Der Notarzt 325 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 325 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

Meine letzte Liste - Vor ihrem Tod will Ella noch einiges erleben


Mit angehaltenem Atem blickt Notarzt Peter Kersten auf den Bildschirm des MRT-Geräts. Verdammt, es ist so, wie er es befürchtet hatte: Die junge Patientin, die hier gerade untersucht wird, hat die schlechtesten Aussichten auf Heilung. In ihrem Kopf befindet sich eine tickende Zeitbombe.

Für die sechzehnjährige Ella ist es erstaunlicherweise kein großer Schock, als sie von ihrer furchtbaren Diagnose erfährt. Nachdem sie ihren Befund im Internet recherchiert hat, weiß sie, dass sie höchstens noch einige Monate zu leben hat. Aber was soll‘s? Als Waise, die in einem Heim lebt und keinerlei Liebe erfährt, hat sie ohnehin nichts Schönes zu verlieren. Da ist es im Grunde egal, wenn sie sich früher als gedacht von dieser Welt verabschieden muss.
Allerdings hat Ella diese Rechnung ohne den engagierten Kinderonkologen Dr. Herzog gemacht. Der ist nämlich keinesfalls bereit, das Mädchen kampflos aufzugeben. Und als Ella dann auch noch den siebzehnjährigen Mitpatienten Adrian kennenlernt, erkennt sie, dass es vielleicht doch ein paar Dinge gibt, die das Leben lebenswert machen könnten. Also erstellt sie eine Liste mit Punkten, die sie so gerne noch erlebt hätte. Eigentlich schade, dass ihr dafür nun keine Zeit mehr bleibt. Aber wer weiß - es wäre ja nicht das erste Mal, dass in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik ein Wunder geschieht ...

***

Dr. Peter Kersten ist oft Retter in letzte Minute. In der Unfallchirurgie der Sauerbruch-Klinik kämpft er Tag für Tag um das Leben von Unfallopfern, aber auch um Freundschaften und für die Liebe.
Egal ob bei dramatischen Operationen, mitreißenden Schicksalsschlägen oder den eigenen Sehnsüchten nach Liebe und Zuneigung: Es steht viel auf dem Spiel!

Genießen Sie alle 14 Tage eine neue, bewegende Geschichte um den Notarzt.
Jede Folge ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Folgen der Serie gelesen werden.

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Seitenzahl: 118

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Inhalt

Cover

Impressum

Meine letzte Liste

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: martin-dm/iStockphoto

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6772-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Meine letzte Liste

Vor ihrem Tod will Ella noch einiges erleben

Karin Graf

Mit angehaltenem Atem blickt Notarzt Peter Kersten auf den Bildschirm des MRT-Geräts. Verdammt, es ist so, wie er es befürchtet hatte: Die junge Patientin, die hier gerade untersucht wird, hat die schlechtesten Aussichten auf Heilung. In ihrem Kopf befindet sich eine tickende Zeitbombe.

Für die sechzehnjährige Ella ist es erstaunlicherweise kein großer Schock, als sie von ihrer furchtbaren Diagnose erfährt. Nachdem sie ihren Befund im Internet recherchiert hat, weiß sie, dass sie höchstens noch einige Monate zu leben hat. Aber was soll’s? Als Waise, die in einem Heim lebt und keinerlei Liebe erfährt, hat sie ohnehin nichts Schönes zu verlieren. Da ist es im Grunde egal, wenn sie sich früher als gedacht von dieser Welt verabschieden muss.

Allerdings hat Ella diese Rechnung ohne den engagierten Kinderonkologen Dr. Herzog gemacht. Der ist nämlich keinesfalls bereit, das Mädchen kampflos aufzugeben. Und als Ella dann auch noch den siebzehnjährigen Mitpatienten Adrian kennenlernt, erkennt sie, dass es vielleicht doch ein paar Dinge gibt, die das Leben lebenswert machen könnten. Also erstellt sie eine Liste mit Punkten, die sie so gerne noch erlebt hätte. Eigentlich schade, dass ihr dafür nun keine Zeit mehr bleibt. Aber wer weiß – es wäre ja nicht das erste Mal, dass in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik ein Wunder geschieht …

„Ich habe einfach nur einen Moment lang nicht aufgepasst, und – zack! – war auch schon ein Rettungswagen da und hat mich mitgenommen!“

Die noch sehr junge Patientin zerrte wütend an dem Gurt, mit dem sie auf der Rolltrage festgeschnallt war.

„Das ist doch verrückt!“, brauste sie leidenschaftlich auf und schlug mit der Faust nach der Hand der Krankenschwester, die sie festhalten wollte.

„Autsch!“ Schwester Annette, die die Patientin in einen der Behandlungsräume bringen wollte, sprang hastig einen Schritt zurück, als die Faust der hübschen jungen Frau abermals auf sie zugeschossen kam.

„Haben Sie zu wenige Patienten, dass Sie völlig gesunde Leute auf der Straße entführen lassen müssen? Einmal kurz nicht aufgepasst, und schon wird man festgebunden und mit Blaulicht in die nächste Klinik gekarrt! Das ist doch Wahnsinn! Das ist wie in einem Horrorfilm! Entführung, so nenne ich das!“

„Was ist denn hier los?“ Angelockt von dem lauten Geschrei, kam Dr. Peter Kersten aus dem Bereitschaftsraum und eilte den Flur entlang.

„Na super!“, stöhnte das Mädchen auf der Rolltrage theatralisch und verdrehte die Augen nach oben. „Da kommt auch schon der nächste Komiker!“

Sie stieß einen lauten Wutschrei aus und riss an dem Gurt, weil sie die Schließe nicht aufbekam.

„Binden Sie mich sofort los, oder ich schreie um Hilfe! Wo bin ich hier überhaupt? In irgendeinem Versuchslabor? Bei Dr. Frankenstein? Lassen Sie Leute entführen, um ihnen die Organe für reiche alte Knacker zu entnehmen, oder was?“

„Beruhigen Sie sich, bitte!“

Peter nahm Schwester Annette das Krankenblatt der jungen Frau aus der Hand und warf einen Blick auf die Daten.

„Frau Marten also. Ella. Sie sind hier in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, Ella. Mein Name ist Peter Kersten, ich bin der Leiter der Notaufnahme. Und hier steht, dass Passanten den Notruf gewählt haben, weil Sie mitten auf der Straße einen Anfall hatten. Sie sind hingefallen und waren …“

„Gar nichts hatte ich!“, protestierte Ella. „Aber ich kriege gleich einen Anfall, wenn Sie mich nicht sofort losmachen und nach Hause gehen lassen!“

„Soll ich ihr ein Beruhigungsmittel geben?“ Schwester Annette wollte bereits in einen der Behandlungsräume laufen, um ein entsprechendes Medikament zu holen, doch Peter hielt sie am Arm zurück.

„Nein, nicht doch! Offensichtlich besteht keine akute Lebensgefahr, und wir haben kein Recht dazu, sie gegen ihren Willen hierzubehalten. Wenn Frau Marten behauptet, es sei nichts gewesen, dann müssen wir das zur Kenntnis nehmen.“

„Na, das hoffe ich doch sehr!“ Ella zerrte wieder an der Schließe des Gurts, der sie am Aufstehen hinderte. „Aufmachen! Sofort! Aufmachen! Machen Sie das Ding auf!“

„Ist ja gut. Hören Sie auf, daran zu reißen, sonst kriege ich es nicht auf.“ Peter ließ sich mit dem Lösen des Gurts bewusst länger Zeit, um in den paar Sekunden zu versuchen, doch noch ein vernünftiges Gespräch mit der Patientin zu führen. „Sie waren angeblich mindestens fünf Minuten lang bewusstlos. Sollten wir nicht doch lieber herausfinden, was die Ursache dafür war?“

„Ich war überhaupt nicht bewusstlos! Ich muss es ja wohl wissen, oder?“, konterte sie schnippisch. „Ich habe mich nur kurz ausgeruht, und schon wurde ich auf diesem Ding hier festgebunden und wie ein Stück Vieh verladen!“

„Ruhen Sie sich immer mitten auf der Straße liegend aus, Frau Marten?“, fragte der Notarzt. Er bemerkte ein kurzes Flackern in ihrem Blick. Für einen Augenblick schien sie verunsichert zu sein. Doch sofort hatte sie sich wieder voll im Griff und schlug Peters Hand grob weg, als er ihren Puls fühlen wollte.

„Erzählen Sie mir doch keinen Mist, so war das nicht!“, blaffte sie ihn an und sprang von der Rolltrage. „Und wenn Sie glauben, dass ich für diese Entführung auch noch bezahle, dann haben Sie sich aber gründlich geschnitten!“

Sie stutzte, dann schaute sie den Notarzt herausfordernd an.

„Woher wissen Sie überhaupt meinen Namen? Von mir sicher nicht. Mich hat keiner gefragt, wie ich heiße. Man hat mich ja nicht einmal gefragt, ob ich mitkommen möchte.“

Peter zeigte auf ihre Handtasche, die auf dem Fußende der Rolltrage lag.

„Die Sanitäter haben darin nach einem Ausweis gesucht, während Sie besinnungslos waren.“

„Großartig!“ Sie riss zuerst ihre Handtasche an sich, dann rupfte sie Peter das Krankenblatt ziemlich unsanft aus der Hand und zerriss es in lauter kleine Fitzelchen. „Entführung und Diebstahl und Datenklau! Bravo! Was ist das denn hier für ein Laden? Gehören Sie zur Mafia, oder was?“

Wutentbrannt stürmte sie in Richtung Ausgang.

„Nett, dass Sie mich wenigstens nicht gleich für hirntot erklärt und mein Herz an den Meistbietenden verkauft haben!“, rief sie aufgebracht über die Schulter zurück.

„He, was habe ich Ihnen denn getan?“ Dr. Elmar Rösner, der rothaarige Assistenzarzt der Notaufnahme, wurde so grob zur Seite gestoßen, als er in Ella Martens Schusslinie geriet, dass er ziemlich schmerzhaft mit der Schulter gegen die Wand prallte.

Einen Augenblick später knallte sie die Eingangstür so fest hinter sich zu, dass die Glasscheibe bedrohlich vibrierte.

„Was ist denn mit der los? Tollwut, oder was?“ Elmar rieb sich die schmerzende Schulter.

„Keine Ahnung.“ Peter hob beide Hände hoch und ließ sie resigniert seufzend wieder sinken. „Vielleicht waren Drogen mit im Spiel, und sie hat es mit der Angst vor einer Anzeige zu tun bekommen. Wir werden es wohl nie erfahren.“

„Sie ist erst sechzehn.“ Schwester Annette, die mit einundzwanzig Jahren das jüngste Mitglied in Dr. Kerstens Team war, hatte noch nicht gelernt, sich ein bisschen gegen die teilweise recht schlimmen Schicksale der Patienten zu wappnen.

Tränen traten ihr in die Augen, und sie wischte sie mit einer ungeduldigen Bewegung mit dem Unterarm weg.

„Der Sanitäter hat mir gesagt, sie haben in den Kontakten auf ihrem Handy nach Angehörigen gesucht, die sie verständigen könnten.“

„Und?“ Peter hob fragend die Augenbrauen hoch.

„Nichts. Drei Nummern. Eine Frau Sowieso, eine Nummer unter dem Namen Scheißjob und dann noch eine unter Heimleiterin“, schniefte Annette Fleming. „So ein hübsches junges Mädchen, und hat scheinbar weder Familie noch Freunde.“

„Ein Heimkind“, mutmaßte Elmar Rösner. „Kein Wunder, dass sie so schlecht gelaunt war. Das stelle ich mir auch nicht unbedingt berauschend vor.“

„Wir könnten versuchen, das Heim ausfindig zu machen, in dem sie lebt“, schlug Peter vor.

„Und wenn sie wirklich Drogen genommen hat?“ Elmar zuckte mit den Schultern. „Dann bringen wir sie womöglich in Schwierigkeiten.“

„Auch wieder wahr“, musste der Notarzt zugeben. „Dann hoffen wir also, dass es wirklich nichts Schlimmeres gewesen ist als ein einmaliges, missglücktes Drogenexperiment.“

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Fast eins. Lea müsste bald fertig sein. Sie ist oben auf der Kinderstation und betreut einen kleinen Jungen. Wir haben vereinbart, dass wir uns eventuell in der Cafeteria treffen. Macht es euch was aus, wenn ich für eine halbe Stunde verschwinde?“

Schwester Annette deutete mit dem Kinn auf die doppelte Schwingtür am Ende des Flurs, die zum Warteraum führte.

„Alles leer. Wenn was sein sollte, womit wir alleine nicht klarkommen, lassen wir Sie ausrufen.“

„He!“ Elmar Rösner stupste Annette mit dem Ellbogen in die Seite. „Wenn es nicht gerade eine Herztransplantation sein soll, komme ich auch schon ohne Papa alleine klar.“

„Sicher“, beschwichtigte die junge Pflegerin den eingeschnappten Assistenzarzt und blinzelte Peter schmunzelnd zu. „Ich meinte ja nur, falls ein Großereignis ausbricht.“

„Okay, war ja nur ein Scherz.“ Elmar zog Annette sanft an ihrem langen hellblonden Pferdeschwanz. „Jens, Oberschwester Nora und Dr. Fischer sind ja auch noch da“, wandte er sich an Peter. „Und die zwei neuen Assis müssten jeden Moment aus der Mittagspause zurückkommen. Also lass dir ruhig Zeit, Boss.“

„Super, danke!“ Mit einem sonnigen Strahlen im Gesicht, eilte der Leiter der Notaufnahme den Flur entlang. In dieser Woche hatte er seine Lebensgefährtin, die Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Lea König, kaum jemals zu Gesicht bekommen.

Fünf Minuten lang am frühen Morgen, wenn sie beide gehetzt herumrannten, weil sie wieder einmal den Wecker nicht gehört hatten und schleunigst zur Arbeit mussten. Und dann wieder spätnachts, wenn Lea – erschöpft von einem langen Arbeitstag und vom Warten auf ihn – auf der Couch im Wohnzimmer längst eingeschlafen war.

Ein gemeinsames Mittagessen war für Peter ein so freudiges Ereignis wie für andere Leute Weihnachten. Oder Urlaub. Oder beides zusammen.

***

Ella hatte sich noch keine fünf Schritte weit vom Eingang der Notaufnahme entfernt, als sie am liebsten sofort wieder umgekehrt wäre.

Nicht etwa deshalb, weil es ihr nicht gut ging, sondern, um sich zu entschuldigen. Sie hatte ein bisschen zu dick aufgetragen und ein paarmal sogar kräftig zugeschlagen. Die Leute hier hatten ihr ja nur helfen wollen. Sonst nichts.

In letzter Zeit kam es nicht selten vor, dass sie von einer auf die andere Sekunde so wütend wurde, dass sie auf alle und jeden einprügeln wollte. Sie wusste nicht, warum. Sie war doch früher immer ein eher ruhiger und ausgeglichener, jedenfalls auf gar keinen Fall aggressiver Mensch gewesen.

Ebenfalls immer öfter kam es neuerdings vor, dass sie so etwas Ähnliches wie einen Blackout hatte. Einen Filmriss. Oder … keine Ahnung, wie man das sonst nennen sollte.

Sie ging beispielsweise spazieren oder saß in einem Park auf einer Bank, und wenn sie dann auf die Uhr schaute, fehlten ihr ein paar Minuten. Manchmal auch eine halbe Stunde. Manchmal sogar sehr viel mehr.

Es begann immer damit, dass ihr ganzer Körper zu kribbeln anfing. So, als ob ein paar Tausend Ameisen unter ihre Kleider geraten wären. In ihrem Mund wurde es ganz trocken, und die Zunge fühlte sich pelzig an. Vor ihren Augen begann es wie verrückt zu blitzen, sie hörte ein komisches Pfeifen in ihrem Kopf, und sie nahm einen ekligen chemischen Geruch wahr.

Vorhin war es auch so gewesen. Ameisen, Blitze, das Pfeifen und der chemische Geruch. Nur, dass sie danach nicht auf einer Parkbank, sondern in einem rasenden Rettungswagen wieder zu sich gekommen war. Da sie keinen blassen Schimmer gehabt hatte, wie sie dort hineingelangt war, war sie panisch geworden.

„Okay, wie war das genau gewesen?“ Ella dachte angestrengt nach, um die Ereignisse in eine ungefähre Reihenfolge zu bringen.

Sie hatte ihren Arbeitsplatz um Punkt zwölf verlassen, um eine Stunde Mittagspause zu machen. Sie hatte sich einen Apfel, ein Päckchen Datteln und eine Flasche Wasser gekauft und sich in einem nahen Park auf eine Bank setzen wollen.

Das Letzte, an das sie sich noch erinnern konnte, war, dass sie gerade die Straße überquert hatte, als plötzlich die Ameisen und alles andere gekommen waren. Dann war der Film abgerissen. Und jetzt war es …

„Verdammte Kacke, fast eins!“

Als sie vor dem großen Klinikgebäude stand, in das man sie gegen ihren Willen verschleppt hatte, merkte sie erst, dass sie meilenweit von dem Supermarkt entfernt war, in dem sie an der Wursttheke arbeitete. Niemals würde sie es rechtzeitig dorthin zurückschaffen.

Herr Holländer, der Filialleiter, machte schon einen riesigen Aufstand, wenn sie nur eine Minute zu spät kam. Der Typ hatte irgendein Problem mit seinem Selbstbewusstsein und war süchtig nach großen, lautstarken Auftritten, bei denen er fast so tat, als ob er der Kaiser von Sonstwo und sie seine Sklavin wäre.

Ella konnte sich schon denken, womit er sie heute wieder bestrafen würde. Eine Woche lang die Kundentoilette sauber machen. Igitt! Vielleicht war Herr Holländer deshalb so ein übler Diktator, weil er mit einer Größe von unter eins siebzig ein bisschen zu kurz geraten war. Napoleon-Komplex.

„Tja, das Leben ist eins der schwersten!“, seufzte sie theatralisch, musste über sich selbst lachen und rannte los.

Sie wollte zum Main, dann über die Friedensbrücke, dann quer über den Baseler Platz und dann in die Gutleutstraße. Dort war der Supermarkt, in dem sie seit einem Monat arbeitete. Wenn sie die gesamte Strecke so schnell lief, wie sie konnte, dann musste es in etwa fünfzehn Minuten zu schaffen sein.

Andererseits war es eigentlich ziemlich egal, ob sie nun fünfzehn, zwanzig oder dreißig Minuten zu spät kam. Herr Holländer würde so oder so eine filmreife Szene machen, und der Toilettendienst war ihr schon so gut wie sicher.

Ella hasste ihren Job. Sie hasste ihn so sehr, dass sie manchmal darüber nachdachte, ob es nicht besser wäre, tot zu sein.

Obwohl sie am Gymnasium eine sehr gute Schülerin gewesen war und eigentlich vorgehabt hatte, zu studieren, hatte die Heimleiterin Frau Seiler sie nach der Mittleren Reife einfach abgemeldet und in diesen gottverdammten Supermarkt geschleppt. Sie hatte den verfluchten Job, eine winzige Einzimmerwohnung und den Auftrag bekommen, von nun an für sich selbst zu sorgen.

Mit zwölf war sie in dem Heim gelandet. Ihre Eltern waren damals gemeinsam mit dem Auto verunglückt. Das war sehr, sehr schlimm für Ella gewesen.

Fast noch schlimmer war jedoch der Gedanke daran, die nächsten fünfzig Jahre tagtäglich eklige Wurst zu schneiden. Sie war Vegetarierin, Herrgott noch mal!