Der Preis der Sterne 2 - Debra Doyle - E-Book

Der Preis der Sterne 2 E-Book

Debra Doyle

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Beschreibung

Die atemberaubende Reise zu den Sternen geht weiter

Beka Rosselin-Metadi hat den Verantwortlichen für den Mordanschlag auf ihre Mutter aufgespürt. Doch Ebenra D’Caer hat sich in die Magierwelten geflüchtet, wohin Beka ihm nicht folgen kann, ohne zu riskieren, den nächsten galaktischen Krieg auszulösen. Beka folgt ihm dennoch – und entdeckt, dass sich die Magierwelten längst auf einen Überfall auf die Republik vorbereiten. Sie sind bereits viel zu stark, als dass die Republik diesen Krieg für sich entscheiden könnte. Es sei denn, eine einzelne Frau schafft das Unmögliche!

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Seitenzahl: 642

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Debra Doyle & James D. MacDonald

DER PREIS DER STERNE 2

Racheschwur

Roman

Deutsch von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Mageworlds 02. Starpilot’s Grave« bei Tor, New York.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung Januar 2012

bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Copyright © 1993 by Debra Doyle & James D. MacDonald

Published in agreement with the author, c/o Baror International,

Inc., Armonk, New York, USA.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012

by Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Redaktion: Joern Rauser

HK · Herstellung: sam

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN 978-3-641-06760-1

www.blanvalet.de

Für Peregrynne

Prolog

Pleyver: Flatlands

In der Stadt war es dunkel geworden. Das weiße Licht der Straßenlampen fiel in regelmäßigen Abständen auf die Mauern der Lagerhäuser, dazwischen jedoch blieb alles vollkommen schwarz. Vom Nachthimmel leuchtete der Fixstern der Orbitalstation, des gigantischen Raumhafens von Pleyver. Niemand beobachtete Owen Rosselin-Metadi, als er im Schutz der Dunkelheit eine kurze Pause einlegte, um ein wenig Atem zu schöpfen.

Er wusste nicht, wie lange er schon gelaufen war. Es mussten Stunden vergangen sein, seit er seine Schwester in jenem Zimmer im ersten Stock in Florries Palast zurückgelassen hatte, wo sich der beißende Gestank des Blasterfeuers mit dem schweren, metallischen Geruch von Blut vermischte. Er glaubte nicht, dass ihm jemand gefolgt war. Denn er hatte seine ganze verbliebene Energie eingesetzt, um unsichtbar zu bleiben. Und um den Rest hatte sich dann Beka gekümmert.

Es war Owen nicht leichtgefallen, Beka zu bitten, die bewaffneten Verfolger abzuschütteln. Es war ihm sogar recht unangenehm gewesen, aber Bee war nun mal eine Überlebenskünstlerin. Für sie war es ein leichtes Spiel, sich vom Florries zum Hafenviertel durchzukämpfen und dann von dort aus zu starten. Ihre Aktion würde zweifellos zur Legende werden, so viel war ihm jetzt schon klar. Viel weniger klar war ihm dagegen, wie sich seine eigenen Angelegenheiten auf Pleyver entwickeln mochten.

Und er hatte sie angelogen.

Na ja, nicht direkt angelogen. Aber er hatte Beka in dem Glauben gelassen, dass der Datenchip mit den gesperrten Computerdateien der Flatlands Investment Ltd., den er ihr übergeben hatte, der einzige war. Den anderen Datenchip hatte er gar nicht erwähnt. Aber wegen dieses anderen Chips war er überhaupt nach Pleyver gekommen. Die Informationen auf dem zweiten Chip waren für Errec Ransome gedacht, den Meister der Adeptengilde. Und Owen würde sein Leben riskieren, um ihm diesen Chip persönlich auszuhändigen.

Vielleicht hätte ich ihn doch Bee anvertrauen sollen.

Owen schüttelte den Kopf. Er hatte kurz überlegt, sie darum zu bitten, doch dann hatte ihn die Anwesenheit ihres Kopiloten eines Besseren belehrt. Der schmächtige, grauhaarige Mann, den Beka Professor nannte, war ihr ohne Zweifel ergeben – dies hatte Owen sofort bemerkt. Aber die Loyalität des Professors galt in erster Linie der Person Bekas, die Adeptengilde rangierte dagegen nur auf Platz zwei.

Nein, die beiden mussten ihren eigenen Weg gehen. So wie es aussah, hatte Beka ihr Versprechen gehalten. Die angeworbenen Helfer, die mit Blastern und Energielanzen gekämpft hatten, waren abgeschüttelt worden. Und den anderen zu entkommen sollte eigentlich kein Problem sein. Eigentlich – aber immerhin war er heute Abend schon einmal so dumm gewesen, sich erwischen zu lassen …

Kurz vor Einbruch der Dämmerung hatte Owen das Büro der FIL im Raumhafen erreicht. Eigentlich hatte er früher dort sein wollen, aber zunächst hatte er noch Beka im Raumhafen abfangen und davon überzeugen müssen, ihre eigenen Pläne bezüglich der Datenbanken der Firma aufzugeben. Was länger dauerte, als er erwartet hatte.

Beka wollte einfach nur Rache. Sie wollte sich an denjenigen rächen, die die Ermordung ihrer Mutter geplant und bezahlt hatten. Und sie würde ihre Rache bekommen. Wenn Bee sich nämlich etwas in den Kopf setzte, wurde selbst aus einem Sprung in den Hyperraum ein einfacher Sightseeing-Trip. Sie war unfassbar zielstrebig. Aber ebendieser Charakterzug konnte jemandem wie ihm gefährlich werden, dann nämlich, wenn die eigenen Pläne auch nur ein wenig von ihren abwichen. Owen glaubte zwar nicht, dass das Interesse der Gilde an der FIL irgendwie mit Bekas Plänen kollidierte, aber er wollte auf keinen Fall ein Risiko eingehen.

Außerdem sagte er sich, als er sich jetzt dem Gebäude der FIL mit den grauen Fassadenplatten näherte, dass eine einzelne Person eher unbemerkt bleiben konnte als zwei. Er würde jetzt dort eindringen, sich die notwendigen Informationen aus den Datenbeständen beschaffen, die sowohl Meister Ransome als auch seine Schwester zufrieden stellten, und schneller wieder draußen sein, als Bee ihr Abendessen beenden könnte.

Die Eingangstür des Gebäudes war mit einem elektronischen ID-Scanner gesichert. Owen berührte ihn kurz, als sei er ein registrierter Besucher. In der Apparatur floss der elektrische Strom durch die gewohnten Kanäle und bereitete die Abweisung der Identifikation vor. Ohne seinen Gesichtsausdruck oder seine Haltung im Geringsten zu verändern, hob Owen den Arm und setzte einige der Fertigkeiten ein, die ihn in den letzten zehn Jahren zu dem am meisten geschätzten und auch wertvollsten Lehrling von Errec Ransome gemacht hatten.

Der Fluss der Elektronen änderte seinen Lauf. Dann klickte das Schloss leise, und die Tür öffnete sich.

In der dunklen Lobby wartete ein Fremder. Es war ein dünner, gebeugter Mann, gekleidet wie ein einfacher Büroangestellter. Owen erschrak, doch von dem Mann schien keine Gefahr auszugehen.

»Ich kenne das Passwort«, sagte der Angestellte.

Owen zögerte. Er hatte überhaupt nicht damit gerechnet, hier jemanden anzutreffen. Aber er hatte auch nichts Falsches gespürt, als er sich dem Gebäude genähert hatte. Und der Mann selbst wirkte auch nicht gerade bedrohlich.

Bestimmt eine von Bees Kontaktpersonen, sagte sich Owen. Er ist ganz der Typ dazu, an seinem Overall könnte gut ein Schild befestigt sein, mit der Aufschrift: Unzufriedener Angestellter.

»Also?«, fragte er laut.

Der Mann fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Wo ist das Geld?«

Geld … Owen brauchte sich gar nicht zu wundern. Seine Schwester war Captain eines Handelsschiffes, sie hatte mit dem An- und Verkauf jeder Art von Waren zu tun, für die sich ein Markt finden ließ. Aber in seiner Rolle als heruntergekommener Landstreicher hatte Owen natürlich kein Geld dabei. Ein Penner mit Geld war nicht nur im Raumhafen ein Widerspruch in sich.

»Ich bin nur der Kurier«, erwiderte Owen. »Sie müssen sich Ihre Belohnung im Büro der Poststelle abholen.« Die örtlichen Filialen der riesigen Kommunikationsfirmen überbrachten nicht nur elektronische und ausgedruckte Mitteilungen, sie erledigten auch diskrete Barauszahlungen bei legalen und halblegalen Geschäftsvorgängen. »Ich bin nicht berechtigt, Ihnen Geld zu geben.«

Owen war auf einen Einwand gefasst und bereitete sich schon darauf vor, dies in ähnlicher Weise zu handhaben wie bei dem Türscanner. Aber zu seiner Überraschung nickte der Mann nur. »Alles klar«, sagte er und suchte in den Taschen seiner Jacke.

Sekunden später hielt er eine kleine Plastikkarte in der Hand. »Hier ist das Passwort gespeichert.«

Er reichte ihm die Karte. Owen streckte die Hand aus, um sie zu ergreifen, doch als sich ihre Finger berührten, hatte er eine unbehagliche Vorahnung.

Da stimmt etwas nicht. Er hätte wegen des Geldes Krach schlagen müssen.

Owen sah den Mann noch einmal an, durch den physischen Kontakt erweiterte sich jetzt seine Wahrnehmung. Und bei näherer Betrachtung zeigten sich im Bewusstsein des Angestellten dunkle und verknotete Stränge: Angst, Doppelzüngigkeit und Habgier bildeten ein unschönes Geflecht.

Jetzt verstehe ich. Es geht ihm gar nicht darum, von Bee bezahlt zu werden. Jemand anders hat ihm schon viel mehr gegeben.

Insgeheim amüsierte sich Owen, aber dem Büroangestellten gegenüber ließ er sich nichts anmerken. Meine liebe Schwester, wie gut, dass ich an deiner Stelle auf diese Party gegangen bin. Da wärest du fast in eine Falle geraten.

Er verstaute die Schlüsselkarte in der Brusttasche seines Overalls. Mit derselben fließenden Bewegung schnellte anschließend sein rechter Arm nach vorn, und Owen zertrümmerte mit dem Handrücken die Nase des Mannes. Knorpel und Knochen wurden nach innen gedrückt, und etwas Blut spritzte heraus.

Er fing den Mann auf und ließ ihn möglichst leise zu Boden gleiten. Dann kniete er sich neben den Bewusstlosen und durchsuchte schnell und gründlich dessen Taschen, fand aber nur eine zweite Schlüsselkarte, die genau wie die erste unbeschriftet war. Er steckte sie ebenfalls ein und erhob sich.

Dann betrachtete er nachdenklich den ausgestreckten Körper des Angestellten. Womöglich würde der Mann an dem Blut ersticken, das aus seinen zertrümmerten Nebenhöhlen gespritzt war, vielleicht aber auch nicht. Owen beschloss, ihn den Leuten zurückzulassen, die ihn angeworben hatten, und sich lieber um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Statt des Fahrstuhls benutzte er die Feuertreppe, um in das oberste Stockwerk zu gelangen, und blieb vor der Schlüsselplatte des Büros am Ende des Ganges stehen. Das Sicherheitssystem hier oben stellte keine größere Herausforderung dar als das der Eingangstür. Nach kurzer Zeit war er in das Büro gelangt, hatte die Tür hinter sich geschlossen und gesichert. Wahrscheinlich hatte er die entscheidenden Probleme bereits damit gelöst, dass er den Mann unten zum Schweigen gebracht hatte. Und wenn nicht, dann würden diejenigen, die seiner Schwester diese Falle gestellt hatten, mehr darin vorfinden, als sie erwartet hatten.

Der Tischcomputer besaß einen Schlitz für die Schlüsselkarte. Owen zögerte und dachte kurz nach.

Ohne diese Karte zur Vervollständigung des Stromkreises konnte er nicht einmal mit den magischen Tricks eines Adepten den notwendigen Elektronenfluss schalten. Aber welche Karte sollte er nehmen? Owen wog sie in der Hand und prüfte sie, ebenso wie eben schon die des Büroangestellten. Eine der Karten, und zwar diejenige, die ihm übergeben worden war, fühlte sich begrenzt an, wahrscheinlich war sie absichtlich beschädigt worden. Ohne weiter nachzudenken legte er sie beiseite und griff zu der Karte aus der Tasche des Büroangestellten.

Das Passwort funktionierte. Schon nach wenigen Minuten war Bees Datenchip gefüllt; sie hatte sehr genau und eindeutig definiert, welche Informationen sie brauchte, also war es kein Problem. Der Chip für Errec Ransome beanspruchte allerdings mehr Aufmerksamkeit. Der Meister der Gilde streckte seine Fühler zum Wohle der Adepten in viele Richtungen aus und fischte mitunter auch in trüben Gewässern.

Errec Ransome war Junioradept im Haus der Gilde auf Ilarna gewesen, als der Magierkrieg begonnen hatte. Damals hatte es überall in der Galaxie verheerende Kämpfe gegeben, aber auf kaum einem Planeten war das Gemetzel schlimmer gewesen als auf Errec Ransomes Heimatplaneten. Nur Sapne und Entibor waren noch stärker zerstört worden als Ilarna. Auf dem durch Seuchen entvölkerten und bis zur Barbarei degenerierten Sapne lebten kaum noch Einwohner, die sich an die Blüte ihrer Städte erinnern konnten; und Entibor war eine orbitale Abraumhalde ohne jedes Leben.

Da alle seine Freunde gestorben waren und das Haus der Gilde auf Ilarna vollkommen zerstört war, hatte Errec Ransome die Adepten eine Zeitlang verlassen. Er hatte sich den Freibeutern von Innish-Kyl angeschlossen und mit ihnen gegen die Magierlords gekämpft. Er hatte die Schlachten anderer Männer gefochten, als wären es seine eigenen gewesen. Die Magierweltler waren vor mehr als zwanzig Jahren vernichtet worden, und Meister Ransome war schon lange in den Schoß der Gilde zurückgekehrt. Seine Wachsamkeit jedoch hatte er nie abgelegt.

Owen beendete den zweiten Download und entnahm die Schlüsselkarte. Und dann …

Gefahr!

Die Vorahnung traf ihn mit voller Kraft. Alle Sinne signalisierten die Anwesenheit eines Feindes ganz in der Nähe. Also hielt er sich mit beiden Händen an der Tischkante fest.

Gefahr! Sehr nah …

Er hob den Kopf und blickte sich im Büro um, dann verfluchte er sich lautlos wegen seines Hochmuts und seiner Dummheit.

Die Fenster und die zweite Tür im Raum waren nicht real, sondern bloße Illusionen, holographische Projektionen, deren Wirkung durch seine eigene Leichtgläubigkeit noch verstärkt worden war. Die Falle war in einem Raum zugeschnappt, der ihm keinen anderen Ausweg bot als die Tür, durch die er eingetreten war. Und durch sie würde er fliehen müssen.

Er hastete zur Tür und legte die Hand darauf. Immer noch rechnete er nur mit ein paar Schlägern und Blasterschwingern, die zur anderen Seite gehörten, eben dem Gesindel, mit dem seine Schwester immer kämpfte. Stattdessen jedoch …

Es wurde immer schlimmer. Seine Feinde erwarteten ihn auf der anderen Seite. Es waren seine Feinde, nicht Bekas.

Owen blieb im Schatten einer Mülltonne stehen und sah sich um. Immer noch bemerkte er keine Verfolger. Er schloss die Augen und atmete tief durch, dann zentrierte er sich und öffnete seine Sinne so weit wie möglich.

Niemand in der Nähe. Ich habe sie abgehängt. Hoffe ich.

Er war sich zwar nicht ganz sicher, aber seine Energie reichte auch nicht mehr aus, Genaueres herauszufinden und gleichzeitig unsichtbar zu bleiben. Der vorangegangene Kampf im Gebäude der FIL – im Alleingang und unbewaffnet gegen so viele Gegner – hatte ihn eine Menge Kraft gekostet, und er verbrauchte große innere Ressourcen, weil er die Datenchips in der Tasche seines Overalls verbarg.

Zwar hatte er den Kampf gegen die Übermacht verloren, die andere Auseinandersetzung jedoch gewonnen. Denn obwohl ihn seine Feinde zu Florries Palast verschleppt hatten, hatte er beide Datenchips vor ihnen verbergen können. Sie hatten ihm zu verstehen gegeben, dass bei Florries jemand darauf wartete, ihn zu erledigen.

Dass es seine Schwester Beka war, die ihren Blaster auf ihn richtete, hatte er natürlich nicht erwartet. Er hatte ihr ins Gesicht gesehen und für ein paar Sekunden tatsächlich geglaubt, dass sie ihn töten wollte. Stattdessen hatte sie aber einen Wachmann erschossen und einem anderen die Kehle durchgeschnitten. Dann hatte sie zu Owens Freude auch die Aufgabe übernommen, die unvermeidlichen Verfolger abzuschütteln.

Wenn also Meister Ransomes Datenchip jemals nach Galcen gelangen sollte, überlegte Owen, dann wäre dies hauptsächlich Bekas Verdienst. Er selbst war seit seiner Ankunft auf Pleyver halb blind gewesen.

Und diese Blindheit war nicht allein seine Schuld, davon war Owen überzeugt. Ganz gewiss hatte der Feind seinen Blick getrübt. Es war der alte Feind, der drei Jahre lang den Planeten von Entibor belagert hatte, bis Entibor schließlich gestorben war; derselbe Feind, der bis auf eine einzige sämtliche Flotten der zivilisierten Welten vernichtet, die Adepten von Ilarna niedergemetzelt und dazu noch fünfzig weitere Planeten vernichtet hatte.

Magier hielten sich auf Pleyver auf, echte Magier, keine Lehrlinge oder Dilettanten. Die großen Magierlords waren zurückgekehrt.

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1. Kapitel

Nammerin: Namport;Medizinische Station der SpaceForceGalcen: Refugium

Als das Kurierschiff von Galcen Prime auf Nammerin landete, ging ein leichter, gleichmäßiger Sprühregen über den gesamten Landeplatz von Namport nieder. Lieutenant Ari Rosselin-Metadi duckte sich durch die Luke des Kurierschiffes und warf einen resignierten Blick in den niedrigen grauen Himmel, dann kletterte er die steile Rampe hinab.

Während er hinunterstieg, ächzte das Metall unter seinen Stiefeln. Neben dem dunklen Haar seines Vaters und den vornehm gezeichneten Gesichtszügen seiner Mutter hatte Ari die Größe und Stärke eines unbekannten Vorfahren der Metadi geerbt. So war er deutlich größer und schwerer als ein durchschnittlicher Trooper der SpaceForce, für den die Rampe ursprünglich konstruiert war.

Mit beiden Füßen fest auf dem Asphalt griff er nach oben und half dem anderen Passagier des Kurierschiffes herunter. Er musste sich nicht weit strecken, sein Kopf berührte das Kurierfahrzeug bereits trotz der Landebeine, die das Raumschiff gut zwei Meter über dem Boden hielten. Seine Reisegefährtin war eine kleine Frau mit brauner Haut und langem schwarzem Haar, das sie im Nacken mit einem Knoten zusammengebunden hatte. Sie ergriff die ihr dargebotene Hand, zögerte in der offenen Luke aber kurz.

»Regen«, sagte sie. »Warum überrascht mich das nicht?«

»Weil es in Namport immer regnet«, sagte Ari. »In der Begrüßungsbroschüre der SpaceForce heißt es zwar, dass es auf dieser Seite des Planeten eine nasse und eine trockene Jahreszeit gebe, aber das ist eine Lüge. Die einzigen beiden Jahreszeiten, die ich kenne, sind regnerisch und noch regnerischer.«

Die junge Frau lachte und sprang direkt auf den Asphalt herunter, die Rampe beachtete sie dabei überhaupt nicht. Ari bemerkte ihr Gewicht kaum, obwohl ihr kleiner, trainierter Körper muskulöser war, als man selbst mit einem aufmerksamen Blick vermutet hätte. Sie hatte seine Hand nur aus Höflichkeit ergriffen – und das wusste er auch.

Genauso wie Ari war die Frau in die Uniform des Medizinischen Dienstes der SpaceForce gekleidet, aber während er das Abzeichen eines Lieutenants trug, war bei ihr kein militärischer Rang zu erkennen. Mistress Llannat Hyfid war eine Adeptin. Die Vorschriften ihrer Gilde erlaubten es ihr nur, Dienst in der SpaceForce der Republik zu leisten, jedoch ohne einen militärischen Rang.

Soweit Außenstehende feststellen konnten, akzeptierte Llannat Hyfid ihren Status mit unbekümmertem Gleichmut. Den größten Teil der Zeit vergaß auch Ari, dass sie mehr war als nur eine medizinische Kollegin und gute Freundin. Doch er vergaß es nie ganz.

Er ließ ihre Hand los, sobald sie sich nach der Landung aus der gebückten Haltung wieder aufgerichtet hatte. »Es wird Zeit, unser Gepäck einzusammeln, bevor es mit den Postsäcken verschwindet«, sagte er. »Danach können wir uns um eine Aircar-Vermietung kümmern.«

Sie konnten ihre Reisetaschen gerade noch rechtzeitig herunternehmen, als der Hoverschlitten bereits anfuhr. Um eine Aircar-Vermietung brauchten sie sich allerdings nicht zu kümmern, denn als sie den Parkplatz des Raumhafens betraten, wartete schon Bors Keotkyra von der Medizinischen Station neben dem Scoutcar der Station auf sie. Der junge Offizier, untersetzt und blond, wurde von zwei erfahrenen Mitarbeitern der Krankenstation begleitet, auf deren Armbinden das Emblem der Bodenpatrouille prangte.

»Ich bin beeindruckt«, sagte Llannat, als Ari und sie ihre Reisetaschen in den Stauraum des Scoutcars legten. »Ihr könnt es wohl gar nicht erwarten, uns hier wieder begrüßen zu dürfen?«

»Der Kommandierende Offizier möchte mit euch beiden sprechen«, gab ihnen Keotkyra einsilbig zu verstehen. »Und wir sind uns nicht sicher, ob er euch einen Begrüßungskuss geben oder wegen des Verstoßes gegen die Artikel 66 bis 134 inklusive belangen will.«

»Und wie stehen die Wetten?«, fragte Ari.

»Der Einsatz hält sich bei beiden in etwa die Waage.« Keotkyra warf einen Blick in den Stauraum. »Mehr habt ihr nicht mitgebracht?«

»Wir hatten keine Zeit zum Packen«, sagte Ari. »Ich wette zehn Credits, dass wir noch vor der Essenszeit offiziell in Ungnade gefallen sind.«

»Ich kann dein Geld nicht annehmen«, sagte Llannat, während sie an Bord kletterte und sich anschnallte. »Solche Wetten beruhen auch auf Glück – und daran glaube ich nicht mehr, seit ich der Gilde angehöre.«

Die Medizinische Station machte einen verlassenen Eindruck, als sie dort eintrafen. Dennoch hatte Ari das Gefühl, dass sich jede Menge neugierige Blicke auf Llannat und ihn richteten. Nachdem Keotkyra und die Bodenpatrouille sie über das Gelände zum Büro des KO geleitet hatten, rechnete Ari mit dem Schlimmsten.

Soweit das Personal der Station informiert war, waren Ari und Llannat Opfer einer Entführung gewesen. Sie waren während eines medizinischen Notfalleinsatzes auf der abgelegenen Seite des Grenzlandes aufgegriffen und in einem schwer bewaffneten Raumschiff in beispielsloser Geschwindigkeit vom Planeten befördert worden. Niemand hier kannte die Wahrheit: Die Pilotin des Schiffes war Aris Schwester Beka gewesen, die angeblich jedoch bei einem Raumschiffunfall auf Artat gestorben war. So die offizielle Version.

Beka hatte ihren älteren Bruder gar nicht erst gefragt, ob er ihr dabei behilflich sein wolle, die Männer zu verfolgen, die die Ermordung ihrer Mutter geplant und in Auftrag gegeben hatten. Ohne irgendjemanden, schon gar nicht Ari selbst, um Erlaubnis zu bitten, hatte sie ihn einfach aus der SpaceForce entführt. Und da sie ihn jetzt nicht mehr benötigte, ließ sie ihn mit dem angerichteten Schaden allein.

Ari wartete kurz vor der Tür des Büros und sah zu Llannat hinüber. Die Adeptin wirkte nervös und angespannt, als höre sie etwas, das für andere unhörbar war.

»Nun?«, fragte er. Llannat hatte zuvor bereits Dinge gehört, wobei sie ihr Wissen offenbar direkt aus dem Äther bezog. Mindestens einmal hatte sie auf diese Weise sein Leben gerettet.

Diesmal zuckte sie nur mit den Schultern. »Ich tappe im Dunkeln, genau wie du.«

Keotkyra räusperte sich hinter ihnen.

Ari wandte sich ihrer Eskorte zu. »In Ordnung«, sagte er. »Wir haben schon verstanden.«

Dann berührte Ari das Touchpad an der Tür, die daraufhin aufglitt. Das Büro sah noch genauso aus wie vor sieben Monaten, als sie die Schwelle zum letzten Mal überschritten hatten. Ausgedruckte Papiere bedeckten den Tisch wie von einem Baum gefallene Blätter, die Sandschlange des KO döste auf dem Tresor, und der Gesichtsausdruck des Kommandierenden Offiziers verriet wie üblich freundliches Bedauern.

Er trug seine Paradeuniform, was auf der Medizinischen Station von Nammerin ungefähr so oft vorkam wie ein Monat ohne Erdbeben. Ari nahm Haltung an. Das war’s dann also. Sie werden uns mit Beschuldigungen überhäufen.

Aus dem Augenwinkel sah er, dass auch Llannat neben ihm Haltung angenommen hatte. Mit der linken Hand berührte sie den kurzen, silbern eingefassten Stab aus Ebenholz, der an ihrem Gürtel befestigt war. Ari beneidete sie in diesem Augenblick ein wenig. Sie braucht sich keine Sorgen zu machen. Selbst wenn sie zum Rekruten degradiert wird, ist sie immer noch Mistress Hyfid. Um alles Weitere kümmert sich die Gilde.

Das war natürlich nicht ganz fair. Llannat hatte es sich nicht ausgesucht, in den verrückten Rachefeldzug seiner Schwester Beka verwickelt zu werden. Die Adeptin war lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, das war alles. Und wenn ihr Meister Ransome alle weiteren Konsequenzen ersparen konnte, würde Ari sie deswegen nicht beneiden, das hatte er sich geschworen.

In Gedanken verloren bemerkte er gar nicht, dass der KO sich erhoben hatte und mit ihnen sprach. »Folgen Sie mir.« Bors musste diesmal husten, damit sie sich in Bewegung setzten. Sie verließen das Büro durch die Seitentür und marschierten über das Gelände zurück zur Kuppel des Zentralen Nachschubs.

Hätte das Protokoll nicht eine unbewegte Miene verlangt, hätte Ari jetzt die Stirn gerunzelt. Um ein paar junge Offiziere wegen eigenmächtigen Entfernens von der Truppe einzubuchten, braucht man kein Gebäude, in dem man auch ein Raumschiff parken könnte.

Dann öffneten sich die Türen der Nachschubkuppel.

Die Kartons und Schachteln, die hier normalerweise gestapelt wurden, waren jetzt zur Seite geschoben worden. An ihrer Stelle sah Ari – wohin er auch blickte – Paradeuniformen.

Ich glaube es nicht!, dachte er. Sie haben alle antreten lassen, bis auf die Intensivstation und die Torwache.

Der KO trat vor die versammelten Mannschaften an ein Pult und nickte dem Chief-Master-at-Arms zu.

»Lieutenant Rosselin-Metadi und Mistress Hyfid«, rief der Offizier.

»Vortreten!«

Jetzt kommt’s!, dachte Ari noch einmal, als er und Llannat ihre Plätze vor dem Pult einnahmen und strammstanden. Sie werden in aller Öffentlichkeit und »zum Wohle der Armee« ein Exempel statuieren. Vielleicht hätte ich doch Vater bitten sollen, sich der Angelegenheit anzunehmen.

Nur hatte er noch nie in seiner gesamten Karriere um eine Sonderbehandlung gebeten, weil er der Sohn von General Jos Metadi war. Und sein Vater hatte Ari mit einem derartigen Angebot bislang auch noch nicht in Verlegenheit gebracht. Jos Metadi war vor seinem steilen Aufstieg in den Generalsrang Freibeuter gewesen, und nicht wenige seiner Freunde hielten ihn sogar für einen ausgemachten Piraten. Seine moralischen Vorstellungen waren immer sehr … flexibel geblieben, um es vorsichtig auszudrücken. Aber was Protektion anging, da waren Vater und Sohn immer einer Meinung gewesen. Ari straffte die Schultern, er war auf alles vorbereitet.

Wenn sie uns rauswerfen, überlegte er, kann ich immer noch den Quincunx fragen, ob er auf Maraghai ein paar Vertreter braucht.

Aris Ehrenmitgliedschaft in der größten kriminellen Gilde der zivilisierten Galaxie war das unbeabsichtigte Nebenprodukt einer dringenden Suche nach Tholovine, das die Medizinische Station über die gewohnten Kanäle nicht schnell genug hatte beschaffen können. Ari hoffte inständig, dass seine Vorgesetzten in der SpaceForce keinen Wind von der Sache bekommen hatten. Ein ganz einfaches Geschäft, bei dem Bargeld gegen ein völlig legales, aber schwer zu beschaffendes Medikament getauscht werden sollte, war in Brandstiftung und eine bewaffnete Verfolgungsjagd ausgeartet. Es hatte Ari einige Mühe und Erfindungsgabe gekostet, die Rolle der Bruderschaft im offiziellen Report zu vertuschen. Er hatte nie mit der Dankbarkeit des Quincunx gerechnet und erwartete ebenso wenig, dass ihm sein Einsatz später einmal irgendwelche Vorteile verschaffen würde.

Der KO blickte auf das Blatt Papier, das auf dem Pult lag, dann schaute er wieder Ari und Llannat an.

»Lieutenant Rosselin-Metadi, Mistress Hyfid, es ist mir eine besonders angenehme Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass Ihnen die Verdienstmedaille der SpaceForce verliehen wird.«

Ari hörte Llannats Atem immer unregelmäßiger werden, sie schnappte nach Luft und wäre dennoch fast in ein Lachen ausgebrochen. Die Verdienstmedaille war die geringste Auszeichnung, die die SpaceForce verleihen konnte, sie rangierte sogar noch unter der Auszeichnung für gute Führung. Sie besagte lediglich, dass der Empfänger vier Jahre im aktiven Dienst hinter sich gebracht hatte, und zwar auf zufriedenstellende Weise. Allerdings bedeutete die Auszeichnung auch, dass sich der Offizier, der sie verlieh, darüber wunderte, dass die so Ausgezeichneten das überhaupt geschafft hatten.

Ari selbst verspürte eine gewisse Entrüstung. Wenn sie uns nicht fertigmachen wollen, fragte er sich, brauchen sie sich doch keine so große Mühe geben, uns zu beleidigen.

Der KO blickte wieder auf das Pult hinunter. »Die Begründung für diese Auszeichnung«, sagte er, »darf hier und jetzt nicht zitiert werden, weil sie als geheim klassifiziert ist. Sie ist tatsächlich so geheim, dass auch ich sie nicht zu lesen bekomme. Selbst die Geheimhaltungsstufe ist geheim.«

Er legte eine kurze Pause ein, dann fuhr er fort: »Ich bin allerdings befugt zu sagen, dass diese Auszeichnung von niemand anderem unterschrieben wurde als vom Vorsitzenden des Großen Konzils.«

Ich hätte mir denken können, dass Vater etwas unternehmen würde, ob ich ihn nun darum bitte oder nicht, dachte Ari, als der KO vom Pult zu ihnen trat und zuerst ihm und dann Llannat die Hand schüttelte. Irgendjemand muss noch aus alten Zeiten tief in seiner Schuld gestanden haben, denn die Wahrheit kann er niemandem erzählt haben.

Der Chief-Master-at-Arms blaffte einen Befehl und beendete damit den offiziellen Teil der Festlichkeit. Die in Paradeuniform angetretenen Soldaten zerstreuten sich und gaben den Blick auf das hinter ihnen aufgebaute reichhaltige Buffet frei. In seiner Mitte stand eine halb gefrorene Skulptur aus Eis, die sowohl ein Raumschiff als auch eine Sternschnuppe darstellen konnte. Aber die vielen Platten und Schüsseln davor waren ohne Zweifel mit Essbarem gefüllt.

»Gegrillte Bodenlarven«, hörte Ari Llannat murmeln. Sie hatte den träumerischen Tonfall von jemandem, der zu lange auf Weltraumkost gewesen war. »Rippchen vom Elefantenbullen. Eingelegter Gubbstucker.«

»Nur zu«, sagte der KO. »Bedienen Sie sich. Schließlich sind Sie die Ehrengäste.«

Einige Minuten später hielt Ari einen mit Delikatessen aus Nammerin überhäuften Teller in der einen Hand und ein Glas mit einem violetten Aquavit aus der Region in der anderen. Durch Gruppen von Gratulanten bahnte er sich seinen Weg bis zu den Kartons am Rande der leer geräumten Fläche. Llannat war bereits dort und machte sich über eine Schüssel voll mit gegrillten Bodenlarven her. Eine Flasche Tree-Frog-Bier stand auf einem Pappkarton neben ihr, außerdem drängten sich die meisten Junior-Offiziere der Station um sie.

Bors Keotkyra hob seine Flasche zum Toast, als Ari sich näherte. »Auf die zurückgekehrten Helden!«, sagte er. »Was auch immer ihr angestellt haben mögt, es muss sehr aufregend gewesen sein.«

Ari wechselte einen kurzen Blick mit Llannat. Er konnte zwar nicht – wie sein Bruder Owen – die Gedanken eines anderen lesen, bevor sie überhaupt Gestalt annahmen, aber er wusste genau, dass die Gedanken hinter den dunklen Augen der jungen Frau ein Echo seiner eigenen waren. Erinnerungen an Blut und Tod und Verrat, und wie seine Schwester Beka als einäugiger Sternenpilot Tarnekep Portree wiedergeboren wurde – den schwarzen Rauch über der Zitadelle von Darvell nicht zu vergessen.

Er kniff die Augen fest zusammen, um die Bilder zu vertreiben, dann nahm er einen großen Schluck Aquavit.

»Ja«, sagte er zu Bors, und der beißende, zu Kopf steigende Alkohol vertrieb auch die letzten Bilder. »Es hätte allerdings ruhig etwas weniger aufregend sein dürfen.«

Das Refugium der Adepten auf Galcen lag auf einem grauen Felsen in den Bergen der nördlichen Hemisphäre des Planeten. Über die Jahrhunderte war das massive Gebäude mit den hohen Wänden nacheinander eine Festung, ein Lagerhaus und eine Einsiedlerklause gewesen. Und die wenigsten Adepten kannten sein wirkliches Alter. Auch auf anderen Planeten gab es Häuser der Gilde, wo die Adepten leben konnten, um zu studieren und ihren sonstigen Aufgaben nachzugehen. Aber das Refugium auf Galcen galt als das Herz der Gilde.

Einige wenige Privilegierte durften hier studieren, und an diesem Ort zu lehren bedeutete eine noch größere Ehre. Owen Rosselin-Metadi hatte bereits beides getan – und das Refugium war sein Zuhause. Je länger er sich von ihm entfernte, desto deutlicher schienen ihm die hohen grauen Mauern bei der Rückkehr zuzuwinken, ihm Schutz zu versprechen sowie die Gesellschaft echter Freunde – und damit die Möglichkeit, in der fortwährenden Wachsamkeit, die seine Arbeit erforderte, für kurze Zeit nachzulassen.

Wie immer hatte er das gemietete Aircar unten im Tal zurückgelassen und war den Rest des Weges zu Fuß gegangen. Er hätte auch in der Stadt warten und sich abholen lassen können, da das Refugium über ausgezeichnete Aircars und Funkverbindungen verfügte und es von Treslin hinauf ein Tagesmarsch war. Doch er zog es vor, sein Kommen und Gehen nicht an die große Glocke zu hängen.

Der Lehrling, der Owen am Tor erwartete, war erst nach dessen Abreise nach Pleyver hier eingetroffen und wirkte erstaunlich jung. Dieser Junge kann keinen Tag älter als sechzehn sein, dachte Owen und vergaß für einen Moment, dass er selbst bei seiner Ankunft hier sogar noch jünger gewesen war. Meister Ransome holt sie sich heutzutage wohl schon aus der Wiege.

Der Lehrling konnte den Wachdienst noch nicht lange versehen. Schon bei der traditionellen Begrüßung kam er ins Stottern. »Willkommen, Freund. Wie lautet Ihr Name? Und sind Sie … sind Sie …?«

»Sind Sie gekommen, um Belehrung zu suchen?«, beendete Owen den Satz für ihn. »Mein Name ist Owen, und ich bin bereits Lehrling der Gilde. Könnten Sie Meister Ransome bitte meine Rückkehr melden?«

Der Junge starrte ihn kurz an. Owen war von dieser Reaktion nicht besonders überrascht. Es kam nicht gerade oft vor, dass ein Lehrling, der wie ein arbeitsloser Tagelöhner aussah, hier im Refugium erschien und namentlich nach dem Meister der Gilde verlangte.

»Ja … natürlich«, erwiderte der Junge nach einer kurzen Pause. »Warten Sie hier und … ich meine, lassen Sie mich jemanden rufen, der Sie zu ihm führt.«

Owen wartete geduldig, während der Lehrling über Funk mit einer unbekannten Person im Refugium sprach. Nach einiger Zeit erschien ein etwas älterer weiblicher Lehrling. Auch an sie konnte sich Owen nicht erinnern.

Sie führte ihn durch Gänge mit Steinwänden zu dem Raum, der Meister Ransome als Büro diente. Wie alles im Refugium war auch dieser Raum unvorstellbar alt, er war sogar so alt, dass seine hohen, schmalen Fenster keine Scheiben besaßen. Im Winter hielt ein Kraftfeld den stürmischen Wind und den Schnee ab, während dann in der Feuerstelle aus Granit ein keramischer Wärmebarren glühte. Jetzt jedoch herrschte Sommer, und die Feuerstelle war unbenutzt. Dafür wehte eine kühle Brise ungehindert in die Kammer.

Ein schmächtiger dunkelhaariger Mann in einer mattschwarzen Tunika mit passender Hose stand an einem der Fenster und sah hinaus. Die Novizin räusperte sich.

»Meister Ransome. Ein Lehrling, der sich Owen nennt, ist gekommen, um …«

Sie brauchte nur den Namen zu nennen und schon drehte sich der Mann um. Beim Anblick Owens zeigte Ransome ein strahlendes Lächeln, das ihn sofort zwanzig Jahre jünger erscheinen ließ. Er trat vor und umarmte Owen.

»Wie schön, dass du wieder zu Hause bist«, sagte er.

Owen erwiderte die Umarmung. »Glauben Sie mir, Sir, ich freue mich sehr, wieder hier sein zu dürfen.«

Die Novizin meldete sich etwas zaghaft zu Wort. »Benötigen Sie noch etwas?«

»Im Augenblick nicht«, beschied Ransome sie.

Sobald sie gegangen war, führte der Meister der Gilde Owen zu zwei Stühlen neben der leeren Feuerstelle. Die vorübergehende Freude war schon wieder von Ransomes Gesichtszügen gewichen, er wirkte jetzt so trübsinnig und müde wie zuvor.

Owen bemerkte diesen Wechsel und erschauerte, als streiche ihm jemand mit der Feder eines düsteren Vogels über den Nacken. Errec Ransome war mehr als zehn Jahre jünger als Owens Vater, aber jetzt wirkte er fast älter als General Metadi.

»Diesmal hätte ich dich fast schon für tot erklärt«, sagte Ransome, sobald sie sich gesetzt hatten. »Und Jos hat bereits einige recht merkwürdige Fragen gestellt.«

Alle Wiedersehensfreude war endgültig aus seinen Gesichtszügen gewichen. Hätte Owen den Ausdruck nicht zuvor schon auf dem Gesicht des Meisters der Gilde gesehen und gespürt, wie kräftig er ihn umarmt hatte, so würde er jetzt mit einer spektakulären Standpauke rechnen, wie sie einem Lehrling gebührte, der die an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllt hatte.

»Tut mir leid«, erwiderte er. »Diesmal hätten sie mich wirklich fast erwischt.«

Er warf einen kurzen Blick auf den Stein der Feuerstelle. Einige sehr lebendige Erinnerungen an Pleyver lösten immer noch einen stechenden Schmerz in ihm aus. Schließlich drehte er den Kopf herum und bemerkte Ransomes dunklen, forschenden Blick. »Ich bin tatsächlich gefangen genommen worden. Es war meine eigene Dummheit, und wenn Beka nicht zufällig in der Stadt gewesen wäre, wäre ich niemals entkommen. Ich konnte den Planeten dann aber nicht sofort verlassen, sondern musste mich eine Zeitlang versteckt halten, bis man mich schließlich vergessen hatte. Das hat eine Weile gedauert.«

Ransome lächelte, ein Zucken der Mundwinkel, das kaum bis zu seinen Augen drang. »Das ist eine Untertreibung«, sagte er. »Hier im Refugium gibt es Lehrlinge, die dein Gesicht noch nie gesehen haben, es müssen mindestens zwei Jahreszeiten gewesen sein.«

»Ich weiß, zwei der Neuen habe ich bereits getroffen. Sie sind ziemlich jung, hab ich recht?«

»Nicht jünger als üblich«, sagte Ransome. »Du dagegen bist allmählich dabei, dir einen langen grauen Bart wachsen zu lassen.«

Owen lachte kurz. »Nach diesen beiden letzten Monaten fühle ich mich tatsächlich auch so.« Er zögerte, denn er wollte jetzt auf keinen Fall die gute Laune des Meisters der Gilde zerstören, die schon schwächlich genug war. Aber es musste sein. Er atmete tief durch und begann seinen Bericht. »Es waren Magierlords auf Pleyver.«

Meister Ransome blieb völlig regungslos, der Blick seiner dunklen Augen schien weit in die Vergangenheit gerichtet zu sein. »Also beginnt es nun wieder von vorne«, erklärte er schließlich.

»Das steht zu befürchten«, bestätigte Owen. »Wir haben es hier nicht mit schlecht ausgebildeten Agenten zu tun, die durch das Netz geschleust wurden, um ein wenig zu spionieren. Oder mit ein paar talentierten Einheimischen, die einen Magierkreis bilden, wie sie es in den HoloVids gesehen haben. Zumindest einer von ihnen muss ein Großer Lordmagus der alten Schule sein. Auch ohne die Macht der anderen im Rücken war er aus sich selbst heraus so stark wie kaum ein Adept, den ich kenne.«

»Er muss der Erste ihres Kreises sein«, sagte Ransome. »Falls sie noch so arbeiten wie in den alten Zeiten.« Seine Stimme klang jetzt so, als hätte er etwas Bitteres auf der Zunge geschmeckt. »Wie bist du ihnen entwischt?«

Owen schüttelte den Kopf. »Das bin ich gar nicht. Ich habe die letzten beiden Jahreszeiten auf Pleyver als Handlanger in den Weltraumdocks gearbeitet. Schließlich hat der Erste aufgegeben, nach mir zu suchen, und die Übrigen waren nicht stark genug, um mir irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten.«

»Der Erste hat die Suche nach dir aufgegeben«, meinte Ransome nachdenklich. »Weißt du, was ihn dazu veranlasst haben könnte?«

»Nein«, sagte Owen. »Aber während er nach mir suchte, konnte ich ihn immer spüren, selbst im Schlaf. Ein- oder zweimal ist er ein wenig zurückgewichen, er wollte mich wohl dazu verleiten, die Flucht zu wagen, aber er war viel zu stark, um sich gut verbergen zu können. Und dann war er eines Tages einfach nicht mehr da.«

»Er hat den Planeten verlassen?«

Owen seufzte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Jedenfalls war ich nicht ganz umsonst auf Pleyver. Ich habe immerhin dies hier.«

Er zog den Datenchip aus der Brusttasche seines Overalls und reichte ihn Meister Ransome.

»Ich habe überlegt, ob ich ihn herausschmuggeln lassen sollte«, sagte er, »aber der einzig sichere Weg schien mir die persönliche Übergabe zu sein.«

Ransome schloss seine Hand um das münzgroße Stück Plastik. Zu einer anderen Zeit, dachte Owen, wäre er sehr zufrieden gewesen, aber jetzt schien er kaum wahrzunehmen, was er da in der Hand hielt. »Sind die Informationen noch aktuell?«

»Das meiste schon, denke ich.« Owen lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte müde. Der Datenchip hatte ihn schwerer belastet, als er sich eingestanden hatte. Zum ersten Mal seit Monaten trug er ihn jetzt nicht mehr bei sich, und schon fühlte er einen leichten Schwindel. »Es sind viele Handels- und Wirtschaftsdaten darauf gespeichert, die dem Großen Konzil einen Schrecken einjagen dürften, wenn es davon wüsste. Denn es sieht ganz so aus, als würde eine beträchtliche Warenmenge durch die Grenzzone in die Magierwelten gelangen. Außerdem gibt es noch verschlüsselte Dateien, die ich aus Zeitmangel nicht öffnen konnte.«

Er zögerte ein wenig. »Einige andere Dateien hatten mit dem zu tun, was Mutter geschah. Ich habe sie Beka gegeben.«

»War das klug?«, fragte Ransome. »Deine Schwester ist … etwas eigensinnig, um es vorsichtig auszudrücken. Die Gerüchte, die zu mir gedrungen sind, könnte man durchaus anders deuten.«

»Sie ist auch die Domina von Entibor, da Mutter jetzt tot ist, ob sie den Titel nun akzeptiert oder nicht. Wenn irgendjemand ein Recht auf diese Daten hat, dann ist es Bee.«

Owen bemerkte Ransomes unbestimmten Gesichtsausdruck und fügte hinzu: »Wenn sie nicht die bewaffneten Verfolger abgeschüttelt hätte, wären Sie jetzt kaum im Besitz dieser Daten. Und die Tatsache, dass sich Beka auf dem Planeten befand, als all diese Dateien entwendet wurden, könnte einen sehr nützlichen Zweifel darüber säen, wer genau was in den Datenbänken der FIL gesucht hat.«

Ransome nickte bedächtig und steckte den Datenchip in eine Innentasche seiner schwarzen Tunika. »Ein überzeugendes Argument«, sagte er. »Und ich bin sowohl dir als auch ihr zu Dank verpflichtet. Aber du musst uns so schnell wie möglich wieder verlassen. Es gibt neue Angelegenheiten, die unsere Aufmerksamkeit erfordern.«

Owen verließ der Mut. Er fühlte seine lang ersehnte Ruhepause dahinschwinden, wie eine Welle, die sich vom Strand zurückzieht. Doch er war nun einmal Meister Ransomes Lehrling und hatte ihm vor langer Zeit Loyalität gelobt.

»Wie bald?«, fragte er.

»Morgen.«

»Ich hatte gehofft, wenigstens den Herbst und den Winter hier verbringen zu können«, wandte Owen ein. »Und vielleicht ein bisschen zu lehren und zu meditieren. Nach all den Monaten im Versteck auf Pleyver bin ich so fahrig geworden, dass ich schon zusammenzucke, wenn sich nur der Wind dreht.«

»Ich fürchte, wir haben keine Zeit zu verlieren«, erwiderte Ransome entschlossen. Obwohl Bedauern und Müdigkeit in seiner Stimme durchklangen. »Der Wind hat sich schon gedreht, und der Sturm wird früher kommen, als wir glauben.«

Ari war nun schon länger als eine Woche wieder auf der Medizinischen Station, als ihm einfiel, dass er die angesammelten Briefe auf der Poststation abholen sollte. Das Schreiben der Briefe war ihm selbst eine eher lästige Pflicht, und er erwartete nichts wirklich Interessantes.

Das diensthabende Crewmitglied war wie alle anderen auch bei der Zeremonie gewesen. Er händigte Ari ein Bündel ausgedruckter Briefe und versiegelter Umschläge aus und sagte bedauernd: »Sie waren eine Weile nicht hier, die Junk-Post hat ein wenig überhandgenommen.«

Ari schaute auf den Stapel, ganz oben lag ein 3-D-Prospekt, in dem ein Spezialpreis beim Kauf von zehn oder mehr Kartons Tree-Frog-Bier angeboten wurde. Seit der Sache mit dem Quincunx, als ihn jemand mit Mescalomid in seinem dunklen Exportbier hatte vergiften wollen, verspürte er kein Bedürfnis mehr nach Tree-Frog-Bier. Die knallbunte kleine Anzeige erinnerte ihn unangenehm an jene Nacht, die mit einem Feuer und einem Mordanschlag begonnen und damit geendet hatte, dass Llannat Hyfid mit einem schwarz maskierten Magus kämpfte, der Ari nach dem Leben trachtete.

Dieser spezielle Feind war zwar lange tot, aber Llannat selbst hatte einmal gesagt, dass die Magierlords am liebsten in Gruppen arbeiten … Ari knurrte tief und lenkte sich damit ab, den Rest seiner Post gleich am Tresen durchzusehen, anstatt sie mit ins Quartier zu nehmen.

Er entsorgte fünf weitere Werbeprospekte sowie einen Katalog mit exotischen Kräutern, dann überflog er die ausgedruckten Benachrichtigungen über private Nachrichten in seinen elektronischen Dateien (drei von seinem Vater und eine von Bekas alter Schulkameradin Jilly Oldigaard, alle älter als sechs Monate); einen ebenso alten, aber gewiss amüsanten Brief eines alten Freundes legte er zur späteren Lektüre beiseite. Er stammte von Nyls Jessan, der auch der Medizinischen Station von Nammerin angehört hatte und nun offiziell in der SpaceForce-Klinik und dem Rekrutierungscenter auf Pleyver seinen Dienst tat.

Jetzt blieb nur noch der jüngst datierte Umschlag. Er wies einen einheimischen Poststempel auf und keinen Absender. Die Adresse, sein eigener Name und die Postleitzahl der SpaceForce waren klar und deutlich geschrieben.

Mit dem Daumennagel bearbeitete Ari den geschlossenen Umschlag. Das feuchte Äquatorialklima von Namport zeigte bereits Wirkung; die Lasche war schnell geöffnet, und schon zog er einen quadratischen Zettel aus billigem Papier heraus.

Es gab keine Anrede und keine Unterschrift, nur drei fein säuberlich geschriebene Sätze:

Wenn du mich zu sehen glaubst, irrst du dich. Es ist jemand anders; ich bin nicht hier. Bleib bei Mistress Hyfid und halt dich aus allem heraus.

Selbst wenn er die Handschrift nicht gekannt hätte, dachte Ari, wäre schon der elliptische Stil ein eindeutiger Hinweis. Von allen Bewohnern der zivilisierten Galaxie würde sich nur sein Bruder Owen mit solchen leicht herablassenden Andeutungen an ihn wenden.

Er zuckte mit den Schultern und verarbeitete Umschlag und Zettel zu Konfetti. Danach warf er es in den Abfalleimer. »Bleib bei Mistress Hyfid und halt dich aus allem heraus«, zitierte er mürrisch. Ein guter Rat, aber er wird mir nicht viel helfen.

2. Kapitel

Das Netz: WarhammerGrenzzone der Magierwelten: RSF KARIPAVO

»Captain.«

»Mmh?« Beka wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab. Dieser verdammte Papierkrieg der SpaceForce! Die verdammte Checkliste ist länger als alle Reden des Anwalts Tarveet hintereinandergeklebt.

»Captain, es wird Zeit.«

Sie nickte abwesend und blätterte zur nächsten Bildschirmseite. »Mm-hm.«

»Captain …«

Sofort bemerkte sie den geänderten Tonfall, kniff die Augen zusammen und fuhr mit einer Hand darüber: Sie waren vom langen Starren auf die Konsole ganz erschöpft. Dann lehnte sie sich auf ihrem Sessel zurück und blickte zum ersten Mal hinüber.

Der Kopilot und Bordschütze der Warhammer sah sie mit leichter Besorgnis an. Nyls Jessan, blond und hager, mit hellen grauen Augen und angenehmen, unscheinbaren Gesichtszügen, wirkte wie ein unbedeutender FreeSpacer in diesem gefährlichen Teil der Galaxie, bis hin zu dem Blaster aus Armeebeständen. Doch der äußere Eindruck konnte täuschen, insbesondere wenn es um Jessan ging. Ihr Partner sprach Standard-Galcenisch mit einem Upper-Class-Akzent aus Khesatan, er spielte Karten und handhabte Waffen wie ein Profi. Und er hatte seine Karriere mit den besten Aufstiegschancen beim Medizinischen Dienst der SpaceForce aufgegeben, um sich Beka auf der Warhammer anzuschließen, nachdem ihr alter Kopilot bei den Kämpfen auf Darvell gestorben war.

Unser Jessan ist ein Mann mit vielen Talenten, dachte sie und musste unwillkürlich lächeln. »Okay, ich höre dir zu. Wo liegt das Problem?«

»Du bist das Problem«, erwiderte er. »Du arbeitest seit 0400 Uhr an dieser Checkliste. Die Warhammer wird davon auch nicht besser, als sie ist. Allmählich wird es Zeit, ein wenig zu schlafen.«

»Ist es das, was du im Sinn hattest? Schlaf?«

»Sicher, was sonst?«, versicherte Jessan, ohne eine Miene zu verziehen.

Sie zögerte kurz, beobachtete ihn, dann schüttelte sie mit einem leichten Seufzer den Kopf. »Wir können es uns nicht leisten, dass die Inspektion an dem Blockade-Checkpoint schiefgeht, nur weil ein einzelner Wichtigtuer in SpaceForce-Uniform der Ansicht ist, dass ich meinen Papierkram nicht korrekt ausgefüllt habe.«

»Lass mich das erledigen«, bot er an. »Ich kenne mich damit aus.«

»Nein. Wenn ich schon für etwas unterschreibe, dann möchte ich die Fehler auch selber machen.«

Er zuckte die Achseln und streckte sich auf der gepolsterten Beschleunigungscouch auf der anderen Seite des Gemeinschaftsraums aus. »Also gut, ich bleibe wach und leiste dir Gesellschaft.«

»Deine Entscheidung«, sagte sie.

Sie wandte sich dem Bildschirm zu und arbeitete gewissenhaft einige Minuten, bis ein leichtes Schnarchen die Stille unterbrach. Sie blickte zur Couch hinüber. Jessans Kopf war auf das Kissen hinuntergeglitten, die Augen waren geschlossen.

»Dummer kleiner Idiot aus Khesatan«, murmelte sie und drückte den Knopf zur Beendigung der Computersitzung.

Die Konsole faltete sich in die Nische im Schott, und Beka erhob sich. Sie ging zur Couch hinüber und berührte Jessan leicht an der Schulter.

»Also gut, Nyls«, sagte sie. »Du hast gewonnen. Gehen wir ins Bett.«

Der Chronometer in der Kapitänskabine der Warhammer schrillte wie üblich um 0500 Standardzeit. Beka schlüpfte unter Jessans Arm hervor und sprang auf die Decksplanken. Der Alarmknopf für den Chronometer war im Schott an der anderen Seite der Kabine angebracht. Sie konnte ihn nicht ausschalten, ohne ihre Koje zu verlassen, was vermutlich auch der Sinn der Sache war.

Sobald das Signal verstummt war, zog sich Beka an. Sie griff aber nicht wie gestern einfach zu Hemd und Hose. Heute trug sie die Spitzen und Rüschen eines gepflegten, aber irgendwie androgynen jungen Mannes aus dem embriganischen Viertel von Mandeyn, der sein langes braunes Haar zum Zopf geflochten trug und mit einem schwarzen Samtband schmückte. Dieser besondere Mandeyner trug allerdings einen zweischneidigen Dolch im Ärmel, und in dem abgenutzten Lederhalfter an der Hüfte hing ein Gyfferaner Ogre Mark VI Blaster.

Sie arrangierte die Falten ihrer weißen Krawatte aus Spinnenseide, steckte ein weißes Spitzentuch in ihre Rüschenmanschette und betrachtete zufrieden das Ergebnis im Spiegel. Beka Rosselin-Metadi, Mistress der Warhammer und Domina des untergegangenen Entibor, war so gut wie verschwunden. An ihre Stelle war Captain Tarnekep Portree getreten: Sternenpilot, Revolverheld und Auftragskiller.

Jetzt noch der Feinschliff.

Beka griff in das Staufach für ihre Dirtside-Montur, entnahm ihm eine rote Augenklappe aus Plastik und legte sie an. Die Klappe bedeckte ihr linkes Auge vom Wangenknochen bis zur Augenbraue und verlieh ihr einen eigenartig starren Blick. Die meisten Menschen beunruhigte das glänzende rote Plastik und das, was darunter verborgen sein mochte. Sie zuckten zurück und wandten sich ab, ohne Tarnekeps blasses, hageres Gesicht näher zu betrachten.

Das gehörte alles zur Maskierung. Der Professor wusste genau, was er tat, als er sich diese Identität ausgedacht hatte, überlegte sie. Niemand verspürt das Verlangen, Tarnekep Portree zu nahe zu kommen.

Das heißt, fast niemand. Als sie wieder zur Koje kam, war Nyls Jessan schon wach und beobachtete sie.

»Wie sehe ich aus?«, fragte sie.

Er lächelte. »Wunderbar wie immer, Captain. Elegant, aber mit der deutlichen Aura einer undefinierbaren Bedrohung.«

»Gut. Hoffen wir, dass sich die Inspektoren täuschen lassen.«

Die Inspektion begann um 0911.54 Standard, als die Warhammer am Rande des Netzes aus dem Hyper fiel, an der künstlichen Barriere beim Übergang in den Hyperraum, den die Republik am Ende des letzten Krieges den Magierwelten auferlegt hatte. Erst wenn der inspizierende Offizier der Generatorstation die Erlaubnis erteilte, ein Loch freizugeben und die Warhammer passieren zu lassen, war der nächste Sprung möglich.

Wie ein riesiges Spinnennetz, das von tausenden Generatorstationen mit Hilfe von magnetischen Feldern gesponnen wurde, spannte sich das Netz zwischen den Magierwelten und dem Rest der zivilisierten Galaxie. Jedes Sternenschiff fiel hier aus dem Hyperraum in den Realspace zurück, genau dort, wo die Netzflotte der Republik in voller Stärke patrouillierte und alle Sensoren aktiviert hatte, um Raumschiffe aufzuspüren, die sich unbemerkt über die Grenze schleichen wollten.

Beka vermutete, dass man mit einem großen Umweg die Ecken des Netzes umschiffen könnte. Der Weltraum war zu groß, um die Magierwelten mit einem solchen künstlichen Gebilde vollständig einhüllen zu können. Aber selbst im Hyperraum könnte eine solche Reise Jahre dauern.

Ebenra D’Caer war der Meinung, dass er es mit einem einzigen Sprung von Ovredis in die Magierwelten schaffen konnte, dachte sie, während sie mit Jessan auf die Inspektoren wartete. Und gewiss hat ihn inzwischen jemand aus seiner Zelle auf der Asteroidenbasis befreit. Llannat sagte, es sei Magie auf der ganzen Linie. »Die Magierlords planen lange im Voraus.« Das war auch die Meinung des Professors, er sprach von einem Zeitraum von fünfhundert Jahren, als wäre das überhaupt nichts.

Beka biss sich auf die Lippe. Es tat ihr nicht gut, an ihren alten Lehrer und Kopiloten zu denken, insbesondere weil gerade jetzt der Shuttle von der Netzstation C-346 ankam. Dies war einer der Checkpoints, an dem sich alle Raumschiffe, die hier passieren wollten, zu einer Inspektion registrieren mussten. Stattdessen konzentrierte sie sich lieber auf die Details der Tarnung der Warhammer, die darin bestand, als bewaffnetes Handelsschiff Pride of Mandeyn zu fungieren, mit einem Register aus Suivi und dem kommandierenden Tarnekep Portree.

Kurz darauf schloss sie aus einem gedämpften Knall und einer leichten Erschütterung, dass der Shuttle angedockt hatte. Sie schaltete die obere Luftschleuse der Warhammer auf und ließ die Inspektoren herein. Es handelte sich um zwei Mannschaftsdienstgrade der SpaceForce, einer kleinen, rothaarigen Frau und einem schlaksigen, dunkelhäutigen Mann unter dem Kommando eines jungen Flag-Lieutenants, dessen weit aufgerissene Augen schon verrieten, dass er ohne Zweifel noch nie in seinem ganzen Leben jemandem wie Tarnekep Portree begegnet war.

Beka hätte fast laut gelacht. Dieses Produkt einer behüteten Erziehung sitzt mir jetzt also am Tisch gegenüber, und wir gehen die Formalitäten haarklein durch. Wenn ich Glück habe, zuckt er vor Nervosität zurück und vergisst die Hälfte seiner Fragen.

Der erstaunte Flag-Lieutenant ließ sich bei seiner gewissenhaften Zollabfertigung jedoch nicht von persönlichen Betrachtungen beirren. Er hielt das Klemmbrett in der Hand und fragte nach den Papieren, die Beka vorbereitet hatte. Dazu gehörten die offiziellen Dokumente der Registrierung des Schiffes als Pride of Mandeyn sowie Tarnekep Portrees Besitzurkunde und die Ordner aus imitiertem Leder mit allen wichtigen Lizenzen, Flatpics und auch die Pässe (aus Mandeyn und Khesatan) des Capitains und des Kopiloten der Pride.

Er zog die ID-Flatpics durch den Scanner seines Klemmbretts, das leise piepte, als es die Verbindung mit dem Shuttle herstellte. Von dort würden die Identitäten zu den Datenbänken der Netzstationen übermittelt und jede wichtige Information an den inspizierenden Offizier weitergeleitet werden.

»Tarnekep Portree«, sagte der Flag-Lieutenant, als es aufhörte zu piepen. »Der Datenabgleich hat ergeben, dass Sie auf Mandeyn zur Befragung ausgeschrieben sind.«

Beka blickte ihn unvermittelt an. »Wir sind hier nicht auf Mandeyn«, entgegnete sie. »Und eine solche Befragung rechtfertigt keinen Haftbefehl.«

»Zugegeben«, entgegnete der Flag-Lieutenant. »Dennoch ist die SpaceForce gesetzlich verpflichtet, Ihren Aufenthaltsort dem Niederen Rat des Raumhafens von Embrig zu melden.«

»In Ordnung. Grüßen Sie von mir, ich mag die Leute wirklich sehr.«

Der Flag-Lieutenant presste die Lippen zusammen, als wolle er eine rasche Antwort unterdrücken, und blickte wieder auf sein Klemmbrett. Als er dann den Kopf hob und Jessan anblickte, war aus leichtem Zweifel offene Abneigung geworden.

»Nyls Jessan«, sagte er. »Ehemals Angehöriger des Medizinischen Dienstes der SpaceForce. Lieutenant-Commander, immerhin. Unehrenhaft entlassen.«

Jessan verbeugte sich. »Das bin ich.«

Der Flag-Lieutenant spitzte die Lippen. Dann drehte er Jessan den Rücken zu und wandte sich wieder an Beka. »Captain Portree, jetzt werde ich die Papiere der Pride mit Ihnen durchgehen. Bitte geben Sie Ihrem Mitarbeiter Anweisung, meinen Leuten bei der technischen Inspektion des Schiffes zur Seite zu stehen.«

»Sicher.« Beka winkte Jessan zu. »Sie haben den freundlichen Mann gehört, Doc. Führen Sie unsere Freunde herum.«

»Ist mir ein Vergnügen, Captain.«

Jessan begab sich mit den beiden Soldaten im Schlepptau ins Innere des Schiffes, während sich Beka mit dem Flag-Lieutenant an den Tisch im Gemeinschaftsraum setzte. Der junge Offizier ging die Papiere Zeile für Zeile durch und konsultierte dabei regelmäßig sein Klemmbrett.

»Energiekanonen rücken- und bauchseitig, Schutzschilde am Bug und am Heck, für ein Handelsschiff besitzen Sie eine große Feuerkraft, Captain.«

Beka hob eine Augenbraue. »Dies ist ein bewaffnetes Frachtschiff, so steht es im Register. Wenn man mit den Außenplaneten arbeitet, kann man sich nicht immer darauf verlassen, dass die SpaceForce rechtzeitig zur Stelle ist.«

Der Flag-Lieutenant schien diese Antwort übelzunehmen. »Dies ist keine Kriegszone, Captain Portree. Ich fürchte, wir werden Ihre Geschütze für die Dauer des Aufenthaltes in den Magierwelten versiegeln müssen.«

Mit etwas Ähnlichem hatte Beka schon gerechnet, die Kanonen der Warhammer entsprachen der neuesten Technologie, sie waren erst kürzlich von der Schiffswerft auf Gyffer modernisiert worden. Dennoch blickte sie jetzt finster drein. »Und was soll ich unternehmen, wenn jenseits der Grenze jemand einfach so auf mich schießt? Nach Hilfe rufen und darauf hoffen, dass die Flotte herbeieilt?«

»Sie befinden sich hier nicht mehr auf den Außenplaneten, Captain. Die Magierwelten sind absolut nicht in der Verfassung, Ihnen Schwierigkeiten zu bereiten.« Er sah wieder auf sein Klemmbrett. »Ich kann keine Frachtliste finden.«

»Ich fliege leer und werde mich dort um Fracht bemühen«, sagte Beka. »Wie Sie diesem Formular dort entnehmen können, bin ich auf der Suche nach seltenen Erden und pflanzlichen Extrakten für die medizinische Forschung.«

»Sie dürfen keine Währung der Republik mit sich führen«, sagte der Flag-Lieutenant. »Es tut mir leid, wenn dies Ihre Geschäfte erschweren sollte, aber so lautet das Gesetz.«

Es tut dir nicht im Geringsten leid, du kleiner Mistkerl, dachte Beka. Aber ich rechne noch mit dir ab. Darauf kannst du zählen.

Sie leerte das Geld aus ihren Hosentaschen und legte es auf den Tisch: fünf oder sechs Zehnercredits als Münzen, ein zerknitterter Zehncredit als Schein und eine Silbermünze aus Mandeyn mit einem stecknadelkopfgroßen Loch in der Mitte.

»Bitte sehr«, sagte sie. »Vielleicht hat Doc noch ein paar Zehnerscheine, ansonsten aber ist das alles.«

»Und wie beabsichtigen Sie, für Ihre Fracht zu zahlen, Captain?«

»Gar nicht«, erwiderte sie. »Ich bin Pilotin. Und werde von anderen bezahlt.«

Der Flag-Lieutenant sah aus, als hätte er auf etwas Saures gebissen. Er fuhr mit den Formalitäten fort, sein Blick wanderte von den Formularen der Pride und den auf dem Klemmbrett erscheinenden Daten hin und her.

Er sucht etwas, womit er mich festnageln kann, dachte Beka. Aha, jetzt glaubt er, etwas gefunden zu haben.

»Kommen wir zu Ihrer Besatzung, Captain. Sie haben nur sich selbst und den Kopiloten gelistet, aber Sie haben Platz für mindestens sechs Besatzungsmitglieder.«

Beka zuckte die Achseln. »Die Pride ist ein Frachter der Libra-Klasse, sie sollte ursprünglich mit einer ganzen Mannschaft fliegen. Seit damals ist sie mehrmals modernisiert worden, aber niemand hatte ein Interesse, die überflüssigen Kojen herauszunehmen. Wir benutzen sie als zusätzlichen Stauraum, wenn wir viel Fracht an Bord haben.«

Der Flag-Lieutenant notierte etwas auf seinem Klemmbrett. »Verstanden. Aber Angehörige der Magierwelten dürfen das Netz nicht in zivilen Raumschiffen durchqueren. Nehmen Sie also keine Passagiere mit.«

»Keine Sorge. Die verdammten Magierlords können auf ihrer Seite des Netzes verrotten, wenn es nach mir geht. Ich bin nur an stummer Fracht interessiert.«

»Das ist sehr klug von Ihnen, Captain Portree. Etwas anderes wird von uns auch nicht toleriert.«

Das glaube ich dir, dachte Beka, während sich der Flag-Lieutenant durch den Haufen ausgedruckter Papiere arbeitete. Wie gut, dass ich etwas zu erledigen habe, sonst würde ich noch einen ganzen Magierkreis durch das Netz schmuggeln, nur um zu beweisen, dass ich es kann.

Schließlich näherten sich die Formalitäten ihrem Ende. Beka unterzeichnete die Formulare in dreifacher Ausführung mit Portrees eckiger Handschrift. Der Flag-Lieutenant datierte und stempelte alle Unterschriften. Er war bei der letzten angekommen, als Jessan mit den beiden Soldaten zurückkam.

Die Rothaarige trat an den Tisch. »Alles ist einwandfrei, Sir«, meldete sie dem Flag-Lieutenant. »Und die Geschütze sind versiegelt.«

»Sehr gut.« Der Flag-Lieutenant sammelte die unterschriebenen und datierten Formulare ein und gab die Zulassungspapiere wie auch die Ordner mit den persönlichen Informationen an Beka zurück. Dabei ignorierte er Jessan geflissentlich, der die Prozedur leicht amüsiert verfolgte.

Nachdem die Inspektoren das Schiff verlassen hatten und der Shuttle sich wieder zur Netzstation C-346 aufmachte, legte Beka die Papiere und Ordner in den Safe des Raumschiffs. Dann zog sie aus einem verborgenen, gut versteckten Schließfach einen kompakten, aber sehr effektiven Scanner. Erst nachdem sie beide Abhörgeräte, die die Inspektoren hinterlassen hatten, eins im Cockpit und das andere – etwas fantasievoller – unter der Koje in der Kapitänskabine versteckt, lokalisiert und deaktiviert hatte, entspannte sie sich.

»Vertrauensvolle Seelen, diese Typen von der SpaceForce«, bemerkte sie zu Jessan. »Setzen sie in jedes Frachtschiff, das durch das Netz fliegt, ein oder zwei Wanzen?«

»Wahrscheinlich«, antwortete Jessan. »Und die meisten werden bestimmt gescannt und deaktiviert. Aber wenn sie auf jedem Schiff, das sie inspizieren, ein paar davon hinterlassen und bei der Rückkehr diejenigen einsammeln, die noch übrig sind, haben sie sicher irgendwann Glück.«

»Du hast eine natürliche Veranlagung für diese Dinge. Bist du eigentlich wirklich sicher, dass du Arzt gewesen bist, bevor sie dich rausgeschmissen haben?«

»Steht alles in den Akten.«

Beka schnaubte. »Wir wissen beide, was das wert ist, oder nicht?«

»Nicht alles, was dort steht, ist Erfindung«, protestierte Jessan. »Tatsächlich ist das meiste sogar die pure Wahrheit. Sonst würde es auch schwierig werden, alles stimmig wirken zu lassen.«

Sie sah den Khesataner neugierig an. »Nyls, was genau steht über das Ende deiner SpaceForce-Karriere in den Akten? So wie dich der Flag-Lieutenant angesehen hat …«

»Das war doch gelungen, oder etwa nicht?«

»Ich meine es ernst.«

»Schwarzmarkthandel mit minderjährigen Sapients«, erwiderte Jessan. »Wirklich ein nettes und einträgliches Geschäft.«

»Wenn man zwanzig bis fünfzig Jahre Arbeitslager nett nennen kann. Wie bist du dem entkommen?«

»Die Strafverfolgung wurde wegen eines Formfehlers eingestellt, ich bin rechtskräftig entlastet worden.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Es war wirklich furchtbar. Schau dir das Gerichtsprotokoll an, und du wirst sehen, dass meine Unterkunft gesetzwidrig durchsucht wurde, die Beweise waren also nicht verwertbar.«

»Alles sehr kunstvoll«, sagte Beka. »Das hast du dir also mit Papas Adjutanten zusammengereimt, als ihr über die abhörsichere Funkverbindung während unserer letzten Nacht auf Innish-Kyl gesprochen habt. Ich wollte es schon längst unbedingt wissen.«

»Captain, ich bin schockiert. Offizielle Dokumente zu fälschen, das ist ein kriminelles Vergehen. Würde ich einen Offizier der SpaceForce mit dem guten Ruf eines Jervas Gil zu einer solch schweren Straftat anstiften?«

»Ohne mit der Wimper zu zucken«, sagte sie. Dann legte sie sich die beiden kleinen knopfartigen Abhörgeräte auf die Handfläche. »Wir müssen noch ein wenig Wartezeit überbrücken, bis die Warhammer die Freigabe zum Sprung bekommt. Und ich muss diesen Schnickschnack auch noch beseitigen. Ich glaube, ein paar Schießübungen im vorderen Frachtraum können nicht schaden.«

»Stört es dich, wenn ich dich begleite?«

»Keinesfalls. Es wäre mir ein Vergnügen.«

Sie gingen über das Stahldeck des Raumschiffes durch die Luke nach vorne. Beka schaltete das Arbeitslicht ein. Der Frachtraum wirkte ohne die hier normalerweise lagernden Kisten und Paletten geradezu unheimlich, jedes Geräusch wurde von einem Hall begleitet. Und wie gut, dass die Inspektoren nicht die tatsächlichen Abmessungen mit den technischen Daten eines Frachters der Libra-Klasse verglichen haben. Vielleicht wäre ihnen dann aufgefallen, dass der vordere Frachtraum deutlich kleiner war, als er sein sollte. Und dann hätten sie die Sache mit den Maschinen wahrscheinlich auch schnell entdeckt.

Die Warhammer barg einige Geheimnisse. Das älteste und bestgehütete stammte aus der Zeit, als General Jos Metadi noch Kommandant war. In seinen frühen Freibeutertagen hatte der damalige Captain Metadi sein Schiff auf die Gyffer Werft gebracht, zu einer sehr kostspieligen Inspektion, die nirgendwo verzeichnet war. Die Schiffbauer auf Gyffer hatten die Originalmaschinen ausgebaut, den Maschinenraum um einen Teil des Frachtraums erweitert und dann Realspace- und Hyperraum-Maschinen eingebaut, die um die Hälfte größer waren als für ein Raumschiff von der Größe der Warhammer üblich. Mit diesen Maschinen sowie neueren und größeren Energiekanonen war aus einem bewaffneten Frachtschiff ein Kriegsschiff geworden, das stark genug sein sollte, um ein Dutzend Magierjäger zu erledigen, und dazu noch schnell genug, um deren Mutterschiff einzufangen.

Nicht einmal Metadis Kopilot aus jenen Tagen, Errec Ransome, hatte genau gewusst, wie schnell die Warhammer im Ernstfall wirklich sein konnte. Beka hatte die Warhammer mehr als einmal nahe an diese Grenze gebracht, aber vor kurzem hatte das Raumschiff auf der Werft von Gyfferan noch einmal ein Upgrade für diese übergroßen Maschinen bekommen.

Ohne Fracht an Bord, dachte Beka, könnten wir im Ernstfall wahrscheinlich sogar einem Schlachtschiff entkommen.

Die Idee gefiel ihr, und sie lächelte ein wenig, als sie die beiden Wanzen an der Schottwand in der Nähe der Luke befestigte. Auf dem Stahl wirkten die beiden Knöpfe wie kleine Münzen.

Jessan folgte ihr zur anderen Seite des Frachtraumes, wo sie ihren Blaster zog. Sie kontrollierte die Ladung – siebenundneunzig Prozent – und regulierte die Waffe auf einen feinen Strahl bei niedrigster Energie.

»Wir wollen lieber kein Loch durch den Schiffsrumpf ins Vakuum bohren«, sagte sie. Dann steckte sie den Blaster wieder ins Halfter und drehte dem Ziel ihren Rücken zu.

Ohne jede weitere Warnung wirbelte sie herum, zog gleichzeitig die Waffe und feuerte zweimal durch den Frachtraum. Der Blasterstrahl hinterließ eine glühende Spur ionisierter Luft hinter sich, und die Knopfwanzen glühten kurz auf. Dann ging sie mit beiden Händen in Stellung und jagte noch fünf weitere Strahlen in jeden Knopf, wechselte in eine einhändige Position und drehte sich beim Feuern seitwärts. Schließlich ließ sie den Arm sinken, stellte den Blaster wieder auf volle Energie und steckte ihn in das Halfter.

»Wer dort gestanden hätte«, sagte Jessan, »wäre jetzt mausetot.«

»Lass uns nachschauen.«

Sie gingen zur Schottwand hinüber, wo Beka die beiden Knopfwanzen befestigt hatte. Beide Wanzen waren nur noch Klumpen aus Schlacke und verformtem Plastik, dahinter waren kleine Mulden in den Stahl geätzt. Mit einem ihrer kurz geschnittenen Fingernägel tippte Beka auf die Schussmulden.