Der Rattenfänger - Michael Ende - E-Book
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Michael Ende

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Beschreibung

Die Legende vom Flötenspieler, der nach den verhassten Ratten die geliebten Kinder aus der Stadt Hameln führte und auf Nimmerwiedersehen mit ihnen verschwand, ist uralt. Ihr geheimnisvoller Grusel wirkt jedoch bis heute fort, und ihre Rätsel sind ungelöst: Wer war der seltsame Mann, der sich auf so grausame Weise an den Bürgern von Hameln rächte? Ein Magier, ein Dämon, ein Vagabund, der Unheil mit Unheil vergalt? Woher kam er, wohin ging er, was geschah mit den Kindern, die arglos den Klängen seiner Flöte folgten? In seinem ‚Hamelner Totentanz’ spürt Michael Ende, der König der Geschichtenerzähler, diesen Fragen nach und kommt zu Antworten, die selbst eingefleischte Kenner verblüffen werden.

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Michael Ende

Der Rattenfänger

Ein Hamelner Totentanz

Libretto für eine Oper in elf Bildern

Personen

Der SpielmannDie beiden KinderHeiner Gruelhot, BürgermeisterAtela Gruelhot, seine FrauMagdalena Gruelhot, seine TochterGottfried Weregesius, ein PriesterAmelung Reicke, der VogtAbt Lambert1. Mann1. Weib2. Mann2. Weib3. Mann3. WeibVolk, Bettler, Mönche, Ratsherrenund reiche Kaufleute,Landsknechte, Mägde und Kinder

ANNO • 1284 • AN DAGE • IOHANNIS ET PAULI •WAR DER • 26. IUNII • DORCH • EINEN • PIPER •MIT • ALLERLEI • FARVEN • BEKLEDET • GEWESEN •CXXX KINDER •VERLEDET • BINNEN • HAMELIN • GEBORN •TO CALVARIE •BI DEN KOPPEN • VERLORN

 

Prolog

Aus dem Dunkel erscheinen zwei Kinder – ein blinder Junge, der ein gelähmtes Mädchen auf dem Rücken schleppt. Beide sind in Lumpen gekleidet und sehen hungrig aus. Sie singen mit harten, etwas schreienden Stimmen, teils einzeln, teils zweistimmig, jede Silbe betonend wie in einem alten Choral.

In Gottes Nam’, hört zu, ihr Leut

aus anderm Land, aus andrer Zeit:

Was hier zu Hamelin ist geschehn,

wir haben’s gehöret, wir haben’s gesehn.

Und hat’s euch auch mancher schon erzählt,

die Wahrheit hat man doch allzeit verhehlt.

So stehen wir als Vicarii nur

für alle geschundene Kreatur,

und wollen euch erstatten Bericht

von einer gar bitteren Geschicht.

Wir Kinder legen Zeugnis ab,

auf dass männiglich seine Mahnung hab.

Sie verschwinden wieder im Dunkel.

 

1. Bild

Der Platz vor dem Dom von Hamelin. Morgengrauen, Nebel. Einzelne zerlumpte Gestalten hocken auf dem Boden und auf den Stufen, nach und nach kommen immer mehr dazu, Bettler, Blinde und Sieche, bis der Platz voll ist. Ihre Stimmen, anfangs leise und in großen Abständen, steigern sich schließlich bis zur Raserei.

1. MANN

Verfluchte Ratten! Haufen über Haufen!

Leises Seufzen, Gewisper: »Ratten … Ratten …«

1. WEIB

Nachts ist mir eine übers Maul gelaufen.

(sie enthüllt ihr entstelltes Gesicht)

2. MANN

Sind’s Ratten? Wirklich Ratten? Oder nicht?

2. WEIB

Ich hör nur stets, dass man von Ratten spricht.

3. MANN

Wenn’s aber keine Ratten sind, wer weiß …

3. WEIB

Hat’s einer schon gesehen, das Geschmeiß?

1. MANN

Was da im Dunkeln kreischt und umme fährt,

bei Tag und Nacht sich mehrt und immer mehrt,

ist kein gewöhnliches Getier, klein oder groß,

das ist Gezücht aus einem andern Schoß!

Alle entsetzen sich.

1. WEIB

Was sie mit ihrem Kot besudeln, stirbt.

2. MANN

Was sie belecken und bespein, verdirbt.

2. WEIB

Das Brot verfault, noch eh man es verschlungen.

3. MANN

Das Wasser steigt vergiftet aus den Brunnen.

3. WEIB

Das Kleid, das sie mit ihrem Seich benetzen,

zerfällt dir gleich am Leib zu Haderfetzen.

1. MANN

Die Balken modern und die Mauer wankt.

1. WEIB

Die Stadt versinkt in Jauche und Gestank.

2. MANN

Ein übler Dunst streicht von der Weser her.

2. WEIB

Der Fluss ist tot. Kein Fisch, kein Vogel mehr.

3. MANN

Kein Baum, kein Strauch, kein Hahn wächst auf dem Feld.

3. WEIB

Die Nahrung kommt weit her für teures Geld.

1. WEIB

Der Hunger zehrt uns aus bis aufs Gebein.

1. MANN

Doch wer gebissen wird, hat ärgere Pein.

2. MANN

Der fiebert, krankt, sich bald in Krämpfen windet,

verkrüppelt, lahmt, wird schwärig und erblindet.

2. WEIB

Nur Ratten, sagt ihr? Wollt ihr drauf beharren?

Das soll das Werk von Ratten sein? – Ihr Narren!

3. MANN

Was lügen wir uns vor? Was Ratten, Ratten!

Des Teufels Scharen sind’s, des Todes Schatten!

Die Menge stöhnt auf.

3. WEIB

Ein Strafgericht des Herrn, uns zu vernichten!

Schreie

1. MANN

Höllische Ausgeburt! Gott will uns richten!

Geheul.

1. WEIB

Die Geißel Gottes, wie’s geschrieben steht,

für unsre Sünden, die uns aufgebläht!

Gebrüll.

2. MANN

Tut Buße, Leute! Betet! Betet! Schreit

zu Gott dem Herrn, damit er uns verzeiht!

ALLE

Gnade uns Gott, jetzt und in Ewigkeit!

Tumult bricht aus. Es formieren sich drei Gruppen: Geißler, Veitstänzer und eine Knie- oder Springprozession. Die drei Chöre singen durcheinander.

DIE GEISSLER

Aus der Tiefe schreien wir,

Kyrie eleis!

Unser Fleisch kasteien wir,

Kyrie eleis!

Unter Tränen, Blut und Schweiß,

tief im Fleisch den Dorn,

büßen wir der Sünde Preis.

Du, der alles sieht und weiß,

wende deinen Zorn!

Kyrie eleis!

VEITSTÄNZER

Unser Sinnen, unser Schaffen

macht aus uns des Teufels Affen.

Blinde Narren, blöde Toren,

ohne Gott sind wir verloren.

Satansböcke, Hurentreiber,

unsre Seelen, unsre Leiber

klirren in des Teufels Ketten.

Herr, nur du kannst uns erretten!

PROZESSION

Herr, uns trafen

deine Strafen!

Willst uns richten

und vernichten,

so geschehe uns dein Wille!

Dies irae, dies illae!

Wir verzagen

und wir klagen.

Du musst finden

lauter Sünden,

wenn du prüfst auf Herz und Niere.

Dies illae, dies irae!

Die Bürgermeisterin Atela Gruelhot und ihre sechzehnjährige Tochter Magdalena mit Dienerschaft treten aus der Kirche. Sie sind reich gekleidet. Sie betrachten das Treiben des Volkes, das bei ihrem Anblick nach und nach innehält. Manche nehmen die Hüte ab und verbeugen sich demütig, andere kriechen herzu und strecken bettelnd die Hände aus.

MAGDALENA

Ach Mutter, mich dauern diese Leute.

Ich hab für sie gebetet heute.

Warum sind sie arm und wir sind reich?

ATELA

Mein Kind, vor Gott sind alle gleich,

doch auf Erden sind wir verschieden.

Das muss so sein, auch wenn du’s nicht fasst.

Ein jeglicher trägt seine eigene Last,

auch wir haben unsere Bürde hinieden.

MAGDALENA

Das mag wohl sein, doch macht’s mir Harm.

Ich wäre gern auch einmal arm.

ATELA

Das sagst du so, liebes Engelskind.

Doch wenn da nicht die Reichen sind,

wer gäbe dann Almosen an die Armen?

MAGDALENA

Ja wahrlich! Mitleid und Erbarmen

kann der nur zeigen, der etwas hat.

Die Reichen machen die Armen satt.

Dann, Mutter, gib mir bitte Geld,

damit ich tu, was Gott gefällt.

ATELA

(gibt ihr eine Börse)

Da nimm und gib – doch nicht zu viel!

MAGDALENA

‘s ist mir das allerliebste Spiel.

(wirft Münzen unter das Volk, das sich gierig darauf stürzt)

VOLK

Lass los! – Gib her! – Wo ist es hin?

Du Dieb! – Du Sau! – Nein, das ist mein!

Gott segne die Bürgermeisterin

und ihr hochedles Töchterlein!

(einige küssen den Rocksaum der beiden)

Der Magistrat tritt auf, darunter der Bürgermeister Heiner Gruelhot mit Ratsherren, der Vogt Amelung Reicke, der Abt Lambert. Sie stellen sich auf den Stufen des Doms auf.

GRUELHOT

Leute von Hamelin, habt Geduld

und hört, was ich euch sage:

Nicht euer ist die schwere Schuld

an dieser Rattenplage.

ABT LAMBERT

Sucht Gott uns so gewaltig heim,

dann nicht für Schwachheitssünden.

Für größere Untat insgeheim

muss man den Schuldigen finden.

GRUELHOT

Erforscht hat drum der Magistrat

und ich, der Bürgermeister,

Abt Lambert auch, im Hohen Rat

den Grund der Plagegeister.

VOGT REICKE

Mit Gottes Hilfe haben wir

den Schuldigen gefunden,

und abgeurteilt wird er hier

am Domplatz noch zur Stunden.

VOLK

Wer ist’s? Wer ist’s?

ABT LAMBERT

Ein Satanssohn,

Wahrsager, Nekromant!

Unter der Folter hat er schon

sein Teufelswerk bekannt.

VOLK

Wer kann das sein in unserer Stadt,

der solche Verbrechen begangen hat?

Mehrere Henkersknechte schleppen einen alten Mann herein, der kaum noch bei Bewusstsein ist. Seine Hände sind gebrochen, er blutet aus Mund und Ohren. Gemurmel im Volk.

VOGT REICKE

Gottfried Weregesius, vormals »der Seher« genannt

und manchem von euch als Priester bekannt,

hat gestanden unter der harten Tortur,

er sei ein Diener des Satans nur,

der, um zu verlängern das eigene Leben,

seinem Herrn wollt die Stadt zu eigen geben.

Dazu hat er geschaffen mit schwarzer Magie

die Rattenplage, die wütet allhie.

Er wird euch nun vorgeführt als Delinquent,

auf dass er öffentlich seine Schuld bekennt.

WEREGESIUS

(erst kaum hörbar, wimmernd, dann immer lauter und mächtiger)

Weh, Hamelin, wehe …

lch sehe … ich sehe …

viel Blut und Rauch und Flammen …

die Mauern brechen zusammen …

Da reitet der Tod durch jegliches Haus …

keiner von euch wird ihm kommen aus …

Aber zuvor …

durchs Wesertor …

kommt ein anderer, der euch retten kann …

ihr aber, ach, ihr nehmt es nicht an …

Ich sehe … ich sehe …

wie ihr selbst euren Untergang sucht …

weh, Hamelin, wehe …

du bist verflucht!

GRUELHOT

Bringt ihn zum Schweigen!

Die Henker versuchen es, weichen aber vor ihm zurück.

WEREGESIUS

Weg! Lasst mich! Du, Henker, hüte dich!

Ich sprech in höherem Auftrag – nicht für mich!

ABT LAMBERT

Da hört ihr selber seine Lästerung!

WEREGESIUS

Hamelin, Hamelin, hör, was ich sage!

Deine Reichen werden reicher an dieser Plage,

und die Armen ärmer von Tag zu Tag.

Ja, hört nur, was keiner hören mag!