Der Mensch im Fluss der Verwandlung - Aleksandra Dimova - E-Book

Der Mensch im Fluss der Verwandlung E-Book

Aleksandra Dimova

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Beschreibung

Angst wird als generalisierte, erfolgreiche Überlebensstrategie angesehen, die uns vor Gefahren warnt. Lässt sie uns dabei aber nicht oft relevante Details einer Situation übersehen bzw. uns fehleranfällig handeln, sofern sie uns nicht überhaupt lähmt? Diese und viele weitere Fragen erörtert Aleksandra Dimova in ihrem Werk "Der Mensch im Fluss der Verwandlung". Dabei verleiht sie dem Leser einen Einblick in komplexe biologische und psychologische (Wirkungs-)Mechanismen. Der Mensch schaffte es bislang mittels fein abgestimmter Regulationsprozesse, im Fluss unzähliger Ereignisse zu überleben. Nützt uns das aber auch in der gegenwärtigen Anforderungs- und Informationsflut? Und was können wir tun, um unser Wohlbefinden zu verbessern? – Ein faszinierender Ratgeber für alle Wissenshungrige!

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EPUB
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Seitenzahl: 425

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-699-4

ISBN e-book: 978-3-99146-700-7

Lektorat: Alexandra Eryiğit-Klos

Umschlagfoto: Ryan Deberardinis | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Snezana Danilova

www.novumverlag.com

Widmung

Gewidmet

dem Menschen,

dem Homo sapiens

KAPITEL 1

MENSCH-UMWELT-INTERAKTION

Aufbruch einer Entdeckungsreise

„Wer das Entschwundene wieder ins Leben zurückführt, erfährt ein Glück, als würde er es schaffen.“

Deutscher Althistoriker Barthold Niebuhr (1776–1831) (aus W. Calvin: Der Strom, der bergauf fließt, 18)

Will man einen Fluss erkunden, so ist es am spannendsten, einfach an jener Stelle des Ufers, an der man sich befindet, ins Wasser zu steigen, kurz innezuhalten und dann zur Entdeckungsreise aufzubrechen. Mit dem Weiterlesen dieses Buches erklären Sie sich bereit, das sichere Zuhause Ihrer Weltvorstellung zu verlassen und auf eine mitreißende Expedition zu gehen. Diese Reise trete ich mit Ihnen jetzt wieder an.

Neben dem ersten Impuls, meine Forschungsreise anzutreten, den ich während besagter Psychiatrievorlesung bekam, waren 3 Ereignisse ausschlaggebend, die Lisa – es wird immer wieder die Rede von ihr sein – einer guten Bekannten von mir, widerfuhren.

Das ungeschickte Eintauchen ins eiskalte Wasser

An einem warmen, sonnigen Tag fuhr Lisa mit ihrem Freund zum Weißensee. Der Plan war es, tauchen zu gehen. Sehr entspannt freute sie sich auf ein für sie neues Erlebnis. Es sollte ihr erster Tauchgang im Süßwasser werden. Sie wusste, dass das Wasser eher kalt war, und zog sich ihren dicken Tauchanzug rasch an. Dann ging es auch schon los. In ihrer Aufregung sprang sie von der Plattform buchstäblich ins kalte Wasser – ohne Vorbereitung. Sofort traf sie ein Schock. Augenblicklich verkrampften sich alle ihre Muskeln. Im gleichen Moment spürte sie, wie ihr das Einatmen schwerfiel. Ihr Brustkorb schien wie in einem engen Panzer eingeschlossen. Sie kämpfte gegen den massiven Widerstand dieses Panzers, um Luft zu holen. Jeder erneute Versuch, einzuatmen, war zunehmend erschwert und zehrte an ihren Kräften. Sie realisierte, dass sie nicht frei atmen konnte. Sie befand sich in Atemnot. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis überkam sie Angst. Ihre ganze Aufmerksamkeit war nur auf ihre Atmung fokussiert, auf nichts anderes. Im Brustkorb spürte sie, wie ihr Herz pochte. Unruhig zappelte sie im Wasser. Nur dank der Hilfe ihres Freundes schaffte sie es, wieder auf die Plattform zu kommen und sich mit letzter Kraft hinzusetzen. Trotz strahlenden Sonnenscheins wurde ihr ganzer Körper durch starkes Zittern durchgeschüttelt, ihre Zähne klapperten, sie bekam eine Gänsehaut. Ihr Körper rollte sich automatisch zusammen. Sie umfasste ihre Knie mit den Armen. Die Sonnenstrahlen wärmten ihren Körper langsam wieder auf. Ihre Muskeln begannen sich allmählich zu entspannen. Ihre Körperhaltung öffnete sich zunehmend, ihr Brustkorb auch – sie konnte leichter und tiefer ein- und ausatmen. Das Zittern klang langsam ab sowie auch ihre Angst. So ein erleichterndes Gefühl! Der Kälteschock, dem sie sich ausgesetzt hatte, war vorbei. Sie war wieder imstande, rational zu denken. Sofort erkannte sie ihren Fehler: unüberlegt und voreilig hatte sie ihren Körper – und damit sich selbst – einem Kälteschock ausgeliefert, ohne ihn vorher langsam auf die Kälte des Wassers vorbereitet zu haben. Sie realisierte, wie unfair das ihrem Körper gegenüber war. Sie ließ ihren Körper noch einige Zeit von der wohltuenden Wärme der Sonnenstrahlen auftanken, bis es ihr in ihrem Tauchanzug heiß wurde und sie zu schwitzen begann. Als das Ganze vorbei war, erzählte Lisas Freund, dass aus ihren weit aufgerissenen Augen ihre Angst klar abzulesen war.

Nach so einem furchterregenden Ereignis würden wahrscheinlich viele Menschen keinen zweiten Tauchgang wagen – nicht aber Lisa. Dieses Mal bereitete sie ihren Körper auf den Kontakt mit dem kalten Wasser vor, indem sie vor dem zweiten Tauchgang ihre Beine zuerst für einige Minuten ins kalte Wasser hielt. In sich hinein lächelnd, erinnerte sie sich, wie ihr dies ihre Eltern beigebracht hatten, als sie klein war. Danach tauchte sie langsam ein. Dieses Mal klappte das Eintauchen perfekt. Entspannt konnte sie die Unterwasserwelt im Weißensee bewundern: die versunkenen Baumstämme, die bewegungslosen-Hechte, die dann elegant, geschmeidig, mit langsamen Bewegungen von ihr wegschwammen. Ein faszinierendes Ereignis.

Als sie im Nachhinein ihren ersten Tauchversuch Revue passieren ließ, realisierte sie, dass in der Situation des erlebten Kälteschocks kein Platz für lösungsorientiertes Denken übrig war. In diesem Moment, in dem sie um überlebenswichtige Luft rang, war ihre ganze Aufmerksamkeit dem Versuch gewidmet, ihre Lungen wieder mit Luft zu füllen, um frei ein- und ausatmen zu können. Auf der Plattform sitzend, wurde ihr klar, dass sie in dieser Situation, als sie von ihrer Angst überwältigt wurde, ohne fremde Hilfe kaum imstande gewesen wäre, allein aus dem Wasser herauszukommen und sich aus eigener Kraft zu retten. Wenn sie allein gewesen wäre, hätte das Ganze tragisch enden können, obwohl sie nur 1,5 Meter von der Plattform entfernt war.

Der Zusammenprall auf der Autobahn

Es geschah an dem Tag, als Lisa an einem wunderschönen Sommertag entspannt auf der Autobahn zur Arbeit fuhr. Sie kannte diesen Weg so gut, dass sie ihn sozusagen fast mit verbundenen Augen fahren konnte. Plötzlich erschrak sie, als sie sah, wie ein riesiger Stein von einem vor ihr fahrenden Lkw auf ihre Fahrspur herunterstürzte. Ihr wurde augenblicklich klar, dass ein Zusammenprall mit dem Stein unvermeidbar sein würde. Im Nachhinein erinnerte sie sich, wie ihr Gehirn in diesem kurzen Moment vor dem Zusammenstoß mit unglaublicher Geschwindigkeit alle Ereignisse rund um sie herum bewertete. Die schnell fahrenden Autos auf den angrenzenden Fahrspuren versperrten ihr jede Ausweichmöglichkeit. Sie schätzte, dass ein Ausweichmanöver zu einer unvermeidlichen Kollision mit anderen vorbeirasenden Autos führen würde, was nicht nur sie, sondern auch andere Menschen in Lebensgefahr bringen könnte. Die Entscheidung war also getroffen: Sie musste auf ihrer Fahrspur bleiben. Eine Kollision mit dem Stein war nicht zu vermeiden. Die einzige Frage war: Wie groß würden die Folgen sein? Ihre Hände hielten das Lenkrad fest und sie spürte, wie sich alle ihre Muskeln anspannten. Dann passierte es. Mit voller Wucht prallte ihr Auto gegen den Stein, rollte aber weiterhin auf der Autobahn. Im Inneren des Autos war ein stark unangenehmer Geruch wahrzunehmen. Die Fahrerkabine füllte sich mit dichtem Rauch. Lisas Gehirn registrierte eine neue, nicht weniger gefährliche Bedrohung: Ihr Auto könnte zu brennen beginnen. Die lebensbedrohliche Situation war somit noch nicht vorbei. Lisa fürchtete um ihr Leben.

Trotzdem schaffte sie es, ihr Auto langsam an den Fahrbahnrand zu lenken, es zum Stillstand zu bringen und es rasch zu verlassen. Erst als sie im Freien war, nahm sie wahr, dass sie zitterte und eine Gänsehaut bekam. Sie fühlte sich wie an einem eiskalten Wintertag, obwohl das alles an einem warmen Sommertag passierte.

Zitternd, aber in Sicherheit am Rande der Autobahn zu stehen, ohne irgendeinen Kratzer abbekommen zu haben, war für sie eine ganz neue Situation, in der sie sich wiederfand. Lisa bewertete diese Situation nun neu: Sie war in Sicherheit, die Gefahr war vorüber. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln langsam entspannten. Mit einem tiefen Atemzug sog sie Luft in ihre Lungen. Sie lächelte innerlich. Erleichtert dachte Lisa: „Das war eine ‚Adrenalin pur‘-Situation, die ich nicht gebraucht hätte.“ Sie wusste, dass sie sehr viel Glück gehabt hatte, aber auch, dass sie es gut gemeistert hatte. Das Ganze dauerte nicht länger als ein paar Minuten, die ihr aber wie eine Ewigkeit erschienen.

Die schlechte Nachricht

An einem Sommersonntag genoss Lisa in ihrem Garten vollkommen entspannt und sorglos die warmen Sonnenstrahlen. Sie befand sich in einem Zustand, der in der Physiologie als Behaglichkeit bezeichnet wird. Dann klingelte ihr Handy. Sie hob ab. Es war ein guter Freund von ihr, der ihr aufgeregt mitteilte, dass bei seiner Frau, die Lisa auch gut kannte, Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden war. Diese Nachricht traf Lisa wie ein Blitzschlag. Innerhalb kürzester Zeit verkrampfte sich ihr ganzer Körper, sie war sprachlos. Sie befand sich im Schockzustand. Wie hatte das passieren können? Wie konnte diese Krankheit eine fröhliche, körperlich aktive Frau treffen, die noch dazu gesundheitsbewusst lebte? Lisa fand keine Worte, um den Freund zu trösten. Das Einzige, was sie in diesem Moment sagen konnte, war, seiner Frau zu wünschen, dass alles gut ausgehen möge. Dann legte Lisa auf. Sie merkte, wie ihr ganzer Körper zu zittern begann. Sie konnte beobachten, wie sich ihre Körperhaare aufrichteten, wie sie eine Gänsehaut bis hin zum Kopf bekam. Alle ihre Muskeln waren angespannt, ihre Atmung war erschwert. Ihr Brustkorb fühlte sich auch dieses Mal wie in einem Panzer eingeschlossen an. Es fiel ihr schwer einzuatmen. An diesem ausgesprochen warmen Tag wurde ihr kalt, eiskalt.

Es ist spannend zu beobachten, dass Lisas Körper sowohl beim Kontakt mit Kälte im Weißensee als auch bei der Bewertung des Ereignisses auf der Autobahn mit identischen körperlichen und psychischen Reaktionen antwortete. Die beobachteten körperlichen Veränderungen (Muskelanspannung, Zittern, Atemnot, Gänsehaut) gehören dabei zu jenen physiologischen Schutzmechanismen, die einen Körper vor Wärmeverlust und Unterkühlung beschützen sollen, und werden somit als Kälteabwehrmechanismen bezeichnet. Die Angst, die sie dabei erlebte, gehört aber nicht dazu. Wenn auch die Aktivierung der Kälteabwehrmechanismen beim Sprung ins kalte Wasser leicht nachvollziehbar ist, wie ist dann die Ankurbelung genau dieser Schutzmaßnahmen bei den beiden anderen Ereignissen zu verstehen, die als – direkt oder indirekt – lebensbedrohlich bewertet wurden? Es darf dabei ein wesentliches Detail nicht vergessen werden: Sowohl die Kollision auf der Autobahn als auch die übermittelte schlechte Nachricht über die gefährliche Erkrankung ihrer Bekannten spielten sich an einem warmen Sommertag ab. An den beobachteten körperlichen und psychischen Veränderungen, die sich im Zusammenhang mit den erlebten Ereignissen manifestierten, kann man nicht zweifeln. Sie sind klare Fakten aus dem menschlichen Alltag, die nicht nur durch Laboruntersuchungen messbar, sondern auch mit bloßem Auge für jeden Einzelnen sichtbar bzw. überprüfbar sind. Diese Veränderungen liefern feste Beweise: die Bewertung von Ereignissen, die als (lebens-)bedrohlich eingestuft werden, müssen auf irgendeine Art und Weise eine Gemeinsamkeit mit einem realen Wärmeverlust haben (wie zum Beispiel beim Sprung ins kalte Wasser), auch wenn bei den beiden letzten Beispielen aufgrund der Außenwärme kein realer Wärmeverlust drohte. Die Fragestellung ist also: Welches ist der gemeinsame Nenner von Ereignissen unterschiedlicher Natur, der dazu führt, dass der Körper mit dem gleichen Spektrum an psychophysiologischen Veränderungen reagiert?

Die gute Nachricht: Aufnahmeprüfung geschafft!

Florian wartete auf das Endergebnis seiner Aufnahmeprüfung. Er wusste, dass er ein paar Fragen nicht beantwortet hatte, da es ihm an Zeit fehlte. Bei der Prüfung hatte er einfach seine Zeit falsch eingeschätzt. Dies ließ ihm keine Ruhe, innerlich bereitete er sich und seine Eltern darauf vor, dass er die Prüfung nicht geschafft haben würde. Mit dieser Erwartungshaltung loggte er sich auf der Internetseite der Universität ein, als die Ergebnisse bekannt gegeben wurden. Er merkte, wie sehr er angespannt und zittrig war. Auf der Suche nach seinem Namen scrollte er die Liste mit den Namen jener Kandidaten, die bestanden hatten, nach unten. Kurz vor dem Ende der Liste, als er bereits die Hoffnung aufgegeben hatte, fand er seinen Namen. Er traute seinen Augen nicht. Er hatte die Prüfung bestanden. Er dachte sich: „Wow, das ist echt eine gute Nachricht, ich habe überhaupt nicht damit gerechnet!“ Auf einmal war die ganze Anspannung seines Körpers weg. Seine Muskeln entspannten sich. Er schloss die Augen, atmete tief ein, füllte seine Lungen mit Luft. Eine unglaubliche Freude erfüllte ihn. Ein Lächeln breitete sich über sein ganzes Gesicht aus. Er wusste, dass es auch eine riesige Überraschung für seine Eltern sein würde. Er griff nach seinem Handy und wählte die Nummer seines Vaters.

Was geschah in Florian in dieser Situation? In Erwartung eines schlechten Ergebnisses waren alle seine Muskeln angespannt, er zitterte. Als er die gute Nachricht über die erfolgreiche Aufnahmeprüfung empfing, entspannten sich seine Muskeln, eine fließende Atmung war wieder möglich, seine Sorgen wichen seiner Freude. Er war überglücklich. Eine einzige, aber gute Nachricht veränderte Florians gesamte psychophysiologische Prozesse. Dies gleicht dem, was Lisa auf der Plattform des Sees empfand, als sie wieder in Sicherheit war und die Sonnenstrahlen ihren Körper aufwärmten.

Zur Erinnerung:

Ereignisse, die eine Person für sich selbst oder für andere als (lebens-)bedrohlich bewertet, rufen in ihr die gleichen psychophysiologischen Veränderungen hervor, die einem Wärmeverlust durch Kälte entsprechen.

Positiv bewertete Ereignisse rufen die gleichen psychophysiologischen Veränderungen hervor, die einer Wärmezufuhr entsprechen.

Gesetze der Thermodynamik, die den metaphorischen Fluss lenken

Um verstehen zu können, was all diese Ereignisse verbindet, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch jedes Mal identische körperliche Veränderungen bei Lisa auslösten, schauen wir uns an, was genau im kalten Wasser des Weißensees mit und um Lisas Körper passierte. Mit ihrem Sprung ins kalte Wasser brachte Lisa ihren Körper mit einer Temperatur von circa 37 °C in Kontakt mit Wasser des Weißensees, der einen Temperaturwert von nur 9 °C aufwies.

Wenn die Wärme von einem Körper auf ein Medium in Bewegung (das Wasser) übergeht, beginnt sich zuerst die an der Haut liegende Wasserschicht zu erwärmen. Durch diese Erwärmung wurden die Wassermoleküle beweglicher und diese Wasserschicht flüssiger. Dank der von Lisas Körper zugelieferten Wärme glitt diese Wasserschicht aufwärts. Diesen Platz nahm eine neue, kühlere und dichtere Wasserschicht ein, die sich an Lisas Haut schmiegte. Als auch diese neue Wasserschicht aufgewärmt wurde, stieg diese ebenfalls aufwärts und machte wiederum Platz für eine neue, kühlere Schicht. Die Erwärmung machte die Wassermoleküle beweglicher und diese Wasserschicht flüssiger. Lisas abgegebene Wärme glitt mit dieser Wasserschicht aufwärts. Den Platz dieser erwärmten Wasserschicht nahm eine neue, kühlere und dichtere Wasserschicht ein, die sich an Lisas Haut schmiegte. Als auch diese neue Wasserschicht aufgewärmt wurde, stieg diese ebenfalls aufwärts und machte wiederum Platz für eine neue kühlere Schicht. Die Wärme floss aus Lisas peripheren Körperschichten rasant hinaus. Die Wärme wurde den tieferen und wärmeren Körperschichten entzogen, die Kälte begann in das Innere von Lisas Körper vorzudringen. Als die Kälte die Blutgefäße erreichte, verließ die Wärme Lisas Körper über den Blutweg (Konvektion) noch schneller, wodurch dieser noch rascher abkühlte.

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik und Wärmeübertragung

Es war ein Szenario, das den Gesetzen der Thermodynamik unterlag. Das „wärmere“ Objekt, in diesem Fall war es Lisas Körper, der nicht um „Erlaubnis“ fragte, ob und wie viel er von „seiner“ Wärme abgeben wolle. Nein. Getriggert durch den Temperaturunterschied wird ein Wärmetransfer (im Sinne des 0. Hauptsatz“ der Thermodynamik oder des Wärmeausgleichsgesetzes) eingeleitet, der immer vom „wärmereicheren“ zum „wärmeärmeren“ Objekt verläuft.

Die Geschwindigkeit, mit der die Wärmeübertragung vom Lisas Körper in Richtung des kalten Wassers ablief, war proportional mit:

dem Temperaturunterschied. Je größer ein Temperaturunterschied ist, desto schneller geschieht die Abkühlung. In Lisas Fall, bei 37 °C Körpertemperatur und 9 °C Wassertemperatur, bestand ein Unterschied von circa 28 °C.der Größe der Kontaktfläche. Je größer die Kontaktfläche zwischen dem festen Objekt und einem strömenden Fluid ist, desto schneller wird die Wärme vom wärmeren Objekt auf das kältere übergehen. Wenn also ein Körper im Wasser ist, bietet dieser Körper die maximale Kontaktfläche zum Wasser; der Temperaturabsturz gestaltet sich somit schlagartig.der Wärmeleitfähigkeit des Kontaktmaterials. Je größer die Wärmeleitfähigkeit eines Kontaktmaterials ist, desto rascher erfolgt die Wärmeabgabe.

Im Fall des Wassers ist diese Leitfähigkeit groß, und zwar 25-mal größer als bei Luft, damit waren alle Voraussetzungen für Lisas Temperatursturz vorhanden. So erreichte die Kälte rasch ihren „Körperkern“, ihre Körpertemperatur wurde zum Absturz gebracht. Ihr Körper wurde in den Zustand eines Kälteschocks „katapultiert“. Wäre es für Lisa nicht möglich gewesen, der kalten Umgebung des Wassers des Weißensees zu entkommen, wäre die Wärme ihres Körpers so lange in den Weißensee übergangen, bis Lisas Körper und das Wasser einen Zustand des thermischen Gleichgewichts (beschrieben im 0. Hauptsatz der Thermodynamik) erreicht hätten, was ihren Tod bedeutet hätte. Zynisch ausgedrückt, es wäre eine Umverteilung eines „Reichen“ an Wärme (Lisas Körper) zugunsten eines „Bedürftigen“ (Wasser des Weißensees). Das, was in der modernen Gesellschaft als Sozialutopie gilt, ist in der Natur hingegen eine Selbstverständlichkeit.

So kann das „kühlere“ Objekt ohne irgendein Zutun seinerseits ruhig „abwarten“, um mit Wärme aufgeladen zu werden, bis sich die Temperaturen der beiden Objekte ausgeglichen haben. Solchermaßen „gerecht“ wird Wärme, d. h. thermische Energie, in der Natur verteilt. Das ist so und wird immer so bleiben, weil die Natur der Natur so ist. So betrachtet, verbindet dieses Gesetz thermodynamisch uns ALLE. Übertragen auf den menschlichen Körper heißt das, dass ein Teil seiner Wärme bei Kontakt mit einem kälteren Objekt immer spontan an dieses übergehen wird.

Wird der 2. Hauptsatz der Thermodynamik in Betracht gezogen, gewinnt ein Kontakt mit Kälte noch mehr an Bedeutung, weil alle Prozesse, die spontan in eine Richtung ablaufen (wie die Wärme), irreversibel (nicht umkehrbar) sind.

Da der menschliche Körper in den meisten Regionen der Welt eine viel höhere Temperatur (ca. 37 °C) als seine Umgebung hat, würde dies bedeuten, dass sich immer ein spontaner Wärmeübergang in Richtung seiner kälteren Umgebung ereignet. Diese Gesetze funktionieren seit der Entstehung des Universums und werden auch weiterhin bestimmen, wie Prozesse in der Natur und im Menschen als ein Teil von ihr ablaufen. Das ist eine sehr relevante Information für uns Menschen: Wir können die Gesetze der Natur, im gegebenen Fall einen automatischen Wärmeverlust, keinesfalls übergehen. Aus diesem Grund ist es clever,

den Prozess des Wärmeverlusts bzw. des Wärmeübergangs kennenzulernen,die Situationen zu erkennen, bei denen unser Körper an Wärme verliert – und wie bei Lisa passiert dies nicht nur in einer kalten Umgebung, sondern auch bei negativen Bewertungen von Ereignissen, sowienach wirksamen Strategien zu suchen, die uns erfolgreich vor unnötigen Wärmeverlusten schützen.

Lisas Gluck im Unglück

Mithilfe ihres Freundes schaffte sie es, über eine Plattform aus dem Wasser zu steigen. Auf der Stiege rollte sich ihr Körper zusammen, er machte sich klein, was sein Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis maximal reduzierte, wodurch ein weiterer Wärmeverlust durch Wärmeabsonderung in die Umgebung minimiert wurde. Durch das automatisch eingeleitete Zusammenrollen wurde im Laufe von Millionen von Jahren feinster Evolutionsarbeit ein sehr ausgeklügelter Schutzmechanismus entwickelt, der dazu diente, ihren Körper vor einem weiteren Wärmeverlust zu schützen.

Dieses Mal wurde ihr Körper einer neuen Umgebung ausgesetzt, deren Temperatur höher war als jene von Lisas Körper. Die Fließrichtung beim Wärmetransfer kehrte sich um, jetzt war es nicht Lisas Körper, der die Wärme spendete. Die Wärme aus der Luft, die wärmer als Lisas unterkühlte Körper war, floss in Lisas unterkühlten Körper. Wärmetechnisch betrachtet war das für ihren Körper eine sehr günstige Situation, da er rasch Wärme aus seiner Umgebung geliefert bekam. Unter diesem Umstand kam es zu einem Rollenwechsel, nun war Lisas Körper der (Wärme-)Gewinner. Der Wert ihrer Körpertemperatur begann anzusteigen.

Zur Erinnerung:

Uns Menschen sollte ein für alle Mal klar werden, dass unser Körper auf keinen Fall die Gesetze der Natur umgehen kann.

Diese Gesetze funktionieren seit der Entstehung des Universums und werden auch weiterhin bestimmen, wie Prozesse in der Natur und im Menschen als ein Teil von ihr ablaufen.

KAPITEL 2