Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman - Michaela Dornberg - E-Book

Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Roberta fällt aus allen Wolken, als plötzlich Max bei ihr auftaucht. Doch sie kann entspannen, er will nichts von ihr. Er ist gekommen, um sich das Ärztehaus anzusehen, das im Neubaugebiet entsteht. Als er sie kurz darauf anruft, um ihr zu sagen, dass er das neue Ärztehaus nicht kaufen wird, ihr beim selben Gespräch anbietet, sie zu entschädigen, weil er sie damals bei der Scheidung so unfair behandelte, kann sie es nicht fassen. Roberta verzichtet. Nicki ruft an, um ihr zu erzählen, dass Pete gekommen ist, um sie zu besuchen. Er ist kein Straßenmusikant mehr, sondern in den Schoß seiner adligen Familie zurückgekehrt. Nicki ist nicht mehr an ihm interessiert. Inge erlebt eine große Überraschung. Werner hat alle Kinder eingeladen. Inge ist überwältigt davon. Für Julia und Tim kommt der letzte Arbeitstag im "Seeblick". Sie gesteht ihm, dass sie schwanger ist. Beide sind überglücklich, dass sich ihr Traum so schnell erfüllt. Roberta dagegen hat plötzlich gewisse Vorahnungen … E-Book 25: Nicki findet kein Glück E-Book 26: Verliebt in ein Phantom E-Book 27: Kann die Liebe Zufall sein? E-Book 28: Du bist spitze, Mami! E-Book 29: Sein Traum wird wahr E-Book 30: Rückkehr eines Weltenbummlers

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Inhalt

Nicki findet kein Glück

Verliebt in ein Phantom

Kann die Liebe Zufall sein?

Du bist spitze, Mami!

Sein Traum wird wahr

Rückkehr eines Weltenbummlers

Der neue Sonnenwinkel – Jubiläumsbox 5 –

E-Book: 25 - 30

Michaela Dornberg

Nicki findet kein Glück

Roman von Michaela Dornberg

Der Stalker!

Das war der einzige Gedanke, der Roberta beherrschte. Sie dachte nicht darüber nach, dass es gefährlich werden könnte, dass er aus Angst vor Entlarvung übergriffig werden könnte.

Es musste ein Ende haben!

Nur daran dachte sie, und deswegen stürzte sie sich auf ihn, krallte sich an seiner Jacke fest und stieß hervor: »Endlich habe ich dich.«

Es war ein Mann, der schüttelte sie ab und drehte sich um. Und jetzt musste Roberta sich erst einmal von ihrer Überraschung erholen. Sie hätte mit allem gerechnet, damit wirklich nicht. An ihn hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht gedacht. Dieses Kapitel war doch längst schon abgeschlossen.

Der Stalker war … Dr. Max Steinfeld, ihr Ex-Ehemann!

Sie starrten sich an.

Max war anzusehen, dass es ihm überhaupt nicht recht war, erwischt worden zu sein. Für ihn hätte das Spiel weitergehen können.

Roberta brauchte eine Weile, ehe sie etwas sagen konnte.

»Max, was soll das? Warum tust du das? Du hast doch alles bekommen, was du wolltest, sogar noch mehr als dir zustand, weil ich dieses unwürdige Spiel, diesen Rosenkrieg einfach beenden wollte.«

Er sah schlimm aus, ein wenig heruntergekommen, längst nicht mehr so selbstherrlich, so arrogant, wie er immer als Halbgott in Weiß aufgetreten war.

»Es ist alles deine Schuld«, stieß er hervor. »Du hast alles kaputt gemacht.«

Nun verstand Roberta überhaupt nichts mehr.

»Max, hast du eine Amnesie? Du warst es, der mich permanent betrogen hat. Du warst hinter den Sprechstundenhilfen her, hinter allen Frauen, die bei drei nicht auf den Bäumen waren, du hast selbst vor Patientinnen nicht Halt gemacht. Soll ich noch mehr aufzählen, oder reicht das? Wenn jemand alles kaputt gemacht hat, dann du. Aber darüber müssen wir jetzt nicht mehr reden, das ist Vergangenheit. Max, warum hast du mich gestalkt? Was hast du damit bezweckt? Und vor allem, warum rote Rosen?«

Er war sauer, weil sie ihn erwischt hatte, das konnte er nicht verbergen.

»Können wir ins Haus gehen?«, schlug er vor.

Roberta schüttelte den Kopf.

»Nein, Max Steinfeld, mein Haus betrittst du nicht mehr.«

»Dein Haus?«

Das klang so hasserfüllt, dass Roberta sich ärgerte, es gesagt zu haben. Es ging ihn schließlich nichts an. Jetzt machte sie sich sogar schon deswegen Gedanken. »Ja, mein Haus«, sagte sie beinahe trotzig. »Ehe du auf komische Gedanken kommst, Max, das habe ich gekauft, als wir längst schon geschieden waren. Du kannst keine Forderungen geltend machen.«

Sein Gesicht war wutverzerrt. Er sagte nicht direkt etwas, aber man sah ihm an, wie es in ihm arbeitete. »Dein Haus, deine Praxis, dein Liebhaber, alles dein, dein, dein.«

Am liebsten hätte sie ihn jetzt stehen lassen, aber es musste zu einem Abschluss gebracht werden. Sie musste ihm erklären, dass er es nicht wagen sollte, sich ihr noch einmal zu nähern. Er war neidisch, er wusste von Lars. Er hatte sie also schon länger beobachtet.

»Max, gönnst du mir mein Leben nicht? Wir haben gemeinsam studiert, wir haben gemeinsam in der Praxis gearbeitet, die ich in erster Linie aufgebaut habe, in die ich Geld gesteckt habe. Und diese florierende Praxis habe ich dir überlassen, nur um einen Schlussstrich ziehen zu können. Und was hast du getan? Du hast alles gegen die Wand gefahren. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn du endlich angefangen hättest, wie alle anderen Menschen es auch tun, zu arbeiten. Wenn man eine so große Praxis führt, mit vielen Angestellten, mit einem großen Patientenkreis, da reicht es nicht, im weißen Kittel herumzustolzieren, ein wenig Small Talk zu machen. Da muss man in erster Linie arbeiten. Danach kommt das Privatleben.«

»Hör auf, mich belehren zu wollen«, begehrte er auf. »Dir ist halt immer alles in den Schoß gefallen, und wenn du …« Es reichte!

Roberta unterbrach ihn.

»Max, ich habe mir alles hart erarbeitet. Aber jetzt möchte ich nicht mehr darüber diskutieren, das wird eine endlose Geschichte, und du wirst dann immer noch uneinsichtig sein. Max, ich hätte allen Grund dazu, doch ich werde dich nicht anzeigen. Sollte mir noch einmal so etwas widerfahren, werde ich der Polizei sagen, dass ich dich in Verdacht habe, und dann rolle ich die ganze Geschichte auf. Eines möchte ich nur noch wissen, ehe ich gehe und dann niemals mehr etwas mit dir zu tun haben will. Warum die roten Rosen? Warum mein Lieblingsparfüm?«

»Weil das Stalker tun, die exzessiv in ihren Handlungen sind, die unberechenbar sind. Ich wollte dich in Angst versetzen. So einfach ist das. Du hast alles, ich habe nichts.«

Sie blickte ihren Exmann entsetzt an, fassungslos, weil sie nicht begreifen konnte, dass sie ihn einmal geheiratet hatte.

Und eines wurde ihr jetzt klar.

»Max, du bist neidisch!«

Das war ein schwerer Vorwurf, doch er stritt es nicht etwa ab, er gab es zu.

»Ja, ich bin neidisch, und ich bin wütend, weil ich der Scheidung zugestimmt habe. Ich habe alles verloren, und für dich wäre es auch besser, Chefin einer großen Großstadtpraxis zu sein, als hier in der Pampa weit unter deinen Fähigkeiten herumzuhampeln.«

»Max, ich bin glücklich, und um mich musst du dir keine Sorgen machen. Mach für dein verkorkstes Leben keine anderen verantwortlich.«

»Roberta, wir waren ein großartiges Team.«

Es war nicht zu fassen, wie er sich sein Weltbild zurechtdrehte.

»Max, wir waren kein Team, ich habe gearbeitet und dich mit durchgezogen, und dann habe ich dir bei der Scheidung mehr überlassen, als dir zustand. Ich mag nicht mehr reden. Du hast dein Leben, ich habe meines. Und ich möchte jetzt zu dem Mann gehen, den ich liebe, und den ich heiraten und mit dem ich Kinder bekommen werde.«

So, das hatte gesessen, und auch wenn es leider nicht stimmte, bereute Roberta keines ihrer Worte.

Er schnappte nach Luft, und sie ergriff die Gelegenheit, ihm zu sagen: »Max, was du getan hast, das war nicht nur unter deiner Würde, es war dreist. Denke dir nicht noch etwas anderes aus, dann kommst du so glimpflich nicht mehr davon.

Dann zeige ich dich an, das schwöre ich dir. Und, ach, ehe du gehst, nimm die rote Rose von meiner Windschutzscheibe weg. Vielleicht kannst du sie ja noch anderweitig verwenden.«

»Roberta, ich …«

Sie drehte sich noch einmal um.

»Max, Schluss jetzt, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Zerstöre jetzt nicht noch das letzte bisschen schöner Erinnerung, die ich an die Zeit mit dir habe. Es ist nicht mehr viel, und ich möchte mich nicht dafür hassen, dich geheiratet zu haben. Adieu, Max …, und vergiss die Rose nicht.«

Dann ging sie endgültig und spürte unangenehm seine Blicke in ihrem Rücken. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre sie jetzt vermutlich eine Leiche.

In seiner Gegenwart hatte sie sich ja zusammengerissen, doch jetzt bebte sie am ganzen Körper.

Max ein Stalker!

Das war so ungeheuerlich, dass es vermutlich noch eine ganze Weile dauern würde, bis sie das überwunden hatte. Er war neidisch, und er missgönnte ihr ihren Erfolg. Doch der war ihr ja nicht zugeflogen, sie hatte hart dafür gearbeitet, und anfangs war es wahrlich nicht einfach gewesen, im Sonnenwinkel Fuß zu fassen. Die Leute waren sauer gewesen, weil Dr. Riedel gegangen war, und misstrauisch, weil sie einer Frau nicht zutrauten, in seine Fußstapfen treten zu können. Sie hatte Enno Riedel längst überholt, über ihn sprach niemand mehr. Aber über sie, und das so voller Hochachtung, dass es ihr manchmal schon peinlich war.

Sie hatte neu anfangen müssen, Max hatte sich in ein gemachtes Nest gesetzt. Und er war kein schlechter Arzt, er hatte die Arbeit halt nicht erfunden, und die Rolle eines Halbgottes in Weiß gefiel ihm einfach zu gut. Und er konnte von den Frauen nicht lassen.

Ja, er hatte wirklich alles gegen die Wand gefahren.

Roberta sah das kleine Haus am See vor sich, alle Fenster waren erleuchtet, es wirkte einladend, heimelig, und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie den ganzen Weg über nur an Max gedacht hatte, schlimmer noch, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil es ihr gut ging, weil ihre Welt in Ordnung war, weil sie über Max hinweg war. Das war er auch. Hätte sie ihm wirklich etwas bedeutet, dann hätte er sie nicht immerzu betrogen. Für Max war sie so etwas wie eine Kuh gewesen, die man wunderbar melken konnte.

Aus!

Schluss!

Vorbei!

Dr. Max Steinfeld war Vergangenheit, in dem Häuschen, das sie gleich betreten würde, war die beglückende Gegenwart. An Lars zu denken, besserte Robertas Laune sofort. Lars und sie waren wie zwei Schiffe, die sich begegnen mussten, mit ihm an ihrer Seite konnte sie das Floß ihres Lebens gefahrlos durch stürmischstes Gewässer bringen.

Wie sehr sie ihn doch liebte.

Ehe sie ins Haus ging, blieb sie noch einmal stehen, atmete tief durch, dann drückte sie die Türklinke herunter.

*

Lars Magnusson hatte an seinem Computer gearbeitet, doch als er Roberta erblickte, ließ er Arbeit Arbeit sein, sprang auf, ging ihr entgegen, wollte sie in seine Arme nehmen, doch dann hielt er inne, blickte sie forschend an.

»Roberta, mein Liebes, was ist geschehen? Ist dir ein böser Geist begegnet? Du siehst mitgenommen aus.«

»Das bin ich auch. Lars, du glaubst nicht, was ich erlebt habe. Ich weiß, wer der Stalker ist.«

Er führte sie zur Couch, setzte sich neben sie.

»Du weißt, wer der Stalker ist?«, erkundigte er sich ungläubig. Er hatte es hautnah mitbekommen, und er hatte erlebt, wie belastend es für Roberta gewesen war.

»Ja, Lars, und wenn ich dich jetzt fragen würde, würdest du niemals darauf kommen. Der Stalker ist mein Exmann Max, und ich habe ihn auf frischer Tat ertappt, als er eine rote Rose hinter den Scheibenwischer geklemmt hat.«

Lars Magnusson sah sie an, ein wenig verständnislos, als habe sie gerade Suaheli gesprochen.

»Dein Exmann?«, brachte er schließlich hervor, und Roberta nickte, und dann erzählte sie ihm alles.

»Er hat es aus Wut getan, er neidet mir mein neues Leben, und er ist zornig, weil ich dich habe. Er muss mich sehr genau beobachtet haben, denn er weiß alles über mich.«

Sie erzählte ihm jetzt nicht, dass sie Max, was ihre Beziehung betraf, einiges vorgeflunkert hatte.

Jetzt nahm er sie wortlos in seine Arme, hielt sie fest umschlungen.

Roberta genoss seine Nähe, wieder überkam sie das Gefühl von Geborgenheit. Sie waren sich so unglaublich nahe, und es bedurfte keiner Worte, um sie wissen zu lassen, wie sehr sie sich liebten, wie sehr sie auf einer Wellenlänge waren.

Roberta entspannte sich. Mit Lars an ihrer Seite konnte ihr überhaupt nichts geschehen. Lars war ihre Lebensliebe, und sie war so unendlich dankbar dafür, dass sie das erleben durfte.

Er zog sie enger an sich, und dann küssten sie sich. Wie schade, dass jetzt nicht die Geigen erklangen, die man im Kino bei solchen emotionalen Gelegenheiten dezent im Hintergrund hörte. Vermutlich lag es daran, dass das, was man auf der Leinwand erlebte, nur die Handlung eines ausgedachten Drehbuchs war. Da mussten die Liebesszenen besonders inszeniert werden.

Lars und sie …

Sie erlebten eine wunderbare Gegenwart, eine Zweisamkeit, die getragen wurde von einer ganz großen Liebe. Da brauchte man nicht einmal die berühmte Wolke Sieben.

Nach einer ganzen Weile lösten sie sich voneinander, er blickte sie noch immer besorgt an, ehe er sich erkundigte: »Geht es dir besser, mein Herz?«

Sie nickte. Es ging ihr wirklich besser.

»Ich weiß nicht, ob ich so großmütig gewesen wäre, ihn laufen zu lassen. Ich glaube, ich hätte ihn angezeigt.«

»Lars, und was hätte ich davon? Was passiert ist, ist passiert. Er hat es geschafft, mich in Schrecken zu versetzen. Erreicht hat er nichts. Seine Situation hat sich in keiner Weise verändert. Und wenn du ihn gesehen hättest! Es ist nichts mehr übrig geblieben, von dem selbstherrlichen Herrn Doktor. Ich weiß überhaupt nicht, womit er sein Leben jetzt fristet. Das Haus ist weg, die Praxis ist aufgelöst, die wirklich eine Goldgrube war.«

»Eine Praxis, in der du das Herz warst. Liebes, lass es los. Erinnere dich nicht mehr an das, was war. Du hast dir nicht vorzuwerfen. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich mir keine Sorgen mehr um dich machen muss, dass du wieder in deinem eigenen Haus schlafen kannst.«

Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er.

»Ich bin gern mit dir bei dir, ich bin gern mit dir bei mir. Wo du bist, da ist mein Zuhause. Dieses Heimatgefühl, den Wunsch nach Hause zu kommen, den habe ich erst, seit ich dich kenne. Ich bin so froh, dass es dich gibt.«

Er ergriff ihre Hand, hielt sie fest.

»Mein Manuskript über die Eisbären wird in spätestens zwei Wochen fertig sein, doch ich werde danach nicht arbeitslos. Der Verlag hat mir ein neues spannendes Projekt angeboten, und ich denke, dass ich da zusagen werde.«

Roberta merkte, wie ihr Herz schwer wurde. Er war doch erst so lange weg gewesen.

»Es ist so schön«, fuhr er fort, »dass ich mein Leben weiterhin planen kann, ohne mit dir Probleme zu bekommen. Frauen machen Theater, wollen in erster Linie die Zweisamkeit genießen, stets einen Mann an ihrer Seite haben. Nach meiner gescheiterten Ehe wollte ich mich niemals mehr auf eine neue Beziehung einlassen, doch dann kamst du, und auf einmal war alles anders. Wir sind uns so nahe, wie man sich nicht näher sein kann, und auch wenn wir uns nicht sehen, sind wir wie mit einem unsichtbaren Band ganz eng miteinander verbunden …«, er hielt inne, warf ihr einen liebevollen Blick zu, »das ist so, weil wir uns lieben, lieben in der allerhöchsten Form, ohne Forderungen, ohne Besitzanspruch …, ich liebe dich so sehr, Roberta Steinfeld, du bist ein Geschenk des Himmels.«

Es waren wunderbare Worte, die alle ernst gemeint waren, ihr müsste das Herz aufgehen, doch da war im Hintergrund der Gedanke daran, dass er wieder gehen würde.

Wann? Wohin?

Vielleicht war es jetzt nicht der rechte Augenblick, doch sie musste ihm die Frage einfach stellen.

»Und das neue Projekt, das man dir angeboten hat?«, erkundigte sie sich.

Er war ein wenig irritiert, doch dann begann er zu strahlen.

»Gut, dass du noch mal davon anfängst. Ja, es ist eine ganz spannende Sache, und eigentlich bin ich mir sicher, dass ich den Auftrag annehmen werde. Es geht um ein Buch über den Highland Tiger.«

Roberta blickte ihn fragend an.

»Highland Tiger? Das sagt mir nichts.«

»Über ihn weiß man nicht viel, es ist eine Wildkatze, die nicht größer ist als eine Hauskatze. Niemand kann sie zähmen, und sie ist vom Aussterben bedroht, es gibt nicht mehr viele davon, es ist schwierig, sie zu finden. Und für die Schotten ist der Highland Tiger so etwas wie ein Freiheitssymbol.«

Er lächelte.

»Diesmal geht es nur bis nach Schottland in die Highlands, dennoch wird es alles sehr abenteuerlich sein. Ganz so, wie ich es liebe.«

Er war begeistert, er erzählte ihr eine ganze Menge, es sprudelte nur so aus ihm heraus. Und Roberta wurde klar, dass Lars Magnusson ihr niemals ganz gehören würde. Er war ein Freigeist, ein Abenteurer, der das, was er tat, liebte, das würde immer den Vorrang haben, und sie musste sich darauf einstellen, an seiner Seite immer nur die zweite Geige zu spielen.

Doch hatte sie eine andere Wahl?

Nein, die hatte sie nicht, weil das, was er ihr gab, und das tat er mit Herz und Liebe, immer noch viel mehr war als das, was sie zuvor in ihrem Leben erlebt hatte.

Er küsste sie, und für eine kurze Weile vergaß sie alles, was sie bedrückte.

Sie fuhren auseinander, als ein schriller Klingelton erklang.

»Der Auflauf ist fertig«, lachte er, »ich hoffe, du magst ihn.«

Welche Frage. Lars kochte erstaunlich gut, das gab sogar Alma neidlos zu, und die war eine begnadete Köchin.

Er stand auf, zog sie empor, und ehe er zum Ofen ging, nahm er sie noch einmal kurz in die Arme und küsste sie.

»Wir können es gerade noch schaffen, gemütlich zu essen, und danach hoffe ich, dass meine Telefonkonferenz nicht zu lange dauern wird. Ich möchte nämlich den Abend mit dir genießen, mein Herz. Darauf habe ich mich schon den ganzen Tag über gefreut.«

Roberta sah ihm zu, wie er mit ruhigen, sicheren Bewegungen die Auflaufform aus dem Ofen holte. Er war schon ein toller Mann, ihr Lars. Bei ihm stimmte alles, und als er ihr einen liebevollen Blick aus seinen unglaublich blauen Augen zuwarf, da schmolz sie dahin wie Butter in der Sonne.

Er liebte sie, sie liebte ihn. Ihre Beziehung war nicht perfekt, weil immer Wünsche offen blieben. Aber es war wohl so im Leben, dass man nicht alles haben konnte.

*

Man konnte nicht gerade behaupten, dass bei den Bredenbrocks eitel Sonnenschein herrschte. Ihr Leben war voller Höhen und Tiefen, doch die Höhen überwogen.

Maren und Tim begannen, im Sonnenwinkel, im Gymnasium in Hohenborn Fuß zu fassen.

Maren gehörte jetzt zu der coolen Clique, die sich nach der Schule oder während der Ausfallstunden im ›Calamini‹ traf, und Tim spielte mit ein paar anderen Jungen Fußball.

Es ließ sich alles gut an, sehr zur Freude ihres Vaters. Dann hatte er sein Opfer nicht umsonst gebracht. Er hatte am meisten aufgegeben. Als Direktor einer großen Schule hatte er eine ganz andere Position gehabt als jetzt als Lehrer für Mathematik und Physik.

Dr. Peter Bredenbrock beklagte sich nicht. Es war okay so. Für ihn zählten in erster Linie seine Kinder, und wenn es denen gut ging, dann ging es auch ihm gut.

Sie waren auf einem richtigen Weg, und es war so großartig, wie sehr er auf Angela von Bergen und deren Mutter Sophia zählen konnte. Die beiden Damen waren bereits schon so etwas wie Familie.

Heute in aller Herrgottsfrühe waren Maren und Tim mit Sophia und Angela in einen Freizeitpark gefahren. Sophia wollte sich dort ins Restaurant setzen, und Angela hatte sich vorgenommen, den Bredenbrock-Sprösslingen einen richtig schönen Tag zu machen.

Peter war es ganz recht, mal einen ganzen Tag für sich zu haben. Es war viel Arbeit für ihn liegen geblieben, da konnte er eine ganze Menge aufarbeiten. Und am Nachmittag würde er um den See laufen. Da war er schon gefühlte Ewigkeiten nicht mehr gewesen.

Und da Angela auf ihre vorsorgliche Art für ihn etwas gekocht hatte, musste er sich das Essen nur aufwärmen.

Er hatte bereits einiges geschafft, und wenn er sich sputete, würde er direkt nach dem Mittagessen zum See gehen können.

Welch verlockender Gedanke!

Peter war bestens gelaunt, und die Arbeit ging flott voran.

Ein wenig unwillig blickte er hoch, als es draußen an der Tür klingelte. Er erwartete niemanden, vermutlich war es der Briefträger.

Peter Bredenbrock stand auf, ging zur Tür, öffnete, und dann prallte er zurück.

Er glaubte einen Geist zu sehen!

Vor der Tür stand Ilka, seine Ehefrau, von der er noch immer nicht geschieden war, und mit der er nun überhaupt nicht gerechnet hätte.

Sie sah grauenvoll aus mit ihren bunt gefärbten Haaren, die eher zu einer Punkerin passten, aber nicht zu einer Frau, die eher gutbürgerlich war. Man musste wohl sagen, gewesen war. Sie hatte sich verändert, und alles, was geschehen war, das wäre für ihn zuvor undenkbar gewesen. Doch nicht Ilka! Da konnte man sehen, wie man sich täuschen konnte.

Seit sie weggelaufen war, hatte er sie nicht mehr gesehen, und er wunderte sich, wie emotional unbeteiligt er ihr gegenüberstand.

»Was machst du hier?«, erkundigte er sich, und seine Stimme klang freundlicher, wenn er sich mit der Zeitungsfrau unterhielt.

»Willst du mich nicht erst mal ins Haus lassen?«, wollte sie wissen. »Es muss ja nicht die ganze Nachbarschaft mitbekommen, was wir uns zu sagen haben.«

Er konnte sich nicht verkneifen zu sagen: »Ich habe dir nichts zu sagen. Aber meinetwegen, komm rein. Wie hast du uns überhaupt gefunden?«

Sie schob sich an ihm vorbei.

»Es war ja ganz schön dreist von dir, nicht nur wegzuziehen, sondern das Haus auch noch zu verkaufen. Das hättest du ohne meine Einwilligung überhaupt nicht tun dürfen.«

Er konnte jetzt nicht glauben, was sie da von sich gab. Und wie dreist sie war.

»Irrtum, das Haus gehörte mir bereits vor unserer Ehe, und deswegen kann ich damit tun und lassen, was ich will. Bist du hergekommen, um dich wegen des Hauses mit mir zu streiten?«

Sie setzte sich einfach hin. Nun, darüber wollte er sich allerdings nicht aufregen, er hätte ihr einen Platz angeboten, schließlich war er ein höflicher Mensch, der wusste, was sich gehörte.

»Ich wollte wieder ins Haus einziehen, jetzt werde ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen müssen und hierherziehen. Das finde ich nicht so prickelnd.«

Jetzt musste Peter sich ebenfalls erst einmal setzen, er war zunächst stehen geblieben.

Hatte er sich da verhört? Was hatte Ilka da von sich gegeben?

»Du willst was?«

»Wieder zu dir und Maren und Tim ziehen. Die Kinder brauchen ihre Mutter …, ich habe eingesehen, dass das Leben an der Seite eines umtriebigen Künstlers doch nichts für mich ist. Ich bin wohl zu bürgerlich.«

Er konnte nicht sofort etwas sagen, weil es einfach zu ungeheuerlich war, was diese Frau da von sich gegeben hatte.

Sie hatte auf nichts und niemanden Rücksicht genommen und hatte ihr Ding gemacht. Und als sie zufällig Maren und Tim gesehen hatte, war sie weggelaufen.

Und nun tat sie so, als sei alles in Ordnung, als könne sie wieder da beginnen, wo sie aufgehört hatte. Das war eine derartige Dreistigkeit. Das schlug dem Fass den Boden aus.

»Du hast dich für ein Leben gegen mich und gegen die Kinder entschieden«, erinnerte er sie. Hatte sie das vergessen?

»Mein Gott, du hättest doch nicht gleich alles aufgeben müssen. Ich wollte bloß ein bisschen Spaß haben.«

Am liebsten hätte er ihr jetzt die Tür gewiesen. Es ging nicht, er musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Wenigstens solange, bis er herausgefunden hatte, wo sie zu erreichen war, damit der Rechtsanwalt ihr endlich die Scheidungspapiere zuschicken konnte.

»Und weil du Spaß haben wolltest, hast du Knall auf Fall die Kinder im Stich gelassen, von mir ganz zu schweigen. Und weil es doch nicht so ist, wie du dir das vorgestellt hast, da denkst du, dass du wieder herkommen kannst, bis zum nächsten Mal, wenn du wieder Spaß haben möchtest. Nein, Ilka, so geht das nicht. Dieser Zug ist abgefahren. Du sagst mir jetzt deine Adresse, und dann bekommst du die Scheidungspapiere zugeschickt. Und wenn ich deine Adresse habe, dann bitte ich dich zu gehen und nicht mehr herzukommen. Die Kinder sind gerade dabei, ihr Trauma zu überwinden. Die sind in ein tiefes Loch gefallen, als du sie verlassen hast.«

»Mein Gott, dramatisiere das doch jetzt nicht so. Sie sind kein Einzelfall, Eltern trennen sich immer wieder. Und ich bin sogar zurückgekommen. Es kann alles wieder so werden wie es war, leider nur hier. Was hast du dir bloß dabei gedacht, Maren und Tim in eine Gegend zu verfrachten, in der Fuchs und Hase sich Gute-Nacht sagen.«

Begriff sie es immer noch nicht?

Dann musste er eben drastischer werden.

»Ilka, es ist aus, es gibt keinen Weg zurück.«

Was war denn aus Peter geworden? Er war doch immer so bemüht gewesen, für alle eine heile Welt zu schaffen. Zog das nicht mehr?

Ihr Gesicht verzerrte sich.

»Du weißt schon, dass du für mich Unterhalt zahlen musst, und die Kinder, die nehme ich zu mir. Kinder gehören immer zur Mutter, das wissen die bei den Gerichten auch.«

Sie konnte ihm keine Angst machen, und es war wirklich erschreckend, das er für diese Frau nichts mehr empfand. Er hatte sie doch einmal geliebt.

»Ilka, du bist schlecht informiert und du hast eine falsche Erwartungshaltung. Ich muss keinen Unterhalt für dich zahlen, und kein Gericht der Welt wird dir das Sorgerecht für die Kinder erteilen. Du hättest dir alles vorher überlegen sollen. Schreib deine Adresse auf, und dann geh bitte.«

Sie dachte nicht daran.

»Wo sind eigentlich Maren und Tim? Die haben doch heute keine Schule.«

»Die sind unterwegs, und ehe du dich aufregst, sie sind unterwegs mit sehr guten Freundinnen, die sich sehr um die beiden kümmern.«

Ilka sah ihre Felle davonschwimmen. Mit einem solchen Ausgang hatte sie nicht gerechnet. Sie war vermessen genug gewesen zu glauben, Maren und Tim würden ihr um den Hals fallen, ganz so wie früher, und Peter würde sich ebenfalls freuen.

Wirklich dumm gelaufen!

Was sollte sie jetzt machen?

Sie musste versuchen, das Ruder herumzureißen.

»Peter, denk an die schönen Zeiten zurück, die wir miteinander hatten. Mit etwas gutem Willen kriegen wir das wieder hin. Allein schon der Kinder wegen.«

»Ilka, an die hast du doch überhaupt nicht gedacht, sonst wärest du nicht einfach gegangen. Schieb jetzt die Kinder nicht vor. Die sind dabei, in ihrem neuen Leben richtig anzukommen, funke nicht dazwischen und bring alles erneut in Unordnung.«

»Und du, Peter?«

Er blickte sie an, und er erkannte sie nicht mehr. Sie war nicht die Frau, die er geliebt hatte.

»Ich liebe dich nicht mehr.«

Damit hätte sie nicht gerechnet, sie starrte ihn an.

»Ilka, was du getan hast, hat mich sehr verletzt. Das ist nichts, wo man gleich wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Es ist zu viel Porzellan zerschlagen worden, und es hat verdammt wehgetan.«

Darauf ging sie nicht ein.

»Gibt es eine Neue?«

Das war ihre Sorge?

»Nein, gibt es nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Ich weiß nicht, ob noch einmal eine Frau Platz in meinem Leben haben wird. Ich brauche ja nicht nur eine Partnerin für mich, sondern jemanden, der Kinder mag, jemanden, den die Kinder mögen. Ich bin für Maren und Tim verantwortlich. Ich will, dass es ihnen gut geht, dass sie nicht noch einmal enttäuscht werden. Im Gegensatz zu dir will ich nicht nur ein bisschen Spaß haben. Da geht es um mehr. Aber das müssen wir jetzt nicht diskutieren. Unsere Wege trennen sich für immer, und es wäre gut, wenn wir die Scheidung hinter uns bringen könnten, ohne dass es zu einer Schlammschlacht kommt. Da wir keine Gütertrennung vereinbart haben, sondern in einer Zugewinngemeinschaft lebten, steht dir die Hälfte von dem zu, was während der gemeinsamen Ehejahre angeschafft wurde. Und du hast auch für die Zeit der Ehe Rentenansprüche. Für all das gibt es Gesetze, und du sollst alles bekommen, was dir zusteht. Was immer auch geschehen ist, wir hatten schöne Jahre miteinander, und du bist die Mutter meiner Kinder. Schon allein deswegen sollten wir versuchen, in Frieden die Trennung zu vollziehen, denn wir werden uns wegen der Kinder immer wieder begegnen.«

Sie sah ihre Fälle davonschwimmen!

Sie war wirklich davon ausgegangen, wieder da anknüpfen zu können, wo sie aufgehört hatten.

»Okay, Peter, dann gib mir auf das, was mir zusteht, einen Vorschuss«, sagte sie, weil sie wirklich klamm war und kein Geld hatte. Es war zu blöd, dass sie nicht in ihr altes Leben eintauchen konnte.

Damit war er einverstanden. Er hatte allerdings ein schlechtes Gefühl, weil es wirklich nicht seine Art war, ihr zu sagen: »Ich bekomme von dir die Adresse, unter der du erreichbar bist, und für das Geld bekomme ich eine Quittung.«

Er hatte sich wirklich verändert.

»Peter, ich bitte dich, ich bin deine Frau, da muss ich doch nichts unterschreiben.«

Klar, so war es früher gewesen.

»Wir sind nur noch auf dem Papier ein Ehepaar, und ehrlich gesagt, nach allem, was geschehen ist, traue ich dir nicht mehr, Ilka. Also was ist, gehst du auf meinen Vorschlag ein?«

Sie hatte keine andere Wahl.

Sie brauchte das Geld.

Es war zu dumm, dass die Kinder nicht daheim waren, dabei hatte sie den Zeitpunkt extra so gewählt. Vielleicht wäre da alles anders gelaufen. Die hingen an ihr, ganz besonders Tim.

Er ging in sein Arbeitszimmer. Er hatte normalerweise nicht viel Bargeld im Haus. Doch er wollte eine größere Anschaffung machen, und die musste bar bezahlt werden.

Er überlegte kurz, dann entnahm er der Schatulle fünftausend Euro, stellte die Quittung aus und schrieb als Zahlungsgrund auf, dass es sich um eine Vorauszahlung für die Vermögensteilung im bevorstehenden Scheidungsverfahren handelte.

Ehe er ihr das Geld gab, ließ er sich Ilkas Personalausweis zeigen, ob in dem tatsächlich die Adresse stand, die sie ihm aufgeschrieben hatte.

Nachdem alles erledigt war, traf sie noch immer keine Anstalten zu gehen, und deswegen sagte er: »Ilka, ich möchte jetzt gern wieder allein sein.«

Er hatte ihr keinen Kaffee angeboten. Eigentlich ging so etwas überhaupt nicht. Doch die Verletzungen saßen einfach noch zu tief, da konnte man nicht so tun, als sei nichts geschehen.

Weil sie Spaß haben wollte, war alles zerstört worden.

Das saß so tief, das würde er nie vergessen, und er musste sich sehr zusammenreißen, um jetzt nicht grob zu werden und ihr ein paar Wahrheiten zu sagen, die sich gewaschen hatten.

Welch ein Glück, dass die Kinder das jetzt nicht miterleben mussten, die wären ausgeflippt.

Ilka steckte das Geld ein.

»Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du ein solcher Spießer bist, Peter. Es ist doch überhaupt nichts passiert, ich bin keine andere geworden, ich war nur eine Weile weg.«

Wollte sie von vorne anfangen?

Er stand einfach auf.

»Du bist eine andere geworden, und wenn ich dir einen Rat geben darf, Ilka, dann lass dir deine Haare wieder in deiner ursprünglichen Farbe einfärben. Das Bunte, das bist nicht du, irgendwie wirkst du wie jemand, der etwas sein möchte, was er nicht ist.«

Nach diesen Worten verließ er einfach den Raum, und sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Er öffnete die Haustür und komplimentierte sie mehr oder weniger hinaus.

Seine letzten Worte waren: »Du hörst also von meinem Anwalt, der wird dir die entsprechenden Vorschläge unterbreiten, und da wir lange genug getrennt leben, ist die Scheidung nur noch eine Formsache. Übrigens, wenn du gescheit bist, dann ersparst du es dir, einen eigenen Anwalt zu nehmen. Ich bin bereit, mich gütlich mit dir zu einigen. Und du musst keine Sorgen haben, zu kurz zu kommen. Wie bereits gesagt, bekommst du alles, was dir zusteht.«

Er verabschiedete sich, ging ins Haus zurück, schlug ostentativ die Tür zu, und sie lief zu dem Auto, das sie sich von einer Freundin geliehen hatte.

Verflixt noch mal …

Sie hatte sich das Treffen wahrlich anders vorgestellt. Aber er sollte bloß nicht glauben, dass sie so schnell aufgeben würde. Der Anwalt mochte schreiben was er wollte, sie würde die Scheidung hinauszögern. Sie würde die Kinder auf ihre Seite bringen.

Ja, die Kinder!

Die waren ihre Trumpfkarte!

Sie wusste, wie wichtig Maren und Tim ihm waren, sie wusste auch, dass er ein hingebungsvoller Vater war. Und wenn sie ehrlich war, als Ehemann war er verlässlich, treu und gut gewesen.

Sie hätte bei ihm bleiben sollen, und das mit der Affäre hätte nebenbei laufen können. Hätte …, hätte … Es machte keinen Sinn, darüber jetzt noch nachzudenken. Sie war wie besessen gewesen, die Affäre hatte Spaß gemacht, es war alles so anders, so aufregend gewesen. Der Spaß war ihr allerdings rasch vergangen, als ihr bewusst geworden war, dass sie für ihren Rockmusiker nur eine Affäre unter vielen gewesen war. Es hatte ihn gereizt, es mal mit einer Frau auszuprobieren, die älter war als die Groupies, die ihn sonst umschwärmten und beinahe ohnmächtig wurden, wenn sie ihn sahen.

Sie war gescheitert!

Und das ging überhaupt nicht!

Sie musste retten, was zu retten war. Es war zu dumm, dass die Kinder nicht daheim waren. Die bekam sie direkt wieder auf ihre Seite. Sie hatte doch gesehen, wie durcheinander sie gewesen waren, als sie ihr zufällig begegneten. Da wäre es wirklich nicht gegangen, mit ihnen zu reden. Da war sie noch vollkommen entflammt gewesen und hatte geglaubt, auf ewig die Rockerbraut bleiben zu können.

Na ja, darüber musste sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Das mit den Kindern würde sie schon schaffen, und mit Peter? Ja, mit dem letztlich auch. Er war pflegeleicht, gutmütig, für ihn war eine heile Welt wichtig. Und die würde sie ihm wieder bieten, und wenn es mit ihnen in Ordnung war, da würde sie als Erstes dafür sorgen, dass sie wieder in die Stadt ziehen würden.

Sonnenwinkel …

Das klang ja ganz schön, doch für sie war es gruselig, da wollte sie nicht einmal tot über dem Zaun hängen.

Fünftausend Euro hatte er ihr gegeben, und das, ohne mit der Wimper zu zucken. Großzügig war er immer gewesen, der Peter. Doch weit bringen würden sie die paar Euro nicht. Ehe die aufgebraucht waren, musste alles wieder in trockenen Tüchern sein. Und vielleicht sollte sie doch zum Friseur gehen und sich die Haare färben lassen. Mit den bunten Haaren würde er sie nicht zurücknehmen, dazu war er irgendwo viel zu spießig. Nun, bei seinem Beruf konnte man wohl nicht anders.

Sie musste es hinkriegen!

Ilka Bredenbrock wurde nur von den Gedanken an sich beherrscht, und ihr wurde überhaupt nicht bewusst, wie egoistisch das war.

Was sie ihrem Ehemann, vor allem aber ihren Kindern angetan hatte, das kam ihr nicht in den Sinn. Sie wollte ihre materielle Sicherheit wieder haben, und um die zu erreichen, dazu war ihr jedes Mittel recht.

Sie fuhr schnell und war froh, diese verträumte Idylle hinter sich zu haben.

Was war bloß in Peter gefahren, mit den Kindern in die Pampa zu ziehen? Sie hatten in einem so schönen Haus gewohnt.

Apropos Haus.

Sie musste auf jeden Fall zuerst einmal herausfinden, ob das stimmte, dass sie keinen Anspruch auf die Hälfte hatte, weil ihm das Haus bereits vor der Ehe gehörte.

Sie war zwar überzeugt davon, dass sie das mit Peter und den Kindern wieder hinkriegen würde. Aber wenn nicht, dann wollte sie herausholen, was herauszuholen war. Und sie musste dann sehen, dass die Kinder zu ihr kamen. Mit dem Unterhalt, den er für Maren und Tim zahlen musste, konnte man schon etwas anfangen. Und Peter würde großzügig sein, seinen Kindern sollte es an nichts mangeln. Das allerdings wäre die schlechteste Option, und deswegen schloss sie das sofort wieder aus. Sie wollte alles! Basta!

*

Rosmarie Rückert hatte sich so fest vorgenommen, endlich mal das Tierheim wieder zu besuchen. Doch als sie vor der Tür stand, zögerte sie. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, denn anfangs, als es neu für sie gewesen war, da hatte sie sich voll eingebracht, nicht nur mit Geld, viel Geld, sondern sie war auch beinahe täglich da gewesen, um zu helfen. Irgendwann hatte es nachgelassen, schließlich waren ihre Besuche nur noch sporadisch erfolgt, dann hatte sie sie ganz eingestellt.

Warum das so gekommen war, konnte Rosmarie nicht einmal mehr sagen.

Als Teresa von Roth sie irgendwann einmal mit ins Tierheim genommen hatte, war es eine für sie vollkommen neue Welt gewesen. Ja, sie hatte nicht einmal gewusst, dass es in Hohenborn überhaupt ein Tierheim gab.

Teresa war zunächst sehr skeptisch gewesen, doch dann hatte sie gemerkt, dass es sie tatsächlich interessierte. Und ihr größtes Glück war gewesen, als sie die Bekanntschaft mit Beauty, der wunderschönen Beaglehündin gemacht hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Irgendwann hatte sie Frau Dr. Fischer, die Leiterin des Tierheims, davon überzeugen können, dass es ihr ernst damit war, und sie durfte Beauty mit nach Hause nehmen.

Mittlerweile war Rosmarie ein Leben ohne die kleine Hundedame überhaupt nicht mehr vorstellbar. Selbst ihr Heinz war in Beauty verliebt, und das wollte schon etwas heißen, anfänglich war das keineswegs der Fall gewesen, da hatte er keinen Hund im Haus gewollt. Und nun ging Heinz freiwillig mit dem Hund spazieren.

Alles war gut!

Also, warum war sie niemals mehr in das Tierheim gegangen, in dem sie viele schöne Stunden verbracht hatte, in dem sie sich gebraucht gefühlt hatte und in dem sie als Rosmarie anerkannt und geschätzt gewesen war.

Für manches gab es einfach keine Erklärung, und Rosmarie wusste auf ihre Fragen keine Antwort. Aber sie wusste, dass sie jetzt das dringende Bedürfnis verspürte, sich im Tierheim aufzuhalten, die Anhänglichkeit der Tiere zu spüren, deren treue, bettelnde Blicke zu sehen.

Die Tiere merkten, wie man es mit ihnen meinte, und für ein paar Streicheleinheiten, für ein paar liebevolle Worte, da bekam man so viel zurück.

Am liebsten würde sie alle Tiere bei sich aufnehmen, sie in Freiheit entlassen, es war schrecklich, sie so eingesperrt zu sehen. Und da gab es überhaupt keine Ausnahme. Es waren nicht nur die Straßenköter, die man einfing und herbrachte, auch nicht nur Mischlinge, sondern im Tierheim befanden sich edle Rassehunde, die sehr viel Geld gekostet hatten. Um ein Auto fahren zu können, benötigte man einen Führerschein, Tiere konnte man unüberprüft kaufen. Das müsste verboten werden. Es musste aufhören, dass man sie erwerben konnte wie einen Fernseher, ein Fahrrad oder eine Designerhandtasche. Der Unterschied war leider nur, dass man die toten Gegenstände behielt. Der Tiere entledigte man sich, wenn man erst einmal merkte, dass sie Arbeit machten, viel Aufmerksamkeit benötigten. Man konnte ja von Glück reden, wenn die Tiere ins Tierheim gebracht wurden. Viele von ihnen wurden einfach ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Das traf häufig zu Beginn der Ferien zu.

Während ihrer aktiven Zeit im Tierheim hatte Rosmarie ganz furchtbare, unglaubliche Dinge erfahren, und sie war vor Mitleid beinahe zerflossen. Sie hatte viel gespendet, um das ganze Elend wenigstens ein bisschen zu lindern. Das war nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Frau Dr. Fischer war eine ganz großartige Frau, die für die Tiere alles tat. Aber ihr waren Grenzen gesetzt, und zaubern konnte sie auch nicht.

Rosmarie ärgerte sich.

Sie hätte nicht aufhören sollen. Es hatte nicht nur Spaß gemacht, sondern sie hatte sich aufgewertet gefühlt. Alles war so sinnvoll gewesen. Frau Dr. Fischer hatte sie mehr als nur einmal gelobt, hatte sich immer wieder bei ihr bedankt. Auch Teresa von Roth war voller Hochachtung gewesen, weil sie ihr das niemals zugetraut hätte. Und auf Teresas Meinung legte sie großen Wert. Teresa hatte nie aufgehört, im Tierheim aktiv zu sein. Sie war überhaupt ein sehr sozial eingestellter Mensch, und sie half bei den unterschiedlichsten Organisationen, Vereinen, Einrichtungen, ohne ein Aufhebens davon zu machen.

Rosmarie beschloss, sich endlich ein Herz zu fassen und ins Tierheim hineinzugehen. Deswegen war sie schließlich hergekommen. Da sie sich auskannte, ging sie direkt in Frau Dr. Fischers Büro, und dort fand sie sie auch. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und machte ein sehr sorgenvolles Gesicht.

Rosmarie wusste, warum!

Es mangelte dem Tierheim wieder mal an Geld!

Doch ein paar Sorgen konnte sie der armen Frau nehmen, sie hatte nämlich einen dicken Umschlag mit Geld in der Tasche, Geld, das sie beim Verkauf eines Brillantarmreifens erzielt hatte, den sie sich irgendwann einmal in einem Anflug von Wahnsinn für sehr, sehr viel Geld gekauft hatte. Einen Bruchteil des Geldes hatte sie jetzt beim Verkauf erhalten, dabei hatte der Armreif ungenutzt im Safe gelegen. Sie hätte ihn niemals getragen. Es gab noch eine ganze Menge von Schmuck, der ebenfalls ein solch trauriges Dasein fristete.

Manchmal glaubte sie wirklich, das musste eine andere gewesen sein, die ihren Lebenssinn darin gesehen hatte, die Scheckkarte glühen zu lassen und sich alles zu kaufen, wonach ihr der Sinn stand. Glücklich war sie eigentlich nur gewesen, ehe sie das Objekt ihrer Begierde in Händen gehabt hatte, danach war nur eine geradezu unerträgliche Leere in ihr gewesen.

Vorbei!

Sie hatte in ihrem Leben noch viel mehr falsch gemacht, als sich unsinnige Dinge zu kaufen. Leider ließ sich das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen.

Margot Fischer erhob sich sofort, als sie Rosmarie bemerkte. Ein Lächeln glitt über ihr sorgenvolles Gesicht.

»Frau Rückert, das ist aber eine schöne Überraschung, dass Sie mich besuchen«, mit ausgestrecktem Arm kam sie auf Rosmarie zu, begrüßte sie.

Rosmarie fühlte sich noch schlechter.

»Ich könnte eine kleine Pause gut gebrauchen. Trinken wir zusammen einen Kaffee?«

Damit war Rosmarie sofort einverstanden, sie setzte sich in die kleine Besucherecke.

»Wie geht es Beauty? Sind Sie noch immer froh, sie aus dem Heim geholt zu haben?«, erkundigte Margot Fischer sich, als sie den Kaffee servierte und sich gleichfalls setzte.

Rosmarie staunte, dass die Heimleiterin sogar noch den Namen des Beagles wusste. Und das bei all den Tieren, die es hier gab, bei all den Ab- und Zugängen. Frau Fischer machte nicht nur einen Job, nein, es war ihre Berufung, ihre Lebensaufgabe, das Dasein der Tiere, so gut es ging, zu erleichtern.

»Ich liebe Beauty über alles. Sie mitzunehmen, war meine beste Entscheidung. Sie ist nicht nur ein wunderschönes Tier, nein, sie ist klug und so anhänglich. Sie macht uns große Freude.«

Das hörte Frau Dr. Fischer gern. Sie begann ein wenig zu erzählen, was sich während Rosmaries Abwesenheit im Tierheim ereignet, welche Veränderungen es gegeben hatte.

Rosmarie entspannte sich allmählich. Frau Fischer war nicht sauer auf sie. Das konnte sie auf sich selber sein, weil sie so lange nicht hier gewesen war. Da hatte sie sich um einiges gebracht.

»Schön, wieder hier zu sein«, sprach Rosmarie ihre Gedanken aus.

»Frau Rückert, ich wollte mich immer mal bei Ihnen melden. Doch mein Tag könnte die doppelte Anzahl von Stunden haben, und es würde immer noch nicht reichen. Ich möchte jetzt die Gelegenheit nutzen, mich noch einmal für Ihre großzügigen Spenden zu bedanken. Das Geld hat sehr geholfen. Ich wage überhaupt nicht daran zu denken, wie es ohne Ihre Hilfe gegangen wäre.«

Rosmarie wurde rot.

Sie könnten noch viel mehr tun. Aber Heinz saß auf seinem Geld, und wenn er mal etwas herausrückte, dann erinnerte er sie mehrfach, die Spendenbescheinigung nicht zu vergessen, damit er es beim Finanzamt geltend machen konnte.

Rosmarie fasste einen Entschluss. Sie musste Heinz nicht bitten. Sie musste nur nach und nach Schmuck verkaufen, den eh niemand tragen würde. Stella hatte einen ganz anderen Geschmack, und Ricky trug keinen Schmuck. Auch ihr Geschmack hatte sich verändert.

Es fühlte sich gut an. Sie konnte für die Tiere etwas tun.

Und das würde sie auch.

Zuerst einmal griff sie in ihre Handtasche und reichte den prallen Briefumschlag über den Tisch.

Margot Fischer blickte ihr Gegenüber an.

»Mit dem darin enthaltenen Geld möchte ich gern das Tierheim unterstützen«, erklärte Rosmarie, »ich weiß doch, dass es an allen Ecken fehlt.«

Margot Fischer hatte Tränen in den Augen.

»Frau Rückert, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie schickt der Himmel. Ehe Sie kamen, habe ich an meinem Schreibtisch gesessen und mir Gedanken gemacht, wie ich die offen stehende Futterrechnung bezahlen soll. Und nun …, eigentlich dürfte ich das nicht annehmen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie haben schon so viel getan.«

»Und ich werde noch mehr tun, Frau Dr. Fischer«, versprach Rosmarie. »Und ich werde mich auch wieder einbringen.«

Margot Fischer konnte ihr Glück nicht fassen, das Geld jetzt war wirklich so etwas wie eine Rettung in letzter Sekunde gewesen. Sie wusste nicht, wie viel Geld in dem Umschlag steckte, doch so dick, wie er war, musste es eine ganze Menge sein.

»Ich stelle Ihnen dann auch sofort eine Spendenbescheinigung aus«, sagte sie, weil sie mitbekommen hatte, wie sehr der Ehemann darauf bestand.

»Das ist nicht nötig, Frau Dr. Fischer. Ich habe Schmuck verkauft, ich brauche keine Bescheinigung.«

Jetzt bekam Margot wirklich ein schlechtes Gewissen. Rosmarie Rückert hatte bereits Schmuck verkauft, um etwas für die Tiere zu tun.

»Frau Rückert, das dürfen Sie nicht tun. Schmuck ist für jede Frau von Bedeutung.«

Rosmarie beruhigte Margot, indem sie sagte: »Frau Dr. Fischer, ich habe den Schmuck gekauft, wie andere Leute Briefmarken sammeln. Es sind nur wenige Stücke, die ich mag und die ich auch trage. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sehr froh, helfen zu können. Und ich habe eine ganz große Bitte. Können Sie sich die Zeit nehmen, mir zu zeigen, was sich verändert hat? Es wäre mir eine ganz große Freude.«

Margot Fischer tat nichts lieber als das.

Sie verstaute sorgsam den Geldumschlag in ihrem Schreibtisch, schloss ihn ab, dann sagte sie: »Meinetwegen können wir unseren Rundgang starten. Es wird mir ein Vergnügen sein …, aber vorher möchte ich Ihnen eine indiskrete Frage stellen, die Sie nicht beantworten müssen …, haben Sie Kummer?«

Zunächst einmal fiel Rosmarie aus allen Wolken, dabei durfte sie sich eigentlich nicht wundern. Wer sich so gut mit Tieren auskannte, der hatte auch einen Blick für die Menschen.

Margot Fischer hatte nicht aus Neugier gefragt, und deswegen sprudelte es aus Rosmarie nur so heraus. Sie erzählte, wie sehr es sie belastete, dass ihre Tochter aus ihrer Ehe ausgebrochen war und dass sie das ihren Eltern bis heute nicht erzählt hatte.

Margot Fischer war eine sehr einfühlsame Person, und sie war eine sehr gute Zuhörerin.

Rosmarie war ganz erschöpft, als sie mit ihrer Erzählung fertig war. Doch es war sehr befreiend, das loszuwerden, was sie so sehr belastete. Immer konnte sie nicht zu Inge Auerbach laufen. Eigentlich hatte sie sonst niemanden, denn Fabian, der war zwar ihr Sohn, sie verstanden sich auch viel besser als früher, aber dem durfte sie mit so etwas nicht kommen. Klar hatte er recht damit, wenn er sagte, es sei einzig und allein Stellas Entscheidung. Sie war die Mutter, und da nahm man so etwas Schwerwiegendes nicht einfach zur Kenntnis und ging zur Tagesordnung über.

Welch ein Glück, dass sie ins Tierheim gekommen war. Es fühlte sich so gut an, den Tieren helfen zu können, aber noch besser fühlte sich die Anteilnahme von Frau Dr. Fischer an, die jetzt die richtigen Worte fand, um Rosmarie ein wenig herunterzuholen.

Sie nahm sich ganz fest vor, wieder öfters ins Tierheim zu kommen, auch wenn sie mittlerweile auch regelmäßig in die Seniorenresidenz ging, blieb noch genug Zeit für die Tiere. Und sie würde noch mehr Schmuck verkaufen. Außerdem wollte sie auch noch einmal ihre Kleiderschränke durchforsten. Prada, Chanel, Gucci.

Sie besaß Kleidung, Schuhe, Taschen von allen namhaften Designern. Das meiste trug sie nicht mehr, hatte es teilweise nicht getragen. Es gab genug Frauen, die nach etwas mit dem begehrten Label verrückt waren, so verrückt, dass sie auch für Second Hand viel Geld ausgeben wollten.

Für die Tiere …

Daran musste sie denken, wenn sie zum Befreiungsschlag ansetzte. Und vielleicht konnte sie Heinz in einer guten Stunde noch einmal dazu bewegen, auch etwas für das Tierheim zu spenden, natürlich mit der entsprechenden Spendenbescheinigung.

Sie machte mit Frau Dr. Fischer einen Rundgang. Es gab Tiere, die sie bereits kannte. Und es brach ihr beinahe das Herz, dass sich für diese armen Geschöpfe noch immer kein neues Herrchen gefunden hatte. Es gab neue Tiere, viele neue Tiere, für die unbedingt mehr Platz geschaffen werden musste, für die es sehr beengt war.

Und da gab es Miss Marple …

Das war eine kleine Mischlingshündin mit kurzem schwarzem Fell, in die Rosmarie direkt verliebt war.

»Ist die süß«, rief sie begeistert, »warum heißt sie eigentlich Miss Marple?«

Margot Fischer lachte.

»Sie ist wach, intelligent und unglaublich neugierig«, sagte sie, »wie die Miss Marple aus den Agatha-Christie-Krimis. Wir haben sie so genannt. Als sie zu uns gebracht wurde, war sie verwahrlost, krank, verletzt. Hätte sie nicht einen so starken Willen, hätte sie das alles nicht überlebt. Sie muss furchtbare Sachen erlebt haben. Miss Marple ist schon ein ganz besonderer Hund. Ich hoffe, dass wir sie sehr bald in gute Hände abgeben können. Sie hat es verdient, in ein gutes Leben zu kommen.«

Rosmarie ging in den Zwinger hinein, Miss Marple kam sofort auf sie zugelaufen, blickte sie erwartungsvoll an, und Rosmarie holte eines von den Leckerli aus ihrer Tasche, die Frau Dr. Fischer ihr zugesteckt hatte.

Miss Marple war überhaupt nicht gierig, sie nahm das Leckerli ganz vorsichtig aus Rosmaries ausgestreckter Hand, dann blickte sie Rosmarie so hingebungsvoll an, dass die nur so dahinschmolz.

»Frau Dr. Fischer, würde Miss Marple sich mit meiner Beauty vertragen?«

Margot Fischer blickte Rosmarie ein wenig verwundert an.

»Ja, beides sind sehr verträgliche Tiere, die miteinander leben könnten. Da gäbe es überhaupt keine Probleme. Weswegen möchten Sie das wissen, Frau Rückert?«

Rosmarie streichelte Miss Marple noch einmal, sie konnte dem Blick aus diesen wunderschönen Augen kaum widerstehen. Sie steckte ihr ein weiteres Leckerli zu, das ihr ebenfalls ganz ohne Gier aus der Hand genommen wurde. Dann erhob sie sich.

»Weil ich mich unsterblich verliebt habe, Frau Dr. Fischer. Ich möchte Miss Marple gern ein neues Zuhause geben.«

Damit hätte die Tierheimleiterin jetzt überhaupt nicht gerechnet. Ein neues Zuhause für dieses Tier, in das hier alle verliebt waren, wäre ganz großartig. Anders als damals mit Beauty, wo sie zunächst ziemliche Bedenken hatte, gab es die jetzt nicht. Sie würde Rosmarie Rückert Miss Marple sofort anvertrauen.

Aber …

Es gab ein Aber, ein großes sogar.

»Frau Rückert. Es würde mich sehr, sehr freuen, wenn Miss Marple in gute Hände käme. Nach allem, was dieses arme Tierchen bereits erlebt hat, wäre es das Paradies. Doch Sie wissen mittlerweile, dass ein Hund kein Wegwerfartikel ist, auch nicht etwas, was man einfach umtauschen kann. Sie leben nicht allein. Sie sollten das erst einmal mit Ihrem Mann besprechen.«

Heinz!

An den hatte sie jetzt wirklich nicht gedacht. Und anfangs hatte er wegen Beauty ziemlich herumgezickt. Was würde er gegen einen zweiten Hund sagen? Platzmangel konnte es nicht sein, auch nicht ein Argument, dass ein Hund viel kostete.

Aber Miss Marple war ein so wunderschönes Hündchen! Und wie sie sie jetzt anblickte. Das war kaum auszuhalten.

Rosmarie war jetzt verunsichert. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Ihrem Herzen folgen und Miss Marple einfach mitnehmen oder ihrem Verstand, der ihr sagte, dass es vernünftig war, zunächst mit Heinz zu reden.

»Frau Rückert, sprechen Sie mit Ihrem Mann. Zeigen Sie ihm ein Foto von Miss Marple, das kann ich Ihnen gleich im Büro geben, dazu eine Biografie, in der alles steht, was wir herausbekommen haben. Wenn er einverstanden ist, dann holen Sie Miss Marple. Sie ist gesund, geimpft. Sie zahlen die Schutzgebühr, und Miss Marple gehört Ihnen.«

Rosmarie konnte sich vom Anblick der kleinen Hündin nicht losreißen.

»Miss Marple ist ja so süß. Schon allein deren Anblick lässt jedes Herz höherschlagen. Die will bestimmt jeder haben. Und wenn sie mir nun jemand wegschnappt?«

»Frau Rückert, um Hunde aus dem Tierheim reißt man sich leider nicht, man bringt mehr von ihnen her als man mitnimmt. Meistens wollen die Leute einen reinrassigen Hund haben. Sollte jemand ernsthaft an Miss Marple interessiert sein, dann informiere ich Sie sofort, und Sie bekommen sie, wenn es daheim bei Ihnen geklärt ist. Das verspreche ich Ihnen, einverstanden?«

Rosmarie war einverstanden, dann konnte sie nicht anders. Sie musste noch einmal zu Miss Marple gehen, sie noch einmal streicheln. Miss Marple freute sich, sie leckte sogar Rosmaries Hand, ohne dass sie ihr etwas gegeben hatte. Es war ein Zeichen von Zuneigung. Miss Marple wollte zu ihr!

Rosmarie wurde ganz warm ums Herz. Sie hatte jegliches Interesse an einem weiteren Rundgang verloren.

Sie musste unbedingt mit Heinz reden!

Wenn sie Glück hatte, dann war er bereits daheim. Sollte das nicht der Fall sein, würde sie in sein Büro gehen. Das, was sie ihm sagen wollte, duldete keinen Aufschub.

Sie streichelte Miss Marple ein letztes Mal, flüsterte ihr zu: »Ich hole dich«, dann hatte sie es eilig, zu gehen. Sie ließ sich von Frau Dr. Fischer die Unterlagen geben, dann rannte sie nach Hause. Welch ein Glück, dass sie sich mittlerweile angewöhnt hatte, bequeme, flache Schuhe zu tragen. Mit ihren früheren Stilettos wäre ein solcher Spurt nicht möglich gewesen.

Miss Marple …

Was für ein schönes Hündchen die doch war.

*

Rosmarie hatte Glück! Heinz war gerade nach Hause gekommen, und er wollte seinen wohlverdienten Feierabend genießen. »Da bist du ja endlich.«

Heinz Rückert gefiel es überhaupt nicht, wenn seine Frau nicht daheim war, wenn er Feierabend machte.

»Ich war im Tierheim, Heinz«, rief sie, und sie war noch immer ganz aufgeregt und erfüllt von dem, was sie erlebt hatte. Ihre Freude wurde allerdings ein wenig gedämpft, als ihr Mann sagte: »Und nun willst du mir Geld aus dem Kreuz leiern, das du spenden kannst.«

»Ja, Heinz, es wäre nicht schlecht, wenn du etwas lockermachen würdest. Das würde das Leid der Tiere erheblich lindern. Du sitzt auf dem Geld wie Dagobert Duck, mitnehmen kannst du nichts.«

Rosmaries Einstellung zu Geld hatte sich vollkommen geändert.

Früher war sie ähnlich gewesen wie ihr Mann. Geld, Geld, Geld, darauf war sie fixiert gewesen.

Welche Sorgen sie sich doch gemacht hatte, Cecile, die plötzlich aufgetauchte uneheliche Tochter von Heinz, könne an ihr Geld wollen. Es war absurd und beschämend zugleich gewesen, und Rosmarie wollte sich niemals mehr an die unwürdige Rolle erinnern, die sie damals gespielt hatte.

Cecile besaß unendlich viel Geld, dagegen war das Vermögen der Rückerts nichts. Sie stellte überhaupt keine Ansprüche. Sie war einfach nur froh, ihren Vater kennenzulernen, von dem sie keine Ahnung gehabt hatte, und ihre Geschwister. Cecile, Stella und Fabian hatten sich sofort blendend verstanden. Und Cecile war sogar die Patentante der kleinen Teresa geworden.

Auch Cecile und deren Einstellung zu Geld hatte dazu beigetragen, dass Rosmarie sich verändert hatte. Heinz war stehen geblieben, und das in jeder Hinsicht.

Oder war er so, wie er immer gewesen war, und sie sah ihren Ehemann jetzt mit anderen Augen? Das konnte durchaus sein.

Heinz Rückert sah seine Frau ein wenig entgeistert an. Sie war so anders geworden, und das gefiel ihm überhaupt nicht. Die frühere Rosmarie war pflegeleichter gewesen, die war glücklich, wenn sie auf Shoppingtour gehen konnte.

All die neuen Ideen, die sie hatte, gefielen ihm wirklich nicht.

Eine Frau Rückert musste nicht kostenlos in der Seniorenresidenz helfen oder sich im Tierheim einbringen. Das konnten andere Leute machen, nicht die Ehefrau des hoch geachteten Notars. Die Inge Auerbach hatte Rosmarie bestimmt all die spinnerten Flausen in den Kopf gesetzt. Es war überhaupt nicht gut, dass Rosmarie immerzu in den Sonnenwinkel fuhr. Für ihn wäre es bequemer, Rosmarie ginge wie früher shoppen was das Zeug hielt.

»Rosmarie, ich hatte einen anstrengenden Tag. Ich möchte meine Ruhe haben, und ich möchte mich nicht mit dir zanken.«

Das wollte sie auch nicht!

Rosmarie wusste, dass es jetzt überhaupt nicht vernünftig war, mit Heinz über das zu reden, das ihr so sehr am Herzen lag.

Es wäre besser, erst später am Abend auf das Thema zu kommen.

Doch dann konnte es etwas im Fernsehen geben, was er unbedingt sehen wollte, oder er würde auf dem Sofa einnicken. Das kam auch schon mal vor.

Sie sah die süße Miss Marple vor sich, die bettelnden Augen.

Sie konnte nicht warten.

»Heinz, ich habe im Tierheim einen Hund gesehen, in den ich mich sofort verliebt habe, wie damals in Beauty.«

Er blickte sie an.

»Schön, Rosmarie, und warum erzählst du mir das?«

Rosmarie holte tief Luft.

»Weil ich Miss Marple aus dem Tierheim holen möchte. Sie soll bei uns ein neues Zuhause haben.«

Es war ausgesprochen, und die Reaktion von Heinz gefiel ihr überhaupt nicht. Er sagte nämlich nichts, sondern drehte sich nur um und verließ den Raum. Das hatte er noch nie gemacht.

Was sollte sie jetzt tun? Ihm nachlaufen, ihn zur Rede stellen? Das würde einen Riesenkrach heraufbeschwören, und sie war jetzt auch nicht in der Lage, rational zu denken und zu reagieren.

Sie würde Miss Marple holen, dachte sie trotzig, ob mit oder ohne die Zustimmung ihres Ehemannes. Das Haus gehörte auch zur Hälfte ihr, dann würde sie halt mit den Hunden ins Obergeschoss ziehen.

Nein!

Mittlerweile war sie klug geworden. Sie durfte sich nicht in diese negative Energie hineinsteigern. Sie musste taktisch vorgehen. Heinz konnte es überhaupt nicht haben, wenn sie Krach miteinander hatten. Und noch weniger konnte er es haben, wenn sie abends nicht an seiner Seite war.

Das würde sie heute nicht sein. Sie würde irgendwo in der Stadt etwas essen, vielleicht auch ins Kino gehen, und er sollte daheim schmoren.

Es war nicht schön, was sie da plante, doch es ging um Miss Marple. Sie musste sie haben!

Ehe Rosmarie ihre Gedanken in die Tat umsetzen konnte, kam Heinz zurück.

»Du willst also einen neuen Hund. Hast du dich schon mal gefragt, ob du so etwas wie einen Ersatz für Stella suchst? Ein Mensch und ein Tier lassen sich nicht miteinander vergleichen. Und du kannst ein ganzes Rudel Hunde ins Haus holen, und nichts verändert sich. Du wirst auch dann nicht verwinden, dass unsere Tochter sich unmöglich benommen hat. Ein solches Verhalten ist nicht akzeptabel. Und noch eines, mit mir musst du heute Abend nicht rechnen. Ich gehe ins Büro zurück, dort wartet eine Menge Arbeit auf mich, und dann werde ich irgendwo etwas essen. Warte also nicht auf mich, und noch eines Rosmarie. Ich will, wenn ich nach Hause komme, meine Ruhe haben. Überfall mich nie mehr mit solch unsinnigen Wünschen nach einem zweiten Hund. Zieh los, kauf dir was, damit kann ich umgehen.«

Er verließ den Raum, ehe Rosmarie etwas hätte sagen können, und sie blieb ganz verwirrt zurück.

Was war denn mit Heinz los?

So hatte sie ihn noch nie erlebt. Auf jeden Fall musste sie das Haus jetzt nicht mehr verlassen. Das hatte auch etwas für sich. Statt sich abzulenken, statt zu schmollen, sollte sie sich besser mal Gedanken darüber machen, was bei ihr und Heinz nicht mehr stimmte, was in die verkehrte Richtung lief. Sie zogen nicht mehr an einem Strang, sie gingen unterschiedliche We­ge. Diese Entwicklung war für eine Ehe überhaupt nicht gut. Es machte Rosmarie Angst. Sie hatten doch nur sich. Fabian machte sein Ding, in dessen Leben spielten Heinz und sie keine Rolle. Es gab Pflichtbesuche und Pflichteinladungen, mehr nicht. Es war kaum anzunehmen, dass sich daran noch etwas ändern würde. Aber Stella! Rosmarie konnte nicht begreifen, was mit ihrer Tochter plötzlich los war. Stella hatte ihre Eltern regelmäßig besucht, ob nun aus Pflichtgefühl oder nicht. Auf Stella hatte man sich verlassen können. Wahrscheinlich war sie deswegen so durch den Wind, weil sie so etwas von Stella niemals erwartet hätte.

Aber was Heinz sagte, dass Miss Marple für sie so etwas wie ein Stellaersatz sein sollte, das stimmte nun wirklich nicht.

Tiere waren sehr zuverlässige Hausgenossen, das merkte Rosmarie, als Beauty zu ihr kam, sich an sie kuschelte und ihre Füße leckte, was ein großes Zeichen von Zuneigung war.

Rosmarie beugte sich hinunter, streichelte Beauty.

»Ich bin so froh, dass ich dich habe, meine Kleine«, flüsterte sie, »und ich bin überzeugt davon, dass du dich mit Miss Marple sehr gut verstehen wirst. Und weißt du, wie ich sie nennen werde? Missie, ich finde, das klingt schön.«

Beauty bellte, und Rosmarie deutete das als Zustimmung. Missie …

Ja, so wollte sie ihren Neuzugang nennen, und sie würde das Hündchen ins Haus holen. Sie musste es nur schaffen, Heinz zu einer Zustimmung zu bewegen, die ihn glauben ließ, es sei seine Entscheidung gewesen. Das dürfte nicht schwer sein, Rosmarie kannte da ein paar Tricks.

Sie und Heinz mussten sich wieder annähern, statt immer weiter auseinanderzudriften. Verlieren wollte sie Heinz nicht, auf keinen Fall …

*

Roberta versuchte, nicht mehr daran zu denken, dass ausgerechnet ihr Exmann der Stalker gewesen war. Und Lars war ganz großartig, er bemühte sich geradezu rührend um sie. Sie hatten eine wundervolle Zeit, für Roberta war es die schönste Zeit ihres Lebens.

Sie verdrängte alle Gedanken daran, dass Lars schon wieder ein neues Projekt anvisiert hatte. So war er nun mal.

Lars Magnusson würde niemals sesshaft werden. In ihm war das wilde Blut seines Urgroßvaters, der ein Norweger gewesen war, den es ebenfalls in die weite Welt getrieben hatte. Dass es sehr bald die Highland-Tiger sein würden, das war für Roberta kein Trost.

Leider hatte sie keine Wahl.

Sie musste Lars nehmen, wie er war, weil sie ihn mit der ganzen Kraft ihres Herzens liebte. Er liebte sie ebenfalls, daran gab es keine Zweifel, nur tat er es auf seine Weise.

Ihre Freundin Nicki war zu Besuch gekommen, und Roberta wurde bewusst, dass sie Nicki nur von Lars vorgeschwärmt hatte, der leider nicht da war. Er hatte einen Termin mit seinem Verleger, und er musste eine Pressekonferenz geben.

Als Roberta mal Luft holte, erkundigte Nicki sich lachend: »Sag mal, hast du eigentlich auch noch ein anderes Thema? So kenne ich dich überhaupt nicht. Du bist von deinem Lars ja regelrecht besessen.«

Roberta blickte ihre Freundin entsetzt an.

»Entschuldige, Nicki. Mir ist gar nicht bewusst geworden, dass ich nur über Lars geredet habe. Aber ich liebe ihn so sehr. Er ist ein so unglaublicher Mensch. Er ist wirklich meine Lebensliebe. Doch jetzt höre ich auf, reden wir über dich! Ich freue mich auf jeden Fall sehr, dass du gekommen bist und mit mir zu den Kennenlerntreffen ins Herrenhaus gehen wirst. Der Graf ist ein außergewöhnlicher Mann, und wenn er nicht gebunden sein sollte, dann …«

Nicki unterbrach ihre Freundin.