Der neue Landdoktor 92 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 92 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

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Beschreibung

"Der neue Landdoktor" zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... Tessa Hofreiter ist in vielen Romangenres mit großem Erfolg aktiv. Einen ihrer zahlreichen Höhepunkte bildete fraglos die Serie um "Das Chateau", die sich um ein französisches Weingut dreht. Immer populärer ist in jüngster Zeit "Der neue Landdoktor" geworden, der den Nerv einer wachsenden Lesergemeinde trifft. Der Stil dieser Schriftstellerin ist unverwechselbar. "Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Blankenstein." Ute spürte, wie sie innerlich zitterte, nachdem sie den Neffen ihrer kürzlich verstorbenen Freundin Emma in ihre Wohnung gebeten hatte. Er hatte sie vor einigen Tagen angerufen und sie um ein persönliches Gespräch gebeten, da er etwas Wichtiges mit ihr besprechen wollte. Seit diesem Anruf ging es ihr nicht besonders gut, und sie war schon zweimal wegen starker Magenschmerzen bei Sebastian Seefeld, ihrem Hausarzt, gewesen. "Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?", fragte sie und sah den Mann in dem hellen maßgeschneiderten Anzug abwartend an. "Nein, vielen Dank, Frau Randen, ich habe gerade erst Kaffee getrunken", lehnte Hartmut Blankenstein höflich ab. "Setzen Sie sich zu mir, damit wir in Ruhe reden können." "Um was genau geht es?" Ute ahnte, dass ihr ein unangenehmes Gespräch bevorstand. Hartmut hatte die Villa, deren ersten Stock sie bewohnte, von seiner Tante Emma geerbt. Vermutlich würde er sich als neuer Besitzer nicht mit der geringen Miete zufrieden geben, die sie mit Emma vor Jahren vereinbart hatte. "Das war noch Qualitätsarbeit", sagte Hartmut und strich über die Armlehnen des hellgrauen Stoffsessels, der zu dem Sofa in Utes Wohnzimmer gehörte. "Wann haben Sie die Möbel gekauft? Vor dreißig Jahren? Vor vierzig Jahren?" Er ließ seinen Blick durch das geräumige Zimmer mit der Eckvitrine und den Regalen aus massivem Kiefernholz schweifen. Der helle Teppichboden und die hochgewachsenen Grünpflanzen verliehen dem Raum eine gemütliche Atmosphäre.

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Der neue Landdoktor – 92–

Eine Lösung für uns alle

Du sollst wissen, dass ich zu dir stehe

Tessa Hofreiter

»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Blankenstein.« Ute spürte, wie sie innerlich zitterte, nachdem sie den Neffen ihrer kürzlich verstorbenen Freundin Emma in ihre Wohnung gebeten hatte. Er hatte sie vor einigen Tagen angerufen und sie um ein persönliches Gespräch gebeten, da er etwas Wichtiges mit ihr besprechen wollte. Seit diesem Anruf ging es ihr nicht besonders gut, und sie war schon zweimal wegen starker Magenschmerzen bei Sebastian Seefeld, ihrem Hausarzt, gewesen.

»Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, fragte sie und sah den Mann in dem hellen maßgeschneiderten Anzug abwartend an.

»Nein, vielen Dank, Frau Randen, ich habe gerade erst Kaffee getrunken«, lehnte Hartmut Blankenstein höflich ab. »Setzen Sie sich zu mir, damit wir in Ruhe reden können.«

»Um was genau geht es?« Ute ahnte, dass ihr ein unangenehmes Gespräch bevorstand. Hartmut hatte die Villa, deren ersten Stock sie bewohnte, von seiner Tante Emma geerbt. Vermutlich würde er sich als neuer Besitzer nicht mit der geringen Miete zufrieden geben, die sie mit Emma vor Jahren vereinbart hatte.

»Das war noch Qualitätsarbeit«, sagte Hartmut und strich über die Armlehnen des hellgrauen Stoffsessels, der zu dem Sofa in Utes Wohnzimmer gehörte. »Wann haben Sie die Möbel gekauft? Vor dreißig Jahren? Vor vierzig Jahren?« Er ließ seinen Blick durch das geräumige Zimmer mit der Eckvitrine und den Regalen aus massivem Kiefernholz schweifen. Der helle Teppichboden und die hochgewachsenen Grünpflanzen verliehen dem Raum eine gemütliche Atmosphäre.

»Mein Mann und ich sind vor genau achtunddreißig Jahren in diese Wohnung gezogen, damals haben wir uns diese Möbel angeschafft. Aber ich nehme an, dass Sie nicht hergekommen sind, um meine Möbel anzuschauen.«

»Nein, Frau Randen, es geht um etwas sehr viel Wichtigeres.«

Hartmut war Ende dreißig, hatte kurzes braunes Haar und ein schmales Gesicht. Seine Körperhaltung, seine Mimik und der stechenden Blick seiner hellen Augen signalisierten seinem Gegenüber, dass er vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Seit zehn Jahren leitete er das Münchner Bauunternehmen seiner Familie, und wie Ute von Emma wusste, hatte er sich vorgenommen die Umsatzzahlen so weit in die Höhe zu treiben, dass Blankenstein-Bau für die Börse interessant wurde.

Hartmut besuchte sie nicht aus Höflichkeit oder um ihr zu danken, dass sie sich in den letzten Monaten um seine kranke Tante gekümmert hatte, die im Erdgeschoss der Villa gewohnt hatte. Diesen Dank erwartete sie auch gar nicht. Emma und sie waren schon in der Schule beste Freundinnen und diese Freundschaft hatte alles überdauert. Sie hatten beide schon vor einigen Jahren ihre Ehemänner verloren und waren seitdem erst recht immer füreinander dagewesen.

Hartmut hatte sich nie wirklich für seine Tante interessiert. Ute war davon überzeugt, dass seine vierzehntäglichen Besuche in den letzten Monaten nichts mit der Sorge um die Gesundheit seiner Tante zu tun hatten. Seine Mutter, Emmas Schwester, war vor zwei Jahren verstorben, und er wollte nur sicher gehen, dass Emma ihm seinen Anspruch als Alleinerbe nicht aberkannte. Emma hatte ihn natürlich durchschaut, aber sie tat, als würde sie ihm seine Komödie abnehmen. Sie hatte ihre Schwester geliebt, und diese Liebe galt auch ihrem Sohn.

»Verzeihung, Frau Randen, bevor wir uns weiter unterhalten, dürfte ich mir die anderen Zimmer ansehen?«, bat Hartmut die zierliche alte Dame in der weißen Spitzenbluse und dem dunklen Rock. »Ich habe keine richtige Vorstellung davon, wie es hier oben überhaupt aussieht.«

»Bitte, kommen Sie mit.« Ute ging voraus und führte ihn durch die Wohnung. Er war ihr neuer Vermieter. Sie wollte es sich nicht gleich mit ihm verderben.

»Die Zimmer sind gut geschnitten. Das lässt sich zwar auf den Bauplänen bereits erkennen, aber im Original ist das noch einmal etwas anderes«, sagte Hartmut, nachdem sie das große Schlafzimmer und das geräumige Gästezimmer besichtigt hatten. Auch die Küche mit den hellen ­Kiefernholzschränken, dem runden Tisch und den gemütlichen Stühlen bot genügend Platz für eine mehrköpfige Familie.

»Dieses Fenster ist ein echtes Highlight«, stellte Hartmut fest, als sie in das hell geflieste Bad mit seinen blauen Sanitärobjekten kamen. Durch das große Rundbogenfenster, vor dem die Wanne stand, hatte man einen grandiosen Blick auf die Berge. »Darf ich ein paar Fotos machen?«

»Wenn Sie das möchten, bitte sehr«, willigte Ute ein, als er sein Handy zückte.

»Jetzt hätte ich doch gern einen Kaffee, wenn ich Ihnen damit nicht zu viel Arbeit mache«, sagte er und sah Ute mit einem charmanten Lächeln an.

»Aber nein, ich mache Ihnen gern einen Kaffee«, entgegnete Ute. Sie ging in die Küche, während Hartmut durch die Wohnung lief und die Zimmer aus verschiedenen Perspektiven fotografierte.

»Ihre Enkelin?«, fragte er, als er den weiß ummauerten Kamin im Wohnzimmer fotografierte, auf dem neben einigen anderen Familienfotos ein größeres Foto von einer hübschen jungen Frau und Ute stand.

»Ja, das ist Mara. Das Foto wurde an meinem letzten Geburtstag aufgenommen«, erzählte ihm Ute, die mit zwei Tassen Kaffee aus der Küche kam.

»Sie sieht Ihnen ähnlich«, sagte Hartmut und steckte sein Handy wieder ein.

»Vielen Dank«, entgegnete Ute lächelnd. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

»Hören Sie, Frau Randen, ich bin hier, weil ich mir einen Überblick über die anstehenden Renovierungsarbeiten verschaffen muss«, eröffnete ihr Hartmut, nachdem er sich in die Mitte des Sofas gesetzt hatte. »Im ganzen Haus sind die Räume ziemlich heruntergekommen und schlecht isoliert.«

»Meine Wohnung ist doch in Ordnung, und schlecht isoliert ist sie sicher nicht. Im Sommer ist es hier angenehm kühl, und im Winter halten sich die Heizkosten in Grenzen. Ich kann mich wirklich nicht beschweren«, versicherte sie ihm.

»Nun, das ist wohl eher eine subjektive Einschätzung der Lage. Es ist kein Geheimnis, dass ältere Menschen die Hitze im Sommer eher als angenehm empfinden. Im Winter tragen sie dann warme Pullover in der Wohnung und hüllen sich in Decken ein, um Heizkosten zu sparen. Das hat mit wirklichem Komfort aber nicht das Geringste zu tun. Dazu kommt, dass Menschen Ihres Alters das regelmäßige Lüften oft vergessen.«

»Ich lüfte regelmäßig«, widersprach Ute seiner Unterstellung. »Und was spricht dagegen, die Heizung ein paar Grad herunterzudrehen, wenn man mit einer Decke auf dem Sofa liegt?«

»Eine Wohnung muss gleichmäßig beheizt werden, sonst besteht die Gefahr der Schimmelbildung. Um mich davon zu überzeugen, dass ihr Heizverhalten noch keine unangenehmen Folgen hatte, muss ich mir jede Wand im Einzelnen ansehen und gegebenenfalls den Putz herunterkratzen. «

»Hier gibt es keinen Schimmel an den Wänden«, versicherte ihm Ute.

»Wir werden sehen. Die Fliesen in Bad und Küche und die Sanitärobjekte im Bad müssen auf jeden Fall ausgetauscht werden. Vermutlich muss auch die Heizung im Haus erneuert werden.«

»Was heißt das für mich?« Ute versuchte, ruhig zu bleiben. Sie wollte Hartmut nicht zeigen, wie sehr er sie gerade aus der Fassung gebracht hatte.

»Dann fassen wir mal zusammen. Die Renovierungsarbeiten, die das Haus samt Außenanlagen betreffen, werden ungefähr ein halbes Jahr dauern. Da ich vorhabe, das Haus zu verkaufen, habe ich ein Maklerbüro beauftragt, sich darum zu kümmern. Sollte sich schnell jemand finden, könnte es natürlich auch sein, dass der neue Besitzer den Verlauf der Renovierung bestimmt.«

»Sie wollen die Villa verkaufen? Was wird dann mit mir?«

»Nun, das kann ich Ihnen nicht sagen. Das kommt darauf an, was der neue Besitzer plant. Ich gehe allerdings davon aus, dass jemand, der dieses Anwesen kauft, es gern allein bewohnen möchte. Ich würde Ihnen deshalb raten, sich schnellstmöglich eine andere Wohnung zu suchen. Zumal es in der nächsten Zeit ziemlich laut hier im Haus werden wird. Was halten Sie denn von einem Seniorenstift? So eine Einrichtung ist doch genau das Richtige für eine alleinstehende Frau Ihres Alters.«

»Ich möchte aber nicht in ein Seniorenstift. Ich kann mich noch sehr gut allein versorgen.«

»Mag sein, aber wie sieht es im nächsten Jahr mit Ihrer Fitness aus, der geistigen und der körperlichen? Ich rate Ihnen dringend zu einem Umzug, solange Sie noch selbst bestimmen können, wohin es gehen soll. Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Dieses Haus wurde von uns gebaut und ist inzwischen bezugsfertig. Ich habe ein Appartement für Sie reservieren lassen.« Hartmut drückte ihr den Hochglanzprospekt eines zehnstöckigen Hauses in die Hand. »50 Appartements für Senioren plus Gemeinschaftsräume, Schwimmbad und Sauna«, pries er das Gebäude an.

»Wo sind die Berge? Das ist doch eine Betonwüste«, stellte Ute fest, als sie den Prospekt aufklappte und sah, dass dieses Appartementhaus für Senioren inmitten einer Hochhaussiedlung mit nur wenigen Grünflächen stand.

»So etwas nennt man einen Ort mit Infrastruktur, Frau Randen. In Ihrem Alter brauchen Sie kurze Wege zu Ärzten und Krankenhäusern. Eine schöne Aussicht ist da wohl zweitrangig. Dieses Haus steht in München, einer Stadt mit einem medizinischen Angebot, von dem Sie auf dem Land nur träumen können.«

»Sie meinen, nur weil jemand alt ist, muss er sich mit allem abfinden, nur um einen Arzt in der Nähe zu haben? Alt heißt nicht automatisch krank.«

»In gewisser Weise schon, leider«, fügte er mit einem bedauernden Stirnrunzeln hinzu.

»Was auch immer Sie sich vorstellen, ich habe nicht vor, in ein Altenheim oder Seniorenstift, wie Sie es nennen, zu ziehen. Und überhaupt, Ihre Tante hat mir ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Das habe ich schriftlich.«

»Ich kenne dieses Schreiben, meine Tante hat es ihrem Testament beigelegt, aber das Schreiben ist leider nichts wert. Es wäre nur rechtsgültig, wenn sie dieses Wohnrecht ins Grundbuch hätte eintragen lassen, das hat sie aber versäumt. Tut mir leid für Sie«, sagte Hartmut und zuckte bedauernd die Schultern. »In zwei Wochen beginne ich mit den Renovierungsarbeiten. Nutzen Sie diese Zeit.«

»Es könnte doch auch sein, dass ein Käufer sich nicht daran stört, dass eine Wohnung vermietet ist.«

»Möglicherweise, aber er würde sich sicher nicht mit dieser Almosenmiete zufrieden geben. Ich meine, 500 Euro warm für achtzig Quadratmeter, das ist ein Witz für diese Lage.«

»Mit welcher Miete müsste ich denn rechnen?«

»Minimum mit der doppelten«, erklärte Hartmut und sah Ute dabei direkt an. Er hoffte, dass der Fall damit erledigt war. Diese Miete würde sie sich mit der kleinen Pension ihres Mannes, die er als Lokführer erworben hatte, und der Minirente, die sie nach vierzig Jahren als Angestellte einer Gärtnerei erhielt, nicht leisten können. »Rufen Sie am besten gleich morgen im Seniorenstift an, das wird schon«, sagte Hartmut, als Ute die Tränen in die Augen traten. »Wir hören voneinander, bis dann. Ich finde allein hinaus.« Er klopfte Ute tröstend auf die Schulter und ließ sie allein. »Na also, ist doch gut gelaufen«, murmelte er, als er grinsend die Treppe hinunterlief.

Ute hatte das Gefühl, in einer dunklen Wolke gefangen zu sein. Sie saß einfach nur da und starrte aus dem Fenster. Sollte sie wirklich ihr Zuhause verlieren, ihre vertraute Umgebung, in der sie gehofft hatte, bleiben zu können, solange sie in der Lage war, sich selbst zu versorgen?

Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, ging sie zum Telefon und rief Mara an. Mara wohnte in Düsseldorf und arbeitete als freie Mediendesignerin von zu Hause aus. Trotz der Entfernung kam Mara alle paar Wochen zu Besuch nach Mainingberg. Sie hatten schon immer ein herzliches Verhältnis gehabt, daran hatte sich nichts geändert. »Mara, ich werde mein Zuhause verlieren«, sagte Ute, als Mara sich meldete.

»Oma, sei ganz ruhig, ich setze mich morgen früh ins Auto und komme zu dir«, versprach ihr Mara, als sie in Tränen ausbrach und das, was sie gerade erlebt hatte, nicht in Worte fassen konnte.

»Aber was ist mit deiner Arbeit, Kind?«, fragte Ute und versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken.

»Das ist kein Problem, ich bringe meinen Laptop mit. Ich kann überall arbeiten. Wir sehen uns morgen, Oma, und bis dahin lenkst du dich ab und machst dir keine unnötigen Sorgen.«

»Ich will es versuchen. Wir sehen uns dann morgen.«

»Ja, Oma, bis morgen«, sagte Mara und legte auf.

»Meine kleine Mara«, flüsterte Ute und seufzte erleichtert. Mit Mara an ihrer Seite würde sie eine Lösung für ihr Problem finden. Sie ging zum Fenster und schaute auf die Berge. Ich gehe hier nicht fort, dachte sie und betrachtete das in der Sonne glitzernde Schneeplatt der Zugspitze.

Die Berge, das Tal und diese Villa waren ihr Zuhause. Hier war ihre Tochter, Maras Mutter, geboren und aufgewachsen, hier war sie mit ihrer Familie glücklich gewesen. Für Hartmut Blankenstein war es nur ein Haus, das ihm Geld einbringen sollte. Sie hing an ihrem Zuhause und wollte es nicht verlieren, aber sie hatte keine Ahnung, wie ihr das gelingen sollte.

*

Wie versprochen, hatte sich Mara gleich am nächsten Morgen in ihr Auto gesetzt und war die 600 km von Düsseldorf nach Mainingberg gefahren. Als sie um drei Uhr nachmittags bei ihrer Großmutter eintraf, wurde sie von ihr mit Tränen in den Augen empfangen.

»Jetzt bin ich ja da, Oma, es wird alles gut werden.« Mara konnte sich nicht erinnern, dass sie ihre Großmutter jemals so aufgeregt gesehen hatte.

Sie zitterte am ganzen Körper, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie ihr von Hartmuts Besuch erzählte. »Er hat mich heute Morgen schon wieder angerufen. Er wollte wissen, ob ich mit dem Seniorenstift gesprochen habe. Für ihn scheint es festzustehen, dass ich dorthin ziehen werde. Außerdem kam heute die fristgerechte Kündigung per Einschreiben.« Ute tupfte mit einem weißen Taschentuch die Tränen von ihren Wangen und lehnte sich seufzend in ihrem mit blauem Samtstoff bezogenen Ohrensessel zurück, in dem sie am liebsten saß, weil er ein Geschenk ihres verstorbenen Mannes war.

»Wir werden alles tun, was möglich ist, um diese Kündigung anzufechten«, versicherte Mara ihrer Großmutter. So einfach würden sie es diesem Mann nicht machen. »Ich werde bei dir bleiben, bis wir deine Rechte geklärt haben.«

»Aber ich will nicht, dass du deine Arbeit wegen mir vernachlässigen musst.« Ute strich die Strähne ihres kurzen weißgrauen Haares zurück, die ihr in die Stirn gefallen war, und sah die hübsche junge Frau, die auf dem Sofa saß, mit ihren hellen blauen Augen an.

»Das ist kein Problem, das habe ich dir doch gestern schon gesagt. Ich habe meinen Laptop dabei.« Mara deutete auf die schwarze Umhängetasche, die neben ihrem Koffer in der Diele stand.

»Aber ich will auch dein Leben nicht durcheinander bringen.«

»Ich versäume nichts, wenn ich ein paar Tage nicht in Düsseldorf bin.«

»Das heißt, du bist immer noch allein?«

»Ich bin nicht allein, Oma. Ich habe meine Freunde, einige wohnen sogar im selben Haus mit mir. Außerdem kann ich meine Eltern jederzeit besuchen. Nach Köln sind es nur ein paar Minuten.«

»Hast du nach unserem Telefongespräch gestern noch mit ihnen gesprochen?«

»Nur kurz, aber ich habe ihnen nichts von deinem Kummer erzählt.«

»Das war richtig, Mara. Sie haben so hart für diese Reise gespart, ich will sie ihnen nicht verderben.«

»Das will ich auch nicht.« Ihre Eltern hatten vor einigen Monaten die Autowerkstatt verkauft, die ihr Vater von seinem Vater geerbt hatte. Solange ihre Eltern selbstständig waren, hatten sie sich nur wenige Tage Urlaub im Jahr gegönnt. Vor ein paar Tagen waren sie zu einer vierwöchigen Kreuzfahrt durch die Karibik aufgebrochen. Ihr erster langer gemeinsamer Urlaub.

»Es wird nicht leicht werden, diesem Mann Paroli zu bieten«, sagte Ute und schaute ihre Enkelin nachdenklich an.