Der redliche Mann am Hofe - Johann Michael von Loen - E-Book

Der redliche Mann am Hofe E-Book

Johann Michael von Loen

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Beschreibung

Johann Michael von Loën war ein deutscher Schriftsteller, Gelehrter und Staatsmann der frühen Aufklärung. Der Aufklärer veröffentlichte in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche streitbare religiöse, staatspolitische und adelskritische Schriften, u. a. den Staatsroman Der Redliche Mann am Hofe.

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Seitenzahl: 599

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Der Redliche Mann am Hofe

Oder die Begebenheiten des Grafens von Rivera

Johann Michael von Loen

Inhalt:

Freiherr Johann Michael von Loën – Lexikalische Biografie

Der Redliche Mann am Hofe

Vorbericht.

Die Begebenheiten des Grafens von Rivera.

Erstes Buch.

Das zweyte Buch.

Das dritte Buch.

Das vierte Buch.

Das fünffte Buch.

Das sechste Buch.

Das siebende Buch.

Das achte Buch.

Das neunte Buch.

Das zehende Buch.

Das eilfte Buch.

Das zwölfte Buch.

Das dreyzehende Buch.

Das vierzehende Buch.

Das fünfzehende Buch.

Das sechzehende Buch.

Das siebenzehende Buch.

Freye Bedancken

Von der Verbesserung des Staats.

Der Redliche Mann am Hofe, J. M. von Loen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849630867

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Freiherr Johann Michael von Loën – Lexikalische Biografie

Stammt aus eineralte niederländischen Familie, welche zu Anfang des 17. Jahrh. nach Köln kam u. 1635 den Reichsfreiherrenstand erhielt. Freiherr Johann Michael wurde geboren 1695 in Frankfurt a. M., studierte in Marburg Rechtswissenschaften u. starb 1776 als preußischer Regierungspräsident der Grafschaft Lingen u. Tecklenburg. Er ist bes. bekannt durch seine unionistischen Bestrebungen für die Christlichen Kirchen, wenigstens die Evangelischen Konfessionen, wonach alle Einzelkirchen in einer neu zu bildenden aufgehen sollten, in welcher völliger Indifferentismus gegen die Dogmatik herrschen sollte. Er schr., dafür unter dem Pseudonym Gottlob von Friedenheim: Evangelischer Friedenstempel nach der Art der ersten Kirche, 1724; Von Vereinigung der Protestanten, 1748; Die einzig wahre Religion, 1750, 2 Teile. Gegen ihn traten Hoffmann, Weickhmann, Brenner u. And. auf, u. sein Versuch blieb ohne Folgen. Er war mit Maria geb. von Lindheim vermählt u. seine beiden Söhne, Johann Wolfgang (geb. 1732, st. 1783) u. Johann Just (geb. 1737, st. 1803), gründeten die beiden noch blühenden Linien:

Der Redliche Mann am Hofe

In einer auf den Zustand der heutigen Welt gerichteten Lehr- und Staats-Geschichte

Vorbericht.

Gegenwärtige Blätter sind in gleicher Absicht, als die Begebenheiten des Telemachs, des Cyrus und des Gethos geschrieben; ob sie gleich in der Art des Vortrags so weit davon abgehen, als die jetzige Welt von der alten unterschieden ist. Der Verfasser beschreibet hier die Menschen, wie sie heut zu Tage sind, und wie er selbsten hat Gelegenheit gehabt, sie kennen zu lernen.

Er hat den Hof, als die gröste Schule der Welt, zu seinem vornehmsten Schauplatz gemacht; andere Stände und Lebens-Arten aber gleichsam als Zwischen-Spiele mit eingeführet; damit ein jeder Leser etwas finden mögte, das er sich zueignen könte. Die Laster und Thorheiten der Menschen haben nicht allein etwas trauriges, sondern auch etwas lächerliches. Ein Heraclytus hatte ehedessen solche beweinet und ein Democritus belachet. Der Verfasser scheinet hier bald der Ernsthafftigkeit des einen, bald der Munterkeit des andern zu folgen, und sich in Ansehung des letztern nach dem Geschmack solcher Leute zu richten, die nur zum blossen Zeitvertreib lesen, und denen auf eine andere Art keine Wahrheit nicht wohl beyzubringen ist.

Im menschlichen Leben kommen allerhand Umstände vor; der Verfasser hat hier meistens solche Personen aufgeführet, die durch ihr Exempel lehren. Der Graf von Rivera zeiget einer jungen Standes-Person, wie sie, bey den Erhebungen ihres Glückes, sich mässigen und ihre Begierden einschräncken soll. Er kan in einer so durchaus verdorbenen Welt vielleicht zum Muster der Unschuld und der Redlichkeit dienen. Dergleichen Menschen sind heutiges Tages rar. Man glaubet nicht mehr, daß sich die Tugend noch für artige Leute, am wenigsten aber, daß sie sich an Hof schicke; Es ist auch wahr, daß sie da insgemein eine gar schlechte Figur zu machen pflegt. Die Aufführung des Grafens von Rivera zeiget uns nichts desto weniger, daß sie allenthalben zu Hause sey; und daß, wo sie nur ein wenig Klugheit begleitet, sie alle und jede Menschen zu ihrer Verehrung zwinget.

Man siehet in dem Character der Gräfin von Monteras eine junge Dame von einer hohen und zärtlichen Gemüths-Art, die eine Crone verachtet, um einem Cavalier ihre Gunst vorzubehalten, welchen sie derselben seiner Tugenden halber am würdigsten schätzet.

Der Einsiedler giebt ein lebhafftes Beyspiel von einem ruchlosen Menschen, welcher durch eine ausserordentliche Gnade ist bekehret worden; und welcher dahero auch im Stand ist, die besten Lehren zu geben.

Der Herr von Riesenburg hat dem Ansehen nach etwas leichtsinniges und flatterhafftes; im Grund aber das beste Hertz, und eine würckliche Liebe zur Tugend.

Es wohnte nächst an den Adriatischen See-Küsten ein junger Graf, Namens Menander von Rivera. Die Natur hatte ihm alle grosse Eigenschaften gegeben welche einen Menschen über andere erheben. Er war von einer überaus angenehmen Bildung, von einer etwas mehr als mittelmässigen Länge und durchaus schön gewachsen. Aus seinen Augen blitzte so viel Anmut als Ernst. Wer ihn sahe, der fand sich von etwas gerühret; er konte einem nicht wohl gleichgültig seyn. Man mußte mit ihm die Annehmlichkeiten theilen, wenn er vergnügt war und man empfand nicht minder eine gewisse Unruh, wenn man ihn leiden sah. So künstlich flößte die Natur dasjenige andern ein, was bey ihm die Gerechtigkeit und Liebe wirkten. Er war nicht allein in den Wissenschaften des Staats, sondern auch in der Welt-Weisheit und schönen Künsten gründlich gelehrt. Sein Verstand war zu allem aufgelegt, er besaß so viel Witz, als Einsicht und Uberlegung: er hatte dabey das beste Herz, und dessen Neigungen waren um so viel reiner und tugendhafter, weil sie durch eine verborgene Gottesfurcht regieret wurden.

Nachdem er einige fremde Länder gesehen und darauf eine Zeitlang sich an dem Aquitanischen Hof aufgehalten hatte; zog ihn die Begierde zu den Studien wieder nach seiner Herrschaft zurück. Er hatte bereits ein Jahr darauf in süssester Ruhe zugebracht, als der König von Aquitanien sich seiner erinnerte, und ihn verlangte bey sich an Hofe zu haben. Er übersandte ihm zu dem Ende den güldnen Schlüssel, und machte ihn zu seinem wirklichen Cammer-Herrn.

Dieses war den Absichten des Grafens ganz entgegen. Er liebte die Freyheit, die Bücher und das Land-Leben. Die Göttliche Vorsehung aber lässet nicht leicht grosse Gemüter gebohren werden, ohne sich ihrer zu wichtigen Sachen in der Welt zu bedienen; Sie hatte den Grafen von Rivera zu einem Werkzeug bestimmet, einen lasterhaften Hof zu verbessern und ein ganzes Reich glücklich zu machen.

Doch wie der Graf wenig von sich selbsten hielt, so waren ihm auch dergleichen hohe Absichten von Seiten der Vorsehung verborgen. Er wurde also über diesen unverhofften Beruf bestürzt, und konte sich nicht entschliessen, sein angenehmes Land-Leben zu verlassen. Was soll ich, sprach er bey sich selbst, am Hofe machen, wo man derjenigen Einfalt spottet, die ich liebe; und wo Man keine Sitten für verächtlicher hält, als die nach der Redlichkeit und Tugend schmecken? O nein! geliebtes Feld, du vergnügest mich mehr als aller unruhige Pracht des Hofs, und als alle gezwungene Hoheit deiner blinden Anbeter.

In diesen zweifelhaften Gedanken ließ sich der Graf ein paar Pferde sattlen, und ritt in Begleitung eines Dieners nach dem Schloß des Herrn von Bellamont, welches ungefehr zwo Stunden von dem seinigen entfernet lag. Dieser Cavallier war schier von Jugend auf bey Hofe gewesen, und besaß, nebst der dabey erlangten Erfahrung, alle Eigenschaften eines klugen und aufrichtigen Mannes. Der Graf liebte ihn als seinen Vater: er fand ihn längst dem Ufer des Meers in tiefen Gedanken. Er warf sich ihm um den Hals, da dieser ihn noch kaum hatte auf sich zukommen sehen. Der Herr von Bellamont empfand darüber einen angenehmen Schrecken: er gab dem Grafen seine Freude über dessen Ankunft mit den lebhaftesten Ausdrücken zu erkennen; und führte ihn darauf nach seinem Wohn-Sitz.

Man wird nicht leicht in der Welt ein so bequemes Land-Haus und eine so lustreiche Gegend finden; man komt dahin durch einen breit ausgehauenen Weg, der einen kleinen Wald durchschneidet. Sehr hohe Bäume bedecken den Hof von Seiten des Mittags. In dessen Eingang zeiget sich ein zwar niedliches aber doch nicht gar kostbares Gebäude, welches von hinten nach der Abend-Seite, über einen abhängigen Lust-Garten, eine entzuckende Aussicht in die offene See entdecket.

Der Herr von Bellamont brachte den Grafen in einen Saal dessen Fenster bis zur Erden reichten, ein mit grünen Wasen und kraussen Bux zierlich durchschlungener Pomerantzen-Garten stieß hier bis an die breite Schwellen des Saals: das sprudelnde Geräusch einiger durch Kunst geleiteten Wasser-Röhren, welche sich theils in kleine Kumpen von Alabaster, theils in einen grossen Behälter mit einem süssen Gemürmel ausstürzten, schien diesen stillen Ort gleichsam zu beleben.

Hier entdeckte der Graf dem Herrn von Bellamont, daß ihn der König nach Hofe berufen, und zu seinem Cammer-Herrn ernannt hätte; und daß er deßwegen zu ihm gekommen war, in einer so wichtigen Sache sich seines guten Rahts zu bedienen. Der Herr von Bellamont schien über diese Nachricht verwundert zu seyn; der König, sprach er, hat bisher nur lasterhafte und wilde junge Leute geliebet; was ist ihm ankommen, daß er den Grafen von Rivera bey sich haben will? Er befahl darauf seinen Leuten, ihn mit dem Grafen allein zu lassen, und nur ein kleines Abend-Essen für sie beyde aufzutragen.

Die Sonne war bereits hinter den Gebirgen. Ein lieblich-falbes Grau schimmerte auf den unbegränzten Tiefen des Oceans. Auf dem Lande war es finster; doch glänzte noch auf den Gipfeln der Berge ein Gold-gelbes mit Purpur vermengtes Licht, welches nach und nach in rothe Strahlen sich verwandelte und seine Klarheit auf der andern Seite des Horizonts abdruckte. Es wurde Nacht. Die Sterne loderten mit einem funckelnden Schein. Der Mond stieg als eine feurige Kugel aus dem weiten Busen des Meers, und warf seine auf den Fluten spielende Strahlen in einer schiessenden Länge bis an das Ufer.

Niemals hatte noch der Graf von Rivera einen lebhaftern Eindruck von der Schönheit der Natur bey sich empfunden. O mehr als angenehmes Land! fing er darüber seufzend an auszurufen; O süsses Feld-Leben! soll ich dich verlassen? Der Herr von Bellamont lachte über diese lebhafte Entzückung des Grafens. Meynen sie denn, Herr Graf, sagte er, der Hof habe nicht auch seine Annehmlichkeiten? Bilden sie sich ein, daß die Sonne dort nicht so schön unterging, oder daß der Mond mit weniger Anmut den dunklen Erden-Kreiß beleuchtete? Solten sie nicht noch andere Belustigungen allda finden, welche diejenige, die man auf dem Lande hat, noch weit übertreffen? Halten sie die schöne Künste und Wissenschaften, die daselbst bis zur Vollkommenheit getrieben werden; wie auch die Schauspiele, die Aufzüge, dem Umgang mit allerhand Menschen, nebst unzehligen Veränderungen und Lustbarkeiten für eitel solche Dinge, die ein Weiser verachten müsse? Ich glaube, fuhr der Herr von Bellamont fort, wir können hierinnen leicht zu ernsthaft und zu gezwungen seyn; Man verschmähet insgemein aus Hochmut, was andere preisen. Man will sich über alle äusserliche. Dinge hinaus setzen, und dadurch die Grösse seines Geistes zeigen, dessen ganze Tugend doch öfters nur darin bestehet, daß er sich selbst gefällt und deßwegen alles andere gering schätzet, was nicht zu seiner eigenen Erhöhung dienet. Wie glücklich wären wir nicht, wenn wir in allen Dingen nur das Böse absonderten und das Gute allein uns zu Nutz zu machen wüßten?

Also rathen sie mir, fragte hierauf der Graf den Herrn von Bellamont, daß ich dem Beruf des Königs folgen, und mich nach Hof begeben soll? Allerdings, erklärte sich dieser. So sehr ich auch von den Annehmlichkeiten ihres bisherigen Umgangs eingenommen bin, und so wehrt mir auch ihre Freundschaft ist, deren Genuß ich einigermassen durch dero Abwesenheit verliehren muß, so kan ich doch mit gutem Gewissen ihnen solches nicht wohl abrathen. GOtt hat ihnen, allem Ansehen nach, so grosse und besondere Gaben, als sie besitzen, nicht zu dem Ende verliehen, daß sie solche auf ihren Gütern vergraben sollen; Ich merke allzu deutlich, daß sie zu etwas grösseres geschaffen sind. Es ist wahr, sprach der Herr von Bellamont weiter, das Land-Leben hat etwas überaus süsses für einen Geist, welcher die Unschuld, die Freyheit und die Ruhe liebet; Allein, wenn alle tugendhafte und geschickte Leute nur bloß auf ihre eigene Vergnügung denken und auf dem Lande leben wolten, wer würde in der Welt durch seine Beyspiele andere erbauen? Wer würde den Ausbrüchen der wildesten Laster Einhalt thun? Wer würde den Hof, das Land und den Staat regieren helfen? helfen? Ich bin zwar nicht der Meynung, fügte der Herr von Bellamont hinzu, daß man sein eigenes Vergnügen dabey aus den Augen setzen müsse. Ich habe vielmehr gefunden, daß diese Art zu denken insgemein einen verborgenen Hochmut zum Grunde hat, und die sicherste Heuchler zu machen pfleget. Es ist nichts natürlicher und den Absichten des Schöpfers gemässer, als daß ein jeder Mensch seine Glückseligkeit zu befördern sucht. Es gibt aber auch zugleich einige grosse Gemüter die das mit für ihre Glückseligkeit halten, wenn sie andre können helfen glückselig machen. Man nennet solche Leute Helden, und es ist gewiß, daß ihr Eifer von dem Himmel selbst entzündet wird. Man siehet sie mit einem tapfern Muth wider die Bosheit und Tyranney sich waffnen, und für die Rechte der Menschheit streiten. Man siehet sie immer geschäfftig, den einreissenden Unordnungen zu steuren und den allgemeinen Wohlstand des Staats zu befördern. Sie thun desgleichen, mein werthester Herr Graf, sie gehen nach Hof, sie bewerben sich um die Gunst des Königs; Er hat sich von den Lastern einnehmen lassen, machen sie, daß er zurück kehre und die Tugend liebe. Mit diesen und dergleichen Gesprächen verbrachten diese beyde Herren den Abend mit dem grösten Vergnügen.

Nach einigen Tagen besuchte der Herr von Bellamont nebst seiner Gemahlin und dessen noch unerwachsenen einzigen Sohn, den Grafen und dessen Frau Mutter zu Rivera. Der Graf war ihnen die Hälfte des Wegs entgegen gefahren; Er saß auf einem offenen Wagen den zwey Apfelgraue Hengste zogen, welche er selbst regierte. Es war noch nicht Mittag. Der Graf, nachdem er seine Gäste auf das freundlichste empfangen hatte, bat den Herrn von Bellamont, sich zu ihm auf sein leichtes Fuhrwerck zu setzen, und dessen Frau Gemahlin mit einem jungen Vettern, den er bey sich hatte, voraus fahren zu lassen.

Bevor ich sie, sprach der Graf zu dem Herrn von Bellamont, zu meiner Frau Mutter bringe, wird es ihnen gefallen, mir noch eine Schwierigkeit zu benehmen, die mich zweifeln macht, ob ich noch bey dem Vorsatz, nach Hofe zu gehen, verharren soll. Bey Hofe muß man sich zu verstellen wissen. Ich kan solches nicht; ich mag mir auch die gröste Gewalt von der Welt anthun, meine wahre. Empfindungen zu verbergen; sie brechen aus meinen Augen, und ich kan mir nicht so viel Herz geben eine Umwahrheit standhaftig vorzubringen.

Dieses ist in der That, sagte der Herr von Bellamont, eine Gemüts-Art, die sich, nach der gemeinen Meynung nicht wohl nach Hofe schicket; allein, ich unterstehe mich zu behaupten, daß diejenige, die sich in der Welt der grösten Verstellungs-Künste gebrauchen, sich öfters noch in weit- verdrießlichere Umstände gebracht sehen, als diejenige, die gerad durchgehen, und sich der Aufrichtigkeit befleissen Mein eignes Exempel kan solches einigermassen bezeugen. Ich hatte von Natur eine solche Gemüts-Art, die beynahe allen den Schwachheiten unterworfen war, durch welche die Menschen sich unglücklich machen. Mein Herz stunde allen Leidenschaften offen; ich war empfindlich, leichtsinnig, wollustig und ein grosser Plauderer; ich urtheilte frey von allen Dingen, ich mogte sie verstehen oder nicht. Ich liebte einen muntern Scherz und den Umgang mit allerhand Leuten. Ich hielte jedermann für aufrichtig, und hatte keine Geheimnisse. Wer mit mir umging, der wußte schier alles, was ich dachte, was ich liebte und was ich suchte. Bey allem dem verrieth ich niemalen, was mir andere vertraueten, und aller meiner Leichtsinnigkeit ungeacht, so war niemand, der besser sein Wort hielt und ehrlicher zahlte. Viel Leute bedienten sich dieser meiner Redlichkeit zu ihrem Vortheil; doch, da meine Sachen so beschaffen waren, daß ich mehr Hülfe bey andern suchen mußte, als andere von mir erwarten konten, so war mein Verlust selten von einiger Bedeutung.

Solten sie wohl glauben, daß eine so einfältige und bis zur Schwachheit getriebene Aufrichtigkeit mein Glück gemacht hätte? weil ich nach den auf hohen Schulen, erlernten Wissenschaften keine meiner Geburt anständige Bedienung für mich finden konte; so entschloß ich mich Kriegs-Dienste zu nehmen. Polemon, ein so grosser General, als geschickter Staats-Mann, nahm mich auf, und schenckte mir eine Fahne. Ich war nicht lang unter seinem Regiment, als er von mir auf eine Art sprechen hörte, die ihn neugierig machte, mich näher zu kennen; Er nöthigte mich deßwegen öfters bey sich zur Tafel, und ich hatte noch kein Jahr gedienet, so bekam ich schon mit der Stelle eines Unter-Hauptmanns, die Anwartung auf eine Compagnie. Dises war nicht genug: Polemon, so klug er auch immer war, wurde dennoch von seinen Leuten sehr hintergangen; dieses verdroß ihn überaus. Er meynte wenn er nur einen redlichen Menschen bey sich hätte, dem er seine Sachen anvertrauen könte; er wolte ihn wie sein eigen Kind halten.

Ich hatte das Glück ihm zu gefallen: meine Redlichkeit schien ihm keinen Argwohn zu geben: Er nahm mich zu sich. Ich hatte an ihm einen grossen Wohlthater, aber auch zugleich einen scharfen Zuchtmeister. Er ließ mich wenig von sich, befahl mir schweigen zu lernen, und junger Leute Umgang, so viel es der Wohlstand litte, zu meiden. Er besorgte immer, sie mögten meiner Gemüths-Art mißbrauchen, und mich zu allerhand Ausschweifungen verleiten.

Ich bekam bald darauf eine Compagnie, und endlich, nachdem ich in die funf Jahr bey ihm gewesen war, seine einzige Tochter zur Ehe. Es wurde Frieden: mein Schwiegervatter begab sich auf sein Land-Gut, welches ich noch jetzo mit meiner Frauen bewohne. Er hatte damahlen einen Bruder bey Hofe: er wolte durch ihn mein Glück befördern: er schickte mich mit seiner Tochter dahin: Kinder, sagte er zu uns gehet, suchet noch dem König und dem Staat zu dienen, es ist noch zu früh für euch die Ruh zu wehlen. Wir reisten also nach Hof. Unser Vetter war schon alt: empfing uns freundlich: und weil er keine Kinder hatte, so nahm er uns zu sich ins Hauß.

Es währte nicht lange so bat er den König, ihn seiner Dienste zu entlassen, und mir dessen Stelle zu geben. Der König bewilligte solches. Ich wurde also Ober-Aufseher der Königlichen Gebäude und Lust-Häuser: Ich verwaltete dieses Amt biß in die zwanzig Jahr: Ich bediente mich dabey keiner andern Politic als meiner natürlichen Aufrichtigkeit: ich entbehrte lieber etwas an meinen Einkünften, als daß ich mich im geringsten durch den Genuß gewisser Vortheile hätte in Verdacht setzen sollen. Meine Feinde, deren ich wenig hatte und solche weniger noch kante, fanden also keine Gelegenheit mir zu schaden. Ich mengete mich in keine fremde Händel ich schlug mich zu keiner Partie: ich diente dem König allein: ich schmeichelte keinem Menschen und zeigte öfters gewissen Leuten eine etwas rauhe Stirne, wenn sie mich in ihre Banden mit einflechten wolten und ich ihrer nicht anders als durch mein trockenes Bezeigen loß werden konte.

Sie sehen hier mein werthester Herr Graf, einen Hofmann, der durch eine den Höfingen so ungewöhnliche Aufführung, sich, an einem sonst schlüpfrigen Hof, länger in Günst gehalten hat, als andere mit allen ihren Verstellungen und Künsteleyen. Ich verheyrathete endlich meine älteste Tochter an den Herrn von Ridelo, und erhielte für meinen Tochtermann eben diejenige Vortheile, welche mir ehedessen der alte Vetter übertragen hatte.

Ich geniesse nunmehro der Ruh aus dem Lande, allwo ich gleichsam zwischen der Welt und dem Himmel einen Mittel-Stand finde: Ich suche mir darinnen die Angelegenheiten der einen gering, und die Bestrebung nach dem andern desto wichtiger zu machen. Meine Feinde haben mich vergessen, und meine Freunde haben meiner nicht mehr nöthig. Meine Frau und mein noch unerwachsener Sohn nebst seinem Lehrmeister sind mir zur Gesellschaft genug; meine beyde Töchter werden sie zu Panopolis antreffen. Wenn man alles in der Welt hätte, was man wünschte, so würden sie so weit nicht reisen müssen, ihnen diejenige Freundschaft zu erkennen zu geben, damit sie bisher ihren Vatter beehret haben.

Der Graf von Rivera war durch diese Erzehlung des Herrn von Bellamont in seinen redlichen Absichten nicht wenig gestärket; er umarmte denselben, indem er ihm und seinem Haus eine beständige Freundschaft schwur.

Sie waren nicht weit mehr fortgefahren, so kamen sie in eine Gegend, wo die Natur schiene ihre seltsamste Schönheiten vereiniget zu haben: Man sah von der einen Seiten hohe Gebirge, welche unten mit wilden Sträuchen und Gebüschen bewachsen waren, und oben einen kahlen mit allerhand färbigten Steinen bedeckten Wipfel zeigten. Man entdeckte darzwischen tiefe Abgründe und fürchterliche Hölen, wo hin und wieder grose überhängende Stücke Felsen sich abzureissen und in Grund zu werfen droheten. Auf der andern Seiten stürzte sich ein Wasser-Fall, von einer steilen Höle, als ein lichter Strahl herunter, der hernach über verschiedene Abhänge mit einem sanften Rauschen sich fortwälzte; und endlich nach einem schlänglichten Umschweif in ein liebliches Thal sich ergosse; wo man in einer halbstündigen Entfernung den schönen Wohn-Sitz des Grafens von Rivera auf einem flachen Land-Strich liegen sahe.

Der Graf hatte hier am Fuß der Gebirge unter den weit sich ausstreckenden Aesten einer alten Ulmen, ein offenes Gezelt aufschlagen lassen; wo dessen Frau Mutter und beyde Gräfinnen Schwestern, der neu ankommenden Gesellschaft erwarteten. Die Gemahlin und der junge Sohn des Herrn von Bellamont waren bereits da angekommen. Die alte Gräfin, nachdem sie diese ihre Gäste auf das freundlichste empfangen hatte, gab darauf dem Herrn von Bellamont ihr Mißvergnügen zu erkennen, daß er ihren Sohn beredet hätte, nach Hof zu gehen. Er entschuldigte sich darüber so gut er konte. Ich erkenne mich, gnädige Frau, sagte er, in so weit straffällig: ich habe dem Herrn Sohn den Rath gegeben, der wahren Ehr und dem Trieb seiner eigenen Tugend zu folgen; ich leide aber selbst darunter, weil mich dessen Entfernung der angenehmsten Gesellschaft beraubet, die ich bißher bey meinem Land-Leben genossen habe.

Hierauf kamen auch die beyde junge Gräfinnen und baten den Herrn von Bellamont, mit denen beweglichsten Gebehrden, ihrem Herrn Bruder einzureden, daß er sie nicht verlassen mögte. Er wußte sich nicht anders von ihnen loßzuwickeln, als daß er ihnen sagte, sie hätten ihren Herrn Bruder nicht recht lieb, weil sie ihm sein Glücke nicht gönneten. Das ist wohl ein grosses Glück, versetzte darauf die älteste Gräfin, mit einem verächtlichen Ton, hier ist mein Bruder sein eigener Herr, und bey Hof muß er einen Diener abgeben; hier steht ihm alles zu Gebott, und dort muß er selbst gehorsamen; hier ist er sicher und von uns allen geliebt, und dort schwebet er in täglicher Gefahr, gehaßt und verfolgt zu werden. Nein, nein, geliebter Bruder, sezte sie mit Thränen in den Augen hinzu, wir lassen euch nicht weg; unser Vergnügen ist mit dem eurigen so genau verbunden, daß wir nicht ruhig seyn können, so lange wir wissen, daß ihr in Gefahr lebet. Der Graf schien von den lebhaften Vorstellungen seiner Schwester gerührt; er veränderte aber deßwegen sein Vorhaben nicht, seinem Beruf zu folgen und nach Hofe zu gehen.

Das Gespräch wurde darauf allgemein; Man sezte sich zur Tafel; zwey Jäger stiessen in ihre krumme Hörner, wo der Wiederhall ihre Töne nicht allein nachstimte, sondern auch halb verlohren wieder zurück brachte: Sie verwechselten, solche mit einer neu erfundenen Art von Feld-Schalmeien, derenheller Laut zugleich zärtlich und durchdringend war. Ein sanftes Murmeln des nah vorbeyfliessenden Bachs, welcher zwischen Rohr und Steinen durchrieselte, schiene die gekünstelte Töne der Blasenden noch zu übertreffen. Die stille Bewegungen der hier sich selbst belustigenden Natur verdienten noch mehr Aufmerksamkeit. Von weitem braussete der von den Bergen sich herabstürzende Wasser-Fall. Die in den Gebüschen versteckte Vögel vermengten damit ihre muntere Kehlen, und besangen gleichsam die Ehre des Schöpfers und die Schönheit der Natur. Unsere Zuhörer vergassen nicht ein so unschuldige Ergötzlichkeit zu preisen; sie beklagten nur die Entfernung ihres geliebten Grafens, welche sie nun als unvermeidlich vor sich sahen.

Man verbrachte auf solche Art nach dem Mittagsmahl noch einige Stunden in dieser angenehmen Einöde. Endlich brach die Gesellschaft auf, und begab sich zusamen nach Rivera. Der Herr von Bellamont, seine Gemahlin und sein Sohn hielten sich daselbst einige Tage auf, und genossen bey der höflichsten Bewirthung, alle Lustbarkeiten und Veränderungen, die man sich an einem so angenehmen Ort und in der besten Gesellschaft von der Welt, versprechen konte.

Endlich kam die Zeit herbey, da der Graf von Rivera seine Reise nach Panopolis antrat. Der Abschied war beweglich; er kostete so wohl der alten Gräfin, als ihren beyden Töchtern mehr als tausend Thränen. Der Herr von Bellamont begleitete ihn bis auf das erste Nachtlager. Sie schieden voneinander, nachdem sie sich nochmahlen die verbindlichste Versicherungen einer immerwährenden Freundschaft gegeben hatten.

Der Graf kam glücklich nach Panopolis und trat bey dem Herrn von Ridelo, dem Schwieger-Sohn des Herrn von Bellemont, ab. Dieser sowohl als dessen Gemahlin empfiengen den Grafen, als ob er einer ihrer nächsten Anverwandten wär. Der Herr von Ridelo war kein Mann von grossem Ansehen; er war einfältig von Gemüt, aber durchdringend von Verstand; er redete wenig; was er aber sagte, war voller Geist und Nachdenken. Er kam nicht nach Hofe, als wann ihn seine Geschäffte dahin forderten. Seine Frau hingegen war von einem sehr aufgeräumten Gemüth. Sie liebte die Gesellschaft und alle erlaubte Belustigungen; sie schien für die Menschen, ihr Mann aber nur für weise Menschen geschaffen zu seyn. Ihre Schwester, die junge Mariana, war eine von den wachsenden Schönheiten, die bey einem stillen und eingezogenen Wesen doch weder Mangel an Feuer noch Geist hatte.

In dieser angenehmen Gesellschaft sahe sich der Graf von Rivera beständig, so lang er zu Panopolis war; die verschiedene Gemüths-Art dieser dreyen Personen vereinigte sich für denselben in einerley Hochachtung.

Der Graf begab sich gleich nach seiner Ankunft zu dem König: er küßte mit Demuth den Saum seines Rocks, dankte ihm für die Gnad, daß er ihn zum Cammerherrn ernennet hatte und wünschte, daß demselben seine Dienste angenehm seyn mögten. Der König empfing ihn mit der grösten Leutseligkeit: er sagte, daß er sich selbst seiner erinnert und geglaubt hätte, daß eine Person von seinen Verdiensten, so wohl ihm als dem Staat nützlich seyn konte.

Der König war von Natur nicht ganz bösartig; Er war zu keinem Tyrannen gebohren: Er hatte viel gute Eigenschaften; sie waren aber durch eine üble Erziehung verdorben worden: er war der Unordnung, der Schwelgerey und den Wohllüstigen ergeben; Er meynte nur deswegen König zu seyn, um seinen Begierden desto freyer nachzuleben. Die Regierungs-Last schien ihm zu beschwehrlich: Wenn er in einem Morgen zehen bis zwanzigmal seinen Namen unterzeichnen solte, so waren dieses allzugrosse Bemühungen für einen König, der in den Gedanken stunde, die Lust der Crone sey für ihn, und die Last der Regierung für seine Räthe.

Der Herzog von Sandilien, dessen oberster Staats-Minister, hatte alle grosse Eigenschaften, die ins Auge fallen und bey andern Ehrfurcht und Hochachtung erwecken. Er war von einer ansehnlichen Gestalt, und hatte etwas großmüthiges und glückliches in seiner Bildung: seine Gebehrden waren edel und ungezwungen; er war dabey überaus prächtig und wußte sich ungemein wohl zu kleiden. Es mangelten ihm aber diejenige Wissenschaften, die zu einem grossen Staats-Minister erfordert wurden; Er erhielte sich auf diesem hohen Posten durch seinen Eifer für den König und durch seine Gefälligkeiten für andere. Er ließ einen jeden thun, was er wolte; wo zwey Staats-Bedienten sich über einige Vortheile entzweyten, da wurde die Sache durch ihn, auf Unkosten des Staats, beygelegt. Er lenkte sich zu keiner Parthey; sondern suchte das Haupt von allen zu seyn: Auf solche Weise war einer jeden an seiner Erhaltung gelegen.

Die Kriegs-Leute liebten ihn, weil er ihnen viel Freyheit und Muthwillen verstattete. Die Staats-Räthe und Hof-Bedienten waren durchgehends mit ihm wohl zufrieden, weil er von ihnen keine Rechenschaft forderte und einem jeden in seiner Verrichtung freye Hand ließ. Die Geistlichkeit verehrte an ihm einen guten Christen, weil er in ihre Glaubens-Händel sich nicht mischte: Die Gelehrten auf hohen Schulen fanden auch nichts an ihm auszusetzen, weil er ihnen gute Besoldungen gab; und die Dichter, die von der Schmeichelei leben müssen, reimten sich ihm zu Ehren fast zu tode, weil er ihnen für ihre Lob-Sprüche stattliche Geschenke reichen ließ.

Nur der Staat litte allein; das Land wurde bey Hof verzehret, und der Landmann, durch die schwere Geld-Erpressungen ganz entkräftet, begunte an etlichen Orten den Pflug zu verlassen, und sich theils aufs Plündern, theils aufs Bettlen zu legen. Die Pachter und Beamten aber, welche das arme Volk wie die Blut-Igeln aussogen, schleppten ihre feiste Wänste und gefüllete Beutel in die Städte und wurden zu des Landes Verderben vornehme Herren. Schifffahrt und Handlung lagen darnieder: Die Schulden wurden nicht bezahlt: der Kauffmann muste seine Waaren borgen, und die Handwerker verpraßten auf den Sonn- und Fest-Tägen, was sie an den Werktägen verdienten.

Den Soldaten war die Zeit und sie dem Staat zur Last; sie waren blosse Müßiggänger, und wenn sie etwas thaten, so geschahe solches zu ihrem und anderer Leute Verderben. Der junge Adel lebte in der grösten Uppigkeit: wer das Herz hatte wider alle Gesetze zu handeln und mit der Religion sein Gespött zu treiben, der wurde für den besten Edelmann gehalten.

In den Gerichts-Höfen sah es jämmerlich aus: viel tausend Wortfechter und Causenmacher nährten sich auf Unkosten der unglückseligen Partheyen: das Recht selbst wurde durch sie in eine unendliche Verwirrung gebracht: das Geld und die Geschenke trieben allein auf einen günstigen Spruch.

In den Tempeln regierte die eingebildete Weisheit der Schriftgelehrten bis zum Aberwitz; an statt das Volck zu erbauen und zu GOtt zu führen, zankte man darinn um Meynungen und Auslegungen, die niemand verstunde. Einige unlehrsame Köpfe, welche diese Mängel sahen, wolten es besser machen, sie warfen sich selbst zu neuen Aposteln auf und verliessen deßwegen als widerspenstige Schafe ihre stolze Hirten: sie schimpften und schmähten auf die äusserliche Kirche, nannten solche einen Götzendienst, versammleten sich in ihren Häusern und gaben Gelegenheit zu allerhand Unordnungen und Schwärmereyen. Kurz, die Unordnung herrschte in allen Ständen; es war schier weder Treu, noch Tugend, noch Glauben mehr unter den Einwohnern von Panopolis.

Der Graf von Rivera sahe dieses; er wurde darüber tiefdenkend: ein angstliches Grauen überfiel seinen sonst standhaften Muth. Warum, sprach er bey sich selbst, hab ich mein ruhiges Landleben verlassen? was soll ich hier bey Hofe machen? Soll ich mich auf diesem gefährlichen Strohm mit fortreissen lassen? Soll ich meinen Eifer für das gemeine Wesen, soll ich meine Unschuld und Liebe zur Tugend zeigen? Armseliger Graf! was würdest du damit ausrichten? man würde deiner spotten. Du bist noch zu jung andere zu unterrichten und dem König Rathschläge zu geben. Wirst du auch den süssen Reizungen der Lüste an einem Hof widerstehen können: wo man nur darauf sinnet, die Begierden recht anzufeuren und ihnen alle Nahrung zu geben? Wird dich deine Ehrsucht nicht verleiten? wird sie nicht alles entschuldigen und gut heissen, was dem König gefällt, damit du bey ihm dich einschmeicheln und in Gunst setzen mögtest? Ach! in welcher Gefahr finde ich mich allhier? O Bellamont, Bellamont, wer wird mir hier Rath ertheilen.

Der Graf von Rivera war in diesen Betrachtungen aus einem der Königlichen Lust-Gärten in den daran stossenden Wald gegangen; er hatte sich darinn so sehr als in seinen Gedanken vertieft. Er wurde gewahr, daß er sich in den Gebüschen verirret; er rief seinen Leuten; allein, sie hörten ihn nicht: der Graf verdoppelte deßhalben seine Schritte, um wieder auf den rechten Weg zu gelangen, er gerieth aber immer tiefer ins Gehölz; die Nacht überfiel ihn: es leuchteten diesem verirrten Wanderer weder Mond noch Sterne: er konte den Himmel, die Erde und die Bäume kaum mehr unterscheiden; doch setzte er seinen Fuß beständig fort: er ließ gleich einem Blinden seinen Stab den Weg suchen, und folgte demselben in sachten Tritten nach.

Endlich erblickte er durch das Gebüsche ein schimmerendes Licht: er gieng darauf zu, und fande ein kleines Haus; er klopfte an; ein alter Greiß, dessen Angesicht mit einem langen Bart bewachsen war, öffnete ihm die Thüre. Verzeihet mir, Ehrwürdiger Alter, war des Grafens Anrede, daß ich euch in eurer Einsamkeit stöhre: ich habe mich in diesem Wald verirret: ihr werdet so gut seyn und mir bey euch einen Aufenthalt vergönnen, bis der Tag mir verstatten wird, wieder nach Panopolis zurückzukehren. Wer sie auch sind, mein Herr! antwortete der Alte, so haben sie hier bey mir zu befehlen. Er nöthigte ihn darauf sich an ein Feuer zu setzen, welches im Camin brante, und ließ ihm durch einen jungen Menschen, den er bey sich hatte, verschiedene Erfrischungen reichen, welche der Graf hier anzutreffen sich nicht vermuthet hatte: sie kamen ihm ganz zu rechter Zeit: sein ungewöhnlicher Spatziergang hatte ihm solche doppelt-annehmlich gemacht.

Der Alte konte den Grafen nicht genug ansehen; so viel Jahre er auch in der Welt gelebet hatte, so dünkte ihm doch kein Mensch von solcher Gestalt noch vorgekommen zu seyn. Er betrachtete ihn mit einer solchen tiefen Aufmerksamkeit, daß der Graf, der solches wahrnahm, ihn fragte, für wem er ihn hielte. Mein Herr! antwortete jener ganz lebhaft, ich halte sie für mehr, als sie sich selber halten: ihre Kleidung gibt mir wohl einen vornehmen Herrn zu erkennen, ihre Gesichts-Bildung aber saget mir noch weit mehr. Wie! fragte der Graf, mein guter Vater, ihr verstehet euch auf die Gesichts-Bildung? In meiner Jugend, sprach der Alte, hab ich mich stark auf die verborgene Wissenschaften der Natur, den Himmels-Lauff und die Astrologiam judiciariam gelegt, und dabey viel besonders, was die Veränderung der Reiche und die Begebenheiten der Menschen betrifft, wahrgenommen. Meine langwierige Erfahrung hat auch in vielen Stücken meine Anmerkungen bekräftiget; allein, auch dieses mich gelehret, daß ein GOtt sey, der oft selbst ins Mittel tritt, und sich an die Gesetze der Natur, davon er selbsten HErr ist, nicht jederzeit bindet. Man muß aber eine erhabene und Göttliche Seele haben, wenn man nicht mehr dem Einfluß der Gestirne und dem Zusammenhang der natürlichen Ursachen will unterworfen seyn. Wahre Weisen ziehen sowohl ihre Kraft zum Guten, als ihre ganze davon abhangende Glückseligkeit, aus GOtt selbst; doch ist niemand mehr als sie darauf beflissen, die Ordnung, welche GOtt in die Natur gelegt hat, zu beobachten; weil sie erkennen, daß der Beherscher der Welt darinn am deutlichsten seinen Willen ausgedruckt habe.

Dergleichen weise Leute, fragte der Graf, werden sich wohl schwerlich an der Königen Höfen befinden? warum nicht, antwortete der Alte; die äusserliche Umstände machen dabey nichts; GOtt gebraucht sich dieser Leute in allen Ständen, und wenn er ein ganzes Reich will glücklich machen, so bedienet er sich öfters in dieser Absicht nur eines einzigen Weisen.

Solte aber ein solcher Weiser, fragte der Graf weiter, bey Hofe nicht lächerlich werden? Mit nichten, sprach der Alte; die Tugend hat etwas so grosses und erhabenes, daß sie alle Menschen ehren müssen; sie hat eine geheime Macht über alle Geschöpfe; ihre Einflüsse sind Göttlich und ihre Wirkungen begleitet ein gewisses Ansehen, welches auch die Boshaften schrecket; nicht anders wie die Thiere, die sich vor den Menschen fürchten, und sich unter ihrer Herrschaft schmiegen. Ich rede aber hier von einer solchen Tugend, die aus einer hohen Weisheit stammet, die mit Uberlegung handelt, und die sich nicht in solchen Dingen suchet, welche ihr eigentliches Wesen nicht ausmachen. Die wenigste Menschen haben einen rechten Begriff von der Tugend; sie nehmen insgemein dafür einen falschen Schein; dieser Schein ist ein blendendes Gewand, worunter sich die Heucheley verhüllet. Man hat der Tugend ein rauhes, unfreundliches und abgeschmacktes Wesen angedichtet; man hat ihr die Augen Catonis und die Gebehrden der Stoiker gegeben: dieses ist ein schädlicher Irrthum: nichts hat uns mehr von der Einfalt im Guten und von der wahren Aufrichtigkeit abgezogen.

Sie haben, mein Herr, fuhr der Alte fort, indem er dem Grafen scharf unter die Augen sah, dasjenige Wesen, worinnen sich die Tugend insgemein zu kleiden pflegt; sie haben etwas munteres und doch auch etwas ernsthaftes an sich: und wenn mich meine Wissenschaft in Beurtheilung der Menschen nicht betrügt, so werden sie auch davon die Regungen in ihrem Gemüthe verspühren. Zeit, Anfechtung und Gelegenheit aber werden solche bey ihnen noch deutlicher entwickeln, und durch die Erfahrung auf einen sichern Grund setzen. Sie werden sodann auch erkennen lernen, daß die blosse Gaben der Natur uns weder recht weise, noch recht glückselig machen können; sondern, daß ein höherer Einfluß solche beleben und uns die Kraft zur Ausübung des Guten ertheilen müsse.

Der Graf bewunderte die hohe Weisheit dieses Verehrungs-würdigen Greises; sein Herz wurde ihm gleichsam durch dessen Reden aufgeschlossen. Er begriff nun deutlich, daß sich die Tugend an alle Oerter schicke, daß sie etwas grosses, erhabenes und göttliches sey, und daß sie folglich allen Dingen in der Welt müsse vorgezogen werden.

Der Graf fragte darauf den Alten um die Beschaffenheit dieser Einsideley; worauf ihm derselbe berichtete, daß dieses ein Werk von der ehmahligen alten Königin, des Königs Frau Groß-Mutter, sey. Man siehet hier, fuhr er fort, die angenehmste Gegend von der Welt; sie werden, wenn es Tag ist, unweit von hier eine kleine Capelle finden, in welcher so wohl der König, als dessen vornehmste Bediente, ihre Andacht verrichten, wenn sie sich, wie im Sommer öfters geschiehet, hier aufhalten. Der Herr von Ridelo, unser Ober-Aufseher, gönnet mir auch zum öftern die Ehre seines Zuspruchs. Hiernechst an dieser Capelle ist ein kleines Lust-Schloß, welches längst dem Wald hin auf jeder Seiten sechs kleine Zelten-Gebäude hat, die auf Chinesische Art sehr artig eingerichtet sind. Hier hatte ehedessen auch unsere letztverstorbene hochselige Königin ihren verborgenen Aufenthalt, wenn sie von der Unruh des Hofes und der Last der Geschäffte ermüdet, sich ein wenig zu ergötzen suchte, und gern für sich allein seyn wolte. Ich bin aber derjenige, der zu diesem ganzen Werk durch eine Wunder-volle Schickung GOttes Anlaß gegeben hat. Der Graf bezeigte hierauf ein Verlangen, diese besondere Umstände zu wissen. Der Alte ließ sich darzu willig finden, und erzehlte dem Grafen seinen Lebens-Lauf, wie folget.

Das zweyte Buch.

Die Begebenheiten des Einsiedlers

Pandoresto.

Mein Leben ist sowohl ein Spiegel der grösten Unordnungen, als einer ausserordentlichen göttlichen Gnade. Ich wurde zu Bessala von vornehmen, aber ruchlosen Eltern gebohren. Weil sie immerdar mit einander haderten und eines dem andern nur das Leben recht sauer zu machen suchte, so hab ich wohl nicht ihrer Liebe, sondern dem allerunreinesten viehischen Trieb meinen Ursprung zu danken.

Man gab mich gleich nach meiner Geburt einer Frauen auf vom Lande zu säugen; denn meine Mutter wolte sich mit mir keine Mühe machen: vielweniger mir selbst ihre Brüste reichen, die sie noch zum Dienst ihrer Lüste gewiedmet hatte.

Ich war ein einziger Sohn, und meine Eltern besassen ein grosses Gut, welches sie aber sehr übel verwalteten. Man verzärtelte mich überaus, und ließ mir in allen Dingen den Willen; man übergab mich einigen Lehrmeistern, die mir wohl zuweilen etwas von GOtt und der Tugend vorsagten; durch ihre Lebens-Art und Beyspiele aber, mich überzeugten, daß sie selbst davon nicht viel glaubten.

Ich war von Natur sehr gelehrt böses zu thun, und ich kan sagen, daß ich recht viel Verstand hatte, die Laster bis auf einen gewissen Grad zu treiben, daß man meine Scharfsinnigkeit dabey bewundern mußte.

Es war keine so unordentliche Haushaltung in der Welt, wie die unsrige. Mein Vater und meine Mutter speisten selten zusammen an einer Tafel; beyde hatten ihre eigene Gesellschaften und ihre besondere Zimmer: sie kamen schier nie zusammen, als wenn sie sich einander ausschelten und ihre Untugenden sich vorrücken wolten. Wenn mein Vater betrunken war, welches wenig Tage nicht geschahe: so schalt und fluchte er alles zusammen. Meine Mutter im Gegentheil war dem Putz, dem Spiel und der Galanterie ergeben; und weil ich mehr ihr, als dem Vater schien nachzuschlagen; so wurde ich als ihr Günstling gehalten. Ich mußte bey ihr frühzeitig die Carten helfen mischen und dabey manche unzüchtige Reden mit anhören, die ihre Aufwärter, ohn alle Scham, ihr als Artigkeiten vorsagten.

Ich war noch kaum in einem Alter, da man den Trieb der Begierden empfindet, als ich schon allen Weibs-Bildern nachlief, und ihnen die unverschämteste Dinge vorsagte. Meine Mutter hatte nicht das Herz mich darüber zu bestrafen, weil ich ihr sonsten ihre eigene Freyheiten hätte vorwerfen mögen.

Ich verfiel darauf in das allerunordentlichste Leben von der Welt: ich that alles, was mir gelüstete, und wußte dabey nichts vom sündigen; weil mir die Pflichten des Christenthums und der Tugend unbekannt waren. Ich gieng wol zuweilen in die Kirchen, aber nur um darinnen die Musiken zu hören und die schöne Weibsbilder aufzusuchen. Was geprediget wurde, das hielte ich für eine Unterhaltung gemeiner Leute, darüber ich mein Gespött hatte, und glaubte von göttlichen Dingen so viel als nichts. In dieser Sicherheit war mir nichts eine rechte Freude, wann es die Sünde nicht abscheulich machte. Es wäre theils zu weitläuftig, theils zu unerbaulich, von allen meinen verübten Bosheiten hier Nachricht zu geben: ich will nur derjenigen erwehnen, die zu den Haupt-Veränderungen meines Lebens Anlaß gegeben haben.

Es war Winter, man hielte Carneval, die Masken wurden in der ganzen Stadt erlaubt; vier eben so freche junge Edelleute, wie ich, machten zusammen eine Bande, um die leichtfertigsten Händel miteinander anzustellen, wir steckten uns, als der Abend eingebrochen war, in ganz gräßliche Teufels-Larven; einen aber kleideten wir, wie des Königs Beicht-Vater: er saß auf einem Schlitten, ein anderer hinten drauf; ich vorn auf dem Pferd; zwey andere ritten neben her mit brennenden Fackeln in der Hand: Wir ranten in diesem Aufzug mit der grösten Geschwindigkeit durch die vornehmsten Strassen der Stadt, und als wir den Kirchhof erreichet hatten, löschten wir die Fackeln aus und warfen den Schlitten in den nah daran stossenden Stadt-Graben. Niemand hatte uns erkannt, noch gesehen, wo wir hingekommen waren.

Wir giengen hierauf noch denselbigen Abend mit unsern Teufels Masken hin und wieder in die Häuser. Wir jagten damit manche Sechswöchnerin vor Schrecken aus ihrem Bette, nahmen den Leuten ihr Essen und Trinken weg, entführten in der Geschwindigkeit die junge Mägdgens und machten es allenthalben so bunt, daß man uns endlich die Wache auf den Nacken schickte. Weil wir aber wider die Faschings-Freyheit heimlich mit Waffen versehen waren, so stiessen wir ein Paar von der Wache darnieder und schlugen uns also durch. Wir hatten damit diesen Abend noch nicht ausgeraset; sondern versamleten uns wieder, nachdem wir unsere Larven abgelegt hatten, in einem Spiel-Haus, tractirten dabey einige Weibsbilder so übel, daß eine davon den Geist aufgab. Die Wache kam abermahl herbey und besetzte unten die Thüre vom Haus: ich entschloß mich also kurz, und sprang oben ein ganzes Stockwerk zum Fenster herunter; ich beschädigte mich ein wenig an der rechten Hand und hatte das Glück auf solche Weise mich zu retten. Meine Cameraden aber wurden von den Bürgern, die der Wach zu Hülf gekommen waren, schier todt geprügelt; sie wurden darauf eingezogen und gefangen gesetzt, weil sie aber Söhne aus den vornehmsten Häusern waren, so kamen sie mit einer starken Geld-Busse davon.

Ich empfand hier das erstemahl ein gewisses Grauen über mein bisheriges Leben. Ich reiste heimlich von Bessala weg, und nahm unter dem König von Licatien Kriegs-Dienste. Ich hatte mir vorgenommen hinfüro ehrbarer zu leben, und mich vor Schand und Schaden zu hüten. Allein, weil ich nicht die geringste Regungen zur GOttesfurcht und zur Tugend bey mir verspürte; so suchte ich nur äusserlich den Wohlstand zu beobachten, und dadurch mein Glück in der Welt zu machen. Ich gieng mit lauter Practiken um, und weil ich sahe, daß es andere auch so machten, so hielte ich den für den Klügsten, der den andern am besten hinter das Licht führen konte. Ich legte mich insonderheit auf das Spielen; und weil ich alle geheime Vortheile der Cartenmischerey verstunde, so gewann ich viel Geld: ich kaufte mir eine Compagnie, und thate darauf einen Feldzug mit gegen die Battaver: ich wurde auf einen Posten commandirt, da ich überaus brav thate, und mir deßwegen vest einbildete, die Obrist-Wachtmeister-Stelle, welche ledig wurde, zur Vergeltung meiner Dienste davon zu tragen; alleine, weil ich der jüngste Hauptmann war, so wurde mir darin der älteste vorgezogen. Dieses brachte mich in eine solche Wuth, daß ich ihn zum Zweykampf herausforderte und ihn darin entleibte. Ich muste darauf flüchtig werden, und begab mich hieher an den Aquitanischen Hof.

Ich legte mich allhier auf die Erlernung der Wissenschaften, und brachte es dadurch in kurzer Zeit so weit, daß ich nicht nur Cammer-Junker bey dem König, sondern auch Beysitzer im Hof-Gericht wurde. Ich war damals noch nicht gar dreyßig Jahr alt. Ich lernte nebst andern Wissenschaften, den Schlendrian in den Processen gar bald. Ich sahe, daß es dabey mehr auf eine Causenmacherey und leeres Wortfechten, als auf die Gerechtigkeit einer Sache selbst ankam. Ich machte mir diese Wissenschaft zu Nutz und ließ es also derjenigen Partey geniessen, die am besten spendiren konte.

Ich bildete mir dabey vieles auf meine Klugheit ein: ich konte plaudern und den Leuten weiß machen, was ich wolte. Ich hatte die munterste Einfälle von der Welt, und niemand war sinnreicher als ich, einen Menschen lächerlich zu machen und aufzuziehen. Ich sahe, daß man solche Leute, wie ich war, an den Höfen hervor zog, und beförderte; und diejenige im Gegentheil für einfaltig schalt und sitzen ließ, die sich der Unschuld und Aufrichtigkeit beflissen. Ich nahm mich dahero wohl in Acht, in dergleichen Schwachheiten nicht zu verfallen. Man gebrauchte mich zu den verwirrtesten Händeln: ich wurde an verschiedene Höfe versandt; wo ich alles, zum Dienst des meinigen, mit List und Betrug glücklich ausmachte. Ich bediente mich darzu bald der herrschenden Sultanin, bald eines geizigen Ministers, bald eines hochmüthigen oder abergläubischen Beicht-Vaters, nachdem nemlich die Geschäfte waren, die ich zu tractiren hatte; und nachdem die Personen, davon ich rede, mir darinnen behülflich seyn könten.

Ich hatte mich gleich Anfangs, als ich in Diensten kam, ziemlich vorteilhaft geheyrathet; die Gesetze des Ehstands aber banden mich an nichts; ich glaubte, daß solche nur für den Pöbel wären. Ich half dem ungeacht manchen wacker strafen, wenn er in diesem Punct ein wenig über die Schnur gehauen hatte; ob er mir gleich weit grössere Verbrechen vorrücken konte. Ich dachte noch nicht daran, daß ein GOtt wär, der das Böse strafte und das Gute belohnte; es gieng mir viel zu wohl, als daß ich die Wirkungen des Bösen bey mir hätte wahrnehmen sollen.

Ich wurde bey Hof für einen Edelmann gehalten, der sich zu allen Ergötzlichkeiten am besten schickte, ich war deswegen von allen Parthien, wo es lustig hergehen solte, geliebet: Unter den frechsten Damen hatte ich den grösten Beyfall; weil ich sie frey nach ihren Neigungen urtheilte und solche durch keine angenommene Ehrbarkeit in Zwang setzte.

Meine Frau kam wenig nach Hofe, sie wuste nichts destoweniger alles, was daran vorgieng; sie hatte von allem, was ich thate, und so gar auch öfters von meinen Gesprächen genaue Nachricht. Ich fande mich einsmahl auff einer Maskerade. Eine Dame von überaus schönem Gewächs und einer sehr wohl ausgesonnenen Kleidung fiel mir dabey ins Gesicht: ich hielte sie für fremd, weil ich kein Merkmahl hatte, sie unter ihrer Larve zu erkennen: sie hatte einen schlanken Leib und ihre Gebehrden waren durchaus edel und ungezungen: ihre Maske gab ihr dabey ein holdes und reitzendes Ansehen. Sie tanzte mit der grösten Anmuth: ich hatte selbst sie zweymahl darzu aufgefordert: ich fande mich von ihr gerührt: ich sagte ihr die gröste Schmeicheleyen: ich schätzte den Menschen über alles glückselig, der von einer solchen Schönheit geliebet würde: sie druckte mir dafür die Hand, und gab mir solche Antworten, daraus ich urtheilte, daß ihr meine Reden gefielen. Ich brachte sie endlich unter dem Schein ihr einige Erfrischungen reichen zu lassen, in ein Neben-Zimmer. Hie nahm sie die Larve vom Gesicht und zeigte mir meine Frau. Undanckbarer! redete sie mich an, ist dieses die Aufführung eines verehligten Mannes? ich erschrack; doch erhohlte ich mich eben so bald. Ich wolte euch Madame, sprach ich, dieselbige Frage thun: es schicket sich nicht wohl für eine so frome Frau, als ihr seyn wollet, auf einem öffentlichen Ball die Liebkosungen einer fremden Maske anzunehmen: sie sagte, daß sie mich wohl gekant hätte, und daß sie deswegen sich auf diesen Ball gewaget, um meine Aufführung selbst mit anzusehen; ich behauptete, daß solches nicht wohl seyn könte, weil ich mich unter einem Domino versteckt hätte. Sie bewies mir, wie sie davon die vollkommenste Nachricht gehabt habe: ich setzte ihr meine Gründe dargegen; der Proceß blieb endlich unentschieden und wir musten uns in der Güte vergleichen. Meine Frau bildete sich unterdessen viel darauf ein, daß sie auf diese Weise mir gezeiget hätte, wie sie noch solche Annehmlichkeiten besässe, die sie könten beobachten machen; und bildete sich vest ein, daß ich sie lieben würde, wenn sie meine Frau nicht wäre.

Dieser Zwang wurde mir in die Länge unerträglich: ich konte mich durch keine Gesetze binden, vielweniger mir durch eine Frau, die mir so abgeschmackt als die meinige schien, Lebens-Regeln vorschreiben lassen. Ich sann also auf Mittel ihrer bald los zu werden. Sie war sehr zum Zorn geneigt: sie konte sich über die kleinste Dinge dermassen ärgern, daß sie öfters sich dabey nicht mehr kante. Ihr Geblüt wurde darüber entzündet und die Galle in alle Glieder getrieben: da musten nun die Aerzte rathen. Diese gaben ihr allerhand niederschlagende Pulver und zertheilende Artzneyen, welche sie öfters wieder zurecht brachten, und mir die Hoffnung benahmen, meiner Frauen bald los zu werden; ich brachte ihr deswegen bescheiden bey, es wäre bey ihr nichts anders, als Hypochondrie; und müste sie deswegen etwas wider die Wind und Blähungen gebrauchen; darzu sey nichts dienlicher als gute abgezogene Luft-Wasser und Magenstärkende Essenzen. Sie machte sich ohnedem schon eine Verrichtung daraus, dergleichen Wasser selbst zu brennen, und sie als Arzneyen an die Armen zu verschencken: Sie ließ sich meinen Rath gefallen, und nahm, wiewohl heimlich, wenn sie in ihrem Laboratorio war, ziemlich starke Proben von ihren destillirten Wassern. Als ich dieses merkte, spielte ich ihr die starkste Chymische Processe in die Hände, darüber sie erkrankte und durch ihren darauf erfolgten Tod, die Zahl meiner Missethaten vergrössette.

Niemand war froher als ich: ein alter Franciscaner, der zu mir gekommen war, um mich über das Absterben meiner Frauen zu trösten, stöhrte dieses Vergnügen. Diese Leute haben in der Welt wenig zu verliehren. Die Strengigkeit ihres Ordens setzen sie gegen die Begierden, reich und vornehm zu werden, in Sicherheit. Sie haben demnach nicht solche Maaß-Regeln zu beobachten, wie andere Geistlichen, die öfters den Mantel nach dem Wind hängen und durch ihre Gefälligkeiten, damit sie andern schmeicheln, gute Pfründen und hohe Kirchen-Aemter ertangen. Der Franciscaner wuste nichts von diesen Dingen: er war gewohnt einem die Wahrheit trocken unter die Augen zu sagen. Ich sehe, mein Herr, sagte er mir, sie sind über den Verlust ihrer Gemahlin gar nicht betrübt; da sie solches zu seyn doch so grosse Ursach hätten. Wann werden sie dann einmahl in sich selbst gehen, und anfangen ihre Sünden zu bereuen, damit sie bisher den Hof die Stadt und die gantze Christenheit geärgert haben? Sie gebrauchen die Gaben ihres Verstandes denjenigen damit zu entehren, von dem sie solche bekommen haben; Es ist hohe Zeit, daß sie ihren Sinn ändern; sonst dürfte ihnen der HErr bald zeigen, was er für eine Macht über solche Geschöpfe habe, die seiner zu spotten vermeynen.

Diese beherzte Rede hatte etwas, das mich verwirrt machte: ich wuste bey aller meiner Lebhaftigkeit ihm nichts darauf zu antworten: ich betrachtete diesen Anachoreten mit Bestürzung: die Augen lagen ihm so tief im Kopf, daß man solche kaum sehen konte; seine ganze Gesichts-Bildung bestunde aus blossen Knochen, die auf der Stirne mit einigen Runzeln bezeichnet waren: ich erschrack je mehr ich ihn ansahe. Diese Leute, dachte ich bey mir selbst, müsten doch wohl greuliche Narren seyn, wenn sie sich das Leben so sauer machten, nur um andere Menschen zu betrügen, und ihnen eine Religion zu predigen, davon sie selbst keine Uberzeugung hätten. Ich gedachte also bey mir selbst, daß es noch wohl der Mühe werth seyn mögte, diesen Sachen ein wenig nachzudenken. Ich fragte deswegen den Pater, was er mir riethe vor Bücher zu lesen? er antwortete mir, die Bücher der Evangelisten und Apostel. Dieses befremdete mich: ich nante ihm verschiedene geistliche Schriften, die mir ehedessen meine Frau angepriesen hatte und die damals unter den andächtigen Leuten stark Mode waren; er sagte mir, diese Bücher waren zwar gut, doch müste der Grund des Glaubens zuvor in der Unterweisung des Heylands selbst geleget werden.

Ich las darauf ein wenig in den Büchern des Neuen Testaments; allein ich blieb darüber zwischen den Meynungen der vielen Ausleger hängen. Diese versperrten einander durch ihr stets anhaltendes Gezank den Himmel, nachdem sie sich einander widersprachen. Der gröste Böswicht, der in der Bekanntnis ihrer Aufsätze starb, der wurde selig gesprochen, und der frömmste Mann im Gegentheil gieng nach ihrem Ausspruch verlohren, wann er einer anderen Parthey zugethan war. Dieses verwirrte mich ungemein.

Ich war bey allem dem noch in meinen besten Jahren und hatte dabey die Welt sehr lieb: ich gedachte mir dieselbe nach meiner Frauen Tod erstlich recht zu Nutz zu machen. Ich setzte also mein leichtsinniges Leben weiter fort: ich spührte aber dabey in meinem Herzen gewisse unruhige Bewegungen, welche sich nicht wolten abweisen lassen, und die gleich den Wellen, wenn sie auf der See durch einen Wirbel-Wind in die Höhe gezogen werden, darinn einen Sturm nach dem andern verursachten.

Es lebte damahls eine sehr tugendhafte Witwe onsern Panopolis auf dem Lande: die Königin besuchte sie und nahm mich mit zu ihr: ich sahe nicht so bald die Frau von Dusemon, so nante sich diese Dame, als ich mich erinnerte, daß ich sie ehedessen, als eine der lebhaftesten und grösten Schönheiten, am Hofe gekant hatte. Ihre Sittsamkeit rührte mich dismahl noch mehr, als ihre reitzende Gestalt. Ich betrachtete sie mit der grösten Verwunderung. Ein ungewöhnliches Stillschweigen band mir gleichsam die Zunge: ein tieffes Nachdencken hatte mich ganz eingenommen.

Die Königin, welche eine dergleichen Eingezogenheit an mir nicht gewohnet war, fragte mich, was mir wär. Sehet doch, fügte sie im Scherz hinzu, wie das eitle Welt-Kind heute sich so ernsthaft stellet: ich denke, Pandoresto wird sich bekehren wollen. Die Frau von Dusemon sah mich darüber an: es wäre wohl zu wünschen, sagte sie mit einem durchdringenden Auge, daß ein so verständiger Cavalier auch ein wenig Gottesfurcht haben mögte. Ich erkühnte mich nicht anders, als mit Ehrerbietung ihr darauf zu antworten.

Ich fuhr damit wieder mit der Königin zurück: einer von meinen guten Freunden sagte mir darauf, daß diese Dame sehr gute Meynungen von mir hegte, daß ich ihr nicht so gottlos vorkäme, als man mich ihr beschrieben, und daß sie an mir gewisse Merkmahle entdecket hätte, die sie versicherten, daß ich noch ein gottsfürchtiger Mann werden würde.

Diese Reden machten mir allerhand Gedanken. Ich empfand für diese Dame eine mit Liebe und Ehrerbietung vermischte Neigung. So eitel ich auch war, so konte ich mir doch nicht einbilden, daß ihr an mir etwas solte gefallen haben: ich spürte bey dieser Gelegenheit eine mir ganz unbekante Demuth: ich begriff mich selbst nicht recht: ich wolte gern tugendhafter seyn, wenn ich dadurch dieser Dame gefallen könte. Solches wär in der That eine schlechte Beweg-Ursach, mich zu bessern; ich erkante aber daraus daß die Tugend etwas ungleich Liebens-würdigeres an sich hatte, als das Laster.

Ich bekam hierauf die Frau von Dusemon öfters zu sehen: meine Aufführung gegen sie war so eingezogen, als ehrerbietig: ich war mit mir selbst mißvergnügt, daß ich meinen wilden Geist nicht gleich so bändigen und meine innerste Regungen nach den Empfindungen einer wahren Tugend einrichten konte. Ich wuste noch nicht, daß darzu eine höhere Kraft erfordert wurde.

Die Frau von Dusemon hatte sich endlich durch die Königin sowohl als durch meine heftige Liebe bewegen lassen, mich zu ehligen, so bald sie meinen Ernst sehen würde, hinfort ein rechtschaffenes Christliches Leben zu führen: sie hoffte auf diese Weise ein Kind des Verderbens aus den Klauen des Satans zu reissen und also ein gutes Werk zu thun.

Ich gedachte nun erstlich der glückseligste Mensch auf der Welt zu werden: ich schmeichelte mir der zeitlichen Güter auf eine erlaubte Art zu geniessen; allein, der HErr menschlicher Schicksale, dessen Gesetze und Ordnungen ich bisher auf das abscheulichste übertretten hatte, führte mit mir andere Absichten. Ein solcher Abschaum menschlicher Bosheit und Laster solte nicht ohne wirkliche Empfindung seiner Sünden, und ohne rauhe Busse gerettet werden. Ich muste zum wenigsten die Strafen des Bösen tragen, zu welchen mich selbst das Gesetz der Natur verdammte.

Ohneracht ich bisher, meiner Geliebten zu Gefallen, ein ordentliches und eingezogenes Leben führte; so hatte ich doch das mir von Jugend auf angewöhnte Fluchen noch nicht ganz lassen können. Ich war selbst einer von denenjeniden Leuten gewesen, die darinn etwas sinnreiches suchen und die Kunst zu fluchen mit neuen Erfindungen bereichern.

Ich war schon wirklich mit der Frau von Dusemon versprochen, und der Tag unserer Vermählung war bereits auf die nächste Woche festgestellet, als wir uns Abends bey Hofe, in einer sehr grossen Gesellschaft, befanden. Mein eitles Herz hatte hier, was es vergnügen konte: Liebe, Ehre, Hoheit, Pracht, Reichthum, Lust; alles schien mich mit ausserordentlicher Glückseligkeit anzulachen. Nur die Carten waren mir zuwider. Ich saß und spielte und verlohr Spiele, die erstaunlich waren: man sah mir zu und schloß einen Creis um mich herum: man sagte, es wäre nicht natürlich, dergleichen Spiele zu verliehren. Ich gerieth darüber in einen ungemeinen Eifer: ich vergaß mich ganz. Ich hatte bey nah schon alle meine Adeliche Fluche nach einander ausgestossen; doch hatte ich meinen gewönlichsten noch ziemlich lang zurück gehalten, welcher war: daß mich GOtt verdammen solte.

Kaum war mir auch dieser vom Munde geflogen, so überfiel mich ein todkalter Angst-Schweiß: ich erblaßte: mir bebeten alle Glieder: das Herz fieng mir an zu schlagen und zu pochen, als ob es mir die Brust durchstossen wolte: ich wuste vor Bangigkeit nicht mehr zu bleiben. Ich schmiß die Carten weg, stunde schnell auf, hielte mein Schnupptuch vor die Nase, durchstrich die Königliche Vor-Zimmer und lief zu Fuß nach Haus.

Hier schloß ich mich in mein Zimmer, warf mich bald auf die Knie, bald auf mein Bette nieder: ich schrie, ich seufzete: ich fande, daß ich ein abscheulicher Mensch war; ich hatte ein Grausen vor mir selbst: ich bate GOtt, er mögte sich mir zu erkennen geben, und mich im übrigen strafen, wie es seine Gerechtigkeit erforderte. Ich hätte in diesem Zustand gern alles thun und leyden wollen, wenn ich nur die geringste Uberzeugung von GOtt hätte haben können; denn was mir am unerträglichsten schien, war mein Unglaube.

Ich sahe wohl, daß mich diese Regungen nicht von ungefehr überfielen; ich urtheilte aber zugleich, daß sie auch natürlich seyn, und von einer aufgebrachten Phantasie herrühren könten. Gleichwohl hatten sie keinen Grund in meiner bisherigen Lebens-Art, noch in der Unterweisung, die man mir von Jugend auf gegeben hatte: sie kamen auch von keinen Vorurtheilen. Denn alle meine bisherige Anmerkungen von dem Zustand dieser Welt, und über die Sitten der Menschen, waren vielmehr eitel Vorurtheile zum Unglauben. So leicht man auch aus der Natur und aus einer richtig schliessenden Vernunft GOtt erkennen kan; so war mir doch damahls auch dieser gerade Weg verschlossen: Ich konte mir nicht einbilden, daß ein gütiges und allweises Wesen eine Welt solte geschaffen haben, die nur nach meiner damahligen Meynung, von lasterhaften und unglückseligen Geschöpfen bewohnet würde; denn ich hatte noch so wenig tugendhafte und fromme Leute gekant, daß ich schier zu zweiflen begunte, ob es auch solche Leute wirklich gäbe. Ich litte grausam unter diesen Vorstellungen: meine Vernunft nahm die beste Gründe an, um mich zu verwirren, und mein Herz war voll der heissesten Begierden einen GOtt zu lieben, der sich mir nicht zu erkennen geben wolte. Ich verbrachte auf solche Weise die unruhigste Nacht von der Welt. Mit anbrechenden Tag ließ ich den alten Franciscaner kommen, und entdeckte ihm, was mir begegnet war, und in welchem Zustand ich mich befand.