg arbeite, ist es auch für mich immer wieder ein eindrucksvolles Erlebnis, wenn mehrere hundert Männer in den Schächten und Stollen das Signal mit ihren Fäusteln durch den Dolomit des Falkensteins schicken, indem sie an die Felswände klopfen. Das dumpfe Klopfen wird durch den Berg verstärkt, als ob er antworten wolle. Auch der entfernteste Knappe im Stollenlabyrinth weiß, daß in diesem Augenblick die Frau, die Mutter, die Schwester oder der Bruder für ihn im Knappendorf die Mahlzeit auf den Ofen setzt.

Aber auch die Grubenlampen sind für viele eine verläßliche Uhr, nämlich dann, wenn der eingefüllte Unschlitt zu Ende geht. Aus den zahllosen, verwinkelten Gängen, die in den großen Sigmund-Hauptstollen münden, tauchen die kleinen Lichter der Bergleute auf. Durchnäßt, verdreckt, verschwitzt schlurft die Kette der Männer dahin, platscht durch das Wasser, das jetzt selbst die erhöhten Bretterböden in den Stollen Schwall um Schwall knöcheltief überflutet. Den pulsierenden Schwall verursacht die stierlederne Bulge der großen Lasser-Maschine, die alle sechseinhalb Minuten ihre 1400 Liter aus den Unteren Bauen in den nach draußen führenden Stollen entleert.

»Glück und Heil, Herr Schiener«, grüßen die Männer, die mich erkennen. Andere stapfen grußlos vorbei oder warten in den Stollenmündungen, bis sie eine Lücke in der Kette der Vorbeiziehenden finden, um sich selber einzureihen: zu müde, zu gleichgültig, zu ausgelaugt, um auf andere noch zu achten.

Meine eigenen Gedanken kreisen unaufhörlich um den verfluchten Schiefer. Wie immer wir entscheiden, das Leben der Männer ist mir in die Hand gegeben.

Für den Augenblick bin ich froh, aus dem Stollenmund ins Tageslicht hinaustreten zu können. Etwas erleichtert erkenne ich die hoch aufragende Gestalt des Bergmeisters unter den schon wartenden Knappen der Mittagsschicht.

»Glück und Heil dem löblichen Bergbau, Bergmeister!« – »Durch Christentum viel Glück und Heil, Schiener«, begrüßen wir uns.