Eine heimliche Königin - Michaela Dornberg - E-Book

Eine heimliche Königin E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Roberta registrierte zunächst überhaupt nicht, was ihre treue Mitarbeiterin Ursel Hellenbrink da gesagt hatte. Sie wunderte sich über Ursels Verhalten, denn so aufgelöst hatte sie sonst so umsichtige, besonnene Frau noch nie erlebt. Mit wenigen Schritten war sie bei Ursel, führte sie zu einem Stuhl, und als Ursel saß, holte Roberta ihr ein Glas Wasser. Das half immer. Dann setzte sie sich ebenfalls, sie war ganz ruhig und entspannt Das konnte sie auch sein, denn in wenigen Stunden würde sie im Flieger nach Los Angeles sitzen, der sie zu Ken bringen würde. »So, Ursel, und nun erzählen Sie mal, was Sie so aufgeregt hat.« Ursel schaute ihre Chefin an, voller Nichtbegreifen, weil die so ruhig war. Und erst dann wurde ihr bewusst, dass sie ja überhaupt noch nicht erzählt hatte, was passiert war, nur, dass etwas Schreckliches geschehen sei. Oh Gott! Das konnte sie nur denken, sonst nichts, und weil sie ihre Chefin nicht nur sehr gernhatte, sondern voller Bewunderung für sie war, wusste sie nicht, wie sie ihr jetzt beibringen sollte, dass das, was sie ihr erzählen musste, gleich alles zerstören würde. Ursel schluckte, und Roberta wurde ein wenig ungeduldig. Da kam Ursel völlig aufgelöst zu ihr in die Wohnung gestürzt, und nun sagte sie nichts. »Kam jemand an die Tür und ist nun aufgebracht, weil die Praxis für ein paar Tage geschlossen bleiben wird?«, fühlte sie vor. »Ursel, das ist kein Grund, sich aufzuregen. Damit werden die Patientinnen und Patienten leben müssen. Andere Arztpraxen sind wochenlang geschlossen, ganz besonders zum Quartalsende, wenn der Etat ausgeschöpft ist. Ursel, entspannen Sie sich bitte.« Als wenn sie das jetzt könnte, Ursels Verzweiflung nahm zu, weil die Frau Doktor so gut drauf war. Und ausgerechnet sie musste die Ärmste jetzt mit einer nicht gerade guten, ach was, mit einer furchtbaren Nachricht konfrontieren.

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Leseprobe: Sie waren der Tante lästig

»Mutti, hier ist eine Eisdiele.« Henrik wollte über die Straße stürmen, doch Denise von Schoeneckers Hand hielt ihn gerade noch rechtzeitig fest. »Moment, mein Sohn. Wir sind doch in die Stadt hereingefahren, um Einkäufe zu machen. Wir wollten vor allem Geschenke kaufen. Zwei unserer Kinder haben nächste Woche Geburtstag.« Henrik seufzte laut und deutlich. »Du hast recht«, gestand er dann. Kurz fixierte er seine Schuhspitzen, dann hob er wieder entschlossen den Kopf und fragte: »Ich war doch brav, nicht wahr? Kein Wort habe ich gesprochen, als du deinen Besuch gemacht hast.« Seine grauen Augen forschten erwartungsvoll im Gesicht der Mutter. Denise von Schoenecker, die Verwalterin des Kinderheims Sophienlust, strich ihrem Jüngsten über den widerspenstigen Haarschopf. Sie lächelte. »Ich kann nicht sagen, daß du kein Wort gesprochen hast, aber du hast ausnahmsweise einmal nicht zuviel gesprochen.« Zuerst sah es so aus, als wollte sich das Gesicht des Neunjährigen beleidigt verziehen, doch dann besann sich der Junge eines Besseren. Er frohlockte: »Also, gib schon zu, daß ich brav war.« Denise nickte. »Und weißt du, was du mir versprochen hast, wenn ich mich gesittet benehme?« trumpfte Henrik auf.

Der neue Sonnenwinkel – 68 –

Eine heimliche Königin

Sie kann es nicht glauben

Michaela Dornberg

Roberta registrierte zunächst überhaupt nicht, was ihre treue Mitarbeiterin Ursel Hellenbrink da gesagt hatte. Sie wunderte sich über Ursels Verhalten, denn so aufgelöst hatte sie sonst so umsichtige, besonnene Frau noch nie erlebt.

Mit wenigen Schritten war sie bei Ursel, führte sie zu einem Stuhl, und als Ursel saß, holte Roberta ihr ein Glas Wasser. Das half immer.

Dann setzte sie sich ebenfalls, sie war ganz ruhig und entspannt Das konnte sie auch sein, denn in wenigen Stunden würde sie im Flieger nach Los Angeles sitzen, der sie zu Ken bringen würde.

»So, Ursel, und nun erzählen Sie mal, was Sie so aufgeregt hat.«

Ursel schaute ihre Chefin an, voller Nichtbegreifen, weil die so ruhig war. Und erst dann wurde ihr bewusst, dass sie ja überhaupt noch nicht erzählt hatte, was passiert war, nur, dass etwas Schreckliches geschehen sei.

Oh Gott!

Das konnte sie nur denken, sonst nichts, und weil sie ihre Chefin nicht nur sehr gernhatte, sondern voller Bewunderung für sie war, wusste sie nicht, wie sie ihr jetzt beibringen sollte, dass das, was sie ihr erzählen musste, gleich alles zerstören würde.

Ursel schluckte, und Roberta wurde ein wenig ungeduldig. Da kam Ursel völlig aufgelöst zu ihr in die Wohnung gestürzt, und nun sagte sie nichts.

»Kam jemand an die Tür und ist nun aufgebracht, weil die Praxis für ein paar Tage geschlossen bleiben wird?«, fühlte sie vor. »Ursel, das ist kein Grund, sich aufzuregen. Damit werden die Patientinnen und Patienten leben müssen. Andere Arztpraxen sind wochenlang geschlossen, ganz besonders zum Quartalsende, wenn der Etat ausgeschöpft ist. Ursel, entspannen Sie sich bitte.«

Als wenn sie das jetzt könnte, Ursels Verzweiflung nahm zu, weil die Frau Doktor so gut drauf war. Und ausgerechnet sie musste die Ärmste jetzt mit einer nicht gerade guten, ach was, mit einer furchtbaren Nachricht konfrontieren. Es half nichts, länger herumzueiern.

»Frau Doktor, es kam gerade die Nachricht, dass Herr Dr. Kellermann einen schweren Autounfall hatte, er liegt in Hohenborn im Krankenhaus.«

Was hatte Ursel da gerade gesagt?

Hans Kellermann war ihr Vertreter, er wollte für die Zeit ihrer Abwesenheit ihre Patientinnen und Patienten übernehmen.

Roberta dachte nicht daran, welche Konsequenzen diese Nachricht für sie hatte.

»Und weiß man bereits, was ihm fehlt? Haben Sie da irgendwelche Informationen bekommen?«

»Welche inneren Verletzungen er davongetragen hat, werden die Untersuchungen ergeben, auf jeden Fall sind auch ein Arm und ein Bein gebrochen, und …«

Roberta ließ Ursel nicht weitersprechen, sie sprang auf. »Danke für die Information, Ursel. Ich fahre sofort ins Krankenhaus.«

»Aber Frau Doktor«, wandte Ursel ein, doch Roberta ließ sie überhaupt nicht zu Wort kommen. Sie griff nach ihrer Handtasche, nickte Ursel zu, dann rannte sie aus dem Haus. Bekümmert blieb Ursel zurück. Wann würde die Frau Doktor begreifen, was diese Nachricht für sie bedeutete? Sie saß auf gepackten Koffern, doch die konnte sie wieder auspacken, denn jetzt war alles, was sie geplant hatten, hinfällig geworden.

Die Frau Doktor würde nicht alles ignorieren und einfach ihre Reise antreten. Sie kannte ihre Chefin, der war das Patientenwohl immer wichtiger als ihr eigenes. Doch warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Es war wie verhext, sie warf einen wütenden Blick gen Himmel: »Das hätte jetzt wirklich nicht sein müssen«, schimpfte sie. Dann trank sie den letzten Schluck ihres Wassers, ging zurück in die Praxis, in der sie mit den letzten Abschlussarbeiten beschäftigt gewesen war, ging zur Haustür und nahm das Schild wieder ab, auf das sie geschrieben hatte, bis wann die Praxis geschlossen bleiben würde und wer die Vertretung übernahm.

Damit hatte niemand rechnen können. Warum war das ausgerechnet jetzt geschehen, wo die Frau Doktor doch praktisch schon mit einem Bein im Flugzeug gesessen hatte?

Sie griff zum Telefon, rief Leni Wendler an, und dann änderte Ursel den Text auf dem Anrufbeantworter.

Zum Glück, wenn man das überhaupt so nennen durfte, lag das Wochenende vor ihnen, zwei Tage, um zu überlegen, wie es weitergehen sollte, nicht nur hier in der Praxis. So, wie sie die Frau Doktor kannte, würde die sich auch um die Patientinnen und Patienten vom Dr Kellermann kümmern. Und wie sollte das gehen? Es handelte sich ja nicht nur um ein paar Tage, der Doktor würde für längere Zeit ausfallen. Und hoffentlich, sie bekam eine Gänsehaut, hatte er keine schlimmen inneren Verletzungen davongetragen, die eine weitere Arbeit unmöglich machten, und schlimmer noch … Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken.

Jetzt war hier nichts mehr zu tun. Ursel wollte gerade nach ihrer Tasche greifen, als Alma Hermann, die treue Seele ihrer Chefin hereingestürzt kam.

»Frau Hellenbrink, gut, dass Sie noch da sind«, rief sie ganz aufgeregt. »Ich kann die Frau Doktor nicht finden. Wir müssen losfahren. Ist sie hier bei Ihnen?«

Diese Frage hatte ihr erst einmal die Sprache verschlagen, sie konnte nichts sagen, doch als Alma Hermann sich auf den Weg in das Behandlungszimmer der Frau Doktor machte, um dort nachzusehen, riss Ursel sich zusammen, rief: »Dort ist die Frau Doktor nicht, sie ist nach Hohenborn gefahren …, ins Krankenhaus.«

Alma drehte sich um. Was für einen Unsinn redete die Frau Hellenbrink denn da? Die Frau Doktor wusste doch, wann ihr Flieger ging, dass keine Zeit war, noch jemanden im Krankenhaus zu besuchen. Sie wollte etwas sagen, doch dann erzählte Ursel ihr, was geschehen war. Das riss Alma den Boden unter ihren Füßen weg. Was für ein Glück, dass ein Stuhl in der Nähe stand, auf den musste sie sich setzen.

Das konnte jetzt nicht wahr sein! Oh Gott, oh Gott, nein, die Frau Doktor hatte sich so auf diese Reise gefreut, auf das Treffen mit ihrem neuen Freund, diesem wirklich sehr netten Ken Craig, mit dem sie wieder gelernt hatte zu lachen. Und diese Veranstaltung, das mit den Golden Globes, die Frau Doktor hatte sich dafür doch extra dieses unglaublich schöne Abendkleid gekauft, dazu passend die Schuhe und die Tasche. Als Alma bewusst wurde, wie unwesentlich das jetzt war, schämte sie sich beinahe. Sie blickte Ursel vollkommen verunsichert an.

»Und nun, Frau Hellenbrink, was hat das zu bedeuten? Dass die Frau Doktor den nächsten Flieger nehmen kann? Warum ist sie überhaupt ins Krankenhaus gefahren?«

»Frau Hermann, Sie kennen doch unsere Frau Doktor, aus lauter Fürsorge um ihren Kollegen Kellermann. Ich glaube, das hat Vorrang für sie, und sie hat überhaupt noch nicht registriert, was der Ausfall von Dr. Kellermann für sie und ihre Reise nach Los Angeles bedeutet, die, wie es aussieht, nicht stattfinden kann. Eine Vertretung lässt sich nicht einfach aus dem Hut zaubern, das muss vorbereitet werden, und einfach ist es eh nicht.« Sie seufzte abgrundtief. »Die arme, arme Frau Doktor. Dabei hat sie sich so sehr gefreut, sie war richtig aufgeregt.«

Alma hatte Tränen in den Augen, als sie das bestätigte. Sie erhob sich. »Danke, Frau Hellenbrink für die Information, wir müssen jetzt also abwarten. Warum trifft es immer die Frau Doktor? Sie ist ein so guter Mensch.«

Jetzt füllten sich auch Ursels Augen mit Tränen, und sie war froh, dass Alma Hermann jetzt ging. Sie mochte sie sehr gern, unterhielt sich noch lieber mit ihr, doch jetzt waren sie dabei, sich in etwas hineinzuschaukeln, aus dem sie so schnell nicht wieder herauskamen. Und es brachte nichts. Sie konnten weinen, sie konnten jammern, sie konnten sich die Haare raufen, schreiend ums Haus rennen …

Die Tatsache blieb bestehen, dass der liebe Gott, das Universum oder wer immer dafür auch zuständig war, nicht wollte, dass sie nach Amerika flog!

Mit hängenden Schultern verließ nun auch Ursel die Praxis, in der sie so gern arbeitete. Sie schloss sorgfältig ab, ging zu ihrem Auto, stieg ein, fuhr los.

Wer hätte das gedacht!

*

Dr. Hans Kellermann war einer ihrer wirklich ausgesprochen netten und hilfsbereiten Kollegen. Wie war es bloß zu diesem schrecklichen Autounfall gekommen? Ihr Kollege war ein sehr umsichtiger Autofahrer, das wusste sie aus eigener Erfahrung, denn sie war schon mehr als nur einmal mit ihm mitgefahren. Und wenn sie ehrlich war, dann hätte sie so manches Mal für ihn gern aufs Gaspedal gedrückt.

Und nun das!

Als sie ihr Auto auf dem für Ärzte reservierten Parkplatz abstellte, gleichgültig, ob für die im Krankenhaus angestellten oder niedergelassenen Kollegen, durchzuckte es sie plötzlich und erst hier wurde ihr bewusst, was das für sie zu bedeuten hatte. Sie war ein wenig kopflos losgefahren, sie müssten jetzt eigentlich auf dem Weg zum Flughafen sein.

Robertas Gedanken begannen zu kreisen. Los Angeles …

Die Golden Globes …

Aber vor allem Ken!

Sie blieb stehen, hielt sie an einem Aufsteller fest, auf dem auf irgendwas hingewiesen wurde.

Ihre Gedanken überschlugen sich, fuhren Achterbahn, sie zwang sich zur Ruhe, und jetzt wurde ihr so richtig bewusst, dass diese Reise nicht stattfinden würde, nicht stattfinden konnte.

Sie atmete tief durch, setzte sich wieder in Bewegung, sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, wichtiger war, herauszufinden, was mit Dr. Kellermann passiert war, wie, und ganz wichtig war, welche Verletzungen er außer den Brüchen, die schlimm genug waren, davongetragen hatte.

Man schätzte und kannte Roberta im Krankenhaus, Dr. Kellermann hatte man in die Chirurgie verlegt, und der Chefarzt höchstpersönlich kümmerte sich um ihn, denn sie waren nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde seit ihrer gemeinsamen Studienzeit.

Froh machen konnte einen so etwas nicht, aber Roberta war doch ein wenig erleichtert, denn Dr. Kellermann war bei diesem Arzt in guten Händen.

Sie nahm nicht den Aufzug, sondern rannte die Treppen bis zur Chirurgie hoch, und dort kam sie ein wenig atemlos an, was ihr zeigte, dass sie ein wenig eingerostet war. Sie bewegte sich zwar viel, aber diese Art von Bewegung hatte nichts mit Ausdauer und Gleichmäßigkeit zu tun, wie man es beispielsweise bei einem Spaziergang hatte. Da reichten täglich bereits dreißig Minuten. Sie wusste es, predigte es ihren Patientinnen und Patienten, doch leider hielt sie selbst sich nicht daran. Sie musste allerdings zu ihrer Entschuldigung sagen, dass sie einfach nicht die Zeit dazu hatte. Ihr Tag war bis in die Abendstunden prall ausgefüllt, trotz der großartigen Mitarbeit von Ursel Hellenbrink und Leni Wendler.

»Frau Dr. Steinfeld«, wurde sie von der Stationsschwester empfangen, »mir ist noch überhaupt nicht aufgefallen, dass jemand von Ihren Schutzbefohlenen hier liegt.«

»Das ist auch nicht der Fall, Schwester Beate. Ich bin wegen Herrn Dr. Kellermann hier.«

Sofort bekam Schwester Beate ein ernstes Gesicht.

»Da, das ist wirklich eine ganz böse Sache, rast so ein Jugendlicher mit reichlich überhöhter Geschwindigkeit in das Auto des Doktors hinein, und beide können sie von Glück reden, der Raser und der Doktor. Beide Autos haben einen Totalschaden, es ist ein Wunder, dass aus denen noch jemand einigermaßen heile herauskam. Der Doktor ist ansprechbar, wenn Sie möchten, können Sie ihn besuchen, Zimmer 211. Der Ärmste ist vollkommen am Boden zerstört, er sollte Sie vertreten, nicht wahr, Frau Dr. Steinfeld? Und das geht nun ja leider nicht. Was er sonst noch davongetragen hat, erfahren wir heute Nachmittag, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen sind. Wenn Sie noch etwas wissen möchten, wenn Sie etwas brauchen, Frau Doktor, Sie finden mich im Schwesternzimmer. Herr Dr. Kellermann ist versorgt. Gewiss wird er sich freuen, Sie zu sehen.«

Roberta bedankte sich, dann lief sie den Gang entlang, auf das Zimmer zu, ehe sie anklopfte, die Türklinke herunterdrückte, atmete sie tief durch.

Wieder verdrängte sie alles, was sie betraf, ihr Kollege war jetzt wichtiger.

Hans Kellermann lag in seinem Bett, und er sah schrecklich aus, es war auch für eine Ärztin kein schöner Anblick, obwohl sie an so etwas gewöhnt war. Sie wusste, dass man den Arm eingipsen und das Bein in eine Schlinge legen würde. Sein Gesicht war zerschlagen, die Lippe aufgeplatzt, die Nase geschwollen.

Aber er hatte seinen Humor nicht verloren.

»Auf einen Ball könnte ich ja so wohl nicht gehen«, versuchte er zu scherzen, und dann wurde ihm bewusst, dass er sich eine solche Bemerkung hätte ersparen können. Denn auf den Ball in Los Angeles würde seine charmante, tüchtige Kollegin nun nicht gehen können. »Tut mir leid«, murmelte er, »das war jetzt ziemlich dumm von mir.«

Sie setzte sich neben ihn, ergriff seine unverletzte Hand, die lediglich ein paar Schrammen davongetragen hatte.

»Herr Kollege, es muss Ihnen doch nichts leid tun, seien Sie dankbar dafür, dass Sie noch leben. Schwester Beate hat mir gesagt, dass es einen ziemlichen Crash mit einem Totalschaden beider Autos gab.«

»Und dieser Junge hatte gerade erst einen Tag seinen Führerschein, er hat sich das Auto seines Vaters ohne dessen Wissen geschnappt und wollte mal feststellen, was es so hergibt. In der Haut dieses Knaben möchte ich nicht stecken.«

»Herr Kellermann, Ihr Mitleid sollte sich in Grenzen halten, was da geschehen ist, ist nicht entschuldbar.«

Er wurde ernst.

»Sie haben recht, Ihretwegen tut es mir so leid, nun können Sie diese Reise nicht antreten, und dieses einmalige Erlebnis wird ohne Sie stattfinden. Wann bekommt ein Normalsterblicher denn schon mal die Gelegenheit, hautnah die Stars zu sehen, bei den Golden Globes dabei zu sein.«

Sie drückte seine Hand.

»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, mein Lieber, meine Alma würde jetzt sagen – wer weiß, wofür es gut ist. Denken Sie an sich. Wurde denn schon etwas überprüft?«

Er nickte.

»Herz und Lunge, da ist nichts festgestellt worden, Rippen sind noch geprellt, na ja, und heute Nachmittag kommt der Augenblick der Wahrheit.« Er blickte sie an. »Was jetzt erkennbar ist, ist schlimm genug, zieht mich für lange Zeit aus dem Verkehr.«

Sie sagte: »Und deswegen bin ich auch hier. Machen Sie sich um Ihre Patientinnen und Patienten keine Sorgen, natürlich werde ich Sie vertreten, und weil ich das alles nicht bewältigen kann, werde ich andere Kolleginnen und Kollegen mobilisieren, in einem solchen Fall muss man füreinander da sein. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen.« Sie wusste, dass er allein lebte, geschieden war. »Soll ich jemanden für Sie benachrichtigen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Danke, das ist nicht nötig, meine Mitarbeiterinnen wissen Bescheid, und mit denen können Sie sich kurzschließen, es ist wirklich sehr nett von Ihnen, dass Sie für mich einspringen wollen, dabei habe ich Ihnen alles vermasselt, und das tut mir wirklich furchtbar leid.«

»Herr Kollege, was reden Sie denn da? Sie sind doch nicht mutwillig mit diesem anderen Auto zusammengestoßen. Es ist passiert, nennen Sie es Schicksal, wie auch immer. Ich komme auf jeden Fall wieder her, um Sie zu besuchen. Und wenn Sie etwas möchten, Sie haben meine Telefonnummer.«

Sie konnten sich nicht weiter unterhalten, denn er wurde für weitere Untersuchungen abgeholt, sie konnten sich gerade noch voneinander verabschieden, dann wurde das Bett hinausgeschoben.

Roberta war allein. Für einen Augenblick blieb sie mitten im Zimmer stehen, dann verließ sie es. Diesmal nahm sie den Aufzug, denn sie musste ja Alma Bescheid sagen, die gewiss auf heißen Kohlen saß. Doch das wollte sie jetzt nicht telefonisch machen. Von Hohenborn war es kein weiter Weg, Roberta gab Gas, und das war jetzt nicht gerade vernünftig angesichts dessen, was sie gerade gehört und gesehen hatte. Und sie konnte sich auch nicht damit herausreden, dass es eine Ausnahmesituation war. Das sagten sie alle. Im Straßenverkehr gab es keine Ausnahmesituation, es sei denn für die Polizei oder die Krankenwagen.

Roberta drosselte das Tempo, auf die paar Minuten kam es nun auch nicht an.

Und jetzt verdrängte sie es nicht länger, machte es sich bewusst, dass sie nicht fliegen würde.

Ken …

Du liebe Güte, der musste unbedingt sofort informiert werden. Der wusste nichts, und das, was geschehen war, konnte man auch nicht erahnen, auch nicht, wenn man in einem Beruf tätig war, in dem man sich die Welt, wie man sie haben wollte, zurechtzimmerte. Roberta war sich allerdings ziemlich sicher, dass sich das, was geschehen war, niemand ausgedacht hätte, zu realitätsfremd oder so.

Sie merkte, wie Wellen der Enttäuschung sie überfluteten, und sie konnte auch ihre Tränen nicht länger zurückhalten, es nicht länger verdrängen.

Warum?

Sie hatte darauf keine Antwort, und die würde sie auch nicht bekommen.

*

Als sie das Doktorhaus betrat, Alma sah, wusste sie, dass die es wusste, vermutlich von Ursel Hellenbrink. Und Alma war anzusehen, dass die nicht wusste, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Jammern, ihre Chefin tröstend in die Arme nehmen?

Sie schaute unglücklich drein, zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, stieß sie schließlich hervor, und Roberta konnte überhaupt nichts sagen, denn sie sah den gepackten Koffer, das Gepäckstück, das man mit als Handgepäck bei sich führen konnte, und das heulende Elend überkam sie. Sie musste sich sehr zusammenreißen, jetzt nicht einfach ihr ganzes Elend herauszuschreien. Sie war schließlich auch nur ein Mensch. Sie hatte sich so sehr gefreut, vor allem natürlich auf Ken, aber auch auf den Abend, für den sie sich so richtig in Unkosten gestürzt hatte, weil sie schön sein wollte für Ken. Und nun würde dieses Traumkleid vermutlich niemals mehr ihren Kleiderschrank verlassen, wenn sie es dort wieder verstaut hatte.

Das Leben war ungerecht!

Warum musste dieser Jugendliche ausgerechnet in Dr. Kellermann hineinrasen?

Schicksal!

Was auch immer, ihr hatte es einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie war wie gelähmt, doch sie musste Ken erreichen. Was sollte sie ihm sagen? Die Wahrheit, was sonst, doch wie?

»Frau Doktor, es ist ganz schrecklich, warum passiert es ausgerechnet Ihnen? Da wollen Sie mal ein paar Tage frei machen, und dann so was.«

Roberta zuckte die Achseln, sie konnte nichts sagen, und sie war froh, dass Alma einen Kaffee für sie kochen wollte. Während Alma in der Küche verschwand, versuchte Roberta, Ken zu erreichen. Vergebens. Also schickte sie ihm auf all seine Anschlüsse die Nachricht, er möge sie unbedingt sofort anrufen. Mehr konnte sie nicht tun, und das machte sie noch nervöser.

Als Alma den Kaffee brachte, wurde ihr klar, dass das nicht die allerbeste Idee gewesen war, denn sie war so nervös, dass sie das Gefühl hatte, gleich an die Decke zu gehen.

Sie trank den Kaffee, und dann erzählte sie Alma, was sie erfahren hatte. »Hoffentlich bekommt dieser jugendliche Raser eine dicke Strafe aufgebrummt, er hat sie ja nicht nur Sie um Ihren wohlverdienten Urlaub gebracht, sondern er hat Herrn Dr. Kellermann einen noch viel größeren Schaden zugefügt. Ehrlich mal, er kann nicht bestraft genug werden.«

»Er ist es, Alma, einmal ist auch er schwer verletzt, wird das Krankenhaus lange nicht verlassen können, und dann wird er seines Lebens nicht mehr froh werden, denn der Schaden für beide Autos bleibt an ihm hängen.«

»Wieso, das zahlt doch die Versicherung«, wandte Alma ein, »und er ist aus dem Schneider.«