Der neue Landdoktor 88 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 88 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

0,0

Beschreibung

"Der neue Landdoktor" zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... Tessa Hofreiter ist in vielen Romangenres mit großem Erfolg aktiv. Einen ihrer zahlreichen Höhepunkte bildete fraglos die Serie um "Das Chateau", die sich um ein französisches Weingut dreht. Immer populärer ist in jüngster Zeit "Der neue Landdoktor" geworden, der den Nerv einer wachsenden Lesergemeinde trifft. Der Stil dieser Schriftstellerin ist unverwechselbar. "Du liebe Güte, was ist los mit dir, Yvonne? Du siehst mitgenommen aus. Du wirst doch nicht krank werden? Wir haben nur noch fünf Tage bis zum Wettbewerb." Lydia Draxler, die sich um den Tourismus und die Veranstaltungen in Bergmoosbach kümmerte, sah die junge Frau, die gerade aus der Drogerie gekommen war, erschrocken an. Sie trug einen gelben Steppmantel, hatte einen dicken weißen Schal mehrfach um den Hals geschlungen, das braune Haar quoll unter einer blauen Strickmütze hervor, und ihr schmales mädchenhaftes Gesicht war ganz blass. "Keine Sorge, Lydia, mir geht es gut", versicherte ihr Yvonne Brünner, die zu den besten Eiskunstläuferinnen der Region gehörte. Die junge Bergmoosbacherin galt als Favoritin für den Wettbewerb, der am kommenden Sonntag in Bergmoosbach ausgetragen wurde. "Ich kenne dich, Schätzchen, irgendetwas ist mit dir nicht in Ordnung", hakte Lydia nach. Obwohl sie einen dicken Steppmantel und Moonboots trug, war ihr kalt. Sie trampelte von einem Fuß auf den anderen, und ihre durch die Kälte geröteten Wangen verliehen dem runden Gesicht mit den großen blauen Augen etwas Kindliches. "Also gut, hast du einen Moment Zeit?", fragte Yvonne. "Ja, habe ich." "Dann lass uns einen Kaffee trinken." "Okay, gehen wir", erklärte sich Lydia sofort einverstanden. Während sie den Marktplatz überquerten und hinüber zum Café Höfner gingen, hoffte sie inständig, dass Yvonne nicht vorhatte, ihre Teilnahme am Wettbewerb abzusagen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 131

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der neue Landdoktor – 88–

Herz auf Eis

Leon liebte ihr stilles, verträumtes Wesen

Tessa Hofreiter

»Du liebe Güte, was ist los mit dir, Yvonne? Du siehst mitgenommen aus. Du wirst doch nicht krank werden? Wir haben nur noch fünf Tage bis zum Wettbewerb.« Lydia Draxler, die sich um den Tourismus und die Veranstaltungen in Bergmoosbach kümmerte, sah die junge Frau, die gerade aus der Drogerie gekommen war, erschrocken an.

Sie trug einen gelben Steppmantel, hatte einen dicken weißen Schal mehrfach um den Hals geschlungen, das braune Haar quoll unter einer blauen Strickmütze hervor, und ihr schmales mädchenhaftes Gesicht war ganz blass. »Keine Sorge, Lydia, mir geht es gut«, versicherte ihr Yvonne Brünner, die zu den besten Eiskunstläuferinnen der Region gehörte. Die junge Bergmoosbacherin galt als Favoritin für den Wettbewerb, der am kommenden Sonntag in Bergmoosbach ausgetragen wurde.

»Ich kenne dich, Schätzchen, irgendetwas ist mit dir nicht in Ordnung«, hakte Lydia nach. Obwohl sie einen dicken Steppmantel und Moonboots trug, war ihr kalt. Sie trampelte von einem Fuß auf den anderen, und ihre durch die Kälte geröteten Wangen verliehen dem runden Gesicht mit den großen blauen Augen etwas Kindliches.

»Also gut, hast du einen Moment Zeit?«, fragte Yvonne.

»Ja, habe ich.«

»Dann lass uns einen Kaffee trinken.«

»Okay, gehen wir«, erklärte sich Lydia sofort einverstanden. Während sie den Marktplatz überquerten und hinüber zum Café Höfner gingen, hoffte sie inständig, dass Yvonne nicht vorhatte, ihre Teilnahme am Wettbewerb abzusagen. Ohne ihre Favoritin hätten die Bergmoosbacher weitaus weniger Spaß an dieser Veranstaltung direkt vor ihrer Haustür.

Das Café Höfner war ein gemütliches Café mit Fenstern zum Marktplatz, runden Tischen aus Eichenholz, grün gepolsterten Stühlen und einer großen Theke mit Kuchen, Torten und Pralinen. Es war erst kurz nach elf. Die meisten Gäste waren ältere Winterurlauber, die sich nicht mehr auf die Skipisten wagten. Sie bevorzugten gemütliche Spaziergänge durch die verschneite Winterlandschaft und wärmten sich gern bei Kaffee und Kuchen im Höfner auf.

»Also, was ist los?«, wollte Lydia wissen, als sie ein paar Minuten später an einem Tisch am Fenster saßen und Rieke, die freundliche Bedienung im goldfarbenen Dirndl, ihnen zwei Milchkaffee gebracht hatte.

»Ich bin total nervös«, gestand ihr Yvonne leise, nachdem sie sich umgeschaut hatte, um sicher zu sein, dass ihnen auch niemand zuhörte.

»Das ist normal vor einem Wettbewerb. Darüber musst du dir keine Sorgen machen. Du bist Profi; sobald es losgeht, bist du die Ruhe selbst. So ist es doch immer«, antwortete Lydia und streichelte beruhigend über Yvonnes Hand. »Oder denkst du, die Konkurrenz ist dieses Mal zu stark?«

»Nein, überhaupt nicht. Die einzige, die wirklich um den Sieg mit mir konkurrieren wird, das ist Antonia, die Teilnehmerin aus Kiel. Oder klingt das überheblich, wenn ich davon ausgehe, dass ich gewinne? Ich möchte nicht, dass du denkst, ich halte die anderen für unfähig. Sie sind nur noch nicht so weit, weißt du.« Yvonne nahm die Tasse in beide Hände und trank einen großen Schluck von dem Milchkaffee.

»Im Moment gehörst du zu den besten, das darfst du ruhig aussprechen. Wer nicht von seinen Fähigkeiten überzeugt ist, der kommt nicht weiter. Selbstbewusstsein ist die Wurzel des Erfolges«, entgegnete Lydia lächelnd. »Aber nun sag endlich, was dich so nervös macht«, drängte Lydia die junge Eiskunstläuferin zu einer Antwort.

»Es geht um Leon«, flüsterte Yvonne mit einem schüchternen Lächeln.

»Und wer ist Leon?«

»Der Sänger der Icebreakers.«

»Okay, du schwärmst also für den Sänger der Band, die nach dem Wettbewerb am See auftritt, und es macht dich nervös, dass er dir während deines Auftrittes zusehen könnte.«

»Es ist ein wenig anders. Ich kenne Leon. Ich habe ihn vor vier Wochen in Garmisch kennengelernt. Es war während der Wohltätigkeitsveranstaltung für das Kinderkrankenhaus.«

»Wie weit ging das mit dem Kennenlernen?«

»Wir haben uns nur gut unterhalten, sonst war nichts. Aber ich fand ihn total nett und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er mich auch ganz sympathisch fand.«

»Ganz sympathisch, aha«, erwiderte Lydia schmunzelnd.

»Es ging wohl kaum darüber hinaus, sonst hätte er sich bestimmt schon bei mir gemeldet«, seufzte Yvonne.

»Ich weiß nicht, die Icebreakers waren in den letzten Wochen auf Tournee quer durch die Alpen. Österreich, Schweiz, Frankreich und nun geht es durchs Allgäu. Ihr Manager wollte uns übrigens keinen Auftritt zugestehen. Ich konnte ihn allerdings dazu überreden, mit der Band darüber zu sprechen, und siehe da, plötzlich ging es doch. Vielleicht habe ich diesen Erfolg dir zu verdanken.«

»Und warum?«

»Vielleicht will Leon dich wiedersehen und hat seinen Manager deshalb zu einer Zusage gedrängt. Schließlich giltst du als Favoritin für den Wettbewerb. Das bedeutet, er weiß, dass er dich wiedersehen wird.«

»Und wenn es nicht so ist, er sich vielleicht gar nicht mehr an mich erinnert?«

»Dann geht die Welt auch nicht unter.«

»Für mich schon. Bevor ich wusste, dass sie hier auftreten werden, hatte ich versucht, Karten für ihr Konzert in Garmisch zu bekommen. Aber es war leider schon ausverkauft. Ich wollte zu gern wissen, wie es sich anfühlt, ihn wiederzusehen, auch wenn es nur aus der Entfernung gewesen wäre.«

»Dann hast du dich in ihn verliebt?«, fragte Lydia leise, als Yvonne den Blick senkte.

»Könnte sein«, gab sie zu.

»Dann verstehe ich, warum du nervös bist.«

»Weißt du, wann die Band in Bergmoosbach eintrifft?«

»Sie wollten gegen Mittag hier sein. Sie nehmen Bergmoosbach als Ausgangspunkt für ihren Auftritt in Garmisch. Das heißt, die Band wohnt hier bei uns. Ihre Techniker für den Bühnenaufbau werden vor Ort in Garmisch übernachten.

»Sobald Leon in Bergmoosbach ist, könnte ich ihm jederzeit zufällig begegnen.«

»Das wäre möglich. Du könntest aus dem Zufall aber auch eine Absicht machen.«

»Ich gehe ganz bestimmt nicht ins Hotel und frage nach ihm.«

»Das musst du auch nicht tun. Ich werde etwas arrangieren", erklärte Lydia lächelnd.

»Was wirst du arrangieren?«

»Ich habe die Veranstaltung organisiert, und ich werde heute Abend die aktiven Teilnehmer, die bereits im Dorf eingetroffen sind, zu einem Willkommenstrunk in der Hotelbar einladen. Für so etwas hat unser Tourismusbüro sogar einen Etat.«

»Das heißt, ich könnte ihn heute Abend sehen und einfach abwarten, was passiert.«

»So ist es, meine Süße«, sagte Lydia. Sie war äußerst zufrieden mit sich, dass sie diese Idee hatte. So konnte Yvonne ganz unauffällig herausfinden, wie Leon zu ihr stand. Hätte sie mit diesem Wiedersehen bis zum Wettbewerb warten müssen, wäre sie sicher von Tag zu Tag nervöser geworden, und das hätte ihrem Auftritt ganz bestimmt nicht gutgetan.

»Hast du denn schon mit den Leuten von der Band über heute Abend gesprochen?«

»Das mache ich persönlich. Ich werde nachher ins Hotel Sonnenblick fahren. Von den Teilnehmerinnen am Wettbewerb wird vermutlich noch keine da sein. Falls doch, werde ich die Damen natürlich auch einladen.«

»Ich glaube nicht, dass schon eine da ist. Sie trainieren sicher noch zu Hause.«

»Yvonne, wir sehen uns heute Abend um halb neun in der Hotelbar. Ich will kurz mit Anna sprechen. Ich habe sie seit Silvester nicht mehr gesehen.« Lydia winkte der jungen Frau in der roten Winterjacke zu, die gerade am Café vorbeiging.

»Alles klar, ich übernehme den Kaffee, geh nur.«

»Bis heute Abend«, verabschiedete sich Lydia.

»Rein körperlich haben Anna und unser Doktor Seefeld alles gut überstanden, heißt es«, sagte Rieke, die zu Yvonne an den Tisch kam, als sie ihr bedeutete, dass sie zahlen wollte. Rieke spielte mit ihrem dunkelblonden Haar, das sie zu einem dicken Zopf um ihren Kopf gebunden hatte, und betrachtete die schöne Frau, die von Lydia gerade herzlich umarmt wurde.

»Das ist also eure Hebamme, die zusammen mit dem jungen Doktor in eine Lawine geraten ist und mit ihm in einer Höhle ausharren musste«, mischte sich eine ältere Dame mit beigem Stoffhütchen auf den grauen Locken ein, die mit drei anderen Damen am Nachbartisch saß.

»Sie mussten wegen der Umstände ausharren, ansonsten wäre das Wort ausharren wohl eher nicht angebracht«, entgegnete Rieke lächelnd.

»Nein, auf keinen Fall, weil es unter anderen Umständen nämlich keine Strafe wäre, eine Nacht mit diesem Mann in einer Höhle zu verbringen«, schloss sich Yvonne Riekes Antwort schmunzelnd an.

»Niemand verbringt gern eine Nacht in einer Höhle, auch nicht mit eurem Doktor«, erwiderte die Dame.

»Wirklich nicht?«, fragte Yvonne kichernd, als die Damen am Nachbartisch innehielten und auf den Mann in dem schwarzen Mantel und der grauen Jeans starrten, der aus dem Schreibwarenladen nebenan kam und seinen Arm um Annas Schultern legte.

»Nun ja, wenn ich etwa dreißig Jahre jünger wäre, Kindchen«, entgegnete die Dame verträumt, als Sebastian sein dunkles Haar aus der Stirn strich und sie seine hellen grauen Augen sah.

»Sind wir aber nicht, Gretchen, deshalb kraxeln wir nicht mehr auf den Bergen herum, sondern sitzen im Café«, sagte die Dame mit dem hellblauen Stoffhütchen auf dem hellblond gefärbten Haar, die neben ihr saß.

»Dann müssen wir uns wohl mit Torte begnügen«, seufzte Gretchen und streifte Sebastian mit einem letzten Blick, bevor sie sich wieder ihren Freundinnen zuwandte.

*

Yvonne wohnte noch zu Hause bei ihren Eltern. Neben ihrer Karriere als Eiskunstläuferin absolvierte sie ein Fernstudium in Erziehungswissenschaften. Sie war ihren Eltern dankbar, dass sie sie in allem unterstützten und ihr so die Freiheit gaben, das zu tun, woran sie wirklich Spaß hatte.

Das Haus stand am Anfang einer Gasse, die auf den Marktplatz zulief. Aus ihrem Appartement im Dachgeschoss konnte sie den Mittelpunkt des Dorfes mit den Geschäften und dem Café gut überblicken. Sie verbrachte den ganzen Nachmittag an ihrem Schreibtisch und versuchte, eine Hausarbeit über Pädagogik in der frühkindlichen Bildung zu beenden. Aber sie war nicht wirklich bei der Sache. Immer wieder ließ sie ihren Blick über den Marktplatz wandern. Vielleicht würde Leon sich das Dorf ansehen. Der Marktplatz war einer der ersten Anlaufpunkte für eine Besichtigung. Aber er kam nicht.

Als es dunkel wurde, beendete sie ihre Arbeit und legte sich noch ein paar Minuten auf das Sofa in der gemütlichen Sitzecke. Noch wohnte sie gern in ihrem Einzimmerappartement mit dem blauen Polsterbett, dem blauen Teppichboden und den weißen Möbeln. Irgendwann würde sie sicher in eine eigene Wohnung ziehen. Aber wann würde dieses Irgendwann sein? Wenn sie nach ihrer sportlichen Karriere einem ordentlichen Beruf nachging, wie die Leute sagten, die Sport nur als Freizeitbeschäftigung einstuften? Oder würde es die Liebe sein, die sie dazu brachte, sich nach einer eigenen Wohnung umzusehen?

Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie daran dachte, dass sie Leon in drei Stunden wiedersehen würde. Sie blieb noch eine halbe Stunde liegen und malte sich aus, wie das Treffen mit ihm verlaufen könnte. Angefangen von einer herzlichen Umarmung bis zu einem fragenden Blick, ob sie sich wirklich schon einmal begegnet waren.

Um sieben ging sie in die Küche hinunter und machte sich einen Käsetoast, viel mehr brachte sie nicht herunter. Ihre Eltern, die in der Kreisstadt ein Sportgeschäft besaßen, in dem sie auch hin und wieder aushalf, waren für zwei Tage in München, um dort eine Messe für Wintersport zu besuchen. So sehr sie auch die gemeinsamen Abendessen mit ihren Eltern liebte, an diesem Abend wäre es für sie eine Geduldsprobe gewesen. Sie hätte ihre Unruhe mit dem bevorstehenden Wettbewerb erklären können, aber ihre Eltern kannten sie gut genug, um zumindest zu ahnen, dass ihre Nervosität nichts mit dem Wettbewerb zu tun hatte. Ich werde ihnen erst von Leon erzählen, wenn es wichtig für sie ist, dachte sie, während sie in der großen Wohnküche mit den gemaserten Eichenholzmöbeln auf der Eckbank unter dem Fenster saß. Nach ein paar Bissen schob sie den Teller mit dem Käsetoast beiseite. Sie war einfach viel zu aufgeregt, um etwas zu essen.

Sie ging wieder hinauf in ihr Zimmer, öffnete ihren Kleiderschrank und fragte sich, was sie für dieses Wiedersehen mit Leon anziehen sollte. Sie entschied sich für ein kirschrotes Wollkleid mit überlangen Ärmeln und einem runden Ausschnitt. Dazu passten eine schwarze blickdichte Strumpfhose und schwarze Stiefletten mit Absatz. Sie beschloss, ihr Haar offen zu tragen, und legte ein zartes Make-up auf. Kurz nach acht verließ sie das Haus. Zum Hotel Sonnenblick waren es gut zwanzig Minuten zu Fuß. Sie zog die Kapuze ihres weißen Mantels über ihr Haar und machte sich auf den Weg.

*

Das Hotel Sonnenblick lag auf einer Anhöhe außerhalb von Bergmoosbach. Eine verschneite Allee gesäumt von prächtigen Kiefern und Tannen verband das Dorf mit dem Gelände des Fünfsternehauses. Die Zimmer des im alpenländischen Stil erbauten dreistöckigen Gebäudes hatten alle einen Balkon und boten einen grandiosen Blick auf die Berge. Auch in der Dunkelheit unter dem prächtigen Sternenhimmel war das Hotel beeindruckend. Der Park mit seinen geräumten Wegen, die an verschneiten Bäumen, Hecken und Rosenbüschen vorbeiführten, erinnerte an eine Märchenlandschaft und das Hotel mit seinen beleuchteten Fenstern an ein verwunschenes Schloss.

Nachdem Yvonne das Hotel betreten hatte, machte sie immer kleinere Schritte, so als wollte sie das Wiedersehen mit Leon noch eine Weile hinauszögern. Sie schaute sich in der Lobby um, betrachtete den hellen Teppichboden, die Wandverkleidungen aus edlem Holz, die Sessel und Sofas, die mit goldfarbenem Stoff bezogen waren.

»Hallo, Yvonne, wie geht es dir?«, riss die junge Frau hinter dem Empfangstresen sie aus ihren Gedanken.

»Grüß dich, Astrid«, wandte sich Yvonne der Rezeptzionistin in dem blauen Kostüm zu. »Um deine Frage zu beantworten, es geht mir gut.«

»Das höre ich gern, die Bergmoosbacher sind fest davon überzeugt, dass du am Sonntag als Siegerin auf dem Treppchen stehen wirst.«

»Ich werde mein Bestes geben.«

»Lydia hat einen Tisch in der Bar reservieren lassen. Ich nehme an, du gehörst auch zu den geladenen Gästen.«

»Das stimmt. Ist denn schon jemand da?«, fragte Yvonne und ging zu ihr an den Tresen.

»Soweit ich das mitbekommen habe, die beiden Gitarristen und der Schlagzeuger der Icebreakers und ihr Manager.«

»Und der Sänger?«

»Ihn habe ich noch nicht in die Bar gehen sehen. Antonia Jansen ist übrigens auch schon eingetroffen.«

»Antonia ist schon hier?«, wunderte sich Yvonne.

»Seit heute Morgen. So wie sie auftritt, könnte man meinen, sie hätte den Wettbewerb bereits gewonnen.«

»So tritt sie immer auf. Sie ist äußerst selbstbewusst.« Antonia nahm genau wie sie an allen wichtigen Wettbewerben im Eiskunstlauf teil, und meistens standen sie gemeinsam auf dem Siegertreppchen. Bisher war Antonia immer erst am Vortag eines Wettbewerbes eingetroffen, weil die besten zuletzt eintreffen, wie sie ihr gegenüber stets betonte. Dass sie dieses Mal noch vor den anderen Teilnehmerinnen angereist war, überraschte sie.

»Ich denke, sie lässt sich gern anhimmeln«, flüsterte Astrid, nachdem sie sich umgesehen hatte, um sicher zu sein, dass niemand ihr Gespräch mit Yvonne belauschte. Es gehörte nicht zum guten Ton des Hotels, über Gäste zu lästern.

»Sie fühlt sich eben zu etwas Höherem geboren«, entgegnete Yvonne leise. »Ich gehe dann mal zu Lydia, mach’s gut, Astrid«, verabschiedete sie sich und ging zu der schweren Holztür mit der goldfarbenen Aufschrift ›Bar‹.

Der Raum, den sie gleich darauf betrat, war in blaues Licht getaucht. Aus den Lautsprecherboxen, die an der Decke befestigt waren, klang sanfte Caféhausmusik. Auf der einen Seite des Raumes stand der Tresen aus dunklem glänzendem Holz, davor die Barhocker, die mit blauem Leder bezogen waren. An der gegenüberliegenden Wand saßen die Gäste an runden Tischen mit u-förmigen blauen Ledersofas. Die Bar war gut besucht, und sie entdeckte Lydia und ihre Gäste erst, als sie genauer hinschaute. Sie saßen an einem Tisch am anderen Ende des Raumes. Lydia hatte sie bereits bemerkt und winkte ihr gut gelaunt zu.

Yvonne hängte ihren Mantel an die Garderobe neben der Eingangstür und durchquerte den Raum. Leon hatte sie noch nicht gesehen, aber sie hoffte, dass er nur von den anderen verdeckt wurde. Sie war enttäuscht, als sie den Tisch erreichte und ihr klar wurde, dass Leon nicht da war.

Lydia, die ein nachtblaues Kleid mit einem Muster aus winzigen weißen Federn trug, stellte ihr die drei Musiker und den Manager der Band vor. Oskar und Pit, die beiden Gitarristen, und Ron, der Schlagzeuger, waren drei charmante junge Männer, die sie freundlich begrüßten.