Sarahs süßer Skandal - Viola Maybach - E-Book

Sarahs süßer Skandal E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Wo wollen Sie denn hin, junge Frau?« Der Fahrer des Lastwagens fuhr langsam neben Sarah her. »Ich kann Sie wenigstens ein Stück mitnehmen, Sie sollten mit Ihrem Baby nicht in diesem Regen herumlaufen – Sie sind ja beide schon ganz naß.« Sarah hatte sich fest vorgenommen, es allein zu schaffen, und ganz sicher war in ihren Planungen nicht vorgesehen, daß sie auf ihrem Weg nach Schloß Sternberg mit ihrem kleinen Sohn trampte. Nicht einmal im Traum hatte sie diese Möglichkeit auch nur erwogen. Jetzt allerdings sah es anders aus: Seit etwa fünf Minuten ging ein wahrer Wolkenbruch auf sie und Andreas nieder. Es stimmte, was der Mann gesagt hatte: Sie waren naß bis auf die Haut. Andreas weinte noch nicht, aber sein Gesichtchen sah unglücklich aus, und sie wußte, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er in jämmerliches Geschrei ausbrechen würde. Zögernd sah sie zu dem Mann hinauf. Er sah wild aus mit seinen langen Haaren, dem ungepflegten Bart und dem dicken Bauch, über dem sich ein speckig glänzendes T-Shirt spannte. Aber seine Augen blickten sie freundlich und ein wenig besorgt an, sein Lächeln war beinahe schüchtern. Sie mußte an das denken, was sie zurückgelassen hatte und daran, wie weit der Weg nach Sternberg noch war – beinahe unüberwindlich weit, wenn man kaum noch Geld hatte. Ihre Flucht war nicht gut geplant gewesen, dazu hatte sie keine Zeit mehr gehabt, es hatte alles viel zu schnell gehen müssen. »Nun steigen Sie schon ein! Je länger Sie da draußen bleiben, desto schlimmer wird es!« Sie nickte. »Danke für Ihr Angebot, ich glaube, ich sollte es annehmen.« Er zog die Handbremse an. »Geben Sie mir das Kind, dann können Sie besser einsteigen.« Sarah wunderte sich, wie selbstverständlich sie diesem fremden Mann ihren kleinen Sohn reichte.

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Der kleine Fürst – 308 –

Sarahs süßer Skandal

Glaub an deine Liebe, Carl!

Viola Maybach

»Wo wollen Sie denn hin, junge Frau?« Der Fahrer des Lastwagens fuhr langsam neben Sarah her. »Ich kann Sie wenigstens ein Stück mitnehmen, Sie sollten mit Ihrem Baby nicht in diesem Regen herumlaufen – Sie sind ja beide schon ganz naß.«

Sarah hatte sich fest vorgenommen, es allein zu schaffen, und ganz sicher war in ihren Planungen nicht vorgesehen, daß sie auf ihrem Weg nach Schloß Sternberg mit ihrem kleinen Sohn trampte. Nicht einmal im Traum hatte sie diese Möglichkeit auch nur erwogen. Jetzt allerdings sah es anders aus: Seit etwa fünf Minuten ging ein wahrer Wolkenbruch auf sie und Andreas nieder. Es stimmte, was der Mann gesagt hatte: Sie waren naß bis auf die Haut. Andreas weinte noch nicht, aber sein Gesichtchen sah unglücklich aus, und sie wußte, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er in jämmerliches Geschrei ausbrechen würde.

Zögernd sah sie zu dem Mann hinauf. Er sah wild aus mit seinen langen Haaren, dem ungepflegten Bart und dem dicken Bauch, über dem sich ein speckig glänzendes T-Shirt spannte. Aber seine Augen blickten sie freundlich und ein wenig besorgt an, sein Lächeln war beinahe schüchtern. Sie mußte an das denken, was sie zurückgelassen hatte und daran, wie weit der Weg nach Sternberg noch war – beinahe unüberwindlich weit, wenn man kaum noch Geld hatte. Ihre Flucht war nicht gut geplant gewesen, dazu hatte sie keine Zeit mehr gehabt, es hatte alles viel zu schnell gehen müssen.

»Nun steigen Sie schon ein! Je länger Sie da draußen bleiben, desto schlimmer wird es!«

Sie nickte. »Danke für Ihr Angebot, ich glaube, ich sollte es annehmen.«

Er zog die Handbremse an. »Geben Sie mir das Kind, dann können Sie besser einsteigen.«

Sarah wunderte sich, wie selbstverständlich sie diesem fremden Mann ihren kleinen Sohn reichte. Und wenn sie noch Zweifel an den guten Absichten ihres Retters gehabt hatte, so schwanden sie in der Sekunde, als er Andreas mit unerwarteter Behutsamkeit ergriff und mit sanfter Stimme sagte: »So, nun bist du im Trockenen, mein Kleiner, das gefällt dir doch bestimmt viel besser als da draußen im Regen zu stehen, nicht wahr?«

Und Andreas, der sonst durchaus fremdelte, schenkte dem fremden Mann ein zahnloses Lächeln und gab ein paar zustimmende Laute von sich.

Sarah kletterte auf den Beifahrersitz und verstaute den Rucksack zu ihren Füßen. »Wir machen hier drin alles naß«, sagte sie entschuldigend.

»Das war mir schon klar. So, da wir jetzt eine Weile zusammen reisen, stellen wir uns am besten vor, was meinen Sie? Mein Name steht da vorn.« Er wies auf ein Schild, das vor der Windschutzscheibe klemmte. »Ich heiße Klaus.«

»Sarah.« Wie gut, daß er keinen Wert auf Nachnamen zu legen schien, sie hätte ihm ihren nur ungern verraten, ihn aber auch nicht anlügen wollen. Jemand, der so nett war, hatte einen Anspruch darauf, daß man ihm die Wahrheit sagte, fand Sarah. »Und mein Sohn heißt Andreas. Ich sage Andy zu ihm.«

»Dann ist ja alles klar«, bemerkte Klaus und reichte ihr Andreas zurück. Er griff hinter sich, und erst jetzt bemerkte Sarah, daß sich dort eine Art Koje befand.

Klaus bemerkte ihren erstaunten Blick und lachte. »Da schlafe ich, ich bin ja oft tagelang unterwegs. Hier, ein Handtuch, damit könnt ihr euch abtrocknen. Es ist ganz sauber, ich habe es noch nicht benutzt.«

»Danke schön.«

»Einen Kindersitz habe ich auch«, erklärte Klaus und griff erneut hinter sich. »Hier, da kannst du deinen Jungen reinsetzen. Der Platz dafür ist hinter deinem Sitz – ist eine Spezialanfertigung. Ich habe nämlich selbst einen kleinen Jungen, und der muß ja ab und zu mal eine Fahrt mit seinem Papa machen.«

»Wie alt ist denn Ihr…, äh…, dein Sohn?« Klaus war einfach zum Du übergegangen, und das schien der Situation angemessen zu sein, also hielt Sarah es ebenso.

Klaus warf einen nachdenklichen Blick auf Andreas. »So alt wie deiner, würde ich sagen. Fünf Monate.«

»Gut geschätzt«, erwiderte Sarah beifällig. Als sie Andreas zumindest notdürftig abgetrocknet hatte, setzte sie ihn in den Kindersitz. Es schien ihm zu gefallen im Führerhaus des Lastwagens, denn er betrachtete die ungewohnte Umgebung mit großen staunenden Augen.

Klaus half ihr, den Kindersitz zu befestigen. »Soll ich ein Gasthaus ansteuern, damit wir einen Kaffee trinken und eine Kleinigkeit essen können? Ich wollte nämlich gerade Pause machen, als ich dich mit dem Kleinen durch den Regen laufen sah. Außerdem solltest du ihn vermutlich umziehen, seine Sachen sind naß geworden, trotz des Regenumhangs.«

»Ja, ich weiß. Was das Gasthaus angeht: Ich habe nicht mehr viel Geld«, gestand Sarah. »Und ich habe noch einen ziemlich weiten Weg vor mir, bis nach Sternberg ist...«

Klaus fing an zu lachen. Es schien tief unten aus seinem Bauch zu kommen, ein gemütliches, polterndes Geräusch. »Na, Mädchen, du hast vielleicht ein Glück! Willst du ins Dorf oder ins Schloß?«

»Ins Schloß«, antwortete Sarah. »Soll das heißen, du fährst nach Sternberg?«

»Genau das soll es heißen«, antwortete Klaus vergnügt und ließ den Lastwagen wieder anrollen. »Wir werden spätestens heute abend dort sein – und das heißt ja wohl, daß wir uns noch ein ordentliches zweites Frühstück im nächsten Gasthaus leisten können, oder?«

Sarah konnte ihr Glück noch nicht fassen. »Dann könnten wir mit dir bis ins Schloß fahren?«, fragte sie ungläubig.

»Bis vor den Lieferanteneingang«, bestätigte Klaus. »Ich bringe nämlich Wein nach Sternberg – die Strecke fahre ich mehrmals im Jahr, ich kenne sie auswendig. Also, wie ist es?«

»Worauf wartest du noch?«, rief Sarah. Zum ersten Mal, seit sie sich auf den Weg gemacht hatte, fielen Angst und Anspannung von ihr ab.

Vielleicht wurde ja doch noch alles gut.

*

»Carl von Stetten kommt zu Besuch«, erzählte Baron Friedrich von Kant, als er mit seiner Frau Sofia, seinen beiden Kindern Konrad und Anna und seinem Neffen Christian von Sternberg beim Mittagessen saß. »Er hat vorhin angerufen.«

»Ach, das ist schön!«, rief Baronin Sofia. »Carl läßt sich viel zu selten bei uns blicken.«

Dieser Ansicht waren auch die drei Kinder, selbst Konrad, der Sechzehnjährige, der sich derzeit mehr an seinen Freunden orientierte als an der Familie, schien sich auf den Besuch zu freuen.

Christian fragte: »Wie lange bleibt er denn?«

»Ach, wohl nur eine Nacht, er ist praktisch auf der Durchreise, aber er hat in Aussicht gestellt, daß bald ein etwas längerer Besuch folgen wird. Er war mal wieder in England, bei einem Pferderennen.«

»Einmal war er mit Mama und Papa in Ascot«, sagte Christian spontan. »Davon gibt es ein Foto, auf dem Mama diesen Riesenhut trägt.« Nach diesen Worten verstummte er.

Sofia und Friedrich wechselten einen raschen Blick. »Es ist ein wunderschönes Foto«, bemerkte Sofia dann mit ruhiger Stimme. »Sie waren mehrmals zusammen in England, Carl und deine Eltern, Christian. Frag ihn doch danach, er kann dir bestimmt eine Menge Geschichten erzählen.«

Christian nickte, schwieg aber weiterhin. Seine Eltern, Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg, waren vor wenigen Monaten bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen. Zum Glück wohnte Elisabeths Schwester Sofia mit ihrem Mann und ihren Kindern schon seit einigen Jahren im Westflügel des Schlosses, so daß Anna, Konrad und Christian ohnehin wie Geschwister aufgewachsen waren. Nun wohnte Christian bei ihnen, denn im Ostflügel, der bis dahin sein Zuhause gewesen war, konnte er ja allein nicht bleiben.

Schon vor dem Unglück war er allgemein liebevoll ›der kleine Fürst‹ genannt worden – im Unterschied zu seinem Vater, der beinahe zwei Meter groß gewesen war. »Eines Tages«, hatte Leopold des öfteren scherzhaft zu seinem Sohn gesagt, »wirst du mir über den Kopf wachsen.«

Das würde nun nicht mehr passieren. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit würde Christian der nächste Fürst von Sternberg werden, bis dahin trug er, trotz seines Beinamens, den Titel eines Prinzen. Doch das kümmerte niemanden, für die Bevölkerung war und blieb er ›der kleine Fürst‹.

Er war seit dem Unglück ernster und reifer geworden, meistens wirkte er älter als seine erst fünfzehn Jahre. Aber trotz seiner tiefen Trauer und des Schmerzes um den Verlust seiner Eltern hatte er das Lachen nicht gänzlich verlernt, und auch in der Schule arbeitete er, nach einer Zeit, die er in einer Art Schockstarre verbracht hatte, wieder eifrig mit. Am meisten half ihm die Geborgenheit der Familie von Kant, an seinem schweren Schicksal nicht zu verzweifeln.

»Er kommt übermorgen«, sagte der Baron in die noch immer anhaltende Stille hinein. »Wahrscheinlich schon im Laufe des Vormittags. Und natürlich ist er sehr an unseren Pferden interessiert. Ich habe ihm nicht erzählt, daß wir einen neuen Araber im Stall stehen haben.«

Endlich hatte Christian seine Fassung wiedergewonnen. »Da wird er aber überrascht sein«, meinte er.

»Wir könnten ihn zuerst vor ihm verstecken und ihn dann aus dem Stall führen – wenn er schon gar nicht mehr damit rechnet, etwas Neues zu sehen«, schlug Anna vor.

Ausnahmsweise verzichtete Konrad darauf, eine seiner abschätzigen Bemerkungen zu machen, mit denen er Anna sonst immer zu entmutigen versuchte. Meistens nannte er ihre Vorschläge »kindisch« oder »albern«, dieses Mal aber nickte er beifällig.

Auch Sofia und Friedrich hatten nichts dagegen, den Besucher auf diese Weise zu überraschen. Wenig später beendeten sie ihre Mahlzeit.

*

»Wann heiratet ihr eigentlich, Alina und du?«, erkundigte sich Hans Conradis bei seinem Freund Baron Carl von Stetten, der ihn für einen Tag in London besuchte, bevor er sich auf den Rückweg nach Deutschland machen wollte.

»Wer sagt, daß wir heiraten?«, fragte Carl zurück.

Hans sah ihn erstaunt an. »Alle sagen das.«

»Alle? Das ist mir neu, ich weiß nichts von Heiratsplänen. Da sie mich betreffen, müßte ich aber eigentlich davon wissen, meinst du nicht?«

Hans beugte sich vor. »Was soll das heißen, Carl? Ihr seid doch schon lange ein Paar, und deshalb sind alle davon ausgegangen, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ihr vor den Traualtar tretet.«

Carl seufzte. »Wenn die Leute sich bei dem, was sie sagen, doch bloß auf das beschränken würden, was sie wissen – statt ständig Vermutungen anzustellen. Du sagst, wir sind ein Paar, Hans, aber das sind wir eigentlich nicht. Wir gehen öfter zusammen aus, das stimmt. Aber ich liebe Alina nicht, und ich habe auch nie etwas anderes behauptet.«

»Sieht sie das auch so?«

»Ich denke schon.«

»Und ich denke, du irrst dich. Alina hofft auf eure Vermählung, und wenn du nicht daran denkst, solltest du ihr das ganz klar sagen, damit sie nicht eines Tages eine böse Überraschung erlebt.«

Carl war aufrichtig erstaunt. »Wie kommst du nur auf solche Ideen? Ich sage dir doch, von Liebe war zwischen uns nie die Rede. Es gibt keinen Klärungsbedarf, Hans. Sie ist frei, sich jederzeit zu verlieben, zu verloben, zu verheiraten. Ich stehe ihr bestimmt nicht im Weg.«

»Das glaube ich dir. Aber die Frage ist doch: Weiß sie das auch? Meine Erfahrung lehrt mich, daß Männer und Frauen gelegentlich unterschiedliche Sprachen sprechen.«

»Wir nicht!«, erklärte Carl mit großer Bestimmtheit. »Sie ist eine gute Freundin, und ich hoffe sehr, daß sie das auch bleiben wird. Jedenfalls werden wir bestimmt nicht heiraten.«

Hans blieb hartnäckig. »Ihr habt aber beide, seit ihr miteinander ausgeht, keine anderen Partner gehabt. Macht dich das nicht nachdenklich?«

»Nein. Mir ist keine Frau über den Weg gelaufen, in die ich mich hätte verlieben können – und Alina kein Mann. So einfach ist das.«

Endlich wurde Hans deutlicher. »Alina hat sich aber einer guten Freundin gegenüber anders geäußert, Carl. Sie hat durchblicken lassen, daß sie auf deinen Antrag hofft. Sehr dezent natürlich, du kennst sie ja.«

Carl war wie vom Donner gerührt. »Das glaube ich nicht!«, rief er. »Ich werde sie fragen, sobald ich das nächste Mal mit ihr spreche.«

»Geh lieber ein bißchen diplomatischer vor«, riet Hans, »sonst bringst du nicht nur dich in eine peinliche Situation, sondern auch sie. Oder besser: sie vor allem. Was soll sie denn antworten, wenn du sie direkt fragst? Sie kann es doch nur leugnen, und das ist ja wohl kaum in deinem Sinne.«

Da er diesem Argument nichts entgegenzusetzen hatte, nickte Carl stumm. Aber er nahm sich fest vor, sobald wie möglich ein Gespräch mit Alina zu führen, das keinerlei Raum mehr für Unklarheiten zwischen ihnen ließ.

*

Die Fahrt schien wie im Flug zu vergehen. Sarah konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so gut mit jemandem unterhalten hatte. Klaus hatte viel gesehen, er war ein hervorragender Beobachter, und er machte sich während seiner langen einsamen Fahrten offenbar eine Menge Gedanken. Er war nicht gebildet, aber er hatte einen wachen Verstand, offene Augen und ein mitfühlendes Herz – das war mehr, als man von vielen anderen Menschen, die einen besseren Start ins Leben gehabt und weniger finanzielle Sorgen hatten als er, nicht sagen konnte.

Sie erfuhr unter anderem, daß seine Frau bei der Geburt ihres Sohnes im Kindbett gestorben war, was ihr sofort Tränen des Mitleids in die Augen trieb. Aber er sagte ganz ruhig: »Natürlich war das schrecklich, aber ich sage es dir offen: Unsere Ehe war nicht glücklich. Wir haben nur geheiratet, weil Marion schwanger geworden ist – und ich habe ihr das nicht verzeihen können. Sie hat mir nämlich erzählt, daß sie die Pille nimmt, und dann hat sie sie abgesetzt. Das war für mich ein klarer Vertrauensbruch, und es war kein guter Start in ein gemeinsames Leben. Trotzdem kommen mir noch oft die Tränen, wenn ich daran denke, wie sie sich hat quälen müssen in ihren letzten Stunden.«

»Und der Kleine? Wer versorgt ihn?«, fragte Sarah.

»Meine Mutter. Es geht ihm gut, ich glaube nicht, daß ihm etwas fehlt. Aber natürlich denke ich oft darüber nach, daß er gar nicht auf der Welt wäre, wenn Marion mich nicht hintergangen und die Pille abgesetzt hätte. Das ist ein seltsames Gefühl. Jetzt im Nachhinein, bin ich ihr richtig dankbar, und ich sage ihr oft: Letzten Endes hast du es richtig gemacht. Aber das ändert nichts daran, daß das mit mir und ihr nicht gutgegangen wäre. Wir waren einfach zu verschieden.«

»Ich bin auch allein mit Andreas«, stellte Sarah fest.

Klaus warf ihr einen fragenden Blick zu, aber sie sagte nichts weiter, sondern biß nur fest die Lippen aufeinander und sah angestrengt aus dem Fenster. Er stellte keine Frage, aber nach einer Weile sagte er: »Du schaffst das, Sarah. So wie du gebaut bist...«