Der Neue Mann - Jan von Goldmar - E-Book

Der Neue Mann E-Book

Jan von Goldmar

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Beschreibung

Die Erzählung beginnt mit der Eröffnung eines sogenannten Herren-Abends, den der New Ladies Club zweimal im Jahr veranstaltet. Jeweils zum Frühlings- und Herbstanfangs treffen sich die Damen in großer Robe gemeinsam mit ihren Begleitern, die zum Fest in 'Frack und Claque' zu erscheinen haben. Die Veranstaltung beginnt mit einer freundlichen Begrüßung, einer Protokollverlesung vom letzten Halbjahr und kommt dann zu Erfolgsberichten von Wissenschaftlerinnen, die an Universitäten des Landes reüssiert haben. Berühmte Damen werden namentlich genannt wie "aus alter Zeit eine Hypatia, eine Theano, Aspasia und die Nonne Roswitha; die Namen von Olympia Morato, Elisabeth Guizot, Margarete von Oesterreich, den Schwestern Strickland, der Sprachenforscherin Talvj, der Astronomin Caroline Herrschel, der Mathematikerin Kowalewska." Sodann taucht auch die Frage nach der Emanzipation der Frau auf, der Neuen Frau.

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Der New Ladies' Klub hatte seinen »Herren-Abend;« zweimal im Jahre werden seine ebenso eleganten wie gemütlichen Räume den gentlemen geöffnet: an den Tagen des Frühlings- und Herbst-Anfangs.

Dem Kalender nach war es Frühling heute. Aber davon merkte man in den Strassen Londons noch nichts. Gelbgraue Nebel verhüllten das Häusermeer, bedeckten liebevoll die hohen Schmutzhügel, deren schneeigen Ursprung man nicht mehr erraten konnte, und woben zitternde Strahlenschleier um die Laternen.

Eine frierende neugierige Menge drängte sich um das Portal des stattlichen Klubgebäudes und starrte nach den eleganten Insassen der vorfahrenden Wagen. Jedesmal, wenn der würdevolle Portier den Eintretenden die Flügeltür im Innern des Hausflures öffnete, drang ein Hauch von Wärme, Duft und Glanz zu den stumpfen Gaffern da draussen und liess sie um so trostloser zusammenschauern.

Drinnen freilich war es Frühling! Strahlende Helle erfüllte die warmen Säle und verschwenderischer Blumenschmuck zauberte den Lenz in Gedanken und Sinne.

Die Damen waren in eleganter Abendtoilette, die Herren in Frack und Claque erschienen; der grosse Vortragssaal nahm die ganze festliche Gesellschaft zunächst auf.

Hier bestieg die alte weisshaarige Duchess of Winsfield die Rednertribüne und begrüsste als Präsidentin in liebenswürdiger Weise die Gäste, worauf die Sekretärin, Mrs. Bowertree, das Protokoll über das letzte halbe Jahr vorlas.

Nun folgten Vertreterinnen der verschiedensten Nationen; in allen Sprachen, in guten und schlechten Reden wurden die Erfolge der Advokatinnen, Aerztinnen, Chemikerinnen und Apothekerinnen des In- und Auslandes gepriesen, und eine sehr gründliche deutsche Dame verlas eine Statistik sämtlicher an deutschen Universitäten zugelassenen Studentinnen, nach dem Studienfach geordnet.

Man gähnte verstohlen.

Auch diese Rede nahm ein Ende. Eine Pause trat ein.

Die Präsidentin forderte die Anwesenden auf, etwaige Fragen, Wünsche, Anregungen zur Diskussion zu stellen; aber niemand meldete sich.

Die Gegenwart des starken Geschlechtes, von dem der grösste Teil die Sache als a good joke auffasste, hemmte die sonst muntere Redelust der jugendlichen Mitglieder.

Endlich erhob sich eine Dame aus den vorderen Reihen und schritt langsam, zögernd der Rednertribüne zu.

Eine schlanke, ebenmässige Gestalt, einfach aber chic gekleidet, – als sie nun ihr errötendes Antlitz den Zuhörern bot, erwachte das bereits gesunkene Interesse wieder.

Ohne schön zu sein, war Margaret v. Letzows Erscheinung so distinguiert, dass sie sicher war, überall Gefallen zu finden, und dies Bewusstsein verlieh ihr eine hoheitsvolle kühle Würde.

»Ich will Ihre Geduld nicht lange missbrauchen,« begann sie in fliessendem, leicht deutsch gefärbtem Englisch, »ich möchte mir nur die Frage erlauben: sind die Erfolge der Frauenbewegung wirklich so bedeutend wie wir in unseren redlich strebenden Vereinen gern glauben mögen? Meine Damen und Herren! Ich kann ja nur von meiner deutschen Heimat sprechen, aber dieselbe ist, wie jeder weiss, sehr fortgeschritten. Fräulein Krause hat uns vorhin berichtet, wie beliebt unsere Universitäten bei den Ausländerinnen sind, und wir haben auch sämtliche Namen der promovierten Damen vernommen, die nun auf die Erlaubnis warten, ihre Kenntnisse praktisch verwerten zu dürfen. Sehen wir denn bloss darin die Erfolge? Gelehrte Frauen hat es zu allen Zeiten gegeben, gar nicht zu sprechen von den »berühmten Frauen«! Die weibliche Gelehrsamkeit brüstet sich schon in alter Zeit mit einer Hypatia, einer Theano, Aspasia und der Nonne Roswitha; die Namen von Olympia Morato, Elisabeth Guizot, Margarete von Oesterreich, den Schwestern Strickland, der Sprachenforscherin Talvj, der Astronomin Caroline Herrschel, der »Erxlebin«, der Mathematikerin Kowalewska haben immer ihren guten Klang behalten. Ob den modernen Doktorinnen derselbe Ruhm blühen wird? Doch ich will zum Ziel meiner Interpellation kommen – und stelle die Frage: ist durch die Emanzipation die Stellung der Frau wirklich gebessert worden? Ich habe damit nicht die äusserlichen Vorteile, weder Mädchen-Gymnasium noch Wahlrecht im Auge, sondern die Stellung des Weibes zur Zukunft – und zum Mann. Kaum jemals stand die Sünde in solcher Blüte wie heutzutage – es gibt keinen Beruf, keine Ideale, die nicht zu ihren Gunsten ausgebeutet werden. Die Kunst besonders dient nur noch zum Sinnenreiz, – und das Weib ist es, welches die Lockung verkörpert. Wo bleibt hier die Emanzipation? Es ist überall das gleiche. In London grassiert das Laster wie in Paris und Berlin. Besucht man die grossen Ausstellungen, so findet man dem »Vergnügen« einen weitaus wichtigeren Platz angewiesen wie dem Erfolg rastloser Arbeit. Ich will bei meiner Heimat, Berlin, bleiben – hier sind wenig über eintausend städtische und staatliche Beamtinnen angestellt, sei es am Telephon, Telegraph, am Fahrkarten- und Postschalter. Dem »Vergnügen« aber dient – offiziell – die sechsfache Zahl, und ausserdem noch die Angehörigen der zahllosen kleinen Theater und Variété-Bühnen, welche ihren Verdienst durch die Wirkung auf die Sinnlichkeit erzielen und einen verderblichen Hang zum Luxus wachrufen. Wo, um Himmels willen, bleibt da unser Fortschritt? Wohltätigkeitsanstalten, Waisen- und Findelhäuser sind keine Neuerungen! Und wenn nach und nach sich die Universitäten gnädig für die Frauen öffnen, kann ich nicht in Frohlocken ausbrechen. Studieren kann immer nur ein bestimmter Teil der weiblichen Bevölkerung – dem Laster aber kann jede zum Opfer fallen. Wir kämpfen und kämpfen – und an der rotglühenden Mauer der Sinnlichkeit zerbrechen unsere Waffen. – Warum nur? warum?«

Margaret schwieg – ihre grossen hellen Augen blickten antwortheischend über die Versammlung und erblickten überall halb verlegene, halb entrüstete Gesichter, während mehrere Herrengruppen lächelnd flüsterten.

Doch da stand schon ein Redner neben ihr und verbeugte sich leicht – Margaret schritt auf ihren Platz.

»Meine Herrschaften, die Frage, welche die geehrte Rednerin soeben aussprach, haben sich wohl schon alle ernsten Frauenrechtlerinnen vorgelegt. Aber sie fanden keine Antwort, weil sie dieselbe eben von sich selbst begehrten. Und, meine Damen und Herren – zur Bekämpfung der – – Unsittlichkeit gehört nicht die neue Frau, sondern der neue Mann. Ich glaube, meine geehrten Damen, die ganze Frauenbewegung hat in ihrem Programm eine Kleinigkeit vergessen – nämlich: die Mitwirkung des Mannes an der Charakter-Entwicklung des Weibes.

Sie gründen Gymnasien und Universitäten, um »alle Werte umzuwerten« und die neue Frau zu erziehen, nämlich die, welche entweder ohne den Mann ihren Platz in der Welt ausfüllt, oder die, welche auf höherer Stufe steht als er (psychisch ist letzteres ja meist der Fall, aber das genügt Ihnen nicht). Sie arbeiten also entweder: auf das Aussterben der Welt hin und vernichten damit jede Zukunft, oder Sie untergraben das bisschen Glück, das uns die Liebe noch gewährte, und zerstören dadurch die Gegenwart. –

Ich sehe an Ihren Mienen, dass Sie entrüstet sind, aber, meine Damen, warum gefällt sich der Mann in seiner ererbten überlegenen Position? Weil er sich der Kraft bewusst ist, zu halten, was ihm die Natur verlieh. Und die Frauen? Ihre Stärke liegt nun einmal in der Mutterschaft: ihr Wert bedingt den Wert der Menschheit; die Kultur eines Staates zeigt sich an der Bildung seiner Frauen. Sie, die freien, geehrten, geliebten Frauen, beklagen sich über die Ketten, welche Gesetz, Herkommen und – Mode schmieden, aber Sie legen sie eigenhändig den Neugeborenen um die zarten Glieder – Ihre einzige Waffe gegen diese Fesseln ist die Weigerung, Kinder zu gebären, welche sie tragen müssen! Sie predigen Freiheit und üben Vernichtung! Warum legen Sie den Schwerpunkt der Gleichberechtigung auf die gelehrte Erziehung, statt auf die moralische? Sie sind die Mütter der Zukunft. Geben Sie uns den »neuen Mann«, der sich seiner physischen Ueberlegenheit nicht als eines Vorzuges und der feineren Natur des Weibes nicht als einer Minderwertigkeit bewusst ist.

Was nützt es, die Kinder in streng gesonderten Anschauungen zu erziehen und dann von den Erwachsenen gleiche Gesinnung zu fordern?

Meine Herrschaften! Es sind die durchaus verschiedenen Moralbegriffe, welche einen Abgrund zwischen die Geschlechter legen – erst die Scham schuf den Begriff der Sünde: solange Knaben und Mädchen in verschiedenen Moralbegriffen aufwachsen und gelehrt werden, im eigenen Körper einen Gegenstand der Scham zu sehen, solange wird auch der Kampf der Geschlechter kein Ende finden.«

Eine Stille entstand nach diesen Worten. Die ernsten Frauenrechtlerinnen bewegten die Rede in ihrem Herzen; die hübschen eleganten Damen, welche den Klub mehr als Modesache betrachteten, sassen nachdenklich überlegend, ob der neue Mann für die Liebe ein Hindernis oder ein Sporn bedeute – während die Vertreter des selbstzufriedenen Geschlechtes mit ironischem Lächeln auf den Prediger in der Wüste blickten.

Eitel Joachim von Seyblitz ging mit raschen Schritten seinem Platz zu; ohne sich um die übrigen Anwesenden zu kümmern, forschte sein Auge in den anmutigen Zügen seiner Cousine Margarethe nach der Wirkung seiner Worte.

Aber Margarethe wich seinem Blick aus und beschäftigte sich eifrig mit ihrer Nachbarin.

Zehn Minuten später befand sich die ganze Versammlung in dem grossen drawing-room, der mit reizend arrangierten cosy corners und verschwenderischer Blumenfülle wundervoll aussah.

Junge Zöglinge der Klub-Haushaltungsschule in schwarzen Kleidern, Spitzenhäubchen und Mullschürzen servierten Tee und sandwiches.

Lebhaftes Stimmengewirr erfüllte den Saal. Am Tisch der Präsidentin herrschte wohl noch das ernste Thema, aber in den Ecken, den Chrysanthemum-Lauben und Erkerplätzchen ward geplaudert, gelacht und geflirtet wie in jeder anderen Gesellschaft, die sich zum eigenen Vergnügen, nicht zum Wohl der Menschheit vereint. Herr von Seyblitz sass mit Marga und zwei anderen jungen Mädchen in einer künstlichen Grotte, die in eine Saalecke gebaut war und einen umfassenden Blick über den ganzen Raum gewährte. Im anstossenden Gemache ertönten heitere Musikweisen.

»Soll wirklich getanzt werden?« frug Marga.

»Gewiss,« antwortete Dolly Barnes, ein grosses schönes Mädchen mit sehr hellem Haar und rosigem Teint, »Mylady besteht darauf, dass die Herrenabende ›wirkliche Gesellschaften‹ sein sollen, obwohl die Mehrzahl der Mitglieder gegen die Kosten sind. Ich verstehe, offen gestanden, auch nicht, weshalb man sich solche Mühe gibt, die Herren, vor denen immer gewarnt wird, zu amüsieren!« Sie lachte, Eitel Joachim anblickend, und setzte hinzu: »als ob unsere Vorträge nicht genug Amusement bildeten!«

»Geben Sie mir keinen solch schlechten Begriff von Ihren Landsleuten,« sagte Seyblitz, ihr Lächeln erwidernd, »ich vermute, dass alle Herren ausserordentlich gern in diesen entzückenden Räumen weilen, selbst wenn ihnen das ernste Streben der Damenwelt zu ernst sein sollte. Wer arrangiert Ihnen denn alle diese Dekorationswunder? Mir wurde gesagt, dass ausser dem Portier kein männliches Wesen im Klub beschäftigt würde …«

»Das stimmt, und unsere Künstlerin sitzt hier,« Dolly wies auf ihre Gefährtin am Tische, eine kleine unscheinbare Person, welche in einem schlecht sitzenden grauen Seidenkittel (Kleid war das Machwerk nicht zu nennen) steckte, »Miss Octavia Monetti.«

Eitel, welcher bis jetzt noch keinen Blick an diese merkwürdige Erscheinung verschwendet hatte, sah voll Erstaunen in das interessante Antlitz – ausser dem Namen verrieten nur die melancholischen schwarzen Augen die italienische Abstammung der Dekorateurin.

Octavia nahm die Komplimente über ihre Geschicklichkeit sehr gleichgültig hin und wendete sich zu Margarethe:

»Was ist Ihnen, Miss Margaret? Sie sind so still und bleich!«

»Ich denke nach,« sagte die deutsche Freiin, »ich bin extra über den Kanal gekommen, um Neues zu hören und zu lernen – und das einzig Neue, was dieser Klub-Abend bringt, ist eine Rede meines Vetters, die er mir schon in Berlin hätte halten können, wo ich ihn monatelang fast täglich sah, ohne zu ahnen, wie eingehend er sich mit der Frauenfrage beschäftigt.«

Octavia warf einen schnellen Blick auf Eitel.

Dieser lächelte seine Cousine an und wendete sich zu Dolly: »Sagen Sie, Miss Barnes, ob es wahr ist, dass Margaret nichts von diesem meinem Interesse wusste? Haben wir nicht letztes Jahr, als Sie noch in Berlin waren, oft genug darüber debattiert?«

Dolly nickte. »Und ob! Wie oft haben Sie aunt Leokadie shockiert! Ach, wenn ich an jenen Vormittag im Museum denke!«

»Was war denn da?« frug Octavia.

Dolly lachte laut und errötete etwas. »O, es war so komisch! Miss Leokadie hatte uns so schöne gelehrte Vorlesungen über die antike Kunst gehalten und wollte Mr. Seyblitz, der zufällig uns im Museum traf –«

»Hm – zufällig –«

»– absolut bewegen, uns zu verlassen: es sei unschicklich für ladies, in Herrenbegleitung die Skulpturen anzusehen!«

»Ja, vielleicht hatte sie nicht unrecht – dazu gehört ein ›neuer Mann‹!«

»Damals sagten Sie schon, die modernen Schambegriffe seien unsittlich –«

Marga blickte etwas erstaunt auf Dolly, aber die junge Engländerin bediente sich der deutschen Sprache und empfand infolgedessen kaum die Freiheit der Worte, welche sie in ihrer Muttersprache nie ausgesprochen haben würde.

Eitel lächelte. »Welch gutes Gedächtnis Sie haben, Miss Dolly; wissen Sie, damals kam mir zuerst der Gedanke, dass es einen Mittelweg zwischen der Lüsternheit und der Prüderie geben müsste, für uns Männer sowohl wie für die Frauen. Und das ist der Pfad der Zukunft.«

»Sollte der wirklich noch nicht gefunden sein? und wenn auch nur von einer kleinen Anzahl glücklicher Ehewanderer?« meinte Margaret.

»Das ist undenkbar!« rief Octavia, »sonst wäre nicht die Begierde Herrscherin der Welt!«

»Und doch ist es gerade die moderne Frau, die den Brennstoff für die unlautere Flamme liefert,« sagte Eitel, »denn wie heisst die Losung: Freiheit der Wahl – kein Ehezwang. Als ob nicht jede Liebe ein unbewusster Zwang sei!«

»Aber merkwürdigerweise immer nur für die Frau – das Märtyrerund das Heldentum der Liebe beherrschen die Frauen,« sagte Octavia.

»Da haben Sie recht, Miss Monetti,« erwiderte Eitel mit einem flüchtigen Blick auf sie, »mein Interesse an der Frauenfrage gründet sich eigentlich schon auf die Erlebnisse meiner Kinderjahre. Meine Mutter war eine liebe, gute – echt weibliche Frau, die ihren Gatten vergötterte und die Mutterschaft für ihren Daseinszweck hielt. Vielleicht ist sie ihrer Bescheidenheit wegen nie genug geschätzt worden; ja, ich glaube, jede der anwesenden 150 Damen, von den Serviermädchen an, hält sich für wertvoller, als einst die Baronin Seyblitz, die liebevollste Mutter von zehn Kindern!«

»Und ist sie glücklich gewesen, deine Mutter?« frug Margaret langsam.

»Glücklich? Du vergisst, dass unsere lieben altmodischen Mütter und Grossmütter ihr Glück darin suchten, andere glücklich zu machen – –«

Sein Antlitz blieb ernst, keine Ironie lag in seiner Antwort.

»Also hast du schon als Kind empfunden, dass deine Mutter nicht den ihr gebührenden Platz einnahm?«

»Das wohl nicht. Ich weiss nur, dass meiner innigen Liebe zu ihr sich stets etwas Mitleid zugesellte – Mitleid mit ihrem sorgenvollen Antlitz, mit ihren tausend Artigster, und Nöten um uns alle; und trotzdem fand ich es nicht nötig, mich zu bessern, ihr etwa die Sorgen um mich zu erleichtern. Und hier, glaube ich, ist die Stelle, wo der Hebel angesetzt werden muss: wir Knaben leiden von Kindheit an an Selbstüberhebung. Und die Reform der Menschheit ist nur durch das männliche Geschlecht möglich – –«

»Oh, hier finde ich Sie endlich!« rief der junge Duke of Winsfield plötzlich hinter seinem Stuhl, »meine Mutter suchte Sie überall – würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, zu ihr zu gehen? Wenn die Damen gestatten, nehme ich Ihren Platz, ein.«

Es kann nicht geleugnet werden, dass die Präsidentin über das Thema des heutigen Abends shockiert war. Denn wenn auch ernstes humanes Streben für den Klub sie beseelte, so hasste sie doch – besonders an Herrenabenden! – die Berührung von heiklen Angelegenheiten.

Sie war ja sonst nicht prüde, die gute Herzogin, o nein, für kleine pikante Histörchen zum Beispiel hatte sie eine besondere Vorliebe, aber so öffentlich, im Klub, eine solche Frage anzuschneiden – –

»Diese Deutschen sind immer plump,« dachte sie, während sie Eitel mit einem interessierten »Lassen Sie mich hören, wie Sie über die Erziehung im allgemeinen denken!« empfing, placierte sie ihn geschickt zwischen sich und eine halbtaube Dame, die wenig Interesse zeigte.

Bald jedoch drehte sich die Jugend nach den schmelzenden Walzermelodien, und man vergass der eigentlichen Bedeutung des Abends.

»Wo ist Marga?« frug Eitel, während er, langsam durch die Säle schlendernd, deren Tante Leocadie antraf, wie sie mit einem grimmigen Lächeln auf dem gewöhnlich so freundlichen Gesicht in das Gewirr der Tanzenden starrte.

»Marga?« kann ich das wissen? Die geht ja ihre eigenen Wege,« meinte das alte Fräulein ärgerlich. »Aber du bist an allem schuld! Machst sie noch ganz verrückt mit all dem Kram. Ich bin, weiss Gott, eine begeisterte Anhängerin der Frauenrechte, aber dass so ein Mädel sich dahinstellt und Dinge sagt, die sie überhaupt nicht verstehen darf, das ist mir zu bunt. Und du – na, ich will hier nicht schimpfen – du sekundierst ihr auch noch und erfindest einen »neuen Mann« – gescheiter wär's du heiratetest ganz altmodisch und schöbst auf deine Güter ab.«

»Aber Tantchen, das will ich ja gerade,« sagte Eitel Jochen und zauste an seinem Schnurrbart herum, aber Margaret ist ja nicht beizukommen! Du hast sie ja selbst zu einer Männerfeindin erzogen!«

»Ich? wieso denn? Weil ich ihr sagte, dass auch der beste Mann nichts taugt?«

»Nun, hältst du das für sehr ermutigend? Besonders, da ich nie das Bestreben hatte, als der beste zu gelten?«

Fräulein Leocadie von Letzow besah sich ihren jungen Verwandten musternd, als ob er ihr ganz fremd sei und sagte dann: »Gott, schliesslich ist für Marga das Heiraten immer noch besser als verrückt zu werden mit ihren Weltverbesserungs-Ideen. Meinen Segen habt Ihr!«

»Danke – lieber wäre mir aber Margas Jawort. Ach, da drüben ist Dolly Barnes, ich will sie mal fragen.«

Dolly kam ihm lachend entgegen. »O, Mr. Seyblitz, Margaret ist zu köstlich! Sie hat den armen Herzog so verblüfft. Er wollte so gern mit ihr flirten, o, Sie hätten nur sehen sollen. – Und vorhin fragte er sie, ob sie die englischen oder die deutschen Männer vorziehe? Da sieht sie ihn so von oben herab an und sagt: ›Immer die abwesenden, Herr Herzog!‹ Wo sie ist? Drüben bei den Palmen mit Octavia – o, hören Sie nur den schönen Walzer!«

Eitel umfasste lächelnd das junge Mädchen, und sie tanzten, während sie immerfort schwatzte.

Sie waren gute Bekannte. Dolly Barnes war zwei Jahre lang Pensionärin bei »Tante Leo« gewesen, die in Berlin ein fashionables Familienpensionat unterhielt, und Eitel, der damals noch aktiver Offizier war, hatte eifrig die »jours« besucht.