Der professionelle Aufsichtsrat - Peter H. Dehnen - E-Book

Der professionelle Aufsichtsrat E-Book

Peter H. Dehnen

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Beschreibung

Die Anforderungen an den Aufsichtsrat sind vielfältig und anspruchsvoll und lassen sich doch in einer Formel zusammenfassen: "Sie/er muss überwachen können." Die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e.V. (VARD) hat die Anforderungen an den professionellen Aufsichtsrat in verbindliche Berufsgrundsätze. Dehnen und seine Mitautoren nehmen diese als Ausgangspunkt für die Reise durch die überwachungsrelevanten Themen Strategie, Finanzierung, Rechnungswesen, Bilanz, Risikomanagement und Compliance. Das Buch bietet die relevanten Einblicke in die betriebswirtschaftliche Perspektive der Aufsichtsratstätigkeit und leitet zum vertiefenden Selbststudium an. Jedes Kapitel wird mit zehn Fragen eingeleitet, die jeder professionelle Aufsichtsrat beantworten können muss. So kann der Leser direkt prüfen, ob er über die notwendigen Fachkenntnisse verfügt oder wo es noch Lücken gibt. Kompetent und praxisnah wird anschließend jedes Thema anschaulich erklärt und der Weg für eine Vertiefung spezieller Fragen aufgezeigt. Abgerundet wird das Buch mit dem aktuellen Deutschen Corporate Governance Kodex und den Berufsgrundsätzen für den Deutschen Aufsichtsrat der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e.V. (VARD).

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Peter H. Dehnen (Hg.)

Der professionelle Aufsichtsrat

Prüfen Sie Ihr Wissen! Das betriebswirtschaftliche Know-how für Ihre Überwachungskompetenz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Peter H. Dehnen (Hg.)

Der professionelle Aufsichtsrat

Prüfen Sie Ihr Wissen!

Das betriebswirtschaftliche Know-how für Ihre

Überwachungskompetenz

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71–81

60327 Frankfurt am Main

Geschäftsführung: Oliver Rohloff

1. Auflage

Frankfurt am Main 2015

ISBN 978-3-95601-211-2

Copyright

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71–81

60327 Frankfurt am Main

Umschlag

Anja Desch, Frankfurt Business Media GmbH –

Der F.A.Z.-Fachverlag, 60327 Frankfurt am Main

Satz

Wolfgang Barus, Frankfurt am Main

Titelbild

© Dmitriy Shironosov/​Thinkstock/​Getty Images

E-Book-Herstellung:

Zeilenwert GmbH 2017

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einführung

Peter H. Dehnen

Strategie

Hans H. Hinterhuber

Finanzierung und Corporate Governance

Karsten Paetzmann

Rechnungswesen

Carl-Christian Freidank

Rechnungslegung

Patrick Velte

Risikomanagement

Carl-Christian Freidank

Compliance

Inga Hardeck, Remmer Sassen

Unternehmenssteuern

Andreas Mammen

Controlling

Inge Wulf

Deutscher Corporate Governance Kodex

VARD – Berufsgrundsätze für den Aufsichtsrat in Deutschland

Die Autoren

Fußnoten

Einführung

Wir schreiben das Jahr 2015. Deutschland ist (endlich) mal wieder Fußballweltmeister und immer noch Export(vize)weltmeister. Es steht – zumindest für den Moment – fest, dass die Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise der deutschen Volkswirtschaft nicht geschadet hat – ganz im Gegenteil. Wir verzeichnen Quartal für Quartal Rekordsteuereinnahmen und leisten uns nach 20 Jahren mal wieder einen sogenannten „ausgeglichenen Bundeshaushalt“. Der Dax knabbert an der 12.000er-Marke, und die Zahl der Insolvenzen ist auf einem Tiefststand. Lohnt es sich da, über das Thema Aufsichtsrat nachzudenken?

Als im Jahr 2011 der erste Band „Der professionelle Aufsichtsrat – Basiswissen für die Praxis. Ein 360°-Überblick“ erschien, befand sich die deutsche Corporate Governance Community im Aufbruch. Die sogenannte Regierungskommission machte sich Gedanken darüber, was noch alles im sogenannten Deutschen Corporate Governance Kodex stehen sollte. Die Seminarbetreiber und ihnen gleich die Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Personalberater und Unternehmensberater wurden nicht müde, auf Risiken und Gefahren der Aufsichtsratstätigkeit und deren (vermeintliche) Absicherung durch D&O-Versicherungen hinzuweisen. Es verwundert nicht, dass mit der Zeit die Dynamik der Corporate Governance in Deutschland erlahmte. Denn welcher Aufsichtsrat – und davon haben wir Tausende in Deutschland – will sich das Jahr für Jahr anhören?

Eine Wende zeichnete sich ab, als die Diskussion um die Frauenquote sowohl in Brüssel als auch in Berlin die Gemüter erhitzte. Betrachtet man Corporate Governance aus einer globalen Perspektive, so gibt es bei dem Thema eigentlich nicht viel zu diskutieren – man könnte sich höchstens wünschen, dass die Argumente unter dem Stichwort „Diversity“ breiter und differenzierter ausgetauscht würden.

Die Sache der Politik – Chancengleichheit versus Gleichberechtigung – ist die eine Seite. Die andere – zunächst unbeachtete – Seite des Themas ist jedoch, dass es bei Corporate Governance im Kern um die Frage geht, welche Kompetenz eine Person besitzen muss (und wie sie diese erlangen kann), um das Amt eines Aufsichtsrates auszuüben.

Die Beantwortung dieser Frage wird die Zukunft und den Erfolg deutscher Aufsichtsgremien bestimmen. Die Aktionäre – oder besser: die internationalen institutionellen Anleger und deren Proxy Agents – haben dies schon längst erkannt und hinterfragen immer häufiger: „Kann der zur Wahl gestellte Kandidat auch ,Aufsichtsrat‘?“ An einem deutlichen Ja kommen Aufsichtsratsvorsitzende und Nominierungsausschüsse nicht mehr vorbei, wenn sie sich nicht selbst der Kritik aussetzen wollen. Dies ist also ohne Zweifel eine Entwicklung, die auch deutsche Aufsichtsräte nachhaltig verändern wird.

Es gibt in Deutschland ein Hindernis, das einer nachhaltigen Veränderung im Weg steht. Professionelle Aufsichtsräte wachsen nicht auf den Bäumen. Und Radfahren lernt man nur durch Radfahren und nicht durch das Bücherlesen über Radfahren. Was nutzen Managementerfahrung und die beste theoretische Ausbildung als Aufsichtsrat, wenn Unternehmen ihre (neuen) Aufsichtsräte nicht konsequent einarbeiten. Ein „Lesen Sie das mal und setzen Sie sich mal dorthin, dann bekommen Sie schon schnell mit, wo es hier langgeht“ ersetzt nicht die systematische Einarbeitung in die unternehmensspezifischen und strategie- und überwachungsrelevanten Themenbereiche. Ein Aufsichtsrat braucht „unternehmerische Erfahrung“, aber nicht um zu managen, sondern um ein Gespür dafür zu bekommen, wo in dem von ihm zu überwachenden (komplexen) Unternehmen die überwachungsrelevanten Informationen zu finden sind. Ein solches „Onboarding“ für Aufsichtsräte ist international schon lange üblich und hat auch bei fortschrittlichen deutschen Unternehmen längst einen festen Platz auf der Agenda.

Auch wenn man es „draußen“ nicht immer sieht, „drinnen“ tut sich eine Menge im Bereich Corporate Governance in Deutschland. Es lohnt sich also im Jahr 2015 mehr denn je, über das Thema Aufsichtsrat nachzudenken.

Der Aufsichtsrat ist ein nur in Ansätzen durch das Aktiengesetz staatlich regulierter Beruf, der – gleich dem freiberuflich tätigen Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt, Ingenieur oder Architekt – in unternehmerischer Eigenverantwortung ausgeübt wird. Die Zulassung zum Beruf erfolgt nicht durch staatliche Zulassungsbehörden, sondern durch die Eigentümer eines Unternehmens. Das bedeutet, jedes Unternehmen bekommt den Aufsichtsrat, den es verdient, weil seine Aktionäre sich diesen gewählt haben.

Eine Berufsgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich bei ihrer Arbeit an bestimmten Grundsätzen und Selbstverständlichkeiten ausrichtet. Diese Grundsätze zu diskutieren und aufzuschreiben, hat sich der im Frühjahr 2012 gegründete deutsche Berufsverband der Aufsichtsräte, die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e.V. (VARD), zur Aufgabe gemacht. Die VARD-Berufsgrundsätze sind ein in Europa viel beachtetes und bislang einmaliges Projekt, dem Profil des Aufsichtsrates und dessen Arbeit einen Rahmen in Form von Leitlinien zu geben – von Aufsichtsräten für Aufsichtsräte.

„Wo Aufsichtsrat drauf steht, muss Aufsichtsrat drin sein.“ Dieser Satz gilt für alle Unternehmen mit einem Aufsichtsgremium – große, kleine, private, staatliche und kommunale; denn das Aktiengesetz kennt nur einen Typus Aufsichtsrat. Nur wann ist man Aufsichtsrat, wenn es kein entsprechendes Examen gibt? Als Antwort hört man – insbesondere in Deutschland – immer noch den Satz: „Ich bin als Aufsichtsrat gewählt, also werde ich das auch können; denn sonst hätte man mich sicher nicht gewählt. Warum soll ich mich also in Frage stellen? Aufgrund meiner Erfahrung weiß ich, worauf es ankommt.“ Wen wundert es da, dass deutsche Aufsichtsräte so gut wie ohne Fort- und Weiterbildung auskommen?

Hand aufs Herz: „Können Sie Aufsichtsrat?“ Verfügen Sie über das theoretische Wissen und das praktische Können, um die Geschäftsleitung eines (komplexen) Unternehmens systematisch und mit Methode zu überwachen? Diese Fragen kann nur beantworten, wer seinem Ist-Profil ein abstraktes Soll-Profil gegenüberstellt. Um dieses Soll-Profil soll es nachstehend gehen.

Corporate Governance – als die Summe der geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, die die Führung und Überwachung eines Unternehmens bestimmen – ist kein deutsches, sondern ein internationales Thema. In der Theorie eine immer wieder Fragen aufwerfende Schnittmenge von Recht und Betriebswirtschaft. In der Praxis die stete Suche nach der Antwort auf die Frage, ob und wie diejenigen, die ein Unternehmen führen, effizient und effektiv überwacht werden können.

Das durch das deutsche Aktiengesetz vorgegebene zweigliedrige („duale“ oder „two tier“) System setzt Geschäftsleitung und Aufsichtsrat in – bildlich gesprochen – unterschiedliche Räume und lässt sie hin und wieder zusammenkommen. Dem steht das eingliedrige („monistische“ oder „one tier“) System gegenüber, bei dem in einem Gremium beide Seiten – mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen – stetig zusammensitzen und -wirken; ein intensives – bisweilen sehr unternehmerisches – Zusammenwirken.

Dass der Aufsichtsrat nicht dem Manager gleichzusetzen ist, ist in beiden Systemen unbestritten. Doch ist in Bezug auf den Aufsichtsrat in zweierlei Hinsicht eine Konkretisierung nötig.

In §

111 AktG steht der Kern dessen, was einen Aufsichtsrat ausmacht. Der Aufsichtsrat muss „überwachen“ können. Was bedeutet „überwachen“, und wie funktioniert es? Die Gesetze und der Kodex schweigen sich hier aus – und lassen Recht und Betriebswirtschaft im Wettstreit aufeinander treffen.

„Überwachen“ ist das Gegenstück zu „die Geschäfte führen“ und richtet sich an der Strategie sowie den Zielen und Werten des Unternehmens aus. Dabei beschreibt Überwachen nicht einen Punkt, sondern einen Prozess, der immer in einem Zusammenhang mit einer Unternehmensentscheidung (oder deren Unterlassung) steht. Stehen am Ende eines Überwachungsprozesses eine oder mehrere Überwachungsentscheidungen, so steht am Anfang eines jeden (Teil-)Überwachungsprozesses das Sammeln, Sortieren und Analysieren von (relevanten) Informationen, die sodann in eine gemeinsame Analyse und Diskussion im Rahmen des Aufsichtsgremiums einfließen. Wer überwachen will, muss also über relevante Informationen verfügen, sich eine eigene Meinung bilden und diese im Gremium vertreten können.

Bisweilen wird – insbesondere von denen, die dem monistischen System nahestehen –behauptet, dass der deutsche Aufsichtsrat auch eine Beratungsfunktion gegenüber der Geschäftsführung habe. Vorsicht! Hier ist das Aktiengesetz eindeutig: Es gibt eine „rote Linie“, die der Aufsichtsrat nicht überschreiten sollte, wenn er nicht in (Haftungs-) Gefahr geraten will. Wenn die Beratung im Sinne einer (gesprächsweisen) Abstimmung in Fragen der Unternehmensstrategie Ausfluss der Überwachungstätigkeit ist, wird der Aufsichtsrat im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens tätig. Gewährt er – gebeten oder ungebeten – Rat oder Beratung in operativen Angelegenheiten, dann überschreitet er die rote Linie. Schließlich kann ein Aufsichtsrat nicht heute in einer Angelegenheit beraten, die er morgen überwachen muss.

„Überwachung“ als Entscheidungs- und Kommunikationsprozess

© Peter Dehnen 2015

Abbildung 1

Nachstehendes Schaubild fasst zusammen, was wir als Soll-Profil für den professionellen Aufsichtsrat zugrunde legen: Grundkompetenz, Fachkompetenz und Gremienkompetenz.

Das Soll-Profil des professionellen Aufsichtsrats

Basiskompetenz

•  Persönlichkeit

•  (Finanzielle) Unabhängigkeit

•  Unternehmerische Erfahrung

•  Corporate Governance Grundkenntnisse

Fachkompetenz

•  Kontrollkompetenz

(Strategie, Unternehmensfinanzierung, Rechnungswesen, Rechnungslegung, Risikomanagement, Compliance, Unternehmenssteuern, Controlling)

•  Teamkompetenz

Kompetenz im Gremium

•  Spezialkenntnisse

•  Branchenerfahrung

© Peter Dehnen 2015

Abbildung 2

Ausgehend von den VARD-Berufsgrundsätzen (Stand Januar 2015) ist der vorliegende Ratgeber der erste Teil einer Trilogie. Vergleichbar dem Erlernen einer Sprache – Grundwortschatz, Aufbauwortschatz, Fachvokabular – muss jedes (!) Mitglied eines Aufsichtsrates die Grundthemen der Unternehmensführung aus der Überwachungsperspektive heraus beherrschen. Das ist eine MUSS-Kompetenz. Der fortgeschrittene Aufsichtsrat sollte daneben über Spezialkenntnisse verfügen, die zwar nicht jedes Mitglied des Kontrollgremiums vorweisen können muss, die jedoch – je nach strategischer Ausrichtung des Unternehmens und damit auch der Besetzung seines Aufsichtsgremiums – in ausreichender Zahl im Gremium vorhanden sein sollte (SOLL-Kompetenz). Schließlich zeichnet sich der Könner unter den Aufsichtsräten dadurch aus, dass er die MUSS- und SOLL-Themen aus einer bestimmten Branchenperspektive beherrscht (KANN-Kompetenz).

In dem vorliegenden Band geht es um die MUSS-Kompetenz des professionellen Aufsichtsrates. In der Corporate Governance erfahrene Professoren übernehmen die Aufgabe des „Vokabeltrainers“. Der geneigte Leser möge anhand der jedem Kapitel vorangestellten Fragen selber beurteilen, ob und inwieweit er mit dem Thema vertraut ist und wo es sich gegebenenfalls lohnen könnte, das Fachwissen aufzufrischen oder zu vertiefen. Hierzu dienen zunächst die jedem Kapitel nachgestellten Lesehinweise. Die einzelnen Themen können aber auch in einem Workshop vertieft werden, den beispielsweise die Deutsche AufsichtsratsAkademie (DARA) ab Sommer 2015 anbieten wird.

Ich danke den Autoren dieses Buches für ihre kompetente Unterstützung und ganz besonders Herrn Professor Carl-Christian Freidank für seine Hilfe bei der Zusammenstellung des Autorenteams.

Düsseldorf, im Frühjahr 2015

Peter H. Dehnen

Strategie

Hans H. Hinterhuber

Abstract

Die Ausführungen behandeln die Fragen, die der Aufsichtsrat an den Vorstand in Bezug auf die Gesamtstrategie des Unternehmens und auf die Geschäftsstrategien stellen kann. Sie gliedern sich in fünf Abschnitte.

Der erste Abschnitt erklärt, dass in der Strategie das Ganze wichtiger ist als der Teil und nicht umgekehrt. Ein Gesamtmodell zur nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens zeigt dieses ganzheitliche Denken und Handeln.

Der zweite Abschnitt behandelt die Unternehmensstrategie (Corporate Strategy). Die Allokation der Ressourcen ist die wichtigste unternehmerische Entscheidung des Vorstands. Der Aufsichtsrat spielt eine wichtige kritisch-beratende Rolle. Ein Führungskompetenzprofil für die Auswahl der Führungskräfte wird vorgestellt. Da sich der Aufsichtsrat immer auch über den „Worst Case“ berichten lässt, werden Regeln für das „Risk Assessment“ genannt.

Der dritte Abschnitt ist den Geschäftsstrategien (Business Strategies) gewidmet. Die empirische Evidenz ist, dass nur etwa jede vierte Geschäftseinheit eine Strategie verfolgt, die diesen Namen verdient. Es wird gezeigt, welche Fragen Mitglieder des Aufsichtsrats stellen können, um die Qualität der Geschäftsstrategien zu prüfen und um gute von schlechten Strategien zu trennen.

Der vierte Abschnitt zeigt, wie die Strategie zur gemeinsamen Logik des Handelns der Führungskräfte gemacht werden kann. In einer unsicheren, globalen und schwer interpretierbaren Welt lässt sich kein Unternehmen mit dem Top-down-Ansatz, mit Anordnungen von oben und ausführenden Befehlsempfängern unten, erfolgreich führen. Der Aufsichtsrat kann kritische Fragen in Bezug auf Selbstständigkeit und geistige Mitarbeit der Führungskräfte bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der Strategien stellen, vor allem aber kann er feststellen, ob der Vorstand das Tempo des Wandels bestimmt oder ob er das Unternehmen an veränderte Rahmenbedingungen anpassen muss.

Abschließend werden die Hauptergebnisse der Arbeit zusammengefasst.

10 Fragen

Können Sie die Führungsentscheidungen in ein Gesamtmodell einordnen, das deren Auswirkungen auf die einzelnen Komponenten der Führung und Unternehmensteile sowie auf die strategischen Stakeholder in ihren Wechselwirkungen zeigt?Wie beurteilen Sie die Unternehmensstrategie (Corporate Strategy) im Hinblick auf die nachhaltige Wertsteigerung des Unternehmens?Wie ist das Geschäftsmodell des Unternehmens kritisch zu hinterfragen?Wie stellen Sie kritische Fragen zu Strategic Issues, strategischen Initiativen der Zentrale (Corporate Initiatives), Diversifikationsmöglichkeiten auf Basis der Kernkompetenzen des Unternehmens und Risikomanagements?Wie prüfen Sie die Qualität der Geschäftsstrategien?Können Sie die organisatorische Trennung von bestehenden und neuen Geschäften kritisch analysieren?Wie erstellen Sie Leadershipkompetenz-Profile der Mitglieder des Vorstands und der wichtigsten Entscheidungsträger im Unternehmen?Wie analysieren Sie bei der Bestellung von Vorstandsmitgliedern die Motive der Eigenkapitalgeber und der Kandidaten 1. aus dem Unternehmen und 2. bei Rekrutierung auf dem externen Managermarkt?Können Sie beurteilen, ob der Vorstand das Tempo des Wandels bestimmt („Driving Change“), die Führungskräfte entwickelt („Developing People“), die Mitarbeiter „Eigentümer“ ihres Unternehmens und insbesondere ihres Verantwortungsbereichs sind und die Strategie die gemeinsame Logik des Handelns der Führungskräfte ist?Wie beurteilen Sie die Argumente, die Sachkenntnis und den methodischen Ansatz, mit denen der Vorstand Strategien entwickelt und mit welchem Commitment er diese in Führungsentscheidungen umsetzt?

1. Einleitung

Die Führung eines Unternehmens nimmt immer mehr einen kollegialen Charakter an. Die Grenze zwischen der Rolle des Vorstands oder der Geschäftsführung und der Rolle des Aufsichtsrats ist fließend. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung durch den Vorstand zu überwachen; dazu stellt er kritische Fragen zur Strategie des Unternehmens (Corporate Strategy) und zu den Strategien der Geschäftseinheiten (Business-Level Strategy). Die Mitglieder des Aufsichtsrats spielen eine „beratende und beobachtende Rolle. Sie können beobachten, mit welchen Argumenten, mit welcher Sachkenntnis und mit welchem methodischen Ansatz der Vorstand Strategische Planungen entwickelt und mit welchem Commitment er die Strategische Planung in Führungsentscheidungen umsetzt … Der Vorstand hat stets einen Informationsvorsprung vor den Mitgliedern des Aufsichtsrats“. (Albach, 2001, S.295)

Die Ausführungen sollen den Mitgliedern des Aufsichtsrats helfen, kritische Fragen an den Vorstand in Bezug auf die Gesamtstrategie und auf die Strategien der Geschäftseinheiten zu stellen. Sie gliedern sich in fünf Abschnitte.

2. Das Ganze ist wichtiger als der Teil

Ohne Strategie ist langfristig überdurchschnittlicher Erfolg nicht wahrscheinlich. Selbst die beste Strategie ist keine Erfolgsgarantie. Ein Unternehmen strategisch führen heißt, die Einrichtung ganzheitlich in seinen Beziehungen zu den strategischen Stakeholdern zu sehen und zu erkennen, wie die Teile zusammenhängen und wie sich die Entscheidungen in vielen Bereichen und auf verschiedenen Verantwortungsebenen gegenseitig beeinflussen. Diese ganzheitliche Sicht ist umso wichtiger, je größer die Wechselwirkungen zwischen Märkten, Technologien, Gesellschaft, Politik und Unternehmen sind.

Abbildung 1 (S.17) veranschaulicht das Gesamtmodell der strategischen Führung eines Unternehmens (Hinterhuber, 2015). Das Modell integriert alle Komponenten, die dem direkten Einfluss des Vorstands und Aufsichtsrats unterliegen (der innere Teil der Abbildung), zu einem kohärenten Ganzen, mit dem Werte für die Stakeholder (der äußere Teil der Abbildung) geschaffen werden. Jeder Bereich beeinflusst die anderen Bereiche. Die Strategie z.B. bestimmt die Aktionspläne und die Organisation, sie wird aber ihrerseits durch organisatorische Gegebenheiten beeinflusst. Die bestehenden Geschäftsprozesse, das strategische Controllingsystem, die Unternehmenskultur usw. tragen zu den gegenwärtigen Stärken und Schwächen der Organisationsstruktur bei, von denen die Strategie wesentliche Impulse erhält. Strategisches Denken ist ganzheitliches, systemisches Denken.

Die Strategie ist Handeln unter großen Gesichtspunkten: Der Vorstand muss nicht nur Veränderungen in der Gesellschaft, in den Märkten, in den Technologien und in der Politik vorwegnehmen, sondern auch die Antwortgeschwindigkeit des Unternehmens diesen Veränderungen anpassen. Am kürzesten und wohl auch für die meisten Fälle ausreichend ist die Wiedergabe der Definition von Strategie nach Helmuth von Moltke (1800–1891): „Fortbildung des ursprünglich leitenden Gedankens entsprechend den stets sich ändernden Verhältnissen“. Der leitende Gedanke für Unternehmen ist, ein führender Wettbewerber zu sein und den Wert des Unternehmens oder der Geschäftseinheit nachhaltig zu steigern und/​oder ein wettbewerbsfähiges Unternehmen der nächsten Generation zu übergeben. Die Strategie ist somit die Kunst, Ziele zu erreichen zu versuchen, angesichts von Konkurrenten, die ebenfalls denken und handeln. Die Konkurrenten versuchen ebenfalls, nicht nur ihre Ziele zu erreichen, sondern Wettbewerbsvorteile und Barrieren aufzubauen, die es schwierig machen, das Gleiche zu tun.

Die Strategie ist aber nicht nur wettbewerbsorientiert, sondern auch und vor allem kundenorientiert (Kormann, 2005). Die zentralen Fragen, die zur Strategie führen, lauten:

– Nicht: Wie werden wir die Nummer eins oder zwei oder drei im Markt, sondern wie machen wir die Kunden und deren Kunden zu vertretbaren Kosten zu den Besten in ihren Märkten?

– Was sind die zentralen Erfolgsfaktoren der Kunden und von deren Kunden, und wie können wir diese zu vertretbaren Kosten besser erfüllen als die Konkurrenten?

Eine gute Strategie ist eine Strategie, die Eintrittsbarrieren und somit Wettbewerbsvorteile schafft und eine überdurchschnittliche Kapitalrendite erwarten lässt. Die Strategie ist, wie dargestellt, ein ganzheitliches innovatives Konzept, um ein Ziel zu erreichen, angesichts von Konkurrenten, die häufig das gleiche Ziel anstreben. Eine gute Strategie verändert die Spielregeln im Markt, oft sogar, wie im Fall von Apple, die Struktur des Marktes.

Eine gute Strategie muss herausfinden, ob der Markt Eintrittsbarrieren hat, die uns erlauben, das zu tun, was andere nicht können. Sind die Eintrittsbarrieren niedrig, oder, was das Gleiche ist, haben wir keine Wettbewerbsvorteile, dann braucht das Unternehmen keine Strategie. In Märkten ohne Eintrittsbarrieren zählt nur operative Effizienz (Greenwald/​Kahn, 2007).

Abbildung 1: Das Gesamtmodell der strategischen Unternehmensführung für nachhaltige Wertsteigerung (Hinterhuber, 2015) Developing Leaders

Eine gute Strategie erhöht auf dreierlei Art die Wahrscheinlichkeit für langfristig überdurchschnittlichen Erfolg: Sie schafft erstens günstige Ausgangsbedingungen zur Bearbeitung existierender Märkte, zweitens verankert sie organisationales Lernen im Unternehmen, und drittens ist sie die Grundlage für selbständiges, initiatives Handeln der Führungskräfte auf unterschiedlichen Verantwortungsebenen und in unterschiedlichen Regionen (Hinterhuber, 2011).

3. Die Unternehmensstrategie (Corporate Strategy)

3.1 Das Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell ist die Grundlage der Strategie. Es muss in der Aufsichtsratssitzung diskutiert und überprüft werden:

auf seine längerfristige Tragfähigkeit und

auf seine Risiken.

Beide Aufgaben fallen in den Verantwortungsbereich nicht nur des Vorstands, sondern auch des Wirtschaftsprüfers.

Der Wirtschaftsprüfer kann und soll prüfen, ob das Unternehmen organisatorisch darauf vorbereitet ist, Risiken zu erkennen, ihnen vorzubeugen und rechtzeitig auf sie zu reagieren. Das Geschäftsmodell des Unternehmens als Ganzes und der einzelnen Geschäftseinheiten gehört auf die Tagesordnung der Aufsichtsratssitzungen. Den Geschäftsmodellen und dem entsprechenden Risk Management muss größerer Raum als heute üblich eingeräumt werden.

Das Geschäftsmodell: Grundlage der Strategie

In der Pharmabranche, zum Beispiel, haben sich die Geschäftsmodelle in den vergangenen Jahren immer mehr verändert. Die stark diversifizierten Unternehmen wie Novartis, Merck (USA) und Bayer haben in den vergangenen Jahren zum Teil starke Redimensionierungen erfahren. Größe zählt heute vielfach weniger als Konzentration. Dieser auch von Investoren begrüßte Wandel hat Geschäftsmodelle hervorgebracht, die auf spezielle Produkte ausgerichtet sind. Das irische Unternehmen Shire hat als sein Tätigkeitsgebiet Nischen innerhalb von Spezialpräparaten gewählt. Neue Geschäftsmodelle, wie das auf Nischen ausgerichtete Geschäftsmodell von Shire, bedürfen eines neuen Risk Assessment. Bei fokussierten Unternehmen sind alle Eier in einem Korb. Der Aufsichtsrat hat sicherzustellen, dass ein Klumpenrisiko keine existenzgefährdenden Ausmaße annimmt.

3.2 Die Rolle des Aufsichtsrats bei der Formulierung der Unternehmensstrategie

Die Unternehmensstrategie bestimmt (Abbildung 2):

die Richtung, in die sich das Unternehmen als Ganzes im Hinblick auf nachhaltiges und profitables Wachstum entwickeln soll, unter Berücksichtigung, dass die Konkurrenten das Gleiche wollen,

die Märkte, auf denen es mit seinen Geschäftseinheiten (Business Units) im Wettbewerb operiert,

die Allokation der Ressourcen und

Akquisitionen, Zusammenschlüsse, Kooperationen und Desinvestitionen zum Zweck der Optimierung des Soll-Portfolios.

Abbildung 2: Der Zusammenhang zwischen Unternehmensstrategie und Geschäftsstrategie

Die Unternehmensstrategie:

koordiniert die Strategien der einzelnen Geschäftseinheiten in Bezug auf Cashflow, Synergien, Risiko und Zyklizität,

weist diesen die personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen zu,

stellt sicher, dass der Wert des Gesamtunternehmens größer ist als die Summe der Werte der Geschäftseinheiten, verhindert also den Holding-Abschlag,

nutzt die Kernkompetenzen des Unternehmens für eine Vielzahl von Geschäftseinheiten,

bestimmt strategische Initiativen der Zentrale (Corporate Initiatives) wie z.

B. Qualitätssicherungssysteme, Energieeffizienzprogramme, Leadership-Development-Standards, die alle Geschäftseinheiten betreffen (Corporate Initiatives),

nutzt Akquisitionen, Zusammenschlüsse und Desinvestitionen für die nachhaltige Optimierung des Gesamtportfolios des Unternehmens.

Abbildung 3: Grundmodell zur Formulierung der Unternehmensstrategie (Hinterhuber, 2015)

(MA: Marktattraktivität, RWV: Relative Wettbewerbsvorteile)

Abbildung 3 zeigt das Grundmodell zur Formulierung der Unternehmensstrategie (Hinterhuber, 2015).

Im linken Teil der Abbildung findet sich das gegenwärtige Portfolio von Business Units, wobei der gegenwärtige Zustand nach Maßgabe von „business as usual“ in die Zukunft projiziert wird. Der rechte Teil zeigt das Soll-Portfolio im Jahr X, das mit Hilfe von Akquisitionen, Kooperationen und Desinvestitionen angestrebt wird. Die Mitglieder des Aufsichtsrats können durch kritische Fragen die Sinnhaftigkeit der geplanten Maßnahmen auf den Prüfstand stellen. Auf die Tagesordnung der Sitzungen des Aufsichtsrats gehört auch die Diskussion der Kernkompetenzen, mit denen das Unternehmen in neue Märkte expandieren kann. Yamaha Motors z.B. verfügt über eine herausragende Expertise im Motorenbau. Damit hat Yamaha Motors in Märkte wie Motorboote, unbemannte Hubschrauber, Rollstühle, Schneeräumgeräte etc. expandiert. Yamaha Motors plant, mit seiner Expertise im Motorenbau 2019 einen Kleinwagen auf den Markt zu bringen. Maßstab ist die erwartete Wertsteigerung des Unternehmens innerhalb des Planungshorizontes.

Zentrale Kontrolle versus dezentrale Führung

Stuart Gulliver, CEO von HSBC, erklärt im Februar 2015, dass er für die Machenschaften der Mitarbeiter in der Genfer Filiale nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. „Kann ich wissen, was jeder der 257.000 Mitarbeiter macht? Sicher kann ich es nicht.“ Stuart Gulliver wird beschuldigt, dass er von dem skandalösen Verhalten der von HSBC kontrollierten Schweizer Privatbank hätte wissen müssen. Natürlich kann der CEO nicht das tägliche Verhalten eines jeden Mitarbeiters in einer Organisation ab einer bestimmten Größe kontrollieren. Es ist auch nicht die Verantwortung des CEO zu wissen, was jeder Mitarbeiter tut. Es ist aber seine Verantwortung, eine Kombination von geeigneten Strukturen, Kommunikationstechnologien, vor allem aber Wertesystemen einzurichten, die die Möglichkeiten fehlerhaften Verhaltens der Mitarbeiter verhindern. „Kein CEO kann Skandale entschuldigen“, so Henry Minzberg, „indem er sagt, er habe so viele Mitarbeiter. Du musst am Boden bleiben, um ein Gespür dafür zu bekommen, was in deiner Organisation vor sich geht.“

Das Problem besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen zentraler Kontrolle und dezentraler Führung der Geschäftseinheiten und Tochtergesellschaften zu finden. Die Größe des Unternehmens selbst ist nicht das Problem. Es geht um die richtige Kombination aus Struktur, Strategie, Kultur, Kommunikation und Leadership.

Eine Erklärung für Fehlverhalten in großen Unternehmen ist, dass sie nicht eine einheitliche Führungskultur haben, sondern in Abhängigkeit von den Führungspersönlichkeiten aus vielen Mikrokulturen bestehen. „Die fünf gefährlichsten Worte im Geschäft sind: Everybody else is doing it“, so Warren Buffet.

Die einzige Möglichkeit, wie Vorstand und Aufsichtsrat Fehlverhalten verhindern können, ist, wachsam zu sein, das Geschäft zu verstehen und immer wieder zu betonen, wie wichtig es ist, die Reputation des Unternehmens nicht zu schädigen. Diesen Kampf müssen Führende tagtäglich führen.

In Anlehnung an Financial Times, 26. Februar 2015, S.10 und 28. Februar 2015, S.7

3.3 Die Allokation der Ressourcen

Zu den wichtigsten Aufgaben der Mitglieder des Aufsichtsrats zählen kritische Fragen zu Kapitalbeschaffung und Kapitalzuteilung. Für die Kapitalbeschaffung hat der Vorstand drei Optionen: Investition in bestehende Business Units, Investition in neue Geschäfte oder Business Units, Akquisitionen, Ausschüttung von Dividenden, Rückzahlung von Schulden oder Rückkauf von Aktien (Abbildung 4). Bei der Diskussion der Kapitalbeschaffung und Kapitalzuteilung können, wie eingangs erwähnt, die Mitglieder des Aufsichtsrats nur eine beratende und beobachtende Rolle spielen.

Abbildung 4: Die Kapitalbeschaffung und Kapitalzuteilung als zentrale Verantwortung der Unternehmensleitung (in Anlehnung an Thorndike, 2012)

Erfolgreich diversifizierte Unternehmen sind durch einen Conglomerate Surplus, d.h. durch einen Holding-Zuschlag gekennzeichnet. Der Aufsichtsrat hat deshalb darauf zu achten, dass der Wert des Unternehmens nicht kleiner ist als die Summe der Werte der Tochtergesellschaften oder Business Units. In diesem Fall wäre der Conglomerate Discount oder Holding-Abschlag ein Ausdruck dafür, dass Quersubventionierungen zwischen ertragsstarken und ertragsschwachen Unternehmenseinheiten stattfinden und es dem Vorstand nicht gelungen ist, Werte zu schaffen. Der Conglomerate kann 10 bis 20 Prozent der Summe der Werte der Unternehmenseinheiten ausmachen. Der Aufsichtsrat kann vom Vorstand verlangen, dass 1. eine Bewertung der einzelnen Tochtergesellschaften und Business Units vorgelegt wird und 2. der Gesamtwert dieser Unternehmensteile mit der Marktkapitalisierung des Unternehmens verglichen wird (Hinterhuber, 2015). Die Folgen des Conglomerate Discount sind schwerwiegend:

– Aufbrechen des Unternehmens in rechtlich selbständige Unternehmen,

– Trennung von Führungskräften,

– Senkung der Kosten der Zentrale,

– strategische Initiativen der Zentrale,

– Erhöhung des Beitrages der Zentrale zur Wertsteigerung der Tochtergesellschaften und Business Units,

– Übernahme durch ein Unternehmen, das sich an der nachhaltigen Wertsteigerung orientiert.

Der Vorstand definiert und entscheidet die Strategic Issues, die von Fall zu Fall 1. als neue Möglichkeiten genutzt, 2. als schlecht kalkulierte Risiken abgewendet werden müssen oder 3. ganzheitliche Maßnahmen erfordern, die die Antwortgeschwindigkeit des Unternehmens auf die Strategien und Aktionen der Konkurrenten erhöhen.

Strategic Issues sind plötzlich auftretende:

– Möglichkeiten: z.B.die Akquisition eines Konkurrenten, der Eintritt in einen neuen Markt, der günstige Verkauf einer Tochtergesellschaft oder

– Schwierigkeiten: ein feindlicher Übernahmeversuch, die missglückte Einführung eines neuen Produktes, die das Erscheinungsbild des Unternehmens beeinträchtigt, der Tod oder die Kündigung einer Schlüsselperson, für die das Unternehmen gerüstet sein muss.

Die Mitglieder des Aufsichtsrats müssen in diese Diskussionen eingebunden sein und darauf achten, dass der Vorstand für solche Extremfälle über die Zeit, die Managementkapazität, die Ressourcen und eine konkrete Planung verfügt, um, oft innerhalb weniger Stunden, die notwendigen Entscheidungen einleiten zu können.

3.4 Das Leadership-Kompetenzprofil des Vorstands für nachhaltiges und profitables Wachstum

Es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass Leadership-Kompetenz der wichtigste Einzelfaktor für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens ist (Hinterhuber, 2011). Egon Zehnder International und McKinsey haben den Zusammenhang zwischen dem Führungsverhalten von 5.000 Führenden in 47 Unternehmen und dem Umsatzwachstum über einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht. In der Studie werden die 25 Prozent Spitzenunternehmen mit den 25 Prozent der Unternehmen am unteren Ende verglichen. Die Führenden in den Spitzenunternehmen zeichnen sich durch signifikant höhere Führungskompetenzen aus. Es sind nur wenige Führungskompetenzen, die den Unterschied ausmachen (Abbildung 5, S.26). Bei organischem Wachstum sind es vor allem Gespür für den Markt, Schaffen von Mehrwert für die Kunden, organisationale Fähigkeiten und Vorwegnahme und Gestaltung von Veränderungen. Eine Wachstumsstrategie durch Mergers & Acquisitions verlangt vom Führungsteam an der Spitze dagegen vor allem Gespür für die Marktentwicklung und Offenheit für Wachstumsmöglichkeiten. Die Ergebnisse der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

– die Führenden in schnell wachsenden Unternehmen schneiden bei den in Abbildung 5 dargestellten Führungskompetenzen signifikant besser ab als die Führenden in Unternehmen mit einer niedrigeren Performance;

– Unternehmen mit herausragenden Führungsteams haben eine hohe Korrelation mit Umsatzwachstum; diese Korrelation fehlt bei Unternehmen mit soliden, aber nicht herausragenden Führungsteams;

– gute Führung genügt nicht; Exzellenz macht den Unterschied;

– für nachhaltiges und profitables Wachstum ist eine kritische Masse an Führenden notwendig;

– die besten Führenden sind nur in ein oder zwei Leadership-Kompetenzen herausragend; fehlende Leadership-Kompetenzen müssen durch die anderen Mitglieder des Führungsteams abgedeckt werden;

– die Entwicklung und Beförderung von Führenden mit Ecken und Kanten („Spiky Leaders“) ist eine Voraussetzung für profitables Wachstum; diese führen ein Unternehmen zu nachhaltigem Erfolg;

– die Verbesserung der Leadership-Kompetenz ist kein einfacher Prozess; nach intensiver Aus- und Weiterbildung bzw. gezieltem Mentoring kann ein Führender in einem Jahr eine Leadership-Kompetenz um zwei Punkte auf der Skala von 1 bis 7 oder zwei Leadership-Kompetenzen um je einen Punkt erhöhen;

– um zu den 25 Prozent der Spitzenunternehmen zu zählen, braucht es eine kritische Masse von wenigstens 40 Prozent der Führungskräfte, die in der Leadership-Kompetenz „Verstehen der Bedürfnisse der Kunden“ und Schaffen für entsprechenden Mehrwert herausragend sind;

– für den Erfolg des Unternehmens ist es wichtiger, B-Player zu A-Playern zu machen, als sicherzustellen, dass jede(r) wenigstens ein C-Player ist.

Die Studie zeigt zusammenfassend, dass die Unternehmen, die über Führende mit den in Abbildung 5 dargestellten Leadership-Kompetenzen verfügen, einen signifikanten, von den Konkurrenten nur schwer zu imitierenden Wettbewerbsvorteil haben. Unternehmen im Spitzenquartil haben durchwegs Werte zwischen 5 und 7, sie verfügen auch über eine kritische Masse von etwa 40 Prozent der Führungskräfte, die in diesen Leadership-Kompetenzen herausragend sind. Es ist für den nachhaltigen Erfolg wichtiger, Führende zu haben, die in ein oder zwei Leadership-Kompetenzen herausragen, als solche, die in allen durchschnittlich sind. In Unternehmen, die profitabel wachsen, liegt der Anteil der Führenden mit Ecken und Kanten bei etwa 10 Prozent. Dies stimmt mit eigenen empirischen Untersuchungen überein, wonach in erfolgreichen Unternehmen 8 bis 10 Prozent der Führenden eine unternehmerische Einstellung haben (Hinterhuber, 2011). Der Aufsichtsrat sollte sich deshalb die Leadership-Kompetenzprofile der Entscheidungsträger in Schlüsselpositionen vorlegen lassen. Gute Führung genügt nicht; Exzellenz macht den Unterschied.

Leadership-Kompetenzen

Beurteilung

Reaktives Verhalten

Aktives Verhalten

Proaktives, antizipierendes Verhalten

Gespür für Markt und Marktentwicklungen und deren Auswirkungen auf das Unternehmen

Dem Kunden dienen/​Schaffen von Mehrwert für die Kunden

Ergebnisorientierung

Strategische Orientierung

Zusammenarbeit mit nicht direkt unterstellten Mitarbeitern

Team Leadership

Entwicklung von organisationalen Fähigkeiten/​Anziehen von Spitzenführungskräften und Entwicklung des Teams

Change Leadership

Abbildung 5: Die entscheidenden Leadership-Kompetenzen (modifiziert nach Egon Zehnder International/​McKinsey & Company, 2011)

Es zählt zu den wichtigsten Aufgaben des Aufsichtsrats, die Leadership-Kompetenzen der wichtigsten Entscheidungsträger im Unternehmen laufend zu hinterfragen.

3.5 Das Risk Assessment

Ein Unternehmen muss in jeder Situation, die auch mit noch so kleiner Wahrscheinlichkeit eintreten kann, in der Lage sein zu überleben. Der Vorstand ist verantwortlich für die Kontrolle des Risikos, das dessen kontinuierliche Erneuerung verursachen kann. „Wenn die Katastrophe eingetreten sein wird“, so Luc Ferry, ein französischer Minister, „werde ich mich darauf vorbereitet haben.“

In einem „Letter to the Shareholders“ zitiert Warren E. Buffett, CEO von Berkshire Hathaway, seinen Freund und langjährigen Partner Charlie Munger: „Alles, was ich wissen will, ist, wo ich einmal sterben werde. Denn dann werde ich nie dorthin gehen.“ Auf diesem Grundsatz der praktischen Lebensweisheit, bei allen Entscheidungen die negativen Auswirkungen zu berücksichtigen, beruht das Erfolgsgeheimnis von Berkshire Hathaway: Vermeide Geschäfte, deren Zukunft du nicht beurteilen kannst, wie aussichtsreich deren Perspektiven auch sein mögen; mach dein Schicksal nie abhängig von der Freundlichkeit der anderen und der Gunst der Umstände; arbeite mit Partnern zusammen, die langfristig in Geschäfte investieren wollen, die sie selbst verstehen; umgib dich mit Führungskräften, die wie Eigentümer denken und handeln.

Regeln für das Risk Assessment

1.Richte vor der Verabschiedung einer strategischen Entscheidung ein Team aus Mitarbeitern ein, die mit dem Entscheidungsproblem vertraut sind und Einsicht in die Folgen der Entscheidung haben.

2.Erteile dem Team folgenden Auftrag:

–Versetzen Sie sich bitte ein Jahr von heute in die Zukunft.

– Stellen Sie sich vor, a) dass wir den Plan so ausführen, wie er jetzt vorliegt, und b) dass das Ergebnis eine Katastrophe ist.

– Nehmen Sie sich bitte 5 bis 10 Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte dieses Desasters zu schreiben.

3. Überprüfen Sie Ihre Entscheidung, indem Sie das Ergebnis der Teamarbeit mit Freunden diskutieren, denen Sie vertrauen.

Quelle: D. Kahneman, 2014

Die folgenden Themen sollten in den Aufsichtsratssitzungen behandelt werden; sie sind Richtlinien für den Vorstand (Hinterhuber, 2011):

Bestimme die maximale Verlusthöhe, d.

h. den Verlust oder Schaden, der, wenn er eintreten würde, das Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten führen würde. Schließe die Strategien und Optionen aus, die, auch wenn sie große Gewinnchancen haben, die Existenz des Unternehmens gefährden könnten.

Bereite dich mental auf den größten anzunehmenden Unfall vor. Gutes Krisenmanagement ist zu 80 Prozent Vorbereitung. Halte dir den Grundsatz Helmuth von Moltkes vor Augen: Die Strategie ist ein System von Aushilfen ad hoc.

Mach ein Mitglied des Vorstands verantwortlich für präventives Krisenmanagement.

Dokumentiere in einem Plan: a) wie und wie schnell das Unternehmen Informationen über die Krisensituation haben kann, b) welche Experten rechtzeitig zur Verfügung stehen, c) wer kurzfristig zu Beginn der Krise Entscheidungen treffen kann und d) wer die Kommunikation nach außen und nach innen übernimmt.

Lass den Plan nicht in einem Ordner „verstauben“. Bringe diesen Plan ein- bis zweimal im Jahr auf einen aktuellen Stand und stelle ihn in das Intranet. Im Krisenfall bleibt wenig Zeit, um in dem Ordner zu suchen.

Kommunikation in Krisenzeiten ist Chefsache. Beachte, was online gesagt wird, und nimm dazu Stellung.

Lass eine glaubwürdige Führungskraft vor die Kameras und Medien treten, wenn der Auftritt des CEO nicht auf der Höhe der Situation ist. Der beste Katastrophenplan kann durch unbedachte Äußerungen des CEO zunichte gemacht werden.

Bereite alle Aussagen vor den Medien schriftlich vor. „No comments“ irritieren die Öffentlichkeit. Zeige Entschlossenheit, Mitgefühl und Engagement. Zeige dich nicht zu oft in der Öffentlichkeit.

Entscheide selbst, ob du mehr den Empfehlungen der Kommunikationsberater oder denen der Rechtsanwälte folgen sollst. Beide arbeiten mit unterschiedlichen Ansätzen.

Vergiss nicht, dass die beste Kommunikation die operativen Maßnahmen nicht ersetzen kann. Du wirst an den Taten, nicht an den Worten gemessen.

Für ein Unternehmen gibt es, zusammenfassend, keine Sicherheit, wenn es sich kontinuierlich erneuert und sich für eine bestimmte Strategie und bestimmte Aktionspläne entscheidet. So wenig wie für eine Ehe. Der Vorstand kann jedoch entscheiden, was er unter keinen Umständen tun will („wo er nicht sterben will“), wie er sein Kerngeschäft absichert, er kann die maximale Verlusthöhe bestimmen, die er verkraften kann, ohne das Unternehmen in seiner Existenz zu gefährden, er kann entsprechende Reserven gegen Rückschläge halten, nicht alles auf eine Karte setzen und sich flexibel organisieren. Bei Misserfolgen, so ein Schweizer Unternehmer, meint man immer, man habe zu wenig gewusst – man hat aber nur in der Regel das, was man eigentlich hätte wissen müssen, übersehen.

Es muss nicht gerade ein „Schwarzer Schwan“ (Taleb, 2012) sein, der die Fortdauer des Unternehmens gefährdet. Ein „Schwarzer Schwan“ ist das „unbekannte Unbekannte“ und nicht vorhersehbar. Es genügt ein GRIMP (Gigantic Risk with Incredible Minute Probability; Stein, 2014), um das Unternehmen zu gefährden. Ein GRIMP ist das „bekannte Unbekannte“, z.B. ein pharmazeutisches Produkt mit Nebenwirkungen, eine fehlerhafte Komponente in der Pumpstation einer Gasleitung und dgl. mehr. Der Aufsichtsrat lässt sich über GRIMPs berichten. „Wenn es dann doch noch schlechter kommt, als im Worst Case angenommen, sitzen alle im selben Boot. Der Vorstand hat nicht falsch gehandelt, und der Aufsichtsrat hat nicht schlecht kontrolliert. Aber beide haben sich geirrt.“ (Albach, 2011, S.295)

3.6 Rekrutierung eines Mitglieds des Vorstands auf dem externen Managermarkt oder durch Beförderung im Unternehmen

Exzellent ausgeübte Leadership ist, wie erwähnt, der wichtigste Einzelfaktor für den Erfolg eines Unternehmens (Hinterhuber, 2011). „Strategy follows people; the right person leads to the right strategy“, so Jack Welch und mit ihm viele Führungspersönlichkeiten. Der Aufsichtsrat kann ein Vorstandsmitglied aus dem Unternehmen wählen oder auf dem externen Markt für Führungskräfte rekrutieren. Die Gegenüberstellung der beiden Optionen in Abbildung 6 kann dem Aufsichtsrat bei vergleichbaren Leadershipkompetenz-Profilen die Entscheidung erleichtern.

A) Der Mitarbeiter hat Karriere im Unternehmen gemacht

Überlegungen des Aufsichtsrats

Überlegungen der Führungskraft

1.

Die Führungskraft kommt aus dem Unternehmen.

1.

Das ist das Angebot, auf das ich während meines bisherigen Berufslebens gewartet habe.

2.

Das Einstellungsverfahren für junge Mitarbeiter ist effizient.

2.

Ich kenne meine Unternehmen, und ich liebe es.

3.

Trainee-Programme, Assessment Centers und Mitarbeitergespräche prüfen die Leistungsfähigkeit und die Loyalität der Mitarbeiter sehr verlässlich.

3.

Ich werde meine ganze Kraft daran setzen, erfolgreich zu sein.

4.

Die Laufplanplanung im Unternehmen gewährleistet, dass die besten und loyalsten Führungskräfte aufsteigen.

4.

Erfolg ist in einer solchen Führungsposition schwer zu messen. Ich werde alles daran setzen, alle Beteiligten auf den Erfolg hin zu koordinieren.

5.

Die Auswahl der Führungskräfte wird aus einem kleinen Kreis von „High Potentials“ vorgenommen. Diese sind von allen bisherigen Vorgesetzten und in 360°-Beurteilungen hervorragend beurteilt worden.

5.

Die Unternehmensleitung setzt offenbar Vertrauen in mich. Ich werde dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Ich habe das Gefühl, dass das Unternehmen auch mir „gehört“.

6.

Der Mitarbeiter lebt und teilt die Führungswerte des Unternehmens.

6.

Die Führungswerte des Unternehmens sind  auch meine Werte.

B) Die Führungskraft wird auf dem externen Markt rekrutiert

Überlegungen des Aufsichtsrats

Überlegungen der Führungskraft

1.

Wir kennen die Person nicht aus langjähriger Erfahrung. Wir müssen daher annehmen, dass die Führungskraft ihren eigenen Nutzen maximiert, wie sie das offensichtlich in der Vergangenheit getan hat. Das ist aus ihrer Wechselbereitschaft zu schließen.

1.

Meine Aufgabe ist es, meinen Bereich nach bestem Wissen und Gewissen zu führen.

2.

Die Führungskraft will ihr (monetäres) Einkommen maximieren.

2.