Der Phönixschmetterling - Djamila Çamdeviren - E-Book

Der Phönixschmetterling E-Book

Djamila Çamdeviren

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Beschreibung

Die Jungschauspielerin Lou bekommt die Hauptrolle in einem Liebesfilm. Dort soll sie an der Seite des arroganten Halbspaniers Martín die verliebte Ehefrau spielen. Lou gibt ihr Bestes, nicht auf Martíns freche Kommentare einzugehen. Doch bald kann sie ihre wahren Gefühle nicht mehr verbergen und auch Martíns Verhalten wird immer seltsamer. Bei einem Barbesuch und dem Genuss von zu viel Alkohol eskaliert die Situation zwischen den beiden. Eine spontane Reaktion von Lou verändert alles und offenbart Martíns wahres Gesicht.

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Djamila Çamdeviren

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 2022

© Djamila Çamdeviren

Umschlaggestaltung und Satz: Djamila Çamdeviren

Umschlag Bildmaterial: © Pixabay

Herstellung und Verlag:

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-756531-06-6

www.eleprosa.de

 

 

 

 

 

»Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung.«

 

Max Reinhardt, Theaterregisseur

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1

Es war dunkel geworden und mein Kaffee war inzwischen kalt. Außer mir war niemand mehr im Büro. Typisch. Da ich mir nur aushilfsweise in der Werbeagentur ein wenig Geld dazuverdiente, musste ich arbeiten, wenn es genug zu tun gab. Der Name dieser Werbeagentur war peekaboo. Seit nunmehr fast zwei Jahren arbeitete ich schon als nette Assistenzkraft in diesem Loft. Eine Assistenzkraft, die ganz freiwillig bis spät in die Nacht hier saß, um brav ihre Arbeit zu erledigen.

    Nicht, dass ich mich beschweren würde. Hier war es warm und Kaffee und Wasser gab es gratis. Tee natürlich auch, aber den trank hier so gut wie niemand. Die weißen Wände des Lofts waren mit hübschen bunten Auftragsarbeiten der Firma dekoriert, damit jeder der hereinkam, sofort sah was ihn erwartete: schrille, bunte und übergroße Farbflächen mit passenden knackigen Slogans. Wir saßen alle wie die Hühner auf der Stange in mehreren nebeneinanderstehenden Tischreihen, sodass jeder es auf der Stelle sah, wenn man während der Arbeitszeit Facebook checkte. Nicht, dass das irgendjemanden davon abhalten würde, es zu tun. Die riesigen Fenster spendeten tagsüber herrlich viel Licht, doch jetzt konnte ich nur die Lichter der Straßenlaternen sehen. Die Tür zum Zimmer unseres Chefs stand noch weit offen, damit ich später meine fertig bearbeiteten Unterlagen folgsam auf seinem Tisch platzieren konnte.

    Danach war es an mir zu überprüfen, ob alle Fenster und Türen ordentlich verschlossen waren. Dann hatte ich endlich Feierabend. Kurz vor halb elf. Ich seufzte.

    Eigentlich bin ich eine ausgebildete Schauspielerin, aber da ich noch relativ neu in der Branche bin und definitiv nicht genug Aufträge habe um meine laufenden Kosten zu decken, muss ich eben in der Werbeagentur mein Geld verdienen. Es könnte schlimmer sein. Vielleicht würde der nächste Dreh ja meine Karriere ein wenig ankurbeln. Maik, unser Regisseur, meinte, dass es dieses Mal ein romantischer Liebesfilm werden würde. Ich war schon ziemlich gespannt auf meinen Schauspielkollegen.

    Nachdem ich die Tür zum Loft hinter mir abgeschlossen hatte, ging ich die Treppen hinunter und hinaus in den Innenhof.

    »Hey, Lou. Endlich Feierabend?«, rief Peter mit seinem englischen Akzent in der Stimme. Er war der Besitzer der Bar, die im Erdgeschoss des Gebäudes der Werbeagentur lag.

    »Ja. Wird auch Zeit«, sagte ich müde. »Peter, kannst du mir vielleicht einen Kaffee zum mitnehmen machen?« Ich reichte ihm meinen treuen Thermobecher. Peters Kaffee schmeckte einfach eindeutig besser, als der aus der Agentur oben.

    »Für dich doch immer, Lou. Gib‘ her.«

Die Bar war klein, aber gemütlich. Eine Gruppe von vier jungen Leuten saß in einer Ecke. Das gedimmte orange Licht war einladend, aber ich hatte noch einen weiten Weg bis nach Hause.

    Als Peter mir jetzt meinen, schon etwas mitgenommenen, Thermobecher zurückgab, bedankte ich mich, gab ihm das Geld und fügte noch hinzu: »Schönen Abend dir noch, Peter. Wir sehen uns!«

    Ich hob meine Hand zu einem kurzen Gruß und verließ die Bar wieder.

 

Während ich jetzt so durch die Straßen laufe und die Stimmen betrunkener Männer ignoriere, die mir irgendetwas Sinnloses hinterherrufen, kann ich euch ja erst einmal ein wenig mehr über mich erzählen.

    Mein voller Name ist Marie Louise und ja, ich weiß, dass das ziemlich schräg ist, aber dafür sind schließlich meine Eltern verantwortlich. Da ich aber noch viel zu jung für einen solchen Namen bin (tatsächlich bin ich im April erst vierundzwanzig geworden), nennen mich alle nur Lou. Ich wohne in Potsdam Süd. Das ist auf der einen Seite sehr praktisch, da mein Leben als Schauspielerin sich zum größten Teil in den Studios in Babelsberg abspielt. Unpraktisch ist es allerdings, da peekaboo sich ziemlich genau in Berlin Mitte befindet. Das hieß immer ewiges Warten auf S-Bahn und Tram.

 

Wenn es draußen dunkel genug ist, kann man sich super in den Fenstern der öffentlichen Verkehrsmittel spiegeln. Als ich endlich in der S-Bahn sitze und mein Spiegelbild betrachte, fällt mir wieder auf, wie kantig mein Gesicht eigentlich ist. Ich wurde schon ziemlich oft als burschikos bezeichnet. Gut, mein fransiger kurzer Bob trug da vielleicht auch seinen Teil zu bei, aber ich finde mich selbst eigentlich nicht sehr jungenhaft. Meine grünen Augen und meine kleine Nase mag ich sehr, weniger aber meine vollen Lippen, die sehen meiner Meinung nach so aus, als ob ich gerade von einer Botoxbehandlung komme. Meine dunkelblaue Beanie verrutschte, als sich jemand hinter mich setzte und sehr unvorteilhaft seinen Rucksack abstreifte.

    »Sorry«, sagte der Unbekannte und setzte sich dann ohne ein weiteres Wort. Ich winkte nur stumm mit der Hand ab und brummte ein unverständliches »Kein Ding«.

    Nachdem ich etwa eine Stunde unterwegs war, steige ich nach dem Wechsel der Bahnen endlich an der Haltestelle Bisamkiez aus der mittlerweile völlig leeren Tram. Ich wohne mit einer Mitbewohnerin in einem der Mehrfamilienhäuser, die in seltsamen Kontrast zu den schicken Einfamilienhäusern auf der anderen Straßenseite gegenüber stehen. Meine Mitbewohnerin hatte ich schon seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Sie machte so ein Work & Travel Jahr in Australien. Aber ich beschwerte mich nicht. Sie zahlte die Miete immer noch (beziehungsweise ihre Eltern taten das) und ich hatte eine große Zweizimmerwohnung für mich allein. Da in ihrem Zimmer der Fernseher stand und sie üblicher Weise auf einer Schlafcouch schlief, war es fast wie ein Wohnzimmer für mich.

    Kaum hatte ich gähnend die Haustür hinter mir abgeschlossen, klingelte mein Handy: Maik, unser Regisseur.

    »Hey Maik«, sagte ich etwas schläfrig, nachdem ich einmal mit dem Finger nach rechts über den Touchscreen gewischt hatte und das Handy an mein Ohr hielt.

    »Lou? Bist du noch wach? Lou, wir fangen morgen mit den Dreharbeiten an. Ich habe einen super Partner für dich gefunden. Filmpartner, mein‘ ich natürlich. Sein Name ist Martín. Spanier. Oder so ähnlich. Kommst du um neun?«

    Maik redete gerne und viel. Er war noch ein sehr junger Regisseur, ungefähr um die dreißig, glaube ich. Mein Blick wanderte um die Ecke zur Küchenuhr. Ihre leuchtenden Ziffern zeigten, dass es kurz nach halb eins war. Ich seufzte stumm und antwortete dann bemüht fröhlich: »Klar, Maik. Kein Problem.«

    »Super! Dann bis morgen!«, sagte er und legte auf.

    »Wohl eher nachher«, murmelte ich, schälte mich aus meinen Schuhen und Klamotten und fiel, ohne mir die Zähne zu putzen, in mein ungemachtes Bett.

    Nach gefühlten zehn Minuten klingelte mein Handy schon wieder.

    »Wo zum Teufel bist du?! Es ist zehn nach neun! Lou! Raus aus dem Bett und beweg deinen Hintern hierher!«, brüllte Maik ins Telefon. Leider kannte er mich ziemlich gut. Ich hatte vergessen, meinen Wecker zu stellen.

    »Bin schon unterwegs!«, rief ich, während ich aus dem Bett stolperte. Dann warf ich mein Handy aufs Kopfkissen und stürzte ins Bad.

    In einem ungeheuren Tempo duschte ich, putzte mir währenddessen die Zähne, zog mich kurz darauf an und schlüpfte in meine Schuhe. Ich packte meine Tasche und rannte aus der Wohnung. Mein Fahrrad stand im Hinterhof und würde mich jetzt schneller nach Babelsberg bringen, als die Tram oder der Bus. Erst als ich auf dem Rad saß, fiel mir ein, dass ich mich weder geschminkt, noch gefrühstückt hatte.

 

2

Obwohl die Babelsberger Studios riesig waren, kannte ich jeden Schleichweg auswendig. Also manövrierte ich mein Fahrrad durch die engsten Gassen und schmalsten Kurven und stürmte um kurz nach zehn Uhr unseren üblichen Drehort.

    »Sorry! Sorry! Sorry! - Maik, tut mir echt Leid, ich habe - vergessen - meinen Wecker - zu stellen«, brachte ich gerade so als Guten-Morgen-Gruß heraus und atmete dabei heftig. Mein Deo hatte ich auch vergessen.

    »Schon ok. Los, ab in die Maske. Du glänzt ja wie eine Speckschwarte. Los! Ich will euch vor der Kamera sehen, bevor wir die Details besprechen.«

    »Was?! Aber - «

Maik scheuchte mich, ohne mir zu antworten, zu Barbara, unserer Maskenbildnerin. Wir waren ein hübsches kleines Team, alle noch recht jung und total dynamisch. Für meinen Geschmack fingen meine Morgen als Schauspielerin jedoch immer viel zu dynamisch an. Zumal, wenn ich am Vorabend so lange in der Werbeagentur gearbeitet hatte.

    »Schätzchen, was hast du denn so lange gemacht gestern Abend? Doch nicht wieder gearbeitet?«, fragte Barbara, während sie mir mit einem feuchten Tuch über das Gesicht fuhr.

    »Was denkst du denn? War halt wieder genug zu tun«, nuschelte ich, während das Tuch über meinen Mund glitt.

    Barbara machte ihre Sache super. Nachdem ich fertig war, fühlte ich mich auch nicht mehr ganz so ausgepowert. Ich lieh mir noch fix Barbaras Deospray und ging dann hinüber zu Maik.

    Mit seinem dichten Vollbart sah Maik viel älter aus, als er eigentlich war. Die blonden Haare hatte er wie üblich unter einer umgedrehten Schirmmütze versteckt. Seine Augenringe hatten sich verdoppelt seit dem letzten Mal (und das war erst zwei Tage her). Mit den kurzen Bermudas und dem schwarzen T-Shirt, auf welchem das Logo einer mir unbekannten Band gedruckt war, erfüllte Maik fast alle Klischees eines seltsamen Künstlers. Obwohl es für diesen Spätsommer recht kühl war wie ich fand, steckten seine komischen Füße immer noch in den bunten Flip Flops. Er hatte kein Gramm Fett am Körper und manchmal war ich mir auch nicht sicher, ob er überhaupt Muskeln hatte, so schlaksig wie er war. Ganz im Gegensatz zu dem Mann, der neben ihm stand. Bei ihm zeichneten sich die Muskeln klar von dem engen dunkelblauen T-Shirt ab. Er trug eine helle Jeans und teure Lederschuhe. Der dunkle Schal, den er locker um seine Schultern gelegt hatte, verlieh ihm das typische Aussehen eines motivierten Schauspielstudenten.

    Ich kam mir plötzlich ziemlich klein und unbedeutend vor. Nicht nur, weil er ungefähr einen ganzen Kopf größer war als ich, sondern weil ich mir in meiner kurzen Hose und dem langen dicken Pulli gerade echt fehl am Platz vorkam. Außerdem zeigten winzig kleine Erhebungen auf meinen Beinen eindeutig eine peinliche Gänsehaut. Ich hätte eine lange Hose anziehen sollen!

    »Lou! Schick siehst du aus. Alles klar. Martín, das ist Marie Louise«, stellte Maik mich dem Fremden vor.

    Martín? Das war also mein Schauspielkollege?

Er musterte mich von oben bis unten und, wie erwartet, blieb sein Blick an meiner Gänsehaut hängen. Er grinste.

    »Hi. Ich bin Martín. Martín Luís Pérez Martínez, wenn du es genau wissen willst, aber Martín reicht völlig, Marie Louise«, sagte er völlig akzent- und dialektfrei.

    »Lou reicht auch vollkommen«, presste ich aus leicht zusammengekniffenen Lippen hervor und nahm seine Hand, die er mir zur Begrüßung reichte. Sie war warm und sein Händedruck angemessen. Ich bemerkte, dass seine Fingernägel manikürt waren. Sein Gesicht war hübsch. Was ich leider zugeben musste. Seine Haut war leicht gebräunt und es sprossen ein paar niedliche Bartstoppeln aus seinem Kinn. Er sah mich mit seinen dunkelbraunen Augen direkt an und in meinem Kopf formten sich die albernsten Sätze, die er jetzt gleich sagen würde. Stattdessen schmunzelte er und sagte: »Du siehst ein bisschen aus wie ein Junge.«

    Meine Gesichtsmuskeln erschlafften und ich schaute ihn ungläubig an.

    »Danke. Und auf deiner Nase kann man bestimmt super Ski fahren, so lang wie die ist.«

    Es war nicht unbedingt der beste Weg eine Freundschaft zu schließen, aber auf seinen Satz fiel mir einfach keine bessere Erwiderung ein. Leider wischte sie das selbstgefällige Grinsen keineswegs aus seinem Gesicht. Er legte den Kopf schief und musterte mich weiter.

    Maik hatte von der ganzen Unterhaltung nichts mitbekommen, da er sich gerade mit Barbara über die passenden Lichtverhältnisse während des Drehs unterhalten hatte.

    »Also«, sagte er jetzt, als er sich wieder zu uns umdrehte. »Stellt euch erst einmal vor die Kamera, ich will ein paar Einstellungen prüfen.«

    »Gibt es kein Drehbuch?«, fragte Martín irritiert.

    »Doch natürlich! Das bekommt ihr noch. Ich muss nur erst einmal sehen, ob das so klappt, wie ich mir das vorstelle.«

    »Und der ist Regisseur? Ernsthaft?«, fragte Martín mich und beugte sich dabei zu mir herunter, um mir ins Ohr zu flüstern. Sein Parfüm roch nach Sandelholz und Orange.

    »Ja, ist er. Zwar noch nicht lange, aber er ist ein ausgebildeter Regisseur«, gab ich leise zur Antwort.

    »Ach, so wie du eine ausgebildete Schauspielerin bist?«

    »Was soll das denn jetzt heißen?« Meine Stimme war etwas höher als geplant.

    »Ach nichts. Es ist nur - «, er musterte mich wieder. »Du wirkst etwas unerfahren. Oder liegt das nur daran, dass du zum ersten Mal mit so einem gutaussehenden Mann wie mir drehst?«

    Ich hob die Augenbrauen und sagte leise: »Bescheiden bist du gar nicht.«

    »Bescheidenheit bringt dich meistens auch nicht ans Ziel«, sagte er überzeugt. »Ich hab‘ halt vor im Leben mehr zu schaffen. Selbstbewusstsein kann da nicht schaden. Dir übrigens auch nicht.«

    »Willst du sagen, dass ich nicht selbstbewusst bin?«, fuhr ich ihn an.

    »Du kennst mich doch gar nicht!«

»Küss mich«, sagte Martín plötzlich.

    Ich lief leicht rosa an und wurde ganz kleinlaut:

»Was?«

    »Küss mich. Maik will das sehen«, ergänzte er leicht genervt und verdrehte die Augen. »Oder was hast du jetzt gedacht?«

    Das war kein guter Einstieg für eine so gefühlvolle Szene. Das Maik es aber auch immer gleich so übertreiben musste! Küssen. Bevor ich überhaupt wusste, wen ich da küsste. Filmkuss hin oder her.

    Ich atmete einmal tief durch und versetzte mich dann in meine Rolle. Langsam beugte ich mich zu ihm vor. Martíns Gesichtsausdruck war plötzlich so sanft und verständnisvoll. Vorsichtig legte er seinen rechten Arm um meine Taille und zog mich näher zu sich heran. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Seine lange Nase streifte die meine. Ich sah Maik aus den Augenwinkeln Handzeichen geben, bevor ich meine Augen schloss und mir vorstellte, wie unendlich romantisch dieser Kuss mit einem Mann sein würde, den ich liebte. Martíns Lippen waren weich und fügten sich sogleich meinem gespielten Verlangen. Wir waren eng umschlungen und küssten uns fast eine ganze Minute lang. Ein Kribbeln ging durch meinen Körper, als er mit einer Hand an meinem Oberschenkel entlangfuhr und aus dem gespielten Kuss einen echten machte. Ich zuckte kurz zurück, tat es ihm dann aber gleich und ließ meine Hand über seinen muskulösen Oberkörper wandern. Fast hätte ich geglaubt, dass auch er leicht zitterte.

    »Wunderbar! Genau so habe ich mir das gedacht!«, rief Maik plötzlich laut aus und Martín und ich entfernten uns schlagartig voneinander. Er fuhr sich mit seinem Daumen über die Unterlippe. Ich streifte probehalber mit meiner Zunge über meine Zähne. Definitiv hatte ich sie geputzt und sogar Mundwasser verwendet. Ich hatte ja nicht einmal gefrühstückt!

    »Gar nicht so übel«, sagte er dann und grinste selbstgefällig.

    Ich mochte ihn nicht. Und ich musste ihn auch nicht mögen. Ich musste nur so tun, als ob.

 

3

Maik erklärte uns seine Vorgehensweise und seine Ideen. Dann händigte er uns jeweils ein Drehbuch aus und meinte, dass wir in zwei Wochen mit den Dreharbeiten beginnen würden.

    Super, das hieß dann wohl, dass ich bis dahin die ganze Zeit über bei peekaboo sitzen durfte, um meine Kosten zu decken.

    Martín warf einen interessierten Blick ins Drehbuch und blätterte es durch. Ich würde mir das für später aufheben.

    »Was machst du jetzt?«, fragte Martín mich.

    »Ich fahre nach Hause.«

    »Hast du einen Freund?« Seine direkte Art haute mich glatt aus den Socken.

    »Nein«, sagte ich vorsichtig.

    »Okay. Freunde sind nämlich immer so kompliziert bei romantischen Szenen.«

    »Was du nicht sagst.«

Wir waren zusammen hinausgegangen und standen jetzt vor dem Eingang.

    »Wie lange machst du das schon? Schauspielen, meine ich«, fragte Martín.

    »Seit ungefähr zwei Jahren.«

Er antwortete nicht, sondern lachte leise in sich hinein.

    »Du kannst ja wieder gehen, wenn du mich für eine so miserable Schauspielkollegin hältst«, sagte ich und drehte mich von ihm weg.

    Er seufzte nur leicht und streifte sich mit einer Hand sein schwarzes Haar nach hinten.

    »Ich habe meine Gründe zu bleiben«, sagte er nur.

    »Das müssen ja gute Gründe sein«, sagte ich.

    »Das lass mal meine Sorge sein«, sagte Martín und drehte sich um. »Bis in zwei Wochen dann. Und übe noch ein wenig in mich verliebt zu sein«, schloss er und ging in Richtung der Parkplätze davon.

    Das war doch wohl nicht sein Ernst! Als wenn ich in den zwei Wochen nichts anderes zu tun hätte. Arbeiten zum Beispiel. Und wenn ich nicht musste, würde ich meine Gedanken ganz sicher nicht an ihn verschwenden.

 

Ich war so stinksauer, dass ich auf dem Heimweg fast über eine Rote Ampel gefahren wäre. Da ich in meiner einen Hand noch ein Croissant als spätes Frühstück hielt, wäre ich beim Bremsen außerdem noch fast vom Fahrrad gefallen. Es war nicht zu fassen, was dieser Möchtegern-Spanier mit meinen Gedanken anstellte.

    Als ich zu Hause angekommen war und mir einen starken Kaffee gemacht hatte, setzte ich mich vor meinen Laptop und startete den Browser. Ich hatte vor, diesen Martín im Internet zu suchen. Vielleicht wusste Google ja etwas über ihn.

    Tatsächlich fand ich einen kurzen Wikipedia-Artikel. Er war anscheinend neunundzwanzig, wenn ich mich nicht verrechnete, und nur ein halber Spanier. Wie es schien, hatte sein Vater die Familie noch vor seiner Geburt verlassen und er hatte den Namen von seiner Mutter, der Spanierin, angenommen. Geschwister hatte er keine. Seine Schauspielkarriere hatte er schon in der Schulzeit begonnen und über diverse AGs, Jugendtheater und erste kleine Auftritte ein Stipendium für ein Schauspielstudium in Hamburg erhalten. Schön, warum war er dann nicht da geblieben? Warum blieb er hier und wollte mit einem jungen Team ein Stück drehen, von dem er doch wissen musste, dass es kein Kassenschlager werden würde? Okay, ich hoffte natürlich immer, dass das passieren würde, aber ich wusste auch um den Markt für unsere Art von Filmen.

    Mein Handy klingelte und ich ging ran: »Hi Sarah.« Sarah war eine Arbeitskollegin von peekaboo.

    »Hey Lou! Ich bin gerade in Potsdam. Lust auf einen Kaffee?«

Mein billiger Krümelkaffee dampfte mir aus der Tasse entgegen.

    »Klar. Wo genau bist du denn?«

    »Bei Sanssouci. Ich hatte mir doch heute frei genommen, um … naja. Kannst du kommen?«

    Stimmt, Sarah hatte mir letzte Woche erzählt, dass sie sich heute mit einem Freund aus dem Internet treffen wollte. Natürlich hatten sie da einen berühmten Ort für ausgewählt. Es klang allerdings ganz so, als ob Sarahs Freund nicht gekommen war.

    »Bin in einer viertel Stunde bei dir. Ich beeile mich.«

    »Danke dir.«

Dann fuhr ich meinen Computer eben wieder herunter. Warum sollte ich mich auch mit Martín-Ich-bin-so-toll-Martínez auseinandersetzen?