Der Orden - Anton Tschechow - E-Book

Der Orden E-Book

Anton Tschechow

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Beschreibung

Arzt von Beruf, Schriftsteller aus Leidenschaft – als einer der großen Meister der russischen Literatur hat Anton P. Tschechow wie kein zweiter es verstanden, Leser mit seinem tiefsinnigen Humor in den Bann zu ziehen. ›Der Orden‹ vereint einige seiner scharfsinnigsten Grotesken, mit denen er einmal mehr literarische Größe beweist. Im Band enthalten: Der Orden, Die Simulanten, Aus dem Tagebuch des zweiten Buchhalters, Ein böser Junge, Es war sie!, Ein jähzorniger Mensch, Eine problematische Natur, Intrigen

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LUNATA

Der Orden

und andere Grotesken

Anton Tschechow

Der Orden

und andere Grotesken

© 1922 Anton Tschechow

Aus dem Russischen von Alexander Eliasberger

Umschlagbild Carl Holsøe

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Der Orden

Die Simulanten

Aus dem Tagebuch des zweiten Buchhalters

Ein böser Junge

Es war sie!

Ein jähzorniger Mensch

Eine problematische Natur

Intrigen

Der Orden

In einer der diesseits des Urals gelegenen Städte verbreitete sich das Gerücht, daß dieser Tage im Hotel »Japan« der persische Würdenträger Rachat-Chelam abgestiegen sei. Dieses Gerücht machte auf die Bürger nicht den geringsten Eindruck: ein Perser ist angekommen, was ist denn dabei? Nur das Stadthaupt Stepan Iwanowitsch Kuzyn wurde, als er vom Sekretär des Magistrats über die Ankunft des Orientalen erfuhr, nachdenklich und fragte:

»Wohin reist er denn?«

»Ich glaube, nach Paris oder nach London.«

»Hm! … Ist also ein großes Tier?«

»Das weiß der Teufel.«

Als das Stadthaupt aus dem Magistrat heimgekommen war und zu Mittag gegessen hatte, wurde es wieder nachdenklich und dachte diesmal bis zum Abend durch. Die Ankunft des vornehmen Persers intrigierte ihn außerordentlich. Er glaubte, das Schicksal selbst habe ihm diesen Rachat-Chelam gesandt und endlich sei der günstige Augenblick zur Verwirklichung seines sehnlichsten und leidenschaftlichsten Wunsches gekommen. Kuzyn besaß nämlich schon zwei Medaillen, den Stanislaus-Orden III. Klasse, die Denkmünze des Roten Kreuzes und das Abzeichen des »Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger«; außerdem hatte er sich ein Anhängsel für die Uhrkette machen lassen, das ein mit einer Gitarre gekreuztes goldenes Gewehr darstellte und das, aus dem Knopfloch seines Uniformrocks heraushängend, aus der Ferne wie etwas Besonderes aussah und als ein Ehrenzeichen angesehen werden konnte. Es ist bekannt, daß je mehr Orden und Medaillen einer hat, er um so mehr weitere haben möchte, – das Stadthaupt wollte aber schon längst den Persischen Sonnen- und Löwenorden haben, er wollte es leidenschaftlich, wahnsinnig. Er wußte sehr gut, daß man zur Erlangung dieses Ordens weder kämpfen, noch Gelder für Waisenanstalten spenden, noch ein Ehrenamt bekleiden muß, sondern bloß einer günstigen Gelegenheit bedarf. Nun schien es ihm, daß diese Gelegenheit eingetreten sei.

Am anderen Tag, um die Mittagsstunde, legte er alle seine Ehrenzeichen und die Uhrkette an und begab sich ins Hotel »Japan«. Das Schicksal war ihm günstig. Als er das Zimmer des vornehmen Persers betrat, war jener allein und unbeschäftigt. Rachat-Chelam, ein riesengroßer Asiate mit einer langen Schnepfennase und hervorstehenden Glotzaugen, saß, einen Fez auf dem Kopfe, auf dem Fußboden und wühlte in seinem Koffer.

»Entschuldigen Sie gütigst die Belästigung«, begann Kuzyn mit einem Lächeln. »Habe die Ehre, mich vorzustellen: erblicher Ehrenbürger und Ritter verschiedener Orden, Stepan Iwanowitsch Kuzyn, der Bürgermeister dieser Stadt. Ich halte es für meine Pflicht, in Ihrer Person den Vertreter einer uns sozusagen freundnachbarlichen Großmacht zu begrüßen.«

Der Perser wandte sich um und murmelte etwas in einem sehr schlechten Französisch, das wie Klopfen von Holz gegen Holz klang.

»Die Grenzen Persiens«, fuhr Kuzyn in seiner vorher zurechtgelegten Ansprache fort, »berühren eng die Grenzen unseres ausgedehnten Vaterlandes, und die gegenseitigen Sympathien bewegen mich daher, Ihnen unsere Solidarität auszusprechen.«

Der vornehme Perser erhob sich und murmelte wieder etwas, in seiner hölzernen Sprache. Kuzyn, der keine fremden Sprachen beherrschte, schüttelte den Kopf, um ihm zu bedeuten, daß er nichts verstehe.

Wie soll ich mit ihm reden? dachte er sich. Es wäre gut, einen Dolmetscher kommen zu lassen, aber es ist eine heikle Angelegenheit, und vor Zeugen kann ich darüber nicht gut sprechen. Der Dolmetscher wird es in der ganzen Stadt ausposaunen.

Und Kuzyn fing an, alle Fremdworte zusammenzukramen, die er aus den Zeitungen wußte.

»Ich bin Stadthaupt …« stammelte er. »Das heißt, Lord-Maire … Municipalé … Wui? Komprené?«

Er wollte durch Worte und Mienenspiel seine gesellschaftliche Stellung erklären und wußte nicht, wie es zu machen. Zur Hilfe kam ihm das Bild mit der Unterschrift »Stadt Venedig«, das an der Wand hing. Er zeigte mit dem Finger auf die Stadt und dann auf seinen Kopf und glaubte auf diese Weise den Satz »Ich bin das Stadthaupt« ausgedrückt zu haben. Der Perser verstand absolut nichts, lächelte aber und sagte:

»Bon, monsieur … bon …«

Eine halbe Stunde später klopfte das Stadthaupt den Perser bald aufs Knie, bald auf die Schulter und sprach:

»Komprené? Wui? Als Lord-Maire und Municipalé … schlage ich Ihnen vor, eine kleine Promenade zu machen … Komprené? Promenade …«

Kuzyn wandte sich wieder der Ansicht Venedigs zu und stellte mittelst zweier Finger ein Paar schreitende Beine dar. Rachat-Chelam, der keinen Blick von seinen Medaillen wandte und offenbar ahnte, daß er die wichtigste Person der Stadt vor sich habe, begriff das Wort »Promenade« und grinste höflich. Dann zogen die beiden ihre Mäntel an und verließen das Zimmer. Unten vor der Tür zum Restaurant »Japan« sagte sich Kuzyn, daß es gar nicht schaden würde, den Perser zu bewirten. Er blieb stehen, zeigte auf die Tische und sagte:

»Nach russischer Sitte, es wäre nicht schlecht … Ich meine: Purée, entre-côte … Champagne usw. … Komprené?«

Der vornehme Gast kapierte es, und eine Weile später saßen die beiden im besten Extrazimmer des Restaurants, tranken Sekt und aßen.

»Wollen wir auf das Gedeihen Persiens trinken!« sagte Kuzyn. »Wir Russen lieben die Perser. Wir sind zwar verschiedenen Glaubens, aber die gemeinsamen Interessen, sozusagen die gegenseitigen Sympathien … der Fortschritt … die asiatischen Märkte … sozusagen die friedlichen Eroberungen …«

Der vornehme Perser aß mit großem Appetit. Er bohrte seine Gabel in einen Störrücken, nickte mit dem Kopf und sagte:

»Gut! Bien!«

»Gefällt das Ihnen?« fragte das Stadthaupt erfreut. »Bien? Wunderschön!« Dann wandte er sich an den Kellner und sagte: »Luka, laß seiner Exzellenz zwei Störrücken aufs Zimmer bringen, von den besten!«

Das Stadthaupt und der persische Würdenträger fuhren darauf die Menagerie besichtigen. Die Bürger sahen, wie ihr Stepan Iwanowitsch, rot vom getrunkenen Sekt, lustig und sehr zufrieden den Perser durch die Hauptstraßen der Stadt und auf den Markt führte und ihm die Sehenswürdigkeiten zeigte; er bestieg mit ihm auch den Feuerwachtturm.

Die Bürger sahen unter anderem, wie er vor einem löwenflankierten steinernen Tore stehen blieb und dem Perser erst einen der Löwen und dann die Sonne am Himmel zeigte, sich dann auf die Brust tippte, dann wieder auf den Löwen und auf die Sonne wies, worauf der Perser bejahend mit dem Kopfe nickte und lächelnd seine weißen Zähne zeigte. Am Abend saßen die beiden im Hotel »London« und hörten einem Damenchor zu; wo sie aber in der Nacht waren, ist unbekannt.

Am nächsten Morgen kam das Stadthaupt in den Magistrat; die Angestellten schienen schon etwas zu ahnen: der Sekretär ging auf ihn zu und sagte ihm mit einem spöttischen Lächeln:

»Die Perser haben folgende Sitte: wenn zu Ihnen ein vornehmer Gast kommt, sind Sie verpflichtet, für ihn eigenhändig einen Hammel zu schlachten.«

Etwas später reichte man ihm aber einen Brief, der mit der Post gekommen war. Kuzyn öffnete den Umschlag und fand darin eine Karikatur. Sie stellte Rachat-Chelam dar und das Stadthaupt, das vor ihm auf den Knien lag und, die Hände zu ihm emporstreckend, sagte:

Um Russlands und des Perserreichs

Freundschaftsbeziehungen zu achten,

Würd' ich, Herr Botschafter, respektvoll grenzenlos

Mich selber gern als einen Hammel schlachten,

Doch Sie verzeih'n: ein Esel bin ich bloß!