Der Moddetektiv - Christopher Just - E-Book

Der Moddetektiv E-Book

Christopher Just

4,5

Beschreibung

Augustin Jonny Sandemann ist ein Privatermittler in Wien. Nach einem verstörenden Traum erwacht er schweißgebadet in seinem Büro. Das Telefon läutet. Es ist Lieutenant Tenant-Tanner, Chef des VNAPD (Vienna Police Department), der ihn um Unterstützung in einem Mordfall in der Subkulturszene bittet. Der Ermordete ist ein Mod. Alle Hinweise deuten darauf hin, dass nur ein Ted der Mörder sein kann. Zwei Tage später wird bei einem Anschlag mit einer unbekannten Superwaffe beinahe die gesamte Immobilienszene der Stadt ausgerottet. Spätestens jetzt ist dem Moddetektiv klar, dass er einer weitaus größeren Sache auf der Spur ist — kein kleiner Bandenkrieg, sondern eine Bedrohung für die ganze Welt. Und Emerald Westminster III, ein exzentrischer, superreicher Immobilientycoon, steckt in der ganzen Sache ganz weit drin. Christopher Justs Roman ist eines der seltenen Exemplare, die man, ist man am Ende angelangt, sofort wieder von vorne beginnen möchte. Sein Ins-Absurde-Führen von Genres und Klischees sucht seinesgleichen. Und sprachlich wird hier nicht gekleckert, sondern geklotzt. Ein Riesenlesevergnügen, man kann es nicht oft genug betonen.

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CHRISTOPHER JUST

Der Mod Detektiv

KULTROMAN

Inhalt

VORWORT

VORWORT 2. AUFLAGE

VORWORT 3. AUFLAGE

VORWORT 4. AUFLAGE

VORWORT 5. AUFLAGE

VORWORT 6. AUFLAGE

VORWORT 7. AUFLAGE

ERSTER TEIL

ZWEITER TEIL

EPILOG

THE SHYDARE CONVERSATIONS

FALLS SIE ES NICHT WISSEN SOLLTEN

DANKSAGUNGEN

LILITH

VORWORT

Als ich an einem verregneten Sommerabend in einem kleinen Pub Ecke Larksfield Blvd / Strozzi Ave saß und mir mein Agent nach ein paar Drinks vorschlug, ein Buch über Augustin Johnny Sandemann zu schreiben, war ich skeptisch. Erstens steckte ich mitten in den Vorbereitungen zu meinem Gedichtband »Tänzerin im Sturm«, der noch im selben Jahr erscheinen sollte, und zweitens hatte ich gar keinen Agenten. Kurz: Ich war alles andere als begeistert, versprach aber, darüber nachzudenken.

Es vergingen mehrere Monate, in denen ich mich weiter mit meinem Gedichtband befasste und insgeheim hoffte, mein Agent würde seine Idee fallen gelassen oder vergessen haben.

Eines Abends – inzwischen war es Herbst geworden – lag ich auf der Couch und zappte mich auf der Flucht vor x-mal gesehenen Folgen von »Two And A Half Men«, »How I met your Mother« und »Columbo« durch die Fernsehkanäle. Ich war kurz davor, ins Bett zu gehen, als die Reportage eines Senders meine Aufmerksamkeit erweckte, der dafür bekannt ist, kriminalgeschichtliche Ereignisse auf Groschenromanniveau komprimiert wiederzugeben und seine Formate stets mit dem Satz »So oder so ähnlich könnte es sich vielleicht zugetragen haben« enden zu lassen. In einer Tonlage, die sich nur als hysterisch bezeichnen lässt, erörterte man, von unheimlichen Keyboardklängen untermalt, den Prism Break Anschlag, die fieberhafte Suche nach dem Serienmörder Gaspard Fittipaldi und die Aushebung einiger Labors, in denen die Designerdroge »Lotion9« hergestellt worden war – allesamt Vorkommnisse, die, wie wir wissen, mit einer bestimmten Person in direktem Zusammenhang stehen: Augustin Johnny Sandemann.

Abgesehen von der reißerischen Inszenierung dieser mit zurechtgebogenen Interviews angeblicher Augenzeugen gespickten Reportage war es in erster Linie die eindimensionale Darstellung eines Augustin Johnny Sandemann, der wie ein panischer Pacman, Pillen gleich kiloweise verdrückend, durch dunkle Gänge hastete, die in mir neben einer gehörigen Portion Wut den Impetus nach einem neuen, korrigierenden Ton in der Geschichtsschreibung hochsteigen ließ. Ich rief noch am selben Abend meinen Agenten an und teilte ihm mit, dass ich bereit sei, das Buch zu schreiben.

Was sich, wie ich bald feststellen musste, wesentlich komplizierter gestalten sollte, als ich zunächst angenommen hatte, da die primäre Quelle, also Sandemann selbst, dem jegliches Aufsehen um seine Person gleichgültig zu sein schien, unter keinen Umständen zu einer Zusammenarbeit zu bewegen war. Die einzige Antwort, die er mir nach mehrmaliger Anfrage, ob und wann ich ihn zumindest zu einem einmaligen Interview treffen könnte, zukommen ließ, erschöpfte sich in einem geheimnisvollen: »Jemals«.

Ich konnte mich also nur auf die Aussagen diverser Zeitzeugen stützen.

Es folgten zwei arbeitsintensive Jahre, in denen ich unzählige ausführliche Gespräche mit betroffenen Personen sowie Menschen aus Sandemanns Bekanntenkreis führte. Anfänglich war ich einfach nur irritiert über die schillernde Vielfalt und Widersprüchlichkeit im Erscheinungsbild dieses Mannes. Mir wurde klar, dass sich die daraus ergebenden zahlreichen Möglichkeiten einer Annäherung die Gefahr bargen, den Mythos Sandemann weiterhin zu nähren und zugleich den Zugang zu der realen Person in ihrer Komplexität zu erschweren. Um nicht in die Falle zu tappen, war es unerlässlich, einen Ton der Nüchternheit und der journalistischen Distanz zu wahren: kenntnisreich, doch ohne Ergebenheit; faktentreu, doch ohne Voreingenommenheit gegenüber dieser oder jener Seite.

Mittlerweile kann ich mit bestem Gewissen sagen, alles Erzählte mit der erforderlichen Genauigkeit geprüft und mit anderweitig vorhandenen schriftlichen Aufzeichnungen abgeglichen zu haben. Ich habe großes Augenmerk darauf gelegt, ausschließlich Tatsachen wiederzugeben und Anekdoten – mochten sie auch noch so unterhaltsam sein – rigoros auszumustern, wenn es mir nicht gelang, ihren Wahrheitsgehalt hundertprozentig nachzuweisen. Als der Text schließlich in seiner Rohfassung vorlag, machte ich die entsprechenden Abschnitte jenen zugänglich, aus deren Leben darin erzählt wird, um sicherzugehen, dass meine Berichte sich mit ihren Erinnerungen decken. In manchen Fällen brachten die Betroffenen Abänderungen an oder fügten Ergänzungen hinzu, die in das Buch aufgenommen wurden. Eine weitere und sehr hilfreiche Quelle zur Verifizierung der oft voneinander abweichenden Schilderungen waren die fast 4500 Seiten umfassenden Polizeiberichte des VNAPD, die eine außerordentliche Fülle an Informationen boten, die über die Kenntnisse der Zeitgenossen hinausgingen. Einige zugegebenermaßen ziemlich anstrengende Gespräche mit Kriminalexperten und Historikern ermöglichten mir, auch diese Unterlagen auf Relevanz und Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

(Hierzu möchte ich anmerken, dass ich mir große Mühe gegeben habe, dem Leser die Lektüre eines ohnehin streckenweise komplexen Textes nicht zusätzlich durch die unmäßige Inanspruchnahme von Fachvokabular zu erschweren. Um aber einer szientifischen Verfahrensweise treu zu bleiben, ließ sich der Gebrauch mancher Termini technici nicht vermeiden. Im untenstehenden Anhang Falls Sie es nicht wissen sollten finden Sie die Erläuterung einiger von mir verwendeter Begriffe, auf die Sie im Laufe meines Textes immer wieder stoßen werden und deren Kenntnis zum vollständigen Erfassen dieses Buches unverzichtbar ist.)

Jetzt, drei Jahre nach der partiellen Aufklärung des »Prism Break«-Falles, liegt damit genügend neues Material vor, um eine neue Darstellung des Lebens und Handelns Augustin Johnny Sandemanns zu rechtfertigen. Sie ist notwendig, weil man angesichts der Flut an Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangten, Gefahr läuft, den Film vor lauter Bildern nicht zu sehen und sich doch wieder in Mythen und Legenden zu verheddern.

Um diese Gefahr zu bannen, ist die folgende Darstellung darauf angelegt, die großen Linien im Leben des Augustin Johnny Sandemann nachzuzeichnen, aber auch die Brüche und Wendungen zu markieren, die es darin gegeben hat. Sie will erklären, wie sich Sandemann entwickelt hat und was ihn leitet. Und sie will zeigen, wie er denkt, fühlt und in unterschiedlichen Situationen handelt, oder wann und warum er es unterlässt zu handeln.

Nur so lässt sich diese in der Tat außergewöhnliche Person verständlich machen und ihre historische Bedeutung ermessen.

Dass ich hierfür die Form des Romans wählte, mag verwundern, begründet sich aber aus einem Gefühl der Nähe, die ich im Laufe der Arbeit zu Sandemann fand und die mich wissen ließ, dass die Prosaerzählung der Art und Weise, wie er die Ereignisse erlebte, am ehesten gerecht wird.

Manche der in diesem Buch geschilderten Begebenheiten mögen zunächst rätselhaft, vielleicht sogar absurd erscheinen, aber selbst wenn einige wenige von ihnen weiterhin ungeklärt stehen bleiben mögen, fügen sie sich im Fortgang der Geschehnisse zu einem sinnvollen und logischen Gesamtbild. Und dennoch muss vieles im Verborgenen bleiben, da meine Darstellung nur einige wenige Blickwinkel jener Ereignisse beleuchtenkann, die ohne die Einflussnahme Augustin Johnny Sandemanns einen folgenschweren Verlauf genommen hätten. Einen Verlauf, dessen Ausgang – wäre es nach dem Willen bestimmter Menschen gegangen – zweifelsohne das Ende der Welt, so wie wir sie kennen und lieben, bedeutet hätte.

VORWORT 2. AUFLAGE

Dass von diesem schwer lesbaren Buch noch vor Vollendung seines Erscheinungsjahres eine zweite Auflage notwendig wurde, verdanke ich wider Erwarten nicht dem Interesse der Fachkreise (die sich mehr oder weniger stillschweigend darüber geäußert haben), sondern einer unerwartet breiten Leserschaft aus allen Schichten der Bevölkerung, die sich die Mühe gab, über das anfängliche Befremden hinauszukommen, welches meine neuartige Sichtweise der Materie erwecken konnte.

Andrew Hines möchte ich herzlich für seine Korrekturvorschläge bezüglich meiner Beschreibung der Kohleabbaugebiete in der Nähe Birminghams in den frühen achtziger Jahren danken. Ich gebe zu: Ich war niemals dort.

VORWORT 3. AUFLAGE

Ich darf mich darüber freuen, dass sich das Verlangen nach einer dritten Auflage bereits wenige Monate nach dem Erscheinen der zweiten Edition bemerkbar gemacht hat. Ein ursprünglich gestrichener Abschnitt, von dessen Veröffentlichung mir die Verlegerin mit den Worten »Das derliest dir kein Journalist« dringend abgeraten hat, wurde probehalber wieder eingefügt. Die Passage ist entsprechend gekennzeichnet.

VORWORT 4. AUFLAGE

Eine Person, über die in diesem Buch erzählt wird, will trotz ihres ursprünglichen Einverständnisses fortan nicht mehr namentlich genannt werden. Ich bin dieser Bitte nachgekommen und habe den realen Namen durch einen fiktiven ersetzt. Weiters übermittelte mir der Moorhuhnexperte und Eulenfreund Eugen Copin ein paar ausgesprochen hilfreiche Ergänzungen, die ich mit Vergnügen in den Abschnitt »Kritzenswamps« einfügte. Herzlichen Dank an dieser Stelle.

VORWORT 5. AUFLAGE

Raimond Freeman ist es zu verdanken, dass nun auch eine ausgezeichnete englischsprachige Übersetzung dieses lange Zeit als unübersetzbar eingestuften Buches vorliegt. Eine chinesische Übersetzung von den Herren Dr. Wang und Dr. Chang ist dem Erscheinen nahe.

Ein ursprünglich gestrichener, probeweise wieder eingefügter Abschnitt, von dessen Veröffentlichung mir die Verlegerin von Beginn an mit den Worten »Das derliest dir kein Journalist« dringend abgeraten hat, wurde erneut gestrichen.

VORWORT 6. AUFLAGE

Meine anfängliche Euphorie über einige Anfragen aus den USA bezüglich der Vergabe der Filmrechte an diesem Buch ist verflogen, nachdem erste Andeutungen hinsichtlich des Hauptdarstellers gemacht wurden. Ein Blick in sämtliche uns überantwortete Drehbuchadaptionen führte zu der Entscheidung, Angebote aus Hollywood zukünftig generell abzulehnen und auf eine Anfrage seitens eines bestimmten skandinavischen Regisseurs zu hoffen. Des Weiteren hat mich jene Person, deren realer Name auf eigenen Wunsch ab der vierten Auflage durch einen fiktiven ersetzt wurde, davon in Kenntnis gesetzt, fortan wieder unter der Erwähnung ihres tatsächlichen Namens aufscheinen zu wollen. Ich bin dieser Bitte nachgekommen und habe den erdachten Namen durch den ursprünglichen ersetzt.

VORWORT 7. AUFLAGE

Ich war der Überzeugung, dass sich das Interesse an diesem Buch mit seiner sechsten Auflage erschöpft haben würde. Eine entsprechende Wette mit meiner Verlegerin habe ich, wie Sie unschwer erkennen können, verloren. Hiermit löse ich meine Wettschuld ein, indem ich verspreche, von nun an keine weiteren Vorwörter mehr zu schreiben – ganz gleich wie viele Auflagen noch folgen mögen.

Et consummata est arbor.

»This is for those who know.For those who don’t know this is your punishment.«

– Underground Resistance

ERSTER TEIL

»WHOOOOOOO« krähend, fuhr der Moddetektiv aus einem schon hunderte Male durchlebten, immer an derselben Stelle endenden Traum hoch und fand sich auf der Couch seines Moddetektiv-Office wieder, wo er, wie schon so oft, die Nacht verbracht hatte. Nun war es früher Vormittag, und es war einer dieser Sommertage, wo es schon am Morgen so heiß war, wie es später auch sein würde, nur wäre es dann schon Mittag oder Nachmittag, aber jetzt war es erst Vormittag, und die Sonne brannte bereits erbärmlich beim Fenster herein, da halfen auch die letzten drei verbliebenen Dings der nachlässig heruntergelassenen, ausgeblichenen Jalousien nicht.

Zu später Stunde war noch sein alter Kumpel Gaylord Shydare vorbeigekommen und gemeinsam hatten sie etliche Pints des Moddrinks Shandy Cola gekippt. Und Drogentabletten hatten sie auch noch gegessen, jedenfalls: war es verdammt spät geworden.

»Shit!«, fluchte der Moddetektiv, als er bei dem Versuch, sich langsam von der Bürocouch zu rollen, mit seinem burlingtonbesockten Fuß auf einem Stück Fish & Chips vom Vorabend ausrutschte und der Länge nach auf dem dreckigen Boden des Moddetektiv-Office aufschlug. In seinem Kopf heulten zwanzig Presslufthämmer gleichzeitig auf, während Millionen von Staubpartikeln im gleißenden Sonnenlicht aufstoben, um an überquellenden Aschenbechern und leeren Bierdosen vorbei durch den stickigen Raum zu tanzen, bis sie sich schließlich auf dem Big Ben, einer typischen Londoner Telefonzelle oder sonst einem der zahllosen unnützen Scheißdrecke in Miniaturformat, die sich im Laufe der Jahre im Moddetektiv-Office angesammelt hatten, niederließen.

Während der Moddetektiv darüber nachdachte, wie groß wohl die Wahrscheinlichkeit war, dass ein Staubkorn wieder auf exakt dieselbe Stelle herabsegeln würde, von der es zuvor hochgewirbelt worden war, fischte er sich mit fahrigen Fingern die letzte Rothmans aus dem zerknüllten Päckchen in seiner Brusttasche und betrachtete, indes die dünne Tabakstange mit einem Feuerzeug, auf dem ein Bild des Paddington-Bärs eingraviert war, entfachend, sein zerrüttetes Ebenbild im Spiegel.

Das verwurschtelte Hemd hing ihm wirr zur Hose heraus, darüber baumelte die weit gelockerte Krawatte mit dem »The Jam«-Aufdruck, und genau auf dem »A« klebte – Mann, was für eine Ironie! – ein Marmeladefleck.

Sie hatten sich also auch noch Palatschinken gemacht gestern Nacht, Gaylord Shydare und er, hier, im Moddetektiv-Office, mitten im Soho von Wien – denn so lautete die unter Insidern hinter vorgehaltener Hand geflüsterte Bezeichnung dieses abgedrehten Stadtviertels, dachte sich der Moddetektiv leise wissend. Verdammtes Shandy Cola, er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Oder vielleicht wollte er sich auch nicht mehr daran erinnern? Who knows …

Sein Hair-Style war arg cramped, die Koteletten standen bizarr, nahezu im rechten Winkel von seinen bereits grau melierten Schläfen ab, deren post-juvenile Präsenz seiner gereiften Männlichkeit und dem daraus resultierenden Erfolg bei Frauen bei Weitem mehr als nur ausgesprochen zuträglich war (in Frankreich hätte man ihn prompt einen Graumelier genannt), und die mühselig an der Stirn eingebrannte Haarblume hing ihm nun traurig und welk aufs Hirn. Er würde den French Haircut waschen und komplett neu aufföhnen müssen, denn so unsmart konnte er sich keinesfalls auf die Straße begeben. Und das alles mit diesen verdammten, hämmernden Kopfschmerzen!

Der Moddetektiv (er hieß in echt übrigens Augustin Johnny Sandemann, aber alle kannten ihn nur unter dem Namen »Der Moddetektiv«) schleppte sich fluchend in die Waschecke und genau in dem Moment, als er sich gerade die Haare nass gemacht hatte – das musste ja so kommen –, schrillte das Moddetektiv-Telefon!

»Who the Fut, äh, Fuck wollte ich sagen«, zischte der Moddetektiv zwischen den Zähnen heraus und hastete mit klatschnass tropfenden Haaren ziemlich unsmart zum Schreibtisch, um sich den Hörer von der Gabel zu angeln und dem Anrufer ein raues »Wer stört?« entgegenzustoßen. Und auch wenn es vielleicht wie eine Frage geklungen hatte, gemeint war es als knallharte Beleidigung. Ihm war sofort klar, wen er da am Apparat hatte – nämlich Lieutenant Tenant-Tanner –, als eine gequetschte Stimme am anderen Ende der Leitung gequält quengelte: «Moddetektiv – wir haben einen Auftrag für Sie!«

Der Moddetektiv ließ sich ein paar Minuten Zeit, dann entgegnete er: »Lou (das war der Vorname Tenant-Tanners), warum rufen Sie immer mich an, statt Ihre Fälle selber zu lösen?«

»Moddetektiv, es handelt sich um einen Mord in der Szene, eine knifflige Sache, Sie sind der Einzige, der den Fall vielleicht lösen kann, wir brauchen Sie!«

»Okay, geben Sie mir die Adresse«, sagte der Moddetektiv und notierte mit einem Kugelschreiber, in den das Porträt der minderjährigen Queen eingraviert war, auf einem Prinz-Charles-ohrenförmigen Block die Adresse, die ihm Lieutenant Lou Tenant-Tanner buchstabierte: »Naomi – Aylin – Ucke – Bono – Eowin, noch mal Ucke – Ghane – Alfhild – Sabathea – Sabathea – Eberharda. Dann: Robin – Ildefons – Elias – Dagita.«

Der Moddetektiv blickte auf den Block: Naubeugasse ried. Doch er wusste von Tenant-Tanners legasthenischer Schwäche und brauchte nur ein paar Buchstaben zu verdrehen, dann hatte er die richtige Adresse: Neubaugasse drei.

Er pfiff leise durch die Zähne, so als ob er die Anschrift gut kannte – und ja, Mann, er kannte sie verdammt gut. Es war das »Scooterboy Inn«, ein Mod-Club allerersten Ranges. »Gut, Lou, sagen Sie Ihren Männern, sie sollen nichts anrühren, ich bin in zwanzig Minuten da«, dann knallte er den Hörer zurück auf seine gabelige Schlafstätte. Um in Fahrt zu kommen, warf er erst mal Purple Heart auf den Frühstücks- und eine Scheibe auf den Plattenteller. Es waren The Sons Of A Mod mit dem Food-Good-Song:

Food ease good when its teencane, Dude,

food is base Sir, when its gray Sir,

yeah, yeah, yeah …

Zehn Minuten später stand er mit neu gestyltem French Cut wieder vor dem Spiegel, und im Office roch es nach verbranntem Fett, denn der Moddetektiv hatte sich die Haare vor dem Föhnen nur nass gemacht. Ohne Shampoo, weil erstens hatte er gar kein Shampoo im Office, und zweitens gelang das Föhnen der Frisur besser, wenn die Haare schon ein paar Tage fett waren. Im Kasten hatte er noch einen Ersatzanzug hängen, und der kam ihm jetzt wie gerufen, denn: Er zog ihn an.

Ein letzter Check im Spiegel: hellbrauner Two-Tone-Dreiknopfeinreiher, darunter ein um nur eine Nuance helleres Fred Perry, oberster Knopf geschlossen, und bei den Schuhen hatte er sich für Clarks entschieden, es würde verdammt heiß sein – heute, wo es schon am Vormittag so heiß war, wie es später auch sein würde, nur wäre es dann schon später, und wahrscheinlich so heiß wie noch später, jedenfalls: zu heiß für die Chisel-Toe-Chelsea-Boots vom Vortag. Dennoch schnappte er sich den Parka vom Haken, weil: Er fuhr seinen Roller niemals ohne ihn.

Bevor hinter ihm die Tür ins Schloss bröselte, warf er noch zwei Dexys ein, um in Schwung zu kommen, und ließ sich seine Original-Ray-Ban auf den Nasenrücken gleiten.

Zwei Minuten später war er in der Tiefgarage angelangt, wo seine komplett verchromte Vespa GS 160 parkte (er hatte das Treppenhaus benutzt, der Moddetektiv nahm nie den Aufzug, in den sechziger Jahren hatte es wahrscheinlich noch keine Aufzüge gegeben, und bei technischen Dingen war er absolut konsequent). Für die Vespa hatte der Moddetektiv extra einen ganzen Autoparkplatz gemietet, denn sie war verdammt heikel, und allzu leicht hätte auf einem Mopedparkplatz etwas kaputtgehen können, wenn ein unfähiger Autofahrer – und davon gab es in dieser abgefuckten Pseudo-Großstadt jede Menge – sie beim Ausparken umgenietet hätte.

Nur damit das klar ist: Die Vespa des Moddetektivs war eine der bestgestylten von der Welt überhaupt! An der Schürze des Rollers thronten sechzehn Rückspiegel und zwölf Scheinwerfer, eine auf den Lenkerkopf montierte zierliche Windschutzscheibe ertrug gefasst eine Verbrämung aus Chinchillapelz, die vollendet geformte Karosserie wurde von in ihren Flanken mündenden Beifahrerfußhalterungen aus blitzendem Stahl schützend umgeben, während sich am Heck des prächtigen Vehikels ein über dessen prall gerundeten Hinterbacken verankertes Zierreserverad fand, an welchem eine fast zwei Meter lange Antenne, deren Auslauf ein anmutig im Fahrtwind federnder Fuchsschwanz bekrönte, schwang. Getragen wurde das edle Gefährt von weiß bebänderten Reifen, und hinten hing auch noch so eine schwarzweiß-karierte Kotdacke herab, die auf der Straße schliff, was eigentlich, genauso wie das Komplettverchromen der Vespa, verboten war. Aber der Moddetektiv hatte so seine Arrangements mit den Cops …

Bevor hier jemand auf irgendwelche Ideen kommt: Einen Target oder eine britische Flagge, auf der »Mods« stand, hatte der Moddetektiv natürlich nicht auf seinen Roller geklebt, denn das wäre ausgesprochen pseudo gewesen.

Nachdem er den Schlüssel im Zündschloss verankert und das verlässliche Triebwerk mit nur einem einzigen Kickstartertritt auf Touren gebracht hatte, begab er sich mit einem knusprigen Knattern über die Rampe der Tiefgarage hinaus ins gleißende Tageslicht der Straße.

Als der Moddetektiv vor dem Scooterboy Inn die Tür seiner Vespa GS zuknallte, war dort schon die Hölle los. Fünf Einsatzwägen und ein uralter, völlig verbeulter Peugeot blockierten die Fahrbahn, der 13A hatte umgeleitet werden müssen, und hinter den Absperrungen hatte sich eine Gruppe von zwanzig bis dreiundzwanzig Schaulustigen gebildet.

Sofort eilte ein Uniformierter auf ihn zu. »Hey, Sie dürfen hier mit Ihrem Christbaum nicht parken!« Er hielt sich wohl für witzig, der Wichser. »Und überhaupt: Es ist laut Straßenverkehrsordnung verboten, auf einem einspurigen Gefährt mehr als zwei Rückspiegel zu befestigen, also, Sir«, und dabei nahm der Ton des inspizierenden Ordnungshüters ungemein an Schärfe zu, »darf ich mal Ihre Papiere sehen?«

Der Moddetektiv sah ihn ein paar Sekunden lang lässig an, dann machte er Diesen da: Er tat so, als würde er sich an der Stirn kratzen, aber nicht mit dem Zeige- sondern mit dem Mittelfinger, also zeigte er dem Officer auf diese Weise zugleich den Vogel und den Stinkefinger – doch der konnte nichts dagegen tun, denn es war ja nicht vorgeschrieben, mit welchem Finger man sich an der Stirn zu kratzen hatte! Ein alter Trick des Moddetektivs, er machte immer wieder gerne mal Diesen da, wenn ihm jemand blöd kam.

»Hauen Sie bloß ab, Mann, Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben«, raunte es plötzlich knorrig vom Eingang des Scooterboy Inn herüber. »Das ist der Moddetektiv!«

Der Streifenpolizist zuckte zusammen, als er die Stimme Inspector Krambambos vernahm und suchte wie ein verdammter Leguan unauffällig das Weite.

»Sorry, Moddetektiv, der Neue …«, meinte Krambambo kopfschüttelnd und kratzte sich dabei zerstreut am Hinterkopf, während er auf den Moddetektiv zuschlurfte.

Inspector Krambambo, ein Mittvierziger mit üppigen dunklen Locken und einem verschmitzen Gesicht, trug wie immer seinen zerlumpten Trenchcoat voller Fett-, Kaffee- und Fäkalienflecken. Seine Familie war vor mehr als zwei, nämlich drei Generationen aus Sizilien eingewandert, und man konnte ihn getrost als noch einen von der alten Garde bezeichnen. Und er kannte den Moddetektiv von etlichen vorangegangenen Fällen gut. Launig streckte er dem Moddetektiv seine Hand, in der er den Stummel einer längst erloschenen abgelutschten Zigarre hielt, entgegen. »Danke, Moddetektiv, dass Sie so rasch gekommen sind, am besten, Sie machen sich selbst ein Bild.« Dann drückte er dem Moddetektiv zwinkernd eine dunkelblaue Windjacke in die Hand, auf deren Rückseite in Leuchtschrift »DER MODDETEKTIV« aufgedruckt war. »Und ziehen Sie das an. Falls Sie noch irgend so ein Idiot nicht gleich erkennt!«

Als der Moddetektiv unter dem »Do not Cross – Crime Scene«-Band durchschlüpfte, hielt ihn keiner davon ab, denn bis auf den Neuen kannte man ihn gut. Und falls ihn tatsächlich doch noch jemand nicht gut kennen sollte (was sehr unwahrscheinlich war), konnte der nun laut und deutlich auf seinem Rücken lesen, wen er vor sich hatte, nämlich: den Moddetektiv.

Der markante Geruch von kaltem Rauch, abgestandenem Alkohol und Drogenpisse schlug ihm entgegen, als er das staubige Schwarz des Scooterboy Inn betrat und den Stiegenabgang zur Disco runtergingte. Unten angekommen, bot sich ihm das typische Bild: Mehrere Beamte in Windjacken mit gelbem FBI-Aufdruck bevölkerten den Ort rund um die Tanzfläche, und die Forensiker in ihren weißen Overalls hatten sich bereits an die Arbeit gemacht.

Mitten auf der Tanzfläche lag die Leiche.

Sie war mit weißer Kreide umrandet, damit man sich später einmal erinnern konnte, wo sie gelegen hatte, wenn sie dann nicht mehr dort lag.

Der Moddetektiv wandte sich an den Chefforensiker. Es war Thompson. Der Moddetektiv kannte ihn von etlichen vorangegangenen Fällen gut.

»Hi, Thompson, schon was rausgefunden?«

»Männliche Leiche, um die dreißig, mit einem großen, spitzen Gegenstand erstochen, wahrscheinlich seit sechs bis acht Stunden tot«, plärrte ihm Thompson entgegen und zog sich dabei die fleckig gelben Stöpsel seines Walkman aus den Ohren, da er die Angewohnheit hatte, bei seinen Ermittlungen ständig crazy Speedmetalskamusik zu hören und dabei seine verfilzten Dreadlocks aus der Rastamütze hervorwippen zu lassen. Ja, er war wirklich ein verrückter Typ, dieser Thompson, ein richtiger Nerd, aber verdammt, er war ein Genie! »Würde sagen, ein Kollege von Ihnen, Moddetektiv«, schloss Thompson nüchtern seinen Bericht ab.

Die Leiche lag auf dem Bauch und man konnte ihr Gesicht noch nicht sehen, aber die Kleidung sagte bereits alles: schwarze abgetragene Chelsea Boots, weiße Levi’s Jeans, grüne Bomberjacke mit jeder Menge Scooter-Run-Aufnäher – der Tote war ein Mod!

»Verdammt«, entfuhr es dem Moddetektiv. »Los, Thompson, drehen Sie ihn um!«

Der Forensiker folgte der Anweisung und wälzte die Leiche auf den Rücken. Den Moddetektiv durchzuckte es wie ein Keulenschlag aus heiterem Himmel – es war Valium Mike!

»Wer immer das auch getan hat, er wird dafür bezahlen«, stieß der Moddetektiv zwischen den geschlossenen Zähnen hervor und dabei mahlten seine Backenknochen vor Wut. Es war für ihn immer hart, wenn er in einem Fall ermitteln musste, wo er das Opfer kannte, so lange konnte er gar nicht im Business sein, dass ihn so was kalt ließ. Er schnappte sich einen Whisky von der Bar, dann begann er konzentriert mit der Untersuchung.

Das Opfer war von hinten heimtückisch überrascht und mit einem sehr langen Gegenstand erstochen worden, der Stich war auf der Brustseite wieder ausgetreten und hatte jede Menge Fetzen von Lungen- und Herzfleisch auf die Tanzfläche befördert. Der Mörder musste ein Profi gewesen sein, denn es war ausgesprochen schwer, durch den ganzen Körper zu stechen, ohne an einem Rückenwirbel hängen oder zwischen zwei Rippen stecken zu bleiben, vielleicht war der Täter ja ein Arzt … jedenfalls jemand mit ausgezeichneten medizinischen Kenntnissen, dachte sich der Moddetektiv leise.

»Okay, Thompson, Sie können ihn mitnehmen, geben Sie mir Bescheid, wenn Sie die Autopsie vorgenommen haben, vielleicht wissen Sie dann schon etwas über die Tatwaffe oder die DNA des Mörders.« Der Moddetektiv sah sich noch einmal um, irgendetwas stimmte an der Geschichte nicht, hatte er ein Detail übersehen? Da musste etwas sein, was er nicht beachtet hatte … und plötzlich sah er es: Auf der spiegelnd glatten Tanzfläche war eine Stelle, die anders als der restliche Boden war, denn … sie war matt! Der Moddetektiv kniete sich hin und wischte mit dem Finger darüber, um danach an ihm zu riechen. Es war Schmalz.

»Eines wissen wir jetzt jedenfalls«, sagte der Moddetektiv, während er sich langsam zu Thompson, dem Nerdforensiker umdrehte, »der Mörder ist ein Ted!«

Nachdem der Butler den unliebsamen Gast zur Tür hinausbegleitet hatte, lehnte sich Emerald Westminster III im tiefen Ledersessel seiner abgedunkelten, die eleganten Düfte gepflegt gealterten Holzes, hochwertigen Leders und antiker Bücher verströmenden Bibliothek, deren Ausmaß andere, viel ärmere Leute unverzüglich dazu veranlasst hätte, etliche Etagen an Zwischendecken darin einzuziehen, zurück und befreite zu den Klängen der Suiten für Violoncello solo seine perfekt manikürten Hände mit einem handbestickten Mouchoir aus Lyoner Leinen von Schmalz.

Dabei betrachtete er seinen weißen Siamkater, der es sich am Fenster in einem Weidenkörbchen gemütlich gemacht hatte und seit Stunden den im angrenzenden Park auf einem hässlichen rotgelb gemusterten Kletterhaus herumturnenden Kindern beim Spielen zusah.

Westminster liebte die azurblauen tief liegenden Augen und die von slawisch anmutenden Wangenknochen eingefasste lang gezogene, in gerader Linie direkt in einen energisch hervortretenden Stirnwulst mündende Nase des eleganten Tiers. Doch war es allem voran der sensible und unschuldige Charakter des Katers, der das Herz des Alten zu rühren vermochte. Mit einem Mal erzitterte der Maschendraht des zum Schutz seines Vierbeiners angebrachten Katzengitters unter dem Aufprall eines dagegen geschleuderten Gegenstands. Westminster begab sich zum Fenster und erblickte drei etwa zehnjährige, verschwitzte, rotgesichtige Burschen mit kleinen Ästen in den Händen, von denen einer den Arm bereits zum nächsten Wurf erhoben hielt.

Als der Alte die Bengel mit deutlicher Strenge aufforderte, diesen Unsinn gefälligst zu unterlassen, und ihnen dann, indem er an ihre Vernunft zu appellieren glaubte, etwas milder zu bedenken gab, es handle sich bei dem Kater um ein Lebewesen, und Lebewesen bewerfe man nicht mit Stöcken, erntete er nur hämisches Gelächter, und einer der Jungen – seine Eltern schienen darauf bedacht zu sein, das Aussehen ihres Sprösslings jenem eines vom Polospiel beflügelten Aristokratenknäbleins gleichkommen zu lassen – konterte sogleich mit einer Dreistigkeit, deren Inhalt nicht zur Gänze, aber zumindest bruchstückhaft an Westminsters Ohr drang und deren ihm verständliche Fragmente »Soll ’ne Katze sein? Eher wie ’n Ziegenbock« ihn wissen ließen, es mit einem preußischen Zuwanderersöhnchen zu tun zu haben. Es war anzunehmen, dass der pastellfarbige Pimpf aufgrund seiner rhetorischen Kenntnisse den einfacher gestrickten einheimischen Kindern bei Weitem überlegen war und aus ebendiesem Grund den Rädelsführer der Bande abgab. Noch bevor Westminster eine erneute Warnung aussprechen konnte, landete ein weiteres Stöckchen am Katzengitter, und der als Ziegenbock verunglimpfte Kater richtete sich irritiert auf.

Der Alte entfernte sich vom Fenster, schlüpfte in seine bordeauxfarbenen Smokingpantoffeln, eilte aus dem Haus und war im Nu im Park, den sein Vater Wayne Westminster IV noch zu Lebzeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte – eine warmherzige Tat, die ihm sein Sohn jedoch bis in alle Ewigkeit übelnehmen würde.

Eigentümlich klein, beinahe surreal, wirkte das Fenster der Bibliothek, an dem Westminster seinen Siamkater nunmehr als weißes Pünktchen wahrnahm, während er die Buben einigermaßen überraschte, als er plötzlich hinter ihnen stehend, den frechen Alemannenspund eisern am Schlüsselbein ergriff, wobei dessen artig über die Schulter geworfener Pullunder kleinmütig zu Boden glitt. Westminster verpasste dem Fratz eine so heftige Ohrfeige, dass der adrett gezogene Scheitel des Bürschchens ganz durcheinanderkam und einige der mit Haargel zusammengefassten Strähnen dumm in der Luft stehen blieben. Die anderen Buben wichen erschrocken zurück.

Er blickte dem Jungen tief in die vor Angst geweiteten Augen, als er, während ein feines Lächeln seine blutarmen Lippen umspielte, mit Liebenswürdigkeit verheißender Stimme sagte: »Wenn es dir lieb ist, Jens-Thorben, oder wie immer auch du wohl heißen magst, dass du und deine Eltern sich nicht dazu veranlasst sehen müssen – und meine Betonung liegt auf müssen, mein lieber Kai-Frauko –, diesem herrlichen Ort und damit meine ich nicht jenen Park, von welchem aus du dir gestattetest, meinen Kater mit Wurfgeschoßen zu traktieren, sondern diese Stadt als Ganzes, fipsiger Knuth-Sören, du, ein für alle Mal den Rücken zu kehren, um zurück in jenes triste Land eilen zu müssen, dem sie einst mangels ausreichender schulischer Erfolge entrannen, solltest du niemals wieder deinen bezaubernden, le-petit-beschuhten Füßchen gestatten, dich trippelnd in diese Freizeitanlage zu tragen. Hast du das verstanden, mein Kind?«

Dem Buben, der sich mittels eindringlichen Nickens redlich bemühte, sein Begreifen zu verdeutlichen, standen Tränen in den Augen. Nachdem Westminster den gefallenen Pullunder aufgehoben und mehr schlecht als recht zurück auf die Schultern des Jungen drapiert hatte, sagte er scharf: »Und jetzt verpisst euch!«

Als lediglich eine dem Horizont entgegeneilende Staubwolke der ehemaligen Präsenz jener Burschen Zeugnis trug, schickte sich Emerald Westminster III, hierbei vergnügt den ersten Satz von Bachs dritter Suite für Violoncello summend, an, dem Ausgang des Parks entgegenzutänzeln.

Die Spiegel der GS funkelten und blitzten im heißen Sonnenlicht, als der Moddetektiv, nachdem er den Tatort verlassen hatte, nachdenklich im Schritttempo über die vor einkaufswütigen Menschen überquellende Mariahilfer Straße rollte. Während sämtliche Männer seinem souveränen Blick auswichen und betreten die Augen zu Boden schlugen, sahen sich alle Frauen – sogar die, die sich sonst ausschließlich für pitbullbändigende Sicherheitsdienstleistende erhitzen – gierig lechzend nach ihm um. Er hätte jede Einzelne von ihnen haben können. Doch seine Gedanken waren bei Valium Mike.

Der war ein harmloser Kerl gewesen, hatte keiner Fliege etwas zuleide tun können, bis auf ein paar Drogendelikte war er den Bullen nie unangenehm aufgefallen. Den Großteil seines unglücklichen Daseins, das einem dem Erlöschen unstet entgegenflackernden Paraffinstummel gleichgekommen war, hatte er damit verbracht, in einem halbschlafähnlichen Zustand in irgendwelchen Pubs herumzulungern. Die Scooter-Run-Abzeichen auf seiner Bomberjacke hatte er sich nicht selbst erkämpft, sondern von Freunden aus UK mitbringen lassen, denn Valium Mike hatte die Stadt sein ganzes kurzes Leben lang nicht verlassen – dazu war er viel zu planlos und dauerhigh gewesen. Und einen Scooter hatte er ohnehin nie besessen.

»Verdammte Teds«, dachte der Moddetektiv – was konnte sie bloß dazu veranlasst haben, einen so harmlosen Typen wie Valium Mike ums Eck zu bringen?

Die Rivalitäten zwischen Mods und Teds hatten sich in den letzten Jahren ziemlich beruhigt, man ließ einander in Frieden, leben und leben lassen gewissermaßen, man respektierte sich beinahe – und jetzt das! Er würde Jerry, den Ober-Ted aufsuchen müssen, vielleicht wusste der was …

Er stellte die GS ab und reihte sich in die Menschenschlange vor dem Bortolotti ein, um ein Eis zu kaufen. Das hatte er jetzt nötig, denn ihm war verdammt heiß unter dem Parka geworden. Dunkle Schokolade mit Chili, Brachholdercreme oder Ziegenkäse mit Brokkoli – der ganze neumodische Kram ließ ihn unbeeindruckt. Als er endlich dran war, nannte er dem Gelataio die einzigen Sorten, die es wert waren, sich zwanzig Minuten lang zwischen nass glänzend aus salzverkrusteten Ausschnitten zerschwitzer Tops hervorquellender Speckarme eingeklemmt, langsam der Theke entgegenschieben zu lassen: Vanille und Haselnuss. Aber natürlich nur im Becher und mit Löffel.

Denn mit Grazie an einem Tüteneis herumzuschlecken wie eine Stripperin an einem Hundertdollarschein war unsmart und bei den Mods absolut verpönt.

Wie ein Leichentuch hatte sich die Nacht über die Dächer Wiens, dieses unersättlichen Molochs aus Abschaum und zerbrochenen Träumen, gesenkt, als der Moddetektiv seine GS vor dem A-Be-Bop-A-Lula abstellte. Das war der Club der Teds, und Jerry, der Ober-Ted, war der Besitzer. Vor dem Lokal parkten einige Cadillacs und ein trauriger Lohner-Roller, sämtliche Fahrzeuge waren in abscheulich kitschigen Pastelltönen lackiert.

Der Moddetektiv hatte den klebrigen »Sugarbaby«-Style der Teds noch nie leiden können, und die Lohner-Roller schon gar nicht, er empfand sie aufgrund der elefantösen Schürze und des dämlich dreinblickenden Scheinwerfers auf dem fahrradartig-dünnen Lenkerkopf – wie überhaupt die gesamten Fifties mit ihrer scheinheiligen Lieblichkeit, den nierenförmigen Tischchen, den Baströckchen tragenden Hulapuppen, den mit bunten und pickigen Likören bestückten Bambusholzhausbars, den aufgeblähten Petticoats, den lächerlich spitzen Schuhen, den aufgestellten Hemdkrägen, den monströsen Haartollen, vor allem aber wegen der unerträglich gut gelaunten Rock’n’Roll-Musik – als direkten Schlag in den Unterleib seines eigenen, guten Geschmacks.

Er schlug mit der flachen Hand dreimal gegen eine rostige Eisentür, und nachdem eine kleine, auf Sichthöhe angebrachte Klappe kurz zur Seite geschnippt worden war, wurde der Eingang einen Spalt breit geöffnet. Eine ölige Haartolle schob sich ihm entgegen.

»Verpiss dich, scheiß Mods haben hier keinen Zutri…«

Doch da hatte der Moddetektiv das mit zwei Kilo Schmalz aufgetürmte und geschätzten sechs Dosen Haarlack einbetonierte Haarbrett des Türstehers bereits beidhändig gepackt und mit einem kräftigen Ruck ganz einfach abgebrochen. Achtlos warf er es über seine Schulter in die Finsternis der Nacht, wo es auf dem Boden landete und wie ein widerliches Insekt unter irgendeinen der Cadillacs schlitterte und raschelnd verschwand. »Sag Jerry, der Moddetektiv will ihn sprechen – und bring mir ein Taschentuch, damit ich meine Hände vom Fett reinigen kann!«

Ungläubig tastete der 50’s-Clown nach den verbliebenen Resten seiner Haarpracht, die nun mit ihrer porösen Bruchstelle, aus der mehrere längere Haarstangen herausstanden, ein wenig an die trostlosen Ruinen nie fertig gebauter Mehrfamilienhäuser auf griechischen Landstraßen erinnerte. Es würde Jahre dauern, bis die für eine Tolle benötigte Haarlänge wieder nachgewachsen war. Der buchstäblich gebrochene Ted gab die Tür frei und der Moddetektiv betrat den Club.

»Sag mir was du denkst, möchtest du das wissen …«, plärrte es in mono aus den miesen Boxen des Wurlitzers, und der Moddetektiv konnte sich der abstoßenden Vorstellung nicht entziehen, dass dabei nicht nur Musik, sondern auch von Peter Kraus’ zahnfleisch-überschüssigem Pferdegebiss literweise angeregter Speichel aus den Lautsprechern der Musicbox troff. Die Tanzfläche war brechend voll, an die zwanzig Pärchen lieferten sich ein hitziges Duell Rock’n’Roll’scher Tanzakrobatik. Ständig sah man irgendwo ein in acht oder mehr aufgebauschte Petticoats hineingezwängtes Girl durch die Luft wirbeln oder an der Taille ihres Tanzpartners hin- und her geschwenkt werden, während sich an den Händen fassende Duos fortwährend voneinander abfederten, um dann ihre Körper – als wären sie durch ein Gummiband verbunden – wieder zusammenklatschen zu lassen.

Dabei wurde, ganz im Gegensatz zu den Mods, die immer einzeln und für sich selber tanzten (wobei sie auf Ernsthaftigkeit und Coolness größten Wert legten), unaufhörlich fröhlich gekichert, gegrinst und gelächelt. Es war jedenfalls ein widerlicher Anblick – die Teds hatten einfach den falschen Style.

Jemand klopfte ihm auf die Schulter. »Du willst Jerry sehen? Ich bring dich zu ihm.« Vor dem Moddetektiv stand eine grazile Person mit einer von Brillantine spiegelnden, zu einer Röhre gedrehten Bananentolle auf dem Kopf. Aus einem knallpinken, beinahe bodenlangen Sakko quollen die üppigen Volants eines schwarzen Rüschenhemds, und um den Hals des Kerlchens, über dessen Oberlippe sich ein hauchdünnes Bärtchen zog, war eine schuhbandartige Schnur geknotet, die von einem Adler aus blitzendem Metall zusammengehalten wurde. Die hautengen Hosen des Zuckerbuben, dessen Beine aufgrund leopardengemusterter Riesencreepers an den Füßen beinahe streichholzdünn erschienen, waren aus schwarz glänzendem Satin.

»Ich bin Caligula«, sagte die seltsame Erscheinung mit samtiger Stimme zum Moddetektiv, während diesem klar wurde, dass er noch immer die Hand des Freaks auf seiner Schulter liegen hatte. War dieser Kerl vielleicht ein …? – mit einem jähen Ruck wischte er die lasche Flosse beiseite.

»Nicht so grob«, hauchte Caligula und lächelte neckisch. Dann drehte er dem Moddetektiv mit einem eleganten Schwung seinen schmalen Rücken zu, deutete mit zarten Fingern, ihm zu folgen und schlängelte sich durch die mit Nostalgiekitsch angefüllten Räumlichkeiten des Lokals davon.

Mit beträchtlichem Sicherheitsabstand folgte der Moddetektiv dem schillernden Paradieskäfer, der sich in regelmäßigen Abständen immer wieder zu ihm umsah, als er ihn mitten durch die tanzwütige Menge dirigierte und hinter die Bar an eine Tür führte, durch die sie eine vor Dreck starrende, mit grellem Neonlicht ausgeleuchtete Küche betraten, in der ein fetter stoppelbärtiger Koch schwitzend mit der Zubereitung von Bananenerdnussbutterspecksandwiches und Hawaiitoasts beschäftigt war, und neben deren Hinterausgang (der mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in einen finsteren Hof mit überquellenden Mülltonnen, um deren Inhalt sich streunende Straßenkatzen in Form einer über dem Boden rotierenden Staubwolke, aus der immerzu eine Pfote oder ein Kopf hervorschoss, prügelten, mündete) sich eine weitere Tür mit der Aufschrift »PRIVAT« befand.

Caligula drückte auf einen seitlich angebrachten Knopf, und als er ein Knuspern in der Gegensprechanlage vernahm, säuselte er: »Bo-hoss – der Moddetektiv.«

»Nur herein mit ihm«, krächzte eine verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher, die der Moddetektiv sofort erkannte: Es war dem Jerry seine. Der Öffner summte, Caligula drückte die Tür auf, trat galant beiseite und deutete dem Moddetektiv einzutreten.

Hinter einem nierenförmigen Teakholzschreibtisch saß, die Beine lässig auf die Tischplatte gelegt: Jerry, der Ober-Ted.

»Hey, Augustin Johnny, lange nicht gesehen«, grinste er und ließ dabei mit strahlend weißen Zähnen sein stadtbekanntes Jerry-Lächeln aufblitzen. Während er Caligula anwies, den Parka des Moddetektivs auf einen Kleiderbügel zu hängen, zeigte Jerry auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. »Nimm Platz, zur Feier des Tages eine Dose Tigermilch?« Und das war keineswegs als Witz gemeint, denn Teds nahmen vor allem in den fünfziger Jahren modern gewesene Speisen und Getränke zu sich, und Tigermilch, ein Cocktail aus Milch und Eierlikör, stand bei ihnen als alkoholisches Getränk an oberster Stelle.

Der Moddetektiv lehnte dankend ab.

Er und Jerry kannten sich seit frühester Kindheit, sie waren gemeinsam in den Kindergarten, danach in die Volksschule und später auch ins selbe Gymnasium gegangen, dort hatten sich ihre Wege allerdings nach der dritten Klasse getrennt, Jerry war sitzen geblieben, hatte bald danach die Schule abgebrochen und eine Lehre als Lagerarbeiter bei einem eleganten Herrenausstatter namens TLAPA begonnen. Schon während der Zeit im Gymnasium war der Moddetektiv ein Mod und Jerry ein Ted geworden. Trotz ihrer Zugehörigkeit zu feindlich gesinnten Gruppierungen waren sie dennoch Freunde geblieben, auch wenn sie sich oft gegenseitig damit aufzogen. So nannte der Moddetektiv Jerry oft »die ölige Butternettel« (eine subtile Anspielung auf dessen Haartolle), der sich daraufhin nicht lange lumpen ließ und sich mit »schwindlige Spinattridel« (ein fein nuancierter Seitenhieb gegen den Parka) revanchierte – sie hatten jedenfalls immer verdammt viel Spaß miteinander gehabt, damals im Gymnasium auf der Kennedybrücke im sechsten Wiener Gemeindebezirk, Downtown Vienna. Zu dieser Zeit war der Moddetektiv natürlich noch kein Detektiv gewesen, deshalb nannte ihn der Oberted auch bei seinem echten Namen.

Jerry war aufgrund seiner stattlichen Größe, des markanten Kinns, der strahlend blauen Augen und des breiten Mundes mit dem Dauergrinser schon in der Schule der Schwarm aller Mädchen gewesen, und das hatte sich bis zum heutigen Tag nicht geändert, denn er sah immer noch verdammt gut aus! Damit das klar ist: Auch der Moddetektiv sah verdammt gut aus, aber auf eine andere, subtilere Weise, denn während der blonde Jerry den American Dreamboy verkörperte, strahlte der dunkelhaarige Moddetektiv eine unergründlichere, geheimnisvollere und nahezu poetische Schönheit aus – jedenfalls sahen sie beide verdammt gut aus, nur eben verschieden verdammt gut.

Auf der Armlehne seines ausladenden Ohrensessels saß mit kokett übereinandergeschlagenen Beinen Jerrys langjährige Freundin, Gaby.

Gaby war schlank und groß gewachsen und mit Abstand das schönste aller Ted-Girls. Ihre ovale, dem Kinn zunehmend spitz entgegenlaufende Gesichtsform wurde von einem üppigen roten Mund mit frech aufgeworfener Oberlippe und einer kecken Nase dominiert, ihre mandelförmigen grünen Augen blitzten herausfordernd unter einem exakt gezogenen schwarzen Lidstrich hervor. Eine von aufsässig geschwungenen Brauen versprochene kühne Stirn lag unter den Fransen eines aufreizenden Ponys verborgen, den Großteil des schulterlangen kastanienbraunen Haars trug sie zu einem flotten Pferdeschwanz zusammengefasst. Den aufregenden Gegensatz zu Gabys eng gegürteter Wespentaille bildeten allerdings zwei große, sich prägnant unter dem knallengen Oberteil abzeichnende und trotz ihrer beachtlichen Dimension dank einer strammen Festigkeit auffordernd in den Raum ragende Busen. Ihre Brustnippel, die sich beim Eintreten des Moddetektivs sofort keck aufgerichtet hatten, schienen den Pullunder sprengen zu wollen, und als sein Blick langsam an ihrer Figur hinabglitt, konnte er unter den hochgerutschten Petticoats den Ansatz eines Strapsgürtels erkennen.

In alter Gewohnheit, wohl um die Besitzverhältnisse klarzustellen, hatte Jerry den Arm um Gabys Taille gelegt. »Also Augustin Johnny – oder soll ich dich jetzt besser Moddetektiv nennen? –, was kann ich für dich tun?«

»Belassen wir’s bei Augustin Johnny«, entgegnete der Moddetektiv und fischte sich dabei eine blaue Rothmans aus dem Päckchen. »Ich bin beruflich hier, eine ziemlich knifflige Sache. Und es wäre gut, wenn das, was ich dir gleich erzähle, erst mal unter uns bleibt.«

»Wait a minute Mister Postman«, warf Jerry ein und beförderte, nachdem er Caligula aus dem Zimmer geschickt hatte, eine Connie-Francis-Scheibe auf den Plattenspieler, die nach anfänglichem Knistern in ohrenbetäubender Lautstärke »Shawne frameday Munh, cy dough leab zoo meare …« in den Raum schmetterte.

»Nur zur Sicherheit … falls die Wände Ohren haben – kannst losschießen!«

Und dann schilderte der Moddetektiv den ganzen Fall, beginnend mit Lieutenant Lou Tenant-Tanners Anruf, seinem späteren Eintreffen beim Scooterboy Inn, der anschließenden unliebsamen Begegnung mit dem dummen Uniformierten davor, und wie er ihm Diesen da gezeigt hatte, gefolgt von einer kurzen Erläuterung seines Verhältnisses zu dem im Übrigen ein waschechter Sizilianer seienden Inspector Krambambo, wobei er auch nicht die Flecken auf dessen schmuddeligem Trenchcoat zu beschreiben vergaß, um dann auf den mit weißer Kreide, damit man sich später einmal daran erinnern könne, wo er gelegen hatte, wenn er dann irgendwann nicht mehr dort läge, umrandeten Toten zu sprechen zu kommen, den er, nachdem man ihn auf den Rücken gedreht hatte, eindeutig, wobei er wie von einem heiteren Keulenschlag aus dem Himmel getroffen worden war, als Valium Mike, ein an sich harmloser Kerl, der keiner Fliege etwas zu Leide hätte tun können und der der Polizei bis auf ein paar Drogendelikte nie unangenehm aufgefallen war, identifizieren hatte müssen, während ihm Thompson, ein nerdiger Forensiker und wirklich verrückter Typ, ein richtiger Freak, der aber eben auch ein Genie, das die Angewohnheit hatte, bei seinen Ermittlungen immer Speedmetalska zu hören, und dabei seine verfilzten Dreadlocks aus der Rastamütze hervorwippen zu lassen, wäre, und der, bevor er begonnen hatte, ihn über Tatzeit und Hergang des Mordes zu informieren, die fleckigen gelben Ohrenstöpsel seines Walkmans herausgezogen hätte, woraufhin er, da er sich des unbestimmten Gefühls, irgendetwas stimme an der Geschichte nicht, sich fragend, ob er ein Detail übersehen hatte, weil da etwas sein musste, er aber vorerst nicht darauf geachtet und es dann aber plötzlich mit einem Mal gesehen hatte, dass auf der spiegelnd glatten Tanzfläche eine Stelle, die anders als der restliche Boden, nämlich gar nicht, weil sie matt war, war, schimmerte, sogleich an seinem zuvor darübergestrichen habenden Finger, um dann festzustellen, dass es sich um Schmalz handelte, roch, was den einzig und alleinigen Rückschluss, dass der Mörder nur einer der Teds, deren Anführer Jerry war, sein konnte, zuließ, und der nun gespannt lauschend in einem ausladenden Ohrensessel, auf dessen Armlehne seine langjährige Freundin Gaby, die wegen ihrer schlanken und groß gewachsenen Figur und den sich prägnant unter dem knallengen Oberteil abzeichnenden und trotz der beachtlichen Dimension dank ihrer strammen Festigkeit auffordernd spitz in den Raum ragenden zwei großen Busen, doch auch infolge des üppigen, von einer kecken Nase dominierten, roten, mit einer frech aufgeworfenen Oberlippe ausgestatteten Mundes und ihrer grünen, unter einem exakt gezogenen schwarzen Lidstrich herausfordernd blitzenden Augen, zweifelsohne als das schönste aller Ted-Girls bezeichnet werden konnte und deren Handschrift er später anhand der Worte »Schicke Garnele, morgen, 11pm, A scoobiedoo ya, Gaby«, auf einem Zettel, den er, nachdem er das A-Be-Bop-A-Lula bereits verlassen haben würde, in einer der Manteltaschen seines Parkas vorfinden sollte, identifizieren würde können, mit kokett übereinandergeschlagenen Beinen saß, verweilte, und den er, nicht ohne sich zuvor, nachdem er den Tatort verlassen hatte, bei Bortolotti ein Eis gekauft zu haben, er aufzusuchen beschlossen hatte, woraus sich letztendlich ergab, dass er, der Moddetektiv, ohne seinen Parka, welcher von einer eigentümlichen Erscheinung mit samtiger Stimme namens Caligula, dessen weiche Flosse er, bevor ihn dieser zu ihm, Jerry, gebracht hatte, aus Sicherheitsgründen von seiner Schulter hatte wischen müssen, freundlicherweise auf einen Kleiderbügel gehängt worden war, nun hier vor ihm sitzen würde.

(Den Vorfall mit der abgebrochenen Frisur des Türstehers behielt er allerdings vorerst für sich, um Jerry nicht mit unnötigen Details zu verwirren.)

Als er mit seinem Bericht geendet hatte, war das breite Grinsen aus Jerrys Gesicht verschwunden. Mit ernstem Blick saß er einige Minuten schweigend da.

»Augustin Johnny, du weißt, das sind schwere Anschuldigungen«, setzte Jerry schließlich an, »ich stehe für alle meine Männer gerade und kann mir bei Elvis nicht vorstellen, dass einer von ihnen zu so etwas fähig ist. Und selbst wenn – was wäre der Grund?«

»Du, Jerry, das weiß ich bisher auch noch nicht, und es ist momentan nur ein Verdacht. Aber ich möchte, dass du dich ein bisschen bei deinen Leuten umhörst, ob es irgendeinen Streit gab, Valium Mike hat ja mit Drogen gedealt, vielleicht ging’s ja darum. Jedenfalls wäre ich dir für jede Hilfe dankbar.«

»Gut, ich werde sehen, was ich machen kann, aber ich sag dir gleich: Du bist auf der falschen Fährte.«

Bei der Verabschiedung klopften sich die beiden Freunde – dabei einen Händedruck austauschend, dass es nur so krachte – brüderlich auf den Rücken, und als der Moddetektiv seinen Parka vom Kleiderhaken nahm, hatte er den Eindruck, Gaby würde ihm mit einem ihrer funkelnd grünen Augen zuzwinkern. Aber vielleicht hatte er sich auch getäuscht …

Als er sich den Weg durch den Schuppen zurück zum Ausgang bahnte, war der Ballroom noch immer gesteckt voll, und es lief eine Scheibe von Gunnar Wiklund:

Junge, gehe nicht zu den Indios, nein, gehe nicht hin!

Junge, gehe nicht zu den Indios, schlag dir’s aus dem Sinn.

Was für ein unglaublicher Mist, die Teds hatten wirklich einen beschissenen Musikgeschmack. Und, nein, er würde nicht zu den Indios gehen … oder waren die Worte dieses idiotischen Textes vielleicht eine versteckte, speziell an ihn gerichtete Botschaft?

Endlich draußen, schmiss er sich erst mal zwei Purple Hearts ein, der elende Tedschuppen hatte seine Stimmung ziemlich runtergezogen, und als er in den Taschen seines Parkas nach dem Zündschlüssel der GS kramte, hielt er mit einem Mal ein Stück Papier in der Hand, dessen offensichtlich hastig hingekritzelter Text ihm gleichzeitig mit den Hearts dann doch ziemlich einfuhr:

Schicke Garnele, morgen, 11 pm,

A scoobiedoo ya,

Gaby.

Seinen mit üppigen schwarzen, für waschechte Sizilianer so typischen Locken versehenen Hinterkopf kratzend, frug sich Inspector Krambambo, während er in den Räumlichkeiten der sich im zweiten Untergeschoß des Polizeipräsidiums befindenden Pathologie wie ein im Käfig gefangen gehaltenes Tier unruhig auf und ab gung, was das denn solle.

Er hatte Thompson, den ausgeflippten und total schrägen, aber nichtsdestotrotz genialen Forensiker die Obduktion bereits dreimal wiederholen lassen, und der war stets zum selben Ergebnis gelangt. Als Thompson die Leiche mit groben Stichen zum vierten, und wie er hoffte, letzten Mal zunähte, rekapitulierte Inspector Krambambo das haarsträubende Resultat der Untersuchung:

Der tote Mod war offensichtlich von einem scharfen und spitzen Gegenstand, der am Rücken eingedrungen und an der Brust in Herzhöhe wieder ausgetreten war, durchstoßen worden, was an sich keine Besonderheit darstellte, doch der Teufel lag, wie so oft, im Detail. Die Form des Stichkanals ließ nur einen einzigen Rückschluss zu, nämlich den, dass die Tatwaffe an ihrer Vorhut breit und flach gewesen sein musste und nach hinten hin, dem Griff sich verjüngend zulaufend, einem Kegel nicht unähnlich, immer dünner und spitzer wurde. Und das war, rein technisch gesehen, unmöglich. Und so sah der Wundkanal also aus, als ob der Stich von der Brustseite her geführt worden war, doch diese Möglichkeit war eindeutig von der Ausrichtung des zerstörten Gewebes widerlegt worden.

Einzig und allein eine Pistolenkugel hätte eine Verwundung dieser Art hervorrufen können, doch dann wäre Thomspon auf Schmauchspuren gestoßen.

»Wir haben es hier also mit einem Werkzeug zu tun, das sich am ehesten als langes Messer oder Schwert beschreiben lässt, und das vorne an der, ähm, Spitze ist wohl genau der falsche Ausdruck, flach, stumpf und mindestens so breit wie ein Essteller sein muss, und dessen Klinge nach hinten hin immer dünner und feiner zulaufend, gewissermaßen konisch in den Knauf einmündet und an dieser Stelle nur noch den Durchmesser einer Stecknadel aufweist. Haben Sie jemals von irgendeinem derartigen oder ähnlichen Kampfgerät gehört, Thompson?«

»Nein, Sir«, entgegnete der exzentrische Kriminologe, »die bloße Vorstellung einer solchen Waffe erscheint mir mehr als absurd, da diese aufgrund ihrer unlogischen Beschaffenheit in der Hand des Täters wie ein Riesenpudding wild und unberechenbar hin- und herschlenkern …« – (und dabei vollführte Thompson unkoordinierte, tänzelnde Bewegungen, die jenen eines Kellners glichen, der sich abmühte, eine auf seinem Tablett befindende Sektpyramide in Balance zu halten) – »… oder sogar lasch und wabbelig vom Griff herabhängen würde« (wobei der Nerd nun sein Handgelenk, einer rasch dahinwelkenden Blume nicht unähnlich, weich und kraftlos umknicken ließ, während er synchron dazu dem Inspector seine dicke und zerklüftete Zunge entgegenstreckte). »Mit einem dermaßen mongomäßigen …« – (und das war einer dieser typisch nerdigen Thompsonausdrücke, für den ihn Krambambo am liebsten an die Wand geklatscht hätte) – »… Ding könnte man, falls es überhaupt existieren sollte, sich unmöglich unbemerkt an eine Person heranschleichen, um sie damit, was ohnehin aufgrund der tellergroßen Form der stumpfen Spitze außerhalb jeder realistischen Möglichkeit liegt, zu erstechen.«

Nach dieser Erklärung baumelten Thompsons Dreadlocks, die bei der eben vorgeführten Showeinlage kurzzeitig wild und unkontrolliert umhergeschlackert waren, wieder im gewohnten, dem Tempo der Speedmetalskamusik folgenden Rhythmus, die Inspector Krambambo nur als insektenhaftes Gekratze und Gefiedle aus den gelblichen Ohrenstöpseln des nerdigen Forensikers herauszischeln hören konnte, unter der Rastamütze weiter.

»Dieser verrückte Thompson mit seiner ständigen Speedmetalskamusik«, dachte Inspector Krambambo genervt und hatte keine Ahnung, wie verdammt nahe er in diesem Moment der Lösung des Problems gekommen war. Plötzlich hatte er eine Idee. »Thompson, wo waren Sie eigentlich, während Valium Mike ermordet wurde – haben Sie für diese Zeit überhaupt ein Alibi?«

»Vergessen Sie’s, Krambambo«, entgegnete der forensische Nerd gelassen wie ein Junkie, der auf seinen McSundae wartet, und würdigte den Inspector keines Blickes. »Ihre ewige Taktik, aus Bequemlichkeit einfach Personen, die Sie grade umgeben, zu beschuldigen und diese dann so lange mit Ihrem schräggestellten Sie zu belästigen, bis diese irgendwann völlig entnervt den Hut draufhauen und lieber freiwillig ins Kittchen wandern, als Ihnen noch länger dabei zusehen zu müssen, wie Sie kopfkratzend, mit einem nicht mal brennenden Zigarrenstummel ständig bei der Tür hereinkommen, dann wieder hinausgehen, um gleich darauf erneut hereinzukommen, weil Sie, ach ja, noch eine Kleinigkeit vergessen hätten, geht bei mir nicht auf.«

Okay, Thompson hatte ja recht, sagte sich Krambambo, er würde ihn in Ruhe lassen … vorerst einmal. Und überhaupt, es war spät geworden, er würde nach Hause fahren, wo Mrs Krambambo schon seit geraumer Zeit mit dem Abendessen auf ihn wartete.

Nachdem Inspector Krambambo seinen uralten und verbeulten Wagen in der Garage geparkt hatte, öffnete er die muranoglasüberdachte Eingangstür des für italienische Einwanderer dritter Generation so typischen, weil recht kitschig, aber dessen ungeachtet umso liebevoller dekorierten Einfamilienhäuschens und betrat »Haa-loo-hoo, dein Krambambo-lee ist wieder zu Hause!« rufend den Vorraum.

Er warf seinen fleckigen Trenchcoat, nicht ohne ihn vorher noch einmal kräftig zusammengeknüllt zu haben, zur Aufbewahrung in einen sich unter der Abwasch befindenden, speziell für diesen Zweck mit Butterresten, Speckstücken und Fäkalien präparierten Behälter und befreite, eine kleine Melodie summend, seine vom langen Tag schmerzenden Füße von den ausgetretenen Schuhen, um diese durch gemütliche Straußenlederpantoffel zu ersetzen.

»Mal sehen, was uns Mrs Krambambo zum Abendessen zurechtgemacht hat«, brummelte er, einen Blick in das Backrohr werfend, heiter vor sich hin. »Ah, Cannelloni alla Mama Alfredo, köstlich! Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Tag, meiner war entsetzlich anstrengend«, rief er ins Wohnzimmer hinüber, während er das Gericht, nachdem er es erwärmt hatte, in zwei etwa gleich groß unterteilten, dampfenden Portionen auf den Tellern anrichtete, um diese in den behaglich eingerichteten Raum nebenan zu tragen.

Nachdem er sich ächzend niedergelassen und eine soßige Teigrolle in mundgerechte Stücke zerteilt hatte, begann er zu berichten: »Wir bearbeiten gerade den Fall mit dem ermordeten Mod. Und Thompson – du weißt schon, unser nerdiger Forensiker – ist auf eine wirklich verrückte Sache gestoßen.«

Und dann schilderte er Mrs Krambambo den gesamten Verlauf der Untersuchungen bis ins kleinste Detrial, lediglich das Hinzuziehen des Moddetektivs behielt er vorerst für sich, um nicht den Eindruck zu erwecken, er selbst wäre zur Aufklärung des Falles nur unzureichend befähigt.

Während der Inspector die Teller in die Küche brachte, um sie dort in der Spüle zu deponieren (abwaschen würde er später), ereiferte er sich noch über die Dummheit des unwissenden Polizeibeamten, der den Moddetektiv – hoppla, jetzt hatte er dessen Involvierung in den Fall doch noch verraten – daran hindern hatte wollen, den Tatort zu betreten. Doch bald fielen (inzwischen hatte er mit dem Einseifen des Geschirrs, welches er beschlossen hatte, nun doch zu reinigen, begonnen) der Stress und die damit verbundenen Erlebnisse des Tages von ihm ab, und er wechselte hinsichtlich des bevorstehenden gemeinsamen Fernsehabends das Thema.

Nachdem er es sich in trauter Zweisamkeit (ein Kindersegen war ihnen nicht vergönnt gewesen, was Krambambo aber nicht als Unglück, sondern bloß als mögliche Spielart seines im Großen und Ganzen zufriedenstellend verlaufenden Lebens ansah) neben Mrs Krambambo auf der mit allerlei in liebevoller Kleinarbeit angefertigtem Decken- und Polsterwerk versehenen Couch mit einem trockenen Single Malt gemütlich gemacht hatte, und erwartungsgemäß die Projektion des bräsig-blasiert grinsenden Moderatorengesichts auf dem Bildschirm zu flimmern begonnen hatte, beschränkten sich die gelegentlichen Bemerkungen des Inspectors auf den seiner Meinung nach viel zu weit unten angesetzten Schwierigkeitsgrad der an die Kandidaten gestellten Fragen und die für ihn daraus ersichtliche, generelle Verdummung der gesamten Menschheit per se.

Doch im Grunde war es ihm vollkommen egal, was da in der Flimmerkiste vor ihnen ablief. Viel wichtiger war für ihn die Tatsache, einfach neben Mrs Krambambo zu sitzen und in aller Ruhe mit ihr glücklich sein zu dürfen.

Auch für den Moddetektiv war es ein anstrengender Tag gewesen. Jetzt stand er unter der Dusche und wusch sich mit dampfend heißem Wasser die runzligen Reste seiner geschrumpften Illusionen vom Körper. Und noch immer hallte es in einer unaufhörlichen Endlosschleife in seinen Ohren:

Junge, gehe nicht zu den Indios, nein, gehe nicht hin …

Fuck – was für Indios, und warum sollte er nicht zu ihnen gehen?

Er musste es sich, wie ihm der Text ohnehin in weiterer Folge riet, aus dem Sinn schlagen, endlich abschalten, aber je mehr er es versuchte, desto weniger wollte es ihm gelingen. Gaby – sie war wirklich ein verdammt scharfes Girl –, hatte sie ihm tatsächlich den Zettel mit der Nachricht zugesteckt? Warum sollte sie das tun, sie war Ted und er Mod, und vor allem: Sie war doch die langjährige Geliebte von Jerry, dem Ober-Ted! Langjährig … wie alt waren sie eigentlich alle? Unwillkürlich strich er sich über die grauen Schläfen.

Der Moddetektiv war nicht scharf darauf, Jerry zu hintergehen, dazu kannte er ihn einfach zu lange, andererseits … vielleicht war die ganze Sache bloß eine Falle, die dieser abgedrehte Freak Caligula ausgeheckt hatte … der hatte schließlich seinen Parka auf den Kleiderbügel gehängt, vielleicht auf Anordnung von Jerry, der ihn testen wollte – aber wozu testen, verdammt?

Nachdem er sich abgetrocknet und eingecremt hatte, zündete er sich eine Rothmans an, das half ihm beim Denken – aber wieso denken? Er hatte doch abschalten wollen! Inspector Krambambo hatte ihm den Obduktionsbericht durchgefaxt, komplett verrückte Sachen standen da drinnen, er hatte erst mal einige Minuten gebraucht, um sich überhaupt nur annähernd die Tatwaffe vorstellen zu können. Andererseits war es auch völlig egal, es war einfach seine verdammte Pflicht, Valium Mikes Mörder zu finden, denn das hatte er geschworen – wem eigentlich? Sich selbst jedenfalls, und das war das einzig Wichtige.

Fluchend hob er ein dreckiges Perry vom Boden auf und beförderte es in die Wäschetonne. Momentan hatte er nicht den blassesten Dunst, wo er bei der Sache einhaken sollte, wie überhaupt die ganze Geschichte weitergehen würde, vielleicht lebte er ja inzwischen schon hinter dem Mond, vielleicht war er für das alles einfach schon zu alt – nun gut, er würde sich schon nicht in einen Kürbis verwandeln …

Die Mods, die Teds, die Skins, die Psychobillies, die Popper, die Russels … oder Rassels? – keine Ahnung, wie man die schreibt, gab es die überhaupt noch?, die Rude Boys, die Punks, die New Romantics – alles eingeschworene Gemeinschaften von selbsterwählten Außenseitern, die irgendwann beschlossen hatten, sich aus der Gesellschaft auszuklinken, sich abzuheben, anders zu sein, einen Style zu haben, Individualisten eben – oder genau das Gegenteil? Schwache und meinungslose Lemminge, die sich nur in einer Gemeinschaft stark fühlten, Vorgaben brauchten, weil sie nicht genug Selbstbewusstsein besaßen, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. WE ARE MODS! – WE ARE MODS! – WE ARE – WE ARE – WE ARE MODS!

Das war der Schlachtruf, den sie gemeinsam hundertfach gebrüllt hatten, als sie sich alljährlich von der Blitz Bar aufgemacht hatten, um, eine Spur der Verwüstung hinter sich herziehend, lärmend über den Graben und durch die Kärntner Straße, vorbei an verblüfften Touristen und Feiertagsspießern, den überrumpelten Bullen, bei denen man sich nicht – wie heutzutage jede sinnentleerte Techno- oder Kifferparade – artig als Demonstration vorangemeldet hatte, zum Donnerbrunnen zu ziehen, in dem, einem Initiationsritus gleich, erst einmal die Taufe der Pseudos vorgenommen worden war. Bevor man sich hinüber zum Nordseerestaurant, dem fischelnden und würdelosen Treffpunkt der Teds, begab.

Die schleimigen Teds … höchstens zwanzig oder dreißig – man reckte ihnen geballte Fäuste entgegen, kam dem Nordseegastgarten, wo sich in den Alusesseln die Bill-Haley-Verschnitte mit Dauergrinser breitgemacht hatten, provokant nahe, ohne jemals vorgehabt zu haben, die Grenze tatsächlich zu überschreiten. Und wenn dann eine Bierdose hinübersegelte, war sie so geworfen worden, dass ihr Aufschlagsgebiet zu weit entfernt lag, um eine der Schmalzlocken auch nur ansatzweise nass zu machen und sie nach dem Aufdötzen völlig idiotisch über den Boden der Kärntner Straße schlitterte. WE ARE MODS! – WE ARE MODS! – WE ARE – WE ARE – WE ARE MODS! war das Einzige, was die Mods den Teds anzubieten hatten, es war erbärmlich.

In Manchester oder Liverpool hätte die Sache anders ausgesehen. Aber es war Wien, die Stadt der Gemütlichkeit, der Kompromisse und der Feigheit. Bei den Skins hielt man sich eher bedeckt, bereits ein einziger Skin reichte aus und zwanzig eingeschüchterte Mods hielten schön brav die Klappe.

Die dumpfen Skins waren auf Prügeln aus, hatten – im Gegensatz zu den Mods, die sich immer anschissen, dass die Frisur zerrüttet, die Chelseaboots zerkratzt, die Anzughosen zerrissen, ja selbst die Parkas dreckig werden könnten – nichts zu verlieren. Noch dazu waren die Skins prinzipiell zwei Köpfe größer als die Mods, oder wenigstens fetter.

Fette Mods hatte es kaum gegeben, als Mod sollte man lang und verbogen sein, so wie Pete Townshends Nase. Kleine Mods waren auch nicht angesagt, aber angesagter als fette Mods. Einen fetten Mod hatte es gegeben, der klischeehaft als Maskottchen mitgeschleift wurde und dem man den Namen »Balloni« gegeben hatte – der Sage nach trank er am liebsten einen Likör gleichen Namens, aber hauptsächlich hieß er so, weil er fett wie ein Ballon war. Und auch meistens fett im alkoholischen Sinn, vom Ballonitrinken wahrscheinlich.

Viele Mods hatten verdammt witzige Namen: Fanta, Fetzko, Fips, Duffy, Geronimo, der Verfolger, der Elk, der Schnulze, der Nasenbär, der Hitlermod. Und die Girls ebenso: das Brett, die Mücke, die Matratze, die Dackelin, die Mumie, die Gehscheissna.

Manche der Mädchen hassten die ihnen zumeist aufgrund einer bestimmten körperlichen Eigenschaft verliehenen Namen. So auch die Mumie, eine an sich nicht unhübsche, allerdings von der Natur mit einer fahlen Hautfarbe bedachte junge Dame, der eines Tages – als diese, ganz zum Plaisir des Moddetektivs sich dazu hatte hinreißen lassen, die privaten Räumlichkeiten des von ihm bewohnten Domizils aufzusuchen – die Oma des Moddetektivs (seine Mutter hatte den Tod ihres Gatten und somit seines Vaters, der in den letzten Tagen der Großen Schlacht um Brighton 1968 gefallen war, nie überwunden und musste bald darauf – der Moddetektiv zählte zu dieser Zeit kaum drei Sommer – Kummer und Gram entfliehend, ihren Frieden suchend, schließlich in Morpheus’ gnädige Arme gesunken, in ein Sanatorium für Modwitwen verbracht werden, auf dass fortan die Großmutter des Moddetektivs mit dessen weiterer Erziehung betraut worden war) mit den Worten »Und Sie müssen das Fräulein Mumie sein!« entgegentrat (denn der Moddetektiv hatte in seinen oftmaligen, zu abendlicher Stunde dargebrachten, vergnüglichen Erzählungen bisweilen über sie berichtet, und sie dabei stets mit ebendiesem Namen bedacht), was zur Folge hatte, dass diese sich dazu veranlasst sah, ein erneutes über die Schwelle des moddetektivschen Hauses Setzen ihres Fußes mit einem für den beträchtlichen Zeitraum von mehreren Wochen andauernden Boykott zu belegen.

Die großen Modaufläufe fanden nur einmal im Jahr, am Stadtfest, statt – es sei denn, ein Kinobetreiber war mutig oder unwissend genug, Quadrophenia